Love Redesigned – Lakefront Billionaires - Lauren Asher - E-Book
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Love Redesigned – Lakefront Billionaires E-Book

Lauren Asher

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Beschreibung

Wenn Kindheitsrivalen zusammenarbeiten müssen, sprühen die Funken!

Julian Lopez und Dahlia Muñoz kennen sich seit ihrer Kindheit – und hassen einander leidenschaftlich. Als Dahlia in ihre Heimat Lake Wisteria zurückkehrt, um sich von ihrer geplatzten Verlobung zu erholen, macht Julian ihr ein verführerisches Angebot: Der milliardenschwere Bauherr schlägt ihr vor, gemeinsam ein historisches Haus zu renovieren. Ein Wunsch seiner Mutter, den er ihr nicht abschlagen kann. Zähneknirschend schließen sie einen Waffenstillstand und bemühen sich, als Team zu funktionieren. Widerstreitende Gefühle, hitzige Diskussionen und die jahrelang unterdrückte Anziehungskraft stehen Julian und Dahlia dabei immer wieder im Weg. Wie lange können sie ihrem Verlangen widerstehen? Und schaffen sie es, gemeinsam die Probleme der Vergangenheit zu überwinden?

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Seitenzahl: 590

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Das Buch

Julian Lopez und Dahlia Muñoz kennen sich seit ihrer Kindheit – und hassen einander leidenschaftlich. Als Dahlia in ihre Heimat Lake Wisteria zurückkehrt, um sich von ihrer geplatzten Verlobung zu erholen, macht Julian ihr ein verführerisches Angebot: Der milliardenschwere Bauherr schlägt ihr vor, gemeinsam ein historisches Haus zu renovieren. Ein Wunsch seiner Mutter, den er ihr nicht abschlagen kann. Zähneknirschend schließen sie einen Waffenstillstand und bemühen sich, als Team zu funktionieren. Widerstreitende Gefühle, hitzige Diskussionen und die jahrelang unterdrückte Anziehungskraft stehen Julian und Dahlia dabei immer wieder im Weg. Wie lange können sie ihrem Verlangen widerstehen? Und schaffen sie es, gemeinsam die Differenzen der Vergangenheit zu überwinden?

Die Autorin

Lauren Asher hat eine überbordende Fantasie und verbringt ihre Freizeit mit Lesen und Schreiben. Ihr Traum ist es, an all die Orte zu reisen, über die sie schreibt. Sie genießt es, Figuren mit Ecken und Kanten zu erschaffen, die man einfach lieben muss. Wenn sie nicht gerade schreibt, durchforstet Lauren YouTube, schaut alte Episoden von »Parks & Recreation« und sucht nach neuen Restaurants auf Yelp. Sie arbeitet am liebsten direkt nach ihrem Morgenkaffee und würde nie ein Nickerchen verweigern.

LAUREN ASHER

LOVE REDESIGNED

LAKEFRONT BILLIONAIRES

BAND 1

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von Melike Karamustafa und Bettina Hengesbach

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe LOVEREDESIGNED erschien erstmals 2023 bei Bloom Books, USA.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 03/2024

Copyright © 2023. LOVEREDESIGNED by Lauren Asher

The moral rights of the author have been asserted.

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Lisa Scheiber

Umschlaggestaltung: zero-media.net nach dem Originalcoverdesign von Books and Moods

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978 - 3 - 641 - 31755 - 3

www.heyne.de

PLAYLISTS

Love Redesigned by Lauren Asher

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Love Redesigned

Playlist

Fuck Love Songs

Playlist

Stressed and Depressed

Playlist

Get Hammered

Playlist

Duke Brass: Greatest Hits

Playlist

Diese Liebesgeschichte enthält explizite Inhalte und potenziell triggernde Themen. Für eine detailliertere Liste mit Content Warnings scannt den QR-Code oder besucht: https://laurenasher.com/lrcw.

Für alle, deren Sprache der Liebe »Lob und Anerkennung« ist. Eure Sucht nach Lob ist bei mir sicher (und bei Julian Lopez).

KAPITEL EINS

JULIAN

Ich bin ungefähr zehn Sekunden davon entfernt, meinen gottverdammten Verstand zu verlieren, und schuld daran ist die unerträglich langsame Autofahrerin, die die einzige Straße blockiert, die in den Ort führt.

Die Sonne ist vor zwanzig Minuten untergegangen, sodass ich nichts anderes erkennen kann als das von meinen Frontscheinwerfern erleuchtete kalifornische Nummernschild. Ich widerstehe dem Drang, das Fernlicht aufblitzen zu lassen und zu hupen, obwohl ich ihm beinahe nachgebe, als der schwarze Mercedes leicht zur Seite ausschert, ehe er wieder zur Mitte der Spur zurückschwenkt.

Cálmate.* Bis zur Main Street sind es nur noch fünf Meilen.

Auch wenn ich versucht bin, das andere Auto zu überholen, damit ich rechtzeitig zur Talentshow meines Patensohnes komme, will ich nicht riskieren, meinen neuen McLaren auf dem unbefestigten Straßenrand zu beschädigen. Ich habe nicht die letzten paar Jahre meines Lebens damit verbracht, hin und her zu überlegen, ob ich mir tatsächlich meinen Traumwagen anschaffen soll, nur um eine Woche nach seiner Lieferung die Federung zu ruinieren.

Der Klingelton meines Handys, auf dem im nächsten Moment der Name meines Cousins angezeigt wird, lässt mich zusammenschrecken. Ich atme tief durch, ehe ich unwirsch die Annahmetaste am Lenkrad betätige.

»Wo zur Hölle steckst du?« Rafaels barscher Flüsterton erfüllt das Wageninnere.

»Ich bin in zehn Minuten da.«

Ein missbilligendes Brummen folgt. »Aber die Show beginnt schon in fünf.«

»Keine Sorge. Ich schaffe es, bevor Nico auf die Bühne kommt.«

»Kein Plan, wie das funktionieren soll, wenn er schon bei der ersten Nummer mitmacht.«

Mierda.** »Das wusste ich nicht.«

»Das Programm wurde in letzter Minute geändert, weil ein paar Kinder sich irgendwas eingefangen haben. Das hab ich dir heute Morgen geschrieben.« Er versucht nicht einmal, seine Verärgerung zu verbergen.

Meine Hände klammern sich wie von selbst fester um das Lenkrad. »Das Meeting in Lake Aurora hat viel länger gedauert als erwartet.«

»Natürlich.«

»Bald sollte es bei mir wieder etwas ruhiger werden.«

»Ganz bestimmt.« Sein ironischer Tonfall schürt meine Wut nur noch mehr.

Bevor seine Frau vor zwei Jahren die Scheidung einreichte, war Rafael als der gelassene Lopez-Cousin bekannt, der sich stets darum bemühte, allen anderen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.

Nun durchbricht sein resigniertes Seufzen die Stille. »Schon in Ordnung. Nico wird es verstehen.«

Mein Patensohn mag für seine acht Jahre reif sein, aber so reif nun auch wieder nicht. Und nach allem, was er während der Scheidung seiner Eltern durchgemacht hat, weigere ich mich, Teil der Liste seiner familiären Enttäuschungen zu werden.

»Deine Mom hat dir einen Platz hinten in der Aula freigehalten, falls du es doch noch schaffst.«

»Rafa, ich werde …«

Er beendet den Anruf, ehe ich meinen Satz beenden kann.

Pendejo.***

Rafa und ich sind in letzter Zeit häufig aneinandergeraten, hauptsächlich wegen seiner Art und meines vollen Terminkalenders, da ich das Bauunternehmen meines verstorbenen Vaters leite. Obwohl ich mein Bestes gebe, um mein Privatleben und meine Bemühungen unter einen Hut zu bekommen, Lopez Luxury so zu expandieren, wie es sich mein Vater in seinen wildesten Träumen nicht hätte ausmalen können, komme ich selbst stets zu kurz.

Ich betrachte den schmalen Streifen neben der Fahrbahn. Er ist abschüssig und schlammig, aber es müsste möglich sein, ihn für die paar Sekunden zu befahren, die ich benötige, um das Auto vor mir zu überholen.

Hör auf zu grübeln und tu’s einfach.

Der Rosenkranz, den meine Mutter an den Rückspiegel gehängt hat, dreht sich, als ich das Steuer zum Seitenstreifen herumreiße und das Gaspedal durchtrete.

Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als der andere Wagen plötzlich nach rechts ausschert.

Fuck. Fuck. Fuck!

Die Zeit scheint in dem Moment, in dem unsere Autos miteinander kollidieren, schneller zu vergehen. Mein Scheinwerfer zerspringt, und Metall knirscht, als die Motorhaube meines Wagens gegen die Stoßstange des anderen Autos prallt. Ich werde nach vorn geschleudert, doch sofort wieder nach hinten gerissen, als mein Anschnallgurt blockiert.

Zum Glück gehen die Airbags nicht auf, doch meine Erleichterung ist kurzlebig, denn mit einem Mal habe ich jegliche Hoffnung verloren, es noch rechtzeitig zu Nicos Show zu schaffen. Das Einzige, was in mir zurückbleibt, ist das Bedürfnis, die rücksichtslose Fahrerin anzubrüllen.

