Augustinus - Uwe Neumann - E-Book

Augustinus E-Book

Uwe Neumann

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Augustinus (354-430), der gelernte Rhetor aus dem nordafrikanischen Tagaste, ist eine der interessantesten Gestalten der Spätantike. Auch nach seinem Übertritt zum Christentum löst sich seine Verankerung in der «heidnischen» Geisteswelt nicht, sie durchsetzt noch sein Schlüsselwerk, die «Bekenntnisse». Trotzdem bereitet er das «christliche Mittelalter" vor: «Über den Gottesstaat» schlägt von der christlichen Geschichtstheorie bis zu Fragen der Organisation der Kirche und ihres Verhältnisses zum Staat eine Fülle historisch bedeutsamer Themen an. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 227

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Uwe Neumann

Augustinus

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Augustinus (354–430), der gelernte Rhetor aus dem nordafrikanischen Tagaste, ist eine der interessantesten Gestalten der Spätantike. Auch nach seinem Übertritt zum Christentum löst sich seine Verankerung in der «heidnischen» Geisteswelt nicht, sie durchsetzt noch sein Schlüsselwerk, die «Bekenntnisse». Trotzdem bereitet er das «christliche Mittelalter» vor: «Über den Gottesstaat» schlägt von der christlichen Geschichtstheorie bis zu Fragen der Organisation der Kirche und ihres Verhältnisses zum Staat eine Fülle historisch bedeutsamer Themen an.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Über Uwe Neumann

Dr. Uwe Neumann, 1964 geboren, hat Klassische Philologie und Germanistik in Freiburg i. Br. und in Kiel studiert. Er wurde mit einer Arbeit zur griechischen Tragödie («Gegenwart und mythische Vergangenheit bei Euripides») 1994 promoviert. Von 1993 bis 1997 war er Assistent am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen. Seit 1998 unterrichtet er an einem Stuttgarter Gymnasium und ist außerdem seit einigen Jahren in der Lehrerausbildung für Alte Sprachen tätig. 2001 erschien in der Monographien-Reihe sein Band über Platon (rm 50533).

Das Leben des Augustinus

Die Biographie eines sozialen Aufsteigers

Gleich der vieler Persönlichkeiten der Geistesgeschichte ist auch die Biographie des Augustinus die eines sozialen Aufsteigers: Aus kleinen Verhältnissen kommend, eröffnet er sich einen immer größeren Wirkungskreis und wird schließlich durch eine intensive und vielfältige Nachwirkung eine prägende Gestalt der europäischen Kultur. Im Jahre 354 wurde er in der nordafrikanischen Stadt Thagaste (das heutig Souk Ahras in Algerien) in eine bäuerliche Welt hineingeboren. Sein Vater Patricius gehörte der kleinbürgerlichen Schicht an, seine Mittel waren beschränkt. Trotzdem wollte er seinem Sohn eine gründliche Bildung ermöglichen, und er tat dies in der Hoffnung, dass Augustinus eine bessere berufliche Stellung erreichen und ein bequemeres Leben würde führen können. Der junge Augustinus musste deshalb seine Heimatstadt verlassen und nahm ab dem Jahr 365 im nahe gelegenen Madaura Unterricht in Grammatik und Rhetorik. Der finanzielle Aufwand hierfür überstieg bald die Möglichkeiten seines Vaters, konnte jedoch durch die Hilfe eines reichen Freundes, des Romanianus (dem Augustinus später eine seiner Frühschriften widmete), bestritten werden. Doch auch so war der Rahmen, in dem sich seine Ausbildung bewegen konnte, durch Geldmangel eng. Sich verschärfende finanzielle Schwierigkeiten zwangen ihn, sein Studium im Jahr 369 zu unterbrechen und nach Thagaste zurückzukehren; 370 konnte er jedoch das Rhetorikstudium in Karthago fortsetzen.

