3,99 €
Kurz nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hat, wird Karl Reuter 1975 in einem Hotel am Hamburger Stadtpark tot und an das Hotelbett gefesselt aufgefunden. Die Tat wird als Unfall bei Spielen im homosexuellen Milieu betrachtet und die Aufklärung nicht wirklich vorangetrieben. 38 Jahre später geht der Polizist Klaus Nottebrook der Sache noch einmal auf den Grund. Schon bald vermutet er, dass die schnelle Erledigung damals wohl etwas mit Reuters Wirken als Übersetzer an der Deutschen Gesandtschaft in Lissabon zwischen 1933 und 1944 zu tun hatte. Oder war es seine spätere Tätigkeit als freiberuflicher Übersetzer für Handels- und andere Geschäfte mit Portugal, die nicht allzu intensiv betrachtet werden sollte? _______LESERSTIMME Die zwielichtige Rolle, die das salazaristische Portugal zwischen den Alliierten einerseits und dem Hitler-Deutschland andererseits gespielt hat, hat Filmemacher und Schriftsteller immer zu immer neuen Werken gereizt. Umso begrüßenswerter ist es, dass Bernd Dieter Schlange mit "Luftfahrt, Gold und Ölsardinen" das Thema aus Hamburger Sicht aufgreift, ist die Hansestadt doch seit jeher durch ihre maritimen Beziehungen in besonderem Maße mit der Lissabonner Metropole verknüpft. Peter Koj, Kulturreferent der Portugiesisch-Hanseatischen Gesellschaft _______LESERSTIMME Die meisten Familien haben ihr dunkles Geheimnis, das eigentlich mit einem Taboo belegt ist. Der Familie der europäischen Völker ergeht es da kaum anders. In seinem sorgfältig recherchierten Buch beleuchtet Bernd-Dieter Schlange wichtige Aspekte des Verhältnisses zwischen Salazars Portugal und Deutschland. Er spannt dabei den Bogen bis weit in die Nachkriegszeit. Das Ganze in dem Ornat eines spannenden Kriminalromans, an dessen Ende so manches europäisches Familiengeheimnis nicht mehr wirklich eins ist. Dr. Martin Kersting, Historiker
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 380
Veröffentlichungsjahr: 2016
www.tredition.de
Das Buch
Kurz nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hat, wird Karl Reuter 1975 in einem Hotel am Hamburger Stadtpark tot und an das Hotelbett gefesselt aufgefunden. Die Tat wird als Unfall bei Spielen im homosexuellen Milieu betrachtet und die Aufklärung nicht wirklich vorangetrieben.
38 Jahre später geht der Polizist Klaus Nottebrook der Sache noch einmal auf den Grund. Schon bald vermutet er, dass die schnelle Erledigung damals wohl etwas mit Reuters Wirken als Übersetzer an der Deutschen Gesandtschaft in Lissabon zwischen 1933 und 1944 zu tun hatte. Oder war es seine spätere Tätigkeit als freiberuflicher Übersetzer für Handelsund andere Geschäfte mit Portugal, die nicht allzu intensiv betrachtet werden sollte?
Der Roman behandelt den Abschnitt der Deutsch-Portugiesischen Geschichte von 1933, dem Machtantritt der Nazis in Deutschland, bis 1974, dem Ende der Salazar-Diktatur in Portugal, vor allem aber ist er ein spannender Kriminalroman.
Der Autor
Bernd Dieter Schlange legt hier mit 62 Jahren seinen ersten Kriminalroman vor. Die bisherigen Veröffentlichungen des studierten Mathematikers und Philosophen bezogen sich auf seine Arbeit als ÖPNV-Planer.
Vordere Umschlagseite: Blick auf den Pico
Hintere Umschlagseite: Der Autor an der Praia Grande
Bernd Dieter Schlange
Luftfahrt, Gold und Ölsardinen
Ein Kriminalroman zwischen
© 2016 Bernd Dieter Schlange
Umschlagfotos: Barbara C. Smith
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback
978-3-7345-2176-8
Hardcover
978-3-7345-2177-5
e-Book
978-3-7345-2178-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung
Kapitel 1 Steilshoop 2013
Die Sonne schien von der Landseite her auf den Strand, trotzdem warfen die Felsen keine Schatten. Die Wellen waren haushoch und überschlugen sich lautlos. Jetzt fehlte noch ein Schiff, aber Nottebrook wusste, dass es gleich in der Mitte des Bildes auftauchen würde. Ein weißes Ausflugsschiff, das sich langsam an den Anleger schob, der eben noch nicht da war. Klaus Nottebrook war fast eingeschlafen, als plötzlich wieder sein Chef vor ihm stand. Er saß aufrecht im Bett, an Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken.
Eigentlich hatte er die ganze Geschichte erledigt, innerlich. Und von Soest war ja im Recht: Natürlich wusste Nottebrook, wie riskant seine Recherchen waren, wem er alles auf die Füße trat. Und dass das vorzeitig bekannt geworden war, lag ja wohl auch nicht an von Soest – jedenfalls bis zum Beweis des Gegenteils. Insofern musste Nottebrook mit einer Stelle im Archiv zufrieden sein, und er sollte ja nicht einmal Akten sortieren. Von Soest hatte erreicht, dass er alte gelöste und ungelöste Fälle aufbereiten durfte, kleine Romane „nach der Wirklichkeit“, sozusagen als Sympathiewerbung für die Hamburger Polizei. „Hamburger Tötungsdelikte“, den Namen hatte von Soest auch erfunden. Und für die ersten beiden Bände hatte er sich sogar schon wunderbar harmlose und uninteressante Fälle ausgesucht. Die „Hamburger Tötungsdelikte“ brauchte keiner, aber Nottebrook brauchte jetzt auch keiner mehr, das passte also gut zusammen.
Trotzdem, er hatte sich damit abgefunden, und nach Abarbeitung der beiden ersten Fälle wollte er den dritten harmlosen Fall verarbeiten. Dass er jetzt an eine andere Möglichkeit dachte, lag im Grunde an einem reinen Zufall:
Als braver Bürger hatte er sich letzten Dienstag zu einer Veranstaltung über den Schulneubau in Steilshoop gequält – so kann man es sagen, aber er wohnte seit mehr als 30 Jahren hier, er wollte wenigstens etwas tun. Und dort hatte die Leiterin des Kindergartens einen kurzen Redebeitrag gehalten, Christiane Müller, eine Kollegin aus längst vergangenen Zeiten. Im Anschluss an die Veranstaltung waren einige Teilnehmer noch zum Griechen gegangen, auf ein Bier, einige hatten auch gegessen. Nottebrook wäre normalerweise nicht mitgegangen, aber in der Pause hatte er sich lange mit Christine Müller unterhalten, und dabei waren sie auch auf alte Zeiten zu sprechen gekommen, ihr kurzes Gastspiel bei der Kripo, das mit dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst endete. Das war lange her, die Kindergärtnerin war nicht mehr wütend, aber doch der Meinung, damals von von Soest reingelegt worden zu sein. Als Anfängerin war sie natürlich nicht gewieft. Beim Griechen hatten Müller und Nottebrook sich dann sehr schnell abgesondert, und während des Gesprächs bekam Nottebrook zunehmend Lust, den alten Fall noch einmal aufzurollen. Ganz nebenbei stellte sich ein Hauch der Erinnerung an jene Verliebtheit ein, mit der er Christiane Müller bei der Kripo begegnet war. Damals war das nicht besonders aussichtsreich, denn sie war mit einem gewissen Rolf Berg verlobt, den sie damals auch heiratete. Inzwischen war sie, so erfuhr er, wieder geschieden. Nachdem sie ungefähr eine Stunde so geredet hatten verabredeten sie sich unverbindlich - auf jene Art, die gemeinhin zu nichts führt - zu einem längeren Gespräch, ehe sie sich wieder der allgemeinen Runde anschlossen.
