Mama, I need to kotz! - Lucie Marshall - E-Book

Mama, I need to kotz! E-Book

Lucie Marshall

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Beschreibung

„Mein Sohn wächst auch nicht schneller, wenn man an ihm zieht!“ Das sagt sich die Berliner Bloggerin Lucie Marshall nach einem Jahr Erziehungsexkursion in der aufregenden Inselmetropole London, in der verschiedenste Nationen und Erziehungsstile aufeinanderprallen und deswegen auch so einiges anders läuft ... Witzig, ungeniert und authentisch erzählt die junge Mutter von großem Chaos, kleinen Erleuchtungen und vielen gut gemeinten Ratschlägen.

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Seitenzahl: 212

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Buch

»Mein Sohn wächst auch nicht schneller, wenn man an ihm zieht!« Das sagt sich die Berliner Bloggerin Lucie Marshall nach einem Jahr Erziehungsexkursion in der aufregenden Inselmetropole London, in der verschiedenste Nationen und Erziehungsstile aufeinanderprallen und deswegen auch so einiges anders läuft …

Witzig, ungeniert und authentisch erzählt die junge Mutter von großem Chaos, kleinen Erleuchtungen und vielen gut gemeinten Ratschlägen.

Autorin

Tanya Neufeldt, geboren 1972, ist Schauspielerin und bekam mit 37 Jahren ihr erstes Kind. Seitdem erzählt sie als Lucie Marshall in ihrem sehr erfolgreichen Blog mit viel Humor und Selbstironie über ihre alltäglichen Herausforderungen als Mutter. Sie schrieb regelmäßig Kolumnen in der taz und in der freundin, die man neben einer Webserie zum Blog seit März 2016 auch online einsehen kann. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin-Mitte.

Außerdem von Lucie Marshall im Programm

Auf High Heels in den Kreißsaal ( auch als E-Book erhältlich)

LUCIE MARSHALL

Mama,

I need to

kotz!

Was ich in Londonals Mutter lernte

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

Originalausgabe Juli 2016

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

© 2016 Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: Lucie Marshall; FinePic®, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

JT · Herstellung: IH

ISBN 978-3-641-13197-5V001

www.goldmann-verlag.de

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Inhalt

Vorwort: Mein zweites Buch

Am Anfang war der Ort

London Calling

Getting Ready

Welcome!

First Days

From bad to worse

Die Suppe, die man sich eingebrockt hat

Heul-Skypen mit Raffaella

Der Elternabend

It’s raining, it’s pouring, the old man is snoring …

Eine Dusche in meinem Arbeitszimmer

Wer zuerst lacht, lacht am längsten

Michiko – eine Japanerin in London

Auf Immobilienjagd in London

Wo unsere Wurzeln sind …

Good for you, not for me

Monstertrucks und Sockenrebellion

Adam – ein Papa unter vielen Mamas

Kindergeburtstage

Who am I?

Anders sein in einem anderen Land

Amy – an American Mummy

Ein Hoch auf die Briten

Brauchen Kinder Tiere?

Marisa und Sabine – noch mehr Mütter, noch mehr Perspektiven

Meine U7 oder: Die Mutterolympiade

Drillinge am Nachmittag

Happy Endings

Bleiben wir? Bleiben wir nicht?

Maria und ich

Meine kleine Welle

Friedenspfeife rauchen

Der Blick zurück nach vorn

Es geht zurück

Back in Berlin oder London-Kater

Die Schuld der Geburt

Raffaella fragt

Sams fünfter Geburtstag

Sams Rückblick auf London

Dank

Vorwort: Mein zweites Buch

Mit dem zweiten Buch ist es vermutlich ähnlich wie beim zweiten Kind. Behaupte ich jetzt mal nonchalant, obwohl ich nur eins habe. Tatsache bleibt: Es ist einfach nicht zu vergleichen.

