Mach, was du kannst - Aljoscha Neubauer - E-Book

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Aljoscha Neubauer

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Beschreibung

Wie wir herausfinden, was wir am besten können

Die neueste psychologische Forschung zeigt: Wir sind erstaunlich schlecht darin, die eigenen Begabungen einzuschätzen. Das führt dazu, dass viele Menschen sich für Tätigkeiten interessieren, für die sie nicht begabt sind, und umgekehrt verfügen viele über Potenziale, von denen sie nichts wissen und die sie nicht ausschöpfen.

In seinem neuen Buch befasst sich der renommierte Psychologe Aljoscha Neubauer mit der Frage, wie Eignung und Neigung zusammenhängen. Er legt dar, welche Begabungen und Talente es gibt, welche Bedeutung Interessen für das berufliche Fortkommen haben und inwiefern die Persönlichkeit eines Menschen zu dem passen sollte, was er tut. Vor allem aber gibt Neubauer Hinweise, wie man herausfindet, was man wirklich kann und will – und wie man dadurch den Weg zu Erfolg und Lebensglück ebnen kann.

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Seitenzahl: 340

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Wie wir herausfinden, was wir am besten können

Die neueste psychologische Forschung zeigt: Wir sind erstaunlich schlecht darin, die eigenen Begabungen einzuschätzen. Das führt dazu, dass viele Menschen sich für Tätigkeiten interessieren, für die sie nicht begabt sind, und umgekehrt verfügen viele über Potenziale, von denen sie nichts wissen und die sie nicht ausschöpfen.

In seinem neuen Buch befasst sich der renommierte Psychologe Aljoscha Neubauer mit der Frage, wie Eignung und Neigung zusammenhängen. Er legt dar, welche Begabungen und Talente es gibt, welche Bedeutung Interessen für das berufliche Fortkommen haben und inwiefern die Persönlichkeit eines Menschen zu dem passen sollte, was er tut. Vor allem aber gibt Neubauer Hinweise, wie man herausfindet, was man wirklich kann und will – und wie man dadurch den Weg zu Erfolg und Lebensglück ebnen kann.

Zum Autor

Aljoscha Neubauer, geboren 1960, ist Professor für Psychologie an der Universität Graz. Er leitet das Institut für Differentielle Psychologie und erforscht seit 30 Jahren individuelle Unterschiede in kognitiven, sozialen und kreativen Begabungen und ihre neurowissenschaftlichen Grundlagen. Zuletzt erschien bei DVA von ihm – zusammen mit Elsbeth Stern – Intelligenz. Große Unterschiede und ihre Folgen (2013).

aljoscha-neubauer.com

Aljoscha Neubauer

MACH, WASDUKANNST

Warum wir unseren Begabungen folgen sollten –und nicht nur unseren Interessen

Deutsche Verlags-Anstalt

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1. Auflage

Copyright © 2018 Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagabbildung: © shutterstock

Grafiken: © Peter Palm, Berlin

Typografie und Satz: DVA/Andrea Mogwitz

Gesetzt aus der Garamond

ISBN 978-3-641-21669-6V002www.dva.de

Für Khatuna

Inhalt

Vorwort

1. Warum wir nicht tun, was wir am besten können

2. Intelligenzen, Begabungen und Talente

3. Welcher Job passt zu welcher Persönlichkeit?

4. Die Bedeutung von Interessen für das berufliche Fortkommen

5. The Big Picture: Eignung, Neigung und Erfolg

6. Die Grenzen der Selbsterkenntnis

7. Zehn Empfehlungen, was man tun kann

Epilog

Glossar

Anmerkungen

Register

Vorwort

Eine der zentralen Lebensentscheidungen, die man als Mensch zu treffen hat, ist die Berufswahl. Denn der spätere berufliche Erfolg, die berufliche Zufriedenheit und womöglich auch das Lebensglück hängen entscheidend davon ab, dass man die richtige Wahl trifft. Beruflich orientieren müssen sich heutzutage nicht nur junge Menschen, auch später im Leben wollen oder müssen sich Menschen umorientieren, entweder weil sie unglücklich mit ihrer derzeitigen Tätigkeit sind oder weil es in ihrem angestammten Beruf keine Arbeit mehr gibt. Für eine gute Entscheidung ist es hilfreich, sich selbst gut zu kennen, das heißt, über seine eigenen Talente und Fähigkeiten, über seinen Charakter und über seine Interessen gut Bescheid zu wissen.

Das ist aber bei erstaunlich vielen Menschen nicht der Fall: Aktuelle psychologische Forschung der letzten zehn Jahre hat zutage gefördert, dass Menschen die eigenen Begabungen und Talente erstaunlich schlecht (er-)kennen, so wie sie auch über den eigenen Charakter manchmal erstaunlich wenig wissen, ja gar nicht selten einer Selbsttäuschung erliegen. Dieses Phänomen wurde als blind spot (blinder Fleck) in der Selbstwahrnehmung bereits vor sechzig Jahren erstmalig beschrieben, die eigentlichen Wurzeln liegen sogar noch früher, nämlich bei Sigmund Freud. Umso bemerkenswerter ist es, dass es in der wissenschaftlichen Psychologie erst seit gut zehn Jahren Gegenstand intensiverer Forschungsbemühungen ist. Dabei hat man herausgefunden, dass Menschen über manche ihrer Begabungen und Charaktereigenschaften eine erstaunliche geringe Selbsterkenntnis haben, ja dass manchmal sogar andere Menschen einen besser beurteilen und einschätzen können als man selbst.

Aber für eine verbesserte Selbsterkenntnis über die eigenen Talente und die eigene Persönlichkeit ist es nie zu spät. Denn wollen wir nicht alle wissen, wo unsere wirklichen Stärken, wo unsere Potenziale liegen, ob z. B. eher im technischen oder im sozialen Bereich? Und wollen wir nicht erfahren, wie wir auf andere Menschen wirken, wie sie unseren Charakter wahrnehmen? Und schließlich ist da noch das Interesse. Das ist oft dadurch gesteuert, dass wir uns für etwas interessieren, weil wir glauben, es gut zu können. Aber wenn wir unsere eigenen Talente so schlecht erkennen, kann das auch dazu führen, dass wir uns für andere berufliche Tätigkeiten interessieren als für jene, für die wir begabt sind. Und auch das kommt laut den Erkenntnissen jüngerer psychologischer Forschung häufig vor: Denn die Zusammenhänge zwischen Begabungen und beruflichen Interessen sind erstaunlich niedrig.

Es lohnt also, sich mit seinen tatsächlichen Begabungen auseinanderzusetzen und zu schauen, ob und wo Übereinstimmungen mit den Interessen bestehen bzw. ob man sich womöglich für etwas interessiert, für das man gar keine Begabung hat. Oder ob man umgekehrt ein besonderes Talent in einem Bereich hat, für den man gar kein Interesse entwickelt hat, vielleicht einfach nur deshalb, weil man sich nie darin ausprobiert hat.

