Lucy will zur Schule - Uwe Neumann - E-Book

Lucy will zur Schule E-Book

Uwe Neumann

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Beschreibung

Ein Feuerwehrmann, der an die beste aller möglichen Welten glaubt; Henry, ein Lehrer, der bis tief in die Nacht Schulhefte korrigiert und deshalb depressiv geworden ist; Lucy, ein kleines Affenmädchen, was mit beiden zusammen in einer WG lebt ... Weil Lucy meint, es Rosa, ihrer Freundin, zeigen zu müssen, dass sie ein mutiges Mädchen ist, möchte sie Klassensprecherin werden. Dafür muss sie aber ersteinmal in der "besten aller möglichen Welten" eingeschult werden ... - eine High-Speed-Geschichte, die Mut macht - (Teil 1: "Lucys Taufe" kostenfrei als PDF auf derImpuls.de) Dr. Uwe Neumann

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Seitenzahl: 84

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Uwe Neumann

Lucy will zur Schule

Ein Affenmädchen erzählt

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Lucy will zur Schule

Impressum neobooks

Lucy will zur Schule

Der Wecker klingelte und ich fragte Onkel Henry, ob es heute endlich zur Schule ginge. Das kleine Kinderbett, in dem ich schlief, hatten der Feuerwehrmann und Onkel Henry in Henrys Arbeitsraum aufgestellt. Irgendwo musste ich ja auch schlafen. Seit einiger Zeit wohnte ich bei den beiden. Der Feuerwehrmann hatte mich gerettet, als das Kirchenamt abgebrannt war. Vorher war ich für zwei Wochen dort bei einem Bischof gewesen. Der war sehr froh gewesen, dass er mich hatte. Nach Hause zu seiner Frau ging er nämlich nicht mehr gerne. Er hatte ihr gesagt, dass er am liebsten Bohnensuppe esse. „Das ist ein einfaches Gericht, so wie es sich für Christenleute gebührt!“, hatte er ihr gesagt. Und weil sie ihren Mann etwas ärgern wollte, machte sie täglich jetzt Bohnensuppe, wenn er abends müde nach Haus kam. Das ärgerte ihn tatsächlich und deshalb ging er abends nicht mehr heim. Der Bischof und ich hatten im Kirchenamt einen Kühlschrank aufgestellt. Den hatten wir mit Würstchen und Bananengelee gefüllt. Würstchen und Gelee waren für uns beide. Es war aber so, dass ich die Würstchen fast immer ganz alleine essen konnte. Er erklärte dann: „Ich stehe treu zur Wahrheit!“ Deshalb las er den ganzen Tag in der Kirchlichen Dogmatik von einem Herrn Barth. Der hatte in Wirklichkeit jedoch keinen Bart. Der hatte aber auch eine Assistentin. Und wie der Bischof hatte er sie auch mehr geliebt als seine Frau. Aber der Bischof wollte auch seiner Frau nicht verzeihen, weil er treu zur Wahrheit stand. Ich glaube, die Würstchen habe ich immer gekriegt, weil der Bischof ein schlechtes Gewissen hatte. Vielleicht gar nicht wegen der Wahrheit.

Henry war, während er mir antwortete, noch immer mit seinem Oberkörper über seine Korrekturen gebeugt: „Nein, das Genehmigungsverfahren für dich ist noch nicht durch. Du kannst weiterschlafen.“ Das wollte ich jedoch gar nicht. „Ich will lieber was spielen!“ schrie ich fröhlich! Müde und entgeistert schaute mich Henry an: „Wieso willst du eigentlich zur Schule? Das macht überhaupt keinen Spaß! Oder sieht Onkel Henry irgendwie lustig aus? Schau mal auf den Stapel von Arbeiten!“ Jetzt schaute er ganz besonders ernst, um mir etwas Angst einzujagen. „Ich muss noch zwanzig Hefter durchschauen! Das macht sich nun mal nicht von alleine.“ Dann legte er seinen Kopf auf den unbewältigten Stapel ab. Das Gesicht drehte er jedoch leicht zu mir. Er wollte mir seine Müdigkeit zeigen. Es wäre ihm auch so gelungen. Henry musste immer übertreiben. Jedenfalls meint das der Feuerwehrmann. Letzt sagte er: „Alles machst du mit viel zu viel Pathos. Keiner zwingt dich die Nacht für die Schule zu opfern.“ Das war erst gestern abend, bevor der Feuerwehrmann zu Bett ging.

