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In der Domäne, dem Refugium der Archivare in einer fernen Zukunft, wird allmählich das Ausmaß dessen deutlich, was sie mit ihren Reisen in die Vergangenheit und dem Öffnen der Portale angerichtet haben. Nicht mehr lange, und die Zeitebene, auf der sich Matthew Drax und Aruula befinden, wird von den Parallelwelt-Arealen so sehr geschädigt sein, dass die gesamte Raumzeit zusammenbrechen könnte.
Es gibt nur eine Hoffnung, sie zu stabilisieren, aber die liegt in noch fernerer Zukunft - und gleichzeitig in einer Zeit fünfundzwanzig Jahre vor den Geschehnissen ...
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Was bisher geschah …
Das 900.000-Jahre-Projekt
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: GrandeDuc/shutterstock
Autor: Ian Rolf Hill
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9706-2
www.bastei-entertainment.de
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Am 8. Februar 2012 trifft der Komet »Christopher-Floyd« – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, »Maddrax« genannt, dessen Staffel durch einen Zeitstrahl vom Mars ins Jahr 2516 versetzt wird. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese ihm fremde Erde. Bis sie durch ein Wurmloch in ein Ringplanetensystem versetzt werden, während der Mond auf die Erde zu stürzen droht. Matt findet Hilfe und Verbündete und die Rettung gelingt in letzter Sekunde – aber etwas geht schief: Areale aus verschiedenen Parallelwelten manifestieren sich plötzlich auf der Erde…
Um diese fünfzig Kilometer durchmessenden Parallelwelt-Areale, die von hohen Dornenhecken umgeben sind, aufzuspüren, nutzen Matt und Aruula ein im Erdorbit installiertes Satelliten-Netzwerk. Mit einem Gleiter überwinden sie die Pflanzenwälle, begleitet vom Sauroiden Ydiel. Eine ihrer Reisen führt sie in ein paralleles Rom, das von einem zeitreisenden Archivar namens Patrem regiert wird, der in Agartha ein neues Machtzentrum errichten will. Doch auch das Königreich im Himalaja wurde in eine Parallelwelt versetzt. Patrem kommt ums Leben; zurück bleiben seine gefährlichen Artefakte. Matt will sie im Hort des Wissens deponieren, einer Enklave befreundeter Retrologen und Wissenschaftler.
Da taucht sein Erzfeind Colonel Aran Kormak auf. Im Kampf gegen ihn wird Ydiel von einer Artefaktwaffe auf Insektengröße verkleinert. Kormak kann entkommen, als ein weiteres Areal erscheint: die Stadt Coellen (Köln) – und mit ihr der Neo-Barbar Rulfan, ein in ihrer Welt längst verstorbener Freund.
Kormak nimmt derweil Kontakt zu den Reenschas in Glasgow auf, wird deren Chefexekutor und greift den Hort des Wissens an, scheitert aber und wird von seinen neuen Verbündeten in den Kerker geworfen.
Inzwischen wächst Ydiel langsam wieder zu seiner ursprünglichen Größe heran. Matt und Aruula bringen ihn zurück nach Yucatán. Zuvor müssen sie jedoch miterleben, wie Kormak mit einem Ballon aus der Festung der Reenschas flieht – und mit dem Miniaturisierer verkleinert wird! Später dringt er in den Hort des Wissens ein, erfährt vom Zeitstrahl und versucht ihn zu durchqueren.
Rulfan hat sich den Freunden wieder angeschlossen. Da empfängt Aruula einen Hilferuf von der Pflanzen-Entität GRÜN. In Neuseeland treffen die Freunde auf eine botanische Seuche, die aus einer Parallelwelt herübergekommen ist und die Erde zu überwuchern droht. GRÜN, der, wie sich nun herausstellt, für die Dornenhecken rund um die Anomalien verantwortlich war, ist machtlos gegen die Rote Pest! Er verbindet sich mit Matthew Drax, um den Angriff vorerst zurückzuschlagen, wird dabei aber derart geschwächt, dass beide zu sterben drohen, wenn GRÜN sich nicht an einem Energiepunkt der Erde neu »auflädt«. Aruula schafft Matt dorthin, während die anderen eine bionetische Waffe gegen die Rote Pest entwickeln, die sie dank des wieder gesundeten GRÜN zünden können.
