Romantische Bibliothek - Folge 24 - Lore von Holten - E-Book

Romantische Bibliothek - Folge 24 E-Book

Lore von Holten

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Beschreibung

Ingrid Hesterbach, die zu Besuch bei ihrer Tante Margret ist, soll für die Ärztin und deren Bekannten etwas auf dem Klavier vorspielen. Eifrig setzt sich die junge Frau an das Instrument und entlockt ihm eine zauberhafte Melodie. Sofort erkennt Prof. Braun ihr Talent und bietet ihr ein Studium an seiner Kunstakademie an. Ingrid ist überglücklich, doch gleich darauf wird sie sehr ernst. Ein so teures Studium kann sie sich nicht leisten. Umso mehr freut sie sich, als ihre Tante Margret ihr anbietet, die Ausbildung zu finanzieren.

In der Kunstakademie lernt Ingrid den Studenten Albert Berg kennen, mit dem sie sich gut versteht. Doch schon nach wenigen Semestern muss die junge Frau ihre Ausbildung abbrechen, da ihre geliebte Tante verstirbt und die Familie kein Geld hat, um das Studium weiter zu finanzieren. Traurig zieht Ingrid zu ihren Eltern zurück. Sie glaubt, mit der Musik für immer abgeschlossen zu haben. Umso erstaunter ist sie, als eines Tages ihr ehemaliger Kommilitone Albert Berg vor ihrer Tür steht und sie um einen Gefallen bittet ...

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Seitenzahl: 170

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Inhalt

Cover

Impressum

Melodie der Liebe

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Masson

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2682-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Melodie der Liebe

Bezaubernder Roman um das schönste Gefühl der Welt

Lore von Holten

Ingrid Hesterbach, die zu Besuch bei ihrer Tante Margret ist, soll für die Ärztin und deren Bekannten etwas auf dem Klavier vorspielen. Eifrig setzt sich die junge Frau an das Instrument und entlockt ihm eine zauberhafte Melodie. Sofort erkennt Prof. Braun ihr Talent und bietet ihr ein Studium an seiner Kunstakademie an. Ingrid ist überglücklich, doch gleich darauf wird sie sehr ernst. Ein so teures Studium kann sie sich nicht leisten. Umso mehr freut sie sich, als ihre Tante Margret ihr anbietet, die Ausbildung zu finanzieren.

In der Kunstakademie lernt Ingrid den Studenten Albert Berg kennen, mit dem sie sich gut versteht. Doch schon nach wenigen Semestern muss die junge Frau ihre Ausbildung abbrechen, da ihre geliebte Tante verstirbt und die Familie kein Geld hat, um das Studium weiter zu finanzieren. Traurig zieht Ingrid zu ihren Eltern zurück. Sie glaubt, mit der Musik für immer abgeschlossen zu haben. Umso erstaunter ist sie, als eines Tages ihr ehemaliger Kommilitone Albert Berg vor ihrer Tür steht und sie um einen Gefallen bittet …

„Das Mittagessen ist bestimmt längst kalt geworden, nicht wahr, Anja?“ Die Frau zog den weißen Kittel aus und warf ihn über eine Stuhllehne.

„Ich habe alles warm gestellt, Frau Doktor.“ Die mollige Haushälterin nahm den Kittel auf den Arm. „Dass wir ein einziges Mal pünktlich zu Tisch gegangen wären, ist noch nie vorgekommen.“

„Was soll ich machen, Anja?“ Die Ärztin zuckte mit den Schultern und ging hinüber in das Esszimmer. „Ich kann die Patienten doch nicht hinauswerfen.“

„Natürlich nicht, Frau Doktor“, brummte Anja, während sie die Schüsseln aus dem Kachelofen hervorholte. „Sie reiben sich für die anderen auf, und was haben Sie davon? Nichts als Ärger und Verdruss! Nicht einmal Ferien können Sie machen!“

„Ich muss ja schließlich meinen Lebensunterhalt verdienen“, entgegnete die Ärztin und begann, hastig ihre Suppe zu löffeln.