Durch seine Bekenntnisse (Confessiones) sind wir gut unterrichtet über diese erste Phase seines Lebens, in der die Voraussetzungen für den beruflichen Aufstieg gelegt wurden und er sich zugleich die geistigen Grundlagen aneignete, die sein Denken bestimmen sollten. Allerdings wird man bei dem Bericht Augustins immer bedenken müssen, dass er aus späterer Einsicht heraus schreibt. Als er seine Bekenntnisse abfasste, haben sich seine Wertungen bereits erheblich geändert. Und wohl nicht zuletzt deshalb fällt sein Urteil über die Inhalte seiner Bildung reserviert aus. Obwohl sich ihm erst durch sein Studium ein für spätantike Verhältnisse bemerkenswerter Aufstieg bis zum Bischofsamt eröffnet hat und obwohl – nebenbei bemerkt – ein so komplexes Werk wie die Bekenntnisse ohne profunde Ausbildung nicht hätte geschrieben werden können, erscheinen ihm Sinn und Ziel des von ihm genossenen Unterrichts im Rückblick als fragwürdig: Deswegen schickte man mich zur Schule. Ich sollte lesen und schreiben lernen. Ich in meinem Elend sah nicht ein, wozu das nützen sollte. Aber wenn ich faul war beim Lernen, schlug man mich. Die Erwachsenen fanden das sogar gut.[1] Überraschend einsichtsvoll klingen seine Bemerkungen zu den üblichen Prügelstrafen in der Schule: Freie Wissbegier hätte beim Lernen mehr erreicht als der einschüchternde Zwang, dem er ausgesetzt war.[2] Die Ausbildung diente vor allem dazu, die rhetorischen Fähigkeiten Augustins zu entwickeln und möglichst so weit zu vollenden, dass er einmal selbst als Redelehrer tätig werden konnte. Die Rhetorik war – wie nahezu in der gesamten Antike – die entscheidende Schlüsselqualifikation; wer hier Hervorragendes leistete, konnte leicht den Nachteil einer niedrigeren Herkunft wettmachen, und mehrere Karrierewege standen ihm offen. Auch dieser Zielsetzung seines Vaters steht Augustinus später sehr distanziert gegenüber. Seine Familie habe alles unternommen, um die Kosten für einen längeren Aufenthalt in Karthago aufzubringen, dies eher aufgrund ehrsüchtiger Neigung als entsprechender Einkünfte meines Vaters, eines nur bescheiden begüterten Bürgers aus Thagaste[3]. Besonders scharf fällt das Urteil über die Lehrinhalte aus: Während der erste Schulstoff, der sogenannte Elementarunterricht, der mit Lesen und Schreiben vertraut machte, noch einigermaßen gut bewertet wird, verurteilt Augustinus den darauf aufbauenden Lehrstoff, der vor allem die antike Literatur zum Gegenstand hatte: Dieser Unterricht war besser als der spätere, der mich zwang, die Irrfahrten irgendeines mir unbekannten Äneas zu behalten und darüber meine eigenen Irrwege zu vergessen, den Tod der Dido zu beweinen, die aus Liebe Selbstmord beging, während ich es in meinem tiefen Elend ungerührt hinnahm, daß ich durch solche Bücher wegstarb von dir, Gott, mein Leben.[4] Mitunter fällt der Ton noch schärfer aus: Nein und nochmals nein: Niemals lernt man durch solche Unanständigkeiten die Wörter leichter, niemals! Nur begeht man solche Unanständigkeiten dreister mit Hilfe dieser Wörter! Ich klage nicht die Wörter an, diese erlesenen und kostbaren Gefäße, sondern den Wein der Täuschung, den betrunkene Lehrer uns in ihnen reichten, daß sie uns schlugen, wenn wir nicht tranken, und daß wir dabei an keinen nüchternen Richter appellieren konnten.[5]

Die Stadt Karthago, in der sich Augustinus dieser Bildungstyrannei ausgesetzt sah, war zu seiner Zeit ein erfolgreiches Handelszentrum, in dem nahezu alle Bereiche der antiken Kultur sichtbar in Blüte standen. Es gab Tier- und Gladiatorenkämpfe in der Arena, Dichterwettbewerbe, Theateraufführungen und eine entwickelte Literaturszene. Apuleius, dessen Roman «Der goldene Esel» heute noch bekannt ist, hielt sich zeitweise dort auf. Die Schulzeit Augustins fiel in die Regierungsjahre des Kaisers Julian, der den Beinamen «Apostata», «der Abtrünnige», trug. Von Konstantin an waren die römischen Kaiser christlich, und das Christentum setzte sich allmählich als Staatsreligion durch. Julian hatte jedoch noch einmal versucht, den Einfluss des Christentums zurückzudrängen und dem alten römischen Staatskult mit seinen heidnischen Göttern wieder Geltung zu verschaffen. Dieser Versuch blieb Episode, nicht zuletzt weil Julian früh starb. Doch dürfte Augustinus als Schüler öffentliche Aufzüge und Spiele zu Ehren von heidnischen Gottheiten gesehen haben, und seine später oft und heftig geäußerte Verachtung für heidnische Frömmigkeit hat vielleicht hier ihre frühen Wurzeln.

