Love not Lost - Wunschlos - Carly Phillips - E-Book

Love not Lost - Wunschlos E-Book

Carly Phillips

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Beschreibung

Vier starke Frauen – und attraktive Männer, die sie schwach werden lassen: Die neue Reihe der Bestsellerautorin Carly Phillips

In ihrer Jugend träumte Andrea Harmon von einem Märchenprinzen, an dessen Seite sie einst ihr Leben zubringen würde. Während ihr bester Freund Kyle Davenport jahrelang heimlich in sie verliebt ist, wählt Andi ausgerechnet einen Mann, der sich als wahr gewordener Alptraum entpuppt. Schon bald bereut sie ihre Entscheidung zutiefst und auch die Freundschaft zu Kyle zerbricht. Bis er eines Tages wieder vor ihr steht – als neuer Lehrer ihres Sohnes. Und dieses Mal will er um sie kämpfen. Doch Andis Ex-Mann ist kein guter Verlierer…

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Das Buch

Er vermisste jene Tage, heute mehr denn je, da sie zusammen im selben Raum waren und sich unterhielten … und er wollte sie wieder küssen. »Wir hatten viel Spaß damals, oder?«

Sie nickte, und ihr Blick wurde weicher, als sie ihn ansah. Er machte einen Schritt auf sie zu und atmete den Geruch ihrer Haare ein, die nach Pfirsich dufteten. Er streckte die Hand aus und strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. »Wir waren ein tolles Team.«

Als Freunde. Aber jetzt könnten sie mehr sein als das, und ihm wurde plötzlich klar, wie sehr er sich dieses mehr wünschte. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, und als er ihr flüchtig mit den Fingerknöcheln über die Wange strich, seufzte sie und lehnte sich an ihn.

Die Autorin

Carly Phillips, eine New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin, hat über 50 prickelnde Liebesromane geschrieben, mit heißen Männern, starken Frauen und den emotional fesselnden Geschichten, die ihre Leser*innen inzwischen erwarten und lieben. Sie ist glücklich verheiratet mit ihrer Collegeliebe, hat zwei fast erwachsene Töchter und drei verrückte Hunde, die auf ihrer Facebook-Fan-Page und ihrer Website zu bewundern sind. Carly Phillips liebt die sozialen Medien und steht in engem Kontakt mit ihren Leser*innen.

CARLY PHILLIPS

LOVE

not

LOST

Wunschlos

Aus dem Amerikanischen von Anu Katariina Lindemann

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe Dream (Rosewood Bay 4) erschien erstmals 2018 bei CP Publishing, West Harrison, New York

Deutsche Erstausgabe 01/2023

Copyright © 2018 by Karen Drogin, CP Publishing

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Barbara Häusler

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (white snow, Galina Timofeeva)

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-26241-9V001

www.heyne.de

KAPITEL 1

Andi Harmon mochte Nachmittagspartys, da es solche nur selten in ihrem Leben gab. Als alleinerziehende Mutter und Geschäftsführerin des städtischen Blumenladens In Bloom war sie eigentlich ständig erschöpft und ging nicht gerade oft aus, um ein bisschen Spaß zu haben. Ihr Bruder Kane und dessen Ehefrau Halley, die kürzlich ihre Schwangerschaft bekannt gegeben hatte, waren die Gastgeber der Party für Halleys Schwester Juliette, die sie erst vor Kurzem wiedergefunden hatten. Und da Halley und Kane am Strand wohnten, stand Andi nun da, blickte über die atemberaubende Bucht und unterhielt sich mit Juliette und Phoebe, Halleys anderer Schwester.

Andi blickte zum Wasser, wo ihr achtjähriger Sohn Nicky und Phoebes dreizehnjähriger Sohn Jamie herumtollten. Während sie sich mit Phoebe über das bevorstehende Schuljahr unterhielt, ließ sie die Jungs nicht aus den Augen. Juliette, die neu in Rosewood Bay war und selbst keine Kinder hatte, hörte den beiden zu.

»Ich habe gehört, dass Nickys Klasse einen neuen Lehrer bekommt«, sagte Phoebe.

Andi hatte zwar gewusst, dass der Bezirk einen Ersatz für Ms. Briggs suchte, die schwanger war und angekündigt hatte, nach der Geburt nicht wieder an die Schule zurückzukehren, doch bezüglich des Nachfolgers war sie nicht auf dem Laufenden. Als kleiner Bezirk gab es bei ihnen immer nur einen einzigen Lehrer pro Klasse.

»Sein Name ist Mr. Davenport«, fuhr Phoebe fort.

Als sie den Nachnamen hörte, setzte Andis Herz einen Schlag aus. »Kyle Davenport?«, fragte sie atemlos.

»Genau.« Neugierig sah Phoebe sie an. »Kennst du ihn etwa?«

»Ja, ist aber schon lange her«, murmelte Andi, die über etwas so Persönliches nicht reden wollte. Sie war ein zurückhaltender Mensch, etwas, was sie notgedrungen gelernt hatte.

