Magic Embers - Helen Harper - E-Book
SONDERANGEBOT

Magic Embers E-Book

Helen Harper

0,0
6,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine neue magische Kraft, eine mysteriöse Bedrohung - unzählige neue Herausforderungen ...

Gerade als die junge Ermittlerin Emma Bellamy denkt, dass sie ihre Vergangenheit und ihre Phönix-Kräfte verstanden hätte, wird ihr Leben erneut durcheinandergewirbelt. Sie hat die Fähigkeit erhalten, kurze Momente aus der Zukunft zu sehen. Nicht nur kann Emma diese magische Kraft nicht richtig kontrollieren, auch ihr Partner, der attraktive Vampirlord Lukas Horvath, ist alles andere als angetan von dieser neuen Entwicklung. Doch als hätte Emma nicht genug damit zu tun, ihre Beziehung zu retten und ihre Zukunftsvisionen zu verstehen, trifft sie auf eine weitere Herausforderung: Jemand behauptet, der wahre Phönix zu sein, und wirft Emma Betrug vor. Eine Anschuldigung, die ihre bisherige Arbeit als Ermittlerin infrage stellt und sie vor bisher ungeahnte Herausforderungen stellt ...

Band 7 der FIREBRAND Reihe

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 346

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Helen Harper bei LYX

Impressum

HELEN HARPER

Magic Embers

Roman

Ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann

Zu diesem Buch

Eine neue magische Kraft, eine mysteriöse Bedrohung – unzählige neue Herausforderungen … 

Gerade als die junge Ermittlerin Emma Bellamy denkt, dass sie ihre Vergangenheit und ihre Phönix-Kräfte verstanden hätte, wird ihr Leben erneut durcheinandergewirbelt. Sie hat die Fähigkeit erhalten, kurze Momente aus der Zukunft zu sehen. Nicht nur kann Emma diese magische Kraft nicht richtig kontrollieren, auch ihr Partner, der attraktive Vampirlord Lukas Horvath, ist alles andere als angetan von dieser neuen Entwicklung. Doch als hätte Emma nicht genug damit zu tun, ihre Beziehung zu retten und ihre Zukunftsvisionen zu verstehen, trifft sie auf eine weitere Herausforderung: Jemand behauptet, der wahre Phönix zu sein, und wirft Emma Betrug vor. Eine Anschuldigung, die ihre bisherige Arbeit als Ermittlerin auf den Prüfstand und Emma vor bisher ungeahnte Herausforderungen stellt …

1

Mein missmutiges Stöhnen drang durch das halb dunkle Zimmer. Die junge Gremlinfrau in der Ecke gegenüber, die gebeugt über einem Laptop saß, dessen schwacher Schein ihrer Miene etwas Unheimliches verlieh, reagierte mit genervtem Kopfschütteln und einem energischen »Pssst!«.

Ich zog eine Grimasse, und obwohl mir klar war, dass sie das nicht hatte sehen können, fühlte ich mich ein wenig schuldig. Dann schlug ich das schwere Buch zu und legte es auf den Stapel der vergeblich eingesehenen Titel. Seit Tagen kam ich in die Arkane Abteilung der Carlyle Bibliothek und hatte über unzähligen neuen und alten Büchern gegrübelt, doch keines hatte mir Hinweise darauf geliefert, wie eine Kassandra ihre magischen Fähigkeiten loswerden mochte.

Bittere Wut übermannte mich. Ich machte mir Sorgen um mein Leben, meine Zukunft und wollte keine Prophezeiungen ausstoßen oder mich mit Visionen dessen herumschlagen, was da kommen würde; ich hatte bereits genug um die Ohren.

Schon hob ich die Hand, um den Bücherstapel grollend vom Tisch zu fegen, besann mich aber eines Besseren, schob den Stuhl zurück und stapfte zu den entferntesten Regalen. Ich hatte gewiss etwas übersehen. Irgendwo musste doch ein Hinweis darauf zu finden sein, was ich tun konnte, doch ich hatte fast alle Regale durchgearbeitet und kaum noch Aussicht auf Erfolg.

Ich griff mir einen schweren, fast zehn Zentimeter dicken Wälzer, den ich bereits konsultiert hatte. Beim ersten Mal war ich nur das Sachregister durchgegangen. Vielleicht hatte ich ihn mir also nicht aufmerksam genug angeschaut.

Ehe ich das Buch allerdings an meinen Tisch schleppen konnte, vibrierte es in meiner Jacke. Ich runzelte die Stirn: Der Empfang hier unten war höchstens durchwachsen, darum war es fast ein Wunder, dass mich ein Anruf erreichte. Ich stellte das Buch wieder an seinen Platz und zog das Handy heraus. Der Anruf kam von Detective Chief Inspector Lucinda Barnes. Das verhieß nichts Gutes.

Ich drückte den kleinen grünen Knopf und wollte mich freundlich-professionell melden. Barnes war immerhin meine Vorgesetzte, und ich respektierte sie aufrichtig.

»Was gibt’s?«, bellte ich stattdessen ins Telefon und erschrak über mich selbst.

Es rauschte in der Leitung. »… Bellamy? … brauche … bekomme … Problem …«

Von der fleißigen Gremlinfrau kam ein »Tsk, tsk«. Ich ignorierte es, musterte mein Handy finster und hielt es in die Höhe, um besseren Empfang zu haben.

»Kommen … Hauptquartier … besten …«

Ich verdrehte die Augen. »Die Verbindung ist schlecht«, sagte ich laut und deutlich. »Ich verstehe Sie nicht richtig und bin gerade beschäftigt. Rufen Sie besser DS Grace an und fragen Sie ihn.«

Als Antwort kam nur statisches Rauschen. Wieder besah ich mir das Handy, begriff, dass wir getrennt worden waren, und seufzte. Mist. Ich sollte mich wohl doch vergewissern, was Barnes von mir wollte.

Im Supernatural Squad war es fast ewig ruhig gewesen. Letzte Woche hatte ich mich nur um einen Diebstahl kümmern müssen, bei dem sich dann herausstellte, dass der Eigentümer sich nur falsch erinnerte, wo er sein Fahrrad abgestellt hatte. Und ein paar Pixies hatten sich über törichte Graffiti aufgeregt. Ich brauchte etwas, worauf ich mich über meine eigenen Probleme hinaus konzentrieren konnte, doch trotz größter Anstrengungen ließen sich der Carlyle Bibliothek keine hilfreichen Geheimnisse entlocken.

Ächzend räumte ich die Bücher in die Regale zurück und wandte mich zum Gehen. Als ich meine Tasche nahm, funkelte die junge Gremlinfrau mich an. »Tut mir leid wegen des Lärms«, sagte ich.