Atme fünfmal tief durch, um dich zu beruhigen. Die Erinnerung an die Stimme meines Dads zieht an den unsichtbaren Fäden, die um mein Herz gewickelt sind, bis das Engegefühl unerträglich wird. Ich habe ihn deutlich vor Augen, wie er mir hilft, nach einem meiner vielen Albträume wieder zur Ruhe zu kommen, einen tiefen Atemzug nach dem anderen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich fünfundzwanzig Jahre später die gleiche Strategie anwenden würde, aber hier sitze ich nun mit fest geschlossenen Augen und zwinge mich dazu, meine Atemzüge zu zählen, bis der Schmerz in meiner Brust abebbt, und ich nicht mehr vor Wut bebe.

Die kühle Brise des frühen Oktobers trifft mich, als ich auf das andere Auto zugehe. Die Fahrerin sitzt zusammengekauert am Steuer, ihre dunklen schulterlangen Haare versperren mir die Sicht auf ihr Gesicht.

Ich strecke die Hand aus, um an das Fenster zu klopfen, doch in dem Moment erklingt eine schrille Stimme aus dem Lautsprecher des Wagens. »Keine Sorge! Ich bin auf dem Weg!« Dann piept es zweimal, und die Verbindung wird unterbrochen.

Mit jedem schnellen Heben und Senken ihrer Schultern wird die Panik der Frau deutlicher.

»Hey.« Ich klopfe an die Scheibe, als sie nicht reagiert. »Alles in Ordnung?«

Sie hebt einen zitternden Finger vor das Glas, wobei sie den Kopf weiter gesenkt hält. »Eine Sekunde.« Ihre Stimme bebt.

Mein Magen zieht sich zusammen. »Brauchen Sie einen Krankenwagen?«

»Nein! Mir geht es gut!« Sie wendet mir abrupt den Kopf zu.

Vete a la chingada.****

»Julian?« Mein Name kommt Dahlia Muñoz mit einem heiseren Flüstern über die leicht geöffneten rosigen Lippen.

Es ist Jahre her, dass ich gehört habe, wie sie mit ihrer sanften Stimme meinen Namen ausspricht, und der Klang trifft mich härter als ein Vorschlaghammer gegen die Brust.

Das letzte Mal habe ich sie vor acht Jahren auf Nicos Taufe gesehen, als wir zu seinen Paten ernannt wurden. Wir hatten beide unseren Familien zuliebe ein Lächeln aufgesetzt, aber die Spannung und das unangenehme Schweigen zwischen uns erstickte mich fast, besonders weil wir seit der Beerdigung meines Vaters anderthalb Jahre zuvor nicht mehr miteinander gesprochen hatten.

Sie hatte das ganze Jahr in Stanford verbracht, auch die Sommerferien, während ich Abstand gehalten hatte, weil ich ein Feigling war.

Ein Feigling, der vollkommen überrumpelt war, als sie mit Oliver – meinem früheren Mitbewohner und ihrem neuen Freund – auftauchte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie Freunde, geschweige denn ein Paar werden würden, obwohl es Sinn ergab, wenn man Olivers Sticheleien bezüglich meiner Schwärmerei für Dahlia bedachte und wie er sie stets angesehen hatte, obwohl er wusste, was ich für sie empfand.

Seit der Taufe ist es uns beiden hervorragend gelungen, einander zu meiden – zumindest bis zum heutigen Abend, an dem sie all meine Bemühungen mit ihrem Überraschungsbesuch zunichtegemacht hat.

»Dahlia.« Der starke Drang zu fliehen, überwältigt mich, als sie ihren Blick über mich wandern lässt.

Ich verberge meinen Schock, als sie – obwohl ihr die Mascara an den Wangen hinabrinnt und ihr Kinn leicht bebt – erhobenen Hauptes aus dem Wagen aussteigt. Dahlia hat in den dreißig Jahren, die ich sie kenne, nur zweimal geweint – einmal als sie sich bei dem Versuch, mich beim Baumklettern zu besiegen, den Arm gebrochen hat, und das andere Mal auf der Beerdigung ihres Vaters.

Wie die Gezeiten dem Mond, bin ich Dahlias Anziehungskraft hoffnungslos erlegen, als ich mit meinem Blick die gesamte Länge ihres Körpers nachfahre.

Das schlichte weiße T-Shirt, das sie trägt, bringt ihre goldene Haut und das gewellte braune Haar zur Geltung, während ihre zerrissene Jeans, aus deren großen Löchern ihre Knie hervorblitzen, eher modisch als funktional wirkt. Ihre Kurven bilden den perfekten Ausgleich zu den hohen Wangenknochen und dem spitzen Kinn, die optimale Kombination aus weich und sinnlich.

Mein Nacken prickelt, und als ich aufblicke, sehe ich, dass Dahlia ihren Blick aus den geschwollenen, verengten Augen auf mich gerichtet hat. Die verlaufene Schminke kann ihrer Schönheit nichts anhaben, obwohl die dunklen Ringe unter ihren Augen mich dazu bringen, eine unüberlegte Bemerkung zu machen, ehe mein Gehirn hinterherkommt.

»Du siehst total verheult aus.«

Pinche estúpido.***** Im Gegensatz zu meiner Mom und meinem Cousin bin ich kein Typ, der gut im Umgang mit Menschen ist, wie sich wieder einmal zeigt.

Dahlias goldene Ringe funkeln im Mondlicht, als sie sich stirnrunzelnd über die Wangen wischt. »Ich hatte was im Auge.«

»In beiden Augen?« Ich stelle mich breitbeiniger hin und verschränke die Arme.

Sie betupft ihre Augenwinkel mit ihren Mittelfingern. »Wenn du ein netter Mensch wärst, würdest du so tun, als hättest du meine Lüge nicht durchschaut.«

»Seit wann sind wir nett zueinander?«

»Es ist niemals zu spät, um damit zu beginnen.«

Aufgrund unseres leichten Größenunterschieds ist sie gezwungen, den Kopf zurückzulegen, um mich richtig anschauen zu können. Ihre walnussbraunen Augen erinnern mich an lange zurückliegende späte Abende, an denen ich im Holzschuppen verbissen daran gearbeitet habe, meine neuesten Werke zu beizen.

Jeglicher Vorsatz, hart zu bleiben, wird zunichtegemacht, als sie schnieft.

»Allergien.« Angesichts ihres rechtfertigenden Tonfalls in Kombination mit dem Zucken ihrer Nase zieht sich meine Brust zusammen.

Was zur Hölle geht hier vor, und wie kann ich dafür sorgen, dass es aufhört?

Trotz des schnellen Hämmerns meines Herzens gegen meine Rippen bemühe ich mich um eine neutrale Miene. Meinem forschenden Blick hält sie nicht lange stand, ehe sie sich gegen die Tür zurücksinken lässt.

Mich überkommt der Drang, etwas zu sagen, aber mir fehlen die Worte.

In dem Moment durchbricht mein Klingelton die Stille. »Scheiße!«

Ihre Augenbrauen schießen in die Höhe. »Was ist passiert?«

Du. Immer du.

Schrille Sirenen verdrängen meine Antwort. Jeder Muskel in meinem Körper wird steif, als mehrere Fahrzeuge hintereinander um die Kurve kommen. Ein Löschfahrzeug der Feuerwehr und ein Krankenwagen führen die Einheit an, gefolgt vom Sheriff, seinen Deputys und dem Bus von Lake Wisteria.

Ihr wollt mich auf den Arm nehmen.

Dahlia schickt einen Fluch zu den Sternen hinauf. »Dios, dame paciencia con mi mamá.«******

Mein Blick bohrt sich in ihren. »Mit ihr hast du gerade also telefoniert?«

»Leider.«

In Lake Wisteria wird ein Blechschaden schnell zu einer Gemeinschaftskrise.

Sie machen sich keine Sorge um die Autos. Sondern um sie.

Dahlia ist mehr als meine Kindheitsrivalin. Sie ist die Erdbeerkönigin von Lake Wisteria und kehrt nach vielen Jahren, in denen sie ihren kalifornischen Traum gelebt hat, endlich zurück.

Und du bist der Cabrón,******* der sie fast in den Graben gedrängt hätte.

Ich reibe mir die pochende Schläfe.

»Meinst du, wir können entkommen, bevor sie hier sind?« Dahlias Blick schwenkt von mir zu meinem Auto.

»Das ist alles deine Schuld.« Die Worte rutschen mir einfach heraus.

Ein paar Minuten in Dahlias Gegenwart, und schon kehre ich zu der alten Angewohnheit zurück, zu sprechen, ohne vorher nachzudenken.

Ein weiterer Grund für die lange Liste von Gründen, warum du ihr aus dem Weg gehen solltest.

Sie stemmt eine Hand in die Hüfte. »Meine Schuld? Wir würden gar nicht in diesem Schlamassel stecken, wenn du nicht versucht hättest, mich zu überholen.«

»Ich hatte einen Termin.«

Sie wirft die Arme in die Luft. »Nun, ich war …«

Sie hört abrupt auf zu sprechen. Normalerweise sehne ich mich nach Stille, aber irgendetwas an der Tatsache, dass Dahlia sich bereits bei der ersten kleinen Auseinandersetzung verschließt, frustriert mich.

Grelle blinkende Lichter tauchen uns in Rot, Weiß und Blau, als ein paar Feuerwehrleute aus dem Wagen springen, um den Unfallort zu begutachten, während sich zwei Sanitäter schnell vergewissern, dass Dahlia und mir nichts passiert ist.

Der ältere Leiter der Feuerwehr schließt Dahlia in seine Arme. »Deine Mom hat es dargestellt, als würdest du sterben.«

Sie verdreht die Augen. »Du weißt doch, wie besorgt sie immer ist.«

Der Feuerwehrmann zerzaust Dahlias Haar. »Sie meint es nur gut.«

»Das hat Luzifer auch gesagt, als er von der Hölle gesprochen hat.« Dahlia streicht sich die Haare mit gequälter Miene glatt.