Die Mutter Augustins, Monnica, teilte nach außen den Ehrgeiz des Patricius, den dieser für seinen Sohn hegte. Auch sie wünschte für ihren Sohn eine gute Ausbildung, jedoch eher weil sie glaubte, dass wissenschaftliche Studien ein gutes Mittel seien, Gott näherzukommen.[6] Schon in dieser anderen Motivation, aus der heraus sie den Bildungsgang ihres Sohnes unterstützte, zeigen sich die großen Unterschiede zwischen seinen Eltern. Während Monnica intensiv im christlichen Glauben lebte, stand Patricius der Religion eher gleichgültig gegenüber. Zwar erwähnen die Bekenntnisse, dass er sich taufen ließ[7], doch blieb die Religion für ihn eher nebensächlich. Die unterschiedliche Haltung der Eltern hatte große Bedeutung für Kindheit und Jugend Augustins. Monnica bestimmte die innere Entwicklung ihres Sohnes. Sie legte größten Wert auf eine christliche Erziehung. Augustinus berichtet über diese Prägung seines inneren Lebens: So war ich denn also schon gläubig, mit ihr und dem ganzen Haus, bis auf den Vater. Doch der verdrängte nicht das Vorrecht der Frömmigkeit meiner Mutter, so daß ich etwa nicht an Christus geglaubt hätte, weil er noch nicht gläubig war. Denn sie strengte alles an, daß du, mein Gott, mir Vater sein solltest, mehr als er, und du standest ihr bei, mehr Einfluß zu bekommen als ihr Mann, dem sie diente, weil sie die Bessere war.[8] In dieser Stelle sind wesentliche Momente ausgesprochen, die den Menschen Augustinus und sein Denken formen: die Konkurrenz zwischen Monnica und ihrem Mann um den Einfluss auf ihr Kind; die Tatsache, dass die Mutter diese Rivalität für sich entscheidet und dass die Rolle des Vaters gegen Gott als eigentlichen Vater abgewertet wird. Wichtig sind für das Kind die Mutter und der durch sie vermittelte christliche Gott. Es ist deshalb kaum Zufall, wenn die Bekenntnisse alle anderen Familienmitglieder nur beiläufig erwähnen: Der Vater besitzt marginale Bedeutung, sein Tod wird in einer Randbemerkung nachgetragen[9]; ein Bruder wird ganz knapp erwähnt[10], und von einer Schwester wissen wir lediglich aus einem Brief.[11] Der Leser der Bekenntnisse begegnet dagegen der intensiven Beziehung zwischen Augustinus und seiner Mutter auf Schritt und Tritt. Die übergroße Bemühung seiner Mutter um ihn setzte Augustinus fortwährend unter Druck; seine seelische Disposition, seine spätere Einstellung zu Frauen und Sexualität wurde von einer solchen fordernden Mutterliebe beeinträchtigt. Das weitere Leben Augustins wird mehrfach Belege für die einseitigen Prägungen dieser Kindheit hervorbringen.

Bei der Dominanz des christlichen Einflusses, den die Mutter auf Augustinus ausübte, mag es erstaunen, dass er nicht bereits als Kind getauft wurde. Allerdings war die Kindertaufe zu dieser Zeit noch nicht die Regel. Da man überdies dem etwas mechanistisch anmutenden Glauben anhing, dass die Taufe eine Art Reinigung darstelle, die man durch seinen weiteren Lebenswandel wieder zunichtemachen konnte, herrschte die Tendenz vor, sich spät taufen zu lassen, um möglichst gereinigt von Sünden vor dem Endgericht erscheinen zu können. Wie dramatisch mitunter die Entscheidung war, ob man nun ein krankes Kind taufen solle oder nicht, hat Augustinus selbst bei einer gefährlichen Krankheit erfahren: Die Mutter meines Fleisches war bestürzt. Wäre ich nicht bald wieder gesund geworden, hätte sie, da sie mit noch größerer Liebe schwanger ging mit meinem ewigen Heil, keuschen Herzens und im Glauben an dich, eilig alles vorbereitet, daß ich in die heilbringenden Geheimnisse eingeweiht und abgewaschen würde, um durch das Bekenntnis zu dir, Herr Jesus, die Nachlassung der Sünden zu erhalten. So wurde meine Reinigung aufgeschoben, als wäre es unvermeidlich, daß ich mich mehr beschmutzte, wenn ich überlebte; meine Schuld, dachte man, werde nur größer und gefährlicher, wenn ich nach dem Taufbad in den Schmutz der Sünde zurückfiele.[12]

