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In diesem Band gibt es ein Wiedersehen mit Ydiel und den Bewohnern der Reptilienstadt Rhaaka in Yucatán! Als Worrex das Portal öffnet, gibt es schockierende Neuigkeiten. In der in die Parallelwelt versetzten Menschensiedlung Méda grassiert eine Seuche, die möglicherweise von den Sauroiden übertragen wurde. Die verzweifelten Wissenschaftler forschen nach einem Impfstoff, doch die Ressourcen sind begrenzt und die Kommunikation mit den Sauroiden gestaltet sich noch immer schwierig. Doch noch ahnen die Menschen nicht, wie ernst die Lage wirklich ist ...
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Was bisher geschah...
Mit Zähnen und Klauen
Leserseite
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Herschel Hoffmeyer / Onlyrichdesign / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0580-6
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Am 8. Februar 2012 trifft der Komet »Christopher-Floyd« – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, »Maddrax« genannt, dessen Staffel durch einen Zeitstrahl vom Mars ins Jahr 2516 versetzt wird. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese ihm fremde Erde. Bis sie durch ein Wurmloch in ein Ringplanetensystem versetzt werden, während der Mond auf die Erde zu stürzen droht. Matt findet Hilfe und Verbündete und die Rettung gelingt in letzter Sekunde – aber etwas geht schief: Areale aus verschiedenen Parallelwelten manifestieren sich plötzlich auf der Erde...
Um diese 50 Kilometer durchmessenden Parallelwelt-Areale, die von hohen Dornenhecken umgeben sind, aufzuspüren, nutzen Matt und Aruula ein Satelliten-Netzwerk im Erdorbit. Mit ihrem Gleiter überwinden sie die Pflanzenwälle. In einem parallelen Rom treffen sie auf einen zeitreisenden Archivar namens Patrem, der mit Hilfe gefährlicher Artefakte herrschen will. Matt setzt dem ein Ende. Seine Waffen deponiert er im Hort des Wissen.
Da erscheint ein weiteres Areal: die Stadt Coellen – und mit ihr der Neo-Barbar Rulfan, ein in ihrer Welt längst verstorbener Freund, der sich ihnen anschließt.
Matts Erzfeind Colonel Aran Kormak wird derweil auf der Suche nach Verbündeten Chefexekutor der Reenschas in Glasgow. Er greift den Hort des Wissens an, eine Enklave befreundeter Retrologen und Wissenschaftler, scheitert aber und landet im Kerker. Matt und Aruula erleben mit, wie er auf der Flucht in einem Ballon von einem Artefakt verkleinert wird! Später dringt er in den Hort ein, erfährt vom Zeitstrahl und versucht ihn zu durchqueren.
Da empfängt Aruula einen Hilferuf der Pflanzenentität GRÜN. In Neuseeland treffen die Freunde auf eine botanische Seuche, die aus einer Parallelwelt herübergekommen ist. GRÜN, der für die Dornenhecken rund um die Anomalien verantwortlich zeichnet, ist dagegen machtlos. Gemeinsam mit den Hydriten – Fischmenschen, die seit Äonen auf der Erde leben – entwickelt man eine Waffe gegen die Rote Pest.
Inzwischen wissen die Archivare, dass ihre Reisen in die Vergangenheit für die Weltenwechsel verantwortlich sind: Wo immer sie ein Portal schufen, wurde die Raumzeit geschwächt und bricht nun durch den Wurmloch-Unfall auf! Spätere Generationen entwickeln ein Gegenmittel, das aus ferner Zukunft in einer Stasiskugel zurückversetzt wird und schicken Worrex, einen der ihren, zurück. Er schließt sich den Gefährten an. Doch als die Freunde die Kapsel finden, ist sie leer! Das Wesen darin hat vier Menschen okkupiert, die »Krieger des Lichts«, die einen Feldzug gegen den Weltrat in Washington führten! Nun mutieren sie zu mächtigen Wesen, die auf der Suche nach Energie eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. In einem verfallenen Freizeitpark holen die Gefährten sie ein – und müssen sich gegen mutierte Gejagudoos erwehren. Als Worrex den Gleiter bruchlandet, können die Krieger abermals entkommen. In einer Mormonen-Siedlung bringen sie drei X-Quads in ihren Besitz, mit denen sie die letzte Etappe ihrer Reise antreten.