»Dahlia!« Rosa hüpft aus dem Bus und rennt, mit einem Rosenkranz in der einen und einer Flasche Weihwasser in der anderen Hand, auf ihre Tochter zu.

Als Nächstes steigt meine Mom zusammen mit einer Gruppe von Leuten aus dem Bus, sie hat den halben Ort um sich geschart.

»Mami.« Dahlia betrachtet die Menge, die sich hinter der Reihe aus Deputys versammelt. »Musstest du alle in die Sache mit reinziehen?«

»Hör auf, von mir zu reden. ¿Qué pasó?«********Rosa nimmt ihre Tochter von Kopf bis Fuß in Augenschein, ehe sie den Verschluss des Weihwassers entfernt.

Zum ersten Mal heute Abend funkeln Dahlias Augen heller als die Sterne über uns. »Julian hat meinen Wagen gerammt.«

Dieses kleine Gör.

Rosa starrt mich an, als hätte ich ein Kapitalverbrechen begangen.

Ich wappne mich, als ich die Stimme meiner Mutter höre, die nun zu uns gestürmt kommt. »Julian? Sag mir, dass das nicht stimmt.«

»Ma.«

Sie reißt Rosa das Weihwasser aus der Hand und spricht einen schnellen Segen in meine Richtung, bevor sie mich damit besprenkelt. »Was hast du dir nur bei dem Versuch gedacht, Dahlia von der Straße zu drängen?«

»Wie schade, dass es mir nicht gelungen ist.«

Der Leiter der Feuerwehr überspielt sein Lachen mit einem Husten.

Dahlias wütender Blick droht, ein Loch in die Seite meines Gesichts zu brennen. »Erzähl mir nicht, du hast jahrelang meinen Mord geplant, nur um jetzt zu scheitern.«

»Glaub mir, ich werde den gleichen Fehler nicht noch mal machen.«

Sie zeigt mir den Mittelfinger.

»Dahlia Isabella Muñoz!« Rosa zieht an der Hand ihrer Tochter, während meine Mutter mir zuzischt: »Luis Julian Lopez Junior!«

Meine Mom benutzt meinen offiziellen Vornamen nur selten und zwar nur dann, wenn sie überaus wütend ist – also beherrsche ich mich besser, bevor sie vollkommen die Fassung verliert.

Dahlia und ich seufzen zeitgleich, und unsere Blicke treffen sich, was all meine Gedanken zerschmettert, sodass nur noch einer vorhanden ist.

Sie.

Der Sheriff nähert sich und bewahrt mich vor weiteren Blamagen. Zum Glück bleibt der Deputy, der etwas gegen mich persönlich hat, zurück – was in Anbetracht meines heutigen Pechs ein Segen ist.

So wie ich Dahlia kenne, würde sie sich mit ihm anfreunden, nur um sich an mir zu rächen.

Der ältere Sheriff zieht Dahlia in eine Umarmung. »Also, was ist hier passiert?«

»Du solltest Julian wegen versuchten Mordes festnehmen.« Angesichts ihres gehässigen Grinsens schrillen bei mir alle Alarmglocken. Erinnerungen, die ich jahrelang versucht habe, aus meinem Gedächtnis zu löschen, kehren schlagartig zurück und blitzen vor meinem inneren Auge auf wie Szenen aus einem Film.

Die Art, wie ihr Lächeln stets breiter wurde, wenn ich aus der Fassung geriet und vor mich hin stammelte.

Ihre leuchtenden Augen, als sie zu mir aufschaute, während wir – nein, ich sie auf unserer ersten Quinceañera steif auf der Tanzfläche herumdrehte.

Ihre ganz ähnliche Miene während ihrer Abschiedsrede als Klassenbeste, als sie mich, den Zweitbesten des Jahrgangs, dafür lobte, mich während der gesamten Highschool-Zeit so sehr angestrengt zu haben.

Es ist lächerlich, dass ein einziges Lächeln von ihr zahllose Erinnerungen heraufbeschwören kann, die besser in der Vergangenheit verbleiben sollten – zusammen mit jeglichen Gefühlen, die ich einst für sie hatte.

Die Wahrheit ist, dass ich mir nicht sicher bin, warum Dahlia Muñoz zurück ist, ich weiß nur, dass es nichts Gutes bedeuten kann.

Überhaupt nichts Gutes.

* Cálmate: Beruhige dich.

** Mierda: Scheiße

*** Pendejo: Idiot

**** Vete a la chingada: Verdammt

***** Pinche estúpido: Verdammter Idiot.

****** Dios, dame paciencia con mi mamá: Gott, gib mir Geduld mit meiner Mom.

******* Cabrón: Bastard

******** ¿Qué pasó?: Was ist passiert?

KAPITEL ZWEI

DAHLIA

Hätte ich gewusst, dass meine Rückkehr nach Lake Wisteria eine Panikattacke, einen Autounfall und einen Bus mit Menschen aus dem Ort mit sich bringen würde, die mich begrüßen wollen, wäre ich in San Francisco geblieben. Wie sich herausgestellt hat, hatte mein Plan, vor meinen Problemen davonzulaufen, ein paar erhebliche Schwächen, beginnend bei dem Mann, der einen Großteil seines Lebens damit verbracht hat, mir meines schwer zu machen.

Während er mit dem Sheriff spricht, blitzt das Licht der Rettungsfahrzeuge über Julians markantem Gesicht auf und taucht es in einen roten Schimmer wie ein teuflischer Heiligenschein.

Ich war in den letzten Jahren so sehr darauf bedacht, Julian aus dem Weg zu gehen, dass mir entgangen ist, wie reif er in dieser Zeit geworden ist.

Entgangen? Eher hast du es mit Absicht ignoriert.

Die roten blinkenden Lichter lenken meine Aufmerksamkeit erst auf seine scharfe Kieferkontur, dann auf seine weichen Lippen und schließlich auf seinen Bartschatten.

Da ich ein gutes Auge für Luxusklamotten und eine feine Nase für echtes italienisches Leder habe, weiß ich, dass Julians Outfit locker zehntausend Dollar gekostet haben muss, was an sich schon eine schockierende Erkenntnis ist. Aber trotz seines tadellosen Anzugs, seines perfekt geschnittenen dunklen Haares und der schicken Designer-Halbschuhe, blitzen noch immer Teile von Julian hindurch, die weniger geschliffen sind.

Die leichte Unebenheit auf seiner Nase, die er hat, seitdem ich sie ihm aus Versehen mit meinem Ellbogen gebrochen habe.

Die dünne weiße Narbe an seiner stoppeligen Wange, da wir es für eine gute Idee gehalten haben, zu testen, wer den weitesten Sprung von einer Schaukel schafft.

Die zusammengepressten Lippen, immer wenn jemand mit ihm spricht – etwas, das er sich angewöhnt hat, als wir Kinder waren, damit er nichts Unangebrachtes herausposaunt.

Als würde er spüren, dass ich ihn beobachte, schaut Julian in meine Richtung. Der abschätzige Blick aus seinen dunkelbraunen Augen, den er über mich wandern lässt, sollte mich verärgern, aber die Gänsehaut, die sich auf meinem Körper ausbreitet, beweist, dass er die gegenteilige Wirkung auf mich hat.

In einem Anflug von Selbstschutz wende ich mich von Julian ab und seiner Mom Josefina und meiner Mom zu, die immer noch besorgt wirken. Die beiden besten Freundinnen haben braune Haare und Augen, unterscheiden sich aber in Größe, Gesichtszügen und Charakter.

Obwohl unsere Mütter schon seit ihrer Kindheit in Mexiko befreundet sind, trifft das definitiv nicht auf Julian und mich zu. Bestenfalls würde ich ihn als Freund der Familie bezeichnen, schlimmstenfalls als Kindheitsrivalen, da wir schon damals alles zu einem Konkurrenzkampf gemacht haben.

»Du hast abgenommen. Bist du dir sicher, dass du genug isst?« Mom kneift mir in die Wange und zieht ihre dunklen Augenbrauen zusammen.

»Was meinst du?« Sie wendet sich Josefina zu.

Ihre säuerliche Miene bestätigt die Beobachtung meiner Mom. »Es ist nichts, was man nicht mit gutem Essen beheben könnte. Du weißt ja: Panza llena …«

»Corazón contento«,******** beendet meine Mom den Satz.

Zu schade, dass frisch gekochtes Essen nur die Leere in meinem Magen füllt, nicht die in meiner Brust.

Mom inspiziert mein schulterlanges Haar. »¿Y qué pasó con tu pelo?«********

»Ich hab sie schneiden lassen.«

»Aber warum?« Sie ächzt.

Ich kann nur ein langes, genervtes Seufzen ausstoßen.

»Mir gefällt es, besonders weil ich weiß, warum du es getan hast.« Josefina zwinkert mir zu.

Ein neuer Haarschnitt war das, was der Arzt mir empfohlen hat, als ich Liebeskummer hatte – zusammen mit Antidepressiva, um die Traurigkeit im Zaum zu halten.

Meine Mom packt mich an den Schultern und mustert mich von oben bis unten. »Ich bin froh, dass du zu Hause bist. Um den Rest können wir uns später kümmern.«

»Ich bin auch froh.« Meine Stimme bricht. Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche als die Umarmungen meiner Mutter und ihren unerschütterlichen Glauben daran, dass Wick VapoRub alles heilen kann, sogar ein gebrochenes Herz.

