Mailbox voll, Akku leer. Müssen wir jetzt reden? - Norbert Peter - E-Book

Mailbox voll, Akku leer. Müssen wir jetzt reden? E-Book

Norbert Peter

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Beschreibung

Facebook beim Essen. Simsen statt Plaudern. Googeln statt Nachfragen. Kommunikation reicht heute tief in alle Lebensbereiche hinein. Manche von uns macht sie angeblich sogar süchtig. Aber das passiert natürlich nur den anderen. Wiegen die Vorteile der neuen Kommunikationsmöglichkeiten deren Nachteile noch auf? Sie erleichtern uns viele Abläufe, aber um den Preis der Entmündigung. Nicht nur, dass wir an Konzentrationsfähigkeit verlieren, weil die Vielzahl an Abläufen uns überfordert, die Breite an Themen nur durch den Verlust an Tiefe zu bewältigen ist - wir delegieren auch erlernte Fähigkeiten an technische Geräte. Und für die dadurch frei werdenden Kapazitäten gibt es zum Glück YouTube ... Steckt die Menschheit nur temporär in der lustvollen Dauer-Kommunikationsfalle fest oder haben wir es mit einer beunruhigenden Entwicklung zu tun? Kabarettist und Kommunikationswissenschaftler Norbert Peter zeigt in seinem neuen Buch die Komplexität und die Absurdität der modernen, multimedialen Gesellschaft auf - wie gewohnt aus satirischem Blickwinkel. Das Lachen bleibt uns dabei aber mehr als einmal im Halse stecken.

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Norbert Peter

MAILBOX VOLL, AKKU LEERMÜSSEN WIR JETZT REDEN?

Wie die digitale Revolutiondie Gesellschaft verändert

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Müssen wir jetzt reden?

Wie die digitale Revolution die Gesellschaft verändert

Norbert Peter

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

1. Auflage 2014

© 2014 by Braumüller GmbHServitengasse 5, A-1090 Wienwww.braumueller.at

Umschlagfoto: maica/istockphotoISBN der Printausgabe: 978-3-99100-114-0

ISBN E-Book: 978-3-99100-115-7

Für Stella, Carla und Gaby

INHALT

1

Der digitale Umbruch

„Wir müssen reden …“

Die digitale Dauerpenetration

… wir kommunizieren uns zum Dodel

Demokratie in Gefahr!

Alltag in Gefahr!

Lebensgefahr!

2

Die digitale (R)Evolution erreicht den Alltag

„Phubbing“: Telefonbelästigung der besonderen Art

Latrinengerüchte – Handys immer und überall

Postings – schneller als die Post erlaubt

WWW: Wenn Weihnachten wackelt

3

Verlassen Sie sich auf die neuen Medien – und Sie sind verlassen!

Mailbox voll, Akku leer

Verspätung mit Hightech-Unterstützung

Achtung Mithörer!

Wolken über den Festplatten

Falsche Mailadresse, echte Katastrophe

Navigationsgeräte: Blindes Vertrauen?

Digitale Doktorspielchen

4

Liebe, Lust und Laster

Beziehungs-Waise: Das Handy oder ich?

Partner aus dem Internet

Porno-Rache

Spielend zum neuen Partner:World Of Gamecraft

Kontrolle ist gut, Kontrollprogramme sind besser

5

Digitale Medien als Stimmungskiller

Kinocenter statt Lichtspiele

Ein Liveact und 10.000 Fotografen

Wikipedia immer dabei:Das Endy der Geschichten

Männer allein zu Haus:Lieber Konsolenspiele als echte Schlägereien

6

Alles (mit-)teilen wollen

Telefonieren mit Publikum

Facebook: 1000 Freunde später

Asoziale soziale Netzwerke

7

Digitale Durchleuchtung:Denn sie wissen, was sie tun.

Big Brother is dating us: Big Data

Leider übervorteilt: Passwörter zum Glück

Zielgruppe ICH

E-Books: Schöne neue Lese-Welt

Zeitungs-Los: Verkauft um jeden Preis

Callcenter-Attacke

8

Kindheit 2.0: neue Medien als Pädagogen

Revolution im Kinderzimmer – die Spielarten der Telefonitis

Multimedia-Kids

Verloren ohne Handy!