Das 900.000-Jahre-Projekt
von Ian Rolf Hill
Die Domäne, in einer fernen Zukunft
»Wir haben versagt!« Die Kopftentakel des Wesens mit der bernsteinfarbenen Haut zitterten. Die körperliche Reaktion des obersten Archivars stand im krassen Gegensatz zum festen Klang seiner Stimme, die keinen Zweifel am Ernst der Lage ließ. Er stand auf einem holografischen Podest, das seine Ansprache in die entlegensten Winkel der Domäne übertrug, auch in den speziell abgesicherten Bereich des Riskariums. »Die gesammelten Daten übertreffen unsere schlimmsten Erwartungen. Das Raum-Zeit-Kontinuum wurde irreparabel geschädigt.«
Teil 1: Fiasko
Worrex lauschte den Worten mit wachsendem Entsetzen. An den hektisch zuckenden Kopftentakeln erkannte er, dass es dem Archivar, der sich den Namen Archibald Mountbatten gegeben hatte, nicht anders erging. Er teilte offenbar seine Furcht.
Unter anderen Umständen hätte Worrex darin möglicherweise Trost gefunden, ja vielleicht sogar Zuversicht geschöpft, doch in diesem Fall schürte es nur die eigene Panik.
Sämtliche Versuche, seine Emotionen mit Hilfe der Ratio zu kontrollieren, indem er das Problem analytisch betrachtete, scheiterten.
Ist das ein Wunder?, dachte Worrex. Immerhin haben wir den zeitlosen Raum erschaffen, um genau das zu verhindern: das Auseinanderbrechen des Raum-Zeit-Gefüges.
Aufgrund seiner nicht-linearen temporären Eigenschaften war die innere Domäne, wie der zeitlose Raum auch genannt wurde, ideal für Experimente und Forschungen die Raum-Zeit betreffend.
In der »äußeren Domäne«, dem Forschungskomplex der Zukunftsmenschen, hielt sich Worrex zurzeit mit seinem Kollegen Mountbatten auf. Genauer gesagt in einem der Labore, die zum Treffpunkt jener Archivare geworden waren, die sich mit dem Phänomen der zunehmenden Raumzeit-Verschiebungen beschäftigten, die in den Jahren 2549 und 2550 für das exzessive Auftauchen von Parallelwelt-Arealen verantwortlich waren.
Kein wirklich neues Phänomen, bestimmt nicht. Dennoch verhielt es sich dieses Mal anders als damals, als es durch den Einsatz des hydritischen Flächenräumers zur Entstehung alternativer Realitäten gekommen war.1)
Gleichwohl waren die Parallelen nicht von der Hand zu weisen.
Worrex war von der Hiobsbotschaft des Obersten derart geschockt, dass er über die Ironie des Begriffs Parallelen in diesem Zusammenhang nicht mal schmunzeln konnte.
Damals hatten sie es mit einer feststehenden Anzahl von Parallelwelten zu tun gehabt, die außerhalb des Raum-Zeit-Gefüges in alternativen Realitäten existierten. Dieses Mal verhielt es sich anders. Die Parallelwelten zersplitterten förmlich. Und dort wo das Raum-Zeit-Gefüge am brüchigsten war, fand ein Austausch zwischen der Erde und dem jeweiligen Parallelwelt-Splitter statt. Und daran waren sie, die Archivare, nicht ganz unschuldig.