Es zieht die Krieger des Lichts zu einem atomaren Endlager, wo sie von Scorpocs angriffen werden und mit ihnen verschmelzen. So finden sie die Gefährten, und Worrex macht dem Wesen klar, dass es auf seiner Suche nach Energie nie Erfüllung finden kann, denn letztendlich wurde es nur für einen Zweck geschaffen: die Strahlung innerhalb der Parallelwelt-Portale zu absorbieren. Es gelingt ihm, die Kreatur zu überzeugen, mit ihnen zu kommen – in der Stasiskapsel, die der Android Miki Takeo zwischenzeitlich repariert hat.
Derart vorbereitet, machen sie sich nach Lancaster auf, um das erste Portal zu schließen – und finden eine Schreckensherrschaft der blutsaugenden Nosfera vor, die sie zunächst beenden müssen. Dann fliegen sie weiter nach Waashton, wo Worrex erkennen muss, dass sich der Weg zurück geschlossen hat und er auf der Erde festsitzt. Da meldet sich der Hydrit Quart'ol bei seinem Freund Matt: Auf dem Grund des Atlantiks ist eine Stadt aufgetaucht, in der einst der legendäre Friedensstifter Ei'don verschwand: Atlantis! Tatsächlich wurde Ei'don zurückversetzt – ein Umstand, auf den die Hydriten schonend vorbereitet werden müssen. Quart'ol zieht sich mit ihm zurück und die Gefährten fliegen weiter zum nächsten Portal...
Mit Zähnen und Klauen
von Ian Rolf Hill
Piietro war bereit zu kämpfen! Für das Leben seines Sohnes und all der anderen kranken Menschen, die in ihren Häusern dahinsiechten. Die Hoffnung, ein Heilmittel zu finden, war in den vergangenen Tagen gen null gesunken, doch er würde seine Leute nicht diesen Bestien überlassen. Erst recht nicht Zanschoo. Seinen Sohn würde er bis zum letzten Atemzug verteidigen. Mit Zähnen und Klauen.
Das Problem war nur, dass die seines Gegenübers deutlich größer waren. Und noch besorgniserregender als die fingerlangen Zähne und die sichelförmigen Klauen war die Waffe, deren Düse über die rechte Schulter des Raptors hinausragte. Jeden Moment konnte daraus der Tod in Form einer alles zersetzenden Säure auf ihn herabprasseln.
Einen Tag zuvor
»Er hat Fieber!«
Die drei Worte trafen Piietro mit der Wucht eines Keulenschlags. Mindestens ebenso schmerzhaft war Huanaas Blick, der von Sorge, Verzweiflung und Angst kündete. Angst um ihren gemeinsamen Sohn Zanschoo, dessen schmaler Brustkorb sich unter pfeifenden Atemzügen hob und senkte. Allein das Luftholen schien den Jungen anzustrengen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, die schwarzen Locken klebten an der fieberheißen Stirn, die Lider waren halb geschlossen.
Piietro ließ den Sack mit der spärlichen Ausbeute an Coorn-Kolben* fallen und eilte an das Bett seines Sohnes, sank auf die Knie und legte die Hand auf die Stirn des Knaben. Beinahe wäre er zurückgezuckt. Zanschoo glühte geradezu. Piietro schluckte und warf seiner Frau einen verstörten Blick zu.
Huanaa zuckte hilflos mit den Achseln. »Es muss in der Nacht angefangen haben. Als ich es bemerkte, warst du schon draußen auf den Feldern. Ich habe das Bett in die Küche gestellt, damit ich ihn im Auge behalten kann. Dann habe ich kalte Wickel gemacht, doch das wird nicht reichen.«
»Weiß Doktor Ramiires schon Bescheid?«
»Woher denn?« Huanaas Stimme klang schrill. »Ich war die ganze Zeit bei Zanschoo. Die anderen sind auf den Feldern oder im Wald. Oder haben selbst Kranke, die sie versorgen müssen und nicht allein lassen können.«
Piietro nickte. »Natürlich. Bitte verzeih. Ich mache mich auf den Weg.« Er strich Zanschoo eine schweißnasse Locke aus der Stirn, bevor er sich erhob.
»Das ist noch nicht alles.«
Vor der Tür blieb Piietro stehen und wandte sich um. »Was denn noch?« Er erschrak vor dem Klang seiner eigenen Stimme. Sie hörte sich rau und krächzend an.
»Heute Nacht ist Mindoosa gestorben!«
Piietro musste sich am Türrahmen festhalten, als ihn der Schwindel erfasste. Mindoosa war ihr Nachbar gewesen. Über achtzig Winter alt und damit der älteste Bewohner von Méda – beziehungsweise dem, was von der Stadt noch übrig war.
