Magersucht: Rätselhaft, leidvoll ... und heilbar! (GEO eBook Single) -  - E-Book

Magersucht: Rätselhaft, leidvoll ... und heilbar! (GEO eBook Single) E-Book

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Beschreibung

Ein junges Paar. Zwei, die einander »mein Lieblingsmensch« nennen. Dann bricht eine Krankheit ein in das Leben: Carli (Name von der Redaktion geändert) wird magersüchtig. Ihre monatelange Therapie wird für beide zu einer Höllenfahrt. Doch sie halten durch – und vor allem: zusammen. Philipp Brandstädter hat die schmerzhafte Genesung seiner Freundin protokolliert Die großen Themen der Zeit sind manchmal kompliziert. Aber oft genügt schon eine ausführliche und gut recherchierte GEO-Reportage, um sich wieder auf die Höhe der Diskussion zu bringen. Für die Reihe der GEO-eBook-Singles hat die Redaktion solche Einzeltexte als pure Lesestücke ausgewählt. Sie waren vormals Titelgeschichten oder große Reportagen in GEO.

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Seitenzahl: 26

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Herausgeber:

GEO

Die Welt mit anderen Augen sehen

Gruner + Jahr GmbH & Co KG,

Am Baumwall 11, 20459 Hamburg

www.geo.de/ebooks

Inhalt

Unsere Magersucht

Von Philipp Brandstätter

Zusatzinfos

Akute Hilfe: Dem Hunger begegnen

Unsere Magersucht

Ein junges Paar. Zwei, die einander »mein Lieblingsmensch« nennen. Dann bricht eine Krankheit ein in das Leben: Carli (Name von der Redaktion geändert) wird magersüchtig. Ihre monatelange Therapie wird für beide zu einer Höllenfahrt. Doch sie halten durch – und vor allem: zusammen. Philipp Brandstädter hat die schmerzhafte Genesung seiner Freundin protokolliert

Von Philipp Brandstätter

Am schlimmsten Tag liegt das, was noch von ihr übrig ist, in meinen Armen und hört nicht mehr auf zu weinen. Sie fühlt sich fremd an. Als wäre sie zerbrochen. Sie riecht nach Hunger, Verzweiflung – und diesem abartigen Fruchtkaugummi. Würde ich es wagen, ihr ins Gesicht zu sehen, ich würde kaum mehr die Frau erkennen, in die ich mich vor sieben Jahren Hals über Kopf verliebt habe.

Ihre Stimme ist mir noch vertraut. Sie sagt: Ich kann nicht mehr.

Ich weiß nicht mehr, wann die Krankheit da war. Vielleicht fing es an, als sie sich nicht mehr in Kleidergröße 38 gefiel. Vielleicht, als sie begann, Kalorientabellen auswendig zu lernen. Oder als sie jeden Tag joggte und sich zu Pilates-Videos auf dem Teppich dunkelrote Fransenabdrücke in die Unterarme turnte.

Wir kochten vegan. Sie züchtete Kresse, pürierte Macadamianüsse zu Sahnesoße, knetete Seitanmatsch zu Steaks. Was hätte ich an einem bewussten Lebensstil aussetzen sollen?

Kurz darauf war ihr Wunsch nach einem gesunden Leben dem Wunsch nach Selbstzerstörung gewichen. Plötzlich waren nicht nur alle tierischen Produkte, sondern auch alle Fette und Kohlenhydrate tabu und nur noch ein paar Gemüsesorten erlaubt, die sie mit Litern von heißem Malzkaffee hinunterschüttete.

Jetzt sitzt Carli auf meiner Couch, das verrotzte Taschentuch in der einen, die leere Halbliterflasche Cola Zero in der anderen Hand. Studiert die Nährwerttabelle auf dem Etikett, null, null, noch mal null. Zwei Bubblemint zwischen den Kiefern mahlend, schlägt sie ihre knochigen Knie im Viervierteltakt gegeneinander, Tränen im Gesicht, Wut im Bauch und nicht ein einziges Wort im Raum.

Sie hat die Kontrolle verloren, und ich habe keinen Schimmer, wie das geschehen konnte. Wer sich verlaufen hat, merkt es erst, wenn es zu spät ist.

Die Magersucht beginnt als Idee. Als Projekt, das Zeit und Mühe in Anspruch nimmt und Unglück in Glück verwandeln soll. Dann spielt sich der Hunger in den Vordergrund. Erst bereitet er Schmerzen, aber auch Bestätigung. Menschen mögen schöne Körper. Menschen schätzen Disziplin.

Irgendwann beginnen Menschen, skeptisch zu gucken. Die einen aus Neid, die anderen aus Sorge. Sie sind überrascht – und sie schenken Aufmerksamkeit. Der Körper verändert sich. Wenn er seine Ressourcen verpulvert, kann er verdammt viel leisten. Einmal im Tunnel, läuft der Organismus wie von selbst. Wie im Rausch.

Dann verengt sich der Fokus. Der Alltag ragt nicht mehr über den Tellerrand hinaus, alles dreht sich ums Nichtessen. Der Hunger ist omnipräsent, verschleiert Gefühle wie Angst oder Liebe. Der Blick in den Spiegel verzerrt das Selbstbild. Bis es schließlich keine Option mehr ist, einfach aufzuhören mit dem Verzichten.