Lost in Games - Iris Kannenberg - E-Book

Lost in Games E-Book

Iris Kannenberg

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Beschreibung

Ben liebt Computerspiele. Er will unbedingt das neu entwickelte Spiel «Reality Game» seiner Mitschülerin Einstein testen. Denn in dem Spiel kann er sein Leben selbst gestalten. Er hofft, alles besser zu machen als im wirklichen Leben. Doch dann passiert etwas, mit dem er nicht gerechnet hat. Er wird ins Spiel gesogen und findet keinen Weg mehr hinaus. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich Level für Level durch das Spiel zu kämpfen. Als Einstein erkennt, dass Ben im Spiel feststeckt, versucht sie alles, um ihn wieder herauszuholen. Und tatsächlich kann sie ein Portal erschaffen. Aber will er wirklich wieder zurück?

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Seitenzahl: 279

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Vorbereitung
Die Aufgabe
Das Paralleluniversum
Das erste Level
Das zweite Level
Das dritte Level
Der Code
Der Kampf mit dem Drachen
Reset
Alles auf Anfang
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Der Sieg
Die Feinde
Kampf der Giganten
Rückkehr des Helden
Die Unterstützung
Die Erfahrung
Das Team
Das Spiegelbild
Das Portal
Die Versuchung
Vergebliche Rettung
Hilflose Hilfe
Die Gefährten
Das Labor
Blackout
Das Labyrinth
Der leere Raum
Das Telefonat
Level 8A
Die Entscheidung
Endspiel
Nachspiel

Lost in Games

Iris Kannenberg

Buchbeschreibung

Ben ist in einem Computerspiel gefangen, in dem er sein eigenes Leben nachspielen muss. Level für Level muss er seine Schwächen bekämpfen, um wieder herauszukommen. Unterstützt wird er von seinen Mitschülerinnen Einstein und Julia. Doch helfen sie wirklich? Ben muss sich zwischen ihnen entscheiden und damit zwischen Wirklichkeit und Spiel.

Über die Autorin

Iris Kannenberg hat Germanistik und Erziehungswissenschaften in Berlin studiert. Dort hat sie ihre Liebe zum Schreiben entdeckt und arbeitet seit vielen Jahren als Drehbuchautorin für verschiedene Serien-Formate der deutschen Fernsehlandschaft. Heute lebt sie in Hamburg.

Lost in Games

Das Portal

© 2025 Iris Kannenberg – alle Rechte vorbehalten.

Umschlag: Petra Dehne

Lektorat: Monika Spang

Impressum:

Iris Kannenberg

c/o Authors‘ Dreams

Am Krummgewann 22

64625 Bensheim

[email protected]

Der Avatar

Die Höhlenhydra schoss wie ein Blitz auf ihn zu. Benjamo Brutalo riss im letzten Moment sein Schwert hoch und schlug ihr den Kopf ab. Mit Schrecken beobachtete er, wie ihr zwei neue Köpfe nachwuchsen. Er schlug erneut zu, doch wieder wuchsen zwei Köpfe nach. Es schien aussichtslos. Der Avatar kämpfte immer schneller, immer verzweifelter. Er hatte kaum noch Lebenspunkte übrig.

„Ben!“

Benjamo Brutalo wusste, so konnte er das Monster nicht besiegen. Mit einem Salto sprang er an den Kronleuchter und schwang sich auf die Balustrade.

„Ben, Frühstück!“

Er musste ins Auge treffen. Das war der einzige Schwachpunkt dieser Bestie. Er griff nach seiner Armbrust. Das Monster kam näher. Wenn der erste Schuss nicht traf, war er tot. Konzentriert spannte er den Bogen und zielte. Die Hydra war mitten im Visier. Entweder er traf und siegte oder er starb. Er oder sie! Der Pfeil löste sich blitzartig vom Bogen undschnellte in Richtung Hydra.

Der Bildschirm wurde schwarz. Ben sah vom Computer hoch und direkt in die strafenden Augen seiner Mutter.

„Hast du etwa die ganze Nacht gespielt?“

„Nein!“, protestierte Ben. Nur die halbe Nacht. Aber das sagte er nicht. Und er konnte auch nichts dafür. Er war frühmorgens aufgewacht, weil er von der Hydra geträumt hatte. Natürlich konnte er dann nicht mehr einschlafen und hatte weitergespielt. Seine Mutter sah ihn mit traurigen Augen an. „Frühstück ist fertig.“

Ben warf einen Blick auf den herausgezogenen Stecker und wagte einen kleinlauten Protest. „Den darf man nicht einfach so rausziehen.“

„Kommst du?“ Seine Mutter ging vor und Ben folgte mit schlechtem Gewissen. Er war todmüde, aber das würde er nicht zugeben.

Sein Vater belegte gerade Bens Pausenbrot, als er hereinkam. „Du kommst zu spät.“

„Ich schaff das schon noch.“ Ben setzte sich und griff nach einem Brötchen.

„Er hat am Computer gespielt.“

„Schon vor dem Frühstück?“, fragte der Vater fassungslos. „Ich sollte das Teil in den Müll werfen.“

Ben sah ihn unsicher an. Das würde er nicht wirklich tun. Oder?

„Er ist zu jung, um verantwortungsvoll damit umzugehen“, seufzte seine Mutter.

