Das Loch - Simone Hirth - E-Book

Das Loch E-Book

Simone Hirth

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Beschreibung

Lieber Frosch! Lieber Jesus! Liebe Madonna! So beginnen die Briefe einer Mutter, die zu schreiben versucht, aber kaum noch dazu kommt. Seit sie ein Kind hat, fühlt sie sich isoliert und in alten Rollenmustern gefangen. Sie hat viele Fragen: nicht nur zum Muttersein und zur Ehe, sondern zur Welt und zu den Dingen, wie sie sind. Hat sich Jesus schon mal Gedanken übers Kinderkriegen gemacht? Und wie verbringt eigentlich Mohamed den Weltfrauentag? Sie schreibt Briefe an Schneewittchen, an Ulrike Meinhof, an ihren Schwiegervater und Sohn. Je mehr Briefe sie schreibt, desto wütender wird sie: auf die ungerechte Rollenverteilung, auf die Religion und Politik. Simone Hirth gelingt es in ihrem neuen Roman, tief in die festgefahrenen Strukturen unserer Gesellschaft einzudringen. Dabei überzeugt sie einmal mehr mit ihrem ganz eigenen und neugierigen Blick auf die Welt und schafft den Spagat zwischen Wut und Optimismus. Die Dinge müssen eben nicht so bleiben, wie sie sind. "Versteh mich nicht falsch. Ich wollte Mutter werden, ich bin gerne Mutter. Aber ich bin auch wütend, seit ich Mutter bin. Ich bin auf sehr vieles sehr wütend. Zum Beispiel auf den heutigen sogenannten Weltfrauentag, an dem ich hier sitze, allein mit dem Kind."

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SIMONE HIRTH

DAS LOCH

BRIEFROMAN

Für meinen Sohn

Handlungen und Personen in diesem Buch sind erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich existierenden Personen ist nicht beabsichtigt und wäre daher Zufall.

Diese Nacht war ein Wolf – vielleicht wird die nächste ein Apfel?

Christine Lavant

Wenn die Kinder in der Schule, Abwasch und Einkäufe erledigt waren und das Bügeleisen langsam erkaltete, widmete sich Heinrich Böll seinem heimlichen Hobby, dem Schreiben.

Simone Meier (#dichterdran)

