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Liebe auf den ersten Blick ist es gewiss nicht zwischen Ingeborg Fabricius und Helmut Michaelis, viel zu unangenehm ist die Situation ihres Kennenlernens. Denn Ingeborg hat während einer Urlaubsfahrt unbemerkt ihren Geldbeutel verloren und kann nun im Rasthaus ihre Rechnung nicht zahlen. Als sich am Nebentisch ein durchaus ansehnlicher junger Mann erhebt, um ihr wie selbstverständlich auszuhelfen, gerät Ingeborg in ein Wechselbad der Gefühle: einerseits fühlt sie sich unerklärlicherweise zu dem Fremden hingezogen, andererseits ist es doch unmöglich, sich von einem fremden Mann aushalten zu lassen. Außerdem ärgert sie sein - wie sie meint - arrogantes Verhalten, ihre missliche Lage von oben herab zu betrachten und sie noch mit spitzen Bemerkungen unhöflich zu verschlimmern. Und doch muss sie sein freundliches Angebot annehmen, nicht ohne zu versichern, das Geld schnellstmöglich an ihn zurückzusenden. Zum Glück muss sie diesen Menschen nie wiedersehen, denkt Ingeborg noch, als sie das Rasthaus beinahe fluchtartig verlässt. Doch da hat sie sich gründlich getäuscht ...
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Im Zauber einer Sommernacht
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Schicksalsroman einer großen Liebe
Von Heidi Krüger
Liebe auf den ersten Blick ist es gewiss nicht zwischen Ingeborg Fabricius und Helmut Michaelis, viel zu unangenehm ist die Situation ihres Kennenlernens. Denn Ingeborg hat während einer Urlaubsfahrt unbemerkt ihren Geldbeutel verloren und kann nun im Rasthaus ihre Rechnung nicht zahlen. Als sich am Nebentisch ein durchaus ansehnlicher junger Mann erhebt, um ihr wie selbstverständlich auszuhelfen, gerät Ingeborg in ein Wechselbad der Gefühle: einerseits fühlt sie sich unerklärlicherweise zu dem Fremden hingezogen, andererseits ist es doch unmöglich, sich von einem fremden Mann aushalten zu lassen. Außerdem ärgert sie sein – wie sie meint – arrogantes Verhalten, ihre missliche Lage von oben herab zu betrachten und sie noch mit spitzen Bemerkungen unhöflich zu verschlimmern. Und doch muss sie sein freundliches Angebot annehmen, nicht ohne zu versichern, das Geld schnellstmöglich an ihn zurückzusenden. Zum Glück muss sie diesen Menschen nie wiedersehen, denkt Ingeborg noch, als sie das Rasthaus beinahe fluchtartig verlässt. Doch da hat sie sich gründlich getäuscht ...
»Aber Tante Sybille, du weißt doch, dass ich heute fahre«, wandte die junge Frau enttäuscht ein und musterte ihre Tante mit überraschtem Blick.
Störrisch schüttelte die ehrwürdige Freifrau von Groningen den Kopf.
»Es tut mir leid, liebste Ingeborg, aber du kannst ganz einfach nicht weg. Es wäre närrisch, dem Schicksal, das uns so gnädig die Hand reicht, entgegenarbeiten zu wollen«, erwiderte die Baronin.
Dr. Ingeborg Fabricius, vierundzwanzig, die Abschlussprüfung als Philologin erst seit einem Monat hinter sich, wandte den Kopf, um sich den in ihr aufsteigenden Ärger nicht anmerken zu lassen, aber Frau von Groningen ließ nicht locker.
»Natürlich sollst du dich von den Strapazen deiner Prüfung erholen. Du weißt, dass ich dir alles gönne, Kind. Ich lasse dich sogar deinen verrückten Motorroller fahren. Und ich drücke beide Augen zu, wenn ich dir gestatte, drei Wochen lang alleine durch die Gegend zu ziehen.«
Ingeborg gab sich Mühe, die Predigt ihrer Tante nicht zu unterbrechen. Frau von Groningen war alt – sie, die Jüngere, hatte Rücksicht zu nehmen, auch wenn ihr das nicht immer leichtfiel.