»Wie ist das möglich?«, zischte Mountbatten so leise, dass ihn nur Worrex hörte. Eine ebenso sinnlose wie verständliche Frage, die auch ihm auf der Seele brannte. Obwohl der Oberste sie unmöglich gehört haben konnte, so schien er sie zumindest erahnt zu haben, denn nach einer kurzen Pause, in der er seine Worte wirken ließ, fuhr er fort:
»Das exzessive Auftauchen von alternativen Realitäten in den Jahren 2549 bis 2551 wurde mit 96,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit von jenem Ereignis in Gang gesetzt, das wir unter der Bezeichnung ›Projekt Mondsprung‹ archiviert haben. Die Folge war eine Destabilisierung des Raum-Zeit-Gefüges, das zu dem eben erwähnten Ergebnis führte. Auffallend ist, dass diese Parallelwelt-Splitter alle denselben Durchmesser besitzen, nämlich exakt fünfzig Kilometer. Im Gegensatz zu dem Parallelwelt-Phänomen, das durch den Einsatz des Flächenräumers initiiert wurde, führte dieses zu einer unkontrollierten Expansion der Parallelwelten. Und zwar an jenen Stellen, an denen wir Tore in der Zeit beziehungsweise zwischen den Dimensionen öffneten.«
Worrex senkte das Haupt und berührte seine eigenen Kopftentakel, die sich kontrahierten und streckten, ähnlich der peristaltischen Bewegung von Anneliden.
Die Problematik, die das Parallelwelt-Phänomen mit sich brachte, war ihm ebenso bekannt wie Mountbatten. Mehr noch: Die Kenntnisse, die der Oberste eben vorgetragen hatte, basierten auf ihren Forschungsergebnissen, die sie durch Expeditionen ins Jahr 2549 gesammelt hatten. Er selbst hatte eine verdeckte Mission in der Sauroidenstadt Rhaaka im Norden der Halbinsel Yucatán geleitet, um dem Geheimnis der Raum-Zeit-Verwerfungen auf den Grund zu gehen.2)
Dabei hatte er nicht nur die Bekanntschaft mit Sauroiden geschlossen, sondern auch mit zwei Menschen aus der Vergangenheit, Matthew Drax und Aruula, die den Archivaren nicht unbekannt waren. Eine Recherche hatte ergeben, dass Drax und seine Begleiterin auch dieses Mal nicht zufällig vor Ort gewesen waren, was Worrex veranlasst hatte, eine Planänderung vorzunehmen und das Wissen der zwei Menschen mit Hilfe eines Mentalscanners auszuwerten. Das Ergebnis war verblüffend, nicht nur in Bezug auf das Parallelwelt-Phänomen, sondern insbesondere, was den Erfahrungsschatz der beiden Vergangenheitsmenschen betraf.3)
Ihr Einfallsreichtum war beispiellos, und daher weigerte sich Worrex zu akzeptieren, dass das Raum-Zeit-Kontinuum tatsächlich irreparabel beschädigt sein sollte. Es musste doch eine Lösung geben. Es musste…
»Daher sehe ich keine andere Möglichkeit, als die Nutzung des zeitlosen Raums zum Zwecke der Erforschung und Beschaffung von Artefakten aus vergangenen Zeiten und alternativen Realitäten mit sofortiger Wirkung zu unterbinden.«
Die Übertragung endete und hinterließ eine beklemmende Stille. Worrex überkam das Gefühl, in einem Vakuum zu driften. Ihm schwindelte, während er verzweifelt nach Atem rang. Es war, als ob die Worte des Obersten der Luft den Sauerstoff entzogen hätten.
Hinter ihm brandeten die Stimmen der übrigen Archivare auf und vermengten sich zu einem lärmenden Crescendo, das schmerzhaft in Worrex’ Schädel widerhallte. Aber zumindest brachte es ihn wieder zurück ins Hier und Jetzt.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Mountbatten mit einer Handbewegung ein holografisches Modell der Domäne und des zeitlosen Raums aufrief. Kein dreidimensionales Abbild, vielmehr ein Konglomerat aus Formeln und physikalischen Lehrsätzen, auf denen das Konstrukt, welches die Grundlage ihrer Forschungen darstellte, basierte.
»Was tust du da?«, fragte Worrex seinen Kollegen.
»Ich suche nach einer Lösung«, erwiderte Mountbatten knapp.