Handyshop als Ausflugsziel

Im Flugmodus durch die Schulzeit

Jugendschutzsoftware oder Aufklärung

Über Fernsehverbot und Suppenlöffel-Diplomatie

9

Self-Tracking: Alles messen müssen

Ablaufdatum: Der digitale Trainer

Fitnesscenter und Laufhäuser

10

Digitale Nebenwirkungen: Neue Krankheitsbilder

Cyberchondrie: Die Netz-Krankheit

Schlaganfall: schneller krank durch die digitale Erstarrung

Quervain-Syndrom und Unfruchtbarkeit

Operation YouTube: Do-it-yourself-Medizin

Die digitale Sucht: Gefangen im Netz!

Danke! Und Schluss!

Nachwort

Literaturhinweise zu den einzelnen Kapiteln

Weiterführende Literatur

1

DER DIGIT@LE UMBRUCH

„WIR MÜSSEN REDEN …“

Jeder von uns kennt diese drei Worte, die gerne den Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen lassen. Nur selten sind sie Balsam für die Seele. Vielmehr führen sie in das Krisenszenario einer Beziehung – meist soll damit jenes Gespräch eingeleitet werden, in dem man vom Geliebten seiner Frau oder von der heimlich gekauften Jacht des Mannes erfährt. Oder von der heimlichen Jacht seiner Gattin. Oder vom gekauften Geliebten ihres Mannes. Sich die Ohren zuzuhalten, bringt ein paar letzte Atemzüge in der alten Normalität.

„Wir müssen reden.“

Diese Formulierung kann auch in anderen Beziehungen fallen. Wenn zum Beispiel die Gehaltsforderung beim Chef nicht gut ankam. Oder wenn das Kinderzimmer seit Monaten nicht mehr aufgeräumt wurde. Und das, obwohl Sie Ihre Tochter schon dreimal dazu aufgefordert hat …

„Wir müssen reden!“

Wir müssen mit Nachdruck reden, weil etwas im Gange ist, was uns die Sprache raubt, zumindest wenn man davon ausgeht, dass „Sprache“ von „Sprechen“ kommt. Schon das TV-Gerät hat eine ähnliche Wirkung. Im heutigen digitalen Zeitalter kommt zwar noch die Interaktivität hinzu, verbindend ist jedoch der leere Blick, mit dem der Benutzer auf einen Bildschirm starrt, auch wenn dahinter mitunter kommunikative Vorgänge stecken wie das Lesen von Facebook-Einträgen oder das Verfassen von SMS. Zudem kann es der reinste Beziehungskiller sein. Denn wer seine Freundschaften in sozialen Netzwerken zu offenherzig pflegt, bietet Angriffsflächen für eifersüchtige Partner. Auch die immer intensivere Nutzung von Handys ist manchen Lebenspartnern ein Dorn im Herzen.

Immer mehr Menschen tauchen ein in eine Welt voller technischer Geräte, seien es Smartphones, Laptops oder Spielkonsolen und sind von ihrer Umwelt kaum mehr zu erreichen. Andere wiederum werden eingetaucht: Speziell bei Kindern bewährt sich die Technologie als Babysitter. Einer lieben Kollegin fiel bei der Frankfurter Buchmesse ein etwa zweijähriges Kind auf, das „mit einem komischen Blick“ in seinem Kinderwagen saß. Nach genauerem Hinsehen stellte sie fest, dass es ein iPhone in Händen hielt und darauf starrte – während die Eltern sich immerhin noch den letzten „wahren“ Kulturträgern unserer Zeit widmeten, den Büchern. Aber um welchen Preis?

DIE DIGITALE DAUERPENETRATION

Fenster mit Aussichten: ein Leben zwischen Laptops, Handys, Apps und Co.