Jetzt saß Nottebrook aufrecht im Bett, spürte die Müdigkeit, spürte den Ärger, wusste, dass an Schlaf nicht zu denken war. Nottebrook beschloss, einen Spaziergang um den See zu machen, warf sich in seine Kleidung, über dem Schlafanzug, und eigentlich ging er mehr mechanisch am Ufer entlang, während seine Wut wuchs. Damals war Müller als erste zu der Leiche gerufen worden, in einem Hotel in der City Nord. Wolfgang war ihr als Vorgesetzter zur Seite gestellt worden, so kann man es sagen, normalerweise hätte er die Ermittlungen leiten müssen, aber dann hieß es, die Müller soll selbständig arbeiten: „Wenn wir schon mal eine Frau bei der Kripo haben, dann muss sie auch von Anfang an angemessen geachtet und gefördert werden.“
Nottebrook hatte nicht viel mitbekommen. Natürlich, da war ein 71jähriger, der gefesselt und geknebelt auf einem Bett in einem Hotel nahe am Stadtpark lag. Das und die etwas komplizierte Todesursache führten zu vielem Gerede am Berliner Tor, wo die Polizei in Hamburg damals noch saß. Fast alle waren sich einig, dass es ein Unfall bei sexuellen Spielen, wahrscheinlich unter Homosexuellen, war. Müller glaube das zunächst auch, hatte dann aber zunehmend eine andere Spur verfolgt. Dabei war sie von von Soest scheinbar unterstützt worden, aber im Nachhinein hatte sie einen ganz anderen Eindruck. Nottebrook erinnerte sich an das Gespräch beim Griechen:
„Von Soest hat mir ja freie Hand gelassen, sich nur helfend eingemischt, sozusagen als älterer Kollege. Mit Ratschlägen, gut gemeint, nach dem Motto, sie sind autonom in ihren Entscheidungen, Frau Kollegin, es ist nur ein Rat auf Grund meiner Erfahrung. ‘ Und dann ging es immer darum, sensibel, mit Fingerspitzengefühl, vorzugehen.“
„Das ist ja nicht grundsätzlich falsch, und jetzt, wo du davon redest, erinnere ich mich auch daran, wir haben ja drüber gesprochen. Obwohl, vielleicht entsteht die Erinnerung auch aus deiner Erzählung – nein, einmal habe ich selber gesagt, dass in diesem Umfeld, der Homosexuellen-Paragraph 175 war ja erst vor kurzem aufgehoben, naja, was heißt aufgehoben, das nicht, aber zumindest wurde Homosexualität nicht mehr ganz so heftig bestraft wie vorher, und die Portugiesische Spur war so kurz nach der Nelkenrevolution auch nicht unkritisch…“ Nottebrook erinnerte sich, dass er sich in dem Satz verheddert hatte, aber nicht, wie er zu Ende ging, umso deutlicher hörte er immer noch Christianes Antwort:
„Ja, du hast das gesagt, aber von Soest hat damals die Antwort auf viele Fragen genau mit diesem Argument verhindert – und dann dafür gesorgt, dass in den Protokollen nur meine Entscheidung auftauchte, nie sein Ratschlag. Damals war ich froh, dachte, so steht meine Leistung im Mittelpunkt, er hilft wirklich nur. So muss Frauenförderung sein, gerade in diesem Bereich, in dem ich ja damals eine klare Exotin war.“
Einige paarungsbereite Reiher riefen Nottebrook mit ihren Schreien wieder in die Gegenwart zurück, er blieb stehen, schaute über den See, in seinem Rücken tauchte das erste Sonnenlicht auf. Der Himmel war wolkenlos, Nottebrook schaute noch oben. Die Reiher wurden lauter, und dann beschloss er, diesen Fall aufzunehmen. Plötzlich war er sich ganz sicher.
Sein Ärger war noch da, aber zum ersten Mal war er froh über seine neue Arbeit im Archiv. Und diesmal sollte es kein langweiliges Heft werden, dessen meiste Exemplare im Lager lagen und das nur dank des Zuschusses aus dem Polizeihaushalt gedruckt wurde. Diesmal wollte er herausfinden, was damals passiert war.
Kapitel 2 Alsterdorf 2013
Am nächsten Tag war ein Großteil der Courage, die Nottebrook noch am Morgen empfunden hatte, verschwunden. Er würde nicht einen weiteren Abschuss – der dann noch unerfreulicher als der erste wäre – riskieren. Also trug er dem Archivleiter seine Absicht vor, sagte, dass das natürlich zu Problemen führen könnte, wartete auf die Absage. Zu seiner Überraschung wurde er nachmittags zu Wolfgang von Soest gerufen.
„Du willst dich also mit den damaligen Ermittlungen beschäftigen, damit, was da alles passiert ist?“
„Ich habe einfach das Gefühl, dass das ein interessanter Fall ist.“
„Klaus, wir kennen uns seit – 35 Jahren, mindestens. Also: Du findest nicht, dass das einfach ein interessanter Fall ist. Du ahnst dort eine Verschwörung, eine Vertuschung. Und du siehst mich in der Verantwortung.“
„Jetzt ziehst du dir einen Schuh an, den ich noch gar nicht auf den Tisch gestellt habe, Wolfgang.“
„Eben, und du schaffst es nicht mal zu behaupten, dass meine Vermutungen nicht stimmen, du bist in gewisser Weise zu ehrlich für diese Welt, Klaus. Aber zu dem Fall….“ von Soest schwieg, schaute Nottebrook nachdenklich an.
„Gut, ich will auf meine alten Tage keine Konflikte, wenn es also nicht geht, werde ich den Fall fallen lassen.“ Nottebrook ärgerte sich über sich selbst, er hätte einfach warten sollen, bis von Soest in Ruhestand war, aber das war einer seiner Fehler, alles musste gleich passieren. Geduld war wahrlich nicht seine Stärke.