Das letzte Mal, als sie Kyle gesehen und mit ihm gesprochen hatte, hatte sie ihm gesagt, er solle verschwinden, sie in Ruhe lassen und nie wieder belästigen. Bei der Erinnerung, wie sie ihren einst besten Freund behandelt hatte, krampfte sich ihr Herz zusammen. Und auch wenn sie damals die allerbesten Absichten gehabt und ihn nur hatte schützen wollen, hatte er das ja nicht gewusst. Er hatte nur ihre Zurückweisung wahrgenommen.

»Jedenfalls hab ich gehört, er soll ziemlich heiß sein«, meinte Phoebe, die nicht merkte, dass, je mehr sie über Kyle Davenport sprach, Andi sich immer unbehaglicher fühlte.

Phoebe versetzte Andi mit dem Ellbogen einen Rippenstoß. »Man weiß nie. Vielleicht wäre er ja der Richtige für dich.«

Wenn Phoebe wüsste … Damals war Kyle Andis Ein und Alles gewesen, schon seit Kindertagen an. Bis sie ging und sich in Billy Gray verliebte, den Highschool-Quarterback und Typen, mit dem jedes Mädchen in der Schule ausgehen wollte. Sei vorsichtig, was du dir wünschst, dachte sie heute, denn nachdem Billy auf sie aufmerksam geworden war, war nichts mehr so gewesen wie zuvor.

Sie schlang ihre Arme um sich, trotz des warmen Wetters fröstelte sie plötzlich. »Ich date nicht«, entgegnete sie, weil sie wollte, dass diese Unterhaltung endlich vorbei war. »Ich hab viel zu viel um die Ohren mit Nicky und meiner Arbeit.«

Juliette und Phoebe runzelten die Stirn angesichts dieser schroffen Bemerkung.

»Und du weißt, dass ich das für absoluten Blödsinn halte!«, entgegnete Phoebe. »Du bist wunderschön und hast eine tolle Persönlichkeit. Du könntest jeden Mann haben, den du willst, und der könnte sich glücklich schätzen, dich zu haben.«

»Warum wechseln wir nicht das Thema?«, schlug Juliette vor, die Andis Unbehagen offenbar spürte. »Ist Jamie schon aufgeregt, weil die Schule bald wieder anfängt?«, fragte sie Phoebe.

»Ja, er will natürlich seine Freunde wiedersehen. Aber Hausaufgaben? Da hält sich seine Begeisterung in Grenzen«, erwiderte Phoebe lachend. »Ist wohl ganz normal, nehme ich an.«

Immer noch aufgewühlt durch die Neuigkeit, dass Kyle nicht nur wieder zurück in Rosewood Bay war, sondern künftig auch noch der Klassenlehrer ihres Sohnes sein würde, hörte Andi dem Gespräch der beiden anderen nicht mehr zu. Sie brauchte jetzt ein paar Minuten für sich allein, um das Gehörte in Ruhe zu verdauen und sich wieder zu fangen.

»Entschuldigt mich«, murmelte sie und ging auf die andere Seite der hinteren Veranda, wo sie sich an das Geländer lehnte und langsam die frische, salzige Meeresluft einsog und wieder ausatmete.

Kyle war Lehrer geworden? Sie dachte über seine Eigenschaften nach, an die sie sich noch erinnern konnte. Er war ein Büchernarr gewesen, freundlich und konnte gut mit seinem jüngeren Bruder umgehen … Ja, sie konnte sich ihn durchaus als Pädagogen vorstellen, der mit Kindern arbeitete. Wenn sie gelegentlich seiner Mutter in der Stadt über den Weg gelaufen war, hatten sie es stets vermieden, über Kyle zu sprechen. Aber auch wenn es unausgesprochen blieb, hatte seine Mutter anscheinend verstanden, dass die Probleme und der Schmerz tief gingen. Was auch immer sie darüber wissen mochte, was zwischen den beiden vorgefallen war, war sie in den vergangenen Jahren trotzdem immer sehr nett Andi gegenüber gewesen.

Jetzt würde sich Andi also ihrer Vergangenheit stellen müssen und den Lügen, die sie erzählt hatte. Sie könnte es Kyle nicht verdenken, wenn er sie immer noch hassen würde, weil sie kurz nach ihrem Schulabschluss dermaßen mies zu ihm gewesen war. Und so gerne sie jetzt auch alles richtiggestellt und ihm erklärt hätte, warum sie ihn damals abgewiesen hatte, so würde das doch auch bedeuten, eingestehen zu müssen, wie schwach sie in Bezug auf Billy gewesen war. Und all die Schrecklichkeiten zuzugeben, die sie sich von ihm während ihrer Ehe hatte gefallen lassen.

Sie waren Geheimnisse, die sie niemals vorhatte irgendjemandem zu offenbaren.

* * *

Nach dem Unterricht wartete Kyle Davenport darauf, dass Nickys Mutter zum erbetenen Termin erscheinen würde. Er saß an seinem Schreibtisch und korrigierte Arbeiten seiner Schüler, war jedoch unkonzentriert, weil seine Gedanken immer wieder in die Vergangenheit zurückkehrten.

Seine Vergangenheit mit Andi Harmon.