Vor etwas über einem Jahr hatte sich ein Teil der uralten Stadt an der Nordostküste von Yutaan – samt Umland und einiger kleinerer Siedlungen – in einer fremdartigen Umwelt wiedergefunden. Piietro erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen.
Der Himmel war erfüllt gewesen von grünblauen Lichtern, die ineinanderflossen und waberten wie Wolken, die vom Wind verwirbelt wurden. Dahinter reckten sich gigantische Bauwerke empor, wie Piietro sie noch nie zuvor gesehen hatte, fahlweiß und in einem matten Glanz pulsierend. Erste aufgeregte Rufe erklangen, in die sich alsbald panische Schreie mengten.
Piietro und einige Nachbarn waren sofort losgerannt. Solche Rufe hatte er zuletzt während des großen Tsunamis gehört, der die Stadt überschwemmt und das Umland in einen Mangrovensumpf verwandelt hatte. Dieses Mal war es jedoch keine haushohe Monsterwelle gewesen, die die Bewohner in Angst und Schrecken versetzt hatte.
Es waren Echsen gewesen. Mutierte Echsen!
Nicht so wie Drakullen oder Daa'muren, obwohl einige von ihnen durchaus Ähnlichkeit mit den Außerirdischen gehabt hatten. Andere wiederum hatten ausgesehen wie... Dinosaurier!
Piietro hatte Bilder von den ausgestorbenen Riesenechsen in einem der alten Bücher gesehen, die von den Retrologen gehütet wurden wie Schätze. Angeblich war der Komet, der das Aussterben der Saurier verursacht hatte, hier vor der Küste Yutaans niedergegangen. Vor über fünfundsechzig Millionen Jahren, wohlgemerkt.
Und plötzlich hatte es in Méda vor diesen Biestern gewimmelt. Beziehungsweise dort, wo Méda hätte sein müssen, denn die seltsamen Bauwerke erstreckten sich bis zur Küste.
Piietro war wie vom Donner gerührt stehengeblieben, als er sah, wie eine Schar berittener Saurier die Menschen zusammentrieben.
Bis die Erde unvermittelt unter ihren Füßen zu beben begonnen hatte. Wenig später war eine Stampede gewaltiger Tiere durch die Stadt getrampelt, mit massigen Schädeln, meterlangen Hörnern und gelbroten Nackenschilden. Viele Menschen waren unter ihren Tritten zermalmt worden, mehrere Häuser in sich zusammengefallen.
Und dann waren die Dornenranken erschienen!
Von einer Sekunde zur anderen war der Boden entlang der Linie, an der das alte Méda an die neue Welt grenzte, aufgebrochen. Pflanzenstränge waren hervorgeschossen und hatten die dreihörnigen Kolosse festgehalten und zurückgezerrt. Ein paar von ihnen waren förmlich überwuchert worden. Die kleineren, intelligenteren Saurier hatten sich dagegen freiwillig in ihre Welt zurückgezogen.
Erst später hatten Piietro und seine Gefährten gemerkt, dass sich dieser Pflanzenwall rings um Méda und den Urwald erstreckte und ein Gebiet umfasste, das fünfzig Kilometer im Durchmesser maß. Piietro, der kurzerhand zum Sprecher ernannt worden war, hatte sofort Boten ausgeschickt, um die Lage in den angrenzenden Siedlungen zu überprüfen. Dabei waren knapp fünftausend Bewohner gezählt worden.
Und dann waren die Echsen zurückgekehrt.
Zunächst hatten sie unbemannte Flugobjekte geschickt, später waren sie mit Flugechsen gekommen. Piietro und seine Leidensgenossen hatten einen Angriff befürchtet. Umso erstaunter waren sie gewesen, als die humanoiden Saurier, die sich Szousss nannten, versucht hatten, friedlich Kontakt aufzunehmen.
Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den Sauroiden um eine hochentwickelte Spezies, die jedoch nicht, wie zuvor angenommen, von einem anderen Planeten stammte. Die Erklärung, die ihnen ein hochgewachsener Szousss namens Rekar präsentierte, war in Piietros Ohren allerdings noch viel Erschreckender gewesen.
Wenn er die Szousss richtig verstanden hatte – und es gab niemanden, der daran gezweifelt hatte –, dann hatte es sie in eine Parallelwelt verschlagen.