Nach Walldorf müsste ich fahren, dachte die Frau und sah sich schon durch die tiefen Wälder streifen oder im Garten liegen und in den Himmel schauen. Keine Sprechstunde, keine Visiten, nur Stille und Sonne.

Die Ärztin fühlte seit Langem, dass ihre Kräfte erlahmten und die Arbeit an ihr zehrte. Sie wollte es sich nie recht eingestehen, doch es war bald nicht mehr zu verleugnen, dass sie ein paar Tage Entspannung brauchte.

„Sie haben recht, Anja!“, sagte die Frau schließlich. „Ich muss wirklich bald an mich denken. Doch vorerst haben wir ja Besuch im Haus. Warten wir, bis wir wieder allein sind, dann wollen wir beide Fluchtpläne schmieden.“

„Ich werde Sie daran erinnern“, mahnte Anja besänftigt. „Aber jetzt habe ich noch eine Überraschung: ein Paket aus Walldorf!“

„Aus Walldorf?“ Die Ärztin freute sich sichtlich. „Rasch, bringen Sie es!“

Anja beugte sich hinter einen Sessel, holte ein mittelgroßes Paket hervor und stellte es auf den Tisch.

Eilig nestelte die Ärztin die Verschnürung auf und bog raschelnd das Packpapier auseinander. Als Erstes fiel ihr eine bunt bemalte Postkarte entgegen.

„Was ist die kleine Ingrid doch für eine Künstlerin!“, rief die Ärztin und hielt ihrer Haushälterin das Kärtchen hin.

Unter dem Bild stand in sauberen Buchstaben: „Meiner lieben Tante Margret zum Geburtstag. Vati, Mutti und ich!“

„Sieh an, unsere kleine Ingrid!“ Anjas Gesicht wurde von zärtlicher Liebe verklärt. „Das ist doch wundervoll!“

„Ich freue mich sehr!“ Die Ärztin nickte lächelnd und legte das Kärtchen sorgsam zur Seite. Dann hatte die Frau das Paket vollends geöffnet. „Anja, sieh doch nur, wie herrlich!“ Dr. Margret Röbling hielt eine bestickte Tischdecke in der Hand. Rasch breitete sie den Stoff auseinander. Überall prangten Blumen. „Sie haben das Geschenk mit Sorgfalt ausgesucht und mit dem Herzen geschickt! So kostbar ist es, dabei haben sie doch selbst kaum Geld“, murmelte die Ärztin leise und strich sich über die Augen. „Anja, warum haben Fröckelbergs meinen Geburtstag vergessen?“

Die Haushälterin hob die Schultern.

„Vielleicht war es ihnen nicht wichtig genug. Vielleicht hatten sie auch keine Zeit, um daran zu denken. Gestern Abend waren Ihre Frau Schwester und Herr Fröckelberg tanzen, und heute Morgen sind Sie weggefahren, nach Frankfurt, glaube ich.“

„Weggefahren?“, entgegnete die Frau erstaunt. „Dass sie mir nichts gesagt haben …“

„Sie haben Ihnen davon nichts gesagt?“, wunderte sich Anja. „Das verstehe ich nicht. Sie haben doch Ihren Wagen genommen.“

„Meinen Wagen? Das ist doch nicht möglich! Den brauche ich doch gleich für die Visite!“

„Doch Frau Doktor, es ist so. Gleich nach Beginn der Praxis hatten sie es auf einmal furchtbar eilig. Herr Fröckelberg holte den Wagen aus der Garage, und dann waren sie auch schon fort. Ich wunderte mich, aber ich glaubte, Sie hätten es ihnen gestattet.“

„Nie im Leben! Sie wissen doch genau so gut wie ich, dass ich ohne Wagen meine Arbeit nicht tun kann. Das ist ja eine schöne Geschichte. Ich wollte in einer halben Stunde losfahren. Also, ehrlich gesagt, das verstehe ich einfach nicht!“

„Wenn Sie es mir nicht übel nehmen wollen, Frau Doktor, es sind zwar Ihre Verwandten, aber ich wäre doch froh, wenn sie wieder aus dem Haus wären.“

Die Ärztin machte eine hilflose Gebärde. „Wer kann sich schon seine Verwandtschaft aussuchen, Anja? Sie haben schon recht, die Fröckelbergs sind sehr anstrengend geworden. Ich möchte nur wissen, woran das liegt.“

„Früher hatten sie mehr Geld!“, versetzte Anja trocken und begann den Tisch abzuräumen.