Als er die Klassenliste erhalten und die Eltern die ausgefüllten Notfall-Formulare zurückgesandt hatten, war Kyle aufgefallen, dass der Nachname ihres Sohnes Nicky immer noch Gray lautete, Andi nach der Scheidung hingegen wieder ihren Mädchennamen Harmon angenommen hatte. Von der Scheidung hatte er erst erfahren, als er Ende des Sommers wieder zurück nach Rosewood Bay gezogen war. Seine Mutter hatte sich gehütet, mit ihm über Andi zu sprechen, deshalb hatte er auch nicht mitbekommen, wie ihr Leben weiterging. Er hatte es auch nicht wissen wollen.

Als Kyle beschloss, nach Rosewood Bay zurückzukehren, war ihm diese Entscheidung leichtgefallen – zumindest was seine Familie anging. Schon schwieriger war das Wissen, dass er auch Andi würde wiedersehen müssen. Nach seinem Highschool-Abschluss war er aus Rosewood Bay weg und aufs College gegangen, wo er seinen Master in Pädagogik gemacht hatte. Er kam nur noch in den Ferien zu Besuch nach Hause und ließ sich in Illinois nieder, wo er als Lehrer arbeitete.

Doch dann hatte sich seine Mutter im vergangenen Frühjahr bei einem Sturz die Hüfte gebrochen, und er saß wegen seiner Arbeit in einem anderen Staat fest und konnte ihr nicht beistehen. Da hatte er gewusst, dass er endgültig nach Connecticut zurückkehren würde, sobald das Schuljahr zu Ende war.

Er hatte sich längst eingestanden, dass seine jahrelange Abwesenheit ein Davonlaufen gewesen war. Andis schroffe Zurückweisung hatte ihn fast genauso getroffen wie ihre Entscheidung, den Highschool-Quarterback zu daten – den Typen mit dem schlechten Ruf. Obwohl Kyle sie gewarnt hatte, die Finger von ihm zu lassen. Es war weniger, dass er den Kerl gehasst hätte, den Andi zuerst datete und am Ende heiratete – wobei er dies doch tat –, er hatte jedoch trotzdem versucht, die Entscheidung seiner besten Freundin zu respektieren.

Es war eher, dass sie ihrer lebenslangen Freundschaft einfach den Rücken zukehrte und nie wieder zurückblickte, was ihn immer noch schmerzte. Sein Stolz war getroffen, aber das Gleiche galt auch für sein Herz. Denn obwohl sie beste Freunde gewesen waren, hatte er sie immer geliebt. Er hatte nur nicht den Mut gehabt, seinen Gefühlen zu folgen, und als er dann endlich so weit war, war bereits Billy Gray auf sie aufmerksam geworden, und Kyle hatte seine Chance verspielt. Und damit letzten Endes auch Andi.

Aber jetzt war er wieder zurück und musste sich mit ihr auseinandersetzen, um ihrem Sohn helfen zu können, der – wie Kyle sofort festgestellt hatte – im Vergleich zu seinen Mitschülern Lese- und Verständnisprobleme hatte. Kyle mochte es überhaupt nicht, Eltern etwas mitteilen zu müssen, das sie aus der Fassung bringen konnte, aber es gab so viele Möglichkeiten, einem klugen Jungen wie Nicky zu helfen, seine Probleme in den Griff zu bekommen.

Kyle richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Arbeiten auf dem Schreibtisch vor ihm, sah sie allerdings immer noch nicht ganz deutlich, während er auf Andis Ankunft wartete. Er konnte einfach nicht aufhören, über sie nachzudenken und zu überlegen, was sie wohl heute für ein Mensch war. Wie die Jahre sie verändert hatten. Wie ihre Ehe mit diesem Arschloch ihre süße, freundliche Persönlichkeit weiter verändert hatte, denn die Frau, die damals ihre Freundschaft beendete, war nicht die Andi gewesen, die er kannte.

Ein Klopfen ertönte, und als er aufblickte, sah er sie abwartend im Türrahmen stehen. Sie trug dunkle Jeans und eine lilafarbene Bluse, ihr welliges, braunes Haar fiel ihr über die Schultern, und ihre großen braunen Augen schauten ihn etwas unsicher aus ihrem hübschen Gesicht an.

Sie aus der Nähe zu sehen war wie ein Schlag in die Magengrube. Sie war zu einer atemberaubenden Frau geworden, ihre natürliche Schönheit schimmerte durch – von den Sommersprossen auf ihrer Nase bis hin zum Brustansatz in ihrem dezenten Dekolleté. Aus dem Ausschnitt ihres Oberteils lugte etwas Spitze ihres BHs hervor, der ihre üppigen Brüste betonte.

Er stand auf. »Komm rein«, sagte er mit rauer Stimme, sauer auf sich, weil ihm diese Merkmale sofort aufgefallen waren.

Sie betrat den Raum und kam zu seinem Tisch. »Hi«, begrüßte sie ihn leise.