Ihre Nase zuckte. »Ich versuche zu arbeiten!«

Die Jugend von heute. »Tut mir leid«, wiederholte ich aufrichtig. Mir war klar, dass ich mich und meine Gefühle in den Griff bekommen musste, aber wie? Ich nickte ihr zu, um meiner Entschuldigung Nachdruck zu verleihen, gelobte mir im Stillen, mich zu bessern, und ging. Die Lösung für meine Probleme würde ich nicht in Büchern finden. Diesmal nicht.

Draußen in der Wärme des Frühsommers wollte ich Barnes zurückrufen, doch sie ging nicht dran. Unserem bruchstückhaften Telefonat hatte ich entnommen, dass ich ins Hauptquartier der Metropolitan Police kommen sollte. New Scotland Yard war nicht sehr weit entfernt, und ich machte mich widerwillig auf den Weg.

Ich achtete nicht weiter auf die drei Vampire, die sich von der Mauer der Carlyle Bibliothek lösten und mir folgten. Sollten nur sie mir Sorgen bereiten, würde ich damit fertigwerden. Ehe ich aber die Busspur gekreuzt hatte, um zu Tallulah zu gelangen und die kurze Fahrt zu Barnes zu machen, gesellte sich leider eine weitere Vampirin zu mir.

»Guten Tag, Detective«, sagte sie.

Ich sah Scarlett nicht an und fragte sie nicht, warum sie gekommen war, sondern schob nur die Hände in die Taschen und ging weiter. Trotz ihrer außergewöhnlichen Stilettos hielt sie mit mir Schritt. Sofern ich nicht losrannte, um ihr zu entkommen, würde ich diesem Gespräch nicht entgehen. Mit finsterer Miene erwartete ich das Unausweichliche.

»Wir sind angewiesen«, begann sie mit einschmeichelnder Stimme, die mir schwer auf die Nerven ging, »uns Ihnen nicht zu nähern.«

»Und doch bist du gekommen.« Ich wies mit dem Daumen auf das Vampirtrio hinter uns. »So wie die drei.«

»Die halten Abstand«, erklärte Scarlett heiter, »und folgen Ihnen nur, um für Ihre Sicherheit zu sorgen.«

Lukas wusste, dass ich auf mich achtgeben konnte und keine Babysitter brauchte, aber es hatte keinen Sinn, mit Scarlett zu diskutieren. Dies alles war nicht ihre Schuld. Und auch nicht die von Lukas.

»Hast du keine Angst, dass jemand dich verpetzt?«, fragte ich.

»Ich bin meinem Herrn gegenüber völlig loyal«, gab sie zurück. »Aber manchmal weiß er nicht, was gut für ihn ist. Sie wissen das anscheinend auch nicht. Seit Wochen stürmt er durch die Gegend und beschimpft die Leute bei kleinsten Fehlern, oft genug grundlos. Wird Zeit, dass jemand das unterbindet.«

»Meine Beziehung zu Lukas Horvath geht dich nichts an«, erwiderte ich eisig und wich einigen Anzugträgern aus, die große Augen machten und Scarlett mit aus dem Mund hängender Zunge musterten. Nun erst betrachtete ich sie näher und stellte fest, dass sie einen hautengen Catsuit aus rotem Leder trug. Für das Zurückhaltende und Unauffällige war sie einfach nicht zu haben.

»Ich bitte Sie nicht, mir zu verraten, wo das Problem liegt«, gab sie zurück. »Aber bitte sagen Sie es ihm. Er hat Ihnen einen Antrag gemacht, und Sie haben die Flucht ergriffen. Jetzt ist er verwirrt und wütend und verdient zumindest eine Erklärung.«

Trauer stieg in mir auf und wollte mich überwältigen. Ich unterdrückte sie mühsam, doch der stechende Schmerz in meinem Herzen wollte nicht weichen.

»Er liebt Sie«, sagte Scarlett, »von ganzem Herzen. Bis neulich glaubte ich, Sie empfinden genauso. Falls es anders ist und Sie mit ihm nur gespielt haben, verdient er das von Ihnen zu hören, damit er sich eine andere suchen kann.«

Wut durchzuckte mich. Ich blieb stehen, wandte mich ihr zu und bleckte knurrend die Zähne, doch Scarletts Miene änderte sich nicht. »Ich habe nicht ›mit ihm gespielt‹. Und ich liebe ihn so sehr, wie er mich liebt.«

Auch in ihren Augen glomm nun ein Funken Zorn. Sie war wegen Lukas hier und wollte ihn nur schützen. »Was ist dann Ihr Problem?«, fauchte sie mich an.

Zwischen uns schwelte die Ahnung von Gewalt. Ich trat einen Schritt zurück, um Platz und klare Verhältnisse zu schaffen. »Er hat mir gesagt, er habe dir fünf Millionen Pfund gegeben, damit du einen Ring erwirbst, der seinen Träger die Zukunft sehen lässt; und den habe er dann zerstören lassen.«

Zwischen ihren Augen erschien eine kaum sichtbare Falte. »Geht es etwa um Geld?«, fragte sie ungläubig.

»So ein Unsinn«, fuhr ich sie an. »Es geht um Macht. Lukas verabscheut die Vorstellung, dass es so einen Ring gibt, und er verabscheut Kassandren, die ebenfalls in die Zukunft blicken können. Er ist da vernagelt. Ihm ist klar, dass es sich um ein blankes Vorurteil handelt und die Kassandren nichts dafür können, und doch hasst er sie.«

Scarlett zuckte die Achseln. »Und?« Ich verschränkte die Arme und musterte sie durchdringend. »Moment«, sagte sie langsam. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie eine …«

Ich nickte knapp und verärgert.

Ihr fiel die Kinnlade herunter. »Sie waren die ganze Zeit eine Kassandra und haben es verschwiegen?«

»Nein, es ist eine neue Entwicklung.« Ich fluchte leise und wusste nicht, warum ich Scarlett all das erzählte, denn ich hatte noch mit niemandem darüber gesprochen. Vielleicht hielt ich sie für die einzige Person, die mich womöglich verstand. Schließlich kannte sie Lukas, vermutlich besser als ich.

»Hör mal«, fuhr ich fort, »ich weiß, dass Lukas mich liebt, daran habe ich keine Zweifel. Aber ich bin jetzt eine Kassandra, und ich weiß, wie sehr er diese Wesen hasst. Wenn ich ihm erzähle, was mit mir passiert ist, was ich geworden bin, wird er mich umarmen und küssen und sagen, dass alles gut wird. Das wird er auch sich selbst sagen. Er wird glauben, dass er mich weiter lieben kann und wir auch in Zukunft eine harmonische Partnerschaft haben.«

Scarlett musterte mich mit taubem Entsetzen.

