Lustige Läufer leben länger - oder zumindest besser - Ulrich Knoll - E-Book

Lustige Läufer leben länger - oder zumindest besser E-Book

Ulrich Knoll

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Beschreibung

Es gibt in Deutschland Millionen von Läufern. Dieses Buch wird ihnen viele Aha-Erlebnisse und Wiedererkennungsmomente bescheren. Ulrich Knoll hat keinen weiteren Lauf-Ratgeber geschrieben, sondern illustriert lebenslanges Laufen in all seinen Facetten. Großen Wert legt er dabei auf die humoristische und ironische Darstellung seiner läuferischen Erfahrungen. Läufer werden in den skurrilen und komischen Szenen ihre eigenen Ambitionen, Sehnsüchte, Frustrationen und kleinen Triumphe wiederentdecken. Das Buch berichtet autobiographisch über ein Läuferleben von vier Jahrzehnten, von den dilettantischen Anfängen des eigenen Laufens bis zum Marathon und zum Laufen im Alter. Quasi im Vorbeilaufen erfahren wir von alltäglichen Läufersorgen, gesundheitlichen Segnungen, extremen Temperaturen, unerwünschten Verirrungen, euphorischen Momenten, bissigen Hunden und schweigsamen Mitläufern.

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Knoll • Lustige Läufer leben länger

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.deabrufbar.

© 2018 Arete Verlag Christian Becker, Hildesheim

www.arete-verlag.de

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Dies gilt auch und insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmungen und die Einspeicherung sowie Datenvorhaltung in elektronischen und digitalen Systemen.

Layout, Satz und Umschlaggestaltung: Composizione Katrin Rampp, Kempten

Titelfoto: fotolia/Martin Schlecht

Druck und Verarbeitung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-942468-99-2

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Ein kluger Arzt gründet eine Laufgruppe und weckt Aufmerksamkeit

Kapitel 2

Gesundheitliche Aspekte und Verunsicherung durch einen Laufpapst

Kapitel 3

Runden auf dem Sportplatz und zunehmende Freude beim Laufen im Gelände

Kapitel 4

Läuferische Fortschritte und Erkenntnisse aus dem Buch „Bewegungstraining“ von Dr. Kenneth Cooper

Kapitel 5

Neue Laufstrecken, Erlebnisse mit Hunden und eine kleine Weihnachtsgeschichte

Kapitel 6

Was den gemeinen Läufer neben dem Laufen sonst noch alles bewegt

Kapitel 7

Von Läufertypen, Moden, Plattitüden und Ängsten

Kapitel 8

Laufen im Wald von Fontainebleau und zwei Marathons in Paris

Kapitel 9

Laufen reloaded: Meditation, physische und mentale Fitness, Lebensqualität

Kapitel 10

Motivations- und Laufkrise nach der Rückkehr ins Frankenland

Kapitel 11

Laufen im Fichtelgebirge

Kapitel 12

London Marathon

Kapitel 13

Unglaubliches Indien oder Laufen bei über 40°

Kapitel 14

Laufen überall – 10 Läufe, die mir in Erinnerung bleiben

Kapitel 15

Wenn es nicht rund läuft und wenn der innere Schweinehund siegt

Kapitel 16

Freundschaft mit einem fröhlichen Ultraläufer und Hamburg Marathon

Kapitel 17

Sponsored Runs – Laufen in der und für die Gemeinschaft

Kapitel 18

Und weil es gar so schön läuft: noch drei weitere Marathons

Kapitel 19

Ausklang: Ein Leben ohne Laufen geht auch im Alter nicht

Vorwort

Nordostoberfranken, Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts – eine läuferische Einöde

Ich komme aus Nordostoberfranken. Das ist eine Region im Nordosten Bayerns, über die die Menschen im Lande und insbesondere in den Metropolen der Republik nicht viel oder gar nichts wissen.

Nordostoberfranken ist auf einer Deutschlandkarte leicht zu finden. Es liegt dort, wo im Fernsehwetterbericht häufig die kältesten Temperaturen des jeweiligen Tages oder der jeweiligen Nacht angezeigt werden. Böswillige Zeitgenossen behaupten, dass es in Nordostoberfranken so gut wie immer ein paar Grad kälter ist als anderswo in Deutschland. Noch Böswilligere meinen, dass es eine triste, abgelegene und nach der Wiedervereinigung Deutschlands vollends abgehängte Region ist, in der sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Von den Menschen dort heißt es, dass sie sich ebenso herb wie die Landschaft geben.

Es stimmt, Nordostoberfranken, das sich heutzutage etwas hochtrabend als „Hochfranken“ vermarktet, liegt geografisch im Abseits und es dauert selbst in digitalen Zeiten immer eine Weile, bis sich Trends, welcher Art auch immer, dort verbreiten. Das sehe ich nicht negativ, denn man sollte schließlich nicht jedem Trend sofort „hinterherlaufen“. Nicht umsonst sind Begriffe wie „Entschleunigung“ und „Nachhaltigkeit“ in diesen wirren Zeiten in den urbaneren Regionen der Republik häufig gebrauchte und ebenso häufig missbrauchte Begriffe.

Mir jedenfalls haben die Landschaften dieses Grenzgebietes zur Tschechischen Republik und damals – also vor der Wiedervereinigung – auch zur DDR immer gefallen. Ich war und bin gerne in Nordostoberfranken unterwegs, bin dort aufgewachsen, habe meine Jugendzeit da verbracht, bin zur Schule gegangen und nach der Universität zunächst für einige Jahre – ebenfalls gerne – zurückgekehrt, um in der Region zu arbeiten.