So ruhig sie konnte, wandte sie, als Frau von Groningen eine Pause machte, um Luft zu holen, ein: »Aber Tante Sybille! Sieh die Sache doch bitte einmal mit meinen Augen an.«
»Schnickschnack!«, fuhr ihr die Tante ins Wort. »Sieh in den Spiegel, Ingeborg.«
Die junge Frau tat, was von ihr verlangt wurde. Ingeborg konnte eine Menge Liebreiz entwickeln, besaß aber auch viel von dem Eigensinn, der ihre Tante Sybille auszeichnete.
Sie warf einen kurzen Blick in das glänzende Glas und erklärte dann: »Also, liebste Tante, ich habe den Spiegel gesehen.«
Das Gesicht Frau von Groningens wurde ein wenig boshaft.
»Und was stelltest du fest, als du in den Spiegel blicktest?«, fragte sie spitz.
Ingeborg wusste, worauf die Tante hinauswollte. Es war ein Spiel, das sie schon oft gespielt hatten, und wenn Tante Sybille es so wollte, sollte sie etwas hören, worüber sie sich ärgern konnte.
»Wen sollte ich anders gesehen haben als mich selbst? Eine junge Frau, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Zufrieden?«
Ingeborg lachte spitzbübisch, während sich Frau von Groningen empört vorbeugte.
»Ach was«, erwiderte die Tante boshaft. »Eine junge Frau von durchschnittlichem Aussehen sahst du. Auf keinen Fall eine Schönheit, falls du dir das einbilden solltest.«
Nun lachte Ingeborg fröhlich auf.
»Ich hielt mich nie für eine Schönheit, Tante Sybille. Allerdings glaube ich auch nicht, ein hässliches Entlein zu sein.«
Frau von Groningen nickte gewichtig.
»Du weichst mir aus. Wenn ich sage, dass du keine Schönheit bist, meine ich, dass die Männer unser Haus nie in Scharen stürmen werden, um dir Heiratsanträge zu machen.«
»Ich dachte bisher auch noch nicht eine einzige Sekunde ans Heiraten, Tantchen.«
Die Augen Frau von Groningens funkelten wie geschliffene Glasknöpfe.
»Unfug! Jede Frau will heiraten. Es ist die Bestimmung der Frau, einen Mann zu haben, ein Haus zu führen und Kinder aufzuziehen.«
»Geschenkt, geschenkt, Tantchen!«, rief Ingeborg in komischer Verzweiflung. »Ich habe nichts gegen das Heiraten, nichts gegen einen Mann, nichts gegen einen Haushalt und nichts gegen Kinder – aber meiner Meinung nach hat das alles noch Zeit. Ich habe ja erst vor vier Wochen mein Examen gemacht.«
Frau von Groningen nickte sehr energisch.
»Das ist es. Du lebst in den Tag hinein. Du kümmerst dich zu wenig um die Zukunft. Deshalb habe ich beschlossen, die Sache nunmehr in meine Hand zu nehmen.«
Ingeborg seufzte abgrundtief.
»Du hast also wieder einmal die Absicht, mich unter die Haube zu bringen, liebste Tante?«
Frau von Groningen hob resigniert die Schultern.
»Natürlich wird es nicht leicht sein, dich zu verheiraten, Kind. Wie gesagt: Besondere Vorzüge hast du nicht in die Waagschale zu werfen. Da dein Zukünftiger reich sein muss ...«
Ingeborg blickte sie empört an.
»Warum muss er das sein? Ich bin nicht gezwungen, einen Geldsack zu heiraten. Schließlich habe ich einen sehr ordentlichen Beruf. Wenn mein Mann in dem seinen tüchtig genug ist, klappt alles.«
Empört schüttelte Frau von Groningen den Kopf.