Mit diesem Buch will ich nichts anderes, als für dieses Phänomen, das auch zum Problem werden kann, zu sensibilisieren. Dabei möchte ich einerseits den wissenschaftlichen Background der Bedeutung von Begabungen, Interessen und Persönlichkeit für beruflichen Erfolg und Zufriedenheit vorstellen und andererseits die Befunde, die die Psychologie zur mangelhaften Selbsterkenntnis des Menschen über seine Begabungen generiert hat. Und ich möchte Ihnen konkrete Hinweise geben, wie man seine Selbsterkenntnis für die eigenen Begabungen verbessern und herausfinden kann, welcher Beruf der richtige für einen ist.

Das Buch richtet sich somit an (fast) alle: An diejenigen, die mit Fragen der Ausbildungs- und Berufswahl nach der Schulausbildung befasst sind, aber ich möchte auch all die Menschen ansprechen, die mit ihrer gegenwärtigen beruflichen Situation unzufrieden sind und eine Neuorientierung ins Auge fassen oder fassen müssen:

Eltern, die ihre Kinder bei der Berufsfindung unterstützen möchtenJugendliche und junge Erwachsene, die für sich selbst herausfinden möchten, für welche Berufe sie geeignet sein könntenÄltere Erwachsene in einer Phase beruflicher Umorientierung, z. B., wenn entweder Unzufriedenheit mit dem derzeit ausgeübten Beruf besteht oder wenn aufgrund der dramatischen Änderungen im Berufsleben der bislang ausgeübte Beruf keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr bietet, da immer mehr klassische Jobs durch Automatisierung wegrationalisiert werden (Stichwort Industrie 4.0)Alle Personen, die sich aus professioneller Perspektive mit Fragen der Berufsberatung beschäftigen: Lehrer, Berufsberater, Psychologen, um einige stellvertretend zu nennen.*

* Aus Gründen der Lesbarkeit wurden in diesem Buch nur die generischen Begriffe angeführt; selbstverständlich sind aber immer beide Geschlechter gemeint.

Gleichsam als Appetizer, sich mit den eigenen Begabungen, Interessen und dem eigenen Charakter zu befassen, habe ich den Kapiteln 2 bis 4 jeweils kurze Selbsttests mit einer Auswertung vorangestellt. Natürlich können diese eine eingehende psychologische Diagnostik und Berufsberatung nicht ersetzen, sie können aber einen ersten Einblick geben, was einen erwartet, wenn man sich bei der beruflichen Erst- oder Neuorientierung professioneller Hilfe bedient. Warum ich ausdrücklich dazu anregen möchte, lege ich im Laufe dieses Buchs dar.

Neben der Bedeutung, die die Berufswahl für jeden Einzelnen hat, gibt es aber auch eine gesellschaftliche Dimension. In Zeiten des globalen Wandels, vor allem aber der knapper werdenden verfügbaren Arbeitskräfte wird – sowohl in Politik als auch Wirtschaft – gerne darauf hingewiesen, wie wichtig es für ein Land sei, die eigenen Talente bestmöglich zu erkennen und zu fördern. Insbesondere in Ländern mit wenig Rohstoffen und Bodenschätzen wird allenthalben darauf verwiesen, dass die wichtigste Ressource des eigenen Landes zwischen den Ohren seiner Bewohner sitzt: im Gehirn.

Mit dem Wandel von Industrie- zu Informationsgesellschaften haben viele erkannt, dass im globalen Wettbewerb eine positive wirtschaftliche Entwicklung nur dann möglich ist, wenn man die Ressourcen der Mitbürger effizient nutzt. Das bedeutet, Talente idealerweise schon während der Schul- und Ausbildungszeiten, aber auch später bestmöglich zu fördern, indem man auf die individuellen Stärken setzt, statt – so die häufig vorgebrachte Kritik – auf den Schwächen herumzureiten (was nicht heißt, dass man sich mit unzureichenden Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben, Rechnen abfinden sollte). Immer mehr Bundesländer in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben zu diesen Zwecken Begabungskompasse, Talente-Checks und Ähnliches mehr entwickelt und eingeführt.

Ich selber durfte in einem österreichischen Bundesland ein derartiges Vorhaben wissenschaftlich begleiten: einen Talente-Check, mit dem seit mehr als zehn Jahren jährlich rund 12000 Schüler im Hinblick auf ihre Talente getestet und anschließend hinsichtlich ihres weiteren Karrierewegs beraten werden. Diese Maßnahme richtet sich nicht nur an Abiturienten, sondern vor allem auch an potenzielle Lehrlinge, die meines Erachtens in der Begabungsdebatte viel zu wenig beachtet werden. Der von Julian Nida-Rümelin trefflich beschriebene »Akademisierungswahn« führt nämlich dazu, dass letztlich beide Seiten zu kurz kommen: »Durch die Botschaft, dass jeder, der halbwegs gescheit ist, studieren sollte, wertet man die nicht-akademischen Bildungswege und Traditionen massiv ab … zum anderen zerstört man den Kern der akademischen Bildung …«1 Die »kognitive Schlagseite« in unseren Bildungssystemen führt zu einer zunehmenden Akademikerarbeitslosigkeit. Gleichzeitig herrscht im handwerklichen Gewerbe ein Mangel an qualifizierten Fachkräften. Die Abwertung der Lehre in Deutschland und Österreich, die ja international sogar als Erfolgsmodell gilt, ist daher unverantwortlich.

Obgleich die akademische Psychologie keine Schuld an dieser Entwicklung trägt, kann ihren Vertretern aber auch nicht zugutegehalten werden, dass sie wirksam etwas dagegen getan hätte. Vielmehr lässt sich auch hier eine bevorzugte Orientierung an höheren Bildungsschichten nicht ganz leugnen. Das geht Hand in Hand mit einer Fokussierung der psychologischen Begabungsforschung auf kognitive Bereiche, wie sprachliche, mathematische und räumliche Begabungen, die man gemeinhin unter dem Schlagwort Intelligenz subsumiert. Obgleich ich selbst Intelligenzforscher bin, erscheint mir eine solche Fokussierung der Begabungsforschung als zu eng, weshalb ich in der Konzeption des von mir langjährig betreuten Talente-Checks darauf hingewirkt habe, dass nicht nur kognitive, sondern auch soziale und emotionale Kompetenz bzw. Intelligenz, Kreativität und eine Praktische Alltagsintelligenz, eine Art Hausverstand, erfasst und in der Laufbahnberatung berücksichtigt werden.