„Ich muss sofort das Haus verlassen, Anja, wenn ich mit meiner Nachmittagsarbeit fertig werden will!“, rief die Ärztin. „Auf die Mittagsruhe werde ich wohl oder übel verzichten müssen!“

Unterwegs ließ sie sich die letzten Minuten noch einmal durch den Kopf gehen.

Ja, Anja hatte im Grunde genommen recht, wenn sie meinte, dass die Fröckelbergs reichlich großzügig verfuhren, solange sie hier zu Besuch weilten. Da wurden teure Speisen gekauft, stets aber auf den Namen der Gastgeberin angeschrieben. Immer wieder erlebte Anja derart böse Überraschungen, wenn sie zu den Kaufleuten kam und dort Rechnungen präsentiert bekam. Bisher hatte Dr. Margret Röbling alles stillschweigend und geduldig bezahlt, doch es schien der Ärztin, als würden diese Überraschungen eher zu- als abnehmen. Das durfte sie sich auf die Dauer nicht bieten lassen.

Sie konnte es sich erlauben, über diese Ausgaben hinwegzugehen. Sie war eine angesehene Kinderärztin mit einer gut gehenden Praxis. Sie hatte das von ihr in die Ehe gebrachte Vermögen unangetastet auf der Bank, weil es nie notwendig gewesen war, es in Anspruch zu nehmen.

Ihr Mann, ein zu seinen Lebzeiten bekannter Chirurg, hatte über genug Mittel verfügt, um seiner Frau jeden Wunsch erfüllen zu können. Freigiebig und freudig hatte er sie mit Geschenken aller Art überschüttet.

Als das Schicksal hart zugegriffen und ihn abberufen hatte, da war seine Frau finanziell mehr als sichergestellt. Doch zu gern hätte sie alles Geld und allen Besitz hingegeben, wenn sie dadurch ihren über alles geliebten Mann wieder zum Leben hätte erwecken können.

Als sie fühlte, dass sie die Einsamkeit und Untätigkeit nicht länger ertragen würde, eröffnete sie die Praxis und brachte es in erstaunlich kurzer Zeit zu großem Ansehen. Ihre ganze Liebeskraft übertrug die Frau auf ihre kleinen Patienten.

Jedes Jahr lud Margret ihre beiden Schwestern mit deren Familien zu sich ein, und noch nie war sie von dieser Gewohnheit abgewichen.

Im Frühjahr war die jüngere Schwester zu Gast gewesen, deren Mann in Walldorf als Lehrer und Organist tätig war, der jedoch selbst noch nie gekommen war, weil sonst die Orgel verwaist gewesen wäre. So kam stets nur Heike mit ihrem reizenden, kleinen Töchterchen, das mit kindlicher Liebe an der Tante hing.

Ja, und nun waren die Fröckelbergs zu Gast, die ältere Schwester mit ihrem Mann und deren Töchterchen von etwa sieben Jahren.

Einen größeren Gegensatz zwischen zwei Familien kann es eigentlich gar nicht geben, dachte Dr. Röbling, während sie in die lange Allee einbog, die zu der Klinik führte.

Da waren auf der einen Seite die Hesterbachs, schlichte, herzensgute Menschen, in deren Mitte das Glück zu Hause war. Sie führten ein bescheidenes Leben im abgelegenen Walldorf. Freilich, die Hesterbachs hätten viel besser dastehen können, wenn nicht damals das Unglück über diese lieben Menschen hereingebrochen wäre.