»Hi.«

Unbehagliches Schweigen folgte. Da ein Sich-einander-Vorstellen überflüssig war und jedes Wie-ist-es-dir-so-ergangen-Geplauder nur peinlich und unaufrichtig gewesen wäre, fand er, dass er auch sofort zur Sache kommen könnte. Aber bevor er seine Gedanken sortieren konnte, begann sie zu sprechen.

»Wie ist es dir ergangen?«, fragte sie.

Er warf ihr einen scharfen Blick zu. Sie waren nicht hier, um Versäumtes nachzuholen. »Warum setzen wir uns nicht und sprechen darüber, warum du hier bist.«

Sein kurz angebundener Ton und seine eindeutige Ablehnung von Small Talk ließ sie zusammenzucken, sie fasste sich jedoch schnell wieder. »Ist mit Nicky alles in Ordnung?« Ihre Stimme verriet aufrichtige Sorge um ihren Sohn.

»Setz dich.« Er wies auf den Stuhl vor dem Metalltisch.

Sie tat, wozu er sie aufgefordert hatte, schlug ihre langen Beine übereinander und beugte sich vor, offensichtlich offen für das, was er ihr zu sagen hatte. Er wusste es zu schätzen, dass sie nicht automatisch in die Defensive ging und sofort vom Schlimmsten ausging, wie es bei manchen Eltern der Fall war. Ein Elternteil, der zugänglich war, erleichterte ihm seinen Job. Und wenn sie trotz ihrer Vergangenheit Umgang miteinander haben mussten, war er darauf angewiesen, dass sie seinen Ideen gegenüber aufgeschlossen war.

»Mir ist bewusst, dass das Schuljahr erst vor wenigen Wochen angefangen hat, aber mir sind bei Nicky ein paar Dinge aufgefallen, die meiner Meinung nach darauf hinweisen, dass er ein Problem mit dem Lesen hat.« Er kam sofort auf den Punkt, ohne vorher lange um den heißen Brei herumzureden.

Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie ihn an. »Ich wusste zwar, dass er Probleme damit hat, aber ich dachte, dass er einfach nur langsam lernt. Du weißt schon, so eine Jungssache eben.«

Kyle schüttelte den Kopf. »Er tut sich schwer, seinem Alter angemessene Wörter zu erkennen, und weicht aus, wenn er aufgefordert wird vorzulesen.« Dann berichtete Kyle ihr noch von weiteren Verhaltensweisen, die ihm aufgefallen waren.

Andi rang die Hände und blickte auf sie hinunter. »Er hat mir erzählt, dass er sich dumm vorkommt, wenn er vorliest, aber ich dachte, dass er nur ein bisschen frustriert ist.« Sie tupfte sich über die Augen, offensichtlich bestürzt, dass sie nicht mitbekommen hatte, dass etwas nicht stimmte. »Ich hätte aufmerksamer sein müssen. Aber tagsüber ist einfach immer so viel los – zwischen der Arbeit und der Schule, den Hausaufgaben und den Freizeitbeschäftigungen.«

Er wollte jetzt verdammt noch mal kein Mitleid mit ihr haben, aber ihre Emotionen berührten ihn dennoch, auch wenn er nicht in ihre Probleme mit hineingezogen werden wollte. Er wollte nur ihrem Kind helfen – nicht mehr und nicht weniger.

Er erhob sich, ging um den Schreibtisch herum und nahm auf einem Stuhl neben ihr Platz. Ihr Pfirsichduft wehte sofort zu ihm herüber und weckte seine Urinstinkte. Er hatte gehofft, zur Hölle nein, er hatte Nächte damit verbracht, dafür zu beten, dass das Verlangen, das er vor Jahren für sie empfunden hatte, verschwunden war. Dass er in den gut zehn Jahren, die vergangen waren, über sie hinweggekommen war. Aber angefangen bei der Art, wie er ihr Äußeres bewunderte, bis hin zu der Tatsache, dass sich sein Herz zusammenzog angesichts ihres unübersehbaren Schmerzes wegen ihres Sohns, war das nicht der Fall.

Er ignorierte diese rein biologische Reaktion und schob die emotionale beiseite, konzentrierte sich stattdessen auf den Grund ihres Treffens. Es war normal, dass sich Eltern vorwarfen, ein Problem ihres Kindes nicht mitbekommen zu haben, aber es war ja nun mal so, dass die Tage schnell vergingen und er als Lehrer mehr Stunden am Tag mit Nicky verbrachte als sie.

Er streckte die Hand nach ihrer aus, zog sie dann jedoch reflexartig wieder zurück, weil er keine persönliche Grenze überschreiten wollte. Wenn er so etwas nicht bei irgendeinem anderen Elternteil tun würde, dann mit Sicherheit auch nicht bei Andi. »Es ist nicht deine Aufgabe zu wissen, was für seine Altersstufe angemessen ist. Das ist mein Job. Und was sein Leseproblem angeht, gibt es auch gute Neuigkeiten.«

»Und die wären?« Sie schaute mit ihren braunen Augen hoffnungsvoll zu ihm auf.