Mindoosa und Ramiires hatten sogar einen Schritt weitergedacht. Offenbar hatte es in dieser Parallelwelt nie einen Kometen gegeben, der die Saurier ausgelöscht hatte, sodass sie sich zu der herrschenden Spezies weiterentwickeln konnten.
Die These war von der Entdeckung eines blau wabernden Phänomens im Zentrum von Méda gestützt worden. Dieses Portal hatte sich kurzzeitig stabilisiert, sodass Rekar und zwei ihrer Kollegen hatten hindurchgehen können.
Kurz darauf war von der anderen Seite eine weitere Szousss zu ihnen übergewechselt. Sie hatte sich verstört und aggressiv gezeigt und war von den bewaffneten Echsen, raptorähnlichen Sauriern, die sich Rrukh nannten, fortgebracht worden. Wenig später war die Szousss namens Uuriah mit einem Trupp Soldaten zurückgekehrt.
Bevor sie jedoch das Portal erneut durchschreiten konnten, war es kollabiert.
Die Menschen hatten sich rasch in ihr Schicksal gefügt und versucht, wieder so etwas wie eine Infrastruktur aufzubauen. Zum Glück hatten sie über genügend Nutzvieh und Ackerfläche verfügt, um ausreichend Nahrung zu produzieren. Was ihnen gefehlt hatte, war ihnen von den Sauroiden gebracht worden. Auch wenn man sich darüber einig gewesen war, dass sie für die Echsen vermutlich nicht mehr als intelligente Tiere waren.
Irgendwann hatten sich Huanaa und Piietro mit ihrem Schicksal abgefunden. Ebenso wie viele andere Médaner. Ramiires und Mindoosa hatten sogar damit spekuliert, das Areal zu verlassen, um sprichwörtlich über den Tellerrand zu blicken und die fremde Welt zu erkunden, in die es sie verschlagen hatte.
Uuriah hatte über diesen Vorschlag nachgedacht und in ihrer unnachahmlichen, abgehackten Sprechweise etwas gesagt, das wie »Ssschaun mer mal«, geklungen hatte.
Dazu war es jedoch nicht mehr gekommen, denn nur wenige Tage später waren die ersten Médaner erkrankt. Zuerst hatte es die Älteren erwischt, dann die Jüngsten, und schließlich hatten sich auch Bewohner in mittleren Jahren infiziert.
Der Krankheitsverlauf war stets der Gleiche: Magenkrämpfe, Schüttelfrost, Fieber, Durchfall, Atemnot und schließlich völliges Kreislaufversagen, das unweigerlich zum Tod führte.
Doktor Ramiires und ihre Kollegen hatten zunächst an Tenguu gedacht, ein Fieber, das durch Skiitas* übertragen wurde. Eine Theorie, die bald verworfen worden war, denn keiner der Betroffenen wies Einstichstellen auf.
Die Ärzte standen vor einem Rätsel.
Und jetzt hatte es nicht nur Mindoosa dahingerafft, auch Piietros Sohn drohte der unbekannten Seuche zum Opfer zu fallen, die sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreitete und binnen weniger Wochen fünfhundert Menschen infiziert hatte, von denen bereits ein Drittel verstorben war.
Kein Wunder, dass die Sauroiden nervös wurden und sämtliche Ausflüge in das von Menschen besiedelte Areal eingestellt hatten. Selbst Uuriah hatte sich seitdem nicht mehr blicken lassen.
All dies ging Piietro durch den Kopf, als er hinauseilte und zwei Häuser weiter an die Tür seines Nachbarn Walentiin hämmerte, um sich dessen Horsay zu borgen.
Ein Glück für sie, dass auch das Nutzvieh den Übergang überstanden hatte, darunter die widerstandsfähigen Wakudas, einige Horsays sowie Chiiks und Zeekas*.
Der Nachbar zeigte sich betroffen und erklärte sich sofort bereit, das Horsay zu satteln. »Ich werde sehen, was ich für Huanaa und Zanschoo in der Zwischenzeit tun kann«, murmelte der dicke Walentiin mit dem gutmütigen Blick eines alten Doggars.
Piietro legte seinem Nachbarn die Hand auf die Schulter. »Ich danke dir, mein Freund. Hast du schon das von Mindoosa gehört?«
Walentiin riss die Augen auf. »Nein, sag bloß...«
»Ich fürchte ja.« Piietro nickte traurig.
Sein Nachbar quetschte einen unflätigen Kommentar durch die braunen Zähne. »Wenn Ramiires und ihre Leute nicht bald einen Impfstoff finden, sind wir tot. Dann sind wir alle Echsenfutter.«
Er holte die Horsaystute aus dem Stall. Unwillig warf sie den Schädel in den Nacken und bleckte das beeindruckende Raubtiergebiss. Beruhigend sprach Walentiin auf das Tier ein, bis es sich so weit beruhigt hatte, dass Piietro es satteln konnte.
»Wenn die Sauroiden uns fressen wollten, hätten sie es schon längst getan.«
Walentiin hob die Schultern. »Da hast du auch wieder recht. Diese... Rrukh sehen außerdem nicht so aus, als ob sie gerne Aas fressen würden.«
»Tun sie auch nicht«, erwiderte Piietro und schwang sich in den Sattel. Er grinste schief und nickte seinem Nachbarn dankbar zu. Dann schnalzte er mit der Zunge und gab dem Horsay die Sporen. Wie von der Sehne geschnellt preschte das Tier vorwärts, hinaus aus Méda und hinein in den Urwald.
Piietro musste fast bis ans andere Ende des Areals; eine Strecke, die mit dem Wakuda-Karren durch das unwegsame Gelände den halben Tag gedauert hätte. Eine Strapaze, die er seinem geschwächten Sohn unmöglich zumuten konnte. Trotzdem gab es einige Einwohner, die diese Tortur auf sich nahmen, in der Hoffnung, dass die Ärzte im Bunker die Kranken so lange am Leben erhalten konnten, bis ein Heilmittel gefunden war.
Zwei Wakuda-Karren überholte Piietro auf dem Weg durch den Dschungel, bis er schließlich den Bunkerkomplex erreichte, der ihnen und ihren Vorfahren einst als Unterschlupf gedient hatte, ehe ein weltweiter EMP sie dazu gezwungen hatte, ihn zu verlassen. Er war im Laufe der Jahre von Schlingpflanzen, Flechten und Moosen überwuchert worden und während des Tsunamis voll Wasser gelaufen.
Erst nachdem sie in der Sauroidenwelt gestrandet waren, hatten sie den Bunker wieder instandgesetzt. Ohne die Echsen davon zu unterrichten. Selbst wenn ihr Verhältnis auf gegenseitigem Respekt beruhte, so vermochte niemand zu sagen, ob dies in Zukunft auch so bleiben würde.
Vor dem Bunker hatte sich mittlerweile ein regelrechter Fuhrpark gebildet. Ein Zelt war daneben errichtet worden, in dem jene Menschen lagen, für die keine Hoffnung auf Genesung mehr bestand. Wer dort hingebracht wurde, war dem Tod geweiht.
Piietro zügelte das Horsay und stieg aus dem Sattel. Seine Gelenke schmerzten und die Beine fühlten sich steif an. Der zweistündige Ritt durch den Dschungel hatte an seinen Kräften gezehrt. Die Kleidung lag wie eine zweite Haut am Körper, der Schweiß lief ihm in Bächen über das Gesicht, und die Zunge klebte am ausgetrockneten Gaumen.
Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel und heizte die Luft auf. Die Sauroiden mochten das Wetter genießen, doch für die Menschen war es die reinste Qual. Deshalb war Piietro ja so früh aufs Feld gegangen: um die warmen Mittagsstunden im Schatten verbringen zu können.
Er band das Tier an einen nahen Baum und eilte auf den Bunker zu, als er aus dem Augenwinkel eine Gestalt aus dem Sterbezelt treten sah. Sie trug einen grauen Kittel und eine Gesichtsmaske, die Mund und Nase bedeckte. Auf dem Kopf saß eine Haube, die das grau melierte Haar verbarg.
Anhand der Bewegungen wusste Piietro, wer sich ihm da näherte. Es war Doktor Elna Ramiires, die jetzt die Maske abnahm und ihrem Besucher einen Blick in das erschöpfte Antlitz gewährte, das von tiefen Falten durchzogen war.
Elna Ramiires hatte die Fünfzig bereits um einige Jahre hinter sich gelassen. Momentan sah sie jedoch aus, als wäre sie um zehn weitere gealtert.
»Was ist passiert?«, fragte sie, und ein Hauch von Sorge schwang in ihren Worten mit. Sorge und Resignation. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe und es sah aus, als hätte sie schon seit Tagen nicht mehr geschlafen, geschweige denn etwas Vernünftiges zwischen die Zähne bekommen.
»Zanschoo!«, keuchte Piietro. »Er... hat Fieber und Durchfall.«