Josefina legt mir die Hände auf die Schultern und übt leichten Druck aus. »Mach dir keine Gedanken. Wir sorgen dafür, dass alles besser wird, und dabei beginnen wir mit meinem Pozole.«

Während meine Mutter sich stets Sorgen macht, ist Josefina eine Person, die Dinge in Angriff nimmt, genauso wie ihr Sohn.

Hätte Julian doch nur auch ihre Empathie geerbt.

Der Sheriff unterbricht unsere Wiedervereinigung, indem er sich räuspert. »Dahlia.«

»Ja?«

»Julian will die Sache privat regeln und selbst für die Reparatur aufkommen.«

»Dann bekommt er also keinen Strafzettel oder Sozialstunden, weil er mich gerammt hat?«

Der Sheriff lacht. »Willst du das?«

»Nur wenn du garantieren kannst, dass er stundenlang am Straßenrand Müll aufsammeln muss.« Ich schnippe mit den Fingern. »Nein. Tagelang.«

»Mija«,******** warnt Mom, und Josefina lacht.

»Wie soll er denn sonst seine Lektion lernen? Jemand hätte ernsthaft verletzt werden können.«

Der Sheriff wirft mir einen wissenden Blick zu. »Um ehrlich zu sein, hättest du rechts ranfahren sollen, wenn du Probleme mit deinem Auto hattest, statt weiterzufahren.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. »Probleme mit meinem Auto?«

»Julian hat mir alles erklärt. Wenn es noch mal vorkommen sollte, dass der Motor merkwürdige Geräusche macht, fahr rechts ran und ruf Hilfe.«

Warum denkt sich Julian Lopez eine Geschichte aus, statt dem Sheriff zu erzählen, dass ich zu sehr damit beschäftigt war, zu weinen, um richtig fahren zu können?

Vielleicht weil er vorhat, dich später zu erpressen.

Meine Mom drückt wissend meine Hand, und die Anspannung verschwindet aus meinen Muskeln. »Das werde ich.«

Der Sheriff tippt sich an den Hut. »Nun, da wir jetzt alles geklärt haben, sollten wohl alle besser zur Talentshow in die Aula der Schule zurückkehren.« Er pfeift und deutet auf den Bus. »Wir rücken ab!«

»Wir können bei unseren Kindern mitfahren.« Josefina winkt den Sheriff fort.

Die Deputys schieben die protestierende Menge zurück in den Bus, während die ersten Wagen bereits in Richtung Ort fahren und die Familie Muñoz mit der Familie Lopez allein zurücklassen.

»Von welcher Talentshow spricht er?«, frage ich.

»Von der, die jeden Herbst in der Grundschule stattfindet.« Josefina reicht die Flasche mit dem Weihwasser an meine Mutter zurück. »Es wäre nett, wenn du mitkommst. Nico würde sich freuen, dich zu sehen, und dann können wir anschließend alle zusammen essen gehen.«

Meine Kehle wird trocken. So gern ich auch meinen Patensohn sehen und ihn umarmen würde, klingt ein Abendessen mit den Personen, die mich am besten kennen, wie eine weitere Situation, die Panik in mir auslösen könnte und die ich heute Abend lieber vermeiden würde.

»Ich bin mir sicher, Dahlia ist müde«, wirft Julian in seinem typischen gelangweilten Tonfall ein.

Entweder sehe ich genauso schrecklich aus, wie ich mich fühle, oder Julian will zum Ausdruck bringen, dass er mich nicht dabeihaben möchte.

Ich tippe auf Letzteres.

Ich ziehe in Erwägung, die Talentshow zu besuchen, nur um ihm das Gegenteil zu beweisen, aber dann denke ich darüber nach, was das bedeuten würde.

Bist du bereit, alle im Ort wiederzusehen?

Nope. Definitiv nicht. Es war ein Segen, dass ich die kleine Willkommensparty heute Abend umgehen konnte, also sollte ich mein Schicksal nicht herausfordern.

Nachdem ich zwei Jahre fort war, muss ich früher oder später ohnehin allen begegnen, jedoch nicht heute.

»Julian hat recht.« Die Worte schießen mir aus dem Mund wie Dolche, und er besitzt tatsächlich die Frechheit, angesichts meines Eingeständnisses die Schultern zu straffen. »Ich bin ziemlich durch den Wind von allem, was passiert ist. Und da ich schon den ganzen Tag unterwegs bin, würde ich mich gern ausruhen.«

»Oh.« Josefinas Lächeln verschwindet, und ihr Sohn sieht mich wieder finster an.

»Wie wäre es, wenn Julian dich auf dem Weg zur Talentshow zu Hause absetzt und Josefina und ich mit deinem Wagen zur Schule fahren?«, schlägt Mom vor.

Mein rechtes Auge zuckt. Hätte diese Frau nicht ihr halbes Leben damit verbracht, mich großzuziehen, würde ich nie wieder ein Wort mit ihr sprechen. Sie weiß, dass Julian mein größter Feind ist – gefolgt von Autofahrten während der Rushhour in Kalifornien.

»Aber …«

Mom erstickt meine Einwände mit einem bedeutsamen Blick.

»Na gut.«

Julians Augen werden schmal, als er seinen Schlüssel hervorholt. »Lass uns fahren. Ich will nicht zu spät zu Nicos Auftritt kommen.«

Josefinas Finger fliegen über das Display ihres Handys. »Kein Problem. Ich schreibe gerade dem Direktor und bitte ihn darum, Nicos Vorführung nach hinten zu verschieben.«

Julians Kopf fährt abrupt zu seiner Mutter herum. »Und das konntest du nicht tun, bevor ich den Unfall hatte?«

Seine Mutter zuckt mit den Schultern und tippt weiter. »Du hast mich nicht darum gebeten.«

Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht zu lachen.

Ich bin mir sicher, Julian würde lieber tot umfallen, als irgendjemanden um Hilfe zu bitten, sogar seine Mutter. Es ist eine chronische Krankheit, die er von seinem Vater geerbt hat.

Ich nehme Mom meine Handtasche ab und gebe ihr und Josefina einen Kuss auf die Wange, bevor ich zu Julians Auto gehe. Mit seinen scharfen Linien und den Chromdetails sieht es aus wie ein Raumschiff, und ich bin mir sicher, es fliegt auch genauso wie eins, wenn man Gas gibt.

Ich kann nicht glauben, dass der Typ, der es einst als Luxus betrachtet hat, sich ein neues Videospiel zu kaufen, mittlerweile Milliardär ist und einen elektrischen blauen McLaren fährt. Meine Mom schwört, dass Julian das Geld nicht zu Kopf gestiegen ist, aber ich wette, er hat ein riesiges Ego und fühlt sich wie Gott.

Auch ich hatte großen Erfolg mit meiner Innenarchitekturfirma und meiner Hausrenovierungsshow, aber Julian hat den Jackpot geknackt, als er seinem genialen Cousin und Computer-Code-Experten Rafa dabei geholfen hat, Dwelling zu kreieren, die beliebteste Suchmaschine für Immobilien. Damals waren er und Julian erst dreiundzwanzig und fünfundzwanzig. Zu Beginn mag es eine von Rafas verrückten, erfolglosen Versuchen gewesen sein, die nächste gehypte App zu kreieren, aber dann hat sich die Idee in ein milliardenschweres Unternehmen mit Investoren und einem Vorstand verwandelt, und die Lopez-Cousins standen plötzlich auf der begehrten 30-Under-30-Liste des Forbes-Magazins.

Julian und ich erreichen die Beifahrertür. Als seine Hand meine streift, erwachen alte Erinnerungen.

Der Geruch seines Parfüms – rein und teuer – steigt mir in die Nase. Sie beginnt zu kitzeln, ehe ich niesen muss. Ich zucke zusammen, wobei mein Hintern Julians Vorderseite streift.

O Gott.

Er reißt die Tür auf. »Salud.«********

»Ein wahrer Gentleman«, sage ich trocken.

Er umfasst den Türgriff so fest, dass seine goldene Haut weiß wird. »Ich will schließlich nicht, dass deine Mutter einen schlechten Eindruck bekommt.«

»Da musst du dich nicht allzu sehr bemühen. Sie glaubt ohnehin, dass du der Erste seit Jesus bist, der übers Wasser gehen kann.«

Sein tiefes Lachen, weich und kaum hörbar im Wind, hat einen vollkommen inakzeptablen Einfluss auf die Geschwindigkeit meines Herzschlags.

Ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen und stoße in einem Versuch, ihm auszuweichen, mit dem Ellbogen gegen den Schaltknüppel, was mich zusammenzucken lässt.

»Nos vemos allá«,******** ruft meine Mom, ehe sie losfährt, während Mi Primer Millón aus dem Wagen dröhnt, eines der Lieblingslieder meines Vaters.

Ich lasse mich in den weichen Ledersitz sinken, als Julian meine Tür schließt. Die Vibration lässt irgendetwas in der Nähe der Motorhaube rappeln, weswegen er vor den Wagen tritt und sich hinkniet.

Eine gefühlte Ewigkeit lang betrachtet er die Stoßstange, bevor er mit finsterer Miene und steifer Haltung einsteigt. Keiner von uns beiden sagt etwas, als er auf die Straße fährt und auf das Gaspedal tritt.

In der Vergangenheit hätte ich die Stille mit Fragen gefüllt, um Julian zu nerven, aber heute Abend ziehe ich mich in meine eigene Gedankenwelt zurück.

Noch etwas, das du wegen Oliver und seiner Familie an dir geändert hast.