So abwertend sich Augustinus später auch über den Sinn und das Ziel seiner Ausbildung geäußert hat, war er doch ein ausgesprochen erfolgreicher Schüler. Einmal sollten die Schüler der Göttin Juno eine fiktive Rede in den Mund legen, in der sie darüber Klage führt, dass sie trotz aller Anstrengungen die Landung des ihr verhassten Äneas in Italien nicht würde verhindern können. Solche rhetorischen Übungen waren ein wichtiges Element der rednerischen Ausbildung. Offensichtlich hat es Augustinus sehr gut verstanden, der Juno wirkungsvolle Worte zu verleihen, denn er trug bei dieser Übung den ersten Preis davon.[13] Überhaupt darf seine Bildungsschelte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Ehrgeiz groß war und er sich durchaus zielstrebig um immer höhere Anerkennung bemühte. Erst als es kaum mehr höher ging und er keinen Nachteil befürchten musste, wurde Augustinus kritisch jener Bildung gegenüber, von der er ausgiebig profitiert hatte.

Augustinus machte sehr schnell Fortschritte in seiner Ausbildung, und schon mit zwanzig Jahren wurde er in seiner Heimatstadt Redelehrer. Von 375 bis 383 setzte er diese Tätigkeit in Karthago fort. Dass Augustinus Redelehrer wurde, hängt sicherlich mit seinem großen Talent für wirkungsmächtige Sprache zusammen. Zerknirscht berichtet er über seinen Erfolg: Und bald bekleidete ich in der Rhetorenschule einen ziemlich angesehenen Rang, freute mich hochmütig und blähte mich auf vor Eitelkeit.[14] Dieser Beruf brachte für ihn noch einen weiteren schätzenswerten Vorteil: In der Spätantike waren nahezu alle Stände mit Abgaben und Pflichten überhäuft. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand wurde vererbt, ihn zu verlassen war schwierig und nur unter bestimmten Umständen möglich. Der Beruf des Rhetoriklehrers, den Augustinus ergriff, war jedoch mit wertvollen Privilegien verbunden: Er konnte nun den ihm von Patricius vorgegebenen Stand verlassen und sein Leben weit freier führen. Als Redelehrer lebte Augustinus in Karthago von dem Hörergeld, das ihm die Studenten bzw. ihre Eltern zahlten. Die Verträge wurden über ein Jahr abgeschlossen, aber es kam nicht selten vor, dass Studenten nach elf Monaten kündigten und Augustinus für seine Bemühungen leer ausging. Jedenfalls beklagt er sich über die geringe Zahlungsmoral seiner Hörer.[15]

Wohl noch während seines Studiums hatte Augustinus eine Frau kennengelernt, mit der er im Konkubinat zusammenlebte, das als eine legitime Form des Zusammenlebens allgemein akzeptiert war. Dieser Verbindung entstammt sein Sohn Adeodatus (der Name bedeutet «von Gott gegeben»), der jedoch jung stirbt. Augustinus berichtet, dass er seiner Partnerin treu gewesen ist, wertet diese Verbindung jedoch ab, weil die […] unbesonnene Glut der Ausschweifung sie gestiftet habe.[16] Diese Wertung reiht sich in zahlreiche heftige Selbstanklagen ein, in denen sich Augustinus sexuelle Haltlosigkeit und Ausschweifung vorwirft: Was war es anderes, das mich erfreute, als zu lieben und geliebt zu werden? Der Weg von Geist zu Geist als der lichtvolle Pfad der Freundschaft war es jedoch nicht, den ich einzuhalten trachtete, vielmehr erhoben sich die Dünste aus dem Sumpf fleischlicher Begierde, aus dem sprudelnden Quell der Mannbarkeit, umwölkten und verfinsterten mein Herz, so daß sich der strahlende Glanz der Liebe nicht mehr vom Dunst der Lust unterscheiden ließ. Beides wogte, ineinander verwirrt, in mir, riß meine schwache Jugend durch die Abgründe der Leidenschaften und versenkte sie im Strudel der Laster.[17] Beide Stellen erhellen sich gegenseitig: Mit den angeblichen Ausschweifungen Augustins kann es so weit nicht her sein, wenn er monogam gelebt hat, und die Verurteilung seines Konkubinats zeigt eine grundsätzliche Verurteilung der Sexualität, die sich im Denken des späteren Augustinus immer deutlicher ausprägt. Man lasse sich von der drastischen Metaphorik der Sprache Augustins nicht täuschen: Sein sexuelles Leben bewegte sich vollkommen im Bereich des Üblichen und Normalen. Nicht die Liebe zu einer jungen Frau, nicht die Leidenschaft ist hier das Auffällige, sondern die noch größere Leidenschaftlichkeit, mit der Augustinus meint, diese Liebe diskreditieren zu müssen. Eine rechtmäßige Ehe kam damals im Übrigen nicht zustande, weil die Eltern glaubten, dass eine so frühe Bindung der Karriere ihres Sohnes hinderlich sein könnte.[18]