„Hab ich das gesagt?“
„Aber gemeint.“
„Nein, Klaus. Ich weiß nicht, warum das damals nicht so genau ermittelt werden sollte. Es waren ja alle der Meinung, es handele sich um einen sexuellen Unfall, und zwar wahrscheinlich zwischen Schwulen. Und das Thema war damals kritisch. Und mir wurde von oben signalisiert, dass man in dieser Thematik nicht herumwühlen sollte, deshalb auch die geringe Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Mord, und die Hamburger Presse hat da ja auch gut mitgespielt, der eine Teil, weil er die Polizei nicht ärgern wollte, der andere, weil er die Schwulen nicht ärgern wollte.“
„Und du hast das geglaubt.“
„Damals ja.“
„Und du fandest es in Ordnung, polizeiliche Ermittlungen politischen Interessen unterzuordnen?“
„Klaus, da hier im Raum kein Mikrofon installiert ist: Ich finde das auch heute noch in Ordnung. Und du weißt es auch. Außerdem hast du ja gemerkt, was sonst passiert.“
Beide Männer schwiegen. Sie saßen fast bewegungslos da. Nottebrook schaute ziellos im Zimmer herum. Der Tag war immer noch wolkenlos, und so schien die Sonne in den Raum, erzeugte deutliche, klare Schatten, auch den Schatten der Hand von Soests. Der Hand von Soests, die, wenn Nottebrook den Schatten richtig deutete, zu einer Faust geballt war, knetete. Die Hand selbst konnte er hinter dem Schreibtisch nicht sehen. Aber Nottebrook wusste, dass es jetzt besser war zu warten, sonst würde von Soest den nächsten Satz für sich behalten. Und Nottebrook wollte ihn hören.
„Ich bin heute sicher, dass damals etwas anderes vertuscht werden sollte. Du hast also freie Hand, von mir aus, aber keine Veröffentlichung, ehe ich im Ruhestand bin. Auch das ohne Mikrofon. Und nichts über mich, in den Akten findet man da ohnehin nichts. Dann ist es dein Kopf, der rollt, falls das Ganze heute noch wichtig ist. Aber manches darf ja nach fast 40 Jahren auch aufgedeckt werden, ist nicht mehr Politik, sondern Geschichte.“ Von Soest grinste. „Falls es so ist, kannst du zum ersten Mal deinen Übereifer bis zum Ende ausleben, ohne dass es gefährlich wird.“
Nottebrook wusste, ohne die lange, persönliche Geschichte zwischen ihm und von Soest wäre der letzte Satz nicht gefallen, alles andere war genau jene Mischung aus Jovialität und Einschüchterung, die von Soests Karriere so erfolgreich verlaufen ließ.
„Gut, dann danke ich dir für das grüne Licht, Wolfgang.“
„Und noch etwas, Klaus: Bezieh die Kollegin Müller gerne in die Ermittlungen ein, du hast da ja ohnehin schon begonnen.“ Der Nachrichtendienst der Polizei funktionierte also wie eh und je, und auch das Gedächtnis von Soests: „Bist du immer noch ein wenig in die junge Frau verliebt?“
Nottebrook kam sich wieder einmal gedemütigt vor, als er von Soests Zimmer verließ, aber er hatte gelernt, damit zu leben.
Kapitel 3 Steilshoop 2013
Christiane Müller war erstaunlicher Weise sofort zur Mitarbeit bereit.
Das erste Treffen zu dem Thema mit Müller – sie und Nottebrook duzten sich wie damals – fand auf der Terrasse des Tennisclubs unten am See statt. Beide hatten wie damals, vor mehr als 35 Jahren, ein Interesse an einem frisch gezapften Bier in der Sonne.
„Weißt du, Klaus, ich habe über deinen Anruf nachgedacht, und jetzt bin ich sicher, dass ich mitmachen will. Aber es wird eine Bedingung geben.“
Nottebrook sah Müller fragend an. Die zögerte einen Moment, dann holte sie die Schachtel aus der Tasche, zündete eine Zigarette an. Sie rauchte zwei, drei Züge, dann drückte sie die Zigarette aus. „Jetzt habe ich es seit 8 Jahren geschafft, nur noch zum Genuss und nicht wegen unangenehmer Situationen zu rauchen, dabei soll es auch bleiben, sonst wird es bald wieder zu viel.“
„Wieviel rauchst Du?“
„Zwei bis drei Schachteln in der Woche. Wie gesagt, seit 8 Jahren, seit ich mir angewöhnt habe, nur noch zum Genuss zu rauchen.“
„Ich beneide Dich, wenn ich wieder anfinge, wäre ich sofort wieder bei 30 oder 60 am Tag. Egal, es sollte eine Bedingung geben.“
Müller griff wieder nach der Schachtel, schob sie beiseite, steckte sie ein und begann zu reden.
„Damals habe ich die ganzen Geschichten geglaubt, die mir dieser, jener und noch 27 andere erzählt haben, Kollegen, seriöse Büroleiter, was weiß ich. Heute weiß ich: Man hat mich wahrscheinlich total verarscht.“
Sie hob ihr Glas und nahm einen langen Zug.
„Deshalb werde ich offiziell – und damit meine ich in allen Gesprächen, die du mit deinen Hamburger Kollegen führst – nicht beteiligt sein, sondern dir sofort eine Absage erteilt haben. Das gilt in erster Linie für deinen Freund von Soest.“
Wolfgang also, den hielt Christiane also für besonders gefährlich, dachte Nottebrook.
„Ich weiß nicht warum ich gerade dir traue, Klaus, aber ich bin offen gesagt überzeugt, dass man dich nicht herausfinden lassen wird, wer der Täter war. Außerdem warst du damals ja noch nicht dabei. Ich erinnere mich, dass du mich während der Ermittlungen als jüngster Mitarbeiter abgelöst hast.“
Nottebrook nahm jetzt seinerseits einen Zug aus seinem Bierglas, dachte nach.
„Und woher dieses massive Misstrauen gegen alle Kollegen und besonders Wolfgang von Soest? Oder genauer gesagt: Was befürchtest du, Christiane?“
„Weißt du -“ sie schaute sich um, aber es saß niemand in der Nähe -, „damals waren Frauen ja noch nicht so üblich in der Branche. Insofern wurde ich ohnehin immer etwas schief angeschaut. Als ich dann wegen Bereitschaftsdienst und so weiter plötzlich als erste zum toten Reuter kam, war ich sicher, dass das nicht mein Fall wird. Der Chef hat das dann anders entschieden, oder sagen wir, eine andere Entscheidung herbeigeführt. Nicht formell, aber de facto habe ich die Ermittlungen geleitet Und ich Dummchen – war ich damals, schau mich nicht so an, Klaus – ich Dummchen also glaubte, er wolle mir eine Chance geben. Ich habe damals nicht gemerkt, was für ein Spiel gespielt wurde, und genau weiß ich es bis heute nicht. Das wurmt mich, und ich will es wissen.“
„Gut, aber das beantwortet meine Frage nicht.“
„Von Soest sollte mich ja mit Ratschlägen unterstützen, wir reden da noch drüber. Und die waren, so im Nachhinein mit Abstand, schlecht. Jedenfalls wenn der Fall wirklich hätte aufgeklärt werden sollen. Ich glaube nicht, dass von Soest einen Fall vertuschen lässt, wenn da nichts heftiges dahinter steckt, nicht einen Mordfall. Und ich bin zwar neugierig, aber in Gefahr geraten möchte ich nicht, die solltest du alleine auf dich nehmen, wenn du den Fall überhaupt weiter durchleuchten willst, Klaus. Denk drüber nach.“
„Aber Wolfgang, also von Soest, hat mich eindeutig ermutigt, diesen Fall auszuwählen.“
Dann herrschte Schweigen. Nottebrook schwirrte der Kopf, womöglich hatte ihn Wolfgang damals, vor einem Jahr, auch bewusst auflaufen lassen, aber andererseits: Konnte das sein? Sie waren schließlich befreundet. Irgendwie zählte er im Kopf ab, ja, nein, ja, nein. Wie unsinnig, Wolfgang war ein alter Freund, aber verlieben würde er sich sicher nicht in ihn.
