Malus - Simone Hirth - E-Book

Malus E-Book

Simone Hirth

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Beschreibung

Eva googelt: Scheidungsberatung.Was macht Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies? Sie beendet die Missbrauchsbeziehung mit Adam, kommt im Jetzt an und versucht, ihr Leben selbstbestimmt neu aufzubauen.Der Apfel, die Schlange, die Erkenntnis, die Schuld, die Vertreibung, das Leben danach. Was, wenn Eva heute leben würde und sich aus der gewaltvollen Beziehung mit Adam befreien könnte? Die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben hätte?Simone Hirth nimmt das biblische erste Menschenpaar als Ausgangspunkt für eine Parabel, die unversehens in der Gegenwart landet – toxische Männlichkeit, Arbeitslosigkeit und Scheidungsprozess inklusive. Sie rechnet gnadenlos ab mit dem patriarchalen Erbe unserer Gesellschaft und öffnet die Tür zu einem anderen Lebensentwurf.

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Simone Hirth

MALUS

Roman

Kremayr & Scheriau

Triggerwarnung: In diesem Buch lesen Sie von Gewalttaten, die belastend und retraumatisierend wirken können.

Personen und Handlungen in diesem Roman sind erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich lebenden Personen oder realen Vorkommnissen wäre daher Zufall.

I shall keep singing!

(Emily Dickinson)

Inhalt

prolog

Malus

epilog

anhang

Evas Lektüren

Anmerkungen

Nachwort

Danksagung

prolog

Lassen wir es einen Apfel sein. Keine geheimnisvolle, exotische Frucht. Lassen wir die Geheimnisse hier beiseite. Es gab und gibt genug davon, rundum, überall. Sie vernebeln uns nur den Blick. Lassen wir auch die Exotik hier weg. Sie lenkt uns ab vom Wesentlichen. Bringen wir es, hier zumindest, auf den Punkt. Der Punkt ist ein Apfel. Der Apfel ist Wissen. Der Apfel ist Lust. Der Apfel ist Neugier. Der Apfel ist eigener Wille. Der Apfel ist Unabhängigkeit. Der Apfel ist Reflexion. Der Apfel ist Verantwortung. Der Apfel ist auch Schuld. Der Apfel ist jedenfalls verboten, und es ist an der Zeit, zu fragen: warum eigentlich? Wer möchte, dass dieser Apfel nicht gegessen wird?

Der Apfel ist uralt. Aber er glänzt, rot und prall. Eva zögert nicht mehr. Sie hat sich das längst gut überlegt. Sie hat sich entschieden. Eva beißt genüsslich in den Apfel. Nicht damals, weit fort von uns. Auf vergilbten Seiten. In der Legende. Sondern: Jetzt, hier, direkt. Seht ihr sie?

Es spritzt. Der Apfel ist saftig. Eva sagt kauend und mit vollem Mund: Ich werde mich nicht mehr zusammenreißen. Warum sollte ich? Das Paradies ist eine Farce und Adam ist ein Feigling. Ich sage es jetzt einfach mal, wie es ist.

Adam wird rot im Gesicht vor aufsteigender Wut. Das lässt er sich nicht nachsagen. Was fällt ihr ein, denkt Adam. Was glaubt sie, wer sie ist? Der werde ich noch zeigen, wer ich bin.

Adam beißt ebenfalls in den Apfel.

Was folgt, wissen wir alle.

Adam ruft sofort: Eva ist schuld.

Eva ruft: Die Schlange ist schuld.

Die Schlange schlängelt sich beleidigt davon. Und Eva denkt, weil sie ja denken kann, und mit dem Apfel im Mund nun noch viel klarer: Es stimmt so nicht. Ich habe selbst reingebissen. Ich wollte es. Und es schmeckt gut.

Eva wird sich bei der Schlange entschuldigen. Und dieser erste Apfel wird nicht ihr letzter gewesen sein. Eva wird ab jetzt mehr Äpfel essen. Mehr Äpfel essen müssen. Jeden Tag einen.

Ich werde keinen Arzt brauchen, sagt Eva. Ich werde ein kleines Fest aus jedem Apfel machen. Jeden Tag neu.