»Und dann«, fügte ich bitter hinzu, »werde ich die nächsten Monate und Jahre zuschauen, wie sich die Liebe in seinem Blick in Abneigung verwandelt. Es wird ein langsamer Tod sein, kein schneller. Und er hat Besseres verdient.« Ich schniefte. »Genau wie ich. Also muss es so sein.«

Scarlett sagte nichts.

»Ich wüsste zu schätzen, wenn du ihm von all dem nichts erzählst«, setzte ich förmlich hinzu. Noch immer kam von ihr kein Wort. »Scarlett«, sagte ich mahnend.

Sie hob begütigend die Hände. »Ich erzähle ihm nichts, das steht mir nicht zu. Aber Sie machen sich etwas vor, wenn Sie denken, Sie könnten es vor ihm verheimlichen. Er wird nicht im Dunkeln verschwinden, nicht, wenn es um Sie geht. Früher oder später müssen Sie ihm die Wahrheit sagen.«

Ich sah weg. Womöglich würde ich ein Heilmittel finden. Und wenn nicht, würde die Pause mir womöglich die nötige Kraft geben, Lukas nicht nur die Wahrheit zu sagen, sondern ihn auch erkennen zu lassen, dass unsere Beziehung zu Ende gehen musste. Ich konnte es nicht ertragen, seine Liebe für mich sich in Hass verwandeln zu sehen. Dafür war ich nicht stark genug.

»Wer weiß noch davon?« Scarletts Stimme klang nun viel weicher.

Eine Träne lief mir über die Wange, und ich wischte sie mit der Faust weg. »Niemand. Du bist die Einzige, der ich davon erzählt habe.«

Mit offenkundigem Unbehagen trat sie von einem Fuß auf den anderen. »Sie können das nicht für immer geheim halten. Echte Kassandren vermögen ihre Visionen nicht zu beherrschen und haben oft nicht unter Kontrolle, was sie sagen.«

Missmutig hob ich die Hände. »Das ist ein gewichtiger Teil des Problems.«

Scarlett fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und ließ ihren einzigen Fang sehen. »Das ist mir klar.«

Mit ihrem Mitgefühl konnte ich schlechter umgehen als mit ihrer Wut. Ich trat noch einen Schritt zurück und wollte dringend weg.

»Ich sage es ihm nicht«, wiederholte Scarlett. »Aber er wird es herausfinden. Falls Sie vorher jemanden zum Reden brauchen, bin ich für Sie da, Emma. Jederzeit.« Sie griff in die winzige Handtasche, die ihr von der Schulter baumelte, und zog einen kleinen weißen Umschlag heraus. »Den wollte ich Ihnen sowieso geben, also können Sie ihn auch jetzt nehmen. Da steht meine Telefonnummer drin. Rufen Sie mich an. Wann immer es nötig ist.«

Ich schluckte vernehmlich. Scarlett und ich waren zwar nicht verfeindet, aber auch nie Freundinnen gewesen, und ihr Angebot, mir zu helfen, war fast zu viel. »Danke«, flüsterte ich und nahm den Umschlag. »Was ist da drin?«

Sie lächelte schwach, und ich bemerkte plötzlichen Widerwillen in ihrem Blick. Sie wollte es mir nicht sagen, aber ich würde es ohnehin früher oder später herausfinden. »Eine Hochzeitseinladung.«

Mir klappte die Kinnlade herunter. Kein Wunder, dass sie es mir nicht hatte sagen wollen. »Zu deiner Heirat?«

Sie nickte. So ernst unser Gespräch auch war, vermochte sie das Strahlen in ihren Augen nicht zu unterdrücken.

»Mit …« Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Mit Devereau Webb?«

»Verrückt, oder?« Sie hob bedeutungsvoll die Brauen. »Wenn dieser Werwolf und ich uns zusammenraufen können, schaffen Sie das mit Lord Horvath auch.«

Da war ich mir nicht so sicher. »Ich gratuliere. Er kann sich glücklich schätzen!« Sehr glücklich sogar.

»Auf jeden Fall.« Sie zwinkerte mir zu, doch ich sah, dass die Freude ihre Sorgen und ihr Unbehagen nicht tilgte.

»Lukas berappelt sich wieder«, sagte ich entschlossen. »Wir beide berappeln uns.« Ich zögerte und fügte dann ihret- und meinetwegen hinzu: »Manches soll einfach nicht sein.«

2

Es war schwierig, nicht mehr an das Gespräch mit Scarlett zu denken. Sie hatte verstanden, sobald ich ihr meine Situation erklärt hatte, doch ich hatte vermutlich gehofft, sie werde mir sagen, ich sei dumm und Lukas werde sich einen feuchten Kehricht darum scheren, dass ich in die Zukunft sehen könne. Dass sie mir nicht widersprochen hatte, legte nahe, dass sie meiner Meinung war, es also auch für das Beste hielt, wenn ich ihn verließ, egal, ob ihn das verletzte oder mich buchstäblich krank machte.

Ich rieb mir die Augen, betrat New Scotland Yard durch den Haupteingang, wartete kurz vor den Metalldetektoren und versuchte, mich auf die Arbeit zu konzentrieren, und mich nicht länger mit den Turbulenzen meines Privatlebens zu beschäftigen. Gut, dass ich hierhergekommen bin, sagte ich mir. Ich brauchte die Ablenkung.

Barnes war nicht in ihrem Büro, doch eine Frau sagte mir, sie führe ein Verhör im dritten Stock. Etwas irritiert ging ich hinauf und meldete meine Ankunft einem jungen Mann, der neben dem Aufzug an einem Schreibtisch saß. Er wirkte eher erleichtert als erstaunt, als ich meinen Namen nannte. Also hatte Barnes mich wirklich persönlich sprechen wollen.

Ich musste einige Zeit warten. Erst setzte ich mich auf einen der unbequemen Stühle, dann ging ich auf und ab. Übelkeit plagte meinen Magen so, dass ich nicht glaubte, sie rühre allein von dem unerwarteten Gespräch mit Scarlett her. Wann hatte ich zuletzt etwas gegessen? Frühstück hatte ich sicher gehabt, wenn nicht an diesem Tag, dann tags zuvor.

Als ich schon überlegte, wo die nächste Toilette war, um mir den Finger in den Hals zu stecken und mich zu übergeben, hörte ich die Schuhe von DSI Barnes über den schimmernden Flur quietschen. Ich drehte mich um und hob grüßend die Hand. Sie lächelte, doch ihr Blick blieb kühl. Hmm. Es lag eindeutig etwas im Argen.