„Ich brauche ihn für die Schule“, äffte sein Vater ihn nach. „Hast du schon einmal deine Hausaufgaben daran gemacht? Ich habe dir den Computer gekauft, damit du lernst, mit Office-Programmen umzugehen, nicht um zu spielen.“

Ben schwieg. Wenn seine Eltern anfingen, ihm Vorhaltungen zu machen, hörten sie so bald nicht wieder damit auf. Um den Inhalt ihrer Predigt auszublenden, konzentrierte er sich auf das Stakkato der Vokale und Konsonanten. Er schob sich das Marmeladenbrötchen in den Mund und kaute im Takt. Takt? Er musste den richtigen Takt finden, um die Höhlenhydra zu bekämpfen. Pfeil anlegen – Schuss – Pfeil anlegen – Schuss. Oder war sie besser mit der Streitaxt zu besiegen? Sein Avatar war darin nicht trainiert. Julia könnte bestimmt mit einer Streitaxt umgehen, dachte er. Wer so gut Fußball spielt, kann alles, was mit Sport zu tun hat.

„Sport …“, hörte er seinen Vater sagen und horchte auf.

„Wenn du wenigstens ein bisschen Sport machen würdest.“

Ben verzog das Gesicht. Keine gute Idee. Dann lachten die anderen nur. Seine Mutter drückte ihm die Brotdose in die Hand: „Wenn du nicht zu spät kommen willst, musst du dich beeilen.“ Ben nahm seinen Rucksack und eilte hinaus.

Kaum war er draußen, zog er seinen Kragen höher. Es war nasskalt und grau. Ein leichter Nieselregen legte sich auf seine Kleidung und machte sie klamm. Ben versuchte, sich zu beeilen, doch immer wieder musste er großen Pfützen ausweichen. Was war das? Auf einer der Pfützen schwamm ein regenbogenfarbener Fleck. Ben blickte hoch. Die Sonne war hinter den dunklen Wolken nicht zu sehen. Also konnte es keine Spiegelung sein. Er beugte sich näher heran. Öl? Oder … Ben lächelte. Ein Zugang in eine andere Welt. Wenn er sich immer weiter vorbeugte, könnte er dort eintauchen und würde durch ein Wurmloch hindurchgesogen, raste durchs All, zwischen Sternen und Galaxien hindurch, bekämpfte Aliens, war ein Held. „Autsch!“

Ein Ball traf ihn am Kopf und hüpfte langsam die Straße hinunter. Ben rieb sich die Stelle, sah hoch und erstarrte. Julia blickte erwartungsvoll zum Ball, während Roger sich halbtot lachte. Ben war nicht sicher, ob er ihn absichtlich angeschossen hatte.

„Los, schieß ihn zurück!“, forderte Julia ihn auf.

Ben zögerte. Er konnte nicht gut schießen. Aber Julia hatte ihn angesprochen. Was sie noch nie getan hatte. Also würde er es versuchen. Und es musste ein wirklich guter Schuss werden. Ben ging zum Ball, holte Schwung, zielte - sah Julias Blick – und verfehlte den Ball. Roger lachte. Julia verdrehte die Augen, kam zu ihm und schoss den Ball elegant zu Roger zurück. Jetzt kickten die beiden sich gegenseitig den Ball zu, während sie weiter zur Schule gingen. Ben blieb stehen und sah ihnen nach. Er hatte plötzlich keine Lust mehr auf Schule. Roger würde allen erzählen, dass Ben noch nicht einmal einen Ball traf, und Julia fand ihn wahrscheinlich eh blöd. Aber Schule schwänzen traute er sich nicht. Also trottete er weiter.

Auf dem Pausenhof eilten die letzten Schüler in die Schule, nur Einstein stand in ein Buch vertieft am Eingang. Ben warf im Vorbeigehen einen Blick darauf. „Mathe?“

„Quantenphysik“, antwortete sie.

Ben zuckte mit den Schultern. Das kannte er schon. Einstein galt als hochbegabt und langweilte sich im Unterricht, wenn sie nicht nebenbei anspruchsvolle Lektüre las. Deswegen fanden die anderen sie komisch und mieden sie. Sie nannten sie Einstein, weil sie immer alles wusste. Wie ihr richtiger Name war, hatte Ben inzwischen vergessen. Ohne dass er sie dazu aufforderte, schloss sie sich ihm an und ging mit ihm hinein. Ben schluckte, hätte er sie bloß nicht angesprochen. Er wurde eh schon von den anderen gehänselt. Weil er langsamer und dicker war. Wenn er zusammen mit der Außenseiterin gesehen wurde, würde es womöglich noch schlimmer werden.

„Schon mal was von der Quantenschaumtheorie gehört?“, fragte Einstein.

„Äh was?“

Sie hielt ihr Buch hoch. „Spannende Sache.“

Zum Glück musste Ben dazu nichts sagen, weil Einstein in Richtung Toiletten abbog. Ben trottete ins Klassenzimmer und setzte sich auf seinen Platz ganz nach hinten. Er fand den Platz super. Man fiel nicht weiter auf und wurde selten drangenommen. Es war zwar nicht gut für die Noten, dafür aber für seine Stimmung.

Als der Unterricht begann, hatte Ben Mühe, wachzubleiben. Die letzte Nacht war einfach zu kurz gewesen. Bens Kopf wurde immer schwerer und schwerer.

