Maddrax 615 - Ian Rolf Hill - E-Book

Maddrax 615 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Ein fieser Cliffhanger, ich weiß. Ob Matthew und Haaley überleben werden? Geht am nächsten Morgen die Sonne auf? Ist Jacob Smythe wirklich tot?
All diese existenziellen Fragen - na ja, zwei davon - beantwortet dieser Band. Aber selbst wenn - wenn! - unsere beiden Helden das Sterben ihres gemeinsamen Wirtskörpers überleben sollten, müssen sie immer noch zu ihren eigenen zurück. Mit denen in der Zwischenzeit jedoch etwas geschehen ist, das Matt und Haaley in erneute Verzweiflung stürzen wird. Ihr wisst schon: Falls sie es überhaupt überleben...!


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Seitenzahl: 143

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah...

Das Lazarus-Phänomen

Leserseite

Vorschau

Impressum

Am 8. Februar 2012 trifft ein gewaltiger Komet die Erde – und die Druckwelle drei Beobachtungs-Jets. Der Commander der Staffel, US-Pilot Matthew Drax, kann in den Alpen notlanden und wird von Barbaren gefunden, die ihn »Maddrax« nennen. Statt einer verwüsteten Erde findet er fremdartige Lebewesen und Pflanzen in einer veränderten Geografie. Die Jets wurden durch einen Zeitstrahl um 520 Jahre in die Zukunft geschleudert! Dieser Strahl, der vom Mars zur Erde reicht, ermöglichte einst den Marsbewohnern, den Hydree, eine Übersiedelung. Der vermeintliche Komet war eine Wesenheit namens »Wandler«. Deren Dienerrasse, die Daa'muren, will sich die Erde untertan machen, indem sie Fauna und Flora mutieren und die Menschen verdummen lässt.

Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula beginnt Matt seinen Feldzug. Er findet Freunde – unter anderem die Hydriten, die sich aus den Hydree entwickelt haben –, kämpft gegen die Daa'muren und stößt auf Parallelwelt-Areale, die überall auf der Erde aufbrechen – das Ergebnis von Zeitreisen von Menschen einer fernen Zukunft. Matt und seine Verbündeten können alle schließen, wobei ihnen GRÜN, eine Art Pflanzenbewusstsein der Erde, zur Seite steht.

Auch Colonel Aran Kormak stammt aus einer Parallelwelt – zumindest will er Matt dies weismachen. In Wahrheit ist er sein skrupelloser Zwilling aus dieser Welt, von dem Matt glaubt, er wäre tot. Doch Kormak, Befehlshaber einer Elitetruppe namens Dark Force, verbündet sich mit Matt, als eine neue Bedrohung auftaucht. Denn kaum ist das letzte Areal in Afrika versiegelt, wobei GRÜN beinahe vernichtet wird, sehen sich die Gefährten einer kosmischen Bedrohung namens »Streiter« gegenüber, die noch immer den Wandler auf der Erde vermutet, obwohl der längst weitergezogen ist. In einem furiosen Endkampf gelingt es Matt, den Streiter zu versteinern.

Doch dann verschwindet Aruula mit dem Gleiter RIVERSIDE. Matt und ein Dark-Force-Trupp folgen ihr bis nach Südamerika. Über Peru stürzen sie wegen plötzlichem Energieverlust ab und finden den havarierten Gleiter. Von Aruula keine Spur! Dafür entdeckt Matt das Wrack eines Flugzeugträgers mitten im Dschungel – und eine blinde Passagierin, die mit nach Amraka kam: Haaley, die verrückte Freundin seines toten Erzfeindes Jacob Smythe.