Liebe Leserin, lieber Leser,

es wurde uns nicht leicht gemacht, zueinanderzufinden. Weil unsere Welt immer komplexer wird, wir uns aber gleichzeitig immer weniger Zeit nehmen, uns dieser Komplexität zu widmen. Eine Tausendschaft an medialen Reizen penetriert unseren Alltag. Handyläuten, eingehende E-Mails und App-Verständigungen, Internetsurfen, News auf mehreren Kanälen zwischen Radio, TV und Websites, Unterhaltungsüberangebot – Stichwort: „Wir amüsieren uns zu Tode“ – zwischen geschätzten 200 Fernsehsendern und als Draufgabe ein Werbestakkato, das uns permanent manipulieren will.

So manche berufliche Erleichterung, von BlackBerry bis Smartphone, von Netbook bis Tablet, droht sich ins Gegenteil zu verkehren. Was wir an der Mobilität bei den von uns zu kontrollierenden Datenströmen schätzen, bleibt eben durch diese Mobilität bei uns – immer und überall! Hatte man früher den Hochleistungsprozessor am Arbeitsplatz sanft zum Abschied über den voluminösen Korpus hinter dem Bildschirm gestreichelt und ihm ein „Bis Morgen“ zugehaucht, die Bürotüre geschlossen und sich mit Massenverkehrsmitteln nach Hause bewegt …

… so erspart uns die moderne Technik den schmerzvollen Abschied. Wir nehmen den Computer mit, in Form eines handlichen Dings, mit dem man nebenbei auch noch telefonieren kann. Und somit auch jederzeit erreichbar ist. Ein Anruf von der Kollegin, die noch schnell die Berechnungen für das letzte Jahr braucht, kommt natürlich prompt dann, wenn man gerade auf dem Weg zu einem neuen Highscore ist.

Habe ich schon erwähnt, dass man auf den mobilen Wunderwerken auch spielen kann? Und zwar nicht zu knapp. Man kann Karten (Solitär) und Steine (Mahjong) hin und her schieben und mit ein wenig Tastendrücken eröffnen sich dreidimensionale Spielwelten, von denen wir in unserer Kindheit nicht einmal geträumt haben.

Bei „Temple Run“ oder „Subway Surfers“ bewegen wir unsere Helden mit steigender Geschwindigkeit durch zahlreiche Gefahrenquellen, verfolgt von Monstern, immer am Abgrund entlang. Wir wischen reflexartig über den Bildschirm unseres Handys, um den drohenden Absturz zu verhindern, als der Kämpfer plötzlich stehen bleibt. Eine Funktion, die es ermöglicht, nach dem eingehenden Anruf der Kollegin den Lauf fortzusetzen. Die Zahlen für 2013 werden dringend benötigt, und sie würde die Bilanz gerne noch heute abschicken, bevor sie sich in die Badewanne legt.

Eine Spur langsamer geht‘s auch: Läufer und Pferde bewegen sich in historischer Langsamkeit, wenn man eine der zahlreichen Schachvarianten wählt, durchaus gegen reale Gegner aus den Weiten des Internets. Wem der Kick nicht reicht, ständig nachzusehen, ob der Gegner schon in die Springerfalle getappt ist, wo eine sogenannte „Gabel“ auf ihn wartet, also der Springer zwei Figuren gleichzeitig bedroht …, der kann noch an der Schraube des Anreizes drehen: Ein paar Eingaben weiter kann man wetten und um Geld spielen. Gleich nach dem ersten „Leider verloren“ meldet sich die Kollegin aus der Badewanne. Sie hat ihr Tablet dabei und will mit Ihnen die letzte Spalte durchgehen. Dauert nur eine Minute.

Zum Glück fordert Sie die Poker-Plattform auf, den Einsatz für das nächste Spiel zu bestätigen. Auch Ihre Gewinnsträhne muss ja einmal einsetzen. Die vielen Münzen auf dem Screen leuchten Ihnen vertrauenerweckend zu. Zur Ablenkung rufen Sie die Infoseiten mit Business-Ticker auf, werfen einen Blick auf die Sportseiten und wollen wissen, wie viele Zentimeter an welchen Körperstellen von Jennifer Aniston dazugekommen sind und: Ist sie wirklich schwanger?

