Madame Legros - Heinrich Mann - E-Book

Madame Legros E-Book

Heinrich Mann

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Beschreibung

Die Geschichte spielt kurz vor der französischen Revolution im Jahre 1789. Madame Legros ist draußen unterwegs, wo ihr plötzlich ein Blatt Papier entgegenkommt. Aus Neugier liest sie was drauf steht und wird sofort ganz erstaunt. Das Papier ist ein Hilferuf eines Gefangenen, der von allen vergessen wurde. Der Gefangene ist unschuldig, aber das weiß kaum jemand. Madame Legros möchte sofort Hilfe anbieten und erzählt Menschen in ihrem Umfeld, dass es einen Mann in Not gibt. Aber niemand will ihr glauben, und schließlich nimmt sie den Kampf, dem unschuldigen Gefangenen zu helfen, allein auf. -

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Heinrich Mann

Madame Legros

Drama in drei Akten

Saga

Madame Legros

 

Coverbild/Illustrations: Shutterstock

Copyright © 1913, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726894264

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Personen:

Madame Legros Die Königin Marie Antoinette Die Comtesse d’Orchat Die alte Marquise de Sarclé Eine Verwandte des Ehepaares Legros. Madame Touche Fanchon Madame Crozet

 

Legros Der junge Chevalier d’Angelot Der Abbé de Zorane Der Baron de Clairvaux Vignon Ein Akademiker Ein Offizier Ein Türhüter

 

Nachbarn und Nachbarinnen des Ehepaares Legros Volk Soldaten

 

Paris 1789

Erster Akt

Die grössere Hälfte der Bühne wird von dem Laden des Ehepaares Legros eingenommen. Er ist nach der Seite offen und hat Auslagen von Weisswaren, auch auf der engen Gasse, die zwischen hohen alten Häusern (das schönste ist der Gasthof zum „Weissen Pferd“) nach dem Hintergrund verläuft. Dort öffnet sich der Platz der Bastille, einer ihrer Türme bildet den Abschluss.

Erste Szene

Madame Legros. Die Verwandte.

Verwandte

Das Häubchen ist hübsch. Der Herr Graf von Coutras hat richtig gewählt: es wird dem Fräulein Palmyre gut stehen. Finden Sie nicht, Madame Legros?

 

Madame Legros

(an der Kasse, schreibend)

Der Herr Graf hat gewählt, was ihm passend schien.

 

Verwandte

O nein, sondern ich selbst habe es ausgesucht und es dem Herrn Grafen aufgenötigt. Der Herr Graf würde dieses andere hier genommen haben, aber es ist nicht schön genug für Fräulein Palmyre. Ich bin ihre gute Freundin.

 

Madame Legros

Ich denke, du bist bei uns im Dienst und wirst schon darum einem Kunden die bessere Ware empfehlen.

 

Verwandte

Nun ja… Ich könnte das Häubchen gleich hintragen.

 

Madame Legros

Du weisst, dass ich noch die Schleifen daranzunähen habe.

 

Verwandte

Das kann auch ich tun.

 

Madame Legros

Bildest du dir ein, man würde den Unterschied nicht sehen?

 

Verwandte

Ich habe doch auch schon Geschmack erlernt, seit ich in Paris bin. Ich bin keine Bäuerin. Herr Legros ist mein Vetter, er wird mir erlauben, was ich will.

 

Madame Legros

Die Schachtel mit den Strümpfen ist nicht fortgeräumt, und ein so teures Jabot treibt sich am Boden umher: das Fräulein aber hat keinen andern Gedanken, als zu einem Ballettmädchen zu laufen und wieder den ganzen Abend hinter den Kulissen nach galanten Herren auszuschauen.

 

Verwandte

Ich brauche nicht erst auszuschauen. Sie, Madame Legros, gönnen niemandem ein Vergnügen. Sie denken nur an sich.

 

Madame Legros

Ich denke an das Interesse des Herrn Legros. Das für bin ich seine Frau.

Zweite Szene

Die Vorigen. Legros.

Legros

Guten Tag.

 

Madame Legros

Guten Tag, lieber Mann. Wie geht es in der Werkstätte? Bist du zufrieden mit deinem neuen Gesellen?

 

Legros

Er ist ein tüchtiger Mensch.

 

Madame Legros

Ich sehe dir an, dass du Ärger gehabt hast.

 

Legros

Meister Ambroise war da wegen der Bezahlung der Wolle.

 

Madame Legros

Es ist noch nicht der Zahltag.

 

Legros

Meister Ambroise brauchte das Geld. Seine Frau ist schon lange krank. Er hat Schwierigkeiten.

 

Madame Legros.

Du hast es ihm gegeben?

 

Legros

Freilich haben auch wir es schwer — wie alle Welt jetzt. Aber ich sagte mir, man muss einander helfen.

 

Madame Legros

Was du tust, ist recht, lieber Mann.

 

Legros

Obwohl: — wer wird eines Tages uns helfen?

 

Madame Legros

O! Dahin wird es nicht kommen. Der Herr Graf von Coutras hat unser schönstes Spitzenhäubchen gekauft, das für vierhundert Pfund.

 

Verwandte

Ich habe es ihm aufgeschwatzt!

 

Legros

Vielleicht hast du es ihm aufgeschwatzt. Madame Legros aber hat es angefertigt.

 

Madame Legros

Aber Lob verdient doch nur sie: ich nicht, denn du bist mein Mann.

 

Legros

Das ist wahr.

 

Madame Legros

Nun haben wir bald keine Spitzen mehr. Wann werden endlich die aus Alençon kommen?

 

Legros

(befangen)

Das frage auch ich mich. Kann sein, dass sie schon da sind und beim Stadtzoll liegen. Dabei fällt mir ein, dass dein Vetter, der Zollbeamte, uns lange nicht besucht hat… Was tust du da?

 

Madame Legros

Ich muss an das Häubchen des Fräuleins Palmyre noch die Schleifen nähen.

 

Legros

Tue das später. Jetzt solltest du zu deinem Vetter auf das Zollamt gehen und ihn für Sonntag zum Mittagessen laden.

 

Madame Legros

Gleich jetzt?

 

Legros

Ich schulde ihm die Höflichkeit.

 

Madame Legros

Kann nicht Lisette gehen?

 

Legros

Das wäre nicht höflich genug.

 

Madame Legros

Ich tue, was du befiehlst, lieber Mann. (Sie macht sich zum Ausgehen fertig.)

 

Legros

Und sage deinem Vetter, dass wir eine fette Gans haben werden!… und sei zurück zum Essen!

 

Madame Legros

Es ist weit, aber ich werde eilen. (Ab.)

Dritte Szene

Legros. Die Verwandte.

Legros

Bring’ mir die Leiter her!… Nun? ich glaube gar, man weint?

 

Verwandte

Es wäre nicht zu verwundern. Ich habe das teuerste Häubchen verkauft, — und wie werde ich belohnt? Ich darf nicht einmal meine Freundin besuchen.

 

Legros

(tröstend)

Madame Legros ist sonst nicht hart. Warum verbietet sie dir ein harmloses Vergnügen?

 

Verwandte

Und sie verbietet es mir in Ihrem Namen!

 

Legros

Sie glaubt wohl recht zu tun.

 

Verwandte

Aber wollen denn auch Sie, Herr Legros, ein Mädchen nur langweilige Pflichten lehren?

 

Legros

(näher bei ihr)

Was soll ich dich sonst lehren?

 

Verwandte

Wenn Sie es nicht wissen… Ich hätte gewünscht, dass ein ernsthafter Mann sich meiner annimmt. Aber auch bei meiner Freundin kann ich manches lernen. Es ist Fräulein Palmyre vom Opernballett.

 

Legros

Das ist eine Freundschaft, die ich nicht billige.

 

Verwandte

Warum denn nicht? Fräulein Palmyre ist aus unserem Dorf. Sie mag mich leiden, ich kann Zofe bei ihr werden.

 

Legros

Zofe hei einem Mädchen ohne Herkunft?

 

Verwandte

Der Herr Graf von Coutras schützt sie. Schon jetzt ist sie reich.

 

Legros

Und auch du möchtest es wohl auf diesem Wege werden? Man kennt das. Man wird achtgeben müssen auf dich. Madame Legros hatte recht, als sie dich nicht fortliess.

 

Verwandte

Statt dessen ist sie selbst fort: zu dem Zollbeamten, ihrem Wetter.

 

Legros

Was soll das! Hüte dich!

 

Verwandte

O! Wie Sie jetzt böse sind. Noch soeben waren Sie so lieb mit mir, dass Madame Legros es nicht hätte sehen dürfen.

 

Legros

Ich weiss, was ich Madame Legros schulde: einer Frau, so treu und unschuldig.

 

Verwandte

Weniger unschuldig als Sie.

 

Legros

Und von einer Geradheit, an der du dir ein Beispiel nehmen solltest.

 

Verwandte

Aus Geradheit tut sie wohl, als wüsste sie gar nicht, warum sie auf das Zollamt geht.

 

Legros

Sie geht, weil ich es ihr befehle. Du aber bring’ mir die Leiter her.

 

Verwandte

Einen Augenblick. Madame Legros versteht so gut wie wir beide, dass sie die Spitzen zollfrei in die Stadt schaffen soll. Ihrem Vetter wird sie dafür eine fette Gans anbieten; und wer weiss, ob nicht noch etwas.

 

Legros

Was sagst du da? Ich werfe dich hinaus!

 

Verwandte

Dann gehe ich geradewegs zu Fräulein Palmyre.

 

Legros

Ah! Dort lernst du solche Dinge. Madame Legros denkt an Arges so wenig wie ich selbst. Ihr Vetter sieht sie gern; er ist ihr Pate, und wer beim Zoll keinen Freund hat, zahlt, bis er ruiniert ist.

 

Verwandte

Ich habe es nicht böse gemeint. Aber glauben Sie mir, Herr Legros, die Frauen sind einander wert. (Nahe bei ihm) Kein Mann braucht sich ihretwegen Bedenken zu machen.

 

Legros

Spitzbübinnen wie du gibt es gleichwohl nicht viele.

 

Verwandte

Fort! Madame Legros kommt.

Vierte Szene

Die Vorigen. Madame Legros.

Madame Legros kehrt zurück, nachdem sie, Nachbarn begrüssend, die Gasse entlang bis unter den Turm gegangen ist und dort etwas vom Boden gehoben hat. Das letzte Stück bis zur Schwelle läuft sie, ist entsetzt, da die andern sie sehen, und versteckt ein Papier.

 

Legros

Man hat wohl Geheimnisse?

 

Madame Legros

Ich kann nichts dafür. Plötzlich hielt ich es in der Hand. Ach…

 

Legros

(entreisst ihr das Papier)

 

Verwandte

(neugierig herbei)

 

Madame Legros

(verbirgt ihr Gesicht)

 

Legros

Was ist das? Wer hat es dir gegeben?

 

Madame Legros

Es fiel vom Turm.

 

Legros

Von welchem Turm?

 

Madame Legros

Von der Bastille.

 

Legros

Vorhin sagtest du, jemand habe es dir zugesteckt.

 

Madame Legros

Es ist so ungeheuerlich, dass ich mich mitschuldig fühlte, als ich es las.

 

Legros

Du?

 

Madame Legros

Alle Menschen sind mitschuldig.

 

Legros

Ein Narr hat es geschrieben. Und du verlierst deine Zeit daran.

 

Madame Legros

Ein Narr? Ein Mensch, der seit dreiundvierzig Jahren unschuldig im Turm sitzt.

 

Legros

Ein Spassvogel. Vielleicht Ärgeres. Es gibt Leute, die Unzufriedenheit mit dem König und seiner Regierung säen möchten. So einer hat den Wisch in die Luft geworfen.

 

Madame Legros

Ich sah ihn herabflattern. Ich erhob den Blick auf dem Turm, ganz droben auf der Plattform, war ein Mensch, der winkte. Eine Sekunde — und bevor ich recht gesehen hatte, riss ein Soldat ihn zurück.

 

Verwandte

(liest stotternd den Brief)

„O Vorübergehender! Wer du auch seiest, ein Unschuldiger ruft dich an. Unter der vorigen Herrschaft, zur Zeit Seiner Majestät unseres gnädigsten Königs Ludwig, ward ich in die Bastille geworfen wegen eines unzarten Versuches, die Aufmerksamkeit der Frau Marquise von Pompadour auf mich zu lenken, und seit dreiundvierzig Jahren hat man mich hier vergessen. Nicht einmal meine Wächter wissen mehr, wer ich bin. O Freund, dem der Wind oder Gottes Atem dieses Blatt vor die Füsse weht, sag’ du es den Menschen! Sag’ ihnen, was keiner mehr weiss, so viele geboren werden und sterben: ich heisse Latude und bin ein Unschuldiger, der leidet!“

(Ergriffenes Schweigen.)

 

Madame Legros

(hat sich abgewandt, seufzt schwer)

 

Verwandte

Das ist grauenvoll… Und so wunderbar, als ob es der Herr Pfarrer erzählt hätte.

 

Legros

(peinlich berührt)

Es ist ein armer Mensch. Aber mit solchen Dingen befasst man sich nicht. Es wäre unklug. Wir werden zu niemandem davon reden.

 

Madame Legros

Es ist wahr: wie soll man es den Leuten sagen. Niemand wird uns glauben. Man wird uns für schlecht ansehen.

 

Legros

Man wird uns vor allem für dumm ansehen.

 

Madame Legros

Was also tun?

 

Legros

Bei Gott! Es für uns behalten!

 

Madame Legros

Wie?

 

Verwandte

Ich sage es allen! Wird man neugierig sein! Ich gehe in die Bastille und frage den Soldaten Colas, den ich kenne, ob er von dem Gefangenen weiss.

 

Legros

Du wirst deine Zunge hüten, oder du lernst mich kennen.

 

Madame Legros

Was heisst das?

 

Legros

Es heisst, dass du den Wisch da verbrennen wirst. Und ohne Federlesen! Wir sind anständige Leute, mit den Angelegenheiten von Staatsverbrechern haben wir nichts zu tun.

 

Madame Legros