Um Onkel Henry etwas aufzumuntern, fragte ich deshalb: „Kann ich dir beim Pathos etwas helfen!“ „Du weißt ja gar nicht, was Pathos ist!“ warf mir dieser entgegen. Jetzt bemühte er sich ein zorniges Gesicht zu machen. Das gelang ihm nicht. Außer Pathos konnte Henry eigentlich nur sehr wenig. „Ich weiß, was Pathos ist“, sagte ich, „das ist, wenn man allen zeigt, dass man gerade mit der größten Sache der Welt beschäftigt ist.“ Erst stutze Henry. Er überlegte, ob an meinen Worten etwas Richtiges dran war. Er war jedoch zu müde und hatte keine Lust, mit mir zu diskutieren. Deswegen gab er klein bei: „Oder es ist die Leidenschaft, kleine Probleme und kleine Affen großartig zu ertragen“, befreite seinen linken Arm, auf dem sein Kopf gelegen hatte, fuhr ihn blindlinks nach dort, wo die Hefte sich stapelten, aus, grinste und beförderte allein mit einer Bewegung den Stapel Hefte auf den Boden. „Die größte Sache für mich ist, jetzt endlich schlafen zu gehen.“

Durch die Wucht seiner Armbewegung schlugen viele Hefter jedoch an die Tür vom Schlafraum des Feuerwehrmanns, bevor sie den Boden erreichen konnten. Reflexartig ertönte auch schon: „Ruhe, Henry-Affen-WG!“ Mit dieser Kurzformel reagierte der Feuerwehrmann eintönig auf alles, was in der Nacht in seinem Nachbarzimmer geschah. Diesmal stand er zwei Minuten später jedoch auch in der Tür: „Gut, dass ich wach geworden bin, Lucy, wir müssen doch heute nochmal zum Schulamt. Es geht nochmal um die Bewilligung deiner Einschulung!“ Und ich wollte unbedingt zur Schule.

In den Booten über das große Meer sagten viele Eltern zu ihren Kindern: „Dort gehst du zur Schule.“ Die Mutter von Rosa sagte aber genauso oft: „Dort wird es dir besser gehen.“ Rosa war ein kleines afghanisches Mädchen, die den Karton hielt und beschützte, in dem ich mich befand. Meine Mutter hatte mich vor der Abreise in einen kleinen Schuhkarton gepackt. An die Seite hatte sie viele kleine Löcher gemacht, damit ich im Karton Luft bekommen konnte. Die große Invasion einer anderen Affenart machte mich heimatlos. Meine Eltern blieben zurück. Die Herrscher meines Landes riefen aus: „Wir teilen alles mit allen anderen. Wir Affen sind alle gleich. Es gibt keine Unterschiede zwischen Affen. Wir dürfen nichts für uns allein behalten.“

Doch meine Mutter weinte, als sie mich in den Schuhkarton packte. Sie legte noch etwas zu essen und etwas zu trinken in den Karton. Ich sollte es besser haben als meine Eltern und die zurückbleibenden Geschwister.

Rosa nahm den Karton unter ihren Arm und stürzte mit mir davon. Am Ufer trafen wir ihre Mutter. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir in das letzte Boot kommen wollen, dass diese Nacht geht“, sprach sie hastig und zugleich liebevoll. Ihre Stimme zitterte. Das Boot, wo wir hin mussten, war ca. 200 Meter am Strand entfernt. Die Mutter von Rosa war allerdings noch nicht dorthin gerannt, wo man das Boot zur Überfahrt fertigmachte. Sie war dort stehengeblieben, von wo Rosa losgerannt war, mich zu holen. Rosa hätte ihre Mutter sonst nicht wiedergefunden. Denn es war sehr dunkel. Auch der Mond war nicht zu sehen. Er war hinter den vielen Wolken versteckt. Viele Menschen waren unterwegs. Mehr als auf das eine Boot passten. Meine Mutter hatte Recht behalten: In dem kleinen Schuhkarton hatte ich eine bessere Überlebenschance. Viele Afrikaner und Syrer schlugen Affen - das wusste ich. Wir waren in ihren Augen minderwertige Geschöpfe. In dem Schuhkarton war ich jedoch nicht erkennbar.