Gewiss, rein läuferisch gesehen war es zweifellos ein Nachteil, in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Nordostoberfranken zu leben, denn Joggen oder Laufen war dort nicht angesagt, das war damals eher ein beginnender Trend in den Großstädten, wenn überhaupt. Im nordöstlichsten Teil Bayerns jedenfalls sah man bis Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts nur sehr wenige Läufer durch Wald und Flur eilen, in den Städten dieses Landstrichs überhaupt keine.

*

Ich bin nicht sonderlich sportlich, aber bewegungsfreudig. Das Laufen war mir von der Konstitution her gesehen nicht in die Wiege gelegt, ich musste es mir erwerben, manchmal mühsam. Später hat es weite Strecken meines Lebens erfreulich mitgeprägt.

Der Titel „Lustige Läufer leben länger – oder zumindest besser“ ist natürlich prekär, denn wenn ich morgen, nach über 40 Jahren Laufen, trotzdem krank werden oder tot umfallen sollte, werden einige lauffaule und bequeme Zeitgenossen – vielleicht sogar mit Häme – anmerken, dass mir das recht geschähe und mir also das viele, lebenslange Laufen doch nichts genützt habe. Damit muss ich leben, eventuell auch sterben.

Manche würden statt der vier „L“ des Titels vielleicht nur drei „L“ bevorzugen, also die verkürzte Version „Läufer leben vielleicht nicht länger – aber besser“ akzeptieren. Muss man für das Laufen noch obendrein „lustig“ sein? Bin ich überhaupt lustig? Natürlich nicht immer. Aber die Alliteration ist allzu schön und Humor und ironische Distanz zu den Dingen sind neben dem Laufen meiner Meinung nach ebenfalls gesund und tragen durchs Leben.

Meine einstige Entscheidung für lebenslanges Laufen war eine der besten, die ich getroffen habe. Diese Erkenntnis möchte ich vermitteln und ich hoffe, es gelingt mir, ein paar weitere, vielleicht ebenfalls durchschnittlich oder nur unterdurchschnittlich begabte Zeitgenossen und Nichtläufer für das Laufen zu interessieren und zu gewinnen, nicht primär durch medizinische, physische, physiologische oder sonstige durchaus triftige Argumente, sondern durch die Schilderung von Erlebnissen und Gedanken, die ich ohne das Laufen nicht gehabt hätte und für die allein es sich schon gelohnt hat, ein Leben lang zu laufen.

Damit nochmals kurz zur Frage, wieso ein durchschnittlich sportlicher, durchschnittsgewichtiger, durchschnittlich laufbegabter Mensch ein Buch über lebenslanges Laufen schreibt. Sollte er das nicht lieber den Experten überlassen, den leptosomen, sich gesund ernährenden, täglich trainierenden, asketischen Läufern?

Nein, ich denke, das sollte er nicht. Bücher über Ausdauerlaufen und Joggen von ausgewiesenen Superläufern mit Supertipps zum Laufen gibt es schon genug. Sie sind oft gut gemacht und fundiert, aber bilden sie die Realität des Laufens für den erwähnten Durchschnittsmenschen ab? Ist, wenn man ihnen denn folgt oder folgen kann, das Scheitern nicht oft schon vorprogrammiert, weil die Messlatte hoch gelegt ist? Denn mal ehrlich: Wer will oder kann schon komplexen Trainingsplänen folgen, jeden Tag laufen, möglichst noch dazu lange Strecken, jahrein, jahraus, dabei auf viele kulinarische Genüsse bewusst verzichten?

Ich jedenfalls nicht. Und doch laufe ich nun schon über 40 Jahre, relativ konsequent, mit unterschiedlicher Laune und wechselnder Form. Mit nunmehr fast 70 Jahren bin ich selbstverständlich langsamer geworden, immer wieder habe ich statische Probleme, mal zwickt es hier, mal da. Das Alter fordert seinen Tribut. Trotzdem weiß ich: Das Laufen hat mein gesamtes Leben zum Positiven verändert und mir buchstäblich viel mit auf den Weg gegeben. Ich würde es niemals missen wollen. Und ich weiß ebenfalls genau: Mit Freude und Genuss laufen kann wirklich jeder. Zumindest sollte es ein jeder einmal ausprobieren, ihm eine Chance geben.

Und damit: Viel Spaß beim Lesen und hoffentlich auch beim Laufen.

Kapitel 1

Ein kluger Arzt gründet eine Laufgruppe und weckt Aufmerksamkeit

Vor circa 40 Jahren, also gegen Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, fanden sich in der Regionalzeitung „Frankenpost“ im bayerischen Nordostoberfranken immer wieder einmal Artikel über Langlaufen im Sinne von lockerem Joggen. Das war ein Novum, denn damals interessierte sich kaum ein Mensch für Ausdauerlauf. Langlauf wurde als eine triviale, gleichsam eigenartige, ja exotische Sportart betrachtet. Nur sehr selten sah man damals auf den Straßen oder irgendwo im Wald oder Gelände Läufer. Meist waren das in den Augen der Bevölkerung eigenartige Zeitgenossen: eigenbrötlerisch, überschlank, kauzig und schrullig zugleich, also irgendwie neben der Kappe. Eine richtige Gruppe von Läufern sah man schon gar nicht.

Ich war damals um die 27 Jahre alt, relativ fit, aber kein sonderlicher Sportler. Wir spielten ab und zu Fußball, fuhren aus Spaß Rad, gingen im Sommer ins Freibad. Viel lieber suchten wir aber zum Kicker- und Flipperspielen Wirtshäuser auf, die es in den Hochzeiten des Rauchens noch an jeder Ecke der Stadt gab, oder gingen als Zuschauer auf den Fußballplatz, um dort über Spieler und Schiedsrichter zu maulen und zu meckern. Auf richtige und konsequente sportliche Betätigung legten wir keinen Wert, auf Langlauf als Freizeitidee oder im Rahmen eines Fitnessprogramms wären weder meine Freunde noch ich jemals gekommen. Den Begriff Langlauf assoziierten wir allerhöchstens mit gemütlichem Skilanglauf in der verschneiten Winterlandschaft.