Worrex gönnte sich ein erleichtertes Seufzen. Offenbar war er nicht der Einzige, der sich weigerte, das eben Gehörte als unumstößliche Tatsache hinzunehmen. Ein eigentümliches Gefühl von Verbundenheit ergriff von ihm Besitz. Mehr als er es ohnehin schon in Mountbattens Anwesenheit verspürte; immerhin zählte der Archivar ebenfalls zu den Feldforschern, die den zeitlosen Raum regelmäßig für Expeditionen nutzten.
Vielleicht lag darin ja der entscheidende Unterschied. Während die Theoretiker, zu denen der Oberste zweifelsohne zählte, dazu neigten, Probleme ausschließlich rational zu bewerten, hatten sich die Praktiker die Fähigkeit zum abstrakten Denken erhalten. Oder um es anders zu formulieren: Sie verfügten über die Gabe der Improvisation.
Worrex schöpfte neue Hoffnung – die im selben Moment zerbarst, als er die Stimme des Obersten dicht hinter sich vernahm. »Ich fürchte, dazu fehlt uns die Zeit!«
Worrex und Mountbatten fuhren herum. Das holografische Abbild des Obersten schwebte eine Armlänge vor ihnen. Selbst über die Emitter machte er einen resignierten Eindruck.
»Wie ich eben erfuhr, ist der Kollaps unvermeidlich geworden«, erklärte der Oberste. »Daher sehe ich keine andere Möglichkeit, als den zeitlosen Raum vollständig zu versiegeln.« Er schnaubte. »Mehr noch, wir hätten ihn niemals wieder öffnen dürfen.«
Worrex wusste, worauf der Oberste anspielte. Es lag bereits einige Jahre zurück, als sich die Archivare gezwungen sahen, den zeitlosen Raum zu verschließen. Zu dieser Zeit beherbergten sie in der Domäne drei Menschen aus der Vergangenheit: Xij Hamlet, ihre Tochter Xaana und den Archäologen Tom Ericson.4)
»Und doch haben wir es getan«, erwiderte Archibald Mountbatten.
»Ein Fehler«, räumte der Oberste ein.
»Ein Notwendigkeit«, entgegnete Worrex. »Ohne den zeitlosen Raum wäre das Riskarium wertlos und unsere bisherige Arbeit hinfällig gewesen.« Er schüttelte den Kopf. »So wie ich das sehe, werden wir den Kollaps des Raum-Zeit-Gefüges nicht verhindern, indem wir den zeitlosen Raum schießen. Er wird bestenfalls hinausgezögert.«
»Aus diesem Grund habe ich mit euch Kontakt aufgenommen«, erklärte der Oberste. »Ihr seid die Archivare mit der größten Erfahrung, was die Parallelwelt-Areale betrifft. Daher erteile ich eurer Arbeitsgruppe den Auftrag, einen Weg zu finden, die Expansionsrate der Parallelwelt-Splitter zu stoppen, um die Risse im Raum-Zeit-Kontinuum so gering wie möglich zu halten. Versagt ihr, wird die Erde im Chaos versinken. Dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, als die äußere Domäne von der inneren zu trennen und uns abzukapseln.« Der Oberste beugte sich vor. »Dieses Mal für immer! Ich spreche von einer Versiegelung des zeitlosen Raums auf unbestimmte Zeit.«
Worrex warf Archibald Mountbatten einen erschreckten Blick zu. Ohne dass es einer von ihnen aussprechen musste, wusste jeder, was das bedeutete: völlige Isolation.
Waashton im Jahr 2550
Die Gestalt war nackt und besaß bronzefarbene Haut. Ein Gesicht war ebenso wenig zu erkennen wie Sinnesorgane. Nur die charakteristischen Kopftentakel, die Aruula klarmachten, mit wem oder was sie es zu tun hatten.
Mit einem Archivar!
Allein der Anblick des Zukunftsmenschen trieb ihr den kalten Schweiß aus den Poren. Nein, sie verband keine guten Erinnerungen mit den Archivaren. Vor allem an den größenwahnsinnigen Samugaar, der sie mit Hilfe eines süchtig machenden Schlangenserums in seine Gewalt gebracht und mental vergewaltigt hatte, dachte sie nur mit Abscheu und Verachtung.
Aber auch spätere Archivare, denen sie begegnet war, hatten selten einen guten Eindruck hinterlassen. Wie zum Beispiel Patrem, der sich zum Herrscher des Parallelwelt-Areals in Rooma aufgeschwungen und dieses dem Erdboden gleichgemacht hatte.5)
Aber auch Worrex, jener Archivar, der sich mit einem Tarnfeld unter die Sauroiden gemischt hatte, hatte Aruula bewiesen, dass man den Menschen der Zukunft nicht trauen durfte. Mit einem Elektroschocker hatte er Maddrax und sie betäubt und mit einem Mentalscanner in ihren Gedanken herumgefuhrwerkt.
Und ausgerechnet er wagte es, hier aufzutauchen und um Kontaktaufnahme zu bitten?
»Ich muss mit euch reden – dringend!«, bat er.
Maddrax trat auf ihn zu, vermutlich um ihm zu antworten, doch Aruula war schneller. Ihre linke Hand legte sich auf die Schulter ihres Gefährten und hielt ihn zurück, während sie mit der Rechten das Schwert ergriff, das in der Rückenkralle steckte. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog sie die Klinge, glitt an Maddrax vorbei, und ehe sich Worrex versah, wies die Spitze geradewegs auf seinen Hals.
Zufrieden registrierte Aruula, dass sie um keinen Millimeter zitterte, ganz im Gegensatz zu den Kopftentakeln des Archivars.
»Maddrax magst du von deinen guten Absichten überzeugt haben, Archivar. Aber ich verlange mehr als einfache Worte und Beteuerungen.«
»Ich versichere dir, dass ich nicht gekommen bin, um euch zu schaden. Vielmehr benötige ich eure Hilfe.« Die Stimme des Archivars klang zischelnd und knirschend zugleich. Als würde man über Glasscherben laufen. Bei ihrer ersten Begegnung mit den Zukunftsmenschen war eine Kommunikation nur durch Körperkontakt möglich gewesen. Das hatte sich geändert, worüber Aruula nicht unglücklich war. Sie legte keinen Wert auf eine Berührung dieser Abscheulichkeit.
»Okee, du darfst sprechen. Aber beim leisesten Anzeichen von Verrat werde ich dir blanken Stahl zu schmecken geben.«
»Ich habe verstanden!«
»Ich nicht!«, sagte Mr. Black hinter Aruula. »Könnte mir mal freundlicherweise jemand erklären, was hier vorgeht? Offenbar kennt ihr dieses… Ding.«
Aruula starrte Worrex für drei Sekunden finster an, dann gab sie sich einen Ruck, trat zur Seite und schob das Schwert zurück in die Rückenkralle. Maddrax warf ihrem Begleiter, der mit Rulfan neben der RIVERSIDE stand, einen knappen Blick zu, ehe er sein Augenmerk wieder Worrex widmete. »Ich fürchte, das ist etwas kompliziert. Aber ich versichere dir, dass er nicht unser Feind ist.«
Aruula schnaubte. »Was zu beweisen wäre.«
Ihr Gefährte starrte sie sekundenlang an. Auch ohne ihren Lauschsinn vermochte sie den Ausdruck in seinem Gesicht zu deuten. Dafür kannten sie sich viel zu lange.
Nicht hilfreich, gab er ihr zu verstehen. Die Kriegerin von den Dreizehn Inseln winkte ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Auf diese Weise signalisierte sie ihm, dass sie sich zurückhalten und ihm das Feld überlassen wollte.
»Ich nehme an, es geht um die Parallelwelt-Areale«, sprach Maddrax den Archivar nun direkt an. Worrex, der eine Art Umhängetasche bei sich trug, nickte.
»So ist es. Wir haben die Ursache für das Phänomen mit annähernd hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit eruiert. Die Tore, die wir seit Jahrtausenden innerhalb der Raum-Zeit geöffnet haben, haben das Kontinuum dauerhaft geschädigt und destabilisiert.«
»Ich wusste es«, zischte Aruula. »Also haben wir euch den ganzen Schlamassel zu verdanken.«
»Langsam, Aruula«, warf Rulfan ein und trat an ihre Seite. »Vergiss nicht, dass wir uns ohne diesen Schlamassel nie wiedergesehen hätten.«
Die Kriegerin zögerte.