Müller merkte, dass Nottebrook mit seinen Gedanken weit weg war. Das hatte sie schon damals an ihm bemerkt. Wenn ihn etwas beschäftigte, war er plötzlich unerreichbar. Sie mochte das irgendwie, genau wie sein intelligentes Gesicht und die hochgewachsene Figur, naja, das Gesicht war immer noch intelligent, die Figur mittlerweile sehr bauchbetont, wie das bei älteren Männern oft der Fall ist. Sie fühlte sich jedenfalls wieder wohl, die Spannung war weg. Und jetzt erinnerte sie sich, griff in ihre Tasche, holte die Zigaretten wieder heraus. Langsam, genüsslich, rauchte sie eine davon.
Erst später am Abend, nach einem längeren, fast freundschaftlichen Gespräch, fiel ihr auf, dass auch Nottebrooks Hintern flacher geworden war – wie bei älteren Männern weit verbreitet eben. Aber ihr wurde in diesem Moment klar, dass sie sich an seinen Hintern erinnerte. Dabei war nie etwas zwischen ihnen gewesen.
Danach nahm sie den Bus nach Barmbek und von dort weiter zu ihrer Wohnung. Nottebrook ging immerhin mit dem Versprechen nach Hause, dass Christiane das erste Kapitel, das er aus dem Protokoll der damaligen Ermittlungen basteln wollte, gründlich gegenchecken würde.
Kapitel 4 City Nord 1975
1975 war die City Nord noch ein neuer Stadtteil, galt als schick. Die meisten Hamburger verbanden damit Konzernzentralen aus Mineralölindustrie und Versicherungswirtschaft. Kommissarin Müller war also ein wenig überrascht, dass es dort auch ein Hotel gab, als sie mitten in der Nacht dorthin gerufen wurde.
Der Nachtportier begrüßte sie, er hatte um 4 Uhr, oder kurz danach, einen Anruf bekommen, dass in Zimmer 327 ein gefesselter Mann liege, er solle ihn doch losbinden. Er war in das Zimmer gegangen, es gab ja die seltsamsten Sexualpraktiken – etwas anderes habe er sich zu dem Zeitpunkt noch nicht vorstellen können, also, dass der Mann aus anderen als sexuellen Gründen festgebunden gewesen sein könnte, und manchmal schaute er nackte Männer ganz gerne an –nein, nur so, natürlich sei er nicht….
Der Mann in Zimmer 327 war zwar gefesselt und geknebelt, aber bekleidet. Und nachdem der Nachtportier ihn losgebunden hatte, machte er auch einen toten Eindruck, „also, naja, sie wissen schon, Frau Kommissarin, mit sowas rechnet man doch nicht, ich habe einfach gedacht, jetzt mache ich ihn los, und dann steht er auf. Jedenfalls habe ich sie deshalb angerufen. Weil das sah dann ja doch nicht nach etwas sexuellem aus.“
Müller teilte die Diagnose des Nachtportiers, aber selbstverständlich würde sie so etwas nie ohne ärztliche Bestätigung behaupten. Und dass er sie für eine Kommissarin hielt, ließ sie im Protokoll einfach streichen.
Die Fesseln hatte der Nachtportier ja schon entfernt, der Knebel war noch vorhanden, offenbar fiel es dem Mann leichter, sich an Hand- und Fußgelenken zu schaffen zu machen als am Mund. Müller hoffte nur, dass der Tote da schon tot und nicht unter den Händen des Hotelmitarbeiters gestorben war.
Inzwischen tauchten auch die Kollegen von der Spurensicherung auf, ebenso die von der Gerichtsmedizin, Müller hatte also Zeit, sich noch ein wenig mit dem jungen Mann an der Rezeption zu unterhalten.
„Nein, natürlich hätte ich ihn nicht losgemacht, wenn ich gemerkt hätte, dass er tot ist, oder – naja, dann hätte ich wohl den Knebel rausgezogen, oder, was weiß ich, was ich getan hätte.“ Sein eben noch schuldbewusster Blick wechselte jetzt ins kindlich-unschuldige „Wissen sie, das ist meine erste Leiche.“
“Meine auch, “ dachte Müller, obwohl sie natürlich schon mehrmals dabei war, aber alleine hatte sie noch nie vor einem Toten gestanden. Laut sagte sie: „Tja, das war sicher ein Fehler von ihnen, aber solange sie nicht in Verdacht geraten, mit dem Mörder gemeinsame Sache zu machen, wird ihnen deshalb niemand einen Vorwurf machen. Aber jetzt noch mal von Anfang an, der Herr in Zimmer 327 heißt laut Anmeldeschein Karl Reuter, wurde 1904 geboren, in Hamburg, ist deutscher Staatsangehöriger, und reiste alleine.“
„Ja, das steht da, ich meine, ich war natürlich nicht da, als er sich angemeldet hat, aber normalerweise schauen wir hier schon in den Ausweis, ob die Angaben stimmen, man will ja keinen Ärger haben, irgendwelche Terroristen oder so. Aber wie gesagt, da müssen sie mit meinem Kollegen von der Tagesschicht sprechen. Ich bin ja erst um Mitternacht gekommen. Also, etwas vorher, ich komm mit der S-Bahn und laufe hier runter, und dann bin ich doch jedes Mal schneller als ich gedacht hätte. Irgendwie, wenn man aus der Schanze kommt, findet man die Wege hier weiter, auch wenn sie es gar nicht sind. Wissen sie, das ist hier ja alles tot, ganz anders als in der Schanze. Jedenfalls, wenn die Büros geschlossen haben. Morgens, wenn ich wieder gehe, ist das anders.“
Der Mann sprach mit einem leichten schwäbischen Akzent, und wenn Müller ihn nicht stoppte, würde er jetzt wahrscheinlich ein Loblied auf die Großstadt und das urbane alternative Leben singen. Andererseits war es sicher nicht verkehrt, wenn man die Zeugen etwas besser einschätzen konnte.
„Haben sie schon immer in der Schanze gewohnt?“
„Ja, seit ich in Hamburg bin. Also seit 72.“ 3 Jahre also.
„Und wo haben sie vorher gewohnt?“
Plötzlich wurde der Zeuge misstrauisch „Ist das jetzt wichtig?“
„Nein, ich bin nur neugierig, auf jeden Fall benötige ich aber außer ihrem Namen noch den Geburtstag und Geburtsort, ich nehm‘ das mal auf.“ Also, formal war das jetzt sicher etwas luschig, aber Müller fühlte sich wohl bei ihrem Vorgehen.