Die verschiedenen Begabungen und Talente des Menschen sind wichtige Mitspieler bei der beruflichen (Neu-)Orientierung. Es sind aber nicht die einzigen: Auch die Interessen und der Charakter eines Menschen müssen bei der Berufsfindung berücksichtigt werden, wenn man eine befriedigende berufliche Tätigkeit ergreifen will. Denn, auch das zeigt psychologische Forschung, das Lebensglück eines Menschen ist in den meisten Fällen eng mit beruflicher Zufriedenheit verknüpft.

Allerdings soll es hier keineswegs um eine neoliberale Optimierungsdiagnostik gehen: Psychologische Karriereberatung sollte meines Erachtens nicht das primäre Ziel verfolgen, gut funktionierende Arbeitskräfte zu produzieren. Im Vordergrund steht ein gelungenes, glückliches Leben in der vollen Entfaltung seiner Fähigkeiten. Und dabei sind alle Fähigkeiten gleich viel wert, akademische ebenso wie nicht-akademische.

Ich bin überzeugt, dass nicht der Erfolg, der einen reich macht, ausschlaggebend im Leben ist. Viel wichtiger ist, in seinem Berufsleben einer Tätigkeit nachzugehen, die einen glücklich macht; und das gelingt viel leichter, wenn die Tätigkeit im Einklang mit den persönlichen Eignungen und Neigungen steht.

Das Verfassen eines Buches fordert nicht nur den Autor, sondern auch sein Umfeld: Mein Dank geht an alle meine Mitarbeiter des Arbeitsbereichs Differentielle Psychologie an der Universität Graz, die mit viel Geduld meine schreibbedingten Abwesenheiten wunderbar kompensiert haben; mein spezieller Dank geht an Mathias Benedek, Emanuel Jauk und Jürgen Pretsch, die Vorversionen gelesen und mir sehr hilfreiche Hinweise gegeben haben, sowie an Silvia Haberhofer für Korrekturlesen und formale Adaptationen. Jürgen sei darüber hinaus für die Unterstützung in Recherchearbeit und Grafikdesign gedankt. Sabine Bergner, mit der ich nicht nur das hier grundgelegte Begabungsmodell entwickelt habe, sondern die auch aus ihrer mehr HR-orientierten Perspektive wertvollen Input geliefert hat, gebührt ebenfalls Dank. Psychologen neigen manchmal dazu, im eigenen Saft zu schmoren, daher habe ich auch Experten außerhalb der Psychologie um Feedback gebeten; und ich bin sehr dankbar für diese Außenperspektive, die Wolfgang Eder, Ferdinand Kovacic und Tatjana Neubauer beigesteuert haben. Christiane Naumann von der Deutschen Verlags-Anstalt danke ich für die wieder einmal sehr konstruktive und menschlich angenehme Zusammenarbeit in der Endredaktion des Buches.

Graz und Tiflis, Dezember 2017

1. Warum wir nicht tun, was wir am besten können

»Der Beruf ist das Rückgrat des Lebens und seine Wahl die wichtigste Entscheidung, die der Mensch treffen muss.«

Friedrich Nietzsche

Vor 15 Jahren beschrieb mir ein befreundeter Soziologe und Jugendforscher, mit dem ich ein Projekt zur Talentefindung entwickeln durfte, folgenden Fall: Ein 35-jähriger Mann (ich nenne ihn hier Hans) habe nach einer 15-jährigen Odyssee der Berufsfindung und zahlreichen vergeblichen Versuchen, eine erfolgreiche Berufslaufbahn einzuschlagen, nun endlich einen Job gefunden, der seinen Fähigkeiten und Neigungen entspreche. Jahrelang sei er durch einen Dschungel von Berufsberatungsangeboten geirrt und habe unzählige Tests gemacht und Fragebögen ausgefüllt, mit denen man auf unterschiedlichste Weise versucht hätte herauszufinden, welche Tätigkeiten ihm Freude bereiteten: ob er etwa lieber mit Werkzeugen hantiere oder mit Menschen zusammenarbeite, ob er lieber aktiv etwas organisiere oder einer routinehaften Tätigkeit nachgehe, wie zum Beispiel dem Überwachen einer Maschine. Da Hans ein Autonarr ist, hatte er als 15-Jähriger die Idee, Kfz-Mechaniker zu werden, um Leidenschaft und Beruf zu verbinden. Wenn man etwas macht, was einen begeistert, muss man darin doch erfolgreich sein, so sein Gedanke. Auch in den Berufsberatungsgesprächen war er vorwiegend nach seinen Interessen gefragt worden. Mit dem Ergebnis, dass man ihm meistens riet, er solle doch Kfz-Mechaniker lernen.

Daraufhin hatte man ihn mehrfach an Autowerkstätten vermittelt: Er begann eine Lehre, zunächst klassisch als Automechaniker bei einer Vertragswerkstatt, um bald in eine andere zu wechseln, dann bei einem Automobilclub. Aber jedes Mal scheiterte er und brach die Lehren vorzeitig ab: Seine Vorgesetzten waren mit seinen Leistungen nicht zufrieden; obwohl er immer fleißig und gewissenhaft war, brauchte er entweder viel länger als die anderen Lehrlinge oder es kam, wenn er auf Ermahnen des Chefs schneller machte, zu Fehlern und Reklamationen über seine Arbeit; es musste nachgebessert werden. Obgleich er sich sehr für Kfz-Technik interessierte, war kein Versuch, als Automechaniker Fuß zu fassen, erfolgreich. Warum?

Jahre später hatte er das Glück, einer berufsberatenden Psychologin zu begegnen, die ihn nicht nur danach befragte, was ihn interessierte und was er machen wollte, sondern ihn auch einer umfangreichen testpsychologischen Untersuchung seiner Fähigkeiten, seiner Begabungen, seiner Talente unterzog. Darüber hinaus führte sie mit Hans ein ausführliches Gespräch über seine Interessen, seine bisherigen beruflichen Erfahrungen und seine Persönlichkeit, darüber, wie er sich sieht und wie er glaubt, auf andere zu wirken. Beides förderte Erstaunliches zutage: Während seine Testwerte in sprachlichen und rechnerischen Fähigkeiten deutlich über dem Durchschnitt lagen, waren seine räumlichen Fähigkeiten, vor allem jene, Gegenstände im Geiste zu drehen und zu wenden, unterdurchschnittlich ausgeprägt. Außerdem stellte sich heraus, dass Hans eine sehr extravertierte Persönlichkeit hatte, er wollte am liebsten mit Menschen zusammenarbeiten; er mochte es, regen Austausch mit Menschen zu haben, und hatte Freude daran, diese auch zu beraten.

Gerade das, was ein Automechaniker (ebenso wie ein Chirurg, ein Zahnarzt, ein Pilot etc.) braucht – die Fähigkeit, Gegenstände oder Gebilde wie ein Bauteil eines Automotors mental drehen zu können, um rasch festzustellen, wie es richtig in den Motor eingebaut werden muss –, war also so gar nicht Hans’ Stärke.