Mein erstes Buch war gar nicht geplant. Ich habe damals ja nur in mein »Gewitterbuch« geschrieben. Ohne Plan oder Verlag. Ich war so verblüfft von der Tatsache, dass dieses Baby, mein Sohn Sam, mein Leben vollständig auf den Kopf gestellt hatte. Ich hätte entweder den ganzen Tag rumrennen und brüllen müssen: »ICH GLAUBE DAS JETZT NICHT!!!« oder mich eben hinsetzen und es aufschreiben. Ja, ich musste.

Ich war wie ein Dampfkochtopf. Und damit ich nicht explodierte, habe ich geschrieben. Mit Pastinaken-Kürbisbrei in den ungewaschenen, zum Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren, sobald Sam auch nur sein Köpfchen auf das Kissen legte und endlich schlief. Was er sehr selten tat.

»Es ist ja so schwer, ein Buch zu schreiben!«, jammerte ich einem befreundeten Autor vor (und übrigens auch sonst jedem, der es hören wollte oder auch nicht. An dieser Stelle Dank an die vielen geduldigen Ohren!). Und er nickte. »Hast du schon angefangen?«, fragte er, und ich winkte ab. »Dann ist der Druck noch nicht groß genug. Dann musst du noch weiter prokrastinieren. Das ist ein ganz wichtiger Prozess.«

Das hat mir irrsinnig geholfen. Ich hatte die perfekte Ausrede von einem sehr, sehr, sehr erfahrenen Autor und prokrastinierte munter weiter.

Ich hatte wilde Fantasien davon, dass mein Verlag von einem Dinosaurier verschlungen werden würde, von Außerirdischen entführt oder sich wenigstens in Luft auflöste, sodass ich verschont blieb, das Buch nicht schreiben und den Vorschuss (den ich natürlich schon längst verprasst hatte) nicht zurückzahlen musste. Ich checkte jeden Tag meine Post nach einem Brief mit dem rettenden Inhalt »Liebe Lucie, du musst dein zweites Buch nicht schreiben. Schick uns doch einfach ein paar selbst gemalte Bilder von Sam. Herzliche Grüße, dein Goldmann Verlag«. Aber leider waren da nur die üblichen Rechnungen, Mahnungen und IKEA-Kataloge, mit denen ich mich ablenken konnte.

Doch eines Tages war das Haus der Prokrastiniererin in mir nicht mehr gemütlich genug, ich musste umziehen und begann zu schreiben. Und ich hatte sogar Spaß dabei. Sehr viel Spaß.

Das Buch, das dabei herausgekommen ist, handelt von unserer Zeit als Familie in London. Aber eben nicht nur von der räumlichen, der äußeren Reise, sondern auch von meiner inneren. Ich habe mein Gefühl von Herkunft neu entdeckt, habe gemerkt, dass man seine Wurzeln stärker spürt, wenn sie nicht im vertrauten Erdreich verankert sind. Ich habe einen anderen Blick für mich, meine Familie und unsere gemeinsames Leben geschenkt bekommen. Und: Ich habe einen Koffer mit Dingen gepackt, die ich aus London gerne mit nach Berlin nehmen möchte.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen. Und bei der Reise. Ein möglicher Selbstfindungstrip ist quasi der Bonus zum Buch.

Eure Lucie

Am Anfang war der Ort

London Calling

»Lucie, was hältst du von ein paar Monaten in London?«, fragt mich Marc an einem dunklen Abend im November und hat das Fragezeichen noch nicht ausgesprochen, da rufe ich bereits: »JA!«.

Marc pendelt seit mittlerweile fast einem Jahr beruflich zwischen Berlin und London hin und her. Was uns zunächst als zwei Tage London pro Woche verkauft wurde, entpuppte sich ziemlich schnell zu einer Viertagewoche in der britischen Hauptstadt. Er ist grundmüde vom vielen Reisen, den schlechten Hotelbetten, und kaum ist er zu Hause, nimmt Sam ihn sofort in Beschlag. Und dann ist da noch diese nörgelnde Ehefrau: »So war das aber nicht ausgemacht, dass du hier jetset-mäßig unterwegs bist und ich Haus und Hof instand halte …«

Ich weiß, dass es nicht wirklich jetset-like ist, morgens um 6 Uhr die liebevoll Rote-Augen-Bomber genannte Maschine nach London zu nehmen, zum Frühstück in der einen Hand ein Pappbrötchen, in der anderen einen überbrühten, labbrigen Kaffee, dazu noch eine Stunde Zeitverschiebung, die einen durch den Tag wanken lässt wie einen Leichtmatrosen auf hoher See, um dann nach einem langen Arbeitstag in ein anonymes Hotelzimmer zu stolpern, das zwar den Preis einer Luxussuite hat, sich aber leider als dunkles Dusch-Klo mit angeschlossener Schlafgelegenheit herausstellt. Aber ich bin trotzdem neidisch. Mein Leben ist ein öder Trott aus jeden Tag Fischstäbchen und »Puh, der Bär« vorlesen. Ich würde gerne mal wieder raus aus Berlin.

Verbindet mich irgendetwas mit London? Nicht wirklich, nein. Ich war vor einem Jahr für ein Wochenende dort. Es war herrlich, aber wenn man mich in der Stadt aussetzen würde, hätte ich keine Ahnung, wo es langgeht.

Wir haben die Queen als Winkemadame mit Solarbetrieb zu Hause auf dem Fensterbrett stehen. Auf ihrer Handtasche befinden sich Solarzellen. Wenn die Sonne scheint, dann winkt sie hysterisch und hat bestimmt schon eine Sehnenscheidenentzündung im Handgelenk. Allerdings hat Sam schon so oft mit ihr gespielt, dass die Rückseite ihres Kleides lädiert ist. Jetzt winkt sie halt mit nacktem Po. Was noch? Wir sehen uns zu Weihnachten immer den Film »Love Actually«, also »Tatsächlich … Liebe« an und weinen dann zusammen mit unseren Nachbarn, wenn Colin Firth stotternd und in schlechtem Portugiesisch seiner Angebeteten den Heiratsantrag macht. Irgendwie ist das für mich London: eine Mischung aus andauernder Weihnachtsstimmung, viel Liebe und Hugh Grant, der zu »Jump« von den Pointer Sisters in der Downing Street die Treppe heruntertanzt.

Ach, und: meine Lieblingsweingummis kommen aus England, und unsere Vorratsschränke sind immer bis auf den letzten Platz mit ihnen gefüllt, weil Marc sie für mich importiert.

Ansonsten ist London für mich immer nur die Zwischenlandung nach New York. In Heathrow kenne ich mich sehr gut aus, aber das wird mir nicht wirklich weiterhelfen.

Kurz gesagt, ich habe keinen blassen Schimmer, auf was ich mich da einlasse. Schon gar nicht mit Kind. Aber Sam ist gerade vier Jahre alt geworden, er geht noch in den Kindergarten. Das leidige Schulthema haben wir also nicht, was soll schon sein? Das riecht nach Abenteuer und das Adrenalin hat bereits angefangen, in meinen Adern zu tanzen.

Die Stadt ist so irre teuer, dass es ratsam wäre, vor dem Umzug im Lotto zu gewinnen oder – wie wir – mit einem deutschen Arbeitgeber hinzugehen.

Aber während ich in New York sofort wüsste, in welches Apartment, in welchem Haus und in welche Straße ich ziehen wollen würde und mir danach noch mindestens sieben Leute einfallen, die ich wegen eines Kindergartenplatzes anrufen könnte, fällt mir zu London nicht viel ein. Und ich befürchte, Hugh Grant wird mir in Sachen Kinderbetreuung nicht behilflich sein.

»Lass uns mal nach Wohnungen im Netz suchen«, schlägt Marc vor, und wir sitzen noch am selben Abend mit Laptop auf dem Schoß auf der Couch und begeben uns auf die Suche.

Die allererste Wohnung, die aufpoppt, liegt in Notting Hill. Hugh Grant hat also doch seine Finger mit im Spiel! Sie erstreckt sich über zwei Etagen und ist in einem Stil möbliert, als ob meine Finger im Spiel gewesen wären. Außerdem hat sie eine unfassbar schöne Terrasse. Der Wahnsinn! So habe ich mir das vorgestellt! Die Portobello Road ist um die Ecke, der Buchladen aus dem Film Notting Hill ebenfalls. Da steht doch überall unser Name drauf. Die ist es!

Der einzige Haken an der Sache: der Preis. Sie ist fast fünfmal so teuer wie unsere Berliner Wohnung.

»Die sind ja völlig irre«, sind wir uns beide einig und sagen fast gleichzeitig empört, »da wird es ja wohl noch etwas anderes geben!«

Wir suchen weiter und sind entsetzt. Entweder sind es ganz offensichtlich absolute Drecksbuden, die zwar ganz eindeutig mit den stehen gelassenen Resten vom letzten Sperrmüll möbliert wurden, aber trotzdem dreimal so teuer sind wie unsere jetzige Mietwohnung. Oder es sind sterile Marmorhöllen mit schwarzen Ledergarnituren und Glitzerkacheln im Bad, die dann allerdings gerne das Zehnfache unserer Berliner Wohnung kosten. Und zwar pro Woche. Denn in England rechnet man die Miete wöchentlich ab. Ist ja auch praktischer. Also für den Vermieter. Denn wenn man das Jahr in Wochen rechnet, sind es 52 Wochen, und man verdient sicher mehr als bei einer Berechnung mit nur zwölf Monaten.

Nach ein paar Stunden Internetsurfen sitzen wir etwas desillusioniert auf der Couch und klappen den Laptop zu. »Lass uns schlafen gehen«, sagt Marc, »ich sag jetzt erst mal in der Firma Bescheid, dass wir grundsätzlich für ein paar Monate bereit wären.«

In dieser Nacht kann ich kaum schlafen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir irgendetwas finden werden, und ich merke, wie mein Motor sich bereits warmläuft für das Abenteuer London.

Getting Ready

»Was du suchst ist eine nursery«, erklärt mir Ariane, und ich nicke brav, auch wenn sie es nicht sehen kann, denn wir telefonieren. Ich kenne Ariane gar nicht. Ein Bekannter um drei Ecken hat den Kontakt hergestellt. Ariane ist Schweizerin und lebt seit zehn Jahren in London. Ihre Kinder sind mittlerweile fünf und acht Jahre alt.

Es ist jetzt Anfang Dezember. Der erste Schnee lässt noch auf sich warten, und es regnet unablässig. Das ist schon mal ein guter Vorgeschmack auf London. Seit unserer Entscheidung sind kaum fünf Nächte vergangen, aber da Marc ab Januar in London etwa fünf Monate lang vor Ort arbeiten soll, wollen wir keine Zeit verschwenden. Also, vor allem ich. Ich möchte London auskosten, und es wäre auch für Sam das Einfachste, zum Jahreswechsel in einem neuen Kindergarten anzufangen.

»Du musst dich jetzt allerdings richtig beeilen!«, sagt Ariane ziemlich hektisch, während sie anscheinend Auto fährt und nebenbei ihre Kinder zurechtweist. »In die öffentlichen Kindergärten kommst du jetzt gar nicht mehr rein. Die sind total überfüllt. Aber das willst du auch nicht, glaub’ mir. Und die privaten Kindergärten schließen schon fast alle ab dem 10. Dezember.«

Ich sitze in der Garderobe unseres Berliner Hippiekinderladens zwischen selbst gedrechselten Garderobenhaken und gehäkelten Schals. Sam ist schon längst in seine Gruppe galoppiert.

»Warum machen die denn zu?«, frage ich ganz naiv, während ich Sams Jacke an seinen Piratenhaken hänge.

»Weihnachtsferien!«, lautet die Antwort.

»Am 10. Dezember???«

»Ja, daran wirst du dich sowieso gewöhnen müssen. Du zahlst einen Haufen Geld, und dann haben die ständig irgendwelche ›breaks‹, also Ferien. Du brauchst auf jeden Fall eine Nanny, sonst wirst du irre. Und wenn ihr im Januar ankommt, dann musst du dich sofort um einen Schulplatz bemühen, wenn du auf eine gute Schule willst. Denn Sam muss dann ja im September eingeschult werden. Darum sei bloß vorsichtig bei der Auswahl der nursery. Das hat massive Auswirkungen auf deine Optionen bei der Schulwahl.«

Ariane ist kaum zu bremsen. In meinen Ohren rauscht es. Mein Gott, mir ist schon klar, dass andere Länder andere Sitten haben, aber das hört sich an, als ob wir hier über ein NASA-Forschungsprogramm reden oder die Schachweltmeisterschaft – und nicht über einen Kindergartenplatz.

Außerdem hat sie ganz offensichtlich etwas falsch verstanden. Sam ist ja im September noch vier. Da muss er doch nicht schon eingeschult werden.

»Aber wieso denn Schule? Sam wird doch erst Ende November im nächsten Jahr fünf.«, hake ich darum nach.

»Willkommen im britischen Bildungssystem.«, sagt Ariane sarkastisch. »Hier beginnt die Mühle – je nachdem wann der Geburtstag deines Kindes ist – zwischen dem vierten und fünften Lebensjahr. Und in England gibt es keine Option, das Kind zurückstellen zu lassen. Da sind die hier ganz rigoros. Die Schulbildung ist dafür aber wirklich ausgezeichnet! Ich mail’ dir eine Liste mit Kindergärten, die in der Gegend um Notting Hill und Kensington liegen und einen guten Ruf haben!«

Nach dem Telefonat sitze ich noch eine ganze Weile stumpf in der Garderobe und verdaue die Flut an Informationen. London und Berlin sind nur knappe zwei Flugstunden voneinander entfernt. In der heutigen Zeit ist das »wie um die Ecke«. Nach München zu fahren dauert das bedeutend länger. Aber es wirkt wie eine andere Welt.

»Ist ja auch eine Insel«, sage ich, nachdem ich Marc die neuesten Kindergarteninfos mitgeteilt habe. Er lacht: »Jahaaa, aber die Briten sind der Auffassung, Europa sei die Insel und sie das Festland.«

Am nächsten Morgen sitze ich wieder am Laptop und arbeite mich durch die Seiten der Kindergärten, die Ariane mir gemailt hat. Und obwohl ich fließend Englisch spreche, fühle ich mich so, als würde ich uigurische Lyrik lesen. Das ganze Kindergartensystem ist so anders aufgebaut als unseres, dass ich mich nur ganz langsam durch dieses ›Fachchinesisch‹ durcharbeite. Da Marc der erste Mitarbeiter ist, den seine Firma inklusive Familie ins Ausland schickt, können wir vonseiten der Firma leider keine große Unterstützung und Erfahrungswerte erwarten. Die wissen selbst nicht, wie das alles geht. Das ganze Projekt läuft also unter dem Motto »Lucie forscht!«.

Nach ein paar Stunden und mehreren E-Mails mit Ariane habe ich es kapiert: In der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs unterteilt man die Kindergartenplätze in Vormittags-, Nachmittags- und Ganztagsplätze. Man kann wie in einem Fitnessclub je nach Verfügbarkeit vier Vormittage und zwei Nachmittage buchen. Oder auch nur vier Nachmittage und keinen Vormittag. Abgerechnet wird nach Trimestern, also im Viermonatsrhythmus. Und wenn man einen Platz bucht, der eine Betreuung von 9 Uhr bis 15 Uhr garantiert, dann ist eine Gebühr in Höhe von 4500 Pfund keine Ausnahme. Das sind im Herbst 2014 umgerechnet ca. 5800 Euro.

Ach, und ich vergaß zu erwähnen, freitagnachmittags sind die Einrichtungen natürlich grundsätzlich geschlossen, und das Lunchpaket muss das Kind selbst mitbringen: »Please bring a healthy lunch!« heißt es da fröhlich auf den Websites.

Wenn man in einer Stadt wie Berlin lebt, in der die Kindergartenplätze in den öffentlichen Kindergärten ab dem dritten Lebensjahr kostenlos sind und es am Elternabend schon mal zu Diskussionen über einen extra Monatsbeitrag von 25 Euro fürs Frühstück gibt, dann ist das ein großer Sprung. Ein sehr weiter Sprung. Um nicht zu sagen, man bricht damit ca. 149 Weltrekorde.

Aber interessanterweise ist das menschliche Gehirn ja extrem flexibel. Und schnell. Wie ich an mir selber mit Erstaunen feststelle. Schon drei Tage und etliche E-Mails und Telefonate mit diversen Kindergärten später, habe ich mich mental der Preisstruktur bereits angeglichen. Marc teile ich abends immer die neuesten Ergebnisse und Erkenntnisse mit. Da ihm der Vorlauf des Tages fehlt, muss er zu Beginn immer noch kurz schlucken, aber bereits ein Feierabendbier später hat auch er den Preisschock überwunden und ist ganz erstaunt über die Schnäppchen, die ich entdeckt habe. Ich höre uns Sätze sagen wie: »Ach, sieh mal, da kostet der Kindergartenplatz nur 3900 Pfund für ein Trimester. Das ist ja günstig!«, und dabei zucken wir noch nicht mal mit der Wimper. Es ist wie beim Monopoly: »Ich kaufe eine Straße! Gehe über Los und baue lauter Hotels!«

Auch der Wohnungsmarkt erscheint uns gar nicht mehr sooo absurd wie noch vor ein paar Tagen. Und tatsächlich bleibt unsere allererste Bude in Notting Hill – für den Zeitraum und zu dem außergewöhnlich guten Preis – die einzig machbare Lösung. Dazu kommt noch, dass die Wohnung möbliert sein muss, denn mit Sack und Pack für ein paar Monate umzuziehen, macht auch keinen Sinn. Ich inspiziere mit meiner Nachbarin, die insgesamt fünf Jahre in London gelebt hat, auf Google Earth die Lage der Wohnung, und sie bestätigt mein Gefühl: »Da kannst du nichts falsch machen! Zwei Straßen hinter euch wird’s ein bisschen rough, aber da musst du ja nicht hin. Und zwei Straßen in die andere Richtung liegt Notting Hill at its best!« Na, dann sollten wir uns dieses Schnäppchen nun wirklich nicht entgehen lassen …

Ich reserviere die Wohnung online und enge meine Suche jetzt auf einen Kindergarten ein, der in der Nähe ist. Ich habe für geschlagene Tage quasi eine Standleitung nach London und telefoniere alle infrage kommenden Kindergärten ab, um mir unendlich oft anhören zu müssen »We are so sorry, but we are fully booked.«

Den Kindergärten, deren Internetpräsenz ich besonders ansprechend fand, hatte ich vorab immer eine Mail mit Fotos von Sam geschickt. Alles in der Hoffnung, dass sie sich in den kleinen blonden Jungen mit den großen blauen Augen verlieben und irgendwie noch einen Platz freischaufeln würden. Ich bin am Rand der Verzweiflung, da kriege ich endlich eine gute Nachricht! »We would be delighted to have your son in our nursery!«

YES! Sie sind auch besser »delighted«, denn die Nursery gehört eher zu den teuren. Und eigentlich hatte ich sie am Anfang von der Liste gestrichen, weil sie mit ihrer Absolventenliste und den Erfolgsmeldungen der gerade erst Fünfjährigen noch elitärer wirkte als der ohnehin schon elitäre Rest. Aber ich schiebe meine anfänglich kritische Haltung erst mal ganz weit weg. Ich brauche eine Betreuung für Sam. Also, was soll’s? Wird schon nicht so schlimm werden.

ENDE DER LESEPROBE