»Bleibt mir bloß mit euren neumodischen Errungenschaften vom Leibe! Er arbeitet, sie arbeitet – und das Familienleben geht zum Teufel!«
Ingeborg wollte etwas einwenden, aber die Tante wischte die Worte ihrer Nichte mit einer herrischen Handbewegung weg, ehe sie ausgesprochen waren.
»Pass auf, Mädel! Ich bekam durch Zufall wieder mit einer Bekannten aus meiner Jugend Verbindung – sehr reich. Eine Frau mit Stil. Sie hat einen Sohn, der gerade im richtigen Alter für dich ist.«
Ingeborg hob in komischer Verzweiflung die Hände.
»Um Gottes willen, Tante! Du bist ja das reinste Heiratsinstitut. Ich bin viel zu jung, um zu heiraten.«
»Eine Frau ist nie zu jung zur Heirat. Dieser Sohn meiner alten Freundin wird dir eine sorgenfreie Zukunft bieten, das ist gewiss.«
Störrisch schüttelte Ingeborg den Kopf.
»Wenn er mir aber nicht gefällt? Zum Heiraten gehört schließlich Liebe, Tantchen.«
»Papperlapapp. Die große Liebe gibt es nur in Romanen, Kind. Im wahren Leben zählen andere Werte, und nach der Hochzeit kommt die Liebe schon von selbst. Auf jeden Fall fährst du heute nicht weg – weil meine Jugendfreundin uns morgen mit ihrem Sohn einen Besuch machen will.«
»Aber Tante! Du behandelst mich ja wie ein Stück Vieh, das an den Meistbietenden verkauft werden soll.«
Frau von Groningen schüttelte energisch den Kopf.
»Rede keinen Unsinn, Kind. Und dass du dich von deiner allerbesten Seite zeigst! Den letzten Herrn, den ich einlud, hast du regelrecht aus dem Haus gegrault.«
Ingeborg lachte. »Weil er ein aufgeblasener eitler Tropf war. Ohne jeden Verstand.«
Jetzt lachte Tante Sybille schrill auf.
»Kein Verstand? Was tut denn das? Den Verstand hast schließlich du. Mit je weniger Geistesgaben ein Mann gesegnet ist, desto leichter lässt er sich von seiner Frau um den Finger wickeln. Aber in dieser Hinsicht brauchst du bei dem Sohn meiner Freundin nichts zu befürchten. Er ist nicht nur einfacher Doktor wie du, sondern doppelter!«
Ingeborg schüttelte sich in gut gespieltem Entsetzen.
»Das ist ja noch schlimmer als überhaupt kein Verstand, Tantchen.«
Frau von Groningen nahm ihr die Heiterkeit übel.
»Kann man dir denn überhaupt nichts recht machen, Kind? Sag mal, du hast dich doch nicht etwa schon insgeheim in jemanden vergafft? Am Ende noch in einen, der nicht hinter dir, sondern hinter der Erbschaft herläuft, die du später einmal von mir zu erwarten hast?«
Ingeborg lachte belustigt.
»Keine Angst, Tantchen. Ich merke genau, wem es ums Geld und wem es um mich zu tun ist. Mein Herz ist noch frei. Vollständig.«
»Na, also!« Frau von Groningen atmete erleichtert auf. »Du wirst zu dem Sohn meiner Jugendfreundin besonders nett sein, Kind. Wenn du meinen Rat befolgst, werden wir sicher bald eure Verlobung feiern können.«
Ingeborg seufzte. »Ich bildete mir ein, dich bereits überzeugt zu haben. Nun sage ich es ganz deutlich: Der Mann, den ich mal heirate, wird von mir ausgesucht! Damit du es genau weißt: Immer, wenn du einen neuen Heiratskandidaten für mich ins Haus lockst, werde ich nicht da sein. Mit dem Sohn deiner Jugendfreundin mache ich den Anfang. Ich wollte meine Urlaubsfahrt heute antreten, und ich werde sie antreten.«
Frau von Groningen begehrte auf: »Das wirst du nicht tun. Du bist eigensinnig und undankbar!«
Ingeborg hob unbeeindruckt die Schultern.