Während Sie die Zahlen für 2013 suchen, meldet sich Ihre Kollegin. Sie benötigt nun auch die Zahlen für den Zeitraum von 2005 bis 2012. Und will wissen, ob Sie eine zweite Mobilnummer vom EDV-Service haben. Bei der ersten Nummer rührt sich schon seit 21 Uhr niemand mehr. Und schließlich ist sie sich nicht sicher, ob es reicht, ein Tablet nach einem Vollbad mit Kokosmilchzusatz für zehn Minuten in die Mikrowelle zu legen. Sie schauen in Ihrem Kontaktordner nach, geben eine Telefonnummer weiter, schalten die elektrische Zahnbürste ein und ziehen den Springer auf F6.

Mit unseren Smartphones nehmen wir die Arbeit nicht nur mit nach Hause, sondern umgekehrt auch Spiele und Teile unserer privaten Beziehungen mit in die Arbeit. Schließlich wollen wir uns die verloren gegangene Freizeit wieder zurückholen. Womit wir auch die Spielesperre an den Standrechnern am Arbeitsplatz umgehen können. Statt Minesweeper am PC zu spielen (ist ja schon ein Retro-Vergnügen), hüpfen wir am Handy von Wolke zu Wolke: Doodle Jump als Unterhaltung zwischen den Besprechungen und in den Zigarettenpausen. Manchmal auch in den Besprechungen und zwischen den Zigarettenpausen.

Soll heißen: Bücher lesen wird für viele im allgemeinen Trend Schwimmende beziehungsweise Ertrinkende immer mühsamer. Und Bücher schreiben sowieso.

Umso notwendiger ist dieses Buch, denn …

… WIR KOMMUNIZIEREN UNS ZUM DODEL

Kommunikation in ihrer Vielseitigkeit reicht tief in alle Lebensbereiche hinein. Das ist gut und wichtig und zeichnet uns Menschen aus. Sie kommt aber nicht immer in der richtigen Dosis zum Einsatz, manche kommunizieren zu wenig, andere zu viel. Und einige von uns macht sie sogar süchtig. Oder wie sonst wollen wir die Verliebten nennen, die nervös auf ihr Handy starren und auf DEN Anruf warten? Oder darauf, dass zumindest ein Freund im sozialen Netzwerk ein cooles Video postet, das das Subjekt der Begierde beim Shisha-Rauchen in der Schamanengruppe zeigt. Mit derselben Erwartungshaltung wird aber auch herbeigesehnt, dass man mit seinem letzten Twitter-Eintrag wieder einen Follower gewonnen hat oder bei einem „Angry Farm“-Spiel die gelben Stiere wieder in die Landschaft katapultieren darf.

Verlernen wir mehr und mehr die Fähigkeit, mit uns alleine zu sein? Benötigen wir mediale Unterstützung, um die Zeit mit uns selbst zu erdulden? Und was verdient mehr Mitleid: in einer bunten Zeitschrift zwischen royalen Schicksalen und Kreuzworträtseln hin und her zu blättern wie in der „guten alten Zeit“? Oder sich in der inhaltlichen Selbstbeschränkung von sozialen Netzwerken im Internet und Spiele-Applikationen zu bewegen?

Der Internetaktivist Eli Pariser spricht von einer „Filterblase“: Unsere Computer „lernen“ durch unser Klickverhalten und unsere Sucheingaben, was wir „wirklich wollen“ und schränken bei Suchanfragen die Ergebnisse, die sie uns liefern, und damit letztlich auch unsere Weltsicht immer weiter ein. Erinnert diese eingeschränkte Weltsicht nicht an Alkoholsüchtige? Sollte es also nicht regelmäßige Treffen der anonymen Net-User geben?

Wer regelmäßig viel Alkohol konsumiert, nimmt bewusst in Kauf, dass ihm langsam die Wirklichkeit entgleitet. Die man ja ohnehin nicht permanent um sich haben will. Zudem werden jene Menschen unterstützt, die vom Verkauf der Getränkedrogen leben; von den lukrativen Steuereinnahmen ganz zu schweigen. So weit das Positive.

Die Nachteile der Alkoholabhängigkeit sind weitgehend bekannt: Wir nehmen Schaden, psychisch wie körperlich, Beziehungen zu uns wichtigen Menschen geraten ins Wanken, und wir können nur mit Mühe einer geregelten Tätigkeit nachgehen. Zeigen sich da Parallelen zu unserem Kommunikationsverhalten? Stichwort Eskapismus: Wir fliehen aus der monotonen und belastenden realen Welt und geben uns der Handy-Droge hin. Wiegen die Vorteile der neuen Kommunikationsmöglichkeiten deren Nachteile noch auf?