Plötzlich schreckte er hoch, er war ganz sicher, nicht geschlafen zu haben. Doch ihr Lehrer, Herr Kretzig, stand neben ihm und wartete offensichtlich auf eine Antwort.

Ben sah unsicher zu ihm auf und haspelte: „Äh…? Wie war die Frage nochmal?“

„Wann war die industrielle Revolution?“, donnerte Herr Kretzig.

Revolution? Klang wie Revolver … aber mit einem Revolver konnte er die Höhlenhydra nicht besiegen, das war ja lächerlich.

„Also?“, riss ihn Herr Kretzig aus seinen Gedanken.

„Äh …“

„Die industrielle Revolution begann in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts“, leierte Einstein gelangweilt runter.

„Dich habe ich nicht gefragt“, maßregelte Herr Kretzig.

„In England begann sie allerdings schon früher. 1711 mit der Entwicklung der Dampfmaschine.“

„Ja, danke“, unterbrach ihr Lehrer, „das ist noch nicht dran.“

Ben grinste erleichtert. Herr Kretzig ging wieder nach vorne und prompt traf Ben etwas an der Stirn. Roger hatte sich zu ihm umgedreht und ihm mit einem Strohhalm ein Papierkügelchen an den Kopf gepustet. Ben schnippte angewidert das von Spucke nasse Kügelchen weg und duckte sich, um unsichtbar zu werden. Er warf einen Blick zur Seite und bemerkte, dass Einstein an ihrem Handy rumspielte. Er beobachtete sie unauffällig. Es sah aus, als würde sie versuchen, von allen Mitschülern ein Foto zu machen. Wofür machte sie sowas? Ben konnte sich nicht vorstellen, dass sie ein Poesie-Album anlegen wollte.

„Handys haben im Unterricht nichts zu suchen“, dröhnte Herr Kretzig. Schon hielt er die Hand nach Einsteins Handy auf.

„Ich brauch das“, verteidigte sie sich.

„Sicher“, höhnte Herr Kretzig.

„Ich entwickle ein Computerspiel. Dafür brauch ich das.“

Die Klasse grölte. Nur Ben starrte Einstein wie elektrisiert an.

Herr Kretzig wandte sich ironisch grinsend an die Klasse: „Natürlich. Das macht man auch mit einem Handy. Her damit!“

Als die Stunde endlich zu Ende war, eilten alle hinaus zur Pause, nur Einstein blieb zurück, um ihr Handy vom Lehrer zurückzuholen. Ben kramte extra lange in seinem Rucksack herum und wartete bis Herr Kretzig gegangen war. Bevor Einstein ebenso verschwinden konnte, sprach er sie an.

„Was wird denn das für ein Spiel, das du programmierst?“

„Ein Spiel des Lebens.“

„Aha. Ist das ein Lernspiel?“

„Nee, eher so ein ‚Ich wünsch mir ein anderes Leben‘ Spiel.“

Ben lächelte unwillkürlich. Das hätte sein Satz sein können.

„Und wie soll das gehen?“

„Na, im Spiel, halt. Du fängst im 1. Level an. Da ist noch alles so, wie du es im echten Leben kennst. Aber mit jeder Entscheidung verändert es sich und wird immer besser, wenn du die Level bestehst.“

„Kann ich mir gar nicht richtig vorstellen.“

Plötzlich sah ihn Einstein forschend an. „Willst du es ausprobieren?“

„Ich?“

„Es ist in der Betaversion. Ich bräuchte jemand, der es testet.“

„Wow. Und ich wäre der erste, der es spielt?“

„Der Allererste. Ich bin gespannt, ob es so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe.“

„Ja cool. Danke. Gern“, stotterte Ben.

„Gut, nach dem Unterricht komm ich mit zu dir und installier es dir. Ich hab die Festplatte dabei. Da ist alles drauf. Das komplette Spiel.“

Bevor Ben antworten konnte, läutete der Gong und die Schüler strömten zurück in die Klasse. Ben beeilte sich, zu seinem Platz zurückzukommen, damit niemand mitbekam, dass er mit Einstein gesprochen hatte. Der Rest des Unterrichts zog an ihm vorbei, ohne dass er viel davon mitbekam. War es wirklich eine gute Idee, diese seltsame Einstein mit nach Hause zu bringen? Und was für ein komische Spiel war das wohl?

Als der Unterricht endlich zu Ende war, schloss sich Einstein ihm an. „Gehen wir?“

„Okay“, antwortete Ben und wollte schnell hinauseilen. Leider mussten sie direkt an Julia, Roger und Jannik vorbei, die sich zum Fußballspielen verabredeten. Ben versuchte, sich so unauffällig wie möglich an ihnen vorbeizuschieben. Doch aus dem Augenwinkel sah er, wie Roger Julia mit einem spöttischen Grinsen anstieß und auf ihn zeigte. Da hatte er sich ja was eingebrockt. Der Spott der anderen würde morgen noch schlimmer werden.

Vorbereitung

Auf dem Nachhauseweg erklärte ihm Einstein, was zur Spielvorbereitung alles zu tun war. „Wir brauchen Bilder von deinem Zuhause. Dein Zimmer, die Küche, Wohnzimmer. Alle Räume, in denen du dich so aufhältst. Und Fotos von deinen Eltern. Fotos von der Schule und den anderen habe ich schon auf meinem Handy. Mein Grafikprogramm kann sie dann in 3D umwandeln.“

„Ich weiß nicht, ob das meinen Eltern recht ist. Wenn die mitkriegen, dass ich wieder spielen will …“

„Morgen ist Wochenende.“

„Das ist meinen Eltern egal.“

„Überlass das mir. Mit Eltern kann ich.“

Eine Weile trotteten sie schweigend nebeneinander her, bis Ben einfiel: „Ist es nicht langweilig, wenn alles wie in Wirklichkeit ist?“

Einstein grinste geheimnisvoll. „Warte es ab. Es gibt einige Überraschungen.“

„Am liebsten spiele ich Adventure Games mit Drachen und so.“

„Okay, lässt sich einrichten.“

„Du kannst dein Spiel schnell mal eben umprogrammieren?“, staunte Ben.

„Ist nur ne Erweiterung. Sollte kein Ding sein.“

Als sie bei Ben zuhause ankamen, zückte Einstein ihr Smartphone und begann, Fotos zu machen. Sie reichte Ben Zettel und Stift und zielte mit einer Maßband-App auf die Wände.

„Schreib mal mit. 2,30 mal 4,20.“

„Wofür ist das?“

„Damit die Räume im Spiel maßstabsgetreu sind natürlich.“

Ben hörte, wie ein Schlüssel ins Haustürschloss gesteckt wurde. Er erschrak und verschrieb sich. Seine Eltern kamen herein. Ben versteckte schnell den Zettel hinter seinem Rücken. Irgendwie hatte er das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Seine Eltern musterten Einstein neugierig.

„Hallo, Ben. Und wer bist du?“, fragte Bens Mutter.

„Äh, das ist Einstein, aus meiner Klasse“, stellte Ben sie verlegen vor.

„Einstein?“, wunderte sich Bens Vater.

Doch seine Mutter war erfreut. „Ben hat noch nie jemand mitgebracht.“

Einstein trat schnell vor und reichte höflich ihre Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Wir müssen für Biologie eine Projektarbeit machen.“

„Äh, ja, genau!“, fügte Ben hinzu, da er die Ausrede von Einstein gar nicht schlecht fand.

„Eine Hausarbeit? Dann tut Ben endlich mal was“, scherzte Bens Vater.

„Es geht um Genetik, Vererbungslehre.“

„Ach, das ist schon in der sechsten dran?“

„Wir wollen Bens Stammbaum als Beispiel aufstellen. Gemeinsame körperliche Merkmale in der Verwandtschaft. Angewachsene Ohrläppchen, Nasengröße, Augenbrauenform und so weiter.“

„Interessant“, fand Bens Vater.

„Dürfte ich dafür Fotos von Ihnen machen? Wir müssen eine Power Point Präsentation vorbereiten.“

Bens Eltern sahen sich überrumpelt an. „Wenn’s für die Schule ist.“ „Dann benutzt du den Computer endlich mal für was Nützliches.“

Einstein bedankte sich höflich und bat Bens Eltern, sich in alle Richtungen zu drehen, damit sie Fotos von vorne und hinten machen konnte. Ben staunte, wie gut Einstein mit ihnen umgehen konnte. Er geriet immer nur in Streit mit ihnen. Als Einstein fertig war, erklärte sie: „Wir brauchen mindestens eine Woche dafür, wenn nicht länger. Ich hoffe, es ist Ihnen recht, wenn ich in nächster Zeit häufiger hier bin.“

Ben sah sie erschrocken an. Dass das die Bedingung fürs Testen war, hatte er nicht gewusst. Er wollte lieber seine Ruhe haben.

„Natürlich! Sehr gerne. Du scheinst einen guten Einfluss auf Ben zu haben“, flötete seine Mutter begeistert.

„Das kommt uns sehr entgegen. Wir müssen morgen früh für ein paar Tage geschäftlich verreisen,“ sagte der Vater.

„Was?“

„Haben wir gerade erst erfahren. Tut mir leid, Ben“, sagte seine Mutter bedauernd. „Aber wir haben schon alles arrangiert. Stefanie wird ab und zu rüberkommen und nach dir sehen.“

Stefanie war die Nachbarin. Ben fand sie ganz nett, aber lieber wäre ihm gewesen, mal eine Weile allein zu sein, damit er in Ruhe zocken konnte. Nun hatte er Einstein und Stefanie am Hals.

„Das ist perfekt“, sagte Einstein und strahlte, „dann haben wir Zeit, um in Ruhe zu arbeiten.“

„Wie schön, dass endlich jemand Ben motivieren kann, etwas für die Schule zu tun.“

„Wir müssen auch gleich loslegen. Sie entschuldigen uns?“ Und schon zog Einstein Ben mit sich mit. „Wo ist dein Zimmer?“

Ben lächelte seine Eltern entschuldigend an, verdrehte in Richtung Einstein die Augen und ging vor.

In seinem Zimmer angekommen, grinste Einstein ihn an. „Das hat schon mal geklappt.“

„Wieso kannst du so gut mit Eltern?“

„Man muss einfach nur das sagen, was sie hören wollen. Dann sind sie beruhigt.“

„Hm.“

Wenn Ben etwas sagte, sprach er das aus, was ihm gerade im Kopf herumging. Das half meist nicht, um die Stimmung zu verbessern.

„3,80 mal 3,10“

Einstein machte bereits Fotos von Bens Zimmer und maß die Länge und Breite des Raums aus. Ben beeilte sich, es zu notieren.

„Jetzt muss ich nur noch das Programm auf deinem Computer installieren und dann die letzten Daten eingeben.“

Während die Installation lief, holte Einstein mehrere vorgefertigte Fragebögen hervor.

„Ich habe Kriterien zusammengestellt, nach denen getestet werden soll. Spielgeschwindigkeit, Graphik, Sound, Spielerlebnis und natürlich Bugs - also Fehler in der Programmierung.“

„Wie merke ich das?“, wollte Ben wissen.

„Wenn das Spiel abstürzt, zum Beispiel. Oder wenn es hängen bleibt, wenn alles einfriert oder wenn deine Figur plötzlich durch Wände gehen kann oder sowas. Bei jedem Level füllst du den Testbogen bitte aus, damit ich weiß, was ich noch verbessern muss.“

Ben betrachtete die verschiedenen Punkte, die er mit 1-10 bewerten konnte. Das sah nach einer Menge Arbeit aus. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Die Installation war inzwischen abgeschlossen, und Einstein koppelte ihr Smartphone mit Bens Computer, um die Fotos zu übertragen. Sie gab ein paar Informationen über den Charakter von Bens Eltern ein, und das Programm verarbeitete die Daten.

„Nur noch ein paar Änderungen, und du kannst starten.“ Und schon tippte Einstein in rasender Geschwindigkeit auf die Tastatur ein, so dass Ben kaum folgen konnte. „Das ist die DOS-Ebene. Die Ebene, auf der man das Programm schreiben kann.“

Ben sah die DOS-Befehle, die ihm nichts sagten. „Was ist das?“

„DEL ist delete, löschen. Wenn du Lust hast, kann ich dir mal programmieren beibringen.“

„Echt? Cool. Und was programmierst du jetzt?“

Einstein grinste. „Einen kleinen Nachtrag. Lass dich überraschen.“

„Okay.“

„Ich habe übrigens erst mal alles in einem Gebäude spielen lassen. Das bessere ich noch nach. Und ein paar Baustellen gibt es. Die darfst du nicht betreten.“

„Gut“, sagte Ben, ohne zu verstehen, wovon sie sprach. Einstein erhob sich. „Ich glaube, du kommst jetzt allein klar. Meine Eltern machen sich sicher schon Sorgen.“

„Du gehst?“ Ben konnte kaum die Erleichterung in seiner Stimme verbergen.

„Ich erzähle meinen Eltern auch von dem Bio-Projekt und komme morgen Nachmittag wieder.“

„Ok.“

Ben strahlte. Dann hatte er morgen wenigstens einen halben Tag, um es sich gemütlich zu machen. Sobald seine Eltern weg waren, würde er sich an den Computer setzen. Grinsend dachte er daran, dass er sich vorher Cola und Chips aus der Speisekammer holen würde. Das Geheimversteck seiner Eltern hatte er längst entdeckt. Endlich würde er von niemandem beim Spielen gestört werden. Ben brachte Einstein zur Tür. Es juckte ihn in den Fingern, sich sofort an den Computer zu setzen. Doch es war klüger zu warten, bis seine Eltern weg waren. Wenn sie ihn jetzt beim Spielen erwischten, glaubten sie die Geschichte mit dem Schulprojekt nicht mehr.

Der Rest des Tages zog sich in die Länge. Bens Eltern packten und gaben ihm viele Ratschläge, was er tun und lassen sollte. Immer wieder erkundigten sie sich, ob er nachts wirklich keine Angst allein im Haus hatte. Er kannte das schon. Seine Eltern waren immer mal wieder geschäftlich unterwegs. Und er glaubte, dass sie ihm nur aus schlechtem Gewissen den Computer gekauft hatten. Seine Mutter klebte ihm auf einem Post-It die Handynummer von Stefanie, der Nachbarin, übers Bett, für den Fall, dass er nachts Angst bekam. Sie erklärte, dass sie Morgen sehr früh fahren würden, und fragte Ben, ob er mit ihnen frühstücken oder lieber ausschlafen wollte. Da Ben sich nicht entscheiden konnte, verabschiedeten seine Eltern sich abends schon mal sicherheitshalber von ihm. Ben ging todmüde ins Bett. Ihm fehlte noch Schlaf von letzter Nacht.

Die Aufgabe

Ben wachte früh auf. Die Neugier trieb ihn aus dem Bett. Er war zu gespannt auf dieses Spiel von Einstein, um weiterzuschlafen. Leise öffnete er die Tür und lauschte, ob seine Eltern schon wach waren. Das Geklapper aus der Küche verriet, dass sie Frühstück vorbereiteten. Also hatte er noch kurz Zeit. Er setzte sich an den Computer und schaltete ihn ein. Es dauerte einen Moment, dann erschien das Icon von Einsteins Spiel in goldenen Lettern auf blauem Hintergrund: REALITY GAME! Ben machte einen Doppelklick darauf und das Spielfenster öffnete sich: „Spiel kann gestartet werden.“ Er holte tief Luft, es war so weit. Er war gespannt. Zum Glück hatte er ein Dolby Surround-System. Boxen vor ihm, hinter ihm. Er klickte auf Start. Ein heroischer Sound erklang. Ben stellte schnell den Lautstärkeregler leiser, damit seine Eltern es nicht hören konnten. Von hinten kam ein Auto auf ihn zugefahren, Ben drehte sich erschrocken um. Natürlich war da nichts. Sein Dolby Surround-System hatte es einfach in sich. Er hörte Straßengeräusche, Stimmengewirr, von weit her einen Schlagbohrer. Als wäre man mittendrin, dachte Ben. Im Computer baute sich das Bild auf. Auf einer Straße stand eine kleine Spielfigur. Ben sah genauer hin. Rieb sich die Augen, sah nochmal hin. Das war er selbst, in Miniaturausgabe. Er wackelte unangenehm berührt auf seinem Stuhl hin und her. Die Figur auf dem Bildschirm war klein und dick, wie er. Warum hatte ihn Einstein nicht als muskelbepackten Superhelden geschaffen? Ben klickte die Figur an und sie drehte und wendete sich in die Richtung, die er mit der Maus vorgab. Er ließ die kleine Spielfigur sich einmal um sich selbst drehen, um sich umzusehen. Rechts und links standen Häuser, hinten war Nebel, vor ihm die Straße. Er schätzte, er musste sein Elternhaus finden, um dort zu starten. Er tippte den Cursor an, und der Miniatur-Ben marschierte los. Eine Kreuzung. Ben brauchte eine Karte. Er sah sich die Menüleiste genauer an und fand ein passendes Icon. Er klickte es an, Volltreffer, die Karte öffnete sich. Sein Zuhause war markiert. Es leuchtete bläulich und lag im Nordwesten. Er führte die Spielfigur in die Richtung, ließ sie an Häuserreihen vorbeilaufen, bis zum Ende des Ortes. Nebel lag vor ihm. Während die Figur geradeaus lief, sah Ben nur Umrisse von Bäumen rechts und links. Plötzlich ragte vor der Figur ein Schatten auf. Es könnte ein Haus sein, ein sehr großes Haus, oder vielmehr: ein Schloss! Sollte das sein Elternhaus sein? Je näher die Figur herankam, desto größer wurde das Gebäude. Es ragte über seiner Figur auf, die Türme verloren sich im Nebel. Bombastisch!

Ben riss sich kurz vom Bildschirm los und lauschte einen Moment, ob das Klappern von unten nachgelassen hatte. Er hörte seine Eltern herumlaufen. Also frühstückten sie noch nicht. Einen Moment genoss er den Anblick des Gebäudes. Ein Schloss aus grauem Stein, mit zwei Türmen und einem großen Eingangsportal. Dort wohnte er also in der Spielwelt. Cool. Ben ließ seine Figur zum Tor laufen. Kein Türklopfer, kein Türgriff. Nur ein Schlüsselloch. Er klickte das Tor an, doch nichts passierte. Brauchte er einen Schlüssel? Seine Spielfigur hatte einen Ausrüstungsrucksack dabei. Er klickte ihn an, und ein neues Fenster erschien: Das Innenleben des Rucksacks bestand aus vielen quadratischen Fächern. Die meisten davon waren leer, nur in wenigen befanden sich Gegenstände: ein kleines Messer, ein Heiltrank, Zündhölzer, ein Apfel, ein Stück Draht. Aber kein Schlüssel. Er klickte den kleinen Ben an. Brauchte er etwas zu essen? Es erschienen ein blauer und ein grüner Balken, die anzeigten, ob er Nahrung brauchte oder einen Heiltrank. Der blaue Lebensbalken war voll. Der grüne Regenerationsbalken hatte etwas Luft. Es war noch viel Zeit, bevor er essen musste. Also blieb der Apfel vorerst im Rucksack. Aber was war mit der Tür? Ben klickte das Messer an, doch nichts passierte. Beim Draht erschien ein kleines Fenster. Willst du den Draht verbiegen?“ Er klickte Ja an und erhielt einen Dietrich. Okay, das war nicht allzu schwer, dachte Ben und klickte nun auf die Tür. Beim dritten Versuch machte es Klick“ und das Schloss war offen. Ben ließ seine Figur das Tor aufschieben. Es knarzte und quietschte gewaltig, öffnete sich langsam und gab den Blick frei auf eine große Eingangshalle. Er grinste. Gut gemacht, Einstein! In den Testbogen machte er einen Eintrag: Sound 10 Punkte. Graphik: 8 Punkte. Er wandte sich wieder seinem Spiel zu und schickte den kleinen Ben in den Saal. Es war dunkel, nur wenig Licht kam durch die noch offenstehende Tür herein. Ben öffnete den Rucksack und klickte auf die Zündhölzer. Der Raum erstrahlte in hellem Licht. Etwas übertrieben. Ein Streichholz sollte den ganzen Raum beleuchten können? Das Feintuning fehlte noch. Er machte sich Notizen für Einstein. Dann ließ er den Spiel-Ben umherlaufen, um den Raum anzusehen. Ganz hübsch gestaltet, ein Steinboden mit Intarsien, Teppiche an den Wänden. Gegenüber war eine Tür. Okay, bevor er nach Geheimgängen suchte, probierte er es erst einmal dort. Es konnte nichts Schlimmes passieren, dachte Ben, es war keins seiner üblichen Role Player Games, in denen er gegen Monster kämpfen musste. Also klickte er die Tür an. Sie öffnete sich, und dahinter erschien ein Flur. Ben erkannte ihn sofort: sein Zuhause. Yepp, Treffer. Er ließ den kleinen Ben eintreten und zielsicher zur Küchentür steuern. Aus den Boxen kamen die Stimmen seiner Eltern. Wie unheimlich. Im Dolby Surround System. Je näher seine Figur nach links an die Küchentür kam, desto mehr kam der Ton aus dem linken Lautsprecher. Ben ließ seine Spielfigur in die Küche gehen. Die Eltern saßen am Tisch, sahen hoch und fragten, ob er die Hausaufgaben schon gemacht hatte. Sehr lustig, dachte Ben ironisch, danke Einstein. Im Sprachfenster klickte er Nein an. Prompt hielt sein Vater einen Vortrag darüber, wie wichtig es war, Hausaufgaben zu machen. Ben grinste amüsiert, entweder waren Einsteins Eltern so wie seine oder alle Eltern waren gleich. Einstein hatte das Ganze sehr echt gestaltet. Die Mutter reichte dem Spiel-Ben einen Zettel und sagte: „Erst wenn du deine Hausaufgaben gemacht hast, bekommst du Abendessen.“