»Vielleicht, Tante Sybille. Trotzdem: Ich fahre. In zwei Stunden bin ich weg. Ich bleibe keinen Tag länger als die geplanten drei Wochen. Bist du jetzt so böse, dass du mich nach dieser Zeit nicht mehr haben willst, kann ich es nicht ändern. Dann werde ich mich allein durchs Leben schlagen.«
»Ingeborg!« Frau von Groningen war zutiefst empört.
Aber die junge Frau hatte das Zimmer schon verlassen. Bevor die Tante ein Hausmädchen nach ihrer Nichte schicken konnte, läutete das Telefon.
Frau von Groningen stampfte zu dem kleinen Tisch hinüber, auf dem der Apparat stand, und meldete sich grollend. Plötzlich wurde ihre Stimme sehr freundlich.
»Ach, du bist es, liebste Alice! Natürlich freut Ingeborg sich sehr darauf, deinen lieben Sohn morgen kennenzulernen. Ich selbstverständlich auch.«
Sie wurde unterbrochen und lauschte. Ihre Miene veränderte sich.
»Wie? Dein Sohn kann nicht mitkommen? Wie meinst du das? Er muss unbedingt und dringend ... Ja, von solchen Dingen verstehe ich natürlich nichts. Drei Wochen wird das dauern? Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wenn du der Meinung bist, dass es nicht anders geht, liebste Alice ...«
Wieder lauschte sie. Dann legte sich ein spitzbübisches Lächeln um ihren Mund.
»Aber meine liebe Alice, du hast ja ganz recht! Drei Wochen? Darf ich dir einen Vorschlag machen?« Das Gesicht Frau von Groningens bekam einen vergnügt-spöttischen Ausdruck. »Dann kommt ihr eben nicht morgen, sondern in drei Wochen zu uns.«
Wieder lauschte sie.
»Natürlich, natürlich«, endete sie schließlich. »Es passt uns ausgezeichnet.« Sie lachte zufrieden. »Dann ist die Sache also abgemacht.«
Behutsam legte sie den Hörer auf. Ihre Augen funkelten vor Freude. Triumphierend klingelte sie nach dem Hausmädchen, das umgehend erschien.
»Anna! Bitte geh sofort zu meiner Nichte hinauf. Sag ihr, ich hätte es mir überlegt, sie dürfe fahren. Ich will sogar vergessen, dass sie hässlich zu mir war. Aber sie soll unter allen Umständen daran denken, sich von mir zu verabschieden, ehe sie das Haus verlässt.«
Eine knappe Stunde später trat Ingeborg reisefertig in Frau von Groningens Zimmer. Sie sah in ihrem Fahrkostüm ausgezeichnet aus.
Die Tante musterte sie kritisch.
»Gut. Ich denke, so kannst du dich sehen lassen. Obwohl mir dieses Herumsausen auf dem Motorroller nicht gefällt. Warum musst du durchaus solch ein Ding haben? Du weißt, dass ich dir gern ein Auto gekauft hätte.«
Ingeborg lachte. »Es macht mir eben Spaß, Tantchen. Im Übrigen freue ich mich, dass du deine Meinung geändert hast.«
Frau von Groningen blickte sie listig an.
»Hältst du mich für eine Despotin, Kind? Wenn du unbedingt fahren willst – meinen Segen hast du. Und dieser Sohn meiner Jugendfreundin – vielleicht ist er doch nicht der Richtige für dich.«
Sie dachte an das Gesicht, das Ingeborg machen würde, wenn sie zurückkam und den Mann im Haus fand, vor dem sie hatte davonlaufen wollen.
Ingeborg küsste die Tante behutsam auf die Wange. Frau von Groningen schaute ihr nach, bis sich die Tür hinter ihr schloss.
***
Kurz darauf erreichte Ingeborg die Autobahn. Natürlich hatte sie sich für diese dreiwöchige Ferienreise eine Route zurechtgelegt. Aber sie war nicht gesonnen, sich genau daran zu halten.