Auf der USS Nimitz trifft Matt auf eine feindlich gesinnte Mannschaft, während sein Trupp dezimiert wird. Die letzte Dark-Force-Soldatin stirbt beim Kampf gegen einen mutierten Jaguar, kann ihn aber erlegen – ein heiliges Tier, wie Matt und Haaley erfahren, als sie von Eingeborenen überwältigt werden. Zusammen mit einer Frau von der Nimitz warten sie auf den Tod, denn auch die Fremden sind Feinde der Indios, seit sie deren Heiligtümer, zwei rote Diamanten, raubten.

Matt und Haaley müssen eine Götterprobe bestehen: den »Spiegel von Pachacámac«, mit dem sich weitere Diamanten herstellen lassen, aus einer Todeszone zu bergen – was ihnen auch gelingt. Sie werden freigelassen und beobachten den Angriff eines Ameisenvolks auf die Nimitz. Ein Indiostamm soll den Schwarm kontrollieren, aber sie stellen fest, dass das Gegenteil der Fall ist: Mabuta, der »vielbeinige Gott«, nimmt sie gefangen. Er wird von einem Pilzgeflecht bedroht, und Matt soll ein Mittel dagegen finden. Auf der Suche nach einem Fungizid lernt er Tschoosch kennen, der früher als Chemiker bei einem Drogenbaron gearbeitet hat und ihm nun hilft, in Med'liin eine Ladung Fungizid samt einem Frachtflugzeug zu stehlen. Mit dem Amphibienpanzer PROTO und einem Lkw schaffen sie das Gift in Mabutas Dorf, wo sie es mit dem Regen verteilen. Zum Dank bringt der »Ameisengott« Matt und Haaley auf die Nimitz, wo sie als Aants vergeblich nach Aruula suchen, aber von einem bevorstehenden Angriff der Soldaten auf Mabuta erfahren... bevor sie in verschiedenen Tieren fliehen müssen, um in ihre Originalkörper zurückzukehren.

Das Lazarus-Phänomen

von Ian Rolf Hill

Matthew Drax starb... wieder einmal.

Wäre die Situation nicht so ernst und verstörend gewesen, hätte er darüber lachen können. Er konnte gar nicht mehr zählen, wie oft er in den letzten Tagen sein Leben verloren hatte und wiederauferstanden war – stets im Körper eines anderen Tieres. Eine einzigartige Erfahrung. Bloß an das Sterben würde er sich wohl nie gewöhnen.

Und man starb schnell hier im Dschungel von Amraka. So wie der Soldat, in den Matts Geist gefahren war, nachdem sein letzter Wirtskörper durch die Detonation einer Handgranate zerfetzt worden war.

Leider war auch der Soldat nicht ungeschoren davongekommen. Matt spürte bereits die kalte Hand des Todes, die sich langsam um sein klopfendes Herz schloss...

Normalerweise war es ein Ding der Unmöglichkeit. Laut Haaley, beziehungsweise Mabuta, waren menschliche Gehirne zu komplex, um den Geist eines weiteren Menschen in sich aufnehmen zu können. Daher wanderten ihre Bewusstseine ja seit geraumer Zeit von einem Tier in das nächste. Seit sie sich in den Körpern von Ameisen an Bord der USS Nimitz geschlichen hatten.

Okkupiert wurde dabei das sich in nächster Nähe befindliche Lebewesen. War dies ein Mensch, wurde der Geist des Körperwanderers abgestoßen und suchte sich einen neuen Wirtskörper.

Dass sich Matt und Haaley in einem sterbenden Soldaten wiederfanden, konnte nur eine Erklärung haben: Dessen Gehirn war derart geschädigt, dass es die fremden Geister nicht mehr abstoßen konnte.

Matts geistiges Gesichtsfeld zog sich zusammen, wurde dunkel an den Rändern. Er ahnte, warum das so war, verdrängte den Gedanken jedoch. Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf.

Unbekannte Menschen, die ihm so vertraut waren, als ob er sie schon sein ganzes Leben lang kennen würde. Seine Schwester lachte ihn an. Er sah sich mit seinen Brüdern raufen.

Matt stutzte. Welche Schwester? Welche Brüder? Er war doch ein Einzelkind.