Eva ist schuld, wiederholt Adam.

Er wiederholt es immer wieder. Er kann es nicht oft genug sagen. Er hat im Paradies nicht lernen müssen, für sich selbst einzustehen. Gott hat ihn in den Garten Eden gesetzt, ohne Aufgabe, ohne Sorgen, alles war immer greifbar. Nicht zuletzt Eva. Wozu also selbst denken, selbst entscheiden, sich selbst zuständig fühlen für das, was man tut?

Die pure Faulheit, sagt Eva. Das ist mir zu wenig. Diese Bequemlichkeit. Ich halte das nicht mehr aus.

Adam nimmt sich einen Anwalt. Er sagt zu Eva: Das wirst du bereuen.

Eva beißt in einen weiteren Apfel. Kaut. Schluckt. Beißt wieder hinein. Saft spritzt.

Eva näht sich ein Kleid. Außerhalb des Paradieses weht ein kalter Wind. Niemand kann hier nackt sein.

Bereust du es schon?, ruft Adam schlotternd und verächtlich in den Wind.

Er steht neben Eva. Der Wind trägt seine Worte zu Eva, und weiter, weiter, in die schier endlose Ödnis hinaus, die sich nun um die beiden auftut. Es gibt keinen Weg zurück. Das Tor zum Garten Eden hinter ihnen: fest verschlossen. Der Zaun ist hoch und wird von Kameras überwacht. Stacheldraht obenauf. Erste Wildpflanzen ranken sich ruckzuck dazwischen hindurch, robust, dornig, zügig zum Dickicht gedeihend. Gott hat die Natur für sich geschaffen. Sie gehorcht ihm, sie ist sein schwerstes Geschütz.

Eva näht schneller, Stich um Stich.

Ist dir klar, was du getan hast?, ruft Adam. Du, Eva, du! Wahrscheinich nicht! Klares Denken war ja noch nie deine Stärke.

Eva hört Adam nicht mehr zu. Hier draußen klingt alles, was er sagt, plötzlich lächerlich und falsch.

Willst du ewig wie der erste Mensch mit einem Blatt vor den Genitalien herumlaufen, oder wie ist dein Plan, deine Kleidung betreffend?, fragt Eva.

Sie beißt in einen nächsten Apfel. In weiser Voraussicht hat sie einen Vorrat mitgenommen. Und dann näht sie weiter, Stich um Stich.

Adam schnaubt vor Wut. Der Wind wird stärker. Evas Kleid wird schön. Sie spart trotz der Hektik nicht mit Verzierungen. Stickereien. Abnähern. Liebevollen Details. Sie sagt: Ich lebe schließlich nur einmal, wie ich jetzt weiß. Da will ich es hübsch haben. Da will ich mir selbst gefallen. Gerade in diesem rauen Wind. Da werde ich mich hineinlegen und tragen lassen. Da will ich alles mitnehmen, was geht. Da will ich auf nichts mehr verzichten.

Habgier, die pure Habgier, schnaubt Adam noch. Was ich ihr geben konnte, nämlich wahre Liebe, war anscheinend nicht genug.

Wahre Liebe, denkt Eva, wirft den angebissenen Apfel über die Schulter und zieht ihr neues Kleid über. Der Apfel bleibt im Gras liegen, Ameisen stürzen sich darauf.

Habgier, jaja, pflichtet auch Gott Adam bei. Und Verschwendung. Genusssucht. Eitelkeit. Sie wird sehen, was sie davon hat.

Das Kleid steht Eva gut. Das Kleid macht eine andere Person aus Eva. Eine, die nicht mehr nackt ist. Eine, die an sich hinuntersieht, lächelnd, versonnen, den Stoff glattstreicht und sich in ihrem neuen Kleid gefällt.