Rosa, Rosas Mutter und ich fanden noch einen Platz im Boot. Der Mann, der uns ins Boot ließ, bevorzugte bei den letzten Plätzen, die er noch vergeben konnte, Frauen. Den weiter anstürmenden jungen Männern versicherte er, dass im nächsten Boot morgen für sie Platz sei. Da alles leise vor sich gehen musste, konnte man seine Stimme klar vernehmen. Auch seine Warnung: „Wenn ihr euch jetzt noch

dazwischen quetscht, ziehen wir das Boot nicht auf das offene Meer!“

Aus zwei großen Löchern im Karton konnte ich nach draußen schauen. Wenn Rosa nicht zu sehr mit dem Karton wackelte, konnte ich trotz der Dunkelheit einiges erkennen: Manchmal geriet das Licht von Taschenlampen in das Gesicht eines Flüchtlings. Ich sah aufgerissene Augen. Vor Angst und Schrecken. Alles war Wahnsinn. Mein Herz schlug wie verrückt. Meine Hände konnte ich nach keinem sicheren Seil ausstrecken, da ich im Karton gefangen war. Auch konnte ich mich, gefangen im Karton, nicht in die Mitte des Bootes setzen. Dort schwappten die Wellen nicht mehr so kräftig hinein. Das Boot war inzwischen vom Strand aufgebrochen. Die Gischt und die Wellen bekamen vor allem die mit, die außen auf dem Boot saßen.

Rosa hielt den Karton jedoch sehr hoch. Sie wollte vermeiden, dass ich durch einen Fußtritt oder wilde Armbewegungen erwischt würde. Zerstampft wurde ich so wirklich nicht. Doch Wasser drang durch die Löcher des Kartons in meine Behausung ein. Der Karton wurde von unten und oben feucht und begann aufzuweichen. Ich hatte Angst, weil ich mich im Karton hilflos fühlte. Ganz musste ich Rosa vertrauen. Ich sagte mir, wenn sie mich nicht beschützen will, hätte sie mich gar nicht mitgenommen. Rosa hatte darauf bestanden, von meiner Mutter kein Geld zu bekommen. Ich ginge ja als Gepäck auf das Boot. Kein Schlepper würde von einem Karton Geld einfordern. Tatsächlich war es Freundschaft. Sie mochte mich, ich mochte sie - von Beginn an: „Passt du auf meine Lucy auf?“ hatte meine Mutter beim Abschied gefragt.

Rosa antwortete darauf eigentlich nicht; sie sagte nur: „Du musst nicht weinen. Alles wird gut.“ Dann war sie mit mir davongerannt. Auf den ersten Metern hatte sie den Karton einen halben Meter in die Luft geworfen. „Wir schaffen das Lucy. Ich bin der beste Aufpasser der Welt. Und auf dich passe ich am allerbesten auf!“

Rosa war gerade fünf Jahre alt. Damit war sie gerade vierdreiviertel Jahre älter als ich. Das waren vierdreiviertel Jahre mehr Erfahrung für das Aufpassen, als ich sie hatte. Aufpassen ist eine schwere Angelegenheit. Vor allem wenn man auf andere aufpassen muss, dachte ich mir. Eigentlich hatte ich keine Angst wegen Rosa. Ich hatte Angst, dass fünf Jahre Aufpassen nicht ausreichen könnten. Dass ich vielleicht von einer großen Welle erwischt würde. Dass mein Karton über Bord gehen könnte. Die Wellen wurden heftiger und das Boot wackelte mehr und mehr. Rosas Mutter hielt Rosa fest in ihren Armen; Rosa hielt den Karton und ich streckte meine kleinen Ärmchen im Karton zu den Innenseiten des Kartons: um mich festzuhalten. Damit ich im Karton nicht wild umherschleuderte. Zwischendurch geschah es trotzdem. Dann hatte ich keine Kraft mehr, meine Arme ausgestreckt zu halten.

Ich wackelte hin und her. Dann musste ich auch quieken. Völlig still zu sein, schaffte ich nicht. Am Anfang, als ich quiekte, schlug Rosa mit ihrer flachen Hand gegen den Karton, um mir deutlich zu machen, ich solle damit aufhören. Das konnte ich einfach nicht. So konnte ich natürlich nicht unbemerkt bleiben. Ein Afrikaner wunderte sich: „Ich hätte mein Haustier nie mitgenommen auf eine so beschwerliche Reise. Auch ohne Tier ist das alles hart genug.“

Alle auf dem Boot guckten jedoch sehr angespannt auf den Horizont. Hoffentlich erscheint dort endlich ein Boot, dass uns aufnimmt, konnte man die Bootsinsassen denken hören. Keiner konnte sich auf die Inspektion eines Kartons konzentrieren. Alle hatten nur riesengroße Angst und schauten gebannt in die Leere um das Boot herum. Vielleicht tauchte ja von irgendwoher Rettung auf.