Trotz aller äußeren Erfolge muss Augustinus innerlich leer geblieben sein, immer wieder wird aus seinen Bekenntnissen deutlich, dass er in dieser Zeit ein suchender, um Gewissheiten und Sinn bemühter Mann gewesen ist. Die Rhetorik konnte diese Sehnsucht nicht erfüllen, und Augustinus versuchte auf mehreren Wegen, sichere Erkenntnis zu gewinnen. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Lektüre des Dialogs «Hortensius» von Cicero zu. Dieser Dialog ist nicht erhalten geblieben; immerhin wissen wir, dass er eine Werbeschrift für die Philosophie gewesen ist. Augustinus schreibt hierzu: Es war dieses Buch, das meinen Sinn veränderte, gerade dir, Herr, meine Gebete zukehrte und mein Wünschen und Verlangen andere werden ließ. Plötzlich war all meine eitle Erwartung für mich ohne Wert, und mit unglaublicher Inbrunst begehrte ich nach der unsterblichen Weisheit; ich begann mich aufzurichten, um zu dir zurückzukehren.[19] Mit einem Mal wurde ihm jedes Fachwissen ebenso verächtlich wie die Zugehörigkeit zu dieser oder jener philosophischen Vereinigung. Er wollte nun die Weisheit zum Orientierungspunkt seines Lebens machen. In markanter Schwarz-Weiß-Zeichnung stellt er sein früheres Leben, in dem er Anstrengungen nur um des äußeren Erfolges willen auf sich genommen habe, der nun in ihm erwachten Liebe zur Philosophie gegenüber. Schon hier fasst Augustinus die Wende zur Wahrheit als eine Wende zu Gott auf. Es ist einigermaßen paradox, dass ausgerechnet Cicero, ein heidnischer Philosoph, der in den Schulen mehr seiner rhetorischen Vorzüge als seiner Inhalte wegen gelesen wurde, diese Wende auslöst: Der römische Redner Cicero befreit den Redelehrer Augustinus von der Rhetorik. Ferner ist bemerkenswert, dass Augustinus durchaus vom eleganten Latein und der Sprachmächtigkeit Ciceros gefesselt wurde. Denn als er sich wenig später wieder intensiver mit der Bibel beschäftigte, stieß ihn gerade die – natürlich durch den Kontrast zum kultivierten Latein Ciceros besonders stark empfundene – Unebenheit ihrer Sprache ab. Und es dauerte lange, bis er dieses Missfallen überwand.

Doch wozu nutzte Augustinus diese neue Orientierung, zu der ihm der «Hortensius» verholfen hat? Nur wenige Tage nach der Lektüre schloss er sich der manichäischen Lehre an (im Jahr 373). Diese Lehre, in der sich orientalische mit griechisch-platonischen Elementen mischten, ging auf den iranischen Propheten Mani (216–277) zurück und verstand sich weniger als Konkurrenz, sondern vielmehr als Vollendung der einzelnen Religionen, einschließlich des Christentums. Sie wollte vor allem eine Antwort auf die Frage geben, wie das Böse in die Welt gelangt sei, und erklärte es durch einen kosmischen Dualismus, der dem Bösen ebenso wie dem Guten eine eigene Substanz zuschrieb. Es gebe zwei Reiche, das des Lichts und das der Finsternis, die jeweils einem Herrscher unterständen. Die äußere Welt werde vom Stofflichen, das mit dem Bösen gleichzusetzen sei, beherrscht und die Seele lebe in ihr wie in einem Kerker.