Inhalt

Unterfelden, den 31. Dezember 2017

Unterfelden, den 31. Dezember 2017

Unterfelden, den 1. Jänner 2018

Unterfelden, den 2. Jänner 2018

Unterfelden, den 3. Jänner 2018

Unterfelden, den 5. Jänner 2018

Blaubrunn, den 20. Jänner 2018

Blaubrunn, den 20. Jänner 2018

Blaubrunn, den 20. Jänner 2018

Unterfelden, den 22. Jänner 2018

Unterfelden, den 28. Jänner 2018

Unterfelden, den 29. Jänner 2018

Unterfelden, den 30. Jänner 2018

Unterfelden, den 31. Jänner 2018

Unterfelden, den 2. Februar 2018

Unterfelden, den 2. Februar 2018

Unterfelden, den 2. Februar 2018

Unterfelden, den 3. Februar 2018

Unterfelden, den 4. Februar 2018

Unterfelden, den 5. Februar 2018

Unterfelden, den 6. Februar 2018

Unterfelden, den 9. Februar 2018

Unterfelden, den 12. Februar 2018

Unterfelden, den 12. Februar 2018

Unterfelden, den 12. Februar 2018

Unterfelden, den 13. Februar 2018

Unterfelden, den 14. Februar 2018

Unterfelden, den 15. Februar 2018

Unterfelden, den 15. Februar 2018

Unterfelden, den 16. Februar 2018

Unterfelden, den 16. Februar 2018

Unterfelden, den 17. Februar 2018

Unterfelden, den 17. Februar 2018

Unterfelden, den 18. Februar 2018

Unterfelden, den 20. Februar 2018

Unterfelden, den 22. Februar 2018

Unterfelden, den 24. Februar 2018

Unterfelden, den 26. Februar 2018

Unterfelden, den 27. Februar 2018

Unterfelden, den 1. März 2018

Unterfelden, den 7. März 2018

Unterfelden, den 8. März 2018

Unterfelden, den 9. März 2018

Unterfelden, den 11. März 2018

Unterfelden, den 12. März 2018

Unterfelden, den 12. März 2018

Unterfelden, den 13. März 2018

Unterfelden, dem 15. März 2018

Unterfelden, den 17. März 2018

Irgendwo in Tschechien, 20. März 2018

Irgendwo in Tschechien, 20. März 2018

Streptin, den 21. März 2018

Streptin, den 21. März 2018

Streptin, den 21. März 2018

Streptin, den 21. März 2018

Streptin, den 22. März 2018

Streptin, den 22. März 2018

Unterfelden, den 25. März 2018

Blaubrunn, den 28. März 2018

Blaubrunn, den 28. März 2018

Unterfelden, den 1. April 2018

Unterfelden, den 1. April 2018

Unterfelden, den 4. April 2018

Unterfelden, den 7. April 2018

Unterfelden, den 7. April 2018

Unterfelden, den 14. April 2018

Unterfelden, den 17. April 2018

Unterfelden, den 20. April 2018

Unterfelden, den 22. April 2018

Unterfelden, den 29. April 2018

Unterfelden, den 3. Mai 2019

Unterfelden, den 6. Mai 2018

Unterfelden, den 9. Mai 2018

Unterfelden, den 14. Mai 2018

Unterfelden, den 19. Mai 2018

Unterfelden, den 25. Mai 2018

Unterfelden, den 2. Juni 2018

Unterfelden, den 18. Juni 2018

Unterfelden, den 20. Juni 2018

Unterfelden, den 25. Juni 2018

Unterfelden, den 29. Juni 2018

Unterfelden, den 3. Juli 2018

Unterfelden, den 12. Juli 2018

Unterfelden, den 14. Juli 2018

Unterfelden, den 18. Juli 2018

Unterfelden, den 22. Juli 2018

Unterfelden, den 27. Juli 2018

Unterfelden, den 28. Juli 2018

Unterfelden, den 29. Juli 2018

Breślova, den 5. August 2018

Breślova, den 5. August 2018

Breślova, den 6. August 2018

Breślova, den 6. August 2018

Breślova, den 8. August 2018

Breślova, den 9. August 2018

Breślova, den 10. August 2018

Breślova, den 12. August 2018

Breślova, den 13. August 2018

Breślova, den 14. August 2018

Breślova, den 15. August 2018

Breślova, den 16. August 2018

Breślova, den 16. August 2018

Breślova, den 17. August 2018

Breślova, den 18. August 2018

Breślova, den 19. August 2018

Breślova, den 20. August 2018

Breślova, den 21. August 2018

Breślova, den 22. August 2018

Breślova, den 27. August 2018

Breślova, den 27. August 2018

Breślova, den 28. August 2018

Unterfelden, den 2. September 2018

Unterfelden, den 5. September 2018