Er räusperte sich. »Wir sind eine kleine Klasse, und ich habe die Möglichkeit, auf derartige Schwierigkeiten näher einzugehen. Ich wurde im Bereich sprachliche Probleme ausgebildet. Ich kann nach dem Unterricht noch etwas länger mit ihm arbeiten und ihm dabei helfen, Strategien zu entwickeln, die ihm das Lesen leichter machen.«

»Das würdest du tun?«, fragte sie. Offenbar war sie überrascht, dass er sich für sie solche Umstände machen würde.

»Das ist mein Job.«

Sie schluckte und nickte, dann wandte sie den Blick ab. »Stimmt. Also, was kann ich zu Hause tun, um ihm zu helfen?«

Er konnte nicht abstreiten, dass sie ganz offensichtlich eine gute, fürsorgliche Mutter war. »Ermutige ihn«, riet er ihr. »Lobe ihn für seine Bemühungen und nicht nur für das Endresultat. Und hab vor allem viel Geduld mit ihm. Lass ihn nicht spüren, dass du wegen dieser Situation gestresst oder besorgt bist. Wir wollen, dass er bei der Sache bleibt.«

Kyle stand auf und beendete das Treffen damit praktisch. Andi verstand den Wink und erhob sich ebenfalls. »Danke, dass du so aufmerksam warst.«

Er nickte. »Sollte Nicky wegen dieser Sache übermäßig gestresst wirken, können wir auch den Schulpsychologen hinzuziehen. Aber wenn er nichts gegen die Nachhilfe nach dem Unterricht hat, sollten wir damit anfangen.«

Sie nahm ihre Handtasche und sah ihn an. »Ich weiß es wirklich sehr zu schätzen, dass du dieses Treffen nicht irgendwie unangenehm machst.« Sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. »Da Nicky in deiner Klasse ist und du ihn jetzt unterrichtest, sollten wir unsere Vergangenheit beiseitelassen … Nicky zuliebe.«

»Ich bin Profi, Andi. Meine Schüler haben Vorrang vor irgendwelchen privaten Problemen.« Anders gesagt: Er trug ihr immer noch nach, wie sie ihn damals behandelt hatte und wollte nicht, dass sie Gegenteiliges dachte.

Es war nicht einfach, jetzt etwas mit ihr zu tun zu haben, denn sie war noch genauso schön wie immer und noch genauso so schwer erreichbar für ihn wie eh und je.

* * *

Andi trat aus Kyles Klassenzimmer, ihren letzten Rest an Würde und Gelassenheit aufrechterhaltend. Erst als sie sich sicher war, dass er die Tür hinter ihr auch wirklich geschlossen hatte, lehnte sie sich Halt suchend gegen die nächste Wand und versuchte ihre Fassung wiederzuerlangen.

Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, wie er heute aussehen würde, aber er hatte sich verändert … und war doch auch nach wie vor der Alte. Sein Haar war immer noch dunkelbraun und fiel ihm in die Stirn auf eine Art, die so dermaßen vertraut war, dass sie einen Kloß im Hals bekam. Er hatte ein hellblaues Hemd getragen, dessen hochgekrempelte Ärmel gebräunte Unterarme mit Muskeln zum Vorschein brachten, die er früher noch nicht besessen hatte. Sie fragte sich, wie wohl sein Brustkorb unter dem Hemd aussah. Seine Jeans schmiegten sich um kräftige Schenkel und einen sexy Hintern.

Sie hatte ihn zuvor nie als einen attraktiven Mann wahrgenommen, eine Erkenntnis, die nun ebenso überraschend wie verwirrend war. Er war einmal ihr bester Freund gewesen, aber jetzt sah sie ihn. Alles von ihm. Auch den kühlen Ausdruck auf seinem Gesicht und in seinen goldbraunen Augen, wenn er sie ansah. Und sich weigerte, die grundlegendsten Höflichkeiten auszutauschen.

Sie hätte damit rechnen sollen, dass er sie so behandeln würde, doch bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich darüber keine Gedanken machen müssen, schließlich war Kyle Davenport bis jetzt lediglich Nickys Phantomlehrer gewesen. Sie hatte sich bis jetzt nicht direkt mit ihm auseinandersetzen müssen, auch wenn ihr Sohn ständig in den höchsten Tönen von seinem Lehrer geschwärmt hatte. Mr. Davenport war Nickys absoluter Lieblingslehrer. Ohne Einschränkungen.

Das Wissen, dass sie Kyle wiedersehen würde, hatte ihr den ganzen Tag bei der Arbeit im Magen gelegen. Und weil Hannah, ihre junge Halbtagskraft, sich krankgemeldet hatte, hatte Andi auch keine Zeit mehr gehabt, um vor dem Gespräch mit Kyle noch einmal nach Hause zu gehen, um sich frisch zu machen. Also war sie einfach hingegangen, wie sie war, und hatte auf das Beste gehofft.

So viele Jahre waren inzwischen vergangen, aber wenn sie ihn ansah, dann hatte sie das Gefühl, als wäre ihr letztes Zusammentreffen erst gestern gewesen – als beste Freunde, die sich nicht vorstellen konnten, dass jemals etwas zwischen sie treten könnte.