»Emma«, sagte sie. »Danke, dass Sie gekommen sind.«

Meine Verbeugung fiel spöttischer aus als beabsichtigt. »Es liegt mir fern, einem Befehl von Ihnen nicht zu folgen, Ma’am.«

Barnes hob eine Braue. »Sind Sie heute mit dem falschen Fuß aufgestanden? Oder bereitet Ihnen die frische Trennung von Lord Horvath Probleme?«

Ihre Kenntnis davon, dass Lukas und ich nicht mehr zusammen waren, hätte mich nicht überraschen sollen, denn ich wusste, dass sie das Supernatural Squad und die Übernatürlichen selbst genau beobachtete.

Sie musterte mich genauer. »Sie haben mein Mitgefühl«, fuhr sie fort, »aber Ihre persönlichen Probleme dürfen Ihre Berufsausübung nicht beeinträchtigen. Zwischen uns ist das in Ordnung, und ich bin immer da, falls Sie jemanden zum Reden brauchen, aber ich bin eine Ausnahme. Sie müssen Ihr Privatleben vor der Tür lassen.«

»Meine Schicht hat noch nicht begonnen«, erwiderte ich. Barnes sah mich an, und meine Schultern sackten etwas ab. »Ich werde mich bessern«, brummelte ich.

Ihre Miene war nicht urteilend. »Oft hilft es, sich in Arbeit zu stürzen. Gibt es interessante Entwicklungen im Supernatural Squad? Einige Fälle vielleicht, die Ihnen helfen, Ihre Gedanken zu konzentrieren?«

Ich war mir sicher, dass sie die Antwort schon kannte. »Eigentlich nicht.«

»Hmm, bestimmt ergibt sich bald was. Aber denken Sie nicht, ich wünsche mir Verbrechen, damit Sie beschäftigt sind.«

Ich nickte und hob dann das Kinn. »Am Telefon habe ich kaum etwas verstanden – die Verbindung war schlecht. Weshalb sollte ich kommen?«

Sie schürzte die Lippen. »Wir haben eine Strafanzeige bekommen.«

Oha. »Gegen das Supernatural Squad?«

Barnes sah mir in die Augen. »Gegen Sie persönlich.«

Nun war mir noch übler. Obwohl ich wusste, dass mein Auftreten in den letzten Wochen nicht perfekt gewesen war, glaubte ich, nichts getan zu haben, was eine Strafanzeige gegen mich rechtfertigte. Und sicher nichts, wofür ich auf diese Weise herbeizitiert werden musste. »Gut«, sagte ich argwöhnisch. »Was habe ich ausgefressen?«

»Was Sie getan haben, ist nicht das Problem, Emma«, erwiderte Barnes, »sondern wer Sie sind.«

DSI Barnes führte mich in ein leeres Zimmer und wies auf einen Stuhl am Tisch. Vernehmlich ausatmend ließ ich mich nieder; der starke Geruch nach Desinfektionsmitteln setzte mir zu. Ich sah den Wasserspender in der Ecke, stand auf, schenkte mir einen Becher ein und stürzte ihn hinunter.

Barnes beobachtete mich. »Alles in Ordnung? Sie wirken ein bisschen krank – und ziemlich erschöpft.«

Mit anderen Worten: Ich sah furchtbar aus. Ich setzte ein Lächeln auf. »Mir geht’s gut.«

»Wirklich? Sie sehen aus, als müssten Sie sich gleich übergeben.«

»Das liegt an den Putzmitteln hier – die sind zu stark für mich.« Ich setzte mich wieder. »Aber egal. Erzählen Sie mir, was los ist.«

Barnes schien dazu noch etwas sagen zu wollen, zuckte aber die Achseln und beugte sich vor. »Haben Sie schon mal von Alan Cobain gehört?«

Ich runzelte die Stirn; der Name sagte mir nichts. »Ich denke nein. Hat er die Anzeige gegen mich erstattet? Weshalb denn?«

»Mr Cobain macht Identitätsdiebstahl geltend.« Barnes hielt inne. »Wenn man so will.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«

»Er behauptet, er sei der Phönix.« Sie musterte mich durchdringend.

»Hm …« Ich kratzte mich am Kopf. »Aber überall in der Literatur steht, es gebe immer nur einen.«

Barnes nickte. »Das sagt er auch.«

Ich begann, mich für das Thema zu erwärmen. »Und nichts deutet darauf hin, dass es je mehr davon geben kann.«

Sie nickte erneut. »Genau.«

»Und ich bin der Phönix.« Ich tippte mir an die Brust. »Ich bin gestorben, mehrmals. Und nach zwölf Stunden in einem rauchigen Feuer mit Brandspuren ringsum wiedergeboren worden. Ist schon öfter passiert.«

»Das ist mir durchaus bewusst, Emma.«

»Andere haben meine Auferstehung mitangesehen.«

»Ich weiß.«

»Und Videoaufnahmen gibt es auch davon.«

»Ich weiß.«

Ich konnte meine Verärgerung nicht länger verhehlen. »Warum sprechen wir dann darüber? Hat Cobain Beweise dafür, dass er der Phönix ist?«

»Er hat ein Video. Falls es gefakt ist, dann sehr gut«, sagte sie. »Vielleicht ist er irgendwie mit Ihnen verwandt.«

»Ich war nicht von Geburt an der Phönix«, rief ich ihr ins Gedächtnis, »sondern wurde als kleines Kind durch die Beschwörung einer Druidin dazu. Das ist nichts Vererbtes.«

Barnes sah mich unverwandt an. »Wurde womöglich bei der Beschwörung, die Sie zum Phönix machte, ungewollt Kraft von Alan Cobain abgezogen, sodass es nun zwei Phönixe gibt?«

Ich musterte sie. »Wie ich offenbar wiederholen muss, war ich damals ein Kleinkind. Ich habe keine Ahnung, wie diese Kraft wirkt und woher sie gekommen ist. Ich habe«, sagte ich spitz, »über diese Dinge keine Kontrolle.«

»Mmm.«

Ich verschränkte die Arme und wusste nicht recht, warum ich mich angegriffen fühlte. »Hören Sie, ich verstehe nicht, warum das ein Problem ist. Falls er die Wahrheit sagt und ein Phönix ist, was ich sehr bezweifle, dann gibt es eben zwei von uns. Er ist nicht allein«, ich schürzte die Lippen, »und ich auch nicht. Wir sollten das feiern.«

Zwischen Barnes’ Brauen erschien eine Falte. »Mr Cobain feiert aber nicht. Er ist sehr … verärgert darüber, dass Sie ihm vermeintlich den Ruhm gestohlen haben.«

»Ruhm?«, fragte ich ungläubig. »Welchen Ruhm denn?«

»Ich vermute, er will Fernsehmoderator oder Influencer werden. Ich verstehe das selbst nicht richtig.«

»Behauptet er, ich sei der Fake?«, fragte ich langsam.