Es bleibt jedoch nicht viel Zeit, sich zu gefallen. Der Stoff bleibt nicht glatt. Das Kleid muss zusammengerafft werden, Eva muss los. Denn außerhalb des Paradieses, das kapiert Eva schnell, gibt es außer rauem Wind einen Alltag. Und dieser Alltag ist voller Mühsal. Eva braucht eine Wohnung, wenn sie hier draußen bestehen will. Ein Kleid reicht nicht aus. Sie braucht eine Arbeit, ein Auskommen. Ihr Apfelvorrat wird immer kleiner. Den nächsten Apfel hat Eva, während sie nachdenkt, bereits fast zur Gänze verspeist.

Vor allem, denkt Eva, brauche ich einen Menschen, der mich versteht. Adam ist es nicht. Gott ist kein Mensch und ohnehin mit nichts anderem beschäftigt, als zornig zu sein und mich bestrafen zu wollen, weil sein ach so hübscher Garten Eden mir nicht genügt. Es muss doch mehr geben hier draußen als Adam und Gott, denkt Eva.

Und marschiert entschlossen los.

Eva marschiert durch die Ödnis und gelangt zu einem Bahnhof. Wien Meidling. Das Jahr: 2023. Eva kann sich nicht aussuchen, in welchem Jahrhundert sie landet. Das Paradies verlassen heißt: die Umstände hinnehmen, die draußen herrschen. Es muss hingenommen werden, was kommt.

Außerhalb des Garten Eden ist die Zeit nicht stehen geblieben, bleibt niemals stehen. Es weben sich Schicksale, Altlasten, Ereignisse, Geschichten, Muster und Kriege über Kriege ineinander. Das Durchkommen ist schwer, egal, in welches Jahrhundert man gerät. An welchen Ort. In welchen Bezirk. In diesem Fall also der zwölfte Wiener Gemeindebezirk.

Eva muss nun mit der Zeit gehen, auch wenn diese sie zuerst erdrückt, ihr die Luft zum Atmen nimmt, schneidend kalt ins Gesicht bläst. Der Geruch von Frittierfett und Urin in den Unterführungen muss ausgehalten werden.

2023. Ein weit fortgeschrittenes Zeitalter, so viel weiß Eva. Sie weiß dennoch nicht, was sie hier erwartet. Sie kann auch nicht lange darüber nachdenken. Sie muss weiter. Adam und Gott klingen ihr in den Ohren: Du schaffst es nicht.

Kann man Äpfel auf den Ohren haben?, fragt sich Eva.

Sie muss sich solche Fragen nun stellen. Sonst werden die anderen Fragen in ihr zu laut.

Wien Meidling, Bahnhofsareal, werktags, nachmittags. Niemand erkennt Eva. Der letzte Apfel, den sie aus dem Paradies noch besitzt, macht sie hier nicht besonders. Alle haben hier ihre Äpfel zu essen, ihre Coffees-to-go zu schlürfen, ihre Burger und Kebabs aus fettigem Papier zu wickeln. Das Paradies haben sie alle hinter sich gelassen, früher, später, sie erinnern sich nicht mehr daran. Reisende, Pendler, allerhand Leute hasten an Eva vorüber, Durchsagen überschneiden sich, Züge fahren ein, fahren ab, rauschen durch. Eva lässt sich treiben, gerät in eine zugige Passage, nimmt die Rolltreppe. Gibt kurz die Kontrolle an diese Stufen ab, die sich von selbst bewegen, die sie hinauftragen, hinauf. Es wird heller. Und als Eva oben die Rolltreppe verlässt, steht sie, und ahnt noch nichts davon, an einem Ort, an dem sie erst einmal nichts muss, aber vieles können wird: vor einer öffentlichen Bücherei.

Das Paradies ist was für Anfänger, denkt Eva nun, das rege Treiben hinter der Glasfront der Meidlinger Bücherei beobachtend, und nimmt einen großen Bissen.

Eva zieht die Tür mit Schwung auf. Der Schwung, mit dem Eva die Tür der Meidlinger Bücherei öffnet, ist ein Schwung, den Eva vorher nicht gekannt hat. Von dem sie selbst überrascht ist. Im Paradies gab es keine Türen, die schwungvoll geöffnet werden konnten.

Es gab eigentlich gar keine Türen im Paradies, denkt Eva. Vielleicht war auch diese Tatsache das Problem.

