Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 479 - Lore von Holten - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 479 E-Book

Lore von Holten

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Beschreibung

Die Zwillingsschwestern
Erster Teil eines großen Schicksalsromans

Die Gerwald-Töchter des Müllers sind Zwillingsschwestern, und sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Unbeschwert wachsen Gisa und Uschi heran und treiben mit ihrer verblüffenden Ähnlichkeit gern ihre Scherze. Zuerst necken sie Lehrer und Schulfreunde, später die jungen Burschen, die dem Liebreiz der hübschen Schwestern erliegen.
Doch keiner von ihnen berührt ihr Herz. Was soll auch werden, wenn sich eine von ihnen verliebt? Für Gisa und Uschi steht nämlich fest, dass sie sich niemals trennen wollen. Aber eines Tages tritt die Liebe doch in ihr Leben, und diese stürzt die Zwillingsschwestern, anstatt sie zu beglücken, in tiefste Verzweiflung ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Zwillingsschwestern

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Kiselev Andrey Valerevich / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-8976-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Zwillingsschwestern

Erster Teil eines großen Schicksalsromans

Die Gerwald-Töchter des Müllers sind Zwillingsschwestern, und sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Unbeschwert wachsen Gisa und Uschi heran und treiben mit ihrer verblüffenden Ähnlichkeit gern ihre Scherze. Zuerst necken sie Lehrer und Schulfreunde, später die jungen Burschen, die dem Liebreiz der hübschen Schwestern erliegen.

Doch keiner von ihnen berührt ihr Herz. Was soll auch werden, wenn sich eine von ihnen verliebt? Für Gisa und Uschi steht nämlich fest, dass sie sich niemals trennen wollen. Aber eines Tages tritt die Liebe doch in ihr Leben, und diese stürzt die Zwillingsschwestern, anstatt sie zu beglücken, in tiefste Verzweiflung …

„Aber hier, Frollein, sehen Sie sich das mal an! Schön, was? Ist das nicht ein Gedicht? Habe ich Gedicht gesagt? Eine ganze Oper ist das, wenn man’s richtig ansieht.“

Der Mann mit der Hakennase wühlte in den Stoffen, zog ein weißes Etwas hervor und breitete es mit einer Geste aus, als lege er dem Mädchen ein Brillantcollier zu Füßen.

„Diese Bluse würde Sie kleiden wie … Na, wie sie nur so eine hübsche Dame kleiden kann, wie Sie es sind! Mein Himmel, ich bin dumm, dass ich das Stück überhaupt aus der Hand gebe!“

Der Mann warf den Stoff in noch verlockendere, noch duftigere Falten.

Das Mädchen beugte sich über die Kühlerhaube des uralten, klapprigen Vehikels, mit dem der Händler vor der Mühle stehen geblieben war.

„Die Bluse gefällt mir schon“, sagte es überlegend. „Doch bevor ich sie kaufe, möchte ich sie rasch meiner Mutter zeigen. Darf ich?“

Der hagere Städter breitete die Arme aus.

„Ihnen kann man doch nichts abschlagen, Frollein! Ihre Frau Mutter wird begeistert sein.“

Das Mädchen griff geschwind nach dem Stoff und eilte ins Haus.

Der Händler schob den Hut in die Stirn und lehnte sich an den Kotflügel.

„Das gibt ein Geschäftchen!“, murmelte er vor sich hin. „Diesen Bauerntrampeln kann man doch aufschwatzen, was man will.“ Er sah sich um wie ein Feldherr.

Vor ihm lag das breit hingestreckte Anwesen eines Müllers mit einem mächtigen Wohnhaus, dem man ansah, dass es schon Generationen in sich aufgenommen hatte. Daneben zwei große Scheunen mit samtbraunen Holzwänden und leuchtenden roten Dächern. Hinten, am jenseitigen Ende des breiten Hofes, die Mühle selbst, ein hoch aufragender Steinbau, aus dem das dumpfe Dröhnen der Maschinen herüberdrang.

Rings um das Gehöft eine Flut von duftenden Blüten.

Der Händler schnippte ein Stäubchen von seinem tadellos gepflegten blauen Anzug.

„Scheinen ja mächtig viel Geld zu haben, diese Bauern!“, murmelte er. „Na ja, wenn es der Landwirt nicht hat, wer soll dann das Geld scheffeln?“

Der Mann zauberte eine Zigarette ins Gesicht. Ein Streichholz flammte auf. Der blaue Rauch mischte sich mit dem Duft der Obstbaumblüte.