Bis zur Mittagsrast konnte sie noch einige Kilometer hinter sich bringen. Ihr erstes Tagesziel war ein verträumtes altes Städtchen, in dem sie übernachten wollte.
Gegen zwölf verlangte ihr Magen sein Recht. Eine halbe Stunde später tauchte eine Raststätte auf, und Ingeborg lenkte auf den Parkplatz ein.
Um halb zwei fühlte sie sich angenehm satt und ausgeruht – es konnte weitergehen. Sie griff in die Tasche, um ihre Geldbörse hervorzuholen. Bestürzt brachte sie die leere Hand zurück.
Sie hatte ihr Portemonnaie verloren!
Es war nicht viel Bargeld darin gewesen. Der Verlust ließ sich verschmerzen. Aber womit bezahlte sie nun ihr Essen? In der nächsten Stadt konnte sie einen ihrer Reiseschecks einlösen. Jedoch – was fing sie im Augenblick an?
Sie winkte den Kellner herbei und erklärte verlegen: »Ich möchte zahlen. Aber mir ist da ein entsetzliches Malheur passiert: Irgendwo unterwegs habe ich meine Geldbörse verloren. Ich besitze nur noch Reiseschecks zu je fünfzig Mark, und Sie müssten mir herausgeben.«
Der Kellner machte ein misstrauisches Gesicht. Er hatte seine Erfahrungen. Auch nette junge Damen gingen manchmal darauf aus, zu betrügen. Bedauernd hob er die Schultern.
»Es tut mir sehr leid, meine Dame.«
Auf Ingeborgs Gesicht legte sich Bestürzung.
»Ja, was fange ich dann nur an? Ich besitze keinen Pfennig Bargeld.«
Noch einmal maß er sie mit prüfendem Blick. Dann murmelte er, er wolle den Wirt herbeiholen.
Der kam, aber auch er wollte den Scheck nicht in Zahlung nehmen.
Die Situation war mehr als peinlich. Ingeborg wäre am liebsten im Erdboden versunken. Hielt man sie wirklich für eine Zechprellerin? Die Gäste an den umliegenden Tischen wurden bereits aufmerksam.
Da erhob sich ein junger Herr, der direkt am Nachbartisch gesessen hatte. Er war groß, schlank und etwa Ende zwanzig. Grüßend trat er auf Ingeborg zu.
»Darf ich Ihnen vielleicht behilflich sein? Ich weiß nicht genau, worum es sich handelt, habe aber das Gefühl, dass Sie in Schwierigkeiten sind.«
Ingeborg blickte ihn an. Sie fand sein Gesicht sympathisch.
»Die Dame hat ihr Geld verloren«, erklärte der Wirt eilig. »Leider kann ich den Scheck nicht nehmen, den sie mir anbietet.«
Der junge Herr verbeugte sich vor Ingeborg.
»Diese Kleinigkeit ist rasch aus der Welt zu schaffen«, versicherte er. »Wie viel schuldet Ihnen die Dame?«
Der Wirt warf seinem Kellner einen fragenden Blick zu.
Der rechnete und antwortete dann diensteifrig: »Acht Mark fünfzig, mein Herr.«
Der Retter aus der Not griff in die Tasche, während Ingeborg eine abwehrende Handbewegung machte.
»Das geht nicht, mein Herr. Sie, ein Fremder, können doch nicht für mich bezahlen. Das ist ganz ausgeschlossen!«
Ihre Verlegenheit belustigte ihn.
»Wenn ich es nicht tue, wer soll es dann tun, meine Dame?«
Sein Lächeln ärgerte Ingeborg. Trotz stieg in ihr hoch.
»Ich kann mir doch nichts von Ihnen schenken lassen!«
Sein Lächeln wurde stärker. Es machte ihn noch sympathischer, und das ärgerte Ingeborg seltsamerweise erst recht. Sie redete sich ein, er sei arrogant und überheblich.