Augustinus trat dieser Sekte als «Hörender» bei. Die «Hörenden» hatten nicht dieselben Pflichten wie die «Erwählten» (oder «Pneumatiker»), die streng asketisch leben mussten. Dafür waren die «Pneumatiker» dem Ziel der Manichäer, der völligen Reinheit, schon sehr nahe, während die Seelen der «Hörenden» sich diesem noch durch mehrere Wiederverkörperungen annähern mussten. Aus mehreren Gründen erschien Augustinus diese Lehre anziehend: Der Manichäismus räumte der Vernunft einen höheren Rang ein als die katholische Kirche, die von ihren Anhängern verlangte, bestimmte Glaubensinhalte auf bloße Autorität hin zu akzeptieren. Wenn Augustinus später als Bischof für sich beanspruchte, Autorität zu sein, wird er seine Haltung als junger Mensch vergessen haben. Ferner war Augustinus, solange er «Hörender» blieb, nicht verpflichtet, sein Liebesleben einzuschränken, das ihm mit Gewissensbissen vorerst hinreichend gebüßt erschien. Schließlich griff diese Lehre immer wieder die Bibel, besonders das Alte Testament, an, weil in ihm die Überzeugung vertreten wird, der Schöpfer und die materielle Ordnung der Dinge seien gut. Augustinus, durch die Cicero-Lektüre sprachlich sensibilisiert, war durch die stilistische Unbeholfenheit und durch logische Ungereimtheiten, die besonders das Alte Testament aufweist, abgestoßen. Dass ihm in der manichäischen Konzeption ein umfassendes Welterklärungsmodell gegenübertrat, das eine besondere Suggestivwirkung entfaltete, tat ein Übriges.

Im Ganzen blieb Augustinus neun Jahre Anhänger des Manichäismus. Doch hat es ihn nie gedrängt, über den Status eines «Hörenden» hinauszugelangen. Und bald schon begann er zu spüren, dass ihn diese Lehre letztlich enttäuschen musste. Ein sich über längere Zeit hinziehender Ablösungsprozess setzte ein. Die Begegnung mit dem berühmten Manichäer Faustus wird für ihn zu einem ernüchternden Erlebnis. Zwar ist er von den rhetorischen Fähigkeiten dieses Mannes beeindruckt, doch können diese über die sonstigen Defizite nicht hinwegtäuschen: Nachdem mir nämlich ganz deutlich geworden war, daß Faustus in den Wissenschaften, wo er meiner Ansicht nach hätte glänzen müssen, nur Unkenntnis an den Tag legte, gab ich allmählich die Hoffnung auf, er könne die Probleme, die mich bewegten, zu meiner Zufriedenheit erhellend lösen. […] So war denn der Eifer, mit dem ich mich der manichäischen Lehre zugewandt hatte, gebrochen. Während mir jedoch gegenüber ihren übrigen Lehrern immer mehr Zweifel kamen, da ja in vielen Problemen, die mich bewegten, ihre Berühmtheit, Faustus, dermaßen kläglich versagt hatte, pflegte ich mit ihm dennoch allmählich näheren Umgang in Anbetracht seines brennenden Interesses für die Wissenschaften, die ich damals, noch Rhetor in Karthago, die jungen Leute lehrte, und las mit ihm Schriften, die er von sich aus gern lesen wollte, weil er von ihnen gehört hatte, oder von denen ich meinerseits glaubte, sie seien seiner Geistesart angemessen. Davon abgesehen, war mein ganzes Bemühen, in dieser Sekte meiner ursprünglichen Absicht gemäß vorwärtszukommen, just in dem Moment, wo ich diesen Mann kennengelernt hatte, für mich null und nichtig geworden, nicht jedoch so, daß ich mich von den Manichäern gänzlich hätte trennen wollen; als einer, der einstweilen nichts Besseres fand als das, worauf ich mich nun einmal blindlings eingelassen hatte, hatte ich vielmehr den Entschluß gefaßt, mich vorläufig damit zufriedenzugeben; vielleicht zeigte sich ja einmal etwas Lichtvolleres, dem dann der Vorzug zu geben sei.[20] An den manichäischen Glaubensinhalten erschien Augustinus besonders die Tatsache, dass der Gott der Finsternis den Gott des Lichts bekämpfen solle, unerklärlich. Gott müsse demnach veränderlich und besiegbar sein – eine Auffassung, die mit Augustins sich herausbildender Überzeugung von der Unveränderlichkeit Gottes nicht in Einklang zu bringen war. Doch in der ersten Zeit, in der sich Augustinus von den manichäischen Ansichten entfernte, war für ihn noch keine Gewissheit in Sicht, die an die Stelle der aufgegebenen Überzeugung treten konnte. Er wusste, was ihm nicht mehr plausibel erschien, aber er wusste noch nicht, zu welcher Erkenntnis er sich jetzt bekennen sollte. Augustinus blieb in dieser Zeit auf der Suche, und für kurze Zeit scheint er sogar an der Möglichkeit, überhaupt sichere Wahrheit zu finden, gezweifelt zu haben. Er übernahm damit die Ansicht der skeptischen Philosophie, die grundsätzlich bestritt, dass der Mensch die Natur der umgebenden Welt verlässlich erkennen und deshalb zu einer begründeten Handlungssicherheit gelangen könne. Allerdings ging seine Skepsis nie in die radikale Tiefe, die Karneades und andere Skeptiker auszeichnet. Die Existenz Gottes hat Augustinus nie in Zweifel gezogen. Es ist dies das einzige Mal, dass Augustinus sich zweifelnd und unsicher zeigt – später ist er immer sicher und oft allzu sicher.