Aber etwas – beziehungsweise jemand – hatte es getan. Sie musste akzeptieren, dass Kyle nie wieder so mit ihr umgehen würde wie früher.

Sie richtete sich auf, straffte die Schultern und verließ das Schulgebäude. Dabei rief sie sich ins Gedächtnis, dass ihre Priorität nicht auf ihrer nicht existierenden Beziehung mit Kyle Davenport lag. Am wichtigsten war ihr Sohn, und sie würde alles tun, um ihm das Lernen zu erleichtern.

Sie hielt noch beim Supermarkt und kaufte fürs Abendessen ein, bevor sie weiter zur Werkstatt ihres Bruders fuhr, um Nicky abzuholen, der nach der Schule zu seinem Onkel und Großvater gegangen war. Er verbrachte gerne Zeit mit ihnen, und wenn ihr Bruder Kane zu tun hatte, dann versuchte ihr Vater Jonathan Nicky mit dessen Hausaufgaben zu beschäftigen, wodurch er Andi auch noch Arbeit abnahm.

Sie ging ins Büro, wo sie ihren Sohn vorfand, der ihrem Dad gegenüber am Schreibtisch saß und Karten in der Hand hielt.

Sie räusperte sich.

Jonathan sprang auf. »Wir zocken nicht, ich schwör’s!«, rief er, noch bevor Andi überhaupt etwas sagen beziehungsweise ihm Vorwürfe machen konnte.

Jonathan war spielsüchtig und konnte nie auf ein Spiel verzichten, von dem er glaubte, es gewinnen zu können. Das Problem war, dass er davon ausging, sie alle gewinnen zu können, gewöhnlich jedoch verlor und sich am Ende verschuldet hatte. Nach dem letzten Vorfall war Andi aus dem Haus ihres Vaters ausgezogen, und sie und Nicky hatten sich etwas Eigenes gesucht.

Sie hatte wirklich Glück gehabt. Ein älteres Ehepaar, das sein Haus behalten und nicht verkaufen wollte, hatte es Andi vermietet. Jetzt besaßen sie und Nicky ein schönes Zuhause, und sie musste sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob ihr Vater die ganze Nacht unterwegs war oder Geld einsteckte, das sie hatte herumliegen lassen.

»Mom!« Nicky warf die Karten auf den Tisch und sprang auf. Ihr Junge war ziemlich gewachsen, er war groß und schlaksig, hatte lange Arme und Beine und die gleichen dunkelbraunen Haare wie sie. Von seinem Vater Billy hatte er nicht viel – weder von dessen Aussehen und definitiv nichts von dessen tyrannischem Wesen, worüber sie immer froh gewesen war.

»Hi, Nicky. Hi, Dad.« Sie lächelte beide an, nicht gewillt, mit ihrem Vater wegen des Kartenspiels einen Streit vom Zaun zu brechen.

»Warum wollte sich Mr. Davenport eigentlich mit dir treffen?«, fragte Nicky.

Sie streckte die Hand aus, um ihm durchs Haar zu wuscheln, überlegte es sich dann jedoch anders. Er wurde langsam zu alt für ihre spontanen, babymäßigen Berührungen, wie er es nannte. Aber er würde immer ihr Baby bleiben, auch wenn er so etwas nicht hören wollte.

»Er wollte mit mir über dein Lesen reden«, antwortete sie vorsichtig.

»Bäh! Ich hasse es«, murmelte Nicky daraufhin.

»Und er meint zu wissen, wo das Problem liegt. Lass uns beim Abendessen in Ruhe darüber reden, aber Kyle – ich meine Mr. Davenport – glaubt, dass er dir helfen kann.« Sie lächelte ihn aufmunternd an. »Bist du so weit, um nach Hause zu gehen?«

»Seine Hausaufgaben hat er fertig«, erklärte Jonathan.

»Super! Dann hast du jetzt freie Zeit«, sagte sie zu Nicky. »Bist du startklar?«

»Hi, Schwesterchen!« Kane kam aus der Werkstatt ins Büro und wischte sich dabei die Hände mit einem Lappen ab. Für Andi war er immer ihr Fels in der Brandung gewesen, jedenfalls solange sie es zugelassen hatte.

»Hi! Wie geht’s?«, fragte sie.

»Könnte gar nicht besser sein. Ich wollte mich gerade auf den Heimweg zu meiner Ehefrau machen.«

Scherzhaft rollte Andi mit den Augen. Ihr Bruder und seine Frau Halley zeigten ihre Liebe ständig und überall, und sie freute sich für die beiden. Halleys Kindheit war nicht einfach gewesen, und Kane kennen und lieben zu lernen, hatte dazu beigetragen, dass sie sich anderen Menschen gegenüber geöffnet hatte. Und ihr Bruder hatte endlich die richtige Frau gefunden. Andi war nicht neidisch. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie in ihrem Leben ein paar äußerst falsche Entscheidungen getroffen hatte, und war froh, dass Billy eine andere Frau kennengelernt hatte, auf die er sich konzentrieren konnte, und sich nicht mehr für sie und Nicky interessierte.