»Wer sagt denn, dass ich Ihnen etwas schenken will, meine Dame? Ich springe für Sie ein, Sie erstatten mir den kleinen Betrag später wieder zurück. Einfach, oder?«
Es fehlt nur noch, dass er mir begütigend die Wange tätschelt wie einem kleinen Kind, dachte sie unmutig. Dann aber stieß sie einen abgrundtiefen Seufzer aus. Es ging nicht anders. Sie musste sich von ihm helfen lassen.
»Würden Sie so freundlich sein, mir Ihre Adresse zu geben, mein Herr?«, gab sie schließlich nach. »Ich werde Ihnen das Geld so schnell wie möglich zusenden.«
Er lachte und nickte ihr zu.
»So sehr eilt es nun auch wieder nicht. Es dauert eh noch längere Zeit, bis ich wieder daheim bin.«
Ingeborg fand sein Lächeln herablassend. Es empörte sie. Glaubte er, sie überheblich behandeln zu können, weil er acht Mark fünfzig für sie auslegte? Ihr Ärger wurde größer, als ihr einfiel, dass sie ihm dankbar sein musste. Was hätte sie angefangen, wenn er nicht eingesprungen wäre?
Der junge Herr zahlte ihre Rechnung. Wirt und Kellner zogen sich befriedigt zurück.
Mit einer kurzen Verbeugung wollte er sich wieder an seinen Tisch zurückbegeben, aber Ingeborg hielt ihn durch eine hastige Handbewegung auf.
»Ich brauche noch Ihre Adresse. Ich muss Ihnen doch Ihr Geld zustellen. Haben Sie übrigens vielen Dank für Ihre Liebenswürdigkeit.«
Er verbeugte sich noch einmal.
»Da gibt es nichts zu danken, meine Dame.« Lässig griff er in die Tasche und reichte ihr ein Kärtchen. »Sie finden alles darauf, was Sie brauchen, falls Sie fürchten, Ihre Schuld könne Sie erdrücken.«
Das hielt sie nun für ausgemacht spöttisch. Sie steckte die Karte ein, ohne einen Blick darauf geworfen zu haben.
»Ich werde so schnell wie möglich ...«
»Wie ich schon sagte – es eilt nicht!«
Hastig erhob sie sich.
»Noch einmal vielen Dank«, flüsterte sie kaum verständlich und verließ eilig das Rasthaus.
Draußen blieb sie einen Augenblick lang stehen. Dass ihr so etwas passieren musste!
***
Gegen fünf Uhr erreichte Ingeborg Fabricius das Städtchen, in dem sie ihrem Plan nach die heutige Nacht verbringen wollte.
Soweit sie feststellen konnte, gab es nur eine einzige Übernachtungsmöglichkeit im Ort, die Gastwirtschaft »Zum blühenden Holunder«.
Sie hielt, ließ ihren Roller am Bordstein stehen, trat in die große, gewölbte Halle, die eher einer Kellerei als einem Hotel zu gehören schien, und schritt auf die mit vielen Schnitzereien verzierte Empfangstheke zu.
Sie musste etwas warten, ehe jemand kam, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen. Es war die Wirtin persönlich, eine rundliche Frau, ungefähr vierzig, mit hochrotem Gesicht und leicht zerzaustem Haar, die Ingeborg sofort sympathisch war.
»Kann ich ein Zimmer bei Ihnen haben?«, erkundigte sich Ingeborg. »Es handelt sich nur um eine Nacht.«
»Zimmer sind immer bei uns frei«, erklärte die Wirtin freundlich. »Wir haben selten Nachtgäste. Aber dafür floriert die Gastwirtschaft umso besser. Welches Zimmer geben wir Ihnen nur? Ich glaube, ich verfrachte Sie in den zweiten Stock hinauf.«
»Warum wollen Sie mich unbedingt unters Dach stecken?«, erkundigte Ingeborg sich lachend.
»Damit Sie diese Nacht schlafen können«, erläuterte die Wirtin vergnügt. »Bei uns wird nämlich heute getanzt, und im ersten Stock hören Sie die Musik noch recht laut.«
Ingeborg war interessiert. »Sie feiern ein Fest? Vielleicht kann ich da teilnehmen?«