„7.11.53 in Obergriesbach, also das liegt an der Paar, wenn ihnen das was sagt, sozusagen zwischen Aichach und Augsburg“ dann verschwand die Lebhaftigkeit aus seinem Gesicht „Hausgeburt, kann mir ja egal sein, aber wenn ich ihnen was sagen soll: Wenn ihnen mal jemand vorschlägt nach Obergriesbach zu ziehen, tun sie’s nicht.“
„Und Ihr Akzent, das hört sich schwäbisch an für mich, nicht bayrisch, nur so aus Neugier, Augsburg liegt doch in Bayern?“
„Natürlich, Schwaben ist ja auch ein bayrischer Regierungsbezirk – aber da kennt Ihr Preußen Euch ja nicht aus.“ Müller würde das nachprüfen, aber wahrscheinlich war das ein typischer Anfängerverdacht, den sie da entwickelte, entspannen, hieß es jetzt. Nein, ganz bestimmt. Müller würde sich zusammennehmen müssen, um nicht alles für Lügen zu halten, was ein noch dazu Unverdächtiger erzählte.
„Da war es dann schon eine große Veränderung für sie, ins Schanzenviertel zu ziehen?“
„Ja, also -“ irgendwie schien der Nachportier nicht so richtig zu verstehen, wie man das überhaupt fragen konnte. „Natürlich, endlich weg aus diesem Kaff, und dann hier, die Freiheit.“ Und nach kurzem Überlegen „Naja, jedenfalls ein anderes Leben, mehr nach meinem Geschmack.“ Sein Blick war jetzt eher begeistert, wovon, konnte Müller sich durchaus vorstellen.
„Und sie leben hier jetzt als Nachtportier?“
„Zweimal die Woche, um was zuzuverdienen, ich studiere Informatik.“
„Informatik, was macht man damit?“ Müller hatte keine Ahnung, „Wird man da Journalist?“
„Quatsch, das ist Fortran, Algol, Lochkarten, also, Computer, haben sie da schon mal was von gehört.“
„Oh, so was, das muss wahnsinnig kompliziert sein, meinen sie, das hat Zukunft?“
„Bestimmt.“
„Trotzdem, ich muss leider noch mal auf heute Nacht zurückkommen, sie sagten vorhin, dass sie gerne nackte Männer anschauen.“
„Also das war ein Scherz.“ Er grinste.
„Gut, ich meinte mehr den Hintergrund des Scherzes. Anscheinend haben sie ja ab und zu welche angeschaut, auch wenn sie es vielleicht ungern taten.“
„Naja, hier ist ganz in der Nähe der Stadtpark, und die 175er werden ja nicht mehr richtig bestraft, deshalb kommen die manchmal hier her, wenn sie in Hamburg übernachten. Und die genieren sich ziemlich wenig, einige jedenfalls, wenn die nachts noch ein Getränk aufs Zimmer bestellen. Also, sie wissen schon was ich meine.“ Jetzt wurde der junge Mann tatsächlich rot. Vielleicht vermutete er, Müller könne ihn jetzt für ebenfalls homosexuell halten. Andererseits war auch Müller überrascht, dann stimmten die Gerüchte über den nächtlichen Stadtpark wohl tatsächlich. Natürlich hatte auch sie davon gehört, dass der Stadtpark ein Treffpunkt für Homosexuelle und auch für homosexuelle Stricher sei, aber bisher hatte sie das einfach für eine Geschichte gehalten, an der wie so häufig wenig - wenn nicht überhaupt nichts - dran war. Das schien ein Irrtum zu sein. Aber vorläufig brauchte sie das nicht nachzuprüfen.
„Gut, aber das mit den Fesseln musste sie doch überrascht haben?“
„Also auch das mögen die offenbar.“ Jetzt grinste er. „Hab ich zweimal erlebt, da kam ich ins Zimmer und auf dem Bett lag ein nackter gefesselter Mann. Deshalb hab ich ja auch gedacht, das war so ein Spiel, und dann ist der andere gegangen.“
„Erzählen sie mal von dem Anruf.“
Jetzt wurde der Nachtportier wieder nervös, fast wie am Anfang. „Also, das war um kurz nach 4, hab ich ja schon erzählt. Auf Telefon 2, und der sagte nur, in Zimmer – also ich bin so durcheinander, jetzt habe ich die Nummer vergessen, aber die wissen sie ja, also da liegt ein gefesselter Mann, ich soll mal hingehen und ihn losmachen. Und dann….“
„Also, können sie sich noch genau erinnern, wie die Worte waren?“
„Also, ich kann’s versuchen. Ungefähr so: ‚In Zimmer soundso liegt ein gefesselter Mann auf dem Bett. Es ist besser, wenn sie den losmachen. ‘ Danach hat er gleich aufgelegt.“
„Gut, und weiter?“
„Also ich bin dann hoch zu dem Zimmer, da wusste ich die Nummer noch. 327, jetzt ist sie wieder da. Also das hatte der auch am Telefon gesagt, in Zimmer 327 liegt ein gefesselter Mann, doch, jetzt bin ich sicher, das waren seine Worte. Das mit dem Losmachen vielleicht doch nicht. Also jedenfalls bin ich hoch, und da lag der Typ, ziemlich alt, also älter als die üblichen, aber der war ja vielleicht gar kein 175er, oder?“
„Das wissen wir noch nicht, erzählen sie einfach mal, wie der Mann da lag.“
„Naja, seine Füße waren zusammengebunden und die Hände waren auf den Rücken gebunden und er lag auf der Seite, so angewinkelt. Also die 175er, die ich da gesehen habe, die haben beide Male auf dem Rücken gelegen.“ Plötzlich wurde er wieder ganz lebhaft, er schien froh, dass er sich ablenken konnte. „Wissen sie, mit steifem Schwanz und allem, und die waren beide an der Bettkante festgebunden, dass sie sich nicht rühren können, und nackt eben, und außerdem lebten die auch noch.“ Jetzt war er wieder nervös wie eh und je, weil ihm anscheinend erst nach dem Ende seines Ausbruchs wieder klar wurde, dass hier ein Mord – oder doch etwas Ähnliches – vorlag.
„Gut, aber Reuter war tot.“
„Also, das wusste ich nun wirklich nicht, in dem Moment. Ich bin ja gleich hoch, da schau ich doch nicht erst nach, wie der Gast heißt. Jedenfalls hab ich ihm die Hände losgebunden, von mir aus hätte er auch Meier heißen können. Und dass er tot ist, das wusste ich ja auch nicht, also nicht wirklich. Also, da hab ich gar nicht dran gedacht, ich hab nur gedacht, wenn sie alt werden, machen sie es also nicht mehr nackt, oder so.“
„Also, sie sind reingekommen, haben den Mann da liegen sehen, und dann haben sie ihn sofort losgebunden? Oder haben sie sich erst noch umgeschaut? Oder sonst etwas?“
„Nein, nein, ich dachte, binde ihn mal gleich los, ich war ja auch gespannt auf sein Gesicht, die Sache musste ihm ja so was von peinlich“ hier brach der Satz ab „Ich wusste doch nicht, dass er tot war, ich meine, ich fass doch keine Leiche an.“
„Brannte denn Licht, als sie ins Zimmer kamen?“
„Ich glaube schon, ich kann mich nicht erinnern, dass ich es angemacht habe, aber so was macht man ja auch automatisch, also – ich weiß das nicht genau, ich hab ja nicht drüber nachgedacht. Normalerweise brennt ja das Licht, wenn ich nachts in ein Zimmer komme, also insofern wäre es mir wohl aufgefallen, aber andererseits macht man ja in jedem dunklen Zimmer automatisch das Licht an, wenn man weiß, wo der Schalter ist?“ Er schaut Müller fragend an, als sei die die Expertin für Lichtschalterpsychologie.