In dieser Phase des Übergangs suchte Augustinus auch eine räumliche Veränderung. Im Jahr 383 ging er nach Rom, um dort als Redelehrer tätig zu sein. Als Grund für diesen Wechsel führt er seine Unzufriedenheit mit dem Lehrbetrieb in Karthago an: Was mich dazu bewog, will ich nicht übergehen und will es vor dir bekennen, denn auch darin zeigen sich bedenkens- und preisenswert die abgrundtiefe Verborgenheit deiner Ratschlüsse und deine stets gegenwärtige Barmherzigkeit uns gegenüber. Nicht deshalb wollte ich mich nach Rom aufmachen, weil mir von meinen Freunden, die dazu rieten, dort größere Einkünfte und ein größeres Ansehen in Aussicht gestellt wurden – obwohl mir auch derartige Verlockungen damals nicht unwillkommen waren –; der ausschlaggebende und fast einzige Beweggrund war vielmehr folgender: Ich vernahm, daß die Studenten dort friedfertiger seien und aufgrund einer strafferen Disziplin davon abgehalten würden, in Scharen und rücksichtslos in die Vorlesung eines Lehrers zu stürmen, bei dem sie gar nicht hören, und daß sie ohne Einwilligung des Lehrers gar nicht zugelassen würden. In Karthago dagegen herrscht unter den Schülern eine verabscheuenswerte und maßlose Dreistigkeit: In unverschämter Weise dringen sie in den Hörsaal ein und bringen mit an Raserei grenzender Frechheit die Ordnung durcheinander, die man gerade für die Schüler zum Zweck ihrer Fortbildung ersonnen hat.[21]

Man wird diese Begründung Augustins einleuchtend finden können, doch es ist fraglich, ob hiermit das einzige und entscheidende Argument für seinen Weggang aus Karthago angegeben ist. Tatsächlich spricht einiges für die Annahme, dass die Fahrt nach Rom auch einen Versuch darstellte, der äußerst engen Bindung an die Mutter zu entkommen. Jedenfalls verließ er gegen den Willen der Mutter Afrika, ja er hinterging seine Mutter sogar, die ihm in den Hafen gefolgt war und ihn entweder begleiten oder ihn zum Bleiben bestimmen wollte: Er gab vor, nur noch einem Freund Gesellschaft leisten zu wollen, schiffte sich jedoch heimlich selbst ein. Und wie zum äußeren Zeichen für das Seelendrama, das sich in Augustinus abgespielt haben muss, erkrankt er sofort nach seiner Ankunft in Rom.[22] Die Studenten in Rom waren im Übrigen denen in Karthago durchaus ebenbürtig; auch sie prellten ihre Lehrer um das Honorar.[23] Augustinus wird froh gewesen sein, dass er die Bekanntschaft des hohen Staatsbeamten Symmachus, der aus der heidnischen Aristokratie stammte und ein bedeutender Vertreter des traditionsbewussten Römertums gewesen ist, machen und durch dessen Vermittlung 384 nach Mailand gehen konnte. Auch manichäische Kreise waren bei diesem Karriereschritt beteiligt, deren Hilfe Augustinus ohne Scheu annahm. Auch dort war Augustinus als Rhetorikprofessor tätig, er stand nun auf dem Höhepunkt seiner weltlichen Karriere.