Unterfelden, den 6. September 2018

Irgendwo in Österreich, den 8. September 2018

Ramino, den 9. September 2018

Ramino, den 10. September 2018

Ramino, den 13. September 2018

Ramino, den 14. September 2018

Ramino, den 15. September 2018

Ramino, den 15. September 2018

Ramino, den 15. September 2018

Ramino, den 17. September 2018

Ramino, den 17. September 2018

Unterfelden, den 20. September 2018

Unterfelden, den 22. September 2018

Unterfelden, den 25. September 2018

Unterfelden, den 29. September 2018

Unterfelden, den 2. Oktober 2018

Unterfelden, den 4. Oktober 2018

Unterfelden, den 8. Oktober 2018

Unterfelden, den 10. Oktober 2018

Unterfelden, den 13. Oktober 2018

Unterfelden, den 15. Oktober 2018

Unterfelden, den 24. Oktober 2018

Unterfelden, den 24. Oktober 2018

Unterfelden, den 26. Obtober 2018

Unterfelden, den 29. Oktober 2018

Unterfelden, den 31. Oktober 2018

Unterfelden, den 2. November 2018

Unterfelden, den 4. November 2018

Unterfelden, den 8. November 2018

Unterfelden, den 11. November 2018

Unterfelden, den 15. November 2018

Unterfelden, den 20. November 2018

Unterfelden, den 23. November 2018

Unterfelden, den 27. November 2018

Unterfelden, den 30. November 2018

Unterfelden, den 1. Dezember 2018

Unterfelden, den 3. Dezember 2018

Unterfelden, den 8. Dezember 2018

Unterfelden, den 8. Dezember 2018

Unterfelden, den 10. Dezember 2018

Unterfelden, den 11. Dezember 2018

Unterfelden, den 14. Dezember 2018

Unterfelden, den 17. Dezember 2018

Unterfelden, den 20. Dezember 2018

Unterfelden, den 23. Dezember 2018

Unterfelden, den 25. Dezember 2018

Unterfelden, den 27. Dezember 2018

Unterfelden, den 29. Dezember 2018

Unterfelden, den 30. Dezember 2018

Unterfelden, den 31. Dezember 2018

Danksagung

Unterfelden, den 31. Dezember 2017

Liebes Loch,

stell dir vor, es ist Krieg, und keine kann hin.

Ich besitze keine Kanone und will keine besitzen. Ich will auch in keinen Krieg ziehen. Aber es gibt eine Menge Kriege, große und kleine, und sie gehören beendet.

Wie soll das von zu Hause aus gehen? Wenn man seit Monaten keine einzige Nacht länger als eine Stunde am Stück geschlafen hat? Weil das Kind schreit. Oder quengelt. Oder kotzt. Oder kackt.

Und wegen dir.

Was soll das? Was glaubst du, wer du bist?

Ich bin so wütend auf dich, dass ich jetzt sofort in dieses ungesunde Sacherwürstel beißen muss. Ich werde dich aus meinem Bauch verbannen und aus meinem Kopf. Warum sollte nicht auch eine stillende Mutter dem Größenwahn verfallen? Ich, Henriette Schöbel, werde einen Krieg beenden! Auch wenn es nur ein kleiner ist. Von zu Hause aus. Und du, Loch, wirst mich nicht mehr davon abhalten.

In Vorfreude,

eine Schreibende

Unterfelden, den 31. Dezember 2017

Liebes Murmeltier,

wie verbringst du diese Nacht? Feuerwerk, Walzer, Sekt?

Ach nein, natürlich nicht – du machst ja Winterschlaf, wie es für deine Art vorgesehen ist.

Auch ich werde gegen 19 Uhr mit dem Kind schlafen gehen, weil das Kind ohne mich noch nicht schlafen kann. Auch mit mir kann das Kind im Übrigen nicht schlafen.

Ich weigere mich, das Kind Baby zu nennen, weil mir etwas an diesem Wort nicht gefällt.

Bei Menschen ist ein Winterschlaf nicht vorgesehen. Ab jetzt werde ich wieder schreiben.

Ich muss wieder schreiben, sonst gehe ich ein.

Die Hoffnung ist gelb wie deine Zähne.

Auch wenn du sie gerade nicht zeigst.

Liebe Grüße,

eine Bergsteigerin

PS: Dass Unterfelden fernab der Berge liegt, muss ich dir nicht erklären.

Unterfelden, den 1. Jänner 2018

Lieber Jesus,

endlich sitze ich hier. Sitze endlich hier einfach so da. Am Küchentisch. Und schreibe dir diesen Brief. Wie beginnt ein Brief an dich? Wie beginnt ein Brief?

Oha, er kackt schon.

So sicherlich nicht. Aber es ist der Satz, der nach acht Monaten totaler Mutterschaft endlich einmal aufgeschrieben gehört. Damit er da steht. Buchstaben. Schrift. Zeichen auf weiß.

Und was zu diesem Satz noch alles geschrieben werden muss. So vieles! Aber wann?

Sohn weint

Ich schreibe jetzt im Stehen, Papier auf Wickelkommode. Mein Sohn hängt in der Bauchtrage an mir und schläft. Wenn ich mich setze, wacht er auf und weint vermutlich weiter. Ich bin müde. Ich würde auch gerne weinen. Aber es führt ja zu nichts. Ich bleibe stehen. Schreibend jetzt. Wenigstens schreibend.

Dieser Brief scheint mir momentan die einzige Möglichkeit, mich aus dem Loch zu befreien. Denn auch wenn ich verheiratet bin und seit der Geburt meines Sohnes nie länger als höchstens zwei Stunden allein war, so hat der Zustand des Mutterseins und des Nichtschreibens doch ein großes, einsames Loch um mich aufgerissen. Nicht, dass ich mir mein Kind nicht gewünscht hätte. Auch für die Ehe habe ich mich bewusst entschieden. Ich dachte: ein Team bilden. Aber Jakob, mein Mann, kann nicht wissen, was sich alles in mir abspielt, seit ich Mutter bin. Und dass diese Mutterschaft eine Seite hat, zu der ich nur sagen kann: Es ist oft sehr dunkel in mir.

So dunkel, dass ich denke, ich halte es nicht aus.

Sohn wacht auf

Er hat sein Köpfchen gedreht, mit einem Blick kontrolliert, ob noch alles in Ordnung ist um ihn herum, dann hat er seine Augen wieder zugemacht und ist seufzend eingeschlafen.

Das Schreiben dieses Briefes nimmt mir das Gefühl der Einsamkeit. Da ist jemand, an den sich dieser Brief richtet, den dieser Brief, wann und auf welche Weise auch immer, erreicht.

Ich werde alles in diesen Brief schreiben, ohne Scham, so, wie es kommt.

Keine Ordnung.

Kein Plan.

Keine Konstruktion.

Blick auf die Kirchturmuhr. Bitte entschuldige, aber ich muss jetzt noch was einkaufen gehen, bevor der Nah & Gut schließt. Und dann Abendessen machen und meinen Sohn baden und ihn ins Bett bringen usw.

Ich schreibe morgen weiter.

Herzliche Grüße,

eine Gläubige

Unterfelden, den 2. Jänner 2018

Lieber Jesus,

der Nah & Gut hatte gestern gar nicht offen, weil Feiertag war. Ich habe nicht mehr dran gedacht. Ich ärgere mich, dass ich dir nicht gleich ausführlich geschrieben habe. Es lag mir alles auf der Zunge, was ich sagen, also schreiben wollte. Und mein Sohn war nach dem Schläfchen in der Bauchtrage wieder zufrieden, betrachtete und untersuchte eine ganze Weile sehr vertieft seinen kleinen Traktor, brauchte mich also nicht.

Jetzt ist das, was ich dir gestern schreiben wollte, weg. Verschluckt. Ich kann nur versuchen, es nochmal hervorzuholen. Es kuhartig wiederzukäuen. Vielleicht klappt es. Vielleicht wird es sogar noch genauer, beim zweiten Anlauf, als Kuh schreibend.

Ich, Kuh, würde mich nicht als eine Christin bezeichnen. Obwohl ich an dich glaube. Ich bin überzeugt, es gibt dich, denn hin und wieder habe ich das starke Bedürfnis, mich an dich zu wenden. Wenn ich das nicht hätte, gäbe es dich ja wohl nicht.

Doch um außer Kuh auch Christin zu sein, fehlt mir der nötige Überblick über die Bibel. Ich hatte nie Zeit, sie ganz zu lesen. Gut, ich habe mir die Zeit wohl nie genommen.

Es fehlt mir auch das Talent zum Beten oder diese Überzeugung, dass meine Gebete erhört werden. Ohne die muss man gar nicht erst losbeten.

Es fehlt mir außerdem absolut die Bereitschaft, mich in einer Kirche wohlzufühlen. Ich finde es immer so kalt da drin. Unwirtlich. Und gleichzeitig oft übertrieben prunkvoll geschmückt.

Ich verstehe Kirchen nicht.

Ich wünschte, ich könnte beten. Beten ist etwas Großartiges. Es macht Sinn, davon bin ich überzeugt.

Käse, Plastik, downloaden, Steuererklärung, Staubsauger, grantig, Pampers, IBAN, Geschirrspülmaschinenentkalkungstablette, scannen, Butterkipferl, Schwamm, Restmist, Fußnagel, turbosexy, Gartenstuhl, Schimmelpilz, Gehaltsschere, Nassrasur, sozialversichert, Sanktionen, Amazon, Pferdesalami, Mundhygiene.

Ich bringe kein Gebet zusammen aus diesen Wörtern, auch wenn ich mich noch so sehr bemühe.

Es liegt auch daran, dass mir beim Beten, wie überhaupt beim Sprechen, der Untergrund fehlt. Gerade die Wörter, die ich ernst meine, brauchen einen Halt. Ich brauche Bodenhaftung. Weideland. Stabile Verhältnisse. Daher brauche ich das Schreiben viel mehr als das Sprechen und Muhen. Daher ist nichts fürchterlicher für mich als der Zustand des Nichtschreibens, des Nichtschreibenkönnens. Ein Loch.

Kein anderes Wort gibt es für diesen Zustand.

Widerwärtiges Loch.

Pfui.

Es gibt ein Papier unter dem Schreiben, das fängt alles auf. Nimmt alles ernst. Sogar den Blödsinn, den ich nie einfach so sagen würde: Der Himmel ist heute so seltsam blau.

So ein dummer Satz.

Aber auf dem Papier steht er dann, und er sieht schön aus.

Und schrecklich.

Man kann ihn sehen.

Wie eine Zeichnung. Aus Wörtern. Und Wörter sind Füße und Augen, Zähne, Wäscheleinen, Sandwiches, Aktien, Opposition und Elektrizität. Also wer braucht das Blaue vom Himmel, wenn er Wörter hat. Und wenn die Wörter einem fehlen, kann ein blauer Himmel sehr bedrohlich sein.

Sohn weint

Finger in der Motorhaube des kleinen Traktors eingeklemmt. Kein altersgerechtes Spielzeug, eher ein Sammlerstück, das man ins Regal stellt. Aber mein Sohn liebt ihn.

Ich finde

Sohn weint

Unterfelden, den 3. Jänner 2018

Lieber Jesus,

ich konnte gestern nicht mehr weiterschreiben. Ich muss heute neu anfangen. Bitte entschuldige, aber das wird vermutlich noch öfter passieren.

Mein Sohn ist mit dem Po voran zur Welt gekommen. Ich glaube an das Gute. Beides ist für alle Beteiligten nicht einfach. Aber es geht. Die Schmerzen gehören dazu.

Während der Geburt meines Sohnes sagte die Hebamme im Morgengrauen: Oha, er kackt schon.

Ich hörte diesen Satz und wusste: Gleich ist es geschafft. Dieser Satz ist seither mein liebster Satz. Ich wiederhole ihn mir immer wieder, wenn etwas schwierig ist, ich nicht weiterweiß, ich das Gefühl habe, nicht mehr zu können.

Dann geht es wieder. Dann ist alles viel einfacher. Dann wird letztlich alles gut.

Kannst du das verstehen?

Ich denke, dass auch du jemand bist, der an das Gute glaubt.

Das ist wirklich nicht einfach.

Fast alle, mit denen ich darüber sprach, sagten, dass es nicht einfach werden würde, meinen Sohn natürlich zu bekommen, obwohl er verkehrt herum in mir saß. Die meisten, außer der seit Jahrzehnten praktizierenden Hebamme, empfahlen mir einen planbaren Kaiserschnitt. Ich wollte die Geburt meines Sohnes nicht planen, ich wollte ihn so auf diese Welt kommen lassen, wie er es wollte und wie das Leben es vorgesehen hat. Und ja, ich habe darauf vertraut, dass alles im Leben seine Richtigkeit hat.

So ein esoterischer Quatsch, sagten da viele. Aber um eines klarzustellen: Ich habe mit der Esoterik wenig am Hut. Und ich benutze das Wort Leben äußerst ungern, weil ich finde, dass es nie das ausdrücken kann, was es sein soll. In dieser Sache aber ging es um ein Wissen in mir, ein Vertrauen, dass da war und letztlich richtig war. Mein Sohn wurde gesund und ohne Komplikationen geboren.

Ich könnte mir vorstellen, dass das für dich einleuchtend ist. Bitte berichtige mich, wenn ich falsch liege.

Du wurdest verraten und an ein Holzkreuz genagelt, und danach hast du trotzdem weitergemacht. Das ist natürlich nicht zu vergleichen mit einer Steißgeburt. Das macht dir niemand so schnell nach. Ich denke, das hält man nur mit viel Humor aus.

Du hast doch Humor, nicht wahr? Ich kann mir vorstellen, dass wir beide über dieselben Witze lachen. Was hältst du zum Beispiel von diesem: Treffen sich zwei Päpstinnen.

Und: Wieso eigentlich nicht?

Herzliche Grüße,

eine Gläubige

Unterfelden, den 5. Jänner 2018

Liebes Loch,

mein Sohn ist krank, Verkühlung, Fieber, er braucht mich ganz und gar, und ich habe keine Zeit, viel zu schreiben. Nur dies für jetzt: Ich habe wieder begonnen. Ich bin wieder dabei. Heute vielleicht nicht mehr und wohl auch nicht morgen, aber prinzipiell bin ich wieder dabei. Und ich werde es dir zeigen!

Viele Grüße

von mir

Blaubrunn, den 20. Jänner 2018

Lieber Mohammed,

ich sitze bei McDonald’s in Blaubrunn und ich habe keinen Laptop dabei. Daher schreibe ich dir diesen Brief von Hand.

Ich schreibe mit einem Volksbank-Kugelschreiber auf ein McDonald’s-Papiersackerl.

Ich habe gehört, dass du gar nicht schreiben und lesen kannst. In der Zeit, in der du lebst, ist das Aufschreiben noch nicht wichtig. Man erzählt sich alles, dafür aber sehr genau.