Die Online-Kommunikationsprozesse erleichtern uns zwar viele Abläufe, jedoch um den Preis der Entmündigung. Nicht nur, dass wir an Konzentrationsfähigkeit verlieren, weil die Vielzahl an Abläufen uns überfordert und die Themenbreite nur durch den Verlust an Tiefe zu bewältigen ist. Wir delegieren erlernte Fähigkeiten an technische Geräte, die dadurch bei uns frei werdenden Ressourcen trashen wir oftmals mit Unterhaltung zu.

Wir lernten in unserer Schulzeit das Einmaleins. Unsere Kinder lernen, wie man Rechenaufgaben in den Taschenrechner eingibt, der dann das Ergebnis liefert. Sie sind damit deutlich schneller als wir, wenn es sich um komplexere Rechenvorgänge handelt wie 8 mal 7 und beeindrucken uns damit.

Dennoch haben wir das Gefühl, dass hier etwas schiefläuft. Zu platt scheint uns die Argumentationskette, die mit der Formulierung anfängt: „Und was ist, wenn du den Taschenrechner einmal nicht dabei hast …?“ Weil wir ja wissen, dass wir ständig von einer Handvoll Rechnern umgeben sind. Angefangen vom Taschenrechner über das Smartphone, den Laptop bis hin zum Computer im Internetcafé mit einem Link zu Wikipedia über die Grundregeln der Multiplikation im einstelligen Bereich und auch unsere Pulsmessuhr hilft uns im mathematischen Notfall gern aus.

Das Szenario mit dem Flugzeugabsturz auf einer einsamen karibischen Insel greift auch zu kurz, weil man zwischen Kokosnüssen und Bananen auch mit Addieren das Auslangen findet. Klar hätten Kenntnisse des kleinen Einmaleins Vorteile, wenn der einzige Bananenverkäufer nur Achterpackungen verkauft und man für 56 Gestrandete einen Nachtisch besorgen soll …

Trotzdem kämen wir ohne technische Hilfsmittel nicht mehr aus. Selbst bei zahlreichen körperlichen Tätigkeiten greifen sie uns unter die Arme. Zum Teil derart ausgereift, dass wir körperlich degenerieren und erkranken, wenn wir nicht ausgleichend wieder Bewegung ins Leben bringen. Wie lassen sich sonst die vielen Hometrainer als Mahnmal im Wohnzimmer erklären? Anfangs noch mit gutem Blick auf das TV-Gerät positioniert, das uns beim Totschlagen der Zeit helfen will, während man auf dem Heimfahrrad strampelt, rückt es mit der Zeit unaufhaltsam in den Hintergrund, weil wir es mangels ausreichender Motivation nicht mehr in den Sattel schaffen. Irgendwann bekommt es eine neue Funktion als Kratz- und Kletterbaum. Somit war die Anschaffung letztlich für die Katz.

DEMOKRATIE IN GEFAHR!

Mittlerweile können wir dank unserer digitalen Begleiter jederzeit auf fast alles zugreifen. Dadurch kann man aber im Gegenzug auch viel leichter auf uns zugreifen, weil wir digitale Spuren zu uns legen, die von ihrer Dimension Elefanten-abdrücke links liegen lassen.

Letztlich ist nicht mehr und nicht weniger als unsere moderne Demokratie in Gefahr. Grundwerte wie Freiheit und Kontrolle tauschen ihre Plätze: Wurde Erstere früher sogar mit dem Leben verteidigt, unter anderem um Zweitem zu entgehen, wird heute allerorts Kontrolle installiert, um angeblich Freiheit zu verteidigen. Der Stoff, aus dem Science-Fiction-Thriller sind, hat sich im realen Leben breitgemacht: Handy-Peilung und Überwachungskameras an allen möglichen und unmöglichen Stellen, begleitet von unserer noch vorhandenen gesunden Paranoia – warum hat der Installateur auf der Toilette fast eine halbe Stunde benötigt?