„Bitte verstehen sie, dass wir nachher ihre Fingerabdrücke benötigen, um sie mit dem Lichtschalter zu vergleichen, das ist kein Grund, sich Gedanken zu machen, reine Routine, ja? Gut, sie haben ihn losgebunden, und dann?“ Der Portier war jetzt sichtlich beklommen.
„Ja, dann hab ich gemerkt, dass er die Hände nicht bewegt, und dann hab ich seinen Puls gefühlt, aber da war keiner, also, der ist tot, hab ich gedacht, und dann bin ich sofort runter. Und hab bei ihnen angerufen, zuerst hab ich Zimmer 110 angerufen, der Gast da war ausgesprochen wütend über den Fehler, können sie sich ja denken. Aber deshalb bin ich mir ja auch so sicher mit dem Anruf vorher.“
„Jetzt kann ich ihnen nicht ganz folgen, sie haben vergessen, die 0 vorweg zu wählen, und deshalb sind sie sich sicher wegen des Anrufs vorher, also welcher Tatsache sind sie sich sicher“
Der junge Mann schüttelte den Kopf „Nein, also die 2 stand da ja noch.“
„Welche 2?“
„Also Telefonapparat Nummer 2, der stand da vorne, ich hatte ihn vorne stehen lassen, und deshalb hab ich da die 110 gewählt, aber das hätte ich ja von Apparat 1 machen müssen.“
Langsam dämmerte Müller, worum es ging: „Also, Apparat 1 ist für Gespräche aus dem Haus heraus, und Apparat 2 für Gespräche innerhalb des Hauses?“
„Ja.“
„Das heißt also, der Anruf, der sie über Reuter, also den Toten, informiert hatte, kam aus dem Haus selber, nicht von Außerhalb, sondern aus einem der Zimmer hier im Hotel?“
„Das wusste ich wirklich beides nicht, der Anrufer sagte nur etwas von einem gefesselten Mann, nichts von einem Toten und auch keinen Namen; deshalb dachte ich ja, das ist ein 175er. Also, ich hab mich dann, als ich hoch ging, noch gewundert, dass der Anruf aus dem Hotel kam. Eigentlich dachte ich, der Anrufer müsste ja gegangen sein, aber dann wäre er ja auch bei mir vorbeigekommen, wir sind da zwar diskret, aber wir sehen das doch.“
„Also nochmal zum Mitschreiben: Der Anruf, der sie veranlasste auf Zimmer 327 zu gehen, kam definitiv aus einem Hotelzimmer.“
„Ja, das heißt, nein.“
Müller blickte den Zeugen lange schweigend an „Nein?“
„Nein, er konnte auch aus der Küche kommen, oder aus dem Personalraum, aus dem Direktionsbüro, auch – also überall aus dem Hotel. Aber ich war ja zu der Zeit der einzige, der hier arbeitete, insofern muss der Anruf aus einem der Zimmer gekommen sein.“
„Und da sind sie ganz sicher?“
„Ja, ich meine, wer sollte denn um diese Zeit hier sein, der müsste ja blöd sein, das würde doch nicht bezahlt.“
„Aber selbst nachgeschaut haben sie nicht?“
„Nein, warum denn? Ach so. Ja, aber anfangs, als ich zum Dienst kam, wusste ich doch noch gar nichts von dem Toten, also ich meine, jetzt habe ich die Zimmernummer wieder vergessen. Und danach habe ich auf sie gewartet, und dann mit ihnen gesprochen, und wieder gewartet und wieder gesprochen, und ich meine es kann doch niemand verlangen, dass ich jedes Mal wenn ich hier Dienst mache vorher nachschaue, ob da noch jemand im Direktionsbüro ist oder wo auch immer, ich meine, warum sollte ich das tun?“
„Nein, natürlich nicht. Trotzdem würde ich jetzt gerne mit ihnen einen Rundgang machen, durch die Personalräume, um zu sehen, ob da etwas ist, was auf eine nächtliche Anwesenheit schließen lässt.“
„Und wie soll ich das erkennen? Ich meine, außerdem muss ich doch an der Rezeption bleiben, mal 5 Minuten weg, auf ein Zimmer, das ist eine Sache, aber so ein Rundgang, ist es nicht besser…“ Jetzt schien seine ganze Nervosität plötzlich wie weggeblasen. „Also ich meine, jeder, der hier reinkommt, kommt hier vorbei, oder durch den Hintereingang, ich gebe ihnen einfach den Schlüssel für hinten, dann können sie sich in den Personalraum setzen, der ist direkt am Hintereingang, und ich seh‘ ja hier vorne wer vom Personal ist, dann können sie die Betreffenden immer in ihren Raum begleiten und die sehen dann am ehesten, ob da jemand drin war in der Nacht. Ich meine, da kann sich ja auch jemand Auswärtiges eingeschlichen haben, wem sag ich das, Frau Kommissarin.“
„Gut, wir werden jetzt eine kurze Unterbrechung machen.“
Kapitel 5 Winterhude 2013
Heute hatte sich Christiane Müller geweigert, mit dem bescheidenen kulinarischen Angebot Steilshoops vorlieb zu nehmen, und so hatten sie sich entschlossen, bei ein paar Tapas in einem portugiesischen Restaurant in der Gertigstraße zu konferieren. Wegen des heftigen Regens wurde für Nottebrook sogar der kurze Weg von der Bushaltestelle zum Restaurant zur Katastrophe, jedenfalls was die Hosenbeine anging. Den Rest vermochte der Schirm vor dem Durchnässen zu bewahren. Christiane Müller, die mit dem Auto gekommen war, hatte allerdings nach langem Suchen nur einen Parkplatz gefunden der ihr einen weitaus längeren Weg bescherte. Beide saßen sich – bis auf ein paar unverbindliche Verwünschungen des Hamburger Wetters (Nottebrook) und der Launen Petri (Müller) schweigend gegenüber, bis die Wärme im Restaurant die Feuchtigkeit wenn auch nicht beseitigt, so doch erträglich gemacht hatte. Dann erst kamen sie zur Sache.
Nottebrook hatte Müller schon zwei Tage vorher das fertige erste Kapitel geschickt, so dass sie gleich in den Text einsteigen konnten.
„Ich habe noch mal nachgedacht, du hast ihn wirklich nicht nach der Stimme, der Aussprache des Anrufers gefragt?“
„Nein, als wir weitermachen wollten kam ja von Soest, und für mich war klar, dass damit die Federführung an ihn übergehen würde. Er führte dann nach der Unterbrechung das Protokoll weiter. Ich habe erst Jahre später nachgedacht, wieso er eigentlich derjenige war, der dort auftauchte, ich hätte eher mit einem wirklich erfahrenen Beamten gerechnet. Aber damals war ich ja noch nicht misstrauisch.“
„Gut, hat Wolfgang, also von Soest, denn entschieden dass er das Verhör weiter führt, oder war das deine Entscheidung, oder eher etwas dazwischen?“
„Nein, nein, da bin ich ganz sicher, ich habe von Soest ja noch gefragt, ob ich weiter dabei sein soll, zum Beispiel das Protokoll übernehmen, aber er schickte mich weg, und Konrad, der bis dahin das Protokoll geführt hatte, auch.“
„Und wer hat dann das Protokoll übernommen?“
„Ich weiß es wirklich nicht, aber dass das Verhör weiterging, war klar. Wir haben dann später darüber gesprochen, von Soest sagte, es hätte sich halt nichts bedeutsames mehr ergeben, und er würde nicht Leute unnötig mit Protokollschreiben beschäftigen.“
„Das war, als schon klar war, dass du die Ermittlungen führen solltest, obwohl von Soest weiter offiziell der verantwortliche Beamte war?“
„Ja.“
„Wie ist das eigentlich gelaufen, war das eine Entscheidung vom Chef?“
„Naja, später am Vormittag, also nach der Entdeckung der Leiche, wurde ich zum Chef gerufen, da saßen einige Leute, auch von Soest, und der Chef fragte etwas verärgert, warum ich eigentlich vom Tatort verschwunden sei. Ich verwies dann darauf, dass von Soest mich weggeschickt habe.