„Wenn du alle Aufgaben gelöst hast, hast du das Level gewonnen“, fügte sein Vater hinzu.

Als Ben den Zettel anklickte, öffnete sich ein Aufgabenblatt, das ihm wahnsinnig bekannt vorkam. Waren das nicht die Aufgaben der letzten Sachkunde-Arbeit, die er vergeigt hatte? Nochmal danke, Einstein. Sollte das Nachhilfe-Unterricht werden? Hoffentlich ging es nicht so weiter. Ben ließ die Figur in sein Zimmer gehen. Es war wie sein echtes Zimmer gestaltet, Bett, Schrank, Schreibtisch – alles da. Nur der Computer fehlte. Ein bisschen Spaß hätte Einstein ihm schon gönnen können. Obwohl es irgendwann recht seltsam geworden wäre, wenn er hier am Computer gesessen hätte und spielte, dass seine Spielfigur am Computer saß und spielte. Wenn der dann dasselbe Spiel spielen würde wie Ben, wäre es so ein Unendlichkeitsding.

Es half nichts. Ben öffnete erneut den Aufgabenzettel und versuchte, Frage für Frage zu beantworten. Doch bereits die zweite Aufgabe konnte er nicht lösen. Aber er machte sich keine Sorgen. Kein Spieleentwickler ließ die Spieler schon im ersten Level scheitern. Die Lösungen für die Aufgaben mussten ganz einfach sein. Oder, was noch besser wäre, er fand die Antworten in Geheimfächern. Statt weiter über die Fragen zu grübeln, ließ Ben seine Spielfigur den Raum erkunden und klickte alles Mögliche an, um verborgene Fächer zu finden.

„Ben! Frühstück!“, hörte er aus den Lautsprechern seine Spielmutter nach seiner Spielfigur rufen. Wie im wirklichen Leben. Er ignorierte es und ließ seine Figur den Raum weiter nach Items absuchen. Das Rufen ließ nicht nach, und Ben realisierte, dass die Rufe aus der Küche kamen, seine wirkliche Mutter rief nach ihm. Nein, genauer gesagt, beide Mütter riefen nach ihm. Aus den Lautsprecherboxen die virtuelle Mutter und aus der Küche die echte. Es war nicht zu unterscheiden, welches die echte und welches die Spielstimme war. Unheimlich. Aber wenn er noch mit seinen Eltern frühstücken wollte, sollte er jetzt nach unten gehen. Er stand auf und ging zum Flur. Der Fußboden schien unter ihm zu wanken und er musste sich kurz am Türrahmen festhalten. Ihm war schwindlig.

***

Er fing sich wieder, rief, „Ja, ich komme ja!“, und ging aus dem Zimmer. Im Flur stieß er gegen die Kommode. „Autsch!“ Irgendwie kam es ihm hier enger vor als sonst. In der Küche waren seine Eltern bereits beim Frühstück. Ben setzte sich dazu und nahm sich ein Brot.

„Hast du deine Hausaufaufgaben schon gemacht?“, fragte sein Vater. Ben war irritiert. Wieso fing er jetzt damit an?

„Wolltet ihr nicht längst weg sein?“

„Du musst immer fleißig lernen, damit du es zu etwas bringst im Leben.“

Ben stopfte sich ein großes Stück Brot in den Mund. Das schmeckte heute nach nichts.

„Du musst fleißig sein in der Schule“, lamentierte seine Mutter.

Ben klopfte sein Ei auf und griff zum Salzstreuer. Doch der ließ sich nicht vom Tisch abheben. Ben rüttelte daran – nichts. „Was ist denn damit?“ fragte er.

Seine Eltern sahen ihn unschuldig an.

„Was soll denn damit sein?“

„Na, der klebt am Tisch.“

„Der klebt am Tisch?“

„Sag ich doch, ich krieg ihn nicht los.“

„Du kriegst ihn nicht los?“

„Wiederholt doch nicht alles, was ich sage.“

„Wir wiederholen alles, was du sagst?“

Ben sah seine Eltern verdutzt an. Was war heute los mit ihnen? Doch beide sahen ihn arglos und freundlich lächelnd an.

„Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“, leierte sein Vater wieder von vorne herunter.