„Heda, Sie, kommen Sie doch mal mit Ihrem Koffer herüber!“

Der Händler nickte, klappte den Koffer zu, in dem er seine Schätze aufbewahrte, und machte sich auf den Weg.

Das Mädchen, dem er die Bluse schmackhaft gemacht hatte, stand an der Rückseite des Wohnhauses und winkte um die Ecke.

„Hier vorn entlang können Sie nicht!“, rief es. „Da ist die Wiese zu nass. Gehen Sie drüben über den Dunghaufen! Die Bretter halten schon!“

Der Mann war nicht gerade begeistert, als er vor dem riesigen, nicht sehr gut riechenden Gebirge stand und schüchtern den Fuß auf den Laufsteg aus losen Brettern setzte.

„So etwas kann einem auch bloß auf dem Land passieren“, brummte er unwillig.

Doch das in Aussicht stehende Geschäft überwog seine Bedenken, obwohl er nagelneue gelbe Schuhe an den Füßen hatte.

„Jetzt wird eben der Preis entsprechend heraufgesetzt“, tröstete sich der Händler, während er schon über den Haufen balancierte. Die Bretter schwankten unter seinen Tritten.

„Wo wollen Sie denn hin?“, rief da eine helle Mädchenstimme hinter seinem Rücken.

Der Mann wäre beinahe gestrauchelt, als er hastig herumfuhr.

„Wie kommen Sie denn plötzlich dort hinüber?“, rief er erstaunt, als er neben seinem Wagen das Mädchen bemerkte, das ihn vor wenigen Augenblicken über den Misthaufen zu steigen aufgefordert hatte.

Das Mädchen ging nicht auf seine Frage ein.

„Wer hat Ihnen erlaubt, auf unserem Hof herumzulaufen?“, rief es ihm entgegen. „Bitte, kommen Sie sofort da herunter!“

„Aber ich bitte Sie, gnädiges Fräulein! Sie haben mich doch persönlich vor einigen Sekunden aufgefordert, hier hinüber …“

„Das müssen Sie geträumt haben, Herr! Bitte, verlassen Sie den Hof!“

Der Händler murmelte etwas Unverständliches und zuckte ergeben die Schultern. War er etwa einer Schwachsinnigen in die Hände geraten? Es schien fast so, obwohl das hübsche Mädchen vorhin gar nicht den Eindruck gemacht hatte, als wenn in ihrem Oberstübchen etwas nicht in Ordnung sei.

Dem Mann gelang die befohlene Kehrtwendung nur mühsam. Es hätte nicht viel gefehlt, dass er mit einem Fuß im weichen Untergrund gelandet wäre, aber im letzten Augenblick fand er das Gleichgewicht wieder.

Der Schweiß brach ihm aus den Poren, als er schließlich den gleichen Weg, den er gekommen war, zurückschlich. Zwischen zwei Schritten spähte der Mann nach dem Mädchen. Es war verschwunden.

Eben setzte der Händler seinen Fuß erleichtert auf festen Erdboden, als er fast in die Knie sackte. Hinter ihm, jenseits des Haufens, ertönte nämlich wieder die ihm nun schon gut bekannte Mädchenstimme.

„Mein Himmel, haben Sie vielleicht Angst?“, rief sie. „So kommen Sie doch endlich!“

Der Mann setzte den Koffer ab. Er zerrte ein Taschentuch hervor und fuhr sich über die Stirn. Das war denn doch zu wunderlich! Wie konnte ein Mensch zu gleicher Zeit an zwei Stellen sein?

„Moment mal, Frollein, damit wir uns richtig verstehen: Ich bin hergekommen, um Ihnen etwas zu verkaufen. Über den Misthaufen da mögen meinetwegen die Hühner laufen, aber nicht ich.“

Das Mädchen lachte auf.

„Sie sind hier nun mal auf dem Land. Nun kommen Sie endlich. Mutter wird schon ungeduldig.“

„Ja, ich bitte Sie, liebes gnädiges Fräulein, Sie haben mich doch vor zwei Sekunden aufgefordert, sofort den Hof zu verlassen.“

Das Mädchen bekam runde Augen.

„Ich? Das ist doch nicht möglich! Sie haben wahrscheinlich geträumt.“

„Muss ich wohl“, knurrte der Mann gottergeben, holte tief Luft und begann seine gefährliche Kletterei von Neuem.

Das Mädchen sah ihm gelassen eine Weile zu, und als der Händler die letzten Meter bewältigte, verschwand es hinter der Hausecke.