Wir lebten jedenfalls in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts weder bewegungstechnisch noch ernährungsmäßig sonderlich gesund und teilten diese Haltung mit dem Großteil der Bevölkerung.

Als intensiver Zeitungsleser stieß ich nun also im Lokalteil der „Frankenpost“ überraschenderweise hin und wieder auf Artikel über eine Langlaufinitiative, die auf den Chefarzt eines Krankenhauses, einen Dr. Heinz Laubmann, zurückging. Diesem gelang es im Laufe der Zeit, das Thema Langlauf publizistisch in der Regionalpresse zu platzieren und zumindest einige wenige potenzielle Läufer für seine Idee vom gesunden Dauerlauf zu gewinnen. Ab und zu erschienen Artikel über irgendwelche Gruppenläufe im Umland der Städte Hof, Naila und Rehau, im Frankenwald und Fichtelgebirge. Fotos zeigten Läufer in Gruppen, die fröhlichen Gesichts und leichten Fußes im Gelände umher trabten. Aus heutigem Blickwinkel sahen diese Läufer eher wie urige Waldschrate aus und ihre Klamotten waren wenig stylish.

Der Chefarzt erlangte mit seinen Thesen vom Laufen als dauerhaftes, unkompliziertes Fitness-Programm immer mehr Interesse. Er gab Interviews und schließlich hielt das Thema in der Alltagsdiskussion in der Region Einzug, selbst an den Stammtischen der Kneipen. Immer mehr Menschen schien zumindest ansatzweise bewusst zu werden, dass mit ihrer Lebensweise etwas nicht stimmte, dass sie sich falsch ernährten und zu wenig bewegten. Vom langen Laufen wurde Erfreuliches berichtet. Wenn man ausdauernd lief, so hieß es, erlangte man angeblich lebenslange Fitness, dauerhaften Gewichtsverlust, man wehrte Krankheiten aller Art ab und konnte im Anschluss an den Lauftreff immer noch ein geselliges Beisammensein in der Gruppe nach dem Motto „Lustige Läufer leben länger“ genießen. Dr. Laubmanns Maxime lautete: „20 Jahre lang 40 bleiben.“

Mein Interesse war milde geweckt, wenngleich zunächst noch rein theoretischer Natur. Ich sagte mir aber, dass ein Chefarzt, noch dazu ein Internist, ja sicherlich gewichtige Argumente für das von ihm propagierte Laufen haben würde und verfolgte die Aktivitäten der Laubmannschen Langlaufgruppe von da an zumindest auf dem Papier.

In mehreren oberfränkischen Orten wurden Laufgruppen gegründet. Die Langlaufbewegung entwickelte sich zwar noch keineswegs flächendeckend, gewann aber an Dynamik. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt nach wie vor ein rein potenzieller Läufer, also kein richtiger, sondern sozusagen nur ein vager Sympathisant, der früher im Gymnasium höchstens die eine oder andere Sportplatzrunde gelaufen war, und das auch nur, weil es der Sportlehrer so wollte und uns, sollten wir uns weigern sie zu laufen, mit einer schlechten Note drohte. Meistens hielten uns die Drohungen nicht davon ab, im Sportunterricht nur Blödsinn zu treiben, es sei denn, wir durften Fußball spielen. Während des Studiums ging es dann bewegungstechnisch endgültig bergab, der Weg in die Kneipe war das Maximum.

Jetzt kam also dieser Dr. Laubmann mit seinen Thesen vom gesunden Laufen daher. Da ich sowieso einmal einen medizinischen Checkup machen lassen wollte, verfiel ich auf die Idee, diesen Laufguru aufzusuchen. Erstaunlicherweise hatte er in seinem Krankenhaus sofort einen Termin frei und ich unterlief die üblichen Untersuchungen, also Blutanalyse, Belastungs-EKG, Ultraschall und so weiter. Er zeigte sich mit den Resultaten zufrieden, war im persönlichen Gespräch offen, sympathisch und gewinnend. Ich war gespannt, ob er mich bei dieser Gelegenheit zum Laufen bewegen wollte, was ja aufgrund seiner umtriebigen Aktivitäten auf der Hand lag. Ich erinnere mich noch recht genau an unser Gespräch:

„Also, das sieht ja alles recht ordentlich bei Ihnen aus. Könnte aber noch besser sein, denn Sie sind ja noch jung. Das eine oder andere Pfund zu viel wiegen Sie auch, aber das wissen Sie sicher selbst. Laktatwerte und Blutfette sind im Großen und Ganzen in Ordnung, aber die könnten Sie trotzdem noch deutlich optimieren. Das HDL könnte durchaus noch ein bisschen höher sein und die Gesamtcholesterinwerte etwas niedriger. Wohlstandsbürgerwerte halt, haha.“

„???“

„Gut, können Sie vielleicht nicht wissen. Also nochmal für den Laien. Das HDL ist das sogenannte gute Cholesterin, das LDL das schlechte. Zusammen ergeben sie das Gesamtcholesterin. Das sollte nicht zu hoch sein. Aber darum allein geht es gar nicht. Wichtig ist: Je höher das HDL, desto geringer die Gefahr einer koronaren Erkrankung.“

„Aha. Und wie soll ich das steigern?“

„Ganz einfach: Fangen Sie mit dem Laufen an. Konsequent und kontinuierlich. Dann werden Sie schon nach wenigen Monaten eine Veränderung sehen.“

„Mmh.“

Der Doktor war vom Laufen besessen, das war spürbar. Und: Er war seiner Zeit weit voraus. Heute weiß jeder Alltagsläufer, jeder einigermaßen an Gesundheit Interessierte über High Density Lipoprotein, Low Density Lipoprotein, Gesamtcholesterin und Triglyzeride halbwegs Bescheid. Damals war das keineswegs der Fall. Es wusste auch kaum einer etwas über ungesättigte Fettsäuren, den Nutzen von nativem, kalt extrahiertem Olivenöl, gutem Rotwein, vegetarischer oder gar veganer Ernährung.

„Durch regelmäßiges Laufen ohne zu schnaufen senken Sie nicht nur die Blutfettwerte. Wenn Sie das tun, dann wirkt sich das, wie gesagt, günstig auf Ihre Leistungsfähigkeit, auf die koronare Geschmeidigkeit und damit Ihre Ausdauer aus. Sie trainieren zudem die Kollateralen.“

„Als da sind?“

„All die kleineren Blutgefäße am Herzen, die lebenslang Entlastung schaffen können.“

Er begann damit, etwas auf einen Notizblock zu krakeln.

„Schauen Sie, das ist der Querschnitt eines Blutgefäßes. Im Laufe des Lebens kann es zu immer mehr Ablagerungen an den Gefäßwänden kommen. Wenn sich jemand zu wenig bewegt, besteht die Gefahr, dass sich Blutgefäße zunehmend verengen, sozusagen zuklumpen.

„Und dann?“, fragte ich in meiner Naivität.

„Dann drohen Infarkt und Schlaganfall“, gab er lächelnd zurück.

„Darüber habe ich noch nie nachgedacht.“

„Das tun die wenigsten. Aber keine Angst, dahin ist es ein weiter Weg. Doch wenn Sie laufen, reduzieren Sie dieses Risiko ungemein. Fangen Sie damit an. Ich glaube zu wissen, wovon ich rede.“

Der Doktor lächelte gewinnend.

„Und wie lang, und wie oft?“

„Fangen Sie ganz, ganz langsam an, kurze Strecken, abwechselnd gehen und laufen. Steigern Sie das ganz vorsichtig und behutsam, überanstrengen Sie sich nicht. Wenn Sie ins Schnaufen kommen, dann reduzieren Sie das Tempo. Viele machen den Fehler zu schnell zu laufen. Sie sollten sich beim Laufen noch unterhalten können. Laufen Sie drei oder viermal in der Woche. Sie können ja auch zu uns in eine Laufgruppe kommen, Gemeinsam geht alles leichter.“

„Hm, mal sehen. Gibt es sonst etwas Spezielles zu beachten? Besondere Schuhe oder Kleidung?“

„Ach was. Fangen Sie doch einfach mal an. Nehmen Sie Ihre alte Trainingshose oder Shorts und Ihre Turnschuhe und laufen Sie los. Ganz einfach so, ohne Aufwand.“

„Einfach so?“

„Genau. Und wirklich ganz langsam. Gehen Sie zwischendurch immer wieder einmal ein paar Schritte.“

Ich bedankte mich, sah auf dem Heimweg verklumpte Blutgefäße und bröckelnde Herzkranzgefäße vor meinem geistigen Auge und war beunruhigt. Aber, wie angedeutet, was Dr. Laubmann formulierte, war damals keineswegs medizinisches Allgemeingut. Man kann es sich heutzutage, da Gesundheits-, Fitness- und Ernährungsthemen omnipräsent sind, gar nicht mehr richtig vorstellen, aber in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts aß man tendenziell zu fett, möglichst täglich Fleisch, am liebsten Schwein, genoss bedenkenlos Sahnetorten, Chips und Süßigkeiten und fuhr selbst kurze Strecken mit dem Auto. Metzger und Bäcker mit verlockenden Angeboten gab es an jeder Straßenecke. Hinzu kam der steigende Verzehr von „Pizza-Art-des-Hauses“ in den aufstrebenden Pizzerien. Die allgegenwärtigen Currywurst, Schaschlik und Leberkäse setzten der Kulinarik die Krone auf. Man lebte in einer Wohlstandsgesellschaft und war sich deren Risiken kaum bewusst. Gesunde Ernährung, Bewegungstraining und Ausdauersport waren den meisten unbekannt. Zwar war die Gesellschaft geistig im Aufbruch aus der bräsigen Verschnarchtheit und Selbstgefälligkeit der Nachkriegsjahre, doch andererseits zeigten die Menschen deutlich, dass sie sich etwas leisten konnten, selbst wenn es gesundheitsschädlich war. Ein Blutdruck von 160 zu 100 galt keineswegs als riskant, sondern eher als normal, die Bäuche der Menschen wuchsen. Das Auto galt als Statussymbol, das Fahrrad war eher eine Notlösung. Ums Herz kümmerte man sich mal kurz, wenn die Medien von neuen Herztransplantationen berichteten, ansonsten schlug es vor sich hin. Es wurde also Zeit, dass sich etwas bewegte, am besten der Mensch sich selbst.

Ich war da keine Ausnahme. Meine innere Stimme sagte mir jedoch, dass an den Ansichten des Doktors so einiges stimmen könnte. Wieso gerade einem Chefarzt eines Krankenhauses in der Provinz diese Ideen kamen, blieb mir ein Rätsel. Von Herzzentren und Großkliniken hatte ich derartiges noch nicht gehört. Aber vielleicht hatte ich das verpennt und das Thema war an mir vorbeigegangen. Ich war schließlich erst 27 Jahre alt. Was kümmerte mich meine Gesundheit?

Noch also war mein Entschluss, es mit dem Laufen zu versuchen, nicht gefasst. Noch zögerte ich, gab meinem inneren Schweinehund nach, der auf Trägheit setzte. Doch gingen mir die Überlegungen dieses sympathischen Arztes nicht mehr aus dem Kopf. Ich spürte, dass in mir ein Bewusstseinsprozess in Gang gekommen war. Trotzdem stellte ich mir die Frage, wie denn regelmäßiges Laufen überhaupt gehen sollte. Drei-, vier- oder gar fünfmal in der Woche Laufen, das hieß ja jeweils mindestens eine oder eineinhalb Stunden weniger Freizeit, wenn man das Umziehen und Duschen mit einrechnete und das selbst, wenn man anfangs nicht zu lange lief. Das schien mir eine ziemlich zeitaufwändige und umständliche Sache zu sein.

Kapitel 2

Gesundheitliche Aspekte und Verunsicherung durch einen Laufpapst

In jenen Tagen erschien in der regionalen Tageszeitung die Vorankündigung einer Veranstaltung, die mit der aufkommenden Begeisterung für den Langlauf zu tun hatte. Ein gewisser Dr. van Aaken war von der örtlichen Laufgruppe eingeladen worden und hielt im so genannten Katholischen Vereinsheim in Hof einen Vortrag über Laufen als Ausdauersport. Der Herr, der mir bis dato nicht aufgefallen war, galt als eine Art Laufpapst und bundesweite Koryphäe dieser neuen Laufbewegung. Es war also nicht nur in meinem begrenzten Nordostoberfranken etwas in Bewegung, sondern im ganzen Lande. Das war denn doch eine erstaunliche Entwicklung.

So machte ich mich – immer noch als nichtlaufender Laufinteressierter – auf, dem Vortrag dieses Dr. van Aaken zu lauschen. Ich ging davon aus, dass sich nur ein paar versprengte Idealisten und Esoteriker im tristen Saal des altehrwürdigen Katholischen Vereinsheims einfinden würden. Doch weit gefehlt. Es war gerammelt voll: Läufer, Nichtläufer, Noch-Nicht-Läufer, Dicke, Dünne, Junge, Alte. Allerhand. Ich war schwer beeindruckt von der versammelten Meute, die sich da dicht gedrängt ein Stelldichein gab. Einige der Anwesenden waren in Laufkleidung erschienen, so als ob sie gleich anschließend in die Nacht hinausrennen wollten. Ich fühlte mich leicht verloren, da ich selbst zu diesem Zeitpunkt immer noch kein ausdauernder Läufer war, noch nicht „für ein langes Leben programmiert“ und naturgemäß noch nicht so läuferisch lustig, wie das im Saal von schnatternden Sportlern lautstark propagiert wurde.

Ein paar lokale Laufgrößen, Vereinsvorsitzende und andere Bedeutungshuber begrüßten die Anwesenden. Dann kam Dr. Ernst van Aaken auf die Bühne. Im Rollstuhl. Er redete konzise und prägnant über die Vorzüge des Langlaufs und eine gesunde Lebensführung. Der Impetus des erfahrenen Arztes und Läufers war jederzeit spürbar, sein Vortrag war von einer deutlichen „No nonsense“-Attitüde durchdrungen. Allerdings, so kam es mir zunehmend vor, auch von einer etwas esoterischen, rigiden, nahezu rechthaberischen und missionarischen Haltung, die vom Läufer, oder vom potentiellen Läufer wie mir, so allerhand einforderte. Der Grundtenor dabei war, dass wirklich fast alle Menschen sich zu wenig bewegen, zu fett und zu süß essen, übergewichtig sind – und mit dieser bemitleidenswerten Haltung ihr Leben ruinieren.

Dr. van Aaken vertrat steile Thesen. Seiner Meinung nach müsste der Mensch jeden Tag laufen, mal schnell, meist aber eher langsam und sehr lange, morgens, abends und gegebenenfalls auch nachts, ohne Ausreden. Er sollte nicht nur Normalgewicht haben, sondern mindestens zehn Prozent unter Normalgewicht liegen. Einmal Essen am Tag war nach Meinung des Arztes genug, sonst würde der Appetit zu sehr angeregt. Hielte man das alles konsequent ein, dann würde man ein Leben lang gesund sein, zudem geistig und körperlich fit. Na bravo, dachte ich mir, wie soll der Mensch das leisten? Vor allem: Wie sollte ich das leisten? Würde ein solches prinzipientreues Leben überhaupt noch Spaß machen?

Bei den meisten Menschen im Saal spürte ich während des Vortrags ein gewisses Unbehagen aufkommen, fühlten sie sich doch anscheinend ob ihrer Unzulänglichkeiten in der Lebensführung ertappt, fast etwas blamiert. Einerseits schienen sie einzusehen, dass sie etwas an ihrem Leben ändern mussten, andererseits sollte das Leben doch wohl Freude bereiten und Essen ebenso, oder nicht? Ein liebes, langes Leben lang sich fordern, beim Laufen herumquälen und im Alltag kasteien, war das wirklich eine solch glänzende Idee? Dr. van Aaken jedenfalls war davon überzeugt und bei seinem Vortrag spürten alle, dass er seine Thesen ernst und ehrlich meinte. Wieso aber saß er im Rollstuhl? Eine Verletzung beim Sport?

Nach dem Vortrag standen die Leute im Katholischen Vereinsheim herum und diskutierten heftig, mit und ohne Dr. van Aaken. Einige Läufer und selbst einige Läufer in spe waren begeistert, andere hegten Zweifel an den strikten Thesen, die der Doktor präsentiert hatte. Richtig lustig, so wie es von den Mitgliedern der Lauftruppe des Dr. Laubmann gerne gesehen wurde, waren die Läufer hier im Saal jedenfalls nicht.

Wieso saß der gute Mann nun wirklich im Rollstuhl? Ein knorriger Läufer konnte mir Auskunft geben und schilderte mir, dass Dr. van Aaken ein schlimmes Schicksal erlitten hatte, das schlimmste, das einen Läufer erwischen konnte. Im Jahre 1972 war er beim abendlichen Laufen von einem Auto umgefahren worden, als er eine Straße überqueren wollte, und es mussten ihm beide Beine amputiert werden. Ein furchtbares Los für jeden Menschen, ein niederschmetterndes für einen Läufer und Lauftrainer. Mir fehlten die Worte. Umso bemerkenswerter war, dass er sich nicht in sein Schicksal ergab, sondern sein Leben meisterte, mit Prothesen wieder Radtraining und Gymnastik absolvierte, Vorträge hielt, junge Sportler coachte, herumreiste und Bücher über Laufen, aerobes Training und gesundes Leben schrieb und publizierte. Alle Achtung vor diesem Mann, auch wenn seine gestrengen Lebensentwürfe und Laufthesen für mich unerreichbar schienen.

Ich kaufte mir eines seiner Bücher. Es hieß „Programmiert für 100 Lebensjahre“, umfasste weit über 300 kleingedruckte Seiten und es war harter Stoff, meiner Meinung nach etwas zu moralinsauer und detailversessen. Dr. van Aaken ließ den Leser spüren, dass dieser keine Ahnung hat, er selbst aber von allen sportlichen, medizinischen, physischen, physiologischen und läuferischen Aspekten eine ganze Menge. Das war einerseits beeindruckend, andererseits nervig, vor allem wenn er sich in uferloses Detailwissen erging. Ich las also über maximale Sauerstoffaufnahme ohne Anwachsen einer initialen Sauerstoffschuld, die Vermeidung der Milchsäurebildung, gesteigerte Fermentaktivität und generell über die Vorteile des lebenslangen Laufens, also seiner Meinung nach über Schutz vor Herzkrankheiten, Prävention von Diabetes, Verringerung des Krebsrisikos, Reduktion des Depressions- und Demenzrisikos, antientzündliche Effekte, Reduzierung des Bauchfetts, Optimierung des Fettstoffwechsels, Anti-Aging-Effekt.

All das sind Dinge, die heute in den Medien omnipräsent sind. Damals, in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, hatte kaum einer von ihnen gehört oder gelesen. Mir als Nichtläufer, aber potenzieller Laufkandidat schienen die Ausführungen durchaus stringent.

Doch der Doktor verzettelte sich im Buch meiner Meinung nach im luftleeren intellektuellen Raum. Er lästerte über sinnloses Mittagessen aller Art und fachsimpelte über die Vermeidung lästiger Darmgase durch gesundes Essen. Menschliche Willensschwäche verachtete er grundsätzlich und er empfahl neben dem täglichen langen Laufen die abendliche Lektüre eines guten Buches oder wissenschaftlichen Werkes oder die Hingabe an die Kunst, vor allem die Musik. Das war natürlich sehr schön gedacht, aber wer war denn hier die Zielgruppe? Menschen im täglichen Rattenrennen gaben sich kaum immer abends noch dem Guten, Wahren, Schönen hin, oder?

Es sollte im Buch noch besser kommen, wie man so schön sagt, also eher schlimmer. Dr. van Aakens fixe Idee war, dass das Körpergewicht unbedingt drastisch reduziert werden musste, wobei er bei mir offene Türen einrannte, denn dieser Meinung war ich schon lange, allerdings erfolglos. Er schreckte nicht davor zurück, konkrete Ratschläge zu geben, wie man am besten abnimmt. Seine Empfehlung einer Einsteigerdiät zu diesem Thema gestaltete sich wie folgt:

Tag 1: 5 Eier in Abständen von 3 Stunden und 1 Liter Apfelsaft

Tag 2: 500 g Magerquark und 1500 g Äpfel

Tag 3: 300 g Reis und Tee

Tag 4: 200 g Kalbsschnitzel und 200 g Vollkornbrot mit 20 g Butter, dazu Tee oder Kaffee

Tag 5: 1 Liter Milch und 1 Liter Fruchtsaft

Tag 6: 200 g Pellkartoffeln, 200 g Vollkornbrot, 20 g Butter, ½ Liter Milch, 100 g Gouda, 250 g Magerquark

Tag 7: 200 g Schweineleber, 200 g Pellkartoffeln, 20 g Butter, 100 g Salat, 100 g Tomaten, ½ Liter Milch, ½ Liter Apfelsaft

Generell verdammte er Kakao, Süßigkeiten und Kuchen. Eier allerdings lobte er über den grünen Klee und empfahl ausdrücklich eine Eierkur.

Dass zu viel Zucker, Süßigkeiten und Alkohol schädlich sind, akzeptierte ich. Das war ja allgemeines Wissen und galt schon ewig. Ansonsten war mir das alles zu pingelig und kleinkariert. Ohne mich.

Eine Überlegung wert war sicherlich seine Abgrenzung des von ihm favorisierten Ausdauertrainings vom bis dahin üblichen und populären Intervalltraining. Denn Intervalltraining bedeutete Ausdauererwerb durch kurze Strecken mit relativ großer Intensität und häufiger Wiederholung, nur kurzen Pausen und damit unvollständiger Erholung. Das von Dr. van Aaken propagierte reine Ausdauertraining überzeugt hingegen durch kontinuierliches Steigern des aeroben Stoffwechsels. Man trainierte also, ohne sonderlich zu schnaufen, immer im Sauerstoffbereich.

Kaum war ich einen Moment lang vom Gelesenen überzeugt, erlitt ich wieder einen Rückschlag. Da hieß es bei der praktischen Anwendung des Lauftrainings zum Beispiel: Empfohlen wird bei Mittel- und Langstrecken ein kontinuierlicher Waldlauf oder Straßenlauf von 10–20 Kilometer in wechselndem Gelände, im Tempo nicht schneller, als dass man sich dabei bequem unterhalten kann.

Fein. 10–20 Kilometer, haha. Ich selbst musste erst einmal einen einzigen Kilometer schaffen und erst danach konnte ich an längere Strecken denken. So waren meine theoretischen Anfänge als künftiger Läufer hin- und hergerissen vom Laubmannschen Ansatz eines freudvollen, gesunden, „lustigen“ Laufens, ohne viele Hintergrundreflexionen und dem mit Theorie überfrachteten Laufen Dr. van Aakens.

Was ich hier formuliere, ist natürlich eine verkürzte und damit ungerechte Darstellung, aber sie entsprach meinem Grundgefühl zum damaligen Zeitpunkt. Die Situation erinnerte mich an meinen Einstieg ins Tennisspielen. Ich hatte zwei Tennistrainer: einen Tschechen und einen Amerikaner. Mit dem Tschechen kam ich praktisch nie zum richtigen Spielen, weil er sich liebend gerne in der Theorie des Spiels erging. Er predigte die hohe Kunst eines ästhetischen Ablauf des Tennisspiels und gab permanent Befehle: „In die Knie, weit ausholen, vorlaufen, richtig durchziehen! So nicht, sondern Schläger vor dem Körper runter, seitlich stehen, dann schwungvoll in den Topspin“ und so weiter. Das mochte alles richtig sein, machte mich aber ganz verrückt, weil immer etwas mit dem Schlag, der Spielanlage und dem Timing nicht stimmte. Der Amerikaner hingegen zeigte mir kurz, wie er sich das Tennisspielen vorstellte und meinte dann: „So, jetzt spiel einfach mal los, lauf und schlag.“ Während wir spielten, korrigierte er kurz und bündig ab und zu die Schläge, learning by doing sozusagen. Das „tschechische“ Spiel war ästhetischer, eleganter, jedoch für mich im Match erfolgloser, weil ich zu viel dachte. Ähnlich war es jetzt beim Laufen: ein wissenschaftlicher und hochkarätig theoretischer Ansatz kollidierte mit dem praktischen Vorschlag, einfach mal loszulaufen und dann zu sehen.

Egal. Jetzt musste ich endlich einen Startpunkt setzen und laufen, nicht nur in Theorie herumschnüffeln. Da ich ja nicht in Fußballschuhen laufen konnte, ging ich in den Keller, um Turnschuhe zu holen. In einem Regal fand ich ein paar steinharte Uraltturnschuhe. Es war nahezu unmöglich, sie anzuziehen, es war vollends unmöglich, darin zu laufen. Meine unsportliche Vergangenheit ließ grüßen.

Ich wusste, dass in meiner Heimatstadt zwischenzeitlich ein kleiner Lauf-Shop am Rande der Innenstadt eröffnet hatte. Eine Premium-Lage war für solche Läden damals noch nicht denkbar. So machte ich mich zu dem Laufladen auf und traf dort auf eine sympathische Mittvierzigerin, die Ladeninhaberin. Sie war offensichtlich selbst Läuferin, jedenfalls schien sie sich mit Laufschuhen auszukennen. Viel anderes hatte der kleine Laden im Gegensatz zu heutigen auf das Laufen spezialisierten Sportshops auch nicht zu bieten. Lediglich ein paar Laufshirts und Shorts hingen an den Wänden, ein Karton mit Energieriegeln lag auf dem Tresen.

„Hallo, ich möchte gerne ein paar Laufschuhe kaufen“, sagte ich brav.

„Hallo, ja, prima. Haben Sie da an etwas Spezielles gedacht?“, fragte die freundliche Frau.

„Also, nicht wirklich. Halt so zum Laufen.“

„Welche Strecken laufen Sie denn so?

„Äh, tja, eigentlich laufe ich noch gar nicht. Ich wollte mit dem Laufen erst anfangen.“

„Prima, gute Idee. Laufen ist Klasse. Macht echt Spaß.“

Dieser kleine Motivationsschub freute und bestärkte mich.

„Na, zeigen Sie mir mal, was Sie so für Laufschuhe im Angebot haben“, sagte ich.

„Sind Sie ein Normalläufer, ein Pronierer oder ein Supinierer?“

„Äh, wie bitte?“

„Na, laufen Sie normal oder nach innen oder nach außen?“

„Ein Orthopäde hat mir mal gesagt, ich habe Senk-, Knick- und Spreizfuß. Oder so ähnlich.“

„Tja, die Orthopäden. Als ich es mal im Kreuz hatte, hat mir einer geraten, mich möglichst wenig zu bewegen, mich hinzulegen und nicht zu laufen. So ein Trottel. Seit ich laufe, sind alle meine Rückenprobleme weg.“

„Das ist ja fein. Und was nehmen wir jetzt?“

„Laufen Sie mal geradeaus in den Laden hinein.“

Ich lief geradeaus in den Laden hinein. Sie stand hinter mir und beobachtete meine Füße.

„Ganz klarer Fall von Pronierer. Starker Pronierer, würde ich sagen.“

„Was war das noch mal?“

„Sie laufen extrem nach innen. Sie brauchen Laufschuhe mit einer Art Fußbrücke.“

„Und so was haben Sie?“

„Klar. Viele Läufer laufen nach innen. Da gibt es hervorragende Laufschuhe. Schauen Sie mal.“

Ich probierte ein paar recht schick aussehende Laufschuhe eines japanischen Herstellers an, mit denen ich angeblich nicht mehr nach innen laufen würde. Sie passten gut, schienen mir aber vorne an den Zehen zu groß.

Ich lief ein bisschen im Laden herum.