Es stört mich nicht, dass du nicht lesen und schreiben kannst. Ich weiß, dass du mich hörst, während ich dies schreibe. Du verstehst jedes Wort. Das ist ja auch irgendwie dein Job, als Prophet. Das Verstehen, meine ich. Du verstehst sicher viel mehr, als dir manchmal lieb ist. Das ist anstrengend. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Ich wünsche mir oft, ich könnte den lieben langen Tag mit meinem Sohn auf dem Schoß am Mühlbach sitzen und dem Wasser beim Fließen zuschauen und beim Plätschern zuhören. Aber da treibt immer so viel vorbei: Jan Ullrich, der Ex-Radprofi, treibt auf einer Luftmatratze den Bach runter in die Psychiatrie. Ein Forscher in einem offenen Holzsarg, der mit einer Lupe die Geschwindigkeit des Todes erforscht. Ein Boot voller Mist aus Rom, der dort nicht entsorgt werden konnte. Amazon-Pakete. Salzburger Poller. Ein Wasserkraftwerk, das sich selbstständig gemacht hat. Die slowenischen Schwiegereltern von Donald Trump auf einem goldenen Floß. Der Plastiktrichter, mit dem mein Sohn sonst in der Badewanne spielt. Ein Selbstmordattentäter, der sich selbst anzündete und in eine Menschenmenge laufen wollte, es sich anders überlegte und in den Bach sprang, um sich zu löschen. Eine leere Dose Thunfisch in Öl. Ein Schaumkrönchen. Günter Grass in einem Neoprenanzug und mit erhobenem Zeigefinger, auf eine Ente deutend, die vor ihm schwimmt und ein Wahlzuckerl der FPÖ im Schnabel hat. Kinderbetreuungsgeld, in großen Scheinen. Ein Weinfass, voller Wasser. Ein Fußball. Ein täuschend echt aussehendes Spielzeuggewehr. Jedermann, die Reclam-Ausgabe. Ein Gipfelkreuz, vielleicht auch ein Kruzifix aus einem bayrischen Klassenzimmer. Ein paar türkische Lira. Ein leerer Schuhkarton. Einer, der sich an ein Holzbrett klammert und auf der Flucht ist. Meine alte rote Zahnbürste, die ich wegwarf, nachdem ich eine elektrische Zahnbürste geschenkt bekommen hatte. Ein Brot, dick mit amerikanischer Erdnussbutter bestrichen. Eine Kiste voll gestohlener Smartphones. Ein U-Boot unbekannter Herkunft. Eine Luftpumpe. Ein Strauß Schwertlilien. Ein gefälschtes Dürer-Gemälde. Das Alte Testament, dicht gefolgt vom Neuen Testament und der Kleinen Raupe Nimmersatt, als E-Books. Eine leere Biomilchpackung, Tetra Pak, die ein Hippie schon dafür vorbereitet hat, ein Portemonnaie daraus zu basteln. Ein Portemonnaie aus Krokodilleder. Eine Kühlbox voller Touristen. Eine NASA-Sonde. Ein Pilz, es ist ein Beringter Schleimrübling, Oudemansiella mucida. Ein Gebetsteppich, den mein Opa vom Kegelausflug aus Ägypten mitbrachte, den meine Oma dann als Schuhabtreter benutzte und meine Tante schließlich als Hundedecke. Ein Fitnessgerät. Eine Luftabwehrrakete. Eine Pfanne Kaiserschmarrn mit einer feinen Staubzuckerschicht. Zwei eilige Rosinen, die den Anschluss verpasst haben. Kruppstahl, obwohl der nicht schwimmt. Ein durch das Wasser aufgelöstes und dadurch unlesbar gewordenes Parteiprogramm der Grünen aus dem Jahr 1999. Ein Bärchenkostüm. Ein Bumerang made in China. Ein rostiges E-Bike. Ein Loch. Und ein großer Glaube.

Nicht der Glaube an eine bestimmte Religion. Auch nicht an die deine, lieber Mohammed. Du kannst mir das hoffentlich verzeihen.

Aber ein Glaube ist in mir, daran, dass es das Gute gibt. Ich kann nicht beschreiben, wie dieses Gute ausschaut, was es ist. Es gibt genügend Dinge und Ereignisse, die daran rütteln. Es in Frage stellen. Klein und lächerlich machen. Es immer wieder verhindern.

Ich kann aber den Glauben in mir nicht abstellen. So, wie ich das Bedürfnis nicht abstellen kann, dir diese Zeilen jetzt zu schreiben. Nur aus dem Gefühl heraus, dass wir uns an einem bestimmten Punkt treffen könnten.

Vielleicht bei einem Becher von diesem herrlichen schwarzen Kaffee hier, den ich mir jetzt geholt habe. Er ist im Moment im Angebot: 1 Euro!