Ich weiß noch, wie der Chef mich anschaute, als wäre ich das Dummchen, für das Frauen in der Branche damals ohnehin gehalten wurden, und er fragte wörtlich ‚Aha, dann haben sie Wolfgang von Soest also jetzt zu ihrem Chef ernannt. Ich bin ihnen wohl nicht mehr gut genug, Frau Müller? ‘“
„Danach, also nachdem der Chef mich gefragt hatte, ob er mir nicht gut genug sei, als Vorgesetzter, war es ganz still. Aber auf eine Art, die mir ganz klar machte, wie wenig ich der Situation hier gewachsen war. Wäre es dabei geblieben, ich hätte damals schon alles geschmissen. Aber ehe ich mich soweit gefangen hatte, dass ich antworten konnte, oder besser, mich entschuldigen, fragte der Chef ganz leise: ‚Stimmt das, Herr von Soest, haben sie die Kollegin Müller weggeschickt? ‘ Und von Soest antwortete, dass er davon ausgegangen sei, den Fall ohnehin zu übernehmen, von daher sei das ja wohl angemessen gewesen.“
„Wieso ist er davon ausgegangen, ich meine, er war ja auch nur ein paar Jahre länger dabei als du und auch noch kein Kommissar?“
„Klar, allerdings war die Beförderung bereits angekündigt, damals, es war nur noch eine Sache weniger Wochen. Und er war ja damals sozusagen fester Mitarbeiter vom alten Weise, und der war da in Urlaub. Aber nur noch ganz kurz, ein oder zwei Tage, was weiß ich, das ist ewig her. Jedenfalls würde der sehr schnell wiederkommen und dann wäre es nur logisch, wenn der den Fall übernimmt, und bis dahin, also ein oder zwei Tage, könnte sich ja von Soest damit beschäftigen. Das haben eigentlich alle so vermutet. Während ich ja nur als eine Art Hiwi von einem zum anderen geschickt wurde, keiner wollte eine Frau als ständige Mitarbeiterin, aber damals glaubte ich noch, dass sei halt, weil ich Anfängerin bin. Eigentlich wurde mir der Unterschied erst klar, als du kamst und von den Kollegen und Vorgesetzten ganz anders behandelt wurdest. Naja, außerdem hast du mich auch normal behandelt, als erster dort. deshalb traue ich dir ja überhaupt.“
Auf Nottebrooks fragenden Blick hin ergänzte sie „Naja, du hast mich wie einen richtigen Menschen oder Kollegen oder wie auch immer behandelt, als einziger. Und nach meinem Gefühl nicht nur, weil ich dich als Frau faszinierte, was ja niemand übersehen konnte.“
Nottebrooks Gesicht wurde trotz der langen Zeit, die seither vergangen war, von einer leichten Röte überzogen. Er versuchte, es zu überspielen. „Gut, Wolfgang hielt also seine Verteidigungsrede, und dann?“
„Ich weiß noch, wie die Spannung im Raum, im Besprechungsraum, wuchs, einige schauten mich immer noch etwas feixend an, aber immer mehr Leute machten einen Gesichtsausdruck, der wohl sagen sollte, sie hätten mit all dem nichts zu tun. Dann redete der Chef weiter: ‚Sie teilen also die Auffassung der Kollegin Müller, dass jetzt sie hier das Sagen haben, Herr von Soest? Bringt die Anwesenheit einer schönen jungen Frau ihr Urteilsvermögen so schnell unter null? ‘ Und ob du es glaubst oder nicht, das war das einzige Mal, dass ich von Soests Blick habe flackern sehen.“
Zwei Schalen, eine mit Polvo und eine mit Lulas, bereiteten dem Gespräch ein vorläufiges Ende. Schweigend aßen beide, ganz auf den Geschmack konzentriert, und Nottebrook fragte sich, warum es im Deutschen nur ein Wort für Tintenfische gäbe. Weil er das als ein unterhaltsames Thema für eine Plauderei ansah, stellte er die Frage Müller, die ihm jetzt plötzlich ganz vertraut vorkam, als kennten sie sich schon seit langem.
„Naja, zumindest der Krake hat ja einen eigenen Namen hier, Lulas heißen Kalmare, aber das ist ja auch eher griechisch, oder?“
„Und der Choco?“
„Hm, jedenfalls schmeckt mir der Krake ausgezeichnet.“
Müller nahm schweigend ein paar Happen, dann hielt sie plötzlich inne, sie hatte gerade ein Stück Polvo auf der Gabel, schaute Nottebrook an.
„Erinnere ich mich jetzt falsch? Ich meine, wenn ich mich richtig erinnere, dann warst Du damals immer derjenige, der vorzugsweise Fastfood der geschmackärmsten Art verzehrte – also heiß, fettig, das war für dich das entscheidende Kriterium. Oder?“
„Das ist wohl nicht ganz falsch. Du meinst, Du wunderst Dich über meine Geschmacksveränderung?“
„Mhm“, antwortete Müller, die das Stück Polvo inzwischen in den Mund geschoben hatte.
„Naja, als die Kinder groß waren, saßen wir plötzlich da. Meine Frau kochte recht bieder, ich selber sowieso nicht, und Zeit hatten wir plötzlich auch. Und da haben wir mit einer Tour durch die besseren Restaurants begonnen.“
„Und so seid Ihr auf den Geschmack gekommen?“
„Naja, ich jedenfalls.“
Müller guckte fragend, hielt sich dann aber doch zurück. Nahm einen Bissen, schaute wieder fragend. „Und?“
„Und? Naja, Du weißt, ich bin seit mehr als 10 Jahren geschieden, das hatte natürlich auch noch andere Gründe.“
Jetzt konzentrierte sich Nottebrook auf das Essen. Dann sagte er doch noch etwas:
„Es war richtig schwierig, eigentlich saß ich mit dieser Neigung ganz alleine da. Ich habe dann versucht, kochen zu lernen. Das ging schief. Also ich meine richtig gutes Essen. Stattdessen habe ich dann gelernt, auch mal alleine in ein Restaurant zu gehen. Das erfordert mehr Mut, als die meisten glauben, aber seit ich geschieden bin, gehe ich zweimal im Monat in ein gutes Restaurant, abends, und mittags – da ist es sowieso einfacher. Aber doch auch anders.“
Müller lächelte „Apropos alleine, ich werde Dich jetzt für ein paar Minuten verlassen. Eigentlich habe ich das Laster ja aufgegeben, aber zwei bis drei am Tag, nach dem Essen, die gönne ich mir schon noch.“ Sie zog die Zigaretten aus der Tasche und ging vor die Tür. Nottebrook wäre gerne hinterhergegangen, aber es schien ihm in diesem Moment, als sei das aufdringlich.