„Mach ich noch. Was ist mit eurer Reise? Müsst ihr nicht langsam los?“

Seine Mutter nahm ihm das Brot und das Ei weg und fügte hinzu:

„Du bekommst dein Essen erst, wenn du die Hausaufgaben fertig hast.“

Ben sah sie verblüfft an. Sollte das ein Scherz sein? Er war noch nie mit Essensentzug bestraft worden. Außerdem erinnerte es ihn an das Computerspiel. Da war die Aufgabe: Erst die Hausaufgaben, dann gab es Abendessen. „Warum redet ihr ständig von meinen Hausaufgaben? Ihr wisst doch, dass ich heute mit Einstein mein Bio-Projekt mache.“

„Das ist schön, aber du musst jetzt wirklich deine Hausaufgaben machen.“

Hatten sie nicht zugehört? „Ja, die mache ich auch. Aber hauptsächlich das Projekt. Ich werde das ganze Wochenende für die Schule arbeiten. Wir machen ja die PowerPoint-Präsentation am Computer.“

„Am Computer?“

„Haben wir doch erzählt.“

„Du hast keinen Computer.“

Ben sah verwirrt auf. „Quatsch, in meinem Zimmer steht er doch.“

„Da steht kein Computer. Du kannst also deine Hausaufgaben sofort machen.“

„Und ob ich einen Computer habe!“ Das würde er ihnen beweisen. Er sprang auf und eilte aus der Küche. Er quetschte sich im Flur an der Kommode vorbei. Wieso war es so eng hier? Er öffnete die Tür zu seinem Zimmer.

Der Computer war weg. Ben starrte auf den leeren Schreibtisch. Wie konnte das sein? Seine Eltern saßen doch die ganze Zeit mit ihm zusammen? Wie hatten sie es hingekriegt, den Computer wegzustellen? Fassungslos ging er zurück. Sie saßen genauso da wie zuvor.

„Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“

„Du musst immer fleißig lernen, damit du es zu etwas bringst im Leben.“

Hatte er ein Déjà vu? Oder wiederholte sich hier alles? Seine Eltern waren manchmal nervig, aber so schräg hatte er sie noch nie erlebt.

„Was habt ihr mit meinem Computer gemacht?“

„Du hast keinen Computer.“

Jetzt reichte es ihm. „Ich gehe frische Luft schnappen!“, sagte er und rannte raus. In den Flur, zur Eingangstür, drückte den Griff hinunter … Sie ließ sich nicht öffnen. Hatten sie ihn etwa eingesperrt? Er ging zurück in die Küche. Seine Eltern sahen ihn freundlich an. Der Vater fragte: „Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“

Ben wurde schwindelig. Was war hier los? Seine Eltern benahmen sich stumpf und monoton, wie Maschinen.

„Du musst deine Hausaufgaben machen, damit du etwas zu essen bekommst, um deinen Regenerationsbalken aufzufüllen“, hörte Ben wie durch Nebel.

„Was?“, rief er entsetzt aus. „Regenerationsbalken?“

Seine Mutter griff nach seinem Arm und drehte ihn um. Ein blauer und ein grüner Streifen waren auf seinem Unterarm zu sehen. „Der Lebensbalken und der Regenerationsbalken.“

Das Paralleluniversum

Ben starrte fassungslos auf seinen Arm. Seine Gedanken rasten. Was war das hier? War das auch ein Computerspiel? War er in sein Spiel geraten und spielte jetzt selbst mit, als der kleine Ben? Waren seine Eltern Spielfiguren, die immer dasselbe plapperten? War das hier die begrenzte Spielwelt und die Tür ließ sich deshalb nicht öffnen, weil er das Level noch nicht bestanden hatte? Würde sie sich je öffnen lassen? Oder war er gefangen? Er ließ sich auf den Stuhl plumpsen. Seine Eltern plapperten ihren eintönigen Text herunter, aber er hörte gar nicht mehr zu. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Das konnte nicht sein. Sowas gab es nicht. Er musste träumen oder Halluzinationen haben. Er blickte auf seinen Arm und sah ganz deutlich die beiden Balken. Sie ließen sich auch nicht wegwischen, so fest er daran rieb.

Er war in seinem Spiel! Aber wie war das passiert? Hatte Einstein ein Spiel entwickelt, in das der Spieler persönlich eintauchte? Dann wusste sie, dass er hier drin war, und würde ihn wieder rausholen – hoffte er. Doch was war, wenn sie es nicht wusste, weil es ein Bug, ein Fehler im Spiel war? Dann wusste kein Mensch, wo er war. Wie kam er jemals wieder heraus? Sein Herz raste vor Angst, ihm wurde übel. Er musste ruhiger werden. Er versuchte, sich zu sammeln, nachzudenken.

„Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“

Hier konnte er keinen klaren Gedanken fassen.

Er eilte in sein Zimmer und schmiss die Tür hinter sich zu.

War das hier wirklich eine Spielwelt? Er ging zum Nachttisch, rüttelte an der Schublade. Doch sie ließ sich nicht öffnen. Er sah sich um. Fasste vorsichtig die Wand an. Sie fühlte sich an wie … Metall. Plötzlich kam ihm der Raum eng vor. Eingesperrt! Wie kam er hier raus? Hilfesuchend sah er zur Decke.

„Einstein! Hol mich hier raus! Mama! Papa! Hört mich keiner?“

Stille war die einzige Antwort.