Mailand war Residenz des kaiserlichen Hofes, und zu den Amtspflichten Augustins zählte fortan, öffentliche Ehrenreden für hochgestellte Persönlichkeiten zu halten.[24] Doch scheint er von den mitunter kleinlichen und allzu profanen Anforderungen der Politik, auf die er sich nun einlassen musste, enttäuscht gewesen zu sein: In welchem Elend steckte ich doch und wie trefflich verfuhrst du mit mir, um mich meine erbärmliche Lage an jenem Tag spüren zu lassen, als ich mich anschickte, eine Lobrede auf den Kaiser [Valentinian II.] zu halten, die mit Lügen ziemlich gespickt war, und ich mir nur durch meine Lügen die Gunst derer, die das wußten, zu verschaffen suchte, als mein Herz jedoch unter der Last dieser Sorgen ächzte und wegen des fiebrigen Drucks aufreibender Gedanken stöhnte.[25]

Mailand wird jedoch eine wichtige Station in der inneren Entwicklung Augustins. Hier begegnet er dem Bischof Ambrosius, der ihn tief beeindrucken und ihm neue Impulse vermitteln sollte, die ihn aus seiner Ungewissheit befreiten. An Ambrosius bewunderte Augustinus vor allem die Fähigkeit, das Alte Testament gegen die Kritik der Manichäer zu verteidigen. Ambrosius wandte konsequent die allegorische Auslegung an, und dadurch gelang es ihm, sprachliche oder inhaltliche Anstöße auszuräumen, denn diese seien nur bildlich zu verstehen und trügen eigentlich eine sinnvolle und befriedigende Aussage in sich. Da Augustinus mehrere philosophische Lehren daraufhin befragt hatte, ob sie die Ungewissheit beseitigen könnten, die durch seine Lösung von den Manichäern entstanden war, und da er sich in Mailand besonders mit dem neuplatonischen Denken befasste, war Ambrosius für ihn noch aus einem weiteren Grund sehr bedeutsam: Sein Gottesbegriff war für einen Neuplatoniker annehmbar. Durch Ambrosius fasste Augustinus Zutrauen, dass auch innerhalb der katholischen Lehre Gott als reiner Geist gedacht und ein Ausgleich zwischen Philosophie und Theologie erreicht werden könne. Er wurde bald Taufbewerber (Katechumene) in Mailand.[26]

Neben Ambrosius wurde die Entdeckung des neuplatonischen Denkens für Augustinus wichtig.[27] In Mailand hatte sich ein Kreis philosophisch interessierter Männer gebildet, durch deren Vermittlung Augustinus mit neuplatonischen Schriften vertraut wird. Romanianus, der in Afrika die Ausbildung Augustins unterstützt hatte, zählte zu diesem Zirkel, ferner Zenobius, Hermogenianus und Manlius Theodorus. Die entscheidende Vermittlung der neuplatonischen Philosophie stützte sich weniger auf Plotins Werk selbst, sondern eher auf Porphyrios, dessen breit angelegte Darstellung und leicht ins Lateinische übersetzbarer Stil sich dieser Vorzüge wegen unschwer in thesenartig zugespitzte Sätze überführen ließen. Inhaltlich unterschied Augustinus nicht streng zwischen Platon und Neuplatonismus. Insgesamt übernahm er aus diesem Traditionskomplex folgende Elemente in sein eigenes Denken: die Selbständigkeit der geistigen Welt; die Ablehnung jeden Materialismus; einen neuen Realitätsbegriff, vor allem die Auffassung, dass Geist und Seele wichtiger sind als sinnliche Einzeldinge; die Ideenlehre; die Ablehnung einer sensualistischen Erkenntnislehre; die Verbindung von praktischer und theoretischer Philosophie und schließlich die Forderung nach Bewusstseinsumkehr und Askese. Aus allen diesen Bausteinen entwickelte Augustinus nach und nach sein eigenes christliches Weltbild. Mit der Rezeption des Neuplatonismus verlagert er alle Sinnerwartung in die jenseitige, die intelligible, die nur vorstellbare Welt, nachdem ihm die Unsicherheit aller anderen theoretischen Ansprüche und die Fragwürdigkeit jeder auf die Außenwelt angewiesenen Lebenserfüllung (Erfolg, Ruhm, Geld) bewusst geworden sind.