Vermutlich ist es kein fair gehandelter Kaffee, und mir fällt gerade nichts ein, was ich zu meiner Verteidigung sagen könnte.

Kennst du das eigentlich, wenn jemand zu dir sagt: Hallo, wie geht’s?

Und du weißt nicht, was du antworten sollst?

Mir geht es oft so. Ich sage dann so etwas wie: Ich habe heute Morgen, als ich mit meinem Sohn auf dem Weg zum Nah & Gut war, einen Feldhasen über die Bahngleise hoppeln sehen. Der Hase kam zu uns, rieb zur Begrüßung zärtlich sein Näschen an unseren Handrücken und erzählte dann mit seinem schnuffigen Stimmchen von 1400 Toten auf der Mittelmeerroute.

In Wahrheit sage ich: Gut.

Aber auch an diesem Gut stimmt etwas nicht, an dieser ganzen Wahrheit ist etwas falsch. Weil ich weiß: Es ist etwas im Busch. Und in mir. Etwas, das es mir schwer macht, mich richtig zu fühlen und etwas Richtiges zu sagen. Ich würde mich gerne öfter richtig fühlen und etwas Richtiges sagen. Gerade auf dem Weg zum Nah & Gut. Während mein Sohn im Buggy sitzt und quiekt, weil da der Hase läuft.

Das Wort Buggy finde ich übrigens fürchterlich, ich muss mich sehr zusammenreißen, es aufzuschreiben. Leider ist das Ding manchmal praktisch.

Entschuldige, ich muss kurz zur Toilette.

Blaubrunn, den 20. Jänner 2018

Lieber Frosch,

gerade war ich bei McDonald’s auf der Toilette, dort lief tatsächlich: I can’t get no satisfaction. Ziemlich laut sogar. Und danach: La Isla Bonita.

Aber dazwischen, da war es kurz still. Da habe ich, ganz kurz nur, gedacht, ich höre dich quaken. Aus der Toilette heraus, von weit unten her, ganz leise. Obwohl du dich vermutlich noch in Winterstarre befindest – das warst du doch? Ich musste auf der Stelle lachen, als ich es hörte. Dann pinkelte ich und sang bei Madonna mit. Ich mag Madonna.

Das nur in Kürze, demnächst mehr.

Herzliche Grüße,

eine Kollegin

Blaubrunn, den 20. Jänner 2018

Lieber Mohammed,

ich musste unterbrechen, weil ich einen Frosch quaken hörte. Aber der 20. Jänner hat ja gerade erst begonnen, mein Mann Jakob ist heute zu Hause bei meinem Sohn, und da ich tagsüber nicht mehr stille, weil mein Sohn mit seinen drei Zähnen schon allerhand essen kann, habe ich keine Eile, McDonald’s zu verlassen. Ich bin sonst nie bei McDonald’s, aber heute schien es mir genau der richtige Ort für mich in meinem Zustand zu sein.

Seit ich Mutter bin, ist mir bewusst geworden, dass ich glauben muss. Für meinen Sohn. Ich muss den Buggy sein lassen, was er ist, und auch das Maxi-Cosi, so absurd ich es auch finde, und meinen Haarausfall und meine noch immer nicht ganz zurückgebildeten Muskeln und die Inkontinenz und die vielen, vielen Feuchttücher und die Waschmaschine und die Müdigkeit.

Mein Glaube ist ein Felsbrocken. Gewaltig und massiv. Er wiegt schwer. Wann immer ein leiser Zweifel in mir aufkommt, sehe ich den Felsbrocken. Er liegt da. Auf der Kreuzung vor dem Fenster von McDonald’s, hinter dem ich sitze und meine Pommes frites esse. Sie schmecken auch ohne Ketchup wunderbar.

Ein Murmeltier sitzt auf dem Felsbrocken und knabbert an einem Grashalm.