Ein Schulfreund des Lehrers hatte diesen eines Tages aufgesucht und ihn gebeten, eine Bürgschaft zu übernehmen. Da Roland Hesterbach selbst nur sehr wenig Geld in die Ehe gebracht hatte, seine Frau aber über ein beträchtliches Vermögen als Mitgift verfügt hatte, berieten die Eheleute gemeinsam und entschlossen sich dafür, die Bürgschaft zu leisten. Ein knappes Vierteljahr später war das Geld verloren.

Ja, und daneben stand nun die Familie Fröckelberg. Wie anders lagen doch hier die Verhältnisse! Hatte Heike ihren Roland aus echter, tiefer Liebe geheiratet, so hatte für Ina schon als Mädchen festgestanden, dass sie nur einen Mann mit „wahnsinnig viel Geld“ nehmen würde. Sie hatte diesen Vorsatz auch verwirklicht und Falk Fröckelberg ihre stolze Hand gereicht, weil er über anscheinend unerschöpfliche Geldmittel verfügte.

Was er eigentlich tat, wusste die Ärztin im Grunde genommen nicht, und manchmal bezweifelte sie, ob Ina selbst es genau übersah. Doch der Schwester war genug, dass Geld im Hause war.

***

Margret Röbling war zum Umfallen müde, als sie sich gegen acht Uhr abends halb verzweifelt an den herrlich gedeckten Abendbrottisch setzte.

„Ich warte nicht mehr länger, Anja. Tragen Sie ruhig auf, vielleicht kommen sie jeden Augenblick. Ich möchte schlafen gehen. Dieser Tag hat mich sehr angestrengt.“

Anja kam kopfschüttelnd näher. „Sie hätten schon längst essen sollen, Frau Doktor. Es ist doch rücksichtslos von Ihrer Schwester, Sie so lange ohne Nachricht warten zu lassen.“

Margret winkte müde ab. „Lassen Sie nur, Anja, vielleicht ist ihnen etwas dazwischengekommen.“

Die Ärztin hatte kaum den ersten Schluck aus ihrem Teeglas getrunken, als die Hausglocke schrill anschlug.

„Das werden sie sein“, meinte Anja und eilte hinaus, um zu öffnen.

Die Ärztin setzte ihre Mahlzeit schweigend fort, doch sie horchte auf, als sie die laute Stimme ihres Schwagers vernahm.

„Na, alte Anja, das hat aber reichlich lange gedauert, bis du geöffnet hast!“ Gleich darauf trat der Mann in das Zimmer. Er war betrunken. „Hallo, Margret, altes Haus, du isst immer noch? Denkst du gar nicht mehr an die schlanke Linie?“

„Ich habe auf euch gewartet“, entgegnete die Ärztin. „Bitte, nimm doch Platz. Es ist schon reichlich spät.“

„Spät!“ Der Mann lachte und zog ungeschickt den Stuhl zurück, wobei ihm dieser aus der Hand glitt und krachend zu Boden fiel. „Anja, Stuhl aufheben!“, brüllte er durch das Haus und zerrte einen anderen heran. „Es ist spät? Jetzt geht das Leben doch erst los! Das gemeine Volk, ja, das ist jetzt müde und legt sich schlafen. Aber wir kommen gerade erst in Fahrt, nicht wahr, Ina? – Wo ist sie denn? Ina!“

„Du hättest eigentlich nicht trinken dürfen, wenn du den Wagen fährst“, erklärte die Ärztin mit ruhiger Stimme.