Die Stille nagt an mir, während wir langsam an meinem Wagen vorbeifahren und ich den Schaden in Augenschein nehme. Abgesehen davon, dass die Stoßstange aussieht wie eine zerdrückte Cola-Dose und das Rücklicht verrutscht ist, scheint nichts passiert zu sein.

Deine Therapeutin wäre stolz auf dich, weil du dich auf das Positive konzentrierst.

Nachdem ich die Kaution für die Hochzeits-Location verloren habe und meine neue Agentin mich heute darüber informiert hat, dass die Medien Wind von meiner geplatzten Verlobung bekommen haben, kann ich positive Gedanken gut gebrauchen.

»Du bist viel zu still.« Julians raue Stimme reißt mich ein paar Minuten später aus meinen Gedanken.

Meine Fingernägel graben sich in die Handflächen, als ich meine Hände zu Fäusten balle. »Sollte dich das nicht freuen, nachdem du mich früher so oft angefleht hast, leise zu sein?«

Das bringt ihn zum Schweigen, jedoch nur für eine Minute, bevor er wieder spricht.

»Du wusstest schon immer, wie man einen gelungenen Auftritt hinlegt.« Sein Blick haftet weiter auf der Straße.

Vielleicht habe ich mir doch irgendwo den Kopf gestoßen, denn ich muss halluzinieren. Julian hat soeben zweimal versucht, eine Unterhaltung zu beginnen, und zwar ohne den Einfluss von Alkohol oder seiner Mutter.

Ich lasse mich tiefer in den Sitz sinken. »Ob du es glaubst oder nicht, ich wollte mich für eine Weile unauffällig verhalten.«

»Das ist unmöglich.«

Nach dem heutigen Abend befürchte ich, dass er recht haben könnte. Wenn ich alle für ein paar Wochen meiden könnte, bis ich mich wieder gefasst habe, wäre das ein Wunder.

»Es ist nicht so, als würde ich die Aufmerksamkeit genießen.« Alles, was ich will, ist verschwinden und so tun, als würde mein Leben in Kalifornien nicht auseinanderfallen.

»Sagt die Frau, die ihre eigene Fernsehshow und eine Dekor-Marke in Geschäften in ganz Amerika hat.« Er lockert seinen festen Griff um das Lenkrad.

Ich schnappe übertrieben nach Luft. »Julian Lopez, bist du etwa ein heimlicher Fan meiner Sendung?«

Seine Miene bleibt unergründlich. »Ich weiß Besseres mit meiner Zeit anzufangen.«

Autsch. »Ich bin mir sicher, eine Menge davon geht dabei drauf, jeden Abend mit deiner Mutter zu verbringen.«

Was auch immer Julian zu dem Versuch veranlasst hat, eine Unterhaltung mit mir zu führen, ist dank meiner Beleidigung nun dahin.

Ein paar Minuten später nähern wir uns dem mit Erdbeeren verzierten Schild mit der Aufschrift Willkommen in Lake Wisteria. Darauf wird für unser berühmtes Erdbeerfest geworben, und darunter steht neuerdings: Heimat von Dahlia Muñoz, Innenarchitektin der Stars und Realityshow-Moderatorin.

Ächzend vergrabe ich mein Gesicht in den Händen.

So viel zum Thema unauffällig verhalten.

Das Neonschild des Early Bird Diner leuchtet wie der Polarstern und weist mir den Weg nach Hause, als wir die Ecke der Main Street erreichen. Von der fröhlichen Herbstdekoration in der Mitte des Ortsplatzes bis hin zu den Bändern um die Laternenpfähle, die das baldige Erntefest anpreisen, wirkt alles in Lake Wisteria warm und einladend.

Es ist verständlich, dass unser kleiner Ort an Beliebtheit gewonnen hat, sowohl bei den Sommerurlaubern, die unseren Strand besuchen, als auch bei reichen Leuten aus Chicago, die Wochenendtrips hierher unternehmen. Der einzigartige Küsten-Charme und der viktorianische Baustil der Häuser schaffen es, einen ins späte neunzehnte Jahrhundert zu transportieren, was durch unser schlechtes Mobilfunknetz noch authentischer wirkt.

Nachdem ich zwei Jahre nicht mehr hier war, sollte ich überwältigt von Freude und Nostalgie sein, besonders bei all der Halloween-Dekoration, aber mein gesamter Körper fühlt sich taub an, während wir an den Kürbissen vorbeikommen, vor denen man Gruppenfotos schießen kann, an dem riesigen Erdbeerbrunnen, der von orangefarbenen und violetten Lichtern erleuchtet wird, und dem Park, den mein Dad früher immer mit meiner Schwester und mir besucht hat.

Julian biegt von der modernisierten Main Street ab und fährt in Richtung Süden. Im südlichsten Teil des Ortes, wo wir beide aufgewachsen sind, gibt es keine millionenteuren Häuser mit Ausblick auf den See und keine private Eliteschule wie im oberen Südteil, ebenso wenig wie moderne Gebäude und Annehmlichkeiten wie auf der Main Street oder im östlichen Viertel. Wir sind auch keine geschichtsträchtige Gegend wie der nördliche historische Ortsteil, dafür haben wir die beste Pizzeria weit und breit. Wer braucht schon schicke Anwesen oder ein modernes Apartment mit Fitnessraum, wenn man sich in weniger als zehn Minuten etwas von You Want a Pizza Me liefern lassen kann?

Die einzige Ampel, die uns noch vom Haus meiner Mom trennt, springt von Gelb auf Rot um. Während wir warten, werde ich schmerzhaft daran erinnert, wie quälend die Spannungen sind, die zwischen Julian und mir herrschen.

Einst waren wir Freunde mit einem gesunden Konkurrenzdenken. Als die Pubertät auf der Middle School einsetzte, wurden wir dank Hormonen und geistiger Unreife zu Rivalen.

Aber mittlerweile sind wir nichts weiter als Fremde.

Eine unsichtbare Hand legt sich um meinen Hals, bis ich nicht mehr atmen kann. Ich kämpfe gegen die Schwere an, die droht, mich einzuhüllen, doch ich scheitere, als ich einen Blick in die Richtung des ersten Mannes riskiere, der mir das Herz gebrochen hat. Er hat neunzehn Jahre gebraucht, um es zu erobern, und nur sechs Worte, um es zu zerschmettern.

Und ich habe nicht vor, das zu vergessen.

******** Panza llena, corazón contento:Voller Magen, glückliches Herz.

******** ¿Y qué pasó con tu pelo?: Und was ist mit deinen Haaren passiert?

******** Mija: Meine Tochter

******** Salud: Gesundheit

******** Nos vemos allá: Wir sehen uns dort.

KAPITEL DREI

JULIAN

Dahlia starrt mit offenem Mund auf das Straßenschild. »Lopez Lane?«

Ich schweige, während ich die Straße entlangfahre, in der ich aufgewachsen bin, und schließlich in ihre einbiege.

»Warum hat man eine Straße nach euch benannt?«

Dahlias Reaktion ist genau der Grund, weshalb ich Einwände erhoben habe, als der Bürgermeister meine finanzielle Unterstützung öffentlich ehren wollte. Auch wenn ich meine Spende von zehn Millionen Dollar nicht bereue, wünschte ich, ich hätte es anonym getan.

Dahlia schnallt sich ab, als ich vor dem im Ranch-Stil gehaltenen Haus ihrer Kindheit vorfahre. Für unsere Familie hängen viele Erinnerungen daran, zum Beispiel wie mein Dad und ich es zusammen umgestaltet haben, als ich ein Teenager war. Während sich die Blumen und die Dekoration je nach Jahreszeit verändern, sind der hellblaue Anstrich und die weiße Umrandung seitdem gleich geblieben.

Das Haus mag nichts mit meinen aktuellen Projekten gemeinsam haben, aber es steht noch immer für all das, was ich an meiner Arbeit liebe. Es war während der Renovierung bei der Familie Muñoz, als ich erkannt habe, dass ich die gleiche Leidenschaft dafür habe, Dinge zu reparieren wie meine Eltern.

Häuser. Probleme. Menschen.

Es ist eine Charakterschwäche, die ich schon seit Jahren versuche abzulegen, doch sie kommt immer wieder in den ungünstigsten Momenten zum Vorschein.

So wie jetzt.

Meine Unfähigkeit, Dahlias untypische Schweigsamkeit zu ignorieren, ist die einzige vernünftige Erklärung dafür, warum ich zwei Versuche unternommen habe, mich mit ihr zu unterhalten.

Und sieh dir an, wie super das funktioniert hat.

Ich ziehe die Handbremse so kraftvoll an, dass der Wagen bebt.

Dahlias Muskeln scheinen genauso angespannt zu sein wie meine, als sie die Hand nach dem Türgriff ausstreckt. »Danke fürs Mitnehmen.« Ihre Brust hebt und senkt sich, als sie einatmet und die Luft wieder ausstößt. »Und tut mir leid wegen deinem Wagen.« Angesichts ihres leisen Schniefens verkneife ich mir eine bissige Antwort. »Ich hätte rechts ranfahren und warten sollen.«

»Ist alles okay?« Die Schärfe ist mittlerweile aus meiner Stimme gewichen, ersetzt von etwas viel Besorgniserregenderem.

Sie nickt. »Ich bin nur müde.«

»Allen etwas vorzumachen, muss ermüdend sein.«

»Gibt es sonst noch etwas, das du mich fragen willst?«

Ein Lichtstrahl von der Veranda trifft auf ihren monströsen Verlobungsring und blendet mich.