»Sollten Sie keine Betrügerin sein, sagt er, hätten Sie ihm einen Teil seiner Kräfte gestohlen. Er ist älter als Sie und behauptet, er sei seit seiner Geburt 1982 der Phönix. Sie wurden 1990 geboren. Ich glaube, er will Sie wegen Diebstahl verklagen.«

»Das ist doch verrückt!«

»Und«, fuhr Barnes fort, »er will die Londoner Polizei verklagen, weil sie Ihr Wirken zulässt und unterstützt.«

»Unterstützt?«, fragte ich verständnislos.

»Und dadurch seine Identität schmälert.«

Ich kniff die Augen zu. »Das ist Unsinn.«

»Ja.«

»Der ist irre. Es geht ihm nur um Aufmerksamkeit.«

»Anscheinend muss man ihn ernst nehmen, Emma. Er hat sich einen Anwalt genommen.«

Ich verdrehte die Augen. »Das bedeutet nichts.«

»Er wird nicht locker lassen«, sagte Barnes vorsichtig. »Das wird eine größere Sache.«

»Eine größere Sache, aha«, sagte ich nüchtern.

Sie zuckte die Achseln. »So was passiert.«

Meine Lippen wurden schmal. »Soll er es doch beweisen. Soll er sterben – dann sehen wir ja, was geschieht.«

»Mr Cobain hat gebeten, von uns erschossen zu werden, damit wir zwölf Stunden später seiner Auferstehung beiwohnen können. Natürlich dürfen wir niemanden töten, um eine Theorie zu beweisen.«

»Er könnte sich vor Ihren Augen umbringen.«

Barnes wirkte leicht verärgert. »Sie wissen, dass wir einen Selbstmord vor unseren Augen nicht zulassen dürfen.«

Ich atmete bebend ein. »Was soll ich also tun?«

»Sie sollten sich Rechtsbeistand holen. Wir können Ihnen dabei helfen, oder Sie suchen sich selbst jemanden. Ich wollte Sie nur warnen, dass Probleme auf Sie zukommen könnten. Die Londoner Polizei und ich unterstützen Sie, aber die Dinge könnten etwas … nervenaufreibend werden.«

Ich strich mir das Haar aus der Stirn. »Kann ich mich mit Mr Cobain treffen? Oder wenigstens mit ihm telefonieren? Um herauszufinden, worum es wirklich geht?«

»Das ist keine gute Idee«, erwiderte Barnes. »Nicht angesichts drohender rechtlicher Schritte.«

Ich fluchte laut.

»Vielleicht verläuft die Sache im Sande, Emma«, sagte Barnes, doch ihre Miene verriet, dass sie anderes vermutete. »Aber sie könnte Ihnen einige Probleme bereiten. Sie müssen vorbereitet sein.«

Unglaublich. Wie war es möglich, dass meine Woche schlimmer wurde, nicht besser? Es war nicht ganz unerwartet, dass einer wie Cobain irgendwann aus dem Unterholz gekrochen kam, aber ich wünschte, er hätte einen anderen Zeitpunkt gewählt. Sein Timing nervte.

Ich war mir sicher, die Sache binnen Minuten klären zu können, wenn ich persönlich mit ihm sprechen könnte. Ich würde beweisen, dass ich der Phönix war, er würde zugeben, gelogen zu haben, und die Sache wäre erledigt. Ich hatte Besseres zu tun, als mir Gedanken über einen Glücksritter zu machen, der schnelles Geld verdienen oder fünfzehn Minuten Ruhm abgreifen wollte.

DSI Barnes stand auf und lächelte freundlich. Diesmal erschien es mir aufrichtig. »Machen Sie sich keine Sorgen deswegen.« Für sie war das leicht gesagt.

Mein Magen drehte sich erneut um, und ich erstarrte. Mich vor den Augen von DSI Barnes zu übergeben, hatte ich heute so wenig vor wie je.

Sie hob die Brauen. »Sie sind ja ganz grün, Emma. Gehen Sie vor Ihrer nächsten Schicht bitte zum Arzt.«

Ich strich mir erneut das Haar aus der Stirn und merkte nun erst, dass meine Haut feuchtkalt war. »Ja«, raunte ich. »Das sollte ich wohl.«

Einen Termin beim Hausarzt zu vereinbaren, begeisterte mich nicht, zumal ich mich nicht allzu krank fühlte. Vermutlich lag es nur am Stress – ich durchlebte schließlich keine gute Phase. Und falls es kein Stress war, hatte ich mir womöglich den Magen verdorben, oder ein Insekt hatte mich gebissen. Ein ruhiger Abend und lange ausschlafen würden mich wieder gesund machen. Und dazu vielleicht Pfefferminztee.

Mein Blick fiel auf die kleine Apotheke auf der anderen Straßenseite, dann auf Tallulah. Fünf Minuten konnte ich wohl entbehren und Medizin kaufen. Das war besser, als mir über Leute wie Alan Cobain Gedanken zu machen.

Eilends überquerte ich die Straße und ignorierte weiter das Vampirtrio, das hier noch weitaus mehr fehl am Platz war als vor der Bibliothek. Als ich die Tür zur Apotheke öffnete, klingelte es laut.

Ich erinnerte mich nicht, wann ich mich das letzte Mal krank gefühlt hatte. Übelkeit war nichts, was ich fürchten musste. Das hatte ich immer für einen Vorteil meines Daseins als Phönix gehalten und runzelte nun bei dem Gedanken die Stirn, ob meine Übelkeit und Ermüdung damit zusammenhingen, dass ich zudem eine Kassandra war. Das ergab Sinn, weil sich nichts sonst geändert hatte. Falls ich verflucht war, nicht nur die Zukunft zu sehen, sondern mich obendrein krank zu fühlen, lief ich Gefahr, wirklich auszurasten, womöglich mehrmals.

»Guten Tag!«

Ich lächelte der Frau hinterm Tresen matt zu und warf einen Blick auf die Regale. Hier gab es echt viele Vitamine.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.

Ich schlurfte von den Vitaminen zu den Schmerzmitteln, hatte aber gar keine Schmerzen. Ich biss die Zähne zusammen. »Ja, ich suche nach einem Mittel gegen Übelkeit.«

»Gern. Soll es für Sie sein?«

Ich nickte.

»Gibt es weitere Symptome? Fieber? Kopfweh?«

Ich überlegte. »Nein, mir ist nur schlecht. Vielleicht habe ich etwas Verdächtiges gegessen. Ich habe einen metallischen Geschmack im Mund.«

»Hält die Übelkeit schon länger an?«

»Sie kommt und geht.« Ich kratzte mich am Hals. »Und ich bin ziemlich müde. Im Moment habe ich allerdings auch viel Stress und schlafe nicht gut.«

Sie sah mich freundlich an. »Wie lange haben Sie die Übelkeit denn schon?«

Ich zuckte die Achseln. »Zwei Wochen, schätze ich.«

Die Apothekerin sah mir weiter in die Augen. »Wann hatten Sie Ihre letzte Blutung?«

Erstaunt lachte ich auf. »Ich bin nicht …«, begann ich.