„Ich – nicht trinken dürfen? So weit kommt es noch! Übrigens bin ich nur ein kurzes Stück gefahren.“

„Nur ein kurzes Stück?“ Margret Röbling blickte erstaunt hoch. „Dann verstehe ich nicht, wie ihr den Wagen hergebracht habt. Soweit ich weiß, will Ina doch nichts vom Fahren wissen.“

„Der Wagen steht in Frankfurt in irgendeiner Werkstatt. Dort kannst du ihn demnächst abholen.“

„Weshalb ist er in der Werkstatt? Er war doch vollkommen in Ordnung!“

Der Mann hob belehrend den Zeigefinger. „War in Ordnung, war, liebe Margret.“

Die Ärztin geriet allmählich in Zorn. „Falk, ich bitte dich, willst du mir nicht endlich …“

„Margret, nun hab dich doch nicht so!“, unterbrach er sie. „Ich bin ein bisschen mit einem anderen zusammengefahren. Ich glaubte, die Straße sei frei, und da sie nicht frei war, gab es eben einen Knall. Ist aber nicht weiter schlimm. Nur die Karosserie ist ein bisschen demoliert. Am besten lässt du eine neue draufsetzen. So, und nun habe ich Hunger und will etwas essen. Ina, nun komm endlich, und setz dich, sonst schimpft deine strenge Schwester!“

Ina trat hastig näher und nahm ihren Platz ein.

„Diese Anja solltest du doch einmal zur Ordnung rufen, Margret. Als ich ihr eben befahl, mein weißes Abendkleid aufzubügeln, hat sie irgendetwas vor sich hin gemurmelt. Dienstboten, die murmeln, kann ich auf den Tod nicht ausstehen!“

„Wozu, um alles in der Welt, brauchst du jetzt dein Abendkleid, Ina?“ Margret Röblings Stimme klang Unheil verkündend.

Ina ließ ein helles Lachen hören. „Na, du bist vielleicht gut! Selbstverständlich gehen Falk und ich jetzt noch aus. Wir wollen in die Carlton-Bar. Schließlich können wir ja nicht jeden Abend hier bei dir sitzen und uns langweilen.“

„So, ihr langweilt euch bei mir! Ich hatte bisher nicht die leiseste Ahnung davon“, sagte die Ärztin betroffen. Margret zwang sich gewaltsam zur Ruhe und setzte schweigend ihre Mahlzeit fort. Doch wenige Augenblicke später ließ sie ihre Gabel sinken. „Wo bleibt eigentlich das Kind? Hat es keinen Hunger?“

Wie von der Tarantel gestochen, fuhr Ina Fröckelberg in die Höhe.

„Um Gottes willen, Falk, wo ist Ella?“

Der Mann ließ sich beim Essen nicht stören und zuckte gleichmütig mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Ist sie denn nicht mitgekommen?“

„Nein, Falk! Oh Gott, wo ist sie bloß? Seit dem Unfall … Nein, da war sie doch gar nicht im Wagen!“ Ina ließ sich mit einem Seufzer auf ihren Stuhl sinken. „Nichts als Ärger hat man mit dem Mädel! Dass sie sich auch nie bei ihren Eltern aufhalten kann! Ach ja, richtig, da fällt mir ein, wir haben sie doch im Hotel Kirchheim der Kindergärtnerin anvertraut. Da haben wir sie einfach vergessen.“

Nun lachte Ina und fand es sehr lustig, was der Ärztin einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

„Dass Eltern einfach ihr Kind vergessen, habe ich noch nicht erlebt!“, meinte Margret entsetzt.

„Dann erlebst du es eben jetzt!“, entgegnete der Mann und erhob sich. „Die Kindergärtnerin war nett und hat sich sicherlich gut um Ella gekümmert. Ich rufe gleich mal dort an. Sie können das Kind ja rüberschicken. Oder willst du es holen, Margret?“

Die Ärztin war einen Augenblick sprachlos.

„Ich soll es holen?“

„Natürlich, wer sonst? Du sitzt doch ohnehin nur hier herum und weißt nicht, was du anfangen sollst. Kümmere dich mal um die Kleine. Ina und ich haben ja keine Zeit, wie du schon gehört hast. Himmel, gleich halb neun. Ina, wir müssen los!“

Ohne ein weiteres Wort eilte Falk Fröckelberg hinaus.