Dieser Schwung nun lässt Eva anders atmen. In den Bauch hinein. Tiefer. Dieser Schwung steigt in den Kopf und füllt ihn aus. Dieser Schwung lässt Eva den Kopf zurückwerfen und die Nase weiter nach oben halten. Als sie die Bücherei betritt. Und auch danach noch, als sie zwischen den Regalreihen entlanggeht. Die Finger über Buchrücken gleiten lässt. Denkt: Es wird gehen. Von hier aus. Und weiter.

Nur weil Eva einer uralten Legende entsprungen ist, heißt das nicht, dass sie im Jetzt und Hier verloren wäre. Eva ist zwar aus der Rippe von Adam gemacht worden, aber Gott war doch so unvorsichtig, ihr ein eigenes Hirn einzusetzen. Und dieses Hirn hat Eva an den scheinbar endlosen, eintönigen, immer gleichen Tagen im Paradies bestens zu benutzen gelernt.

Stopp! Ich war nicht unvorsichtig, als ich Eva ein Hirn gab, sagt Gott. Ich war großzügig! Und nun wird meine Großzügigkeit schamlos ausgenutzt. Dieses Weibsbild tanzt Adam und mir auf der Nase herum und verwirft mit einem Mausklick alles, woran wir glaubten und was wir zu Evas Bestem wollten.

Eva googelt: Scheidungsberatung.

In der Bücherei gibt es einen kostenlosen Internetrechercheplatz. Eva vertieft sich. Eva vertieft sich so lange, bis sie blass um die Nase wird. Ihr Magen knurrt. Eva wird einen Moment lang schwarz vor Augen.

Geht es Ihnen gut? Möchten Sie ein Wasser?, fragt eine Frauenstimme.

Die Stimme hat Arme und Hände und reicht Eva ein Glas Wasser. Eva trinkt, trinkt, noch ein Glas wird von der Stimme mit den Händen und den Armen gereicht, dann hat die Stimme auch Beine, einen Bauch, einen Kopf, ein Gesicht. Und in diesem Gesicht ist: Verständnis.

Geht es wieder?, fragt die Stimme. Wollen Sie kurz mit mir in den Pausenraum kommen?

Danke, sagt Eva, und sie kommt gerne mit. Die Stimme wird zur Bibliothekarin. Die Bibliothekarin sagt: Ich bin Magdalena.

Eva deutet auf eine Schale voller Äpfel, die auf dem Tisch steht.

Darf ich?

Magdalena sagt: Klar.

Ich will nicht indiskret sein, sagt Magdalena, aber ich habe gesehen, was du recherchiert hast. Ich darf doch du sagen?

Ich wollte da raus, sagt Eva, weil…

Das musst du mir nicht erklären, sagt Magdalena. Oder was glaubst du, warum ich Bibliothekarin geworden bin, anstatt zu bleiben, wer ich war und den Legenden zufolge sein sollte.

Auch Magdalena hat ihr Päckchen zu tragen, und kein kleines.

Ein Verhältnis mit Jesus zu haben war kein Zuckerschlecken, sagt sie. Und aus dem Neuen Testament auszusteigen ist kein Pappenstiel. Es hat lange gedauert, bis ich alles ablegen konnte, was ich war. Oder besser: was aus mir gemacht wurde. Es dauert eigentlich noch immer an. Für sehr, sehr viele bin ich noch immer die Hure, die die Geschichtsschreiber aus mir machten.

Eva richtet sich weiter auf, fühlt sich besser.

Magdalena sagt: Ich lebe jetzt schon länger im Jetzt und Hier, besser gesagt: in Wien Meidling. Hier habe ich nach dem Ausstieg aus meinem alten Leben eine günstige Wohnung gefunden. Das ist in diesen Zeiten in Wien nicht mehr so einfach. Da muss man nehmen, was man kriegt. Die Wohnung ist nicht groß, aber ausreichend. Für dich, Eva, ist dort allemal auch noch Platz.

Wenig später sperrt Magdalena die Tür ihrer kleinen Wohnung in Wien Meidling auf und zeigt Eva alles, was sie wissen muss, um sich zurechtzufinden.