„Sie können wohl nicht hören, Sie!“, kam da wieder die Stimme des Mädchens vom Hofeingang her. „Äpfel stehlen gibt’s nicht! Wenn Sie nicht sofort machen, dass Sie weiterkommen, mache ich die Hunde los!“

Der Mann erschrak dermaßen, dass er für den Bruchteil einer Sekunde die Balance verlor. Sein Oberkörper neigte sich nach rechts, er schwankte, der freie Arm ruderte rasend durch die Luft, und dann landete der rechte Fuß mitten im duftenden Gold des Landwirtes.

„So ein Mist!“, fluchte der Mann und zog seinen Fuß schleunigst wieder auf den schmalen Steg.

„Wenn Sie erst jetzt wissen, dass Sie auf einem Dunghaufen herumlaufen, dann können Sie mir leid tun!“, rief das Mädchen.

Der Mann machte eine hilflos flehende Geste, doch die Augen des Mädchens sprachen eine sehr entschlossene, deutliche Sprache. Seufzend machte er sich wieder auf den Rückweg.

Der Arm, der den schweren Koffer schleppen musste, begann zu schmerzen. Als er das Gepäckstück in die andere Hand wechselte, machte auch der linke Fuß Bekanntschaft mit dem weichen, feuchten Untergrund.

„Du liebe Güte, was ist denn mit Ihnen los? Wollen Sie nun etwas verkaufen oder nicht?“

Als der Angerufene abermals die Mädchenstimme hinter seinem Rücken hörte – eben tat er den rettenden, erlösenden Schritt auf den Erdboden –, schwoll die Zornesader auf seiner Stirn.

„Ich verbitte mir das!“, schrie er über den Haufen hinweg. „Mich können Sie nicht zum Narren halten. Geben Sie mir die Bluse her! Ich verzichte auf das Geschäft!“

„Und wir verzichten auf Ihre weitere Gesellschaft“, entgegnete da die Mädchenstimme – abermals in seinem Rücken.

Der Händler wirbelte herum, wobei ihm der Koffer schwer gegen die Knie schlug. Zum Kuckuck, konnte das Mädchen fliegen?

Ein Blick belehrte ihn, dass die Sache mit rechten Dingen zuging. Neben seinem Fahrzeug stand ein Mädchen, und drüben, hinter dem Haufen, stand ebenfalls eines. Und die beiden glichen einander aufs Haar.

Die Situation wurde dadurch nicht besser, dass die Mädchen nun lachten, als wollten sie überhaupt nicht mehr aufhören. So eine Frechheit! Ärgerlich stapfte der Mann zu seinem Wagen.

„Unverschämtheit!“, fuhr er das Mädchen an, das ihm seelenruhig entgegensah. „Ich werde Sie anzeigen wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung.“

„Haben Sie sich etwas getan?“ Das Mädchen lachte ungerührt.

„Hier, die Schuhe sind ruiniert!“

Wütend deutete der Händler auf seine Fußbekleidung, von der man nun beim besten Willen nicht mehr behaupten konnte, dass sie nagelneu und gelb war.

„Wenn die Schuhe genauso gute Ware sind wie die Bluse, die Sie meiner Schwester aufschwatzen wollten, dann ist das nicht weiter schlimm“, versetzte das Mädchen. „Sie werden nun wohl gemerkt haben, dass man den dummen Bauernmädchen nicht jeden Schund andrehen kann.“

Sie warf dem Mann die Bluse entgegen und eilte rasch ins Wohnhaus.

„Unverschämte Bande! So eine Gemeinheit, einen Händler, der mit ehrlichen Absichten …“ Der Mann stockte. Er dachte daran, dass die Ware, die er als Traum aller Frauen angepriesen hatte, in Wirklichkeit so ziemlich letzte Wahl darstellte. Er knallte wütend den Koffer in den Wagen und quälte sich hinter das Steuer.

Der Motor sprang knatternd an. Ein letzter Blick des Mannes ging hinüber zu den Hofgebäuden. Gerwalds Mühle, stand mit breiten weißen Buchstaben an die hohe Wand des Mühlengebäudes geschrieben.

Mit einem Ruck schoss der Wagen davon. Der Benzingestank wurde von den Düften übertönt, die zäh und schleichend von den Schuhen des Kaufmannes emporstiegen. So kam es, dass Friedhelm Schulzenmeier, Textilien en détail, zum ersten Mal in seinem Leben sich gezwungen sah, barfuß seinen Wagen zu lenken. Die Schuhe landeten klatschend in einem am Wegrand ruhenden Teich.