Seine Frau erhob sich ebenfalls. „Du entschuldigst doch, Margret?“

Fort war sie.

„Mein Gott, ist so etwas möglich?“, flüsterte Margret fassungslos. Nun stand auch sie auf und ging rasch hinüber in ihr Arbeitszimmer.

Sie bestellte sich ein Taxi und fuhr zum Hotel Kirchheim.

Eine halbe Stunde später schloss die Ärztin das Kind in die Arme.

„Ella, Liebes, da bist du ja!“ Die Stimme der Frau zitterte, weil sie daran dachte, wie wenig das Kind ahnte, dass es von den Eltern ganz einfach vergessen worden war.

„Tante Margret, fein, dass du kommst! Kaufst du mir jetzt etwas Schönes?“

Die Ärztin lachte, aber es klang nicht echt.

„Jetzt? Das wird nicht mehr gehen, Liebling. Die Geschäfte haben schon lange geschlossen. Jetzt fahren wir erst einmal nach Hause, dann gehen wir ins Bettchen, und morgen früh kaufe ich dir etwas. Was möchtest du denn?“

„Eine Eisenbahn möchte ich. Und ich will, dass du sie mir jetzt kaufst!“

Eine trotzige Falte zeigte sich auf dem hübschen Mädchengesicht, und in den Augen der Kleinen war ein Ausdruck, der der Ärztin einen Schreck einjagte. Noch nie hatte sie einen so eigensinnigen Blick bei einem Kind gesehen.

Da fasste die Ärztin das Mädchen und zog es einfach mit sich fort. Ihr war der Auftritt mehr als peinlich, denn neben ihr stand die Kindergärtnerin, die die Kleine bisher beaufsichtigt hatte.

„Das Kind ist müde“, murmelte Dr. Röbling verlegen und beeilte sich, fortzukommen.

Doch die Kindergärtnerin hielt neben ihr Schritt.

„Sie sind nicht die Mutter der Kleinen, nicht wahr?“

„Nein.“ Die Ärztin schüttelte hastig den Kopf.

„Dann kann ich es ja ruhig sagen, gnädige Frau. Man sollte dieses Kind zu Leuten geben, die es verstehen, noch zu retten, was zu retten ist. Ella ist maßlos verzogen. Die Eltern versündigen sich an der Kleinen. Wenn nicht bald etwas geschieht, wird sie es später einmal sehr schwer haben.“

„Sie vergessen Ihre Stellung, Fräulein!“, sagte die Ärztin wütend. „Es steht Ihnen nicht zu, Kritik zu üben!“

Die Kindergärtnerin blieb zurück, wie vom Schlag gerührt.

Margret Röbling rannte fast zu dem Hotelausgang. Sie konnte den Blick der jungen Frau nicht vergessen, die einen guten Rat aus besorgtem Herzen hatte geben wollen, und die nun so kalt vor den Kopf gestoßen worden war.

***

Dr. Margret Röbling hatte ihr Mittagessen fast beendet, als Falk Fröckelberg erschien.

Er hatte einen Morgenmantel an. In seinem Gesicht war nichts mehr von der strahlenden Frische zu sehen, die er sonst zur Schau trug. Seine Wangen waren eingefallen, die Gesichtsfarbe bleich.

„Kommt Ina auch herunter?“, fragte die Ärztin nur kurz.

„Keine Ahnung“, erwiderte er mit heiserer Stimme. „Die schläft noch. Sie verträgt nichts mehr in der letzten Zeit. Na ja, war ja auch ein bisschen viel gestern Abend.“

„Scheint so!“, versetzte die Ärztin und trat an das Fenster. „Es kann von mir aus jeder tun, was ihm gefällt, Falk, aber ich finde es doch ein bisschen stark, wie du herunterkommst. Hättest du dich nicht ein bisschen herrichten können?“

Der Mann sah widerwillig hoch. „Habe du mal eine solche Feier hinter dir, und sei dann am nächsten Morgen wie aus dem Ei gepellt. Aber, bitte, wenn es dir nicht passt, dann kannst du ja den Raum verlassen! Und ruf Anja, ich will etwas essen!“

Die Frau stand starr vor Entsetzen. „Das ist stark, Falk! Du weißt, dass es nicht meine Art ist, irgendwelche Rechte hervorzukehren. Aber augenblicklich scheint es mir doch angebracht, dich darauf aufmerksam zu machen, dass du dich als Gast in meinem Haus befindest.“

„Das weiß ich, Margret. Von mir aus können wir abreisen, wenn es dir nicht mehr passt! Die armen Schlucker aus Walldorf haben sich wohl angemeldet, was?“

„Pfui, Falk! Du weißt, dass …“

Der Mann ließ dröhnend die Faust auf den Tisch fahren.

„Ich weiß, dass ich fürchterliche Kopfschmerzen habe und in Ruhe gelassen werden will!“

In der Ärztin erstarb etwas.

„Falk, ich lasse mir einen derartigen Ton von dir nicht bieten. Verlasse sofort den Raum, und geh hinauf! Du bist ja noch betrunken!“

Der Mann starrte seine Schwägerin an, als sähe er sie zum ersten Mal in seinem Leben.

„Du gönnst Ina und mir unseren Spaß nicht! So ist es doch, nicht wahr? In die Bar gehen und spät wiederkommen, das gefällt dir nicht! Ja, da sind die Duckmäuser aus Walldorf natürlich anders, kann ich mir denken! Wenn ich den dummen Kerl schon sehe, diesen Herrn Lehrer und Kantor! Heilige Lieder kann er spielen und ungereimtes Zeug daherreden, das kein Mensch versteht! Der sollte lieber erst mal etwas Geld verdienen, damit er sich einen neuen Anzug kaufen kann. Der alte Frack, den er besitzt, steht ja schon vor Schmutz!“

„Wenn du noch einmal diese Leute beleidigst, dann verbiete ich dir mein Haus! Ich will dir sagen, weshalb die Walldorfer mir zehnmal lieber sind als du mit deinem Geld. Erinnerst du dich eigentlich noch, weshalb ihr zu mir gekommen seid? Wahrscheinlich nicht. Doch andere, eben diese Leute in Walldorf, die nicht hier sind und nicht auf meine Kosten leben, diese Leute haben daran gedacht. Sie haben mir zu meinem gestrigen Geburtstag ein reizendes Geschenk geschickt, das sie sich vom Munde haben absparen müssen! Und du und Ina? Ihr habt meinen Geburtstag vergessen, wie ihr gestern euer Kind ganz einfach vergessen habt, weil euch das Vergnügen wichtiger war.“

Der Mann stützte den Kopf in die Hände und hielt sich die Ohren zu.

„Schrei doch nicht so, ich bin nicht taub. Ja, natürlich, du hattest gestern Geburtstag. Meinen Glückwunsch! Wir werden alle mal älter!“

„So spricht ein echter Kavalier!“, versetzte die Ärztin mit schneidender Schärfe.

„Ich pfeife auf den Kavalier! Ich will etwas essen und trinken! Sag der alten Anja endlich Bescheid! Wenn ich gegessen habe, können wir meinetwegen weiterreden. Oder schicke es mir schriftlich, dann kann ich es ungelesen in den Papierkorb werfen!“

Die Geduld der Ärztin war zu Ende. Ihre Empörung wich einer eiskalten Ruhe.

„Ich lege keinen Wert mehr auf deine Anwesenheit, Falk! Heute Abend möchte ich über eure Zimmer anderweitig verfügen. Ich hoffe, diese Aufforderung ist deutlich genug!“ Damit verließ sie den Raum.

„Albernes Getue!“, grollte der Mann hinter ihr her und erhob sich schwankend. Ihm dämmerte, dass er zu weit gegangen war. „Sie wird sich schon wieder beruhigen. Ina muss das machen!“

Er ging hinauf, um seine Frau zu wecken.

***