Als Müller zurückkam, wechselte er das Thema:
„Also, du hattest gerade erzählt, wie der Chef fragte, wer eigentlich zu entscheiden habe.“
„Oh je, also gut, weiter, der Chef entschied also, dass ich weitermachen soll. Ich weiß noch, dass von Soest sehr unzufrieden aussah. Dann meinte der Chef noch, von Soest würde mir zur Seite stehen, als angehender Kommissar sozusagen, und um den Formalien Genüge zu tun. Aber damit ging die Sitzung zu Ende. Ich habe mich damals nicht einmal gefragt, warum von Soest und nicht der alte Weise mich unterstützen sollte.“
„Und das war‘s dann?“
„Naja, etwas später musste ich noch mal hoch zum Chef, ich saß dann vor seinem Schreibtisch, irgendwie war ihm die Geschichte wohl etwas unangenehm, aber dann sagte er, dass normalerweise wirklich Weise – und damit erst Mal von Soest - das hätte übernehmen sollen, aber er wolle mir als Frau halt auch mal eine Chance geben – nein, schau nicht so, das war damals nicht ungewöhnlich, solche Reden. Insofern war da nichts dran, um misstrauisch zu werden. Ich hätte die Situation sicher anders gesehen, wenn ich erfahrener gewesen wäre, aber damals war ja jede positive Rückmeldung für mich wie ein Schluck Wasser für einen Verdurstenden. Jedenfalls legte der Chef mir nahe, mich während der Bearbeitung immer wieder um Rat an von Soest zu wenden. Oder an ihn selbst. Und wenn Herr Weise wieder da sei, würde der formell die Oberaufsicht übernehmen, aber ich sollte das mal alleine ermitteln, das sei einfach eine Chance, die er mir geben wolle. Und dass ich natürlich nicht formell die Ermittlungen leiten könne, das sei schade, aber er würde das schon hindrehen, es sei ja schon etwas ganz besonderes, die einzige Frau hier“
„Naja, ganz so war es ja auch nicht, es gab auch vorher Frauen bei der Hamburger Kripo, aber ungewöhnlich war es schon noch“
„Ich weiß, ich war halt eine der ersten, die direkt bei der Kripo angefangen hat, nicht bei der weiblichen Kriminalpolizei, die damals ja allmählich aufgelöst und in die Kripo integriert wurde.“
“ Gut, du hattest also wieder die Federführung. Und dann hast du Wolfgang um das Protokoll gebeten, vom weiteren Verhör des Herrn Schwab aus Obergriesbach?“
„Na, den Namen hast du dir gemerkt. Außerdem möchte ich dich bitten, die Stelle aus dem Text zu entfernen, in der ich meine Unkenntnis der bayrisch-schwäbischen Landsmannschaftlichkeiten so deutlich werden lasse.“
„Kann ich, obwohl - wenn ich ehrlich bin, der Unterhaltungswert der Erzählung würde wirklich gesteigert, wenn die Geschichte drin bleibt.“
„Tja, der Herr Schwab hatte offenbar ein dringendes Bedürfnis, mir die nackten Männer immer wieder zu beschreiben, wobei ich damals nicht erkannt habe, worauf er hinaus wollte, und ich weiß es offen gestanden bis heute nicht sicher. Das gibt doch für sich schon eine hübsche Anekdote für dein Buch. Und dass Schwaben ein bayrischer Regierungsbezirk ist, ist nicht entscheidend für den weiteren Verlauf der Ermittlung, das nimmst du also wirklich heraus. Klaus.“
Zum ersten Mal seit er sie wegen des Falles kontaktiert hatte schien sie verärgert.
„Entschuldige, ich bin da manchmal – naja, seit ich diese Serie herausgebe, werden die Personen bei mir immer schnell zu Romanfiguren, und da ist es nicht schlimm sie zu beleidigen. Tut mir leid, natürlich werde ich es streichen. Und wenn dir wieder etwas Derartiges auffällt, sag es einfach. Ich korrigier das natürlich, schon weil ich dich ja nicht anders honorieren kann.“
Sie lachte „Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass du auch heute Abend bezahlst. Und das andere: Wenn du erzählen könntest, dass der Mensch auch noch Schwab hieß, wär es ja wirklich lustig gewesen, aber so?“
„Gut, machen wir weiter. Was war nun mit dem Verhör von dem Schwab?“
„Wie ich schon sagte, von Soest hat mir gesagt, da wäre nichts Wichtiges mehr rausgekommen, so dass mein Protokoll, also Konrads Protokoll, völlig ausreichend wäre. Naja, und ich hatte ja mit dem Bericht der Gerichtsmedizin und der Spurensicherung genug zu tun, ich hab ja auch mit den Leuten geredet. Und dann gab es ja noch die anderen Protokolle, die Kollegen sind ja mit allen Hotelmitarbeitern an ihren Arbeitsplatz gegangen, sobald sie eintrafen, damit sie dort eventuelle Veränderungen bemerken konnten.“
„Erzählst du mir da was drüber?“
„Erstens hab ich das meiste vergessen, und zweitens gab es da wirklich nicht viel mehr zu sagen als in den Protokollen steht.“
„Gut, Chouriço?“
„Und das Lamm in Honig“ sagte Christiane Müller entschlossen.
Nach der Bestellung meinte Nottebrook:
„Egal wie, ob wichtig oder unwichtig, das Protokoll von einem Verhör muss doch angefertigt werden.“
„Sag nicht so was, ich war damals unheimlich stolz, dass ich wieder was dazugelernt hatte, vom richtigen Umgang mit den Vorschriften.“
Nottebrook schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nur vorschriftswidrig und unüblich, es passt auch überhaupt nicht zu Wolfgang.“
„Tja, da musst du nun entscheiden, an wen du glaubst. Klaus.“
Nottebrook hatte das sichere Gefühl, dass die Stimmung wieder zu kippen drohte, aber diesmal hatte er ein reines Gewissen: „Nein, es geht nicht darum, wem ich glaube, sondern darum, warum Wolfgang das gemacht hat. Und das ist mir vollkommen unklar, mein Bild von einem alten Freund kommt ins Wanken, das ist die Sache.“
Müller nickte, „Weißt du, es ist ja egal. Du kannst ihn nicht fragen, denn dann müsstest du ihm sagen, dass du mit mir gesprochen hast, und – ich traue dir jedenfalls, Klaus.“
Es war also immer noch brenzlig. „Nein, ich kann ihn nicht fragen, aber ich merke natürlich, dass in dem Verhör etwas vergessen wurde.“
„Ja und?“
„Und ich kann ja noch mal versuchen, den Schwab zu befragen, ob er sich noch an die Stimme erinnert.“
„Unwahrscheinlich, aber vor allem, wie willst du ihn finden?“
„Naja, in den Zeiten des Internet ist manches einfacher als zu deiner Zeit bei uns, Christiane.“