Erst kürzlich ist der amerikanische Auslandsgeheimdienst, die NSA, der unsere Mails, unsere Telefonate und unser Internetverhalten studiert, aufgeflogen. Aber wer schnüffelt noch in unseren Daten? Die Russen? Die Araber? Die Chinesen? Und wie viele bemitleidenswerte nordkoreanische Studenten sind damit beschäftigt, meine sinnlosen Facebook-Einträge zu übersetzen?

Jetzt könnte man natürlich anführen, dass gerade Seiten wie Facebook und Twitter wesentlich dazu beigetragen haben, dass der „Arabische Frühling“, der Ende 2010 zahlreiche Revolutionen einleitete, überhaupt erst entstand. Natürlich war dies das Medium der Jugend, die zuerst in Tunesien ihre demokratischen Rechte einforderte. Am Anfang verbrannte sich ein verzweifelter Straßenverkäufer, der von den Behörden schikaniert worden war. Danach wurden statt Geburtstagsfeiern und „Tuesdayclub“ plötzlich „Protestevents“ auf der Straße organisiert sowie Bilder von Demos und Polizeiübergriffen breitenwirksam ins Netz gestellt.

Inzwischen haben aber auch die Geheimdienste entdeckt, wie Facebook tickt, und unterwandern im schlimmsten Fall soziale Netzwerke, um sich einerseits Informationen zu holen und andererseits Fehlinformationen zu lancieren.

Neben der Politik versucht auch die Wirtschaft mehr Macht zu bekommen. Über Kundenkarten, Gratisaktionen und Gewinnspiele liefern wir ihnen unsere Daten frei Haus. Somit wissen sie, wie oft wir in der Woche welche Produkte kaufen: vor den Weihnachtsfeiertagen jede Menge billiges Dosenfutter, aber dafür das flauschige, vierlagige Toilettenpapier mit Veilchenessenzen um einen Euro mehr – an irgendeinem Ende des Stoffwechselvorganges muss man sich ja schließlich etwas gönnen …

Bei Bestellvorgängen im Internet bekommt man innerhalb kürzester Zeit Tipps, bei denen man nicht weiß, ob man das Service schätzen oder ob man sich gruseln soll. „Kunden, die dieses Buch kauften, kauften auch folgende Bücher …“

Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis wir auch erfahren werden, was „Kunden, die dieses Buch kauften“, noch alles taten: Reservierten in einem vegetarischen Lokal. Buchten eine Flugreise nach Thailand. Erkrankten an Diabetes …

Einzeln handelt es sich vielleicht um wertlose Informationen, vernetzt man diese, entwickeln wir uns jedoch zu einem transparenten, willigen und begehrenswerten Opfer von Marketingstrategen. Die Türen für ein „Social Sorting“ sind weit geöffnet. Und Politiker und Konzernchefs sowie deren Planungsabteilungen haben leichtes Spiel. Weil, apropos Spiel, immer mehr von uns sich lieber spielend, surfend und nach Liedern suchend durchs Internet bewegen, statt aktiv am Leben teilzunehmen.

ALLTAG IN GEFAHR!

Abgesehen von diesen großen Bedrohungen stehen uns auf weiteren Ebenen Einschnitte bevor. Schon der Anblick unserer Straßen zeugt von den massiven gesellschaftlichen Veränderungen: Wo früher Metzger und Bäcker ihre Läden hatten, siedelten sich Wettcafés und Handyshops an.

„Panem et circenses“? Ganz eindeutig haben sich die Spiele durchgesetzt und die Gesellschaft ihren Willen: Spiele statt Brot! Und zwar möglichst ubiquitär.

Am offensichtlichsten wird das, wenn es anscheinend weitaus interessanter ist, während einer gemeinsamen Mahlzeit oder einer Unterhaltung sein Handy zu bearbeiten, statt sich mit den Anwesenden zu beschäftigen. Dieses Phänomen ist bereits so weitverbreitet, dass eigens ein Kunstwort kreiert wurde: „Phubbing“! Unsere Freunde, unsere Kollegen, unsere Kinder: Sie entgleiten uns, während wir mit ihnen reden … Anwesend bleiben körperliche Hüllen, und wir wissen nicht, was die dahintersteckenden Menschen noch wahrnehmen. Sie sind für uns unerreichbar, gleichzeitig aber noch so präsent, dass wir uns nicht ungezwungen den Mund über sie zerreißen können.