Wichtig ist, sagt Magdalena, dass du jetzt zur Ruhe kommst und überlegen kannst. Dass du einen klaren Kopf bekommst und Kräfte sammelst. Du wirst sie brauchen. Und wenn es um die Äpfel geht – davon habe ich immer genug zu Hause.

Magdalena weist auf eine Schale voller Äpfel auf dem Küchentisch.

Ich habe einen Schrebergarten am Stadtrand, sagt sie. Ich bin gut versorgt.

In den ersten Tagen schläft Eva vor allem. Die Müdigkeit drückt sie buchstäblich nieder. Eva fühlt sich bleiern, kann sich kaum aufrecht, die Augen kaum offenhalten.

Schlaf, sagt Magdalena, morgens, wenn sie das Haus verlässt und in die Bücherei zur Arbeit geht, schlaf weiter, sagt sie, und deckt Eva zu und stellt den Teller voll Apfelschnitze und den Krug mit Wasser neben das Bett, das sie Eva überlassen hat.

Erst am dritten Abend sitzt Eva in der Küche, als Magdalena von der Arbeit kommt, und sagt: Sitzen geht wieder. Aber schlecht ist mir. Und meine Brüste tun weh.

Magdalena hebt die Augenbrauen, nimmt noch im Stehen einen Apfel aus Schale auf der Anrichte neben sich, beißt hinein, lässt sich auf den Küchensessel neben Eva sinken, gibt Eva den Apfel und sagt: Iss, meine Liebe, und jetzt erst recht. Iss.

Magdalena borgt für Eva aus der Bücherei:

Wander, Maxie: Guten Morgen, du Schöne

Sie legt ihr das Buch neben das Bett und einen Apfel darauf.

Als Eva zu lesen beginnen möchte, klingelt es an der Tür. Eva legt das Buch weg und sieht nach, wer da ist. Es ist der Postbote. Er hat ein Einschreiben. Für sie.

Als Eva den Brief öffnet und liest, verschluckt sie sich, hustet. Der Brief ist von Gott. Du sollst deine Kinder unter Schmerzen gebären, schreibt er.

Eva überlegt: Woher zum Teufel weiß der schon wieder, dass ich … ich weiß es ja selbst erst seit heute. Und woher weiß er, wo ich … der alte Stalker. Und vermutlich hat er es so gewollt, der Herr Gott, sonst hätte er im Paradies für Verhütung gesorgt.

Eva trinkt einen großen Schluck Wasser, beißt in den Apfel, denkt: Das schaff ich jetzt auch noch. Dem werd ich’s zeigen. Und Adam kann mir den Buckel runterrutschen. Jemand, der nicht für sich selbst sprechen kann, ist sicher nicht der Mensch, mit dem ich Familie spielen werde.

Eva zerknüllt den Brief, wirft ihn in den Papierkorb und fängt sofort an, nach einer Hebamme zu googeln. Noch bevor sie überhaupt eine Krankenversicherung hat.

Eine Hebamme ist wichtig, meint Magdalena. Die Hebammen sind rar, überlastet, unterbezahlt. Mit der Suche kann man, weiß Magdalena von anderen Freundinnen, nicht früh genug anfangen.

Über Magdalenas altes Handy hat Eva sich zuerst gefreut. Es gibt nun allerhand zu regeln, und so ist sie unabhängig. Bald aber ist Eva sich nicht mehr sicher, ob das neue, eigene Handy wirklich ein Segen ist. Gott hat Adam informiert und ihm ihre Nummer gegeben.

Er hat ein Recht darauf, informiert zu werden, schreibt Gott. Denn du bist aus seiner Rippe gemacht.

Das mag sein, denkt Eva, aber.

Adam gibt keine Ruhe. Du wirst es nicht schaffen, schreibt er. Du wirst überfordert sein. Du bist das Paradies gewohnt und mich an deiner Seite.

Gewohnheiten können sich ändern, schreibt Eva und wirft einen Apfel in die Luft, um ihn wieder aufzufangen.

Adam schreibt: Vergiss nicht: Du trägst einen Teil von mir in dir. Und jetzt erst recht. Du wirst mich nicht los.

Eva schluckt. Natürlich ist sie nicht so gelassen, wie sie es jetzt gerne wäre. Eva schweigt, es fällt ihr auf die Schnelle nichts mehr ein. Nicht mal eben über Nacht, sondern über Jahrtausende ist diese Geschichte in sie hineingewachsen. Was soll sie nun antworten?

Eva nimmt, um ihre Unsicherheit zu überspielen, einen weiteren Apfel und versucht, zu jonglieren. Ein Apfel fällt zu Boden und kullert unter den Küchentisch. Eva bückt sich. Unter dem Küchentisch sitzt die Schlange. Die Schlange zwinkert ihr zu. Eva zwinkert nicht zurück.

Schsch, macht Eva, und scheucht die Schlange weg. Diese verschwindet lautlos, wie sie gekommen ist, durch den Türspalt nach draußen.

Ich will keine Schlange brauchen, denkt Eva. Ich will selbst … und: Verdammter Altbau. Kann denn hier niemand den Türspalt verkleinern? Es zieht.

Adam schreibt unterdessen: Du hörst von meinem Anwalt. Oder vielleicht kommst du ja doch noch von selbst zur Vernunft?

Wenig später schreibt er: Oder wollen wir noch einen darüber trinken? So viel ich nun weiß, langst du ja gerne mal zu, wenn man es dir anbietet. Warum immer Äpfel? Warum nicht mal Schnaps? Lassen wir es krachen!

Und noch später schreibt er: Prosit, meine Liebe, auf unsere Zukunft zu dritt!

Allein wird es nicht gehen, denkt Eva. Übelkeit steigt in ihr auf. Durchfall gleichzeitig. Eva läuft zur Toilette.

Als alles erledigt ist, wäscht sie sich gründlich die Hände und das Gesicht, richtet sich vor dem Spiegel auf, sieht sich selbst in die Augen und denkt: Nein. So nicht.

Sie geht los, noch etwas wackelig auf den Beinen, aber doch zielstrebig, den Apfel in der Hand, um sich Hilfe zu holen. Auf der Meidlinger Hauptstraße glaubt sie einen Moment lang, die Schlange vorbeihuschen zu sehen. Die Schlange verschwindet durch die Tür eines 1-Euro-Shops. Eva reibt sich die Augen. Umklammert den Apfel in ihrer Hand fester. Abbeißen kann sie nicht, die Übelkeit ist noch da, steigt langsam aus dem Magen durch den Hals wieder auf. Eva schluckt.

Sie geht jetzt einfach nur die Meidlinger Hauptstraße hinunter. Sonst nichts.

Das muss doch möglich sein, denkt sie, dass ich, Eva, nun einfach nur die Meidlinger Hauptstraße hinuntergehe und meinen Apfel esse.

Niemand hier geht ungestraft die Meidlinger Hauptstraße hinunter, Liebchen, flüstert Gott.

Und Eva ahnt: Es wird noch schwieriger, als sie dachte. Viel schwieriger. Es wird ein langer, zäher Kampf.

Warum sind Sie nicht einfach im Paradies geblieben? Warum machen Sie es sich so schwer? Meines Wissens soll es dort gar nicht so schlecht sein und Adam ein äußerst gutaussehender und charmanter Kerl, sagt der Herr bei der kostenlosen anwaltlichen Beratung. Ich meine, sagt er, so eine Scheidung, so ein Neuanfang, da lässt man immer viel zurück. Ich spreche aus Erfahrung. Das ist kein Zuckerschlecken. Wenn Gott es will, kann es ein Krieg werden. Und Adam wird sich einen guten Anwalt nehmen. Sie werden sich warm anziehen müssen. Wollen Sie das wirklich? Ich meine, sind Sie sich bewusst, was Sie da anzetteln? Was Sie da aufgeben? Ist es Ihnen das wert? Glauben Sie, Sie schaffen das überhaupt? Können Sie sich das leisten? Ich meine, auch mit dem Kind, das Sie austragen. Sie haben ja doch eine gewisse Verantwortung jetzt. Mit Gott ist nicht zu spaßen, wissen Sie. Gewisse Qualitäten hat dieser Adam doch, oder nicht? Vielleicht konzentrieren Sie sich auf die?

Der Herr grinst und zwinkert Eva zu.

Eva antwortet nicht. Der Herr blickt Eva nun mitleidig an. Eva spürt, dass ihr Magen sich wieder zusammenzieht. Ein Grummeln im Darm. Tränen steigen ihr in die Augen. Eva schiebt ihre Hand in die Manteltasche, umfasst den Apfel darin, schließt die Augen, denkt: Ich weine jetzt hier nicht. Ich kriege auch keinen Durchfall. Nicht jetzt und nicht hier.

Evas Fingernägel bohren sich in den Apfel. Sie gibt sich einen Ruck und holt ihn heraus, legt ihn mit Schwung auf den Schreibtisch des Herrn.

Wissen Sie, was das ist?, fragt Eva.

Der Herr grinst, schluckt dann aber, weiß nicht, was er sagen soll.

Also hören Sie, sagt er dann in versöhnlichem Ton, ich möchte doch nur nicht, dass Sie …

Aber Eva ist schon aufgestanden. Sie nimmt den Apfel, beißt hinein und knallt ihn dem Herrn wieder auf den Tisch.

Lassen Sie es sich schmecken, sagt Eva. Trauen Sie sich!

Eva geht. Das kann nicht sein, denkt sie. Das darf nicht sein. Das hier war sicher nur die falsche Person. Es muss andere geben, spezialisiert auf Fälle wie mich.

Eva zieht die Tür mit Schwung hinter sich zu, dass es scheppert. Draußen, auf dem langen Gang, beginnt sie laut zu schluchzen. Aber eben erst draußen. Sie sucht schleunigst die nächste Toilette auf.

Eva lässt sich in der Bücherei einschreiben. Sie borgt aus:

Wolf, Christa: Kein Ort. Nirgends

Das Kind in Evas Bauch wird täglich größer. Oder doch nicht? Eva ist sich plötzlich nicht mehr sicher. Sie tastet, sie spürt nichts. Zu sehen ist auch noch nichts. Aber der Test. Und Gott. Oder ob der Durchfall? Da wäre sie nicht die Erste, der das passiert. Nur, darüber redet man nicht. Kann man darüber reden? Soll man? Und mit wem? Eva hört Gott flüstern: Ich kann es dir nicht sagen, mein Liebchen. Aber das gehört dazu. Damit muss man rechnen. Wusstest du das nicht? So ist die Natur!

Und wenn Adam von Gott schon weiß, denkt Eva. Was wird er sagen. Was soll sie ihm sagen. Was muss sie. Wenn das Kind nun nicht mehr wächst. Oder nicht mehr da ist. Ist das die Strafe. Ist sie selbst daran schuld?

Bleib, Kind, sagt Eva. Wachse, werde, lass dich nicht abhalten. Und wenn es mich zerreißt, dich zu kriegen, ich will dich, ich werde dich in diese Welt hinauspressen. Und alles andere kläre ich vorher für dich. Du sollst es einfacher haben. Du sollst keine Schuld mit dir tragen müssen. Du sollst die Äpfel pflücken, die dir entgegenwachsen. Ohne Scheu, ohne Angst, ohne Reue. Ohne diesen elendigen, jahrtausendelangen Rattenschwanz. Den werfe ich vorher für dich ab.

Eva braucht eine Krankenversicherung. Eva braucht eine Aufenthaltsgenehmigung. Einen Staatsbürgerschaftsnachweis. Einen Ausweis. Einen Meldezettel.

In der Bücherei recherchiert Eva, wo was wann zu erledigen und zu holen ist. Die Liste an Behördenterminen ist lang. Eva druckt Formular um Formular aus. Magdalena nimmt sich einen Tag frei und wühlt sich mit Eva durch den Berg. Der Berg ist massiv.

Ich weiß mein Geburtsdatum nicht, sagt Eva. Ich habe keine Geburtsurkunde. Ich habe nicht einmal eine Mutter.

Lass das Feld frei, sagt Magdalena, das sollen die auf dem Amt klären.

Magdalena reicht Eva einen Apfel, Eva beißt hinein und stutzt wieder: Bei Herkunftsland und Staatsangehörigkeit weiß ich auch nicht, was schreiben. Das Paradies ist kein anerkannter Staat.

Lass frei, sagt Magdalena. Wenn sie dich hier nicht aufnehmen und ermöglichen, dass du legal hier lebst, dann ist ihnen nicht mehr zu helfen.

Grund der Einreise?, fragt die Dame auf der Behörde.

Neugier, sagt Eva. Und kein Weg zurück.

Hören Sie, sagt die Dame empört, verarschen kann ich mich selbst. Sie sind hier nicht die Einzige, die etwas möchte. Also was möchten Sie?

Ich möchte hier bleiben. Ich möchte ein Leben ohne Adam und vor allem ohne Gott. Ich möchte entscheiden, wie ich es verbringe und mit wem ich schlafe. Ich möchte mein Kind zur Eigenverantwortung erziehen. Ich möchte insgesamt einfach wählen können. Und ich möchte, dass mein Kind wählen kann. Ist das zu viel verlangt?

Eva sieht der Dame fest in die Augen, während sie spricht. Sie sitzt aufrecht, sie versucht, wenig zu blinzeln und ruhig zu sprechen. Sie hat das mehrere Abende lang geübt, mit Magdalena, sie hat sich diese Sätze sorgfältig zurechtgelegt.

Schwanger sind Sie auch noch?, fragt die Dame. Mädchen, Mädchen, das wird kompliziert.

Ich bin eine Frau, sagt Eva, kein Mädchen. Auch wenn ich mein Geburtsdatum nicht weiß, weiß ich doch, dass ich in den letzten Wochen erwachsener geworden bin, als man es werden kann. Ich kann nicht zurück, verstehen Sie das? Der Garten Eden ist zu. Geschlossen. Dicht.

Eva holt einen Apfel aus ihrer Tasche und beißt hinein. Sie kaut, langsam, bedächtig, und sieht der Dame ins Gesicht.

Die Dame seufzt.

Verstehe, sagt sie.

Die Dame kritzelt eine Nummer auf ein Klebezettelchen und klebt es Eva auf den angebissenen Apfel, den diese demonstrativ vor sich auf den Tisch gelegt hat.

Rufen Sie da an, zischt die Dame leise. Aber von mir haben Sie das nicht. Und jetzt raus.

Grüß Gott, sagt der Herr, den Eva nun in einem Kaffeehaus trifft. Oder wie war das? Das wollten Sie ja lieber nicht mehr.

Der Herr lacht. Eva weiß nicht, ob sie lachen oder so tun soll, als hätte sie das überhört. Sie entscheidet sich für lachen. Und bestellt sich das gleiche, das der Herr schon vor sich hat: Eine Melange und ein Stück Sachertorte.

Wie es sich für Wien gehört, denkt sie. Und muss dann wirklich lachen.

Nun, sagt der Herr, was genau kann ich für Sie tun? Woher haben sie eigentlich meine Nummer.

Das kann ich ihnen nicht sagen, sagt Eva schnell. Aber ich möchte jedenfalls hier bleiben. Eine Arbeit suchen. Mein Kind bekommen. Leben. Halten Sie das für möglich?

Nun, sagt der Herr. Das Paradies hat ja leider kein Konsulat, zu dem ich Sie nun schicken kann. Aber es gibt immerhin schlechtere Herkunftsländer.

Er lacht wieder. Dieses Mal entscheidet Eva sich dafür, so zu tun, als hätte sie den letzten Satz überhört. Und stochert in ihrem Stück Sachertorte. Stochert das Stück kurz und klein.

Das Kind macht vieles um einiges leichter, aber auch vieles um einiges schwieriger, sagt der Herr. Seit wann wissen Sie, dass sie schwanger sind?

Erst seit Kurzem.

Wussten Sie es, als Sie das Paradies verließen?

Nein.

Das ist schlecht. Das müssen wir ändern.