♥♥♥

„Der kommt bestimmt nicht wieder“, meinte Gisa Gerwald lachend, als sie mit ihrer Zwillingsschwester zur gleichen Zeit hinüber in den großen Obsthof eilte, wo die Bienen summten und die blühenden Obstbäume ihre weißen Zweige dehnten.

„Hast du gesehen, wie er über die Bretter balanciert ist?“

Uschi Gerwald, die Zwillingsschwester, konnte sich immer noch nicht beruhigen. Sie ließ sich ins saftige Gras gleiten, schloss die Hände um die Knie und schaute hinauf in die Blütenpracht.

„Es war köstlich“, erwiderte Gisa. „Das hat mal wieder geklappt wie am Schnürchen. Wenn nur Mutter nichts gemerkt hat.“

„Ach, die wäre doch dann längst aufgetaucht, Schwesterchen.“

Gisa setzte sich neben ihre Schwester. Sie nestelte an ihrer bunt bestickten Schürze. Uschi trug genau die gleiche, wie auch die übrige Bekleidung der beiden Mädchen einander aufs Haar glich. Über schwarzen schwingenden Röcken bauschten sich kurzärmelige Blusen.

„Schade, dass Mutter so streng ist“, nahm Uschi den Gesprächsfaden wieder auf.

Sie ließ sich hintenüber sinken und bot ihr ebenmäßiges Gesicht der strahlenden Sonne. Unter der gebräunten Stirn leuchtete ein munteres Augenpaar. Das braunschwarze Haar rieselte in dichten Wellen um den schlanken Hals.

Gisa schaute nicht um einen Deut anders aus. Zwei hübsche, vor Lebenslust jauchzende junge Geschöpfe saßen in diesem Blütenmeer, vom Herrgott geschaffen, von ihm in das begnadete Land voller fruchtbarer Äcker, voller grünender Weiden und leise murmelnder Wälder gepflanzt. Drüben am Horizont wachten die Berge.

„Gestern habe ich Helmut getroffen“, sagte Uschi unvermittelt nach einer Weile der Stille. „Er war wütend auf mich.“

„Auf dich? Was hat er mit dir zu schaffen?“

„Das frage ich mich auch. Er behauptete steif und fest, ich hätte am Sonntag nicht mit ihm getanzt, obwohl ich es ihm versprochen habe. Merkwürdigerweise wusste ich gar nichts davon.“

„Himmel, ja! Er hat dich mit mir verwechselt. Ich habe ihm das Tanzen neulich versprochen, bloß, um ihn loszuwerden.“

„Und ich kann mich dann mit dem Jungen herumplagen, Gisa! Ich habe ihm dafür zugesagt, dass er beim Frühlingsfest neben dir sitzen darf.“

„Neben mir? Du hast ihm doch nicht etwa gesagt, dass du die Uschi bist und dass er dich mit mir verwechselt hat?“

„Bewahre, das hätte er nie im Leben begriffen. Du weißt ja, dass er zwar reich ist und den größten Hof hier in der Gegend erbt, aber dass dieser Reichtum sich ihm anscheinend aufs Gehirn gelegt hat. – Nein, selbstverständlich stellen wir die Sache wieder klar. Du wirst neben ihm sitzen, nachdem ich mir für dich seine Vorwürfe habe anhören müssen.“

„Er kann mir gestohlen bleiben“, erklärte Gisa mit Nachdruck. „Magst du ihn etwa?“

„Ich finde ihn schrecklich. Mit seinem Geld kann er mir nicht imponieren, obwohl er sich mächtig viel darauf einbildet.“

„Ganz meine Meinung. Also wieder mal ein Freier, der sich an uns die Zähne ausgebissen hat.“

„Ja, wieder mal einer. Weißt du, Gisa, manchmal glaube ich schon, wir beide beenden unsere Tage als verschrumpfte alte Jungfern. Ob wir noch je einen netten Mann mitkriegen?“

„Hast du keine Hoffnung mehr?“

Uschi zog die Stirn in allerliebste Fältchen, die offenbar Kummer ausdrücken sollten.

„Wir sind nun schon sage und schreibe zweiundzwanzig Jahre alt. Das ist schon eine ganz schöne Last von Jahren, die wir mit uns herumschleppen.“

„So sehr doll ist es aber auch wieder nicht. Wenn man’s recht sieht, sind wir doch noch erfreulich jung, Schwesterchen.“

Uschi setzte sich auf.