„Nicht schlecht. Aber die sind vorne mindestens ein bis zwei Zentimeter zu lang.“

„Wenn Sie erst mal lange Strecken laufen, werden Sie dafür dankbar sein. Laufschuhe dürfen nicht zu knapp sitzen. Sonst gibt es Blutblasen.“

„So so. Was heißt denn ‚lange Strecken‘‘ für Sie?“

„Na so fünfzehn, zwanzig Kilometer oder mehr.“

„Sie sind lustig. Ich muss erst mal einen Kilometer schaffen.“

„Das werden Sie nach kurzer Zeit. Mit diesen Schuhen laufen Sie wie auf Wolken, versprochen.“

Ich wollte die gute Frau nicht enttäuschen, zahlte einen meinem Empfinden nach erstaunlich hohen Preis für diese Wunderschuhe, klemmte den Schuhkarton unter die Arme und spazierte davon. Zuhause lief ich mit meinen neuen Laufschuhen in der Wohnung herum. Sie trugen sich wirklich sehr komfortabel.

Jetzt gab es endgültig keine Ausrede mehr.

Kapitel 3

Runden auf dem Sportplatz und zunehmende Freude beim Laufen im Gelände

Los ging es morgens an einem sonnigen Spätfrühlingstag. Ich zog es vor, meine ersten Laufversuche nicht abends mit einer Laufgruppe zu absolvieren, um mich als Anfänger nicht zu blamieren und weil ich den anderen Läufern kein Klotz am Bein sein wollte. Zwar hatte man mir erzählt, dass jeder, wirklich jeder, in der Gruppe mitlaufen könne, dass es Gruppen mit unterschiedlichen Niveaus gebe, also welche für Anfänger, Fortgeschrittene und Schnelle, aber beim ersten Mal wollte ich lieber eigenbrötlerisch allein sein.

Doch wohin? Raus ins Grüne fahren und dann vom geparkten Auto weglaufen wollte ich nicht, denn wer weiß, vielleicht übernahm ich mich und konnte dann schauen, wie ich wieder zurückkam. Am simpelsten erschien mir die, Idee einen geeigneten Sportplatz zu finden. Dort konnte ich einfach Runden laufen und notfalls zwischendurch mal ein paar Meter gehen. Das Auto wäre als Zufluchtsort vor dem Tor geparkt und ich könnte jederzeit abbrechen. Ich überlegte und erinnerte mich an einen etwas heruntergekommenen Sportplatz in meiner Heimatstadt, auf dem wir als Schüler früher gelegentlich Sportunterricht hatten, zumindest hätten haben sollen, denn meistens fiel er aus oder wir machten nur Blödsinn. Ab und zu hatten einige Freunde und ich dort in der Freizeit Fußball gespielt. Das war die Idee, dort konnte ich laufen. Es würde kaum jemand auf dem Sportplatz sein, denn es waren gerade Pfingstferien. Somit würde ich meine Ruhe haben.

An jenem herrlichen Morgen betrat ich also den Platz, ging am alten, barackenähnlichen Sportheim vorbei und ein paar Stufen hinab zur Laufbahn. Hervorragend! Es war niemand da, keine Jugendlichen, keine Zuschauer, die mich veralbern konnten, noch keine Vereinsmitglieder beim Frühschoppen vor der Sportgaststätte. Nur ein alter, grummeliger Platzwart schlich herum, aber dem war ich egal. Er ging seinen Aufgaben nach und kratzte irgendwo mit einem Rechen in einer Ecke des Platzes herum.

Also Junge, rief ich mir in Erinnerung, mach langsam, ganz langsam. So begann ich äußerst gemächlich auf der Aschenbahn zu traben. Ich konzentrierte mich darauf, wirklich keinen Deut zu schnell zu laufen, denn, das wusste ich ja inzwischen, das war der Kapitalfehler vieler Anfänger. Erst mal die Längsseite des Spielfeldes entlang, dann die erste Kurve, dann hinter dem Tor vorbei, dann die Gegengerade und am anderen Tor vorbei wieder auf die Ausgangsgerade, die sonst als 50-Meter- oder 75-Meter-Bahn genutzt wurde. Das ging ziemlich problemlos. Ich schwitzte nicht, ich schnaufte nicht. Also weiter, zweite und dritte Runde. Unmerklich schien ich etwas an Tempo zugelegt zu haben, denn schon auf der Gegengeraden der dritten Runde fiel mir das Laufen etwas schwerer. Dummerweise hatten sich in der Zwischenzeit ein paar Vereinsmitglieder oder sonstige Trunkenbolde mit ihren Bieren vor das Vereinsheim gesetzt. Da sie bereits die Weltpolitik geklärt und nichts Sonstiges zu bereden hatten, schauten sie zu mir herüber. Jetzt nur nicht schwächeln, dachte ich mir und lief zügig weiter. Zu zügig, viel zu zügig. Als ich wieder am Vereinsheim vorbeikam, riefen die Stammtischbrüder aufmunternd oder eher spöttisch „hepp, hepp, hepp“. Das empfand ich als lästig, aber ich ignorierte die Zuschauer souverän, tat, als ob ich nichts hörte, und lief weiter. Das wurde leider immer schwieriger. Eigentlich konnte ich nicht mehr so richtig, doch ich durfte mir jetzt keine Schwäche anmerken lassen und lief. Inzwischen schnaufte und transpirierte ich schon bedenklich. Das konnte nicht gesund sein. Die Stammtischbrüder beobachteten mich, hoben die Gläser, prosteten sich zu und feixten. Sie riefen „schneller, schneller, hopp, hopp, hopp“ und warteten offensichtlich auf meinen bevorstehenden Kollaps. Blödmänner! Ich war nun ziemlich außer Atem und musste mir dringend etwas einfallen lassen, um aus dieser Nummer unauffällig herauszukommen und diesen Deppen vor dem Vereinsheim keine Munition für weitere Schadenfreude zu liefern.