»Rulfan hat recht«, stand Maddrax dem Neo-Barbaren bei. »Außerdem glaube ich kaum, dass die Archivare wussten, was sie mit ihrem Tun anrichteten.«
»Das stimmt«, bestätigte Worrex. »Zumal die Tore in der Raum-Zeit lediglich die Grundvoraussetzungen für das Phänomen schufen. Der eigentliche Auslöser war etwas anderes.«
Maddrax nickte. »Projekt Mondsprung.«
»Ganz recht. Die Einzelheiten sind uns nicht bekannt. Doch durch das Wurmloch der Fremden, diese…«
»Pancinowa«, half Aruula aus.
Worrex neigte das Haupt. »Durch das Wurmloch der Pancinowa muss es zu einer Art Rückkopplung gekommen sein, einen gewaltigen Energiestoß, der das Raum-Zeit-Gefüge an genau den Stellen aufriss, an denen wir in die Vergangenheit und oder alternative Realitäten vorgedrungen sind.«
»Erzähl uns etwas, das wir noch nicht wissen«, entgegnete Aruula mürrisch.
Der Archivar wandte den Kopf. Die Tentakel zuckten irritiert. »Wie meinst du das?«
»So, wie sie es gesagt hat«, erklärte Maddrax. »Wie euch sicherlich bekannt ist, existiert auf der Erde eine Entität, die sich selbst GRÜN nennt.«
Worrex nickte zögernd.
»In Neuseeland kam es kürzlich zum Durchbruch einer Parallelwelt, in der GRÜN zu einer äußerst aggressiven Lebensform mutierte, der Roten Pest.«6)
»Ich verstehe nicht, was das mit unserem Problem zu tun hat.«
»Alles und nichts, fürchte ich. Die Pflanzenwälle um die Parallelwelt-Areale gehen auf das Wirken von GRÜN zurück. Dadurch versuchte er das Eindringen von fremdartigen Spezies zu unterbinden und die Auswirkungen auf unsere Realität so gering wie möglich zu halten.«
»Nur leider hat das keinerlei Effekt auf das Erscheinen weiterer Parallelwelten«, erwiderte Worrex. »Unseren Berechnungen zufolge wird es sogar noch schlimmer werden.«
Aruula spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Ihr wurde schwindelig. »Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass die Erde binnen eines Jahres komplett von Parallelwelt-Arealen überzogen sein wird.«
Die Domäne, in einer fernen Zukunft
»Synchronisation der eingegebenen Daten abgeschlossen«, meldete die Computerstimme. »Simulation kann jetzt gestartet werden.«
Worrex nickte Archibald Mountbatten zu, der sich an den Obersten wandte, dessen Hologramm vor ihnen auf der Emitter-Plattform stand.
»Wir sind soweit«, sagte der Archivar.
Der Oberste neigte das Haupt. Seine Kopftentakel zuckten, als stünden sie unter Strom. Die Gestalt flackerte und wich der dreidimensionalen Projektion der Erde, in der das Erscheinen der Parallelwelt-Splitter visuell dargestellt wurde. Ein Blick auf die Zeitangabe verriet Worrex, dass es die Erde im Jahr 2549 zeigte, kurz nach Projekt Mondsprung.
Der holografische Globus war in ihre Richtung geneigt, sodass sie direkt auf den nordamerikanischen Kontinent blicken konnten. Worrex wusste, dass der Oberste in dieser Sekunde genau dasselbe sah wie sie. Ein Lichtpunkt flammte im Osten der Landmasse auf. Also dort, wo das erste Parallelwelt-Areal aufgetaucht war: im ehemaligen Lancaster des Bundesstaates Pennsylvania.
Der Anblick des kreisrunden Gebietes, das von einer meterhohen Dornenhecke begrenzt wurde, war gleichermaßen faszinierend wie beängstigend. Zylindrische Flugkörper schwebten darüber hinweg. Es waren gasbetriebene Flugmaschinen, sogenannte Zeppeline.