Wie geht es Oliver, will ich fragen und all den Hass in meine Stimme legen, den ich für meinen Ex-Mitbewohner empfinde. Habt ihr schon ein Hochzeitsdatum, nachdem ihr immerhin schon seit zwei Jahren verlobt seid? Und nur aus Neugier, hat er zugegeben, dass er mich hintergangen hat, indem er sich an dich rangemacht hat?

Die Fragen bleiben an meiner Zungenspitze kleben wie in Gift getränkte Pfeilspitzen. »Nope.«

»Perfekt. Wenn es dir also nichts ausmacht … Ich hab jetzt ein Date mit The Silver Vixens und will nicht zu spät kommen.«

The Silver Vixens?

Scheiße. Es muss ihr schlechter gehen, als ich angenommen habe. Dahlia behält sich The-Silver-Vixens-Marathons nur für die schlimmsten Momente vor, zum Beispiel als ihr Dad gestorben ist oder als das Arschloch von Footballspieler sie prüde Kuh genannt hat, nachdem sie bei ihrem ersten Date keinen Sex mit ihm haben wollte.

Ehe sie die Chance hat, die Tür zu öffnen, ergreife ich ihre Hand. Der Körperkontakt bringt meine Haut zum Kribbeln, woraufhin ich sie fallen lasse, als hätte ich Dynamit berührt.

Wir beginnen beide gleichzeitig zu sprechen.

»Ääähm, ich sollte …«

»Du musst …«

»Ich geh jetzt besser, damit du Nicos Auftritt nicht verpasst.« Sie spricht die Worte hastig, bevor sie fluchtartig aus meinem Wagen aussteigt.

Ich helfe ihr dabei, ihr Gepäck aus dem Kofferraum zu holen.

Mit einem gemurmelten »Danke« setzt sie sich in Richtung Haus in Bewegung, wobei ihr Designerkoffer hinter ihr Staub aufwirbelt.

Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, dass ich noch etwas sage, aber ich kann nicht anders. »Man sieht sich?« Mein Herz hämmert gegen meine Rippen, während ich auf ihre Antwort warte.

Sie bleibt vor den Stufen der Veranda stehen. »Warum?«

»Ich bin neugierig.«

»Ich hoffe, du planst nicht schon, auf wie viele verschiedene Arten du mich quälen kannst.« Ihrem halbherzigen Witz fehlt es an Schärfe.

»Dich zu quälen, ist meine Lieblingsbeschäftigung.«

Ein Funke blitzt kurz in ihren Augen auf, erlischt jedoch so schnell wie ein Feuer im Schneesturm. »Hast du dich jemals mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass du alles zu einem Wettbewerb machen musst, weil du in ständiger Angst lebst, schlechter als alle anderen zu sein?«

Dahlias Worte bewirken, dass ich mich in meinem maßgeschneiderten Anzug entblößter fühle, als wäre ich nackt, denn während die meisten anderen Menschen in mir einen reservierten Typen sehen, der sich bei der nächsten schiefgelaufenen Interaktion in das Arschloch des Ortes verwandeln könnte, sieht sie mich.

Mein wahres Ich.

Mein unsicheres Ich.

Das Ich, das ich seit zehn Jahren hasse, weil es für all das steht, was ich an mir selbst verabscheue. Der Mann, der ich früher war, ist schüchtern gewesen und zu stolz, um irgendetwas anderes zu tun, als sich still leidend im Leben durchzuschlagen.

Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass sie alles über mich weiß und auch die Seiten von mir kennt, die ich seit einem Jahrzehnt verdränge.

Ab sofort muss ich auf der Hut sein.

* * *

Pinnwände in Herbstaufmachung ziehen verschwommen an mir vorbei, als ich an den dunklen Klassenräumen meiner Kindheit vorbeihetze und schließlich die frisch renovierte Aula betrete.

Ich habe es rechtzeitig in die Schule geschafft, um zu sehen, wie Nico mit Frack und seiner buntesten Brille die Bühne betritt. Das Publikum klatscht so laut Beifall, dass das Schnauben meines Cousins übertönt wird, als ich mich auf dem freien Stuhl zwischen ihm und meiner Mom niederlasse.

Rafas rausgewachsener Haarschnitt, seine ausgewaschene Jeans und das zerknitterte Hemd würden niemals vermuten lassen, dass er stinkreich ist. Er fährt noch immer den gleichen Pick-up-Truck wie in der Highschool und weigert sich, sein uraltes Handy durch ein moderneres zu ersetzen, obwohl er ein Technik-Freak ist. Geld gibt er nur für Nico aus, aber selbst dabei setzt er sich Grenzen, denn er will seinen Sohn nicht zu sehr verwöhnen.

Jegliche Anspannung weicht aus Rafas Körper, als Nico seinen Platz am Flügel einnimmt und seine Hände über die elfenbeinfarbenen Tasten gleiten lässt. Ich bin kein Typ, der gern prahlt, aber mein Patenkind wird eines Tages zu den angesehensten Musikern gehören. Der Junge ist erst acht Jahre alt und kann jetzt schon drei Instrumente spielen, eins davon hat er sich ganz allein mithilfe von YouTube-Tutorials beigebracht.

Auf Nicos Darbietung folgen stehende Ovationen, und mein Cousin zeigt ein seltenes Lächeln, als er pfeift und den Namen seines Sohnes ruft. Ich rechne damit, dass Rafas gute Laune verschwindet, sobald der Vorhang sich schließt, aber sie ist selbst dann noch da, als die Lichter nach der Show angehen und meine Mom auf der Suche nach Nico in der Menge untertaucht.

»Ich freue mich, dass du uns doch noch mit deiner Anwesenheit beehrst, obwohl du so viel auf der Arbeit zu tun hast.« Rafa drückt meine Schulter.

»Bist du nicht der Coding-Freak, der den ganzen Tag vor dem Computer sitzt, bis ihm die Augen zufallen?«

Er zuckt mit den Schultern. »Nicht mehr. Im Gegensatz zu dir nehme ich mir auch Zeit für Dinge, die nichts mit der Arbeit zu tun haben.«

Es ist nicht so, als wollte ich meine Tage damit verbringen, zu schuften, aber was soll ich sonst mit meiner freien Zeit anfangen? Auf Dates gehen, die meine Mom organisiert?

Nein, danke. Das habe ich bereits ausprobiert und habe mir einen Deputy aus dem Ort zum Feind gemacht, nachdem meine Mom versucht hat, mich mit seiner Ex zu verkuppeln.

Als wir uns von unseren Plätzen erhoben haben, schiebt mich mein Cousin in Richtung Ausgang. »Kannst du dich noch an das eine Mal erinnern, als wir uns in der Hütte in Lake Aurora betrunken haben?«

»An welches Mal?«

Sein Lächeln wird breiter. »Das Wochenende, an dem sich Dahlia verlobt hat.«

Irgendwie gelingt es mir, gleichmäßig weiterzugehen. »Ich erinnere mich kaum noch.«

Er pikt mir mit dem Finger in den Rücken. »Das liegt wahrscheinlich an den Unmengen Alkohol, die du getrunken hast.«

»Ein guter Cousin hätte sich mit mir zusammen betrunken.«

»Und hätte riskiert, dass du im Schlaf an deiner eigenen Kotze erstickst? Auf keinen Fall. Deine Mutter hätte mir nie verziehen.«

»Ich bin mir sicher, du wärst nur allzu gern als Ersatzsohn eingesprungen.«

Er verdreht seine dunkelbraunen Augen. »Wie dem auch sei, ich werde nie vergessen, was du an diesem Abend zu mir gesagt hast.«

Meine Lunge hört auf zu funktionieren.

Er umfasst meine Schulter. »Du hast ständig davon geredet, dass du alles anders machen würdest, wenn Dahlia dir eine zweite Chance geben würde.«

Es bedarf all meiner Kraft, meine Stimme unbekümmert klingen zu lassen. »Ich war betrunken.«

»Na und?«

»Sie ist verlobt.«

»Laut deiner Mutter nicht mehr.«

Mierda.******** »Woher weiß sie das?«

»Woher wohl? Rosa hat es ihr erzählt.«

»Und schon beginnen sie mit dem Chisme.«******** Ich hätte nichts anderes von den beiden besten Freundinnen erwartet, die seit dem Kindergarten unzertrennlich sind.

Rafas Miene verfinstert sich. »Es ist schwer, etwas geheim zu halten, wenn es heute Abend auf allen sozialen Medien zu sehen ist. Dahlia hat ihren eigenen Hashtag, der trendet.«

Mir dreht sich der Magen um, während mir unzählige Fragen durch den Kopf gehen und es mir unmöglich machen, etwas zu erwidern.

Warum haben sie sich getrennt?

Besteht die Chance, dass sie wieder zusammenkommen?

War Oliver der Grund dafür, dass Dahlia vorhin geweint hat, als ich ihren Wagen gerammt habe?

Rafa wirft mir einen Blick zu. »Nein.«

Ich blinzele. »Was?«

»Worüber auch immer du gerade nachdenkst, lass es sein.«

»Du bist doch derjenige, der begonnen hat, von ihr zu sprechen.«

»Weil ich derjenige sein wollte, von dem du die Neuigkeiten erfährst, bevor deine Mom damit anfängt, dir ins Ohr zu flüstern, dass deine Chance endlich gekommen ist.«

»Meine Mom flüstert mir eine Menge darüber ins Ohr, wen ich daten soll, und trotzdem gebe ich nicht nach, wie du siehst.«

»Bei Dahlia ist es etwas anderes, das weißt du ganz genau.«

»Das spielt ohnehin keine Rolle mehr, denn meine früheren Gefühle für sie sind nicht mehr relevant.« Etwas verengt sich in meiner Brust.