Vielleicht hatte er in der Lotterie der Gene einfach kein Glück gehabt; aber diese Fähigkeit war auch nie entsprechend gefördert worden: Als Kind hatte Hans kaum mit Lego gespielt, und wenn doch, dann nur Vorgefertigtes nachgebaut, ohne selbst etwas zu kreieren. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr hatten ihn seine Eltern immer im Auto in die Schule gebracht, und auch sonst hatte er nur wenig Gelegenheit gehabt, seinen räumlichen Orientierungssinn zu schulen.

Zudem ist die Tätigkeit eines Automechanikers keine, bei der man übermäßig viel mit Menschen in Kontakt ist, es sei denn, man arbeitet im Frontoffice. Aber die meisten Automechaniker verbringen ihren Arbeitstag im Backoffice und haben einen allenfalls temporären Austausch mit den Kollegen und noch viel seltener mit Kunden. Hans hatte einfach nicht bedacht, dass er als Automechaniker hauptsächlich für sich arbeiten und dabei wenig mit anderen Menschen kommunizieren würde.

Auf Empfehlung der berufsberatenden Psychologin sattelte Hans um und machte eine Ausbildung als Automobilkaufmann. So konnte er seine Leidenschaft für Autos mit seinem kaufmännischen Talent kombinieren, das die Psychologin unter anderem aus den Begabungsschwerpunkten im praktisch-rechnerischen Denken erschlossen hatte. Außerdem konnte Hans in diesem Beruf seinem extravertierten Naturell gerecht werden: Er liebte es, Menschen in seinem Umfeld von der Wertigkeit einer Sache zu überzeugen. Nur fünf Jahre später übernahm er die Filialleitung eines regionalen Autohauses. Der Match, die Passung, zwischen Berufsanforderungen und seinen persönlichen Eignungen und Neigungen war schließlich gelungen.

An dem Beispiel von Hans werden zwei Probleme deutlich: Zum einen hatte Hans eine falsche Selbsteinschätzung seiner Eignung zum Kfz-Mechaniker; seine eher geringe räumliche Fähigkeit war ihm ebenso wenig bewusst wie seine überdurchschnittliche sprachliche Begabung. Zum anderen hatte ihm niemand zu bedenken gegeben, dass die Tätigkeit eines Automechanikers nicht seinem extravertierten Charakter entgegenkommt. Mit der Konsequenz, dass Hans sein Interesse, also seine Neigung, in eine Richtung entwickelte, die nicht mit seiner Begabung, also seiner Eignung, zusammenpasste.

Genau um diese beiden Phänomene geht es in diesem Buch: die mangelnde Selbsterkenntnis über unsere Begabungen, also unsere Eignungen, und die Tatsache, dass unsere Interessen erstaunlich oft nicht unseren Begabungen folgen, dass also Eignungen und Neigungen nicht zusammenpassen. So ähnlich sich die beiden Wörter auch sind (sie sind sogar Anagramme, man muss lediglich einen Buchstaben verschieben), und so sehr wir gemeinhin glauben, Menschen interessierten sich für das, was sie gut können, so unterschiedlich können Eignungen und Neigungen ausfallen.

Beruflicher Erfolg gelingt jedoch nachweislich besser, wenn eine Passung, ein Match, zwischen beiden vorliegt; je größer die Diskrepanz, desto wahrscheinlicher wird beruflicher Misserfolg – das wissen wir aus der modernen empirischen Psychologie. Zwar ist beruflicher Erfolg sicher nicht alles im Leben, aber – auch das zeigt uns die Psychologie – zwischen beruflicher Zufriedenheit und allgemeinem Lebensglück besteht ein erstaunlich hoher Zusammenhang. Wenn wir beruflich ausgeglichen sind, haben wir gute Karten, mit dem Leben generell zufrieden zu sein.

Das Beispiel von Hans verdeutlicht, dass ein erfolgreiches und zugleich erfülltes berufliches Leben dann am besten gelingt, wenn man es schafft, im gewählten Beruf

seine persönlichen Talente zum Einsatz zu bringen (bei Hans die sprachliche, vor allem rhetorische Begabung sowie ein überdurchschnittlich gut entwickeltes praktisch-rechnerisches Talent)etwas zu machen, was zur eigenen Persönlichkeit passt (hier: ein extravertiertes Temperament) und gleichzeitig auchdie eigenen Interessen zu verfolgen (bei Hans das Interesse für Autos).

Wir wissen aber auch, dass eine Fehlpassung zwischen Neigung und Eignung auf der einen Seite und der gewählten Berufsausbildung, dem Studium oder dem Beruf auf der anderen Seite häufiger vorkommt, als man glaubt. Denn, und das ist die – inzwischen aus vielen psychologischen Studien ableitbare – zentrale These des Buchs:

Viele Menschen wissen nicht, wo ihre Stärken, Begabungen und Talente liegen.

Natürlich weiß jeder von uns, was ihn interessiert und was er gerne macht. Und man würde meinen, dass wir uns – zumindest wenn es um den Beruf geht – wohl eher für das interessieren, wofür wir geeignet sind. Das war lange Zeit auch die Annahme in der Psychologie, allerdings eher aufgrund einer gewissen Augenscheinplausibilität, und nicht, weil man es systematisch untersucht hätte.

Der Eignungs-Neigungs-Mismatch

Erst in den vergangenen zwanzig Jahren hat man sich in der empirischen Psychologie intensiver mit der Diskrepanz zwischen Eignung und Neigung – ich nenne es im Folgenden den Eignungs-Neigungs-Mismatch – befasst. Auf das Phänomen hingewiesen hat erstmalig Phil Ackerman, Psychologieprofessor und Begabungsforscher von der University of Minnesota. Seine Studien, die später noch ausführlicher vorgestellt werden, hatten bereits in den 1990er Jahren gezeigt, dass – wenn man an einer großen Stichprobe an Personen sowohl Begabungen, z. B. mittels Intelligenztests (vgl. Kapitel 2) misst, als auch die Interessen derselben mittels Interessentests (vgl. Kapitel 4) erfasst ‒ die Zusammenhänge erstaunlich gering sind. Das heißt, bei vielen Menschen gehen die Begabungen in eine andere Richtung als die Interessen und umgekehrt. Eignungen (in der Psychologie bezeichnen wir sie als Begabungen und Talente) haben, und das werde ich im Laufe des Buches zeigen, erstaunlich wenig mit Neigungen (in der Psychologie als Interessen und Persönlichkeitsmerkmale untersucht) zu tun. Selbst die verschiedenen Arten von Neigungen, also Interessen und Persönlichkeitsmerkmale, zeigen erstaunlich wenig Passung zueinander. Wer über eine hohe soziale Intelligenz verfügt, muss deshalb nicht automatisch auch über ein extravertiertes Temperament verfügen oder sich für Tätigkeiten mit vielen sozialen Kontakten interessieren. Genauso wie wir nur eine begrenzte Einsicht in unsere Talente haben, entspricht auch die Selbstwahrnehmung unserer Persönlichkeitseigenschaften nicht immer der Realität bzw. der Wahrnehmung anderer. Manche Menschen halten sich für introvertiert, werden aber von ihrer Umwelt als durchaus extravertiert wahrgenommen etc. (mehr dazu in Kapitel 6).