Was ist nur aus den gemütlichen Gesprächsrunden beim Spieleabend, im Kaffeehaus oder im Gasthaus geworden? Wo sind die Zeiten, als das die Orte der großen Geschichten und kleinen G‘schichterln waren? Alles konnte behauptet werden, wir diskutierten stundenlang über den Wahrheitsgehalt des Angesprochenen, und ausgedehnte Debatten über Daten, Theorien und Schicksale unterhielten uns aufs Trefflichste.

Das scheint nun vorbei. Fragen werden nicht mehr in die Runde gestellt, sondern an Google, Wikipedia und Co. Jede Aussage muss vor dem Smartphone bestehen, jede Diskussion wird sofort ihrem Ende zugeführt. Es gibt keine flammenden Debatten mehr. Zweimal gedrückt, zweimal gewischt und: Papst Franziskus ist Jesuit, Tom Cruise Scientologe und Shakespeare kein Cocktail mit hohen Gerstensaftanteilen.

Worüber soll man denn bei Familientreffen noch miteinander reden, wenn über Facebook, WhatsApp, Twitter, Instagram, Pinterest, Tumblr und Flickr ohnehin schon mehr Information ausgetauscht wurde, als uns lieb ist?

Möglich wären Dialoge über den Graben hinweg: zwischen jenen, die die neuesten Medien schon mit der Muttermilch aufsaugen, den „Digital Natives“ – zu dieser Seite gehören auch jene, die sich Mühe geben, noch auf den digitalen Zug aufzuspringen, wir nennen sie liebevoll „Digital Immigrants“ –, und jenen, die sich auskoppeln, die den Wandel nicht mitmachen, die letztlich als „Digital Naives“ durch die Berichterstattung geistern. Wenn also die digitale Generation auf die analoge Generation trifft, können Neuigkeiten aus der jeweils anderen Welt berichtet werden. So werden einerseits Drohnen als Paketzustellvariante eines Onlinehändlers thematisiert. Worauf andererseits von einem benachbarten Imker berichtet wird, der heuer mit einem großen Drohnensterben rechnet. Ob da überhaupt eine gemeinsame Sprache erhalten bleibt …?

LEBENSGEFAHR!

Letztlich herrscht sogar Lebensgefahr! Denn die Fälle häufen sich: Ein iPhone-behangener Jogger lief wehrlos gegen einen Kastenwagen; eine harmlos wirkende, ältere Lehrerin lief Amok am Selbstbedienungsterminal eines Kinocenters; ein Autor versuchte vergeblich nach drei „Dislikes“ zu seinem Posting unter einem Leitartikel über die Frankfurter Buchmesse, sich mit einer Füllfeder die Pulsadern aufzuschneiden. Er scheiterte zum Glück, weil er weder das Schreibutensil noch seine Arterien fand.

Und für so manchen bietet das Internet eine mögliche Erweiterung für sein Krankheitsbild: Die Cyberchondrie beschreibt den Kampf des Hypochonders mit dem World Wide Web, in dem er sich noch mehr Leiden aneignen kann. Neue Symptome und die fürchterlichsten Krankheitsverläufe können aufgesogen und verinnerlicht werden, ganz ohne persönliches Feedback durch Experten. Das Ganze fantastischerweise ohne Wartezeit, ja sogar in Sekundenschnelle. Ungebremst in die Panikattacke.

Wer braucht da noch einen Arzt oder Apotheker mit jahrelangem Studium im Hintergrund, wenn man Aphrodisiaka und Psychopharmaka auch mit Doppelklick im Doppelpack per Internet bestellen kann? Ohne Rezept. Ohne Nebenwirkungen?

Sie sehen, dieses Buch folgt der ultimativen Notwendigkeit seines Erscheinens, es erblickt das Tageslicht aus Notwehr und Nothilfe. – Der Humor möge den Leidensdruck auf ein erträgliches Maß senken. Vielleicht ertränkt er sogar jegliche Sorgen und wir können immerhin lachenden Herzens in den Untergang reiten. Denn der blüht uns ohnehin. Jedem Einzelnen. Garantiert.

2

DIE DIGIT@LE (R)EVOLUTION ERREICHT DEN @LLT@G

„PHUBBING“: TELEFONBELÄSTIGUNG DER BESONDEREN ART

Gesellschaftliche Veränderungen sind auch in der Gastronomie zu sehen und zu spüren. Während Raucher zurückgedrängt werden, sind Handynutzer im Vormarsch.

Noch vor einigen Jahren schummelten wir unseren Mantel an den Garderobenständern unter die Mäntel der anderen Gäste, damit er nach einem langen Abend nicht verraucht war.

Wer das heute auch noch tut, ist entweder allergisch gegen Essensgerüche oder in einem der wenigen verbliebenen Raucherlokale oder in einer Raucherzone gelandet. Oder er befindet sich in einer illegalen Spielhölle der Mafia, wo Karten gespielt und geraucht wird und fette Schokoladetorten mit einer doppelten Portion Schlagobers gegessen werden.

Wer heute seine Kleidung unter der Garderobe der anderen vergräbt, riskiert, nicht rechtzeitig an sein Handy zu kommen, wenn es läutet oder das Läuten überhaupt zu überhören. Zu dieser Sorge besteht natürlich kein Anlass, wenn man das Handy mit zum Tisch genommen hat.

Wohin aber dann mit dem Gerät?

Das hängt vom Anlass und von den Leuten ab, mit denen man unterwegs ist.

Sollte man mit Geschäftspartnern am Mittagstisch Platz nehmen, die zukünftigen Schwiegereltern kennenlernen oder sich an einem Leichenschmaus laben, lässt man das Telefon besser in einer Tasche verschwinden.

Sollten Sie jedoch mit den eigenen Kindern essen gehen, dürfen Sie Ihr Handy in Griffweite behalten, wenn Sie nicht sozial verwahrlosen wollen: besser Facebook als gar kein Ansprechpartner.

Sind Sie noch zu jung, um Kinder zu haben, werden Sie sich darüber keine Gedanken machen. Sie werden es wie selbstverständlich neben Messer und Löffel platzieren, gleich nachdem Sie mit der Serviette den Screen geputzt haben. Warum Sie es aus der Hand gelegt haben? Weil das Restaurant, in dem Sie sitzen, die Speisekarte noch nicht online gestellt hat und Sie (wie retro!) aus der folierten Papierkarte wählen müssen.

Nach der Bestellung werden alle bei Tisch Sitzenden wieder zu ihren Smartphones greifen und Konversation treiben, heutzutage nebeneinander statt miteinander. Und zwar solange bis die Speisen serviert werden, die vor dem Verzehr natürlich unbedingt fotografiert werden müssen. Dabei handelt es sich sozusagen um eine ganz spezielle Hommage an den Koch und seine Komposition. Zu dessen beruflichem Anforderungsprofil immer mehr auch die Kunst des geschmacklichen Anrichtens gehört, denn viele Augen auf Facebook, Pinterest und Instagram essen mit.

Tatsächlich scheinen manche Menschen nervös zu werden, wenn sie das Handy aus der Hand legen müssen. Es gelingt durchaus, aber zwei Minuten später erfolgt wieder der Griff nach dem geliebten gehassten Begleiter, gefolgt von mindestens einem Kontrollblick: Wie kommentiert die Freundin das lustige Trampolinvideo? Hat der Schachpartner schon gezogen? Ist die Außentemperatur bereits auf über 30 Grad Celsius angestiegen?

Wir erkennen eine Unruhe, die uns bekannt vorkommt, und müssen an Onkel Hans denken, der regelmäßig nach seiner Zigarettenpackung tastete und die Ruhe erst wieder fand, wenn er sich die nächste Zigarette anzündete.

Die Raucher wurden in den letzten Jahren mehr oder weniger konsequent aus den Gemeinschaftsräumen verdrängt. Haben wir mit den Smartphones neue Suchtmittel in unsere Mitte gelassen? Sind die Internetcafés die Pendants zu den Raucherlokalen?