Rafa, der zu einer Erwiderung ansetzt, wird von Nicos Rufen unterbrochen.

»Papi!« Nico lässt meine Mom stehen und rennt den Flur entlang auf uns zu.

Mein Cousin geht rechtzeitig in die Knie, sodass Nico sich in seine geöffneten Arme werfen kann.

»Ich bin ja so stolz auf dich.« Rafa rückt Nicos Brille zurecht.

Der Junge legt die Stirn in Falten. »Aber hast du meinen Patzer nicht gehört?«

Rafa schnaubt. »Du warst perfekt wie immer.«

Nico, der den gleichen Perfektionismus geerbt haben muss wie ich, versucht, zu erklären, an welcher Stelle ihm der Fehler unterlaufen ist, doch Rafa hält ihn auf, indem er ihn kitzelt.

»Nein!« Nico windet sich in den Armen seines Vaters.

»Sorry. Ich kann dich nicht hören. Was hast du gesagt?« Rafa greift unter Nicos Arme, was ihn quietschen und zappeln lässt.

Auch wenn Rafa sich vor dem Rest der Welt verschließt, ist er seinem Sohn gegenüber nichts als warmherzig. Die Art, wie er sich in seiner Gegenwart verhält, gibt mir Hoffnung, dass die Wunden meines Cousins eines Tages heilen werden.

Ich habe zwar nichts annähernd Vergleichbares erlebt wie Rafa, aber ich weiß, dass es nicht einfach ist, über jemanden hinwegzukommen.

Dahlia hat mir vor langer Zeit eine Lektion erteilt, und zwar eine, die ich nicht allzu schnell vergessen werde.

******** Mierda: Scheiße

******** Chisme: Tratsch

KAPITEL VIER

DAHLIA

Mein erster Tag hier war ruhig, wahrscheinlich weil ich überhaupt nicht im Ort war. Während meine Mom und meine Schwester Liliana im Blumenladen gearbeitet haben, habe ich nichts anderes getan, als an die Decke zu starren.

Es ist merkwürdig, dass ich vor Kurzem noch zu wenig Zeit hatte, um zu essen und zur Toilette zu gehen, und plötzlich mein Zimmer nicht mehr verlasse, es sei denn, es ist absolut notwendig. Mein Koffer, der vollgepackt ist mit teuren, trendigen Outfits, steht unangerührt auf dem Boden wie ein Warnschild.

Während Angstzustände und Perfektionismus mich schon seit der Highschool begleiten, sind Depressionen ein neuer Kampf, den ich monatelang allein ausgetragen habe, ehe ich Hilfe in Anspruch genommen habe.

Meine Therapeutin Dr. Martin ist eine tolle Frau, die für jede Sitzung ein kleines Vermögen verlangt. Auch wenn Geld kein Problem mehr für mich darstellt, habe ich gezögert, mich emotional so zu öffnen, doch sie wurde mir wärmstens von meiner Agentin empfohlen, weshalb ich mich vor acht Wochen dazu durchgerungen und es seitdem nie bereut habe.

Ich weiß nicht, was ich ohne Dr. Martin machen würde. Sie hat endlose Geduld, eine überaus ruhige Stimme und beendet jede Sitzung mit einem jamaikanischen Sprichwort, das ich nicht verstehe, ehe ich es anschließend googele.

Heute spricht sie während der ersten Hälfte unseres Videocalls kaum, sodass ich Gelegenheit habe, mich in einem Monolog über meine Fehler und Unzulänglichkeiten zu ergehen.

Schließlich legt sie die Hände zusammen, was ihre Goldarmbänder von Cartier klimpern lässt. »Warum sind Sie so lange mit Oliver zusammengeblieben?«

Ihre nie endende Geduld wird auf die Probe gestellt, als ich dasitze und nachdenke. Die Frage wurde mir schon einmal gestellt, aber damals war mein Leben beschwert von Bitterkeit, Selbsthass und einer dichten Wolke, in die mich meine Depression gehüllt hatte.

»Es lief lange Zeit gut.« Was den Verlust noch härter gemacht hat.

Ihr leichtes Nicken ermutigt mich.

Es dauert weitere sechzig Sekunden, bis ich zehn Worte herausbringe. »Er hat mir das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein.«

»Er hatte dich nie verdient.« Oliver zog mich in eine Umarmung, als ich in Tränen ausbrach, während ich Julians Habseligkeiten in seinem Zimmer im Studierendenwohnheim zusammenpackte, wofür ich nicht mal eine Nachricht zum Dank erhielt.

»Ich mag dich … viel mehr, als es ein guter Freund tun sollte.« Das war kurz vor den Ferien nach unserem ersten Jahr an der Uni gewesen.

Zuvor war es einfach gewesen, ihn als platonischen Freund zu betrachten, nachdem Julian mich verletzt hatte, aber seine blauen Augen, sein blondes Haar und sein gelassenes Lächeln wuchsen mir immer mehr ans Herz.

»Du bist so talentiert, und du verdienst Wertschätzung.« Er ermutigte mich, mein erstes Foto von Designs by Dahlia auf meinem Social-Media-Account hochzuladen. Es war ein körniges Bild von meiner ersten Wohnung, das ich bis heute ganz oben auf meinem Profil festgepinnt habe, weil es für so vieles steht.

Ich war verletzlich und suchte an den falschen Orten nach Bestätigung, auch bei Olivers Eltern, die immer stärker in mein Business involviert waren, nachdem sie dabei geholfen hatten, unsere Fernsehsendung zu produzieren.

»War das immer so?«, fragt Dr. Martin.

»Bevor wir uns verlobt haben, haben wir sieben Jahre lang eine vollkommen normale Beziehung geführt. Wir hatten viele gute Momente und ein paar schlechte. Er hat es so dargestellt, als wäre er das missverstandene schwarze Schaf der Familie, doch irgendwann habe ich begriffen, dass er der Wolf war.«

Falls Dr. Martin überrascht ist, lässt sie es sich zumindest nicht anmerken.

»Er hat so getan, als könnten wir alles zusammen schaffen, aber als wir schließlich auf die Probe gestellt wurden, sind wir gescheitert.«

Ich bin gescheitert. Statt meinen Wert zu erkennen und Oliver zu verlassen, blieb ich bei ihm, weil ich dummerweise die Beziehung, in die ich so viel Zeit investiert hatte, nicht aufgeben wollte. Doch das spielte ohnehin keine Rolle, denn nach und nach zog sich Oliver zurück und ließ mich mit meiner Trauer darüber, nie ein Kind bekommen zu können, allein.

Ich knibbele an meiner Nagelhaut. »Die Dinge haben sich verändert, nachdem wir den Ehevertrag haben aufsetzen lassen und wir die Ergebnisse der medizinischen Untersuchung bekommen haben. Trotzdem habe ich die Tapfere gespielt und meinen Schmerz unterdrückt, während die Kameras liefen, weil ich meinen Job liebe, genauso wie die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, und das Letzte, was ich wollte, war, wegen ihm alles aufzugeben.«

Und dennoch hast du alles verloren.

Ich habe keine Show, keine Freunde – außer ein paar Fernsehteam-Mitgliedern – und keine Hoffnung darauf, dass ich jemals einen neuen Partner finden werde, nachdem ich verlassen wurde, weil ich nicht die Frau war, die mein Ex sich gewünscht hat.

Oliver hätte ebenso gut sagen können, dass ich nicht die Gebärmutter hatte, die er sich gewünscht hatte, aber ich schweife ab.

Dr. Martin senkt verständnisvoll den Kopf. »Es liegt in der Natur von uns Menschen, alles zu verdrängen, was uns Schmerzen bereitet.«

»Es war so einfach, mich in die Arbeit zu stürzen, aber während mein Geschäft florierte, ist ein Teil meiner Seele gestorben.«

Die Haut um ihre Augen wird weicher.

»Ich sage meinen Eltern, dass du nicht kommst. Wieder einmal«, betonte Oliver schnaubend, bevor er sich auf den Weg zum Anwesen der Creswells machte und mich zurückließ, um stundenlang an die Wand zu starren, ehe ich mich in den Schlaf weinte.

»Es ist noch nicht zu spät, sie zu verlassen und dir eine Frau zu suchen, die besser in deine Zukunft passt«, flüsterte Olivers Mutter ihm einmal zu, als sie glaubte, ich wäre noch im Bad.

»Zum Glück gibt es jemanden, der den Namen Creswell weiterträgt«, sagte Olivers Dad, als seine Frau die Ultraschallaufnahmen ihrer Tochter beim Abendessen am Tisch herumreichte.

Nach meiner medizinischen Untersuchung fühlte es sich an, als hätte unsere Beziehung einen Schuss mitten ins Herz abbekommen, und ich war die Einzige, die versuchte, die Wunde zu schließen.

Dr. Martin beendet unsere Sitzung mit einem weiteren jamaikanischen Sprichwort, das ich nicht verstehe, und ich verbringe die nächsten zehn Minuten damit, Rockstone a riva bottom nuh know sun hat******** zu recherchieren, statt mich in den Schlaf zu weinen, was ein Fortschritt ist.

Mein zweiter Tag im Ort verläuft ähnlich, obwohl meine Therapiesitzung emotional wieder einiges von mir abverlangt. Hoffentlich werden die erhöhte Dosierung der Antidepressiva und mein neu gefasster Entschluss, mehr Dinge zu unternehmen, die Spaß machen, meine Stimmung verbessern – obwohl ich noch ein wenig skeptisch bin, denn bisher habe ich immer noch kaum Lust, das Haus zu verlassen, ganz zu schweigen davon, eines einzurichten.