Eine alte Frau mit gütigem Blick legte ihm die Hand auf die Schulter. Dann auf die Wange. Verkündete, wie stolz sie auf ihn sei. Und obwohl er diese Frau nie zu Gesicht bekommen hatte, wusste er, dass sie seine Mutter war.

Cancers Mutter! Jetzt wusste er plötzlich auch den Namen des Sterbenden.

Der nackte Körper einer dunkelhaarigen Frau schmiegte sich an ihn. Das war nicht Aruula... das war... Jelena?

Jelena, die erschöpft und glücklich ein Neugeborenes an ihre Brust drückte. Pepe! Sein Sohn!

Nein, nicht sein Sohn, sondern der von Cancer, dessen Körper von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Matt schmeckte den Geschmack von Blut auf der Zunge, teilte den Schmerz des Sterbenden. Den physischen ebenso wie den psychischen, der so viel grausamer war, denn er ging mit der Gewissheit einher, dass er seine Liebsten nie wiedersehen würde.

Nie wieder... nie wieder... nie wieder...

Matt schluchzte, würgte, hustete. Blut sprühte in feinen Tropfen von seinen, nein, Cancers Lippen.

»Frère Jacob, Frère Jacob. Dormez-vous, dormez-vous...«

Verwirrt hielt Matts Bewusstsein inne. Was war das für ein Lied? Erst dachte er an Haaley, doch es war nicht ihre Stimme. Aber wer...?

»Sonnez les matines, sonnez les matines.«

Ein Schatten trat in sein schmales Sichtfeld – und nahm die Gestalt eines etwa zehnjährigen Mädchens an, das in schmutzige, zerlumpte Kleidung gehüllt war und neben ihm in die Hocke ging, die Arme locker auf den Knien.

»Hallo, ich bin Choyganmaa! Kannst du mich sehen?«

Sie neigte den Kopf und streckte eine Hand aus, als wollte sie seine rechte Gesichtshälfte berühren. »Sieht aus, als würde es wehtun. Tut das weh?«

Ein Finger bohrte sich in das offene Fleisch. Oder bildete er sich das bloß ein? Er wollte etwas sagen, doch es drang nur ein blubberndes Ächzen über Cancers Lippen.

»Du musst deutlicher sprechen«, beschwerte sich das Mädchen. »Sonst kann ich dich nicht verstehen. Ich suche meine Schwester, Ewgenija. Hast du sie gesehen? Ist sie vielleicht da drin?« Sie klopfte an seine blutige Stirn. »Hallo, Ewi! Bist du da drin?« Choyganmaa lachte. »Klar bist du da drin, sonst wäre ich ja nicht hier. Was ist los? Hat es BUMM gemacht? Das geschieht dir recht.« Choyganmaas Gesicht verzog sich vor Wut, Abscheu und Hohn. »Jetzt weißt du, wie das ist.«

Sie stand auf und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Also, was sagst du, Ewi? Erstickst du lieber, als zu gestehen, was du mir angetan hast? Was du uns angetan hast? Ja, ersticken sollst du daran. Und damit würdest du echt glimpflich davonkommen, weißt du?«

Ooooh... wer wohnt in 'ner Ananas, ganz tief im Meer? Das war Haaleys Stimme!

»Sponschpfropf Schwammkopf«, erwiderte Choyganmaa. »Ja, sehr witzig, Ewi. Aber nicht besonders höflich. Du könntest mich wenigstens deinem Freund Mattie vorstellen. Ich weiß nämlich, dass auch er da drin ist.«

Hör auf! Hör auf damit! Haaleys Geiststimme brüllte, doch sie konnte Choyganmaa nicht übertönen.

Die nahm im Schneidersitz neben dem Sterbenden Platz. »Tut mir leid, aber du weißt selbst, dass ich das nicht kann. Aber ich werde auch ganz lieb sein. Ich erzähl' Mattie jetzt eine Geschichte.«

Frère Jacob, Frère Jacob. Dormez-vous, dormez-vous...