„Das stimmt nicht ganz. Du hast anscheinend vergessen, dass du zwanzig Minuten früher auf die Welt gekommen bist als ich. Wenn also eine hier jung ist, dann doch niemand anders als ich.“

„Dumme Gans!“, schimpfte Gisa ziemlich vernehmlich. „Jedenfalls werden Vater und Mutter erwarten, dass wir früher oder später ordentliche, fleißige Männer heiraten, die die Mühle hier in Schwung halten. Das heißt, einer von ihnen. Die andere wird wahrscheinlich wegziehen müssen.“

„Wahrscheinlich!“, entgegnete Uschi versonnen. „Ich mag aber nicht.“

„Wegziehen?“

„Ich mag nicht, dass eine von uns hierbleiben und eine verschwinden soll. Ich möchte immer mit dir zusammenbleiben.“

„Ich möchte mich auch niemals von dir trennen, Uschi.“

„Ehrenwort?“

„Großes Ehrenwort!“

Das war etwas unerhört Ernstes. Die Mädchen gaben sich die Hand, blickten einander in die völlig gleichen Gesichter und ließen sich dann zurück ins Gras gleiten. Ihre Augen folgten den leichten Federwölkchen, die über das Himmelsgewölbe glitten.

„Heda! Post für Uschi!“, dröhnte da eine gemütliche Bassstimme in den Frühlingsfrieden.

„Vater Brögel“, flüsterte Uschi der Schwester zu.

Als hätten sie es eingeübt, erhoben sich die Mädchen zur gleichen Zeit und mit den gleichen Bewegungen.

„Ich komme!“, riefen sie einstimmig. Dann eilten sie an den Gartenzaun, wo Vater Brögel, der alte Briefträger des Dorfes, sein Fahrrad an den Holzzaun lehnte und in seiner abgeschabten Ledertasche zu kramen begann.

Gleichzeitig langten die Mädchen bei ihm an und streckten ihm ihre Hände entgegen.

„Das ist aber eine Freude“, sagten sie.

Vater Brögel schüttelte den Kopf.

„Ihr sollt mit einem alten Mann keine dummen Scherze treiben, ihr beiden! Ich habe einen Brief für Ursula Gerwald, und nur eine von euch kann Ursula Gerwald sein. Das Mädchen, das auf selbigen Namen getauft worden ist, trete vor.“

Beide Mädchen beugten sich über den niedrigen Zaun.

„Hier!“, riefen sie wie aus einem Mund.

„Kinder, Kinder, was soll bloß aus euch werden! Habt ihr immer noch nicht genug die Leute geärgert?“

„Nein, Vater Brögel. Es macht doch so viel Spaß.“ Uschi reckte den Hals, um einen Blick auf den Brief zu werfen, den der greise Postbote gerade aus seiner Tasche zog.

„Du bist bestimmt nicht die Ursula Gerwald. Die ist nicht so neugierig. Da, Uschi, da hast du den Brief. Von einem Herrn“, setzte Vater Brögel mit spitzbübischer Betonung hinzu und reichte ihn Gisa hin.

Uschi war aber flinker. Sie riss ihm das Kuvert aus der Hand.

„Ich bin Uschi, das ist doch klar.“

Der Alte brummelte gutmütig vor sich hin.

„Man sollte euch die Nasen verschieden färben, damit man weiß, wer wer ist. Na, meine Sorge soll’s nicht sein. Ich möchte bloß die Männer sehen, die an euch hängen bleiben. Wie die klarkommen wollen, ist mir ein Rätsel.“

„Uns auch, Vater Brögel!“, rief Uschi hinter ihm her. „Wir werden noch viel zu lachen haben!“

„Dass ihr euch nur nicht irrt, ihr junges Gemüse“, murmelte der Alte in seinen grauen Bart, während er die quietschenden Pedale in Bewegung setzte. „Jung gefreit, oft gereut! Aber ich wünsche es ihnen nicht, diesen herzigen, munteren Mädchen.“

Gemächlich verschwand Vater Brögel hinter dem Haus, während die Mädchen vollauf mit dem Brief beschäftigt waren.

„Lass sehen, wer da schreibt“, verlangte Gisa voller Ungeduld.

Uschi drehte das Papier um.

„Fürchtegott Maasner. Du lieber Himmel. Der Fürchtegott! Was ist denn in den gefahren?“

„So viel Mut hätte ich ihm gar nicht zugetraut“, amüsierte sich Gisa. „Nun mach schon endlich auf.“

Uschi faltete den Bogen auseinander. Ein riesengroßer Tintenklecks sprang ihnen als Erstes in die Augen.