Und verstummte.

Moment.

Oha.

Ich wurde bleich. »Ich nehme die Pille«, flüsterte ich. Aber ich hatte in letzter Zeit viel um die Ohren gehabt und nicht auf meinen Zyklus geachtet. Zu sterben brachte ihn gern durcheinander, darum nahm ich es nicht immer so genau, wie ich es wohl hätte nehmen sollen.

»Die Pille ist sehr wirksam, aber kein Verhütungsmittel ist hundertprozentig sicher«, belehrte mich die Apothekerin.

Schon wurde mir wieder übel. »Meine Brüste sind etwas empfindlich«, gab ich zu.

Die Apothekerin lächelte zaghaft. »Vielleicht sollten Sie erst mal einen Schwangerschaftstest machen.«

3

Ich strich mir das schweißnasse Haar aus der Stirn und starrte auf die mit Erbrochenem besprenkelte Kloschüssel. Karotten. Warum waren in Kotze nur immer Karotten?

»Weißt du«, sagte Laura von der Tür her und gab mir einen frischen Waschlappen und ein Glas Wasser, »es ist schwerer, als man denkt, so was auf DNA zu analysieren.«

Ich tupfte mein Gesicht ab, stürzte das Wasser runter, wischte mir mit dem Handrücken über den Mund und sah zu ihr hoch. »Willst du damit sagen, dass es egal ist, ob ich auf die nächste Leiche kotze, die mir begegnet?«

»Oh, das ist gar nicht egal«, erwiderte sie fröhlich. »Lass das lieber.«

Leichter gesagt als getan. Im Moment hatte ich mein chaotisches Leben besser im Griff als meinen Magen – und das wollte etwas heißen.

»Aber«, fuhr sie fort, »Kotze ist beweistechnisch weniger hilfreich als andere Körperflüssigkeiten und wird seltener am Tatort gefunden, als du vielleicht denkst.« Nach einer nachdenklichen Pause fügte sie hinzu: »Aber bei Schwangerschaften soll Kotzen ein gutes Zeichen sein. Morgendliche Übelkeit ist ein Hinweis darauf, dass eine Fehlgeburt eher unwahrscheinlich ist.«

Ich sah ihr in die Augen. Vor kaum vierundzwanzig Stunden hatte ich den Test gemacht und meine bevorstehende Mutterschaft niemandem gegenüber erwähnt. Aber Laura war nicht dumm, und sie war Ärztin, Pathologin zwar und keine Gynäkologin, aber immerhin. Ich seufzte, drückte den Abfluss und rappelte mich auf. »Ist es so offensichtlich?«

Sie zuckte die Achseln, doch ich sah die Besorgnis in ihren Augen. »Lord Horvath«, begann sie, »weiß er …«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, und ich habe ihn auch nicht deshalb verlassen, sondern es selbst erst gestern erfahren.« Ich sah zu Boden. Seit dem Tag, an dem Lukas mir einen Antrag gemacht und ich erfahren hatte, dass ich eine Kassandra bin, wohnte ich nun bei Laura. Bis jetzt hatte sie keine unangenehmen Fragen gestellt, mich einfach willkommen geheißen und war in den letzten Wochen außergewöhnlich nett zu mir gewesen, doch ich wollte ihre Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. »Falls ich hier im Weg bin, lass es mich wissen. Ich nehme das nicht persönlich und kann anderswohin gehen.«

Laura bekam große Augen. »Unsinn. Bleib, solange du magst. Ich genieße deine Gesellschaft. Aber du weißt, dass du dich früher oder später mit ihm auseinandersetzen musst.« Sie hielt inne. »Oder?«

Lukas’ dunkle Gesichtszüge blitzten vor meinem inneren Auge auf, und ich spürte einen Stich in der Herzgegend. Ja, ein Baby bedeutete, dass ich mit ihm reden musste. Nun konnte ich ihn nicht mehr meiden, doch es half zu wissen, dass er der großartigste Vater sein würde, egal, was aus mir wurde. Und doch wollte ich nur ins Bett, mir die Decke über den Kopf ziehen und alle Welt zum Teufel wünschen.

»Ich bin spät dran«, murmelte ich und reckte den Hals. »Die Arbeit ruft.« Zumindest würde mir das Supernatural Squad genug zu tun geben, um meine Situation ein paar Stunden zu vergessen. Ich mahnte mich auch, dass ich einen Anwalt brauchte. Die Neuigkeit meiner Schwangerschaft hatte das Problem Alan Cobain in den Hintergrund treten lassen, aber es würde sich kaum von selbst lösen.

Laura tätschelte mir die Schulter. »Ich bin immer da, wenn du reden willst.«

Ich betrachtete meine Füße und fühlte mich sehr klein und sehr erbärmlich. Ein Tropfen orangefarbener Kotze klebte auf meinem Schuh, und meine Lippen wurden schmal. »Danke«, sagte ich leise.

Laura lächelte aufmunternd. »Pass auf dich auf, Emma.«

Ich putzte mir die Zähne, säuberte meinen Schuh und verließ Lauras gemütliche Wohnung. Die drei Vampire vom Vortag waren von einem neuen unglückseligen Trio abgelöst worden. Ich musterte sie von der anderen Straßenseite und griff mit zittriger Hand zu meinem Mobiltelefon.

Lukas war beim ersten Läuten dran. »D’Artagnan.«

Ich hatte dieses Gespräch im Stillen wieder und wieder einstudiert, aber das hätte ich mir sparen können. Kaum hörte ich Lukas’ Stimme, schmolz mein Verstand dahin, und statt etwas zu sagen, stand ich nur da und atmete schweigend in den Hörer wie eine geistesgestörte Stalkerin.

Sein Ton änderte sich. »Alles in Ordnung?«, fragte er brüsk.

Ich schluckte vernehmlich. »Ja«, flüsterte ich.

»Klingt aber nicht so. Bleib, wo du bist. Ich bin schon unterwegs.«

Das gab den Ausschlag. Ich war noch nicht bereit für ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht, sondern brauchte mehr Zeit. Prompt fand ich die nötigen Worte. »Nein!« Ich verzog das Gesicht, denn ich merkte, wie ich klang. »Ich meine: noch nicht. Es geht mir gut, Lukas. Wirklich.«

»Emma …«

»Bitte, Lukas. Noch nicht.«

Nun war es an ihm, in gequältes Schweigen zu versinken. Sekunden vergingen. Dann knurrte er: »Es sind jetzt dreiundzwanzig Tage.«

Meine Schultern sackten herab. »Ich weiß.«

»Dreiundzwanzig Tage, Emma«, wiederholte er.

