Sein kleiner Lieblingspatient - Anna Sonngarten - E-Book

Sein kleiner Lieblingspatient E-Book

Anna Sonngarten

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Der Rettungswagen raste mit Blaulicht die nächtlichen Straßen entlang. Sobald er auf eine Kreuzung zusteuerte, ertönte das Martinshorn. Ein gellendes Geräusch, das die junge Mutter zusammenfahren ließ. Sie hielt die kleine kalte Hand ihres Sohnes und verfolgte mit versteinerter Mine das hektische Treiben des Notarztes. Plötzlich griff er zum Funkgerät und sah zu ihr herüber. »Wir sind gleich da.« Sie wußte nicht, wen er damit beruhigen wollte, sich selbst oder sie. Dann sprach er in das Rauschen des Funkgerätes hinein. »Ich bringe in wenigen Minuten ein Kind mit akuter Laryngitis. Die Zyanose ist trotz Maskenbeatmung und intravenöser Steroidgabe noch nicht rückläufig, aber ich schaffe es nicht, das Kind zu intubieren. Der Oberarzt muß kommen, sofort, sonst…« Er hielt inne, denn in diesem Augenblick spürte er den brennenden Blick der jungen Frau auf sich. Sie sagte kein Wort, sondern starrte den jungen Arzt nur ausdruckslos an. Natürlich hatte sie nicht jedes Wort verstanden, aber doch soviel, daß es für ihr Kind auf Messers Schneide stand. Aber dazu bedurfte es kaum medizinischer Kenntnisse. Sie mußte nur auf ihr Kind schauen, um zu wissen, was los war. Alexander war am ganzen Körper blau, eiskalt und atmete röchelnd trotz des Sauerstoffs, den er über eine Maske zugeführt bekam. Endlich hielt der Rettungswagen unter Blaulicht vor der Klink. Die Sanitäter sprangen heraus, und mit wenigen routinierten Handgriffen hatten sie die Trage herausgezogen. Im Laufschritt eilten sie Richtung Kinderintensivstation.

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Mami – 2038 –

Sein kleiner Lieblingspatient

Alexander ist kein Sorgenkind mehr

Anna Sonngarten

Der Rettungswagen raste mit Blaulicht die nächtlichen Straßen entlang. Sobald er auf eine Kreuzung zusteuerte, ertönte das Martinshorn. Ein gellendes Geräusch, das die junge Mutter zusammenfahren ließ. Sie hielt die kleine kalte Hand ihres Sohnes und verfolgte mit versteinerter Mine das hektische Treiben des Notarztes. Plötzlich griff er zum Funkgerät und sah zu ihr herüber.

»Wir sind gleich da.« Sie wußte nicht, wen er damit beruhigen wollte, sich selbst oder sie. Dann sprach er in das Rauschen des Funkgerätes hinein.

»Ich bringe in wenigen Minuten ein Kind mit akuter Laryngitis. Die Zyanose ist trotz Maskenbeatmung und intravenöser Steroidgabe noch nicht rückläufig, aber ich schaffe es nicht, das Kind zu intubieren. Der Oberarzt muß kommen, sofort, sonst…«

Er hielt inne, denn in diesem Augenblick spürte er den brennenden Blick der jungen Frau auf sich. Sie sagte kein Wort, sondern starrte den jungen Arzt nur ausdruckslos an. Natürlich hatte sie nicht jedes Wort verstanden, aber doch soviel, daß es für ihr Kind auf Messers Schneide stand. Aber dazu bedurfte es kaum medizinischer Kenntnisse. Sie mußte nur auf ihr Kind schauen, um zu wissen, was los war. Alexander war am ganzen Körper blau, eiskalt und atmete röchelnd trotz des Sauerstoffs, den er über eine Maske zugeführt bekam. Endlich hielt der Rettungswagen unter Blaulicht vor der Klink. Die Sanitäter sprangen heraus, und mit wenigen routinierten Handgriffen hatten sie die Trage herausgezogen. Im Laufschritt eilten sie Richtung Kinderintensivstation. Inga von Dillenburgh stolperte ihnen hinterher. Doch dann wurde sie von einer schweren Glastür auf der »Eintritt verboten« stand, zu-rückgehalten. Inga war nicht leicht einzuschüchtern, und so wollte sie nach einigen Sekunden der Irritation das Verbotsschild ignorieren und zu ihrem Kind eilen. Eine Krankenschwester kam ihr zuvor.

»Entschuldigen Sie bitte, aber Sie können da im Augenblick nicht rein. Ich werde Sie zu einem Aufenthaltsraum begleiten, wo Sie warten können«, erklärte ihr die Schwester.

Inga wollte widersprechen, Sie wollte dagegen protestieren, in ein Wartezimmer verbannt zu werden, während ihr Kind ein Zimmer weiter um sein Leben rang. Doch ihre Stimme versagte, als sie zu sprechen begann, und ihrer Kehle entwich nur ein unbestimmter Klagelaut. Die Schwester nahm ihren Arm.

»Ich verstehe Sie, Frau…«

»Dillenburgh«, ergänzte Inga mit dünner Stimme.

»Frau Dillenburgh, ich verstehe Sie«, setzte die Krankenschwester von neuem an. »Aber da drinnen wird alles versucht, um das Leben ihres Kindes zu retten. Sie können da im Augenblick nicht helfen.« Die Schwester hatte ruhig und bestimmt gesprochen. Inga wußte, daß sie recht hatte, und ließ sich widerstandslos in den Aufenthaltsraum begleiten. Die Schwester bot ihr noch etwas zu trinken an und ließ sie dann allein. Natürlich hat jetzt niemand Zeit, mir zur Seite zu stehen, dachte Inga. Doch ihr fiel kein anderer Moment ihres Lebens ein, in dem sie sich so einsam und verlassen gefühlt hatte, wie gerade in diesem schrecklichen Augenblick. Noch nicht einmal, als Gunnar gestorben war. Sie lehnte den Kopf an die rückwärtige Wand und versuchte ihre Konzentration auf Alexander zu lenken, als könne allein die Kraft ihrer Liebe ihr Kind retten.

Später hätte sie nicht zu sagen gewußt, wie lange sie so gewartet hatte. Doch plötzlich ging die Tür auf, und ein Mann im weißen Arztkittel kam geradewegs auf sie zu. Inga schrak zusammen, und mit allen Sinnen versuchte sie in Sekundenschnelle zu erfassen, was auf dem Gesicht des Arztes zu lesen war. Sein Ausdruck war ernst aber als er ihr die Hand reichte, fuhr ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Da wußte Inga, daß ihr Junge lebte, noch bevor Dr. Jürgen Erdmann zu sprechen begann.

»Sie dürfen aufatmen. Ihrem Jungen geht es den Umständen entsprechend gut. Allerdings wird er ein paar Tage bei uns bleiben müssen. Ach, entschuldigen Sie bitte. Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin der leitende Oberarzt der Kinderklinik. Erdmann.«

»Von Dillenburgh«, erwiderte Inga. »Wann kann ich zu ihm?«

»Sofort, wenn Sie möchten. Allerdings ist er noch intubiert und schläft. Sie werden nicht mit ihm sprechen können.«

»Was heißt das, ›intubiert‹?«

»Ihr Junge leidet unter einer supraglottischen Laryngitis. Man nennt das auch Croup. Das heißt, es kommt zu einer ödematösen Schleimhautschwellung im Bereich der Stimmritze im Kehlkopf. Daher die akute lebensbