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Sara ist 13 Jahre alt und verliebt in den Pfarrer Dario. Sie ist verliebt in den Vater ihrer besten Freundin Rosa. Sie ist verliebt in ihr Aussehen. Das Erwachsenwerden gerät ihr zu einem gnadenlosen Wechselspiel zwischen Kontrolle, Begierde und Macht. Cecilie Lind erzählt von einem Mädchen, das beginnt zu begreifen, dass nicht alle, die einem Komplimente machen, nur das Beste für einen wollen, und die versucht, die Regeln des Begehrens und Begehrtwerdens neu zu schreiben. Während Sara in einer Welt voller sexueller Projektionen nach Kontrolle über ihren Körper sucht, kämpft sie gleichzeitig mit einer anorektischen Selbstdisziplin, die sie zur Perfektion treibt. Lind gelingt es, Sara in diesem ›Lolita‹-Roman aus Perspektive des Mädchens nicht lediglich als Opfer darzustellen, sondern sie als Getriebene zu zeigen. Dabei geht ›Mädchentier‹ weit über die Erkundung der Grenzen von Macht und Körperlichkeit hinaus und stellt zeitlose Fragen wie: Was bedeutet es, die Kontrolle zu haben – oder sie aufzugeben? Ein Roman, der berührt und verstört zugleich.
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Cecilie Lind
Cecilie Lind
Roman
Aus dem Dänischen von Alexander Sitzmann
MÄRZ
2038
2020
2037
Zu Heiligabend ziehe ich mir ein enges, gelbes Seidenkleid an.
Ich betrachte mich im Ganzkörperspiegel im Flur. Mein Körper sieht noch immer jung aus, ich bin schlank, meine Brüste sind prall.
Ich friere.
Der Heizkörper ist weiß und kalt wie der Mond.
In dem Kleid sind sie Zitronen, sagt Monika und drückt die eine.
Alles strahlt Idylle aus, der Braten schmort im Ofen. Das Rotkraut duftet. Der Baum steht kahl da und wartet auf seine Herzen. Ich habe auf Milchreis mit Mandeln bestanden, Monika hackt Mandeln.
Während ich Nelken in eine große, schöne Orange stecke.
Empfindliche Fingerkuppen.
Die Katze spielt mit einem Wollknäuel, zu meinen Füßen.
Wir luden ein Mädchen ein hereinzukommen, das dastand und verfroren aussah, draußen im Schnee, wir erkannten sie vom Hof wieder, wo sie oft spielt. Sie hatte nur eine dünne Jacke an, keine Mütze. Sie spielte da draußen im Schnee, allein.
Sie weinte, ihre Mutter und ihr Vater stritten sich über die Sauce, sagte sie. Wir konnten vom Fenster aus Schreie hören. Wir lockten sie mit einem Geschenk zu uns herein, dachten: Sie muss geschont werden. Schau, uns fehlt die Hilfe eines Kindes, wie sonst soll der Baum wunderschön werden?
Sie bekommt einen Hocker, damit sie die Spitze erreichen kann, sie streckt sich, steht auf den Zehenspitzen, erreicht gerade so die Spitze und setzt einen Silberstern darauf. Monika hält sie um die Taille. Hebt sie hinunter. Ganz leicht. Sie sieht ein wenig betreten aus, steht abwartend mit ausgestreckter Hand da.
Das Geschenk ist ein Schmuckstück, Monika hat es aus ihrem Schmuckkästchen genommen. Ein echter Diamant. Wird dem Mädchen versichert.
Er gehörte mir.
Sie ist dreizehn und die Tochter des Nachbarn. Kleine Maus, sagt Monika. Sie hat es nicht leicht.
Ich zünde die Kerzen an. Meine Hände zittern, sodass ich das Streichholz mehrere Male anreißen muss, bis es brennt, die kleine Flamme könnte zur großen Flamme werden, aber ich bin vorsichtig, wie immer, und alle Kerzen brennen. Der Baum ist perfekt, und das Mädchen bekommt von Monika einen Kuss auf die Wange. Ein wenig dunkelroter Lippenstift auf ihrer Wange. Ich wische ihn mit einer Serviette ab, die ich mit Spucke befeuchte.
Das ist ein Kinderbaum, mein Schatz, sagt Monika zu ihr.
Ich heiße Lisa, sagt sie. Und sie dreht sich zu mir um, umarmt mich, sagt danke, du bist süß, ihre Augen strahlen viel mehr als der Diamant und die Kerzen.
Sie muss jetzt in ihr Wohnzimmer, muss um ihren eigenen Baum tanzen, während sie Mutter und Vater an den Händen hält. Ich gebe ihr meine Telefonnummer, bitte sie, mir zu schreiben, oder anzurufen, wenn sie jemanden zum Reden braucht. Eine Erwachsene.
Sie bekommt einen Glitzerengel mit, Monika steckt ihn ihr heimlich in die Jackentasche, legt einen Finger auf den Mund, pssst.
Der Schnee schwebt langsam zu Boden. Monika verkleidet sich als Weihnachtsmann, nimmt mich auf ihren Schoß, sagt: soso, und ich lecke währenddessen ein wenig an einer Pfefferminzstange.
Ich bin dreizehn Jahre alt.
Und ich bin wie ein Baum, der vom Wind durchgerüttelt wird.
Die Vögel zwitschern im Garten.
Ich wurde in einem roten Haus mit langen, grünen Gardinen mit langen, grünen Fransen geboren. Ich wurde in der Badewanne geboren. Eine schnelle, barmherzige Geburt. Ich glitt hinaus.
Als würde sie eine Mandel abziehen, meine Mutter.
Diese Geburt, die war ein Kinderspiel, sagte die Hebamme und legte Vater die Schere in die Hand, der mühsam die zähe Nabelschnur durchtrennte.
Die Hebamme sagte, sie habe noch nie so ein hübsches Baby wie mich gesehen. So ein aufgeweckter Blick.
Meine Mutter war 39 Jahre alt und mein Vater war 52, als sie mich bekamen. Ich war das Kind, von dem sie geträumt hatten, seit sie einander begegnet waren. Ich war ein Traum. Das, wonach sie strebten. Eine Familie zu sein. Ich war ihr Wunder.
Meine Eltern hatten mich so sehr herbeigeträumt, in ihre Hände, in ihr Leben, dass ich, als ich endlich ankam, nicht anders konnte, als sie enttäuschen.
Der Traum vom Kind war Kind genug für sie. Das Kind, das ich war, war zu blass. Zu still am Tag. Untröstlich in der Nacht. Anspruchsvoll. Mürrisch.
Ich strahlte nicht. Ich war kein Sonnenschein. Mein Bäuerchen war keine launige Wonne zwischen den Brüsten meiner Mutter. Etwas, das man mit einer Stoffwindel und dem liebsten Lächeln wegwischt.
Sie nannte mich, mit einem Zögern in der Stimme, Prinzessin, aber sie konnte sich selbst nie von der Wahrheit dieses Wortes überzeugen. Prinzessin. Das Geräusch von ihren Lippen, in ihrem Ruf, hing mir nach, wie Gestank. Prinzessin saß mir im Nacken, ließ mich den Kopf in krankem Stolz hoch tragen.
Ich wuchs hinauf in den Himmel.
Ein Pony, darunter die Augen, der Pony ist ein Rollo, das sich so langsam absenkt, wie der Tod nach mir ruft.
Ich trinke Milch, nehme einen Schluck, bereue es aber. Die Milch ist sauer, ich spucke einen Mundvoll zurück ins Glas.
Vater kommt herein, legt eine Hand auf meine Schulter, hallo, Schatz, sagt er und nimmt das Glas mit der Milch und trinkt es aus. Achtet nicht auf den ekligen Geschmack.
Ich strecke die Arme über den Kopf. Meine Brüste werfen einen Schatten an die Wand. Vaters Blick verweilt eine Weile bei dem Schatten, bevor er mein Gesicht sucht, er lächelt und geht in die Küche, zu Mutter, die über eine Fleischsauce wacht und vielleicht ein wenig in den Topf weint, und sie sprechen still und hart miteinander.
Es ist keine Sahne mehr da. Sagt Mutter.
Ich gehe zum Laden, um einen halben Liter zu kaufen. Es ist warm. Der Schweiß zwischen meinen Brüsten nervt mich. Ich sehe mich um, ob mir irgendwelche Radfahrer entgegenkommen, stecke eine Hand zwischen die Brüste, rubble ein bisschen auf und ab, um die schlimmste Feuchtigkeit wegzubekommen. Meine Hand gleitet um die linke Brust herum, greift sie vorsichtig, sie ist schwer und prall. Sie fühlt sich an, als gehörte sie einer anderen.
Es war in diesem Sommer, dass sie gewachsen sind, so richtig, und sie gehören mir.
Ich bin eine Pflanze. Ich treibe aus.
Ich fühle mich mächtig und belästigt zugleich.
Ein Auto fährt vorbei, es verlangsamt die Fahrt, es hupt.
Ich strecke die Zunge raus, aber wohl zu spät. Ich glaube nicht, dass er es gesehen hat. Er hat nur den Hintern gesehen, den Rücken, die Haare, das Kleid.
Ich weiß, dass dieser Sommer mir gehört. Er wird mir gehorchen.
Und ich weiß, dass Mutter mich für meinen starken, jungen Körper hasst, für mein helles, langes Haar, das zusätzlich von der Sonne ausgebleicht ist.
Es ist so hell, es ist nahezu weiß.
Sahne ist ausverkauft. Der Laden ist klein und heiß. Die Fliegen summen über dem Obst. Die Verkäuferin zählt Münzen, sie heißt Gitte. Früher war sie meine Handballtrainerin, jetzt schielt sie mürrisch, wie ich an der Kühltheke zögere, auf meine überlegene Schönheit.
Ich glaube, sie glaubt, ich will stehlen.
Ich komme mit leeren Händen nach Hause. Mutter staucht mich zusammen, ich verdrehe die Augen.
Sie bittet mich, mir ein anderes Kleid anzuziehen. Ich weigere mich.
Der Sommerregen, schwer und mein. Wie meine Brüste, wie meine Zukunft.
Ich gehe in meinem weißen Kleid hinaus ins Unwetter und lasse mich von all den Tropfen durchweichen.
Versuchen, so herausragend wie möglich zu sein.
Giftig sein.
Wenn man das Pech hat, mich zu streifen, erblühen rote Pickel auf der Haut.
Häuser können Mädchen verschlucken.
Um freizukommen, muss man zwischendurch etwas zerschlagen. Vaters Weinflasche.
Mutter fegt den Küchenfußboden, so leise wie sie kann. Tupft ihn hinterher mit nassem Küchenpapier ab.
Ich verstecke mich im Zimmer. Nachsichtig ausgeschimpft.
Ich war frech gewesen, hatte die Zunge rausgestreckt, Mutter gegenüber, nach einer Zurechtweisung, stell die Milch in den Kühlschrank, trink nicht aus der Packung, mein Lippenstift auf dem Rand war der Beweis.
Ich schwieg.
Weigerte mich, meine Missetat zuzugeben. Meine Fingerspitzen knisterten vor Wut. Der Rest meines Körpers war eine Statue.
Bekam eine Weinflasche zu fassen, schlug sie auf die Kante des Küchentischs.
Sie gab mir eine schallende Ohrfeige. Die mich kleidete. Eine Morgensonne, ein Blutmond.
Tränen liefen aus meinen Augen, glitzerten meine Wangen hinunter. Sichtbar, wie Schleimspuren von Schnecken, auf meiner Puderhaut.
Die rosa Tapete. Sie besitzt mich. Ich liege auf dem Bauch auf meinem Bett. Sehe die Schatten der Bäume tanzen.
Die Vögel zwitschern. Der Garten ist der Untergang. Das Gras ist trocken und heiß. Die Bäume tragen keine Frucht, sie blühen jetzt, es ist Sommer.
Ich freue mich auf die Blüten. Die grün-gelblichen.
Ich habe ein Buch vor mir liegen. Weißes Fell, bei Kapitel sieben aufgeschlagen, ich kann mich nicht aufs Lesen konzentrieren.
Da ist ein Bild der Autorin auf dem Buchumschlag. Sie ist so wunderhübsch, ihr helles Haar stramm im Nacken zusammengebunden, ihr Blick ist stark und gut, und ich will wissen, wer sie ist, sie gleicht einem Filmstar, ihre entblößte Schulter ist perfekt, aber sie ist tot.
Wenn doch nur sie meine Mutter wäre, sage ich zu Mutter, als meine Mutter mich darum bittet, den Rasen zu mähen.
Mutter hasst es, dass ich lese. Also lese ich und lese.
Mutter sagt, es ist ungesund für mich, der Wirklichkeit den Rücken zuzuwenden.
Mein hübscher Rücken.
Vaters Hand ruht auf ihm, während wir auf dem Sofa sitzen und Die Vögel schauen.
Immer die Nase in ein Buch stecken. Davon wird man wunderlich. Sagt sie.
Das ist nicht gesund.
Ich habe mir das Buch auf Empfehlung des Priesters in der Bibliothek ausgeliehen.
Die Seiten sind gelb und abgegriffen.
Carmen im Alter von siebzehn Jahren verliebt sich Hals über Kopf in einen vierundvierzigjährigen Philosophen. Ihre Liebe ist unmöglich und schön.
Sie haben auf jeder zehnten Seite Sex.
Das Gras leuchtet wie ein Elixier, mein Ekzem blüht.
Ich liebe die kleine, weiße Blüte, die darauf wartet, zu einem Apfel zu werden. Sie ist so wahnsinnig geduldig, diese Blüte!
Vogelkot auf der Scheibe. Mein Vater sagt über die Wolken, sie seien bedrohlich. Ich sehe zu ihnen hinauf und stelle mir vor, dass sie Puffärmel sind.
Ich war das Ergebnis einer Fruchtbarkeitsbehandlung. Die Frucht.
Ein aufreibender und würdeloser Prozess.
Sagte meine Mutter zu ihrer Mutter.
Ich fand die Papiere, sie waren in einem Schuhkarton versteckt, er stand oben auf dem Garderobenschrank.
So wird man beschützt.
Hält seine Klappe.
In der Schachtel war auch ein Bild von meiner Taufe.
Die Taufzeremonie fand in der Domkirche statt, der junge, gutaussehende Priester, der Wasser über meinen Kopf goss, während ich aus vollem Halse schrie, in den Armen meiner Großmutter mütterlicherseits, meiner Taufpatin, bumste mich vierzehn Jahre später so gut und eifrig, dass ich mein Herz an ihn verlor.
Er war mit beim Tauffest im Haus meiner Eltern, als Ehrengast. Er brachte einen Toast auf meine Zukunft aus, auf das Leben, das vor mir lag und das ich zu leben hatte.
Sie wird gut, klug und lieb, das kann ich sehen, sagte er, und hübsch, und er strich mit dem Finger über meine kleine Stirn.
Meine Mutter war gerührt, dass er sich die Zeit genommen hatte, um mit am Tisch zu sitzen. Bei dem vollen Programm, das du hast, sagte sie zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. Er lächelte sie mit seinem warmen Lächeln an und sagte: Selbstverständlich.
Meine Mutter bemerkte, dass der Priester seine Tischkarte fein säuberlich zusammenfaltete und in die Tasche steckte, sie war die halbe Nacht gesessen und hatte alles von Hand gemalt.
Er ist ein guter Mann, dachte sie, und ihre Wangen glühten.
Als Vorspeise gab es Krabbencocktails, als Hauptspeise Lammbraten, zum Dessert Baiserkuchen mit Johannisbeeren.
Ich bin rein. Sage ich zu Mutter, ich bin rein.
Sie beschuldigt mich, ein unartiges Flittchen zu sein.
Mutter fällt es schwer, mir zu glauben. Ein Mädchen so hübsch wie du, sagt sie, seufzt sie, kann wohl kaum unbehelligt durch die Stadt gehen. Du musst ein kleines, williges Ferkel gewesen sein. Du musst dich von einer großen, pelzigen Hand verführen lassen haben, die über deinen Rücken fuhr, und du drehtest dich um und lächeltest zurück, der rote Mund des Mannes beunruhigte dich nicht, sondern saugte dich zu sich, sodass du in dem Kuss festsaßt, der zu Feuer wurde zwischen deinen Beinen, die Hand fand einen Weg hinunter in dein Höschen, trotz deiner stramm sitzenden Hosen, die Hand konnte dort sein, und du warst ganz feucht, und der Mann sagt, stöhnt, Sara, du bist so feucht, du bist so geil, du antwortest ihm nicht, sondern lässt ihn weitermachen, lässt seine Finger in dich hineinfinden und nimmst sie in dir auf, wie ein großer Mund ist dein Geschlecht, wie ein großer, hungriger Fisch, wenn du ihm deinen Finger im Fischteich des Blumenhändlers anbietest, du umschließt die Finger fest, du bist eng und unberührt, und er kann beinahe nicht an sich halten vor Begeisterung, vor Geilheit, er will mehr in dich hineinstecken, hinein in das enge, junge Loch, das du bist.
Das ist es, was Männer wollen. Sagt Mutter.
Sie wollen sich in deine Öffnungen hineinzwängen und dir ein Kind machen.
Hör mir zu, Sara, Mutter schüttelt mich, kapier das.
Ich leiste keinen Widerstand.
Es ist so schwer, es ist so schwer, sagt Vater zu Mutter. Ich hörte das Gespräch mit, sie glaubten, ich schliefe, heiß und klein, in meinem Bett, aber ich wachte auf, war heiß und klein und hellwach, und ich war durstig, schlich die Treppe hinunter und hörte meinen Namen, vermied die Stufen, die knarzten, hörte Vaters Stimme, hörte, dass Mutter stumm war, lauschte.
Es ist so schwer, mit ihr zu schimpfen, sie weiß es nicht besser, diese Zartheit, die über ihr liegt, als würde sie jeden Augenblick zerbrechen, als wäre sie die Haut um eine blanchierte Mandel. Sollten wir ihr Scham einpflanzen und sie schlüge Wurzeln , könnte ich es nicht ertragen. Könnte mir selbst nicht in die Augen schauen, sagt Vater und schaut Mutter in die Augen, Mutter senkt den Blick.
Lass sie jetzt in Ruhe, sagte Vater, er meinte es ernst.
Ich meine es ernst. Sagt Vater.
Mutter zischt
halt’s Maul.
Vater schlägt zu.
Vater schlug Mutter nur, um mein Schild zu sein. Die Wärme der Handfläche auf ihrer blassen Wange.
Mutter weinte sich in den Schlaf, ich konnte es durch die Wand hören.
Vater stellte sich in der Regel auf meine Seite. Vater ließ nicht zu, dass Mutter ihre Launen an mir ausließ, wenn er es verhindern konnte.
Mutter sagte, ich würde ihn um den kleinen Finger wickeln. Ihn manipulieren. Wir würden uns gegen sie wenden. Uns verbünden.
Es war nie die Idee, dass das Kind ihr Opfer sein sollte, das Kind sollte ihr Engel sein.
Ihr Alles.
Ihre Rettung, ihr Sinn, ihr Mut.
Ihre Freundin.
Ihr Tier, ihr Gott.
Ein Fell zum Lecken, jemand, dem man sich vor die Füße wirft.
Alles, was ich in ihr wecke, ist ihr schlechtes Gewissen. Wut. Wut, die überhandnimmt. Scham. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Nutte, zischte Mutter. Ich war strahlend und wild in meinem kurzen, roten Kleid ins Wohnzimmer getreten. Und dann kam die kleine vertrauliche Mitteilung, wie viel sie selbst als Sechzehnjährige gekostet hatte.
Ein Kleid. Ein Schmuckstück.
Aber ich hoffte auf sein Herz.
Ich wollte es nicht wissen. Sie tobte. Warf mit einer Zitrone nach mir, die zischte an meinem Kopf vorbei, traf die Wand, ein kleiner dumpfer Schlag, als wäre es ein Nachbar, der wissen wollte, was da vor sich ging, eine kleine, emsige Faust klopft machtlos gegen die Raufasertapete, und dann fiel sie hinunter auf den roten Teppich, und das Gelb auf dem Rot war hübsch.
Ich weinte, aber es war ein ratloses Weinen, ich hatte keine Ahnung, wie ich ihr sonst antworten sollte.
Sie hat die Besinnung verloren, sagte Vater, vergib ihr, sie will dir nicht wehtun. Lass dich jetzt einfach trösten. Schatz.
Um Vaters willen lasse ich sie mir an diesem Abend einen Gutenachtkuss geben. Ein Kuss auf die Stirn. Obwohl ich rasend bin.
Sie flüstert: Entschuldige.
Ich sage: Es ist okay, Mutter.
Die böse Falte um ihren Mund kommt zum Vorschein.
Sie sagt: Aber du –
Sie sagt, sie könne nichts dafür, dass ich so bockig und frech bin.
Sie zieht ihre Entschuldigung zurück.
Verlangt eine Entschuldigung aus meinem Mund.
Entschuldige.
Mutter ging hinaus.
Vater kam herein, flüsterte
DANKE.
Nun sind Himmel und Erde still. Singt er. Meine Hand in seiner.
Er hofft auf eine ruhige Nacht im Wohnzimmer.
Er verlässt mein Zimmer, als er glaubt, ich schliefe, aber ich schlafe nicht.
Ich denke.
Ich habe Lust, mich hinauszuschleichen, wegzugehen, Zuflucht zu suchen, aber wo würde ich Verständnis finden?
Fürsorge?
Wer kann mich beschützen?
Ich denke an den Priester, an seine Augen und an sein Lächeln. Das freundliche, milde. Und an das Leuchten in seinen Augen.
Ich weiß, wenn ich gerettet werden muss, ist er es, der mich retten wird.
Seine gefalteten Hände im Schoß. Der Goldring an seinem Ringfinger. Die breiten Schultern.
Wenn ich doch nur in richtigen Schwierigkeiten stecken würde, wenn er doch nur meine Schulterblätter bemerken würde, die Flügel werden wollen. Wenn er doch nur die Hörner sehen würde, die ich auf meiner Stirn sprießen spüre. Er hat die Hand auf meine Stirn gelegt, ein Segen, er hat sie gefühlt. Sie haben ihn erschreckt.
Ihn gereizt. Das auch.
Auch die Brüste.
Hihi.
Der Priester schickte mir ein Bild von einem Mohnblumenfeld. Ich hatte ihm erzählt, dass ich Mohnblumen liebe. Ich freute mich sehr über das Bild. Schau, wo ich bin, schrieb er.
Das Paradies ♥
Antwortete ich.
Und ich wusste, es war das Sommerhaus der Mutter seiner Frau.
Er nennt sie
meine Gattin.
15:37 Wenn du doch nur hier wärst
15:43 Um es zu sehen
15:50 Die Mohnblumen
Ich antworte nicht.
Ich lackiere meine Zehennägel hellblau.
Die Ferien schmiegen sich um mich wie ein Seidenkleid.
Ich bin so hübsch in dieser Zeit, wenn die Schule mich in Ruhe lässt und die Mädchen aus meiner Klasse im Wohnwagen in anderen Städten Kekse essen. Die Krümel auf den Laken stören sie nicht. Die hartgesottenen Seidenrücken liegen auf Liegestühlen in Gärten, während Väter und Mütter Saftschorlen servieren und Weißwein trinken. Ein verbrannter Nacken, eine sonnengeküsste Wade. Den Sonnenhut im Park vergessen. Ich habe meine Ruhe. Die Ruhe, die meinen Sehnsüchten Kraft verleiht. Eine grüne Birne in der Hand ist alles, was ich brauche, um Königin zu sein. Ein Strand ist eine Bühne. Ich lese im Sand, werde golden und warm. Die Sonne ist eine Decke und wird von Gott um mich gelegt. Er sieht mich. Passt auf mich auf. Der Sonnenschein macht mich geil.