Unsere Selbsterkenntnisfähigkeit als Mensch ist also beschränkt, und das kann unter Umständen zu einer fehlgeleiteten Berufswahl und damit zu beruflicher Unzufriedenheit und sogar einer generellen Unzufriedenheit mit dem Leben führen. Daher kann es hilfreich sein, sich der Methoden und Erfahrungen der modernen Psychologie zu bedienen, um mehr über sich zu erfahren: über seine Eignungen und Neigungen und über Passungen (Matches) und Nicht-Passungen (Mismatches) zwischen diesen. Denn wenn der Beruf zu den Eignungen und Neigungen eines Menschen passt, hat man weitaus größere Chancen, in diesem erfolgreich und zufrieden zu sein. Und da es einen hohen Zusammenhang zwischen beruflicher Zufriedenheit und allgemeiner Lebenszufriedenheit gibt, erhöhen sich damit auch die Aussichten auf ein glückliches Leben.

Eine Reise in das eigene Ich

Einen ersten Schritt in diese Richtung zu tun, dazu soll dieses Buch einladen: Ich möchte Ihnen darlegen, was sich genau hinter den Begriffen Eignung und Neigung verbirgt und wie man die richtige Passung findet. Im Einzelnen wende ich mich deshalb in den folgenden Kapiteln diesen Fragen zu:

Welche Intelligenzen gibt es? Welche anderen Begabungen und Talente außer der kognitiven Intelligenz kennen wir, und wie können wir sie mittels Tests erfassen? (Kapitel 2)Was sind die zentralen Persönlichkeitsmerkmale des Menschen, und wie kann man sie diagnostizieren? (Kapitel 3)Welche (beruflichen) Interessengebiete können wir unterscheiden, und wie kann man sie messen? (Kapitel 4)

Nach der Vorstellung von psychologischen Begabungs-, Persönlichkeits- und Interessenmodellen sollen dann diese drei Bereiche zusammengeführt werden. In Kapitel 5 werde ich folgende Fragen behandeln:

Wie hängen verschiedene Begabungen mit (Berufs-)Interessen zusammen? Wie korreliert zum Beispiel eine naturwissenschaftliche Begabung mit einem Interesse für Naturwissenschaften; wie korreliert soziale Begabung mit sozialen Interessen?Wie korrelieren Begabungen mit den Persönlichkeitsmerkmalen, also wie hängen etwa soziale Fähigkeiten und Extraversion zusammen?Und wie entscheidend sind Eignungen, also Begabungen, einerseits und Neigungen, also Persönlichkeit und Interessen, andererseits für den späteren Berufserfolg und – in der Folge – für ein glückliches Leben?Was ist überhaupt Berufserfolg? Sind das einerseits objektive Karriereaspekte wie die hierarchische Position, die Anzahl an Mitarbeitern, die man führt, die Gehaltsentwicklung etc.? Oder ist darunter vielmehr die subjektive berufliche Zufriedenheit zu verstehen, also wie glücklich jemand in seinem Beruf ist? Objektiver und subjektiver Berufserfolg stimmen jedenfalls nicht unbedingt überein, und wir werden uns ansehen, wovon er jeweils abhängt.

In Kapitel 6 komme ich schließlich zu der zentralen Frage dieses Buchs, nämlich warum wir so erstaunlich schlecht darin sind, uns selbst, unsere Begabungen und unsere Persönlichkeit, einzuschätzen – und uns dessen noch nicht einmal bewusst sind. In diesem Kapitel werde ich versuchen Fragen zu beantworten wie:

Wie gut können Menschen überhaupt ihre Begabungen und Talente einschätzen, d. h. wissen Menschen eigentlich, wie gut sie in sprachlicher, mathematischer, bildhaft-visueller, sozialer, praktischer oder kreativer Begabung sind?Wie gut kennen Menschen sich selbst und ihre Persönlichkeit? Bin ich wirklich so extravertiert, wie ich glaube zu sein? Oder sehen andere mich vielleicht gar als introvertierten Menschen?

Dass wir uns selbst allzu oft nicht sehr gut kennen, ist spätestens seit Sigmund Freud bekannt. Um zu beschreiben, welche Aspekte unserer Psyche wir gut erkennen können und welche von anderen Menschen besser eingeschätzt werden, haben zwei amerikanische Sozialpsychologen, Joseph Luft und Harry Ingham, in den 1950er Jahren das nach ihren Vornamen benannte Johari-Fenster vorgeschlagen. Die moderne psychologische Forschung unterstützt diese Sichtweise. Auch davon soll in Kapitel 6 die Rede sein.

Ich werde darstellen, dass viele Menschen nicht wissen, welche Talente, welche Begabungen, welche Potenziale in ihnen schlummern. Die menschliche Selbsterkenntnis bezüglich der eigenen Begabungen ist begrenzt. Und diese Grenzen der menschlichen Selbsterkenntnis sind nirgendwo so deutlich und sichtbar wie dort, wo es darum geht zu sagen, was wir gut oder sogar hervorragend können, und umgekehrt, was wir weniger gut können, wo unsere Schwächen liegen.

Hinzu kommt ein weiteres durch die empirische Psychologie sehr gut belegtes Faktum: Die Frage, ob wir das, was wir machen, auch gut beherrschen, ob wir also beruflich erfolgreich sein werden, wenn wir uns für eine bestimmte Berufsausbildung oder ein Studium entscheiden, hat nur teilweise – und manchmal erstaunlich wenig – mit unseren Interessen zu tun. Vielmehr sind es unsere Begabungen und Talente, die unseren beruflichen Erfolg am besten vorhersagen können. Insofern ist es für die Planung der eigenen Karriere sinnvoll, sich Klarheit über seine Talente und Potenziale zu verschaffen und sich an diesen zu orientieren (was nicht heißt, dass man seine Interessen völlig außer Acht lassen sollte).

Was also kann man konkret für die Planung seiner beruflichen Laufbahn tun, damit man bezüglich seiner Talente nicht einer Täuschung unterliegt? Die gute Nachricht ist: Die moderne Psychologie offeriert eine Vielzahl an Diagnosemöglichkeiten für Begabungen und Talente, für Interessen, für psychologische Merkmale der Persönlichkeit bzw. des Temperaments eines Menschen. Häufig sind dies psychologische Tests:

Intelligenztests, mit denen man sprachliche, mathematische, visuell-räumliche und andere kognitive Begabungen genau messen kann;Tests für soziale, praktische und kreative Begabungen;Fragebögen, mit denen man die Interessen einer Person erkunden kann; undPersönlichkeitstests, in denen man zu seinem Erleben und Verhalten in bekannten Situationen befragt wird und die einem Aufschluss darüber geben, ob man extravertiert oder introvertiert, kulturell offen, gewissenhaft, zuverlässig, freundlich und umgänglich und wie emotional stabil etc. man ist.

Da viele Menschen nur eine eingeschränkte Selbsterkenntnis hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, vor allem aber hinsichtlich ihrer Begabungen haben, sollten sie bei der Weichenstellung ihrer beruflichen Laufbahn auf vier Dinge nicht verzichten:

Eine psychologische Untersuchung der Begabungen und TalenteEine Diagnose der individuellen Schwerpunkte der eigenen Interessen und NeigungenEine fundierte PersönlichkeitsdiagnostikEin ausführliches Beratungsgespräch

Dazu begibt man sich am besten in die Hände von Profis, also Berufsberatern, im Idealfall Psychologen, die Begabungen, Interessen, Persönlichkeitsmerkmale diagnostizieren und in einem Gespräch mit Ihnen erarbeiten, welche Tätigkeiten bestmöglich mit Ihren Begabungen, Interessen und Ihrer Persönlichkeit in Einklang stehen. Konkrete Hinweise dazu gebe ich in Kapitel 7.

Teste dich selbst – erkenne dich selbst!

Damit Sie, werte Leserin, werter Leser, Lust bekommen, sich einmal näher mit der wichtigsten Person in Ihrem Leben, also mit sich selbst, auseinanderzusetzen, ist den nächsten drei Kapiteln, in denen ich Ihnen vorstelle, welche Begabungen, Persönlichkeitsmerkmale und Interessenfelder es gibt, jeweils ein Fragebogen vorangestellt, anhand dessen Sie sich selbst einschätzen und beschreiben können. Diese Selbsttests stehen jeweils am Anfang der Kapitel, damit Sie beim Ausfüllen noch nicht davon beeinflusst sind, was ich im Folgenden ausführe: nämlich welche Begabung, welches Interesse, welches Persönlichkeitsmerkmal für welche Berufe geeignet ist. Sie sind gewissermaßen als Appetizer gedacht. Denn obgleich sie nach den höchsten wissenschaftlichen Standards entwickelt wurden, können sie eine individuelle Testung bei auf Berufsberatung spezialisierten Psychologen nicht ersetzen.

Damit Sie aber schon jetzt erste Hinweise für Ihre Karriereplanung bekommen, gebe ich im letzten Kapitel eine Reihe von Ratschlägen, was Sie selbst tun können, um sich selbst – Ihre Potenziale, Interessen und Ihre Persönlichkeit – besser zu erkennen.

Bevor es nun richtig losgeht, noch ein Hinweis: Ich habe mich bemüht, dieses komplexe Thema möglichst einfach darzustellen. Nichtsdestoweniger wird es zwischendurch schon mal recht kompliziert, vor allem wenn es darum geht, wie Eignung und Neigung für den Berufserfolg zusammenspielen (Kapitel 5). Um Ihnen die Orientierung zu erleichtern, habe ich versucht, die komplexen Wechselbeziehungen mittels einer Grafik, die sich auf Seite 251 befindet, zu veranschaulichen. Ich hoffe, Sie lassen sich von dieser Komplexität nicht abschrecken, sondern lassen sich auf die tiefen Einblicke in die eigene Psyche ein. Denn was gibt es Spannenderes, als etwas Neues über sich zu erfahren? Als herauszufinden, wofür man geeignet ist und ob man womöglich eine ganz andere Laufbahn einschlagen sollte als bislang gedacht? Das erfordert nicht zuletzt einiges Nachdenken über sich selbst, und dazu soll dieses Buch vor allem anregen. Viel Spaß bei der Reise in das eigene Ich!

2. Intelligenzen, Begabungen und Talente

Im Folgenden können Sie sich einen Eindruck von Ihren Begabungen verschaffen. Geben Sie bitte an, inwiefern unten stehende Aussagen auf Sie zutreffen.

Es gibt hier keine falschen oder richtigen Antworten. Je ehrlicher Sie bei der Bearbeitung zu sich selbst sind, desto treffsicherer ist die Auswertung.

Dieser Selbsttest ist auch unter aljoscha-neubauer.com abrufbar.

BEGABUNGEN

Ein hoher Punktwert in diesem Bereich zeigt Sie sehr sprachlich begabt. Sie geben an, schnell zu verstehen, was Ihr Gesprächspartner Ihnen vermitteln möchte, und sehen sich gut darin, Ihre Gedanken in Worte zu fassen. Oft gelinge es Ihnen sogar, Ihr Gegenüber mit Ihren Worten zu fesseln. Etwas klar und deutlich zu formulieren, stellt für Sie – Ihrer Selbsteinschätzung zufolge – wahrscheinlich keine Herausforderung dar. Sie beschreiben sich als jemanden, der seine Sprache gezielt dafür nutzt, seine Gedanken treffend auszudrücken, zu reflektieren oder andere in ihrer Sichtweise zu verstehen.

Ein hoher Wert in diesem Bereich zeigt an, dass Sie sich als logisch-mathematisch begabt einschätzen. Sie geben an, mathematische Fragestellungen ohne große Probleme zu verstehen und meistens auch gleich die passende Formel dazu zu kennen. Aufgrund Ihres beschriebenen logischen Verständnisses beeindrucken Sie andere Menschen schon mal. Zahlen, Mengen, mathematische Argumentationen und Beweisketten sind für Sie Stärken, die Sie auch gerne nutzen.

Eine hohe Punktzahl in diesem Bereich verweist auf eine ausgeprägte räumliche Begabung. Sich räumlich zu orientieren oder sich Gegenstände aus einer Anleitung real vorzustellen ist für Sie, Ihrer Selbstbeschreibung nach, ganz einfach. Sie stellen sich als jemanden dar, der sich Dinge gut in verschiedenen Blickwinkeln vorstellen kann, da es für Sie eine Leichtigkeit ist, in Ihrer Vorstellung räumlich zu sehen und zu denken. Für Sie ist es eine Ihrer Stärken, Visuelles richtig wahrzunehmen und damit im Kopf zu experimentieren. Sie haben wahrscheinlich schon öfter andere damit beeindruckt, dass Sie Objekte gut hinsichtlich ihrer Passung einschätzen konnten.

Ein hoher Wert hier zeigt eine hohe intrapersonale Begabung an. Ihre eigenen Emotionen erkennen und verstehen Sie – Ihrer Selbsteinschätzung zufolge – sehr schnell, weshalb Sie meistens auch kein Problem damit haben, Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen bzw. zu kommunizieren. Ihrer Ansicht nach können Sie mit Zeitdruck gut umgehen und beruhigen sich in belastenden Situationen schnell. Sie beschreiben sich als generell gut darin, Ihre Impulse zu kontrollieren, Ihre eigenen Grenzen zu kennen und mit Ihren persönlichen Gefühlen klug umzugehen.

Ihre hohe Punktzahl hier zeigt an, dass Sie sich hoch interpersonal begabt einschätzen. Demnach seien Sie sehr gut darin, zwischen anderen zu vermitteln, weil Sie meistens wissen, wie Sie am besten mit anderen Menschen umgehen sollen. Ihrer Beschreibung nach sehen Sie sich als jemanden, der sich gut in andere Menschen hineinversetzen kann. Sie meinen, andere Menschen sehr gut zu verstehen und mit ihnen einfühlsam kommunizieren zu können. Sie schätzen sich gut darin ein, Ihren Mitmenschen etwas beizubringen, weil Sie diesbezüglich möglicherweise schon öfter positives Feedback erhalten haben.

Ein hoher Wert in diesem Bereich zeigt eine sehr ausgeprägte kinästhetische Begabung an. Sie beschreiben sich als jemanden, der andere oft mit seinem handwerklichen Talent und seiner Fingerfertigkeit beeindruckt. Sie haben Ihrer Meinung nach selten Schwierigkeiten damit, Bewegungsabläufe fein und zielgerecht auszuführen. Sie sehen es als Ihre Stärke an, Aufgaben zu erledigen, die eine gute Auge-Hand-Koordination erfordern, und setzen Ihren gesamten Körper demnach geschickt ein, um Ihr Ziel zu erreichen.

Hohe Punkte in diesem Bereich zeigen eine sehr ausgeprägte musikalische Begabung an. Aus Ihrer Sicht tun Sie sich sehr leicht damit, verschiedene Musikinstrumente zu erlernen oder kleinste Unstimmigkeiten in Melodien zu erkennen. Demzufolge beneiden Sie Freunde und Familie wahrscheinlich auch oft um Ihre Gabe, den Takt – beispielsweise beim Tanzen, Singen oder Musizieren – einzuhalten. Sie beschreiben sich als gut darin, in Musik zu denken und – zum Beispiel beim Singen – musikalische Rhythmen und Muster zu erkennen, zu erinnern, umzuwandeln und wiederzugeben.

Die hohen Punkte, die Sie hier erzielt haben, sprechen für eine ausgeprägte naturalistische Begabung. Sie beschreiben sich als jemanden, der sehr gut mit Tieren zusammenarbeitet, und meinen, die Bedürfnisse von Tieren gut einschätzen zu können. Aus Ihrer Sicht gehören Sie zu den Personen, die auch mit diversen Pflanzenarten sehr gut umzugehen wissen. Ihrer Beschreibung nach können Sie andere aufgrund Ihres Gespürs bzw. Ihrer Sensibilität hinsichtlich der Natur und deren Besonderheiten beeindrucken – Sie sind sicherlich auch schon um Ihren grünen Daumen beneidet worden.

Bei einem hohen Punktewert in diesem Bereich haben Sie eine sehr ausgeprägte kreative und künstlerische Begabung. Sie beschreiben sich als ideenreich sowie abstrakt und originell denkend. Sie geben an, äußerst gut darin zu sein, innovativ zu denken, um neue Ideen und Produkte zu entwickeln bzw. herzustellen, die andere meistens beeindrucken. Möglicherweise sind Sie für Ihre Werke, Ideen und ungewöhnlichen Lösungen auch schon gelobt worden.

Aufgrund Ihrer Punktzahl repräsentieren Sie hier eine ausgeprägte Begabung für Ästhetik. Sie beschreiben sich als jemanden, der es mag, sich künstlerisch zu betätigen, und bekommen dafür wahrscheinlich auch häufig positive Rückmeldung. Aus Ihrer Sicht können Sie Farben und Formen gut aufeinander abstimmen. Generell beschreiben Sie sich als jemanden, der sehr gut darin ist, Dinge zu gestalten, deren harmonisches Design Begeisterung und Wohlgefallen in Ihrer Umgebung auslöst.

Begabungen, Talente, Potenziale, Fähigkeiten, Kompetenzen, Skills. Die Psychologie hat eine Reihe von Begriffen, um Unterschiede in der Leistungsfähigkeit von Menschen in dem, was sie können und was sie wissen, zu beschreiben. Allerdings soll es hier nicht allein um kognitive Leistungen gehen, also das, was man gemeinhin als Intelligenz bezeichnet und wozu ich früher ausführlicher geschrieben habe1. In diesem Buch geht es auch um andere, bislang in der wissenschaftlichen Psychologie eher vernachlässigte Leistungsbereiche wie soziale Kompetenz, emotionale Intelligenz, praktisch-technische Begabungen und die heute so oft im Munde geführte Kreativität. Obgleich die Erforschung der kognitiven Intelligenz eine ungleich längere Tradition hat, sind auch die anderen Fähigkeiten zunehmend im Fokus der wissenschaftlichen Psychologie, die aber wiederum von den zum Teil abstrusen und doch weit verbreiteten »Intelligenzen« wie Partyintelligenz, Gärtnerintelligenz, sexueller Intelligenz, mit denen man jedem Menschen, der irgendetwas gut kann, eine eigene Intelligenz zuzuschreiben versucht, getrennt werden müssen. Einige meiner Kollegen haben zu Recht davor gewarnt: Wenn wir jede spezielle Begabung mit dem Label »Intelligenz« versehen, dann wird dieser Begriff irgendwann inhaltsleer. In der Wissenschaft muss man klar definieren, was ein Begriff bedeutet und was nicht, also wie er sich von anderen Begriffen abgrenzt.2

Begabung oder Talent?

Wie oben erwähnt, hält die deutsche Sprache viele verschiedenen Begriffe bereit, um Leistungsunterschiede zwischen Menschen zu beschreiben. Was aber bedeuten sie – und was unterscheidet sie voneinander?

Eine klare Abgrenzung der Begriffe Begabung und Talent hat der Begabungsforscher François Gagné3 geliefert (und viele andere Begabungsforscher haben sich ihm angeschlossen): Begabung bezeichnet das (auch genetische, also vererbte, aber auch frühkindlich geprägte) Potenzialeines Menschen, das nur durch Lernen und Wissenserwerb, durch Trainieren und Üben, in beobachtbare hohe und Höchstleistungen überführt werden kann (siehe Abbildung 2.1). Die Begabung bzw. das Potenzial eines Menschen für eine bestimmte Tätigkeit, für einen Beruf ist nicht direkt beobachtbar. Um sie dennoch zu erfassen, haben Psychologen eine Reihe von Tests entwickelt: allgemeine und eher spezielle Intelligenztests (wie sie in Stern & Neubauer, 2013 beschrieben sind), motorische oder Geschicklichkeitstests, Tests für praktische Intelligenz (z. B. von Mariacher & Neubauer, 20054), praktisch-technische oder mechanisch-technische Tests, Tests für soziale Kompetenzen und für emotionale Intelligenz, Kreativitätstests.