»Neeeein. Du verrätst ja schon das Ende!«

Das Mädchen beugte sich vor und tat so, als würde es dem Sterbenden den Mund zuhalten, obwohl der Gesang eindeutig in seinem Kopf erklang.

»Also, es war einmal ein Mann, der hatte vier Töchter...« Bilder prasselten auf Matt ein, schwemmten jede Erinnerung an Jelena, Aruula, Pepe und alle, die Cancer wichtig waren, hinweg.

»Dreimal darfst du raten, wer sein kleiner Liebling gewesen ist«, fuhr Choyganmaa fort. Sie wiegte den Kopf. »Tausendmal berührt... tausendmal ist nichts passiert... tausendundeine Nacht... und er hat... du weißt schon.«

Sonnez les matines, sonnez les matines.

Choyganmaas kindliches Antlitz verzog sich vor Hass. Sie sprang auf. »Also gut, wenn du die Geschichte erzählen willst, bitte. Aber lass nicht wieder die Hälfte weg.« Selbstvergessen begann sie zu tanzen. »Tausendmal krepiert. Tausendmal ist nichts passiert. Tausendundeinmal aufgewacht. Und dann hat's BUMM gemacht!«

Schatten wallten in Matts Blickfeld, das immer dunkler wurde. Gleichzeitig klangen Geräusche auf, die er nur zu gut kannte: Ein Fauchen. Ein Fiepen. Ein Kratzen. Ein Hecheln.

Taratzen!

Aber nicht hier im Dschungel, sondern in seinem Verstand – oder vielmehr: in Haaleys Verstand!

»Willkommen in meiner Welt«, sagte Choyganmaa mit Haaleys Stimme.

Das Schaben und Kratzen, mit dem sich die Taratzen einen Weg in das Innere des Kellerraums bahnen wollten, blieb für lange Zeit das einzige Geräusch, das in der Finsternis widerhallte. Ab und zu vernahm Ewgenija das Fauchen und Quieken vereinzelter Tiere.

Ihre Finger umklammerten den Driller, als wollten sie ihn zerbrechen. Hektisch nagte sie an ihrer Unterlippe. Saugte das Blut heraus und schluckte es herunter.

So wie sie es schon seit Tagen immer wieder tat. Oder waren es bloß Stunden gewesen?

Die Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit verschwammen in einem diffusen Nebel. Sie konnte sich an keine Einzelheiten erinnern. Nur an das furchtbar schreckliche Gefühl nagenden Hungers. Und an rohes Fleisch, mit dem sie ihn zu stillen versucht hatte.

Von Choyganmaa hatte sie schon eine Ewigkeit nichts mehr gehört, vermutlich war sie eingeschlafen. Gut so, im Schlaf würden sie Hunger, Durst und Angst nicht so quälen.

Ewgenija aber würde nicht schlafen, das hatte sie sich geschworen. Sie würde alles tun, um wachzubleiben und ihre Schwester zu beschützen.

Außerdem warteten irgendwo da draußen noch die Zwillinge, Aksinja und Jevdokija, dass ihre große Schwester Ewgenija sie vor den Taratzen rettete, die in Heerscharen über Piita hergefallen waren.*

»Sie sind tot!«, sagte Choyganmaa.

»Nein, nein, nein«, entgegnete Ewgenija. »Das sind sie nicht. Ich kann doch hören, wie sie rufen.«

Ihre jüngere Schwester kicherte. »Du hast den Verstand verloren.«

»Hör auf. Die Einzige, die den Verstand verloren hat, bist du. Und jetzt schlaf weiter.«

»Kann nicht. Ich hab' solchen Durst. Und Hunger. Mein Bauch tut weh, so hungrig bin ich. Ich... ich könnte ein ganzes Piig essen, ich schwör's. Oder eine Taratze. Glaub mir, ich bin so hungrig, ich würde sogar Aksinja essen. Oder Jevdokija. Was eigentlich egal ist, weil sie genau gleich aussehen. Bist du nicht auch hungrig, Ewi? Ewi, sag doch was! Bist du hungrig?«

»Hör auf!«

Ein Quieken vor der Tür. Ein heftiger Schlag erschütterte die stählerne Tür. Stein und Mörtel knirschten, etwas rieselte auf den harten Boden.

»Prima! Jetzt hast du auch noch die Taratzen geweckt. Werden die eigentlich nicht müde? Oder hungrig? Nein, bestimmt nicht. Sie haben ja gerade erst die Zwillinge gefressen. Die haben Zeit. Früher oder später wirst du die Tür aufmachen. Und dann...«

»Halt den Mund.«

»... werden Sie...«

»Du sollst still sein, verflucht!«

»... dich fressen!«

»Vorher werde ich dich hinauswerfen. Woll'n doch mal sehen, wen sie dann fressen.«

Choyganmaa prustete los. »Mich? An mir ist doch nichts mehr dran.«

»Aaah!«, brüllte Ewgenija und hielt sich die Ohren zu. Ein Knall ließ sie zusammenfahren. So laut, dass ihr die Ohren klingelten, obwohl sie beide Handballen dagegen presste.

Für eine Sekunde wurde der Keller von einem grellen Blitz erhellt. Choyganmaas blutiges Grinsen fraß sich in Ewgenijas Netzhäute. Dann stülpte sich die Dunkelheit wieder über ihr Gefängnis. Putz und Mörtel rieselten von der Decke. Ein Schuss hatte sich versehentlich gelöst.

»Gute Idee, Ewi. Bring dich selbst um. Erspar uns weitere Peinlichkeiten und mach ein Ende. Schieb dir den Lauf in den Mund und drück ab. Aber mach vorher bitte die Tür auf. Dann haben die Taratzen wenigstens etwas davon. Wäre doch jammerschade, wenn dein straffes Fleisch hier drinnen verrottet.«

Ewgenija stand auf. Sie hielt es keine Sekunde länger in diesem Verlies auf, eingesperrt mit der ewig nörgelnden Choyganmaa. Doch das lange Sitzen hatte sie schwach werden lassen. Sie brach zusammen wie ein neugeborenes Wakuda*-Kalb.

Ihre rechte Hand berührte etwas Feuchtes, Schwammiges und zugleich Glitschiges, das sich zwischen ihren Fingern in sämigen Brei verwandelte. Angewidert wischte sie die Hand an der Hose ab, kroch auf allen vieren auf die stählerne Tür zu.

»Ja«, wisperte Choyganmaa und giggelte in heller Vorfreude. »Nun mach schon!«

Ewgenija zögerte. Es war nicht das Geringste zu hören. Nur ein hohes Pfeifen, ausgelöst durch die Explosion. Vermutlich konnte sie deshalb die Taratzen nicht hören. Doch das war ihr egal. Alles war ihr egal. Choyganmaa hatte recht. Sollten wenigstens die verdammten Riesenratten ihren Hunger stillen. Aber leicht würde sie es den Biestern gewiss nicht machen.

Ewgenijas Finger schlossen sich wieder fester um den Driller. Entschlossen legte sie die rechte Hand auf den oberen Riegel der Tür, schob ihn zurück. Wartete.

Nichts geschah.

Kein Schlag, der von außen an die Tür krachte. Kein Schaben und Kratzen, Fauchen und Kreischen. Nur das verdammte Fiepen.

»Bist du sicher, dass es keine Taratzenbabys sind?«, stichelte Choyganmaa hinter ihr.

Ewgenija grunzte. »Selbst Taratzenbabys müssen irgendwann mal Luft holen.«

Mit diesen Worten schob sie den zweiten Riegel zur Seite, hielt selbst die Luft an und lauschte. Wieder passierte nichts.

Das Mädchen schluckte. Und öffnete den dritten und letzten Riegel.

Mit einem durch Mark und Bein dringenden Quietschen schwang ihr die Tür entgegen. Grelles Licht blendete Ewgenija, die unwillkürlich zurückwich, den Driller mit beiden Fäusten vor sich haltend. Doch die Mündung fand kein Ziel.

Ewgenija verharrte vor der Schwelle kniend. Die Waffe in ihren Händen schien Zentner zu wiegen. Ihre Arme zitterten. Jeden Moment erwartete sie, den Schatten einer Taratze zu sehen, der sich über sie beugte, das Maul mit den dolchspitzen Zähnen aufgerissen, die krallenbewehrten Klauen zum Schlag erhoben.

»Du weißt, dass ich dir das hier niemals verzeihen werde, nicht wahr?«

Choyganmaas Stimme riss Ewgenija aus ihrer Starre. Sie ließ die Arme sinken, wandte sich um und verharrte mitten in der Bewegung. Aus dem Augenwinkel erblickte sie ihre Schwester, die sich zu den blutigen Überresten hinunterbeugte. Sie hatte den Kopf gedreht, um Ewgenija anzuschauen; mit einer Hand hielt sie ihre Haare zurück. »Niemals!«

Ewgenija schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Sie wusste, dass ihr Verstand nur noch an einem seidenen Faden hing, der unweigerlich reißen würde, sobald sie sich gänzlich umdrehte, um mit eigenen Augen zu sehen, was sie getan hatte.

Deshalb sagte sie nur: »Ich weiß!«

Und wandte sich wieder der offenen Tür zu. Wie aus dem Nichts tauchte der Schatten auf, beugte sich vor und streckte den Arm nach ihr aus.

»Tausendmal krepiert. Tausendmal ist nichts passiert.«

Ccahuantico zuckte zurück. Er hatte die Hand ausgestreckt, um nach dem Herzschlag des Mannes zu tasten, der dem Tod eindeutig näher war als dem Leben. Sehr viel näher. Tatsächlich hatte Ccahuantico keinen Zweifel daran gehegt, dass er den großen Fluss längst überquert hatte.

Er war auch bloß zurückgekehrt, weil ihn sein schlechtes Gewissen geplagt hatte. Die Soldaten waren zwar nicht unbedingt freundlich mit ihm umgegangen, doch er hätte es sich niemals verziehen, hätte er einen der Männer schwer verletzt zurückgelassen, ohne wenigstens den Versuch zu unternehmen, ihm zu helfen.

Und auch wenn er nichts tun konnte, um ihr Leben zu retten, so konnte er ihnen vielleicht wenigstens in den letzten Minuten ihres irdischen Daseins beistehen.

Dabei hatte er selbst dringend Erholung nötig. Zuerst war er von einem der Soldaten niedergeschlagen, dann von einem Sturm aus Hitze und Feuer zu Boden geworfen worden. Noch jetzt klingelten ihm die Ohren. Sein Schädel fühlte sich an, als hätte eine Horde Monkees damit Ball gespielt. Dessen ungeachtet war er jedoch unversehrt – was man von den beiden Soldaten nicht behaupten konnte.

Einer von ihnen war bereits tot gewesen, als Ccahuantico von Furcht getrieben die Lichtung verlassen hatte. Der riesige Kondor, dessen zerfetzter Kadaver nur wenige Schritte entfernt lag, hatte ihm den Brustkorb aufgerissen. Der Tod musste praktisch sofort eingetreten sein.

Bei seinem Kameraden sah die Sache anders aus. Er war bei der Explosion, die den Monstervogel getötet hatte, schwer verletzt worden.* Die Metallsplitter hatten den Körper des Mannes förmlich perforiert; die gesamte rechte Gesichtshälfte war mitsamt dem Auge weggerissen und verschmort.