Ich erwarte, dass mein dritter Tag in Lake Wisteria nach dem gleichen Muster verläuft und ich meine Zeit allein verbringen werde, aber als ich um zwei Uhr endlich aus dem Bett krabbele, um mich auf die Suche nach etwas Essbarem zu begeben, stelle ich erschrocken fest, dass die gesamte Familie Lopez sich zum sonntäglichen Treffen in unserem Haus ausgebreitet hat.

Meine Schwester tippt auf ihr Handy ein, als hätte es sie persönlich beleidigt, während meine Mom und Josefina damit beschäftigt sind, in der Küche Gemüse zu schneiden.

Rafa ignoriert die Tatsache, dass Robarte un Beso neben ihm aus dem Lautsprecher dröhnt, während er ungerührt im Fernsehen ein Spiel der mexikanischen Fußballliga verfolgt.

»¿Madrina?«******** Nico bemerkt mich als Erster und kommt sofort auf mich zu gerannt.

Es ist ein paar Jahre her, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, wenn man von Videoanrufen absieht, und er ist ungefähr einen halben Meter gewachsen.

»Du bist wieder da!« Er schlingt die Arme um meine Beine.

»Hi.« Bis zu diesem Moment war mir nicht bewusst, wie dringend ich eine von Nicos erdrückenden Umarmungen gebraucht habe.

Mein Patenkind sieht aus seinen großen braunen Augen zu mir auf. »Ich hab dich vermisst.«

»Ich hab dich auch vermisst.« Ich kämpfe gegen die Dunkelheit an, die droht, sich wieder einzuschleichen. »Wie geht es meinem Lieblingspatenkind?«

Er kichert. »Ich bin dein einziges Patenkind.«

»Bisher.«

»Nein! Das erlaube ich nicht.« Er drückt meine Beine fester, und mir entfährt ein leises Lachen, als er mich schließlich abrupt loslässt.

»Ich hab auf dem Schlagzeug gespielt, das du mir zum Geburtstag geschenkt hast! Es ist total cool!« Nico hebt die Arme, und beginnt, in der Luft Schlagzeug zu spielen.

»Ja, danke dafür.« Rafa wirft mir einen ironischen Blick zu.

»Vielleicht muss ich ihm zu Weihnachten eine E-Gitarre mit Verstärker schenken.«

Rafas Auge zuckt, während Nico seine Faust in die Luft stößt und »Yes!« ruft.

Mein Patenkind zu verwöhnen, liegt in meiner Natur, auch wenn meine letzten Geschenke von einem Postboten überbracht wurden und ich sie ihm nicht persönlich überreicht habe. Ich weiß, dass ein teures Schlagzeug oder eine hochwertige Gitarre meine Abwesenheit nicht wettmachen, aber Nico verdient nichtsdestotrotz das Beste, besonders nach dem, was er und Rafa durchgemacht haben.

Ich kannte Rafas Ex-Frau nicht gut, jedoch nicht, weil ich es nicht versucht hätte, sondern weil sie sich keine Mühe gegeben hat, sich in unsere Familie zu integrieren.

Rafa erhebt sich von der Couch und zieht mich in eine Umarmung. »Wir haben dich alle vermisst.«

Mein erster Versuch, etwas Ähnliches zu erwidern, scheitert, also entscheide ich mich stattdessen für Humor. »Wenigstens hast du zusammen mit deinem Modegeschmack nicht auch noch deine Manieren verloren.«

Angesichts meiner Bemerkung verdreht der mürrische Mann mit dem Flanellhemd, der ausgewaschenen blauen Jeans und der abgetragenen Baseball-Cap die Augen. An jedem anderen hätte ich ein Holzfäller-Outfit schrecklich gefunden, aber bei Rafa funktioniert es dank seines guten Aussehens und seiner Muskelmasse.

Für mich ist er wie ein großer Bruder, also würde ich lieber eine Magen-Darm-Grippe ertragen als ihn als attraktiv zu bezeichnen, aber das hält all die anderen Frauen im Ort nicht davon ab, ständig von ihm zu schwärmen.

Er löst sich von mir. »Wie lange hast du diesmal vor zu bleiben?«

»Ich bin mir nicht sicher. Das hängt von ein paar Dingen auf der Arbeit ab.«

»Du musst unbedingt bei uns vorbeikommen und dir Nicos Schlagzeug ansehen.«

Nico strahlt. »Ja! Du kannst zusehen, wie ich spiele, und dann können wir die Legosachen aufbauen, die du mir geschenkt hast … Ach ja! Und du kannst Ellie kennenlernen. Sie ist nett und hübsch und total cool.«

»Wer ist Ellie?« Meine zitternde Stimme verrät, was ich wirklich empfinde. So sehr ich auch Zeit mit meinem Patenkind verbringen möchte, fühle ich mich nicht annähernd bereit dafür. Denn in Nicos Gegenwart werde ich stets daran erinnert, wie sehr ich mir eines Tages eine eigene Familie wünsche. Und jetzt …

»Sie ist meine beste Freundin!« Nicos Augen leuchten.

»Sie ist seine Nanny.« Etwas Dunkles huscht über Rafas Züge, ehe er sich wieder sammelt.

Mom hat erzählt, dass Rafa sich nach seiner Scheidung und Nicos Retinitis-Pigmentosa-Diagnose verändert hat, und diese Wahrheit könnte nicht offensichtlicher sein, wenn ich mir seine ernste Miene und seinen gehetzten Blick anschaue.

Nico schenkt mir ein Grinsen, das mich – abgesehen von den fehlenden Zähnen – stark an seinen Vater erinnert.

»Ja, wie auch immer. Hey, willst du mit mir und Tío******** was spielen?«

Sofort schießt mir ein Anflug von Angst in die Brust. »Äh …«

»Bitte!« Er presst die Hände flehend zusammen.

»Nun …« Meine Antwort bleibt mir im Hals stecken.

Rafa legt den Kopf schief.

Nico zieht an meiner Hand. »Komm schon. Wir brauchen noch eine weitere Person, weil Dad nicht mit uns spielen will.«

Rafa zerzaust Nicos Haare. »Nur weil Julian immer gewinnt.«

Nico zerrt mich zu dem ungeöffneten Monopoly-Spielkarton auf dem Küchentisch, während sein Dad sich wieder auf das Fußballspiel konzentriert. Mein Patensohn rückt mir den Stuhl zurecht wie ein Gentleman und wartet.

Als ich mich nicht rühre, klopft er mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die Sitzfläche. »Setz dich.«

Seine Bitte macht den Riss in meiner Brust noch breiter, bis ich Schwierigkeiten habe zu atmen.

»Ich kann nicht.« Der Schmerz in meinem Herzen wird mit jedem Schlag intensiver.

Nico runzelt die Stirn. »Warum nicht? Das Spiel macht Spaß.«

Ich schlinge die Arme um meinen Körper und trete einen großen Schritt nach hinten.

Seine verwirrte Miene macht ihn noch niedlicher und mich noch bekümmerter. »Alles okay? Du siehst traurig aus.« Seine Unterlippe bebt.

Rafa sieht sich über die Schulter um. »Geht es dir gut?«

»Ich muss ins Bad.« Mit verschleierter Sicht stürze ich in den Flur. Ich bin vollkommen orientierungslos, als ich an meinem Zimmer vorbeikomme und durch den Gang zum Gästebad eile, das ich mir mit meiner Schwester teile.

So viel zum Thema wirkende Antidepressiva.

Tränen rinnen mir in einem frustrierenden Akt des Betrugs über die Wangen. Während ich vor zwei Monaten noch unter einer scheinbar nicht enden wollenden Gefühllosigkeit gelitten habe, fühle ich nun mit einem Mal zu viel auf einmal, weswegen ich in den letzten paar Tagen mehr geweint habe als in meinem gesamten vorherigen Leben.

Sei geduldig mit dir und vertraue dem Prozess.

Verdammter Prozess. Ich habe nicht vor, mein Zimmer zu verlassen, ehe …

Jemand packt mich am Ellbogen und zieht mich zurück, was mich nach Luft schnappen lässt.

»Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mein Kind zu enttäuschen.« Rafas Stimme erschreckt mich.

Ich zucke zurück. »Was?«

»Weinst du?« Er sieht mich aus verengten Augen und mit gerunzelter Stirn an, wodurch ich mich in die Vergangenheit zurückversetzt fühle.

»Ich hab es so satt, dass du dich ständig selbst bemitleidest.« Oliver schürzte angewidert die Lippen. »Vor der Kamera kannst du allen vormachen, dass es dir gut geht, aber bei mir kannst du dich nicht mal ein bisschen zusammenreißen.« Seine Worte waren wie Gift, das sich in meinem Körper ausbreitete und lähmenden Selbsthass und Hoffnungslosigkeit hinterließ.

Ruf mich an, wenn die Dahlia, in die ich mich verliebt habe, wieder da ist, schrieb er mir später an diesem Abend, nur um eine Woche später zurückzukommen und mir mitzuteilen, dass es zwischen uns vorbei sei.

»Dahlia.« Rafas rauer Tonfall reißt mich zurück in die Gegenwart.

Ich wische mir mit dem Ärmel meines Pullovers über das Gesicht. »Es tut mir leid, dass Nico wegen mir traurig ist. Du weißt, dass das nicht meine Absicht war.«

Die Schärfe weicht aus Rafas Stimme. »Was ist los?«