Abbildung 2.1: Das Begabungsmodell nach François Gagné (modifiziert vom Verfasser; Begabungen & Talente folgen dem DIPS-Modell, siehe auch Tabelle 2.1 weiter unten)

Gagnés ursprüngliche Konzeption enthält noch einige andere Begabungen, auf die ich hier – um einheitlich mit der späteren Darstellung zu sein – verzichtet habe: Das betrifft etwa sportliche Begabungen, die sich – ebenso wie musikalische Begabungen – nur mit sehr spezifischen Begabungstests ermitteln lassen, die zumeist speziell auf die jeweilige Fähigkeit gerichtet sind und bereits eine gewisse Vorbildung erfordern (das Beherrschen einer Sportart oder eines Musikinstruments). Es geht dabei also eher um Talentproben als grundlegende Begabungen, wie sie in der psychologischen Begabungsforschung studiert werden und mit denen ein basales Potenzial erfasst werden soll, und zwar ohne dass Vorkenntnisse außer Lesen, Schreiben, Rechnen vorliegen. Nur diese Potenziale sind Gegenstand des vorliegenden Buchs.

In Abgrenzung zur Begabung beschreibt der Begriff Talent die schon manifeste, also beobachtbare hohe oder gar Höchstleistung. Talent ist gleichsam die realisierte Begabung, also das (zumindest teilweise) entwickelte Potenzial. Um ein Talent zu formen, so die Annahme vieler Begabungsforscher, bedarf es zwar einer Begabung als eine notwendige Voraussetzung, aber von alleine wird aus einer Begabung kein Talent werden. Dazu braucht es Lernen, Trainieren, Übung. Und damit das gelingt, müssen die in Abbildung 2.1 angeführten Intrapersonalen Katalysatoren und die Umweltkatalysatoren, wie Gagné sie genannt hat, unterstützend wirken. Obgleich von einem Begabungsforscher speziell für den Bereich der Hochbegabung entwickelt, besitzt dieses Modell auch für die generelle Entwicklung jeglicher beruflicher Kompetenz oder Expertise Gültigkeit. Niemand wird als Einstein oder Mozart geboren, immer braucht es ein Zusammenwirken von einem grundlegenden Potenzial und einem intensiven, harten Training, welches wiederum ein hohes Maß an Motivation und Selbstdisziplin voraussetzt (dazu mehr in Kapitel 3). Und natürlich gehören auch ein wenig Glück, gewisse Zufälle, charismatische Mentoren etc. dazu. Nur dann wird sich aus einem Potenzial eine sehr gute oder gar herausragende Leistung in einer Domäne entwickeln.

Dieses Modell von Begabung und Talent stimmt mit den modernen Vorstellungen der Psychologie und ihrem Teilgebiet der Verhaltensgenetik überein: Hinsichtlich unserer Potenziale sind wir durch unsere Gene vorgeprägt, die sich nur dann entwickeln, wenn förderliche Umwelteinflüsse es ermöglichen. Es ist empirisch nachgewiesen, dass nicht alle Menschen gleichermaßen für alles geeignet sind, sondern dass manche von uns gleichsam zum Techniker oder Handwerker, zum Berater oder zum Dienstleister, zum Musiker, zum Maler etc. geboren sind. Dies entspricht sowohl dem Laienverständnis als auch dem modernen Stand der Wissenschaft – und läuft Tabula-rasa-Vorstellungen zuwider, wonach der Mensch eine leere Tafel sei, die beliebig beschrieben werden könne. Wir wissen heute, dass praktisch alle messbaren Begabungen einen bedeutsamen genetischen Anteil aufweisen, dass also nicht jeder mit der gleichen genetischen Grundausstattung in die Welt geboren wird. Eine Darstellung dieser genetischen Anteile und wie man sie bestimmt würde den Rahmen dieses Buchs sprengen; ich habe sie gemeinsam mit Elsbeth Stern an anderer Stelle gegeben.5

Wenn es aber genetisch festgelegte Unterschiede in unseren Begabungen, unseren Potenzialen gibt, dann ist es sinnvoll, sich im Laufe seines Lebens, vor allem natürlich in der Jugend und im jüngeren Erwachsenenalter, die Frage zu stellen: Wofür bin ich eigentlich gut geeignet? Wo liegen meine Potenziale, die mir gute Chancen geben, später einmal einen erfolgreichen Berufsweg beschreiten zu können? Allerdings: Allein für etwas begabt zu sein, genügt nicht. Um die Begabung, die man hat, zu entwickeln, muss man trainieren, lernen, üben; und das geht weder ohne Interesse noch ohne Selbstdisziplin, wie Abbildung 2.1 zeigt. Auch darum geht es in diesem Buch.

Alle reden von Skills und von Kompetenz, aber was ist das?

In pädagogischen Kontexten und in der Arbeitswelt findet man heute sehr oft die Forderung nach bestimmten Kompetenzen und nach Skills. Das Gemeinsame der Begriffe Kompetenz und Skills (der englische Begriff skill wird im Deutschen interessanterweise fast immer im Plural verwendet) ist, dass es hier primär um erworbene Kenntnisse geht, also nicht um ein (auch genetisch angelegtes) Potenzial. Von Kompetenzen spricht man einerseits häufig, wenn es darum geht, was Schüler in der Schule lernen sollen: etwa die Beherrschung der vier Grundrechenarten oder von Differential- und Integralrechnung in der Mathematik. Als Kompetenzen bezeichnet man häufig also sehr spezifische kognitive Kenntnisse. In der Psychologie spricht man andererseits auch bei vielen nicht-kognitiven Leistungen von Kompetenzen, etwa von emotionalen und sozialen Kompetenzen; Letztere werden auch social skills genannt, woran man schon erkennen kann, dass Kompetenzen und Skills (was man im Deutschen am besten mit Fertigkeiten wiedergeben würde) eigentlich als synonym betrachtet werden können.

Bei allen drei Begriffen steht das Erlernte im Vordergrund, was aber nicht heißt, dass man dafür nicht grundlegende Begabungen benötigen würde. So gesehen wären hypothetisch zumindest die eher allgemein definierten Kompetenzen (wie z. B. die sozialen oder emotionalen) durchaus als konzeptuell verwandt zu den Talenten auf der rechten Seite von Abbildung 2.1 zu sehen. Allerdings haben in jüngerer Zeit einige Studien aus der wissenschaftlichen Psychologie belegen können, dass auch die seit Daniel Golemans gleichnamigem Bestseller sehr populäre Emotionale Intelligenz (EI