Er hatte eine reiche Frau kennengelernt, als diese ihren Sommerurlaub in Rosewood Bay verbrachte, die ihm seinen Lebensstil finanzieren konnte. Und er war mehr als froh gewesen, Andi das alleinige Sorgerecht für ihren gemeinsamen Sohn Nicky überlassen und sich damit jeglicher Verantwortung entziehen zu können. Das ersparte ihr sein dominantes Gebaren und seine Launen, und das war alles, was für sie zählte.

Sie hatte kein Interesse daran, dass jemals wieder ein Mann in irgendeiner Form die Kontrolle über ihr Leben übernahm.

* * *

Da Andi berufstätig war und deshalb tagsüber nicht in der Schule sein konnte, um dort freiwillig mitzuhelfen, nahm sie gerne an Abendveranstaltungen der Eltern-Lehrer-Organisation teil.

Auf diese Weise wusste Nicky zumindest, dass es sie interessierte, was wichtig für ihn war. An diesem Abend fand eine sogenannte Eiscreme-Party statt, bei der die Kinder für einen vergnüglichen Abend zusammenkamen, und gleichzeitig Geld für einen neuen Schulspielplatz gesammelt wurde.

Andi zog sich Jeans und ein weißes T-Shirt an, dann machten sie sich auf den Weg. Sie und Nicky kamen früh bei der Schulturnhalle an, um beim Aufbau zu helfen. Ihre Freundin Georgia Hannity begrüßte sie vor dem Tisch, auf dem bereits kleine Wannen mit Vanille-, Schoko- und Erdbeereis für die Kinder bereitstanden.

Georgia war die Leiterin der Eltern-Lehrer-Organisation und eine sehr warmherzige Person. Zudem war sie mit ihren blonden Haaren und den blauen Augen einfach hinreißend, es war nicht schwer, sie zu mögen.

»Hey!« Georgia umarmte Andi. »Schön, dich zu sehen.«

Andi lächelte. »Ich freu mich auch, dich zu sehen.«

»Wo ist Mark?«, erkundigte sich Nicky nach seinem gleichaltrigen Freund.

»Der hilft seinem Vater bei der Dekoration.« Georgia zeigte in den hinteren Bereich der Halle, wo ihr Mann Rick auf einer Leiter stand und Kreppbänder an der Wand anbrachte.

»Du hast echt Glück, einen Mann zu haben, der nicht nur zu Hause mit anpackt, sondern auch in der Schule«, meinte Andi lächelnd, während Nicky zu seinem Freund hinüberrannte.

»Stimmt, er ist eine gute Partie«, erwiderte Georgia. »Apropos gute Partie: Hast du den neuen Lehrer der Kinder schon gesehen?« Sie fächelte sich mit der Hand Luft zu. »Mr. Davenport ist echt heiß!«

Bei der Erwähnung von Kyles Namen stieg Andi eine leichte Röte ins Gesicht. »Ja, er sieht gut aus«, stimmte sie Georgia zu. Und das war noch untertrieben.

Georgie beugte sich vor. »Gerüchten zufolge ist er noch Single.«

»Ja, ist er. Und ich bin mit ihm aufgewachsen«, bekannte Andi. Georgia und ihr Mann waren erst vor Kurzem nach Rosewood Bay gezogen und damals nicht mit ihnen zur Schule gegangen.

»Also seid ihr Freunde? Oder mehr? Weil du vielleicht wissen solltest, dass jede alleinerziehende Mutter hier daran interessiert ist, ihn näher kennenzulernen, um es mal dezent auszudrücken.« Georgia war schon immer ziemlich direkt gewesen.

Der Gedanke an Kyle mit einer anderen Frau versetzte Andi einen eifersüchtigen Stich. Was völlig lächerlich war in Anbetracht dessen, dass sie überhaupt nicht zusammen waren und sie ihn abgesehen von ihrer einzigen Begegnung neulich jahrelang nicht mehr gesehen hatte.

Sie wollte jetzt wirklich nicht über Kyle reden. Und über sich und Kyle noch weniger. »Wie ist es dir denn in der Zwischenzeit ergangen?«, fragte sie ihre Freundin, um das Thema zu wechseln.

»Gut, wenn du das Magenvirus nicht dazuzählst, das letzte Woche bei uns daheim umging.« Angewidert verzog Georgia das Gesicht und äffte ein Würgen nach.

Andi nickte verständnisvoll. »Nicky hatte es sich auch eingefangen, hat mich angesteckt, und ich konnte zwei Tage nicht zur Arbeit.«

»Aber jetzt sind wir alle wieder gesund, stimmt’s?«

Andi hob eine Hand und kreuzte die Finger. »Wollen wir hoffen, dass es so bleibt.« Jeder Elternteil hier konnte das wohl nachempfinden, dachte sie. »Wie kann ich jetzt helfen?«

Georgia schaute sich in der Halle um. »Hättest du Lust, Eis auszuteilen?«

»Was immer du brauchst.« Andi stellte sich hinter den Tisch und schnappte sich einen Eisportionierer aus Metall.

Kurz darauf verkündete Georgia, dass der Eisstand eröffnet sei, woraufhin sich eine Schlange davor bildete. Andi ackerte eine halbe Stunde, stieß den Portionierer in das harte Eis und gab es den Kindern, bis jemand kam, um sie abzulösen. Ihre Hände waren schon ganz klebrig und kalt, ihr Shirt war voller Flecken, aber die Kinder waren im Zuckerrausch und glücklich, was das Einzige war, das zählte.

Andi machte sich auf den Weg zu den Toiletten, um sich zu säubern, und schlängelte sich durch die Kinderschar, die in die Turnhalle geströmt war. Doch ein Blick auf die Schlange vor den Kinderklos sowie die Erinnerung an die winzigen offenen Kabinen genügte, dass sie ihre Meinung änderte und einen Abstecher zu den Damentoiletten in der Nähe des Hauptbüros machte, wo sie ihre Privatsphäre hätte und fünf Minuten Ruhe, bevor sie wieder in die Turnhalle zurückkehren würde.

Dort wusch sie sich zunächst die Hände mit Wasser und Seife, um die klebrige Eiscreme zu entfernen. Auch ihr T-Shirt hätte eine gründliche Reinigung bitter nötig gehabt, aber da ließ sich im Augenblick nichts machen. Also trocknete sie sich die Hände ab und verließ die Damentoilette wieder. Vor der Tür stieß sie mit einem kräftigen Männerkörper zusammen.

»Hoppla«, hörte sie eine bekannte Stimme sagen, gleichzeitig ergriffen Hände ihre Unterarme.

»Entschuldigung.« Sie klammerte sich an Kyle, um das Gleichgewicht wiederzufinden, und hielt sich an seinen festen Muskeln fest, die sich unter ihren Handflächen spannten.

Er roch nach einem waldigen Eau de Cologne, das auf ihre Sinne einstürmte und sie ihn in diesem Moment überdeutlich als einen begehrenswerten Mann wahrnehmen ließ. Es war schon Ewigkeiten her, seit ihr das passiert war.

Sie ließ ihn augenblicklich los und trat einen Schritt zurück. »Ich hatte nicht gedacht, dass sich noch jemand in diesem Teil der Schule aufhält.«

»Ich musste noch etwas aus meinem Klassenzimmer holen.«

»Bist du wegen der Eiscreme-Party hier?«, fragte sie.

Er nickte. »Ja, ich hab den Kindern versprochen, dass ich vorbeischaue.«

Unwillkürlich musste sie über sein Engagement lächeln. »Nicky wird sich jedenfalls wahnsinnig freuen, dich zu sehen. Du bist nämlich sein Lieblingslehrer.«

»Gut zu wissen.« Ein bezauberndes Grübchen erschien auf einer seiner Wangen, während er ein Grinsen unterdrückte. »Sieht ja ganz so aus, als hättest du ziemlich hart gearbeitet«, stellte er mit Blick auf ihr mit Schokoladen- und Erdbeereisflecken übersätes T-Shirt fest, woraufhin ihre Brustwarzen augenblicklich hart wurden. Sie bemerkte es, als sie an sich herunterschaute, und aufgrund ihres weißen T-Shirts war es unübersehbar.

Sie begegnete seinem Blick, ihr Gesicht glühte förmlich. Er streckte eine Hand aus, um sie zu berühren, zog sie dann jedoch schnell wieder zurück und runzelte die Stirn.

»Bereit, wieder in die Turnhalle zurückzugehen?«, fragte er schroff, offenbar unzufrieden mit sich, dass er sie auf diese Weise wahrnahm. Ganz eindeutig wollte er sich keinesfalls noch länger mit ihr unterhalten.

Aber angesichts der Tatsache, dass ihr Sohn in seine Klasse ging und sie sich zwangsläufig wieder über den Weg laufen würden, wollte sie es nicht hinnehmen, dass er die Dinge zwischen ihnen so schwer machte.

»Bevor wir gehen – da ist etwas, worüber ich mit dir reden wollte«, sagte sie.

»Geht es um Nicky?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, um uns.«

»Da gibt es nichts zu bereden.« Er drehte sich um und wollte gehen, aber sie griff nach seinem Arm. Wobei sie nicht auf die Hitzewallungen vorbereitet war, die sie bei dieser neuerlichen Berührung überkamen.

»Das wird ein langes Jahr, wenn wir die Vergangenheit nicht hinter uns lassen.«

Sein finsterer Gesichtsausdruck war entschieden unfreundlich. »Was willst du, Andi? Vertraulichkeiten austauschen und dass wir wieder beste Freunde werden? Du hast selbst dafür gesorgt, dass daraus nichts wird. Hau ab und ruf mich nie wieder an – das war ziemlich deutlich. Auch noch über zehn Jahre später.«

Bei der Erinnerung zuckte sie zusammen. Billy hatte damals neben ihr gestanden, als sie Kyle anrief, um ihm das zu sagen. Er hatte ihren Arm gepackt, und der subtile Schmerz, als er ihn ihr verdrehte, machte nur allzu deutlich, was er ihr und Kyle antun würde, sollte sie ihre Freundschaft und enge Verbindung zueinander nicht beenden.