»Ich weiß es ja.«

»Mir ist klar, dass mein Antrag aus heiterem Himmel kam. Tut mir leid, wenn ich dich damit erschreckt habe und du dazu noch nicht bereit bist. Ich habe versucht, dir Raum zu geben.«

»Und das weiß ich zu schätzen, wirklich.« Nun wagte ich es doch. »Es geht nicht um den Antrag, Lukas. Nicht deswegen habe ich dich verlassen.«

»Sondern? Warum bist du weggelaufen?«

Er verbarg seinen Schmerz nicht, doch ich konnte seine Frage nicht am Telefon beantworten. »Wir müssen uns treffen, dann erzähle ich dir alles.«

»Ich hole meinen Wagen.«

»Nein.« Ich hatte Arbeit zu erledigen, Lukas auch. Es wäre besser, bis zum Abend zu warten, wenn wir beide frei hatten und es keine Unterbrechungen gab. Es würde auch dann schwer genug werden. »Lass uns heute Abend miteinander reden.«

»Kommst du ins Heart?«

Seinen Club und all die neugierigen Blicke dort konnte ich unmöglich ertragen. »Nein.«

»Treffen wir uns also bei mir?«

Ich schüttelte den Kopf. Dort wollte ich ihn auch nicht sehen. »Auf dem Friedhof der Knight’s Church.«

Lukas schwieg kurz. »Du willst dich auf neutralem Boden treffen? Du denkst, ich hecke etwas aus, und willst mich deshalb an einem sicheren Ort sehen?«

»Natürlich nicht. Es ist nur …« Ich konnte es nicht in Worte fassen. Auf diesem Friedhof hatte ich den Tod buchstäblich erfahren. Da schien es mir nur passend, dort auch im übertragenen Sinne zu sterben. Es fühlte sich richtig an. »Lass uns dort einfach treffen«, sagte ich lahm.

»Gut.«

»Um zehn?«

»Ich warte dort auf dich.«

Ich atmete aus. »Danke. Und kannst du deine Gorillas zurückpfeifen? Ihre Anwesenheit wird langsam lästig. Ich laufe nicht weg, und ihren Schutz brauche ich nicht. Das weißt du.«

»Wie du willst«, erwiderte er knapp und setzte nach einer Pause hinzu: »Ich liebe dich, Emma.«

Ich kniff die Augen zu, beendete das Gespräch und flüsterte dann erst: »Ich dich auch.«

Ein warmer Wind erhob sich, wehte Papierfetzen auf und fuhr mir durchs Haar. Schweren Herzens schob ich das Handy in die Tasche zurück und sah einen der Vampire an sein Telefon gehen. Kurz darauf zogen alle drei ab.

Trotz ihres Verschwindens fühlte ich mich nicht besser; die Last, die seit dem Moment auf meinen Schultern lag, in dem ich begriffen hatte, eine Kassandra zu sein, schien nur noch schwerer zu wiegen. Ich würde ihr nicht entkommen können. Es gab keinen Ausweg – und da nun auch noch ein Kind unterwegs war, konnte ich auch Lukas kein Entkommen mehr ermöglichen.

Ich trat gegen den nächsten Laternenpfahl und stapfte davon.

In der Nähe von Lauras Wohnung gab es nur wenige Parkplätze, deshalb musste ich fast einen Kilometer bis zu Tallulah laufen. Das hätte ein angenehmer Spaziergang sein sollen; es war warm, die Sonne schien trotz der frühen Stunde bereits, und endlich folgten mir keine Vampire mehr. Doch der herrliche Tag besserte meine Laune nicht, sondern drückte mich nur noch weiter nieder.

Ich trottete an einem Baum vorbei und warf der Blaumeise, die sich auf einem der unteren Äste das Herz aus dem Leibe sang, einen finsteren Blick zu. Bis ich ins Büro käme, würde ich meine schlechte Laune abgeschüttelt haben, aber erst wollte ich mich noch zwanzig Minuten in meinem Elend suhlen, ehe ich mir ein Lächeln ins Gesicht kleisterte, mit dem ich durch den Tag kommen würde.

»Was hat Ihnen das arme Vögelchen denn getan?«

Buffys trällernde Stimme ließ mich erstarren. Dann fuhr ich herum und funkelte sie an. Sie hatte sich dem Baum aus der Gegenrichtung genähert und merkte anscheinend nicht, dass ihr Auftauchen meinen deprimierenden Tagesbeginn zerstörte. Vielleicht war ihr das auch egal. »Was machst du denn hier?«, fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

Ihr mit kaugummirosa Lippenstift geschminkter Mund verzog sich zu einem noch breiteren Lächeln. »Wie wunderbar, Sie zu sehen, DC Bellamy.«

Ich verfluchte im Stillen den Tag meiner Geburt, den von Buffys Geburt und die Existenz des ganzen Planeten. »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«, wollte ich wissen. »Und was willst du überhaupt?«

»Ich wusste, dass Sie hier sind, weil ich nach Ihnen gesucht habe. Und ich möchte einen Rat.« Sie machte einen spöttischen Knicks und ließ die Wimpern klimpern.

»Du willst einen Rat?«, fragte ich nüchtern. »Von mir?«

Sie nickte begeistert. »Genau!«

»Willst du ein Verbrechen begehen?«

»Nein.«

»Hast du schon eins begangen?«

Sie tat, als würde sie über die Frage nachdenken. »Mit zehn habe ich aus einem Tante-Emma-Laden einen Schokoriegel mitgehen lassen.«

»Buffy …«

Sie strahlte. »Emma!«

Ich zählte im Stillen bis zehn. Buffy mochte nichts Ungesetzliches planen, aber ich dachte allmählich, dass ich sie liebend gern umbringen würde, wenn sie nicht endlich auf den Punkt käme. Zum Glück schien sie das zu merken.

»Die Sache ist die«, begann sie. »Ich brauche einen Rat in einer Affäre, und Sie sind perfekt geeignet, ihn mir zu geben.«

Ich starrte sie an. Einen ungewöhnlich langen Moment fehlten mir die Worte. Sie lächelte weiter. »Buffy«, sagte ich endlich, »ich bin kein Kummerkasten für einsame Herzen, und niemand ist ungeeigneter als ich, in Liebesdingen Ratschläge zu erteilen.«

Sie runzelte reizend die Stirn und drohte mir mit dem Finger. »Es geht um eine Affäre, nicht um eine Beziehung. Vorläufig jedenfalls.« Wieder klimperten ihre Wimpern. »Bitte! Ich kann doch nicht mit Lady Sullivan über so was sprechen und habe kaum Freunde, die mir helfen könnten.«

»Woran das liegt, kann ich mir gar nicht erklären«, erwiderte ich sarkastisch.

Sie setzte eine trübselige Miene auf, aber das war mir egal; auf Buffys Tricks würde ich nicht mehr reinfallen. Ich stellte meinen Jackenkragen hoch und wandte mich zum Gehen. »Such dir jemand anderen. Ich bin nicht die Richtige dafür.«

»Doch, Detective«, sagte sie schmeichelnd. »Das sind Sie bestimmt.«

Selbst wenn ich ihr hätte antworten wollen: Ich bekam keine Gelegenheit. Ehe ich einen weiteren Schritt gemacht hatte, überkam mich eine außergewöhnliche Benommenheit. In meinen Ohren rauschte es laut, und der Himmel schien sich zu verdunkeln und seitlich wegzurutschen. Mein Mund öffnete sich, und ich hörte meine Worte wie von weither, während mir eine Reihe von Bildern in Übelkeit erregendem Tempo durch den Kopf schossen. »Elementar. Elementar. Elementar. Unschuldiges Blut wird fließen.«

Kaum hatte ich das gesagt, klappte ich zusammen und übergab mich erneut. Diesmal kamen keine Karotten hoch, nur grellgelbe Galle.

»Iiiiihhhhh.«

Um Buffys Ekel konnte ich mich nicht kümmern. Ich würgte ein letztes Mal, richtete mich auf und drückte die Fingerkuppen an die Schläfen. Was hatte ich gesehen? Einen Blutspritzer auf schmuddeligem Pflaster, das stand fest. Und etwas hatte metallisch gefunkelt, vielleicht ein Messer. Und irritierenderweise hatte ein schwerer Stiefel ein Fähnchen unter sich begraben. Danach hatte es wieder metallisch gefunkelt, als eine versteckte Klinge aus der Spitze des Stiefels fuhr und aufwärts schlitzte.

»Elementar«, murmelte ich in mich hinein. Was mochte das bedeuten?

»Was ist?«, fragte Buffy. »Macht die Schwangerschaft Sie wahnsinnig? Wirkt Mutterschaftsdemenz sich so aus?«

Ich blinzelte sie entsetzt an, und mir sackte das Herz in die Hose.

»Was denn? Ich bin Werwölfin und rieche Ihre Hormone auf einen Kilometer Entfernung.« Sie tippte sich ans Ohr. »Ich höre sogar den zweiten Herzschlag. Wie alle Werwölfe. Haben Sie den knackigen Lord Horvath wegen des Babys verlassen?«

Gab es in London noch jemanden, der nichts von meiner Schwangerschaft wusste? Ich fluchte verärgert und nahm mir vor, die Werwölfe möglichst lange zu meiden.

Es war nun noch unumgänglicher, Lukas am Abend zu sprechen, denn ich traute den Clans zu, ihm die frohe Botschaft angeblich »versehentlich« zu überbringen. Wie ich deren Oberhäupter kannte, würden sie das geradezu auskosten. »Wenn du nur einer Seele davon erzählst«, sagte ich zu Buffy, »und damit meine ich auch Lady Sullivan, dann …«

Buffy hob abwiegelnd die Hände. »Von mir erfährt niemand ein Sterbenswort, versprochen. Ihre Verfassung hat keine Bedeutung für den Sullivan-Clan, also gibt es keinen Grund, alles auszuplaudern.« Sie lächelte fröhlich. »Aber wenn ich den Mund halte, helfen Sie mir sicher im Gegenzug mit Ihrem Rat, oder?«

Ich funkelte sie an, machte auf dem Absatz kehrt und ging die Straße hinunter.

»Moment«, rief Buffy mir nach. »Wo gehen Sie hin?«

»Zur Baker Street.«

»Hä?«

»Elementar, mein lieber Watson«, flüsterte ich. Zwar hatte ich gelesen, Sherlock Holmes habe diese berühmte Wendung in keinem Roman je geäußert, doch sie gehörte trotzdem zu ihm.

Laura wohnte sehr zentral, darum war die Baker Street – und damit das fiktive Zuhause des fiktiven Ermittlers – nur wenige Straßen weiter. Ich würde ruckzuck dorthin gelangen und herausfinden, worum es in meiner Vision gegangen war. Ob ich schon zu spät dran war, würde sich zeigen.

Ich unterdrückte die restliche Übelkeit und legte einen Zahn zu. Ich musste in die Gänge kommen. Also verbannte ich Buffy, Laura, Lukas, das Baby, Alan Cobain und alles andere aus meinem Kopf und rannte, so schnell ich konnte.

Als ich in die Baker Street bog, sah ich die übliche Handvoll früh aufgestandener Touristen und wohlhabender Londoner. Es brauchte keinen Detektiv – erfunden oder nicht –, um den Unterschied zwischen beiden Gruppen zu ermitteln. Die reichen Londoner aus dieser Gegend, die auf dem Weg zur Arbeit waren, trugen Maßanzüge und polierte Schuhe und begegneten den Touristen mit verkniffener, von Ablehnung zeugender Miene. Die Touristen unterhielten sich lautstark und blieben so zufällig wie unvermutet da und dort auf dem Gehweg stehen, um Fotos zu machen oder auf Bauten zu zeigen. Sie waren viel freizeitmäßiger gekleidet, und selbst aus fünfzig Metern Entfernung war ihre Aufregung unübersehbar.

Nicht zu sehen aber waren Hinweise auf ein Verbrechen.

»Fangen Sie den Tag immer mit einem irren Spurt durch London an?«

Ich biss die Zähne zusammen. »Was treibst du hier noch, Buffy?« Sie musste mir die ganze Zeit nachgerannt sein.

Sie lächelte geduldig. »Ich habe doch gesagt, dass ich einen Rat brauche.«

Sie war hartnäckig, das musste ich ihr lassen. Weil ich spürte, dass ich ihr nicht entkommen würde, gab ich nach. »Gut. Komm später ins Supe-Squad, sagen wir um zwei. Dann sehe ich, was ich tun kann.«

Ich wandte mich von ihr ab und beobachtete weiter die Straße. Ein offener Doppeldecker rollte vorbei. Noch immer wirkte nichts fehl am Platz.

»Prima! Vielen Dank!« Buffy warf mir einen Handkuss zu. »Was liegt hier eigentlich an? Warum der seltsame Singsang und die plötzliche Eile, herzukommen?«

Buffy mochte ihr Gelöbnis halten, meine Schwangerschaft nicht zu verraten, aber dass ich eine Kassandra war, würde sie Lady Sullivan bestimmt stecken. Niedergeschlagen fragte ich mich, ob sie das nicht bereits aus meinem unfreiwilligen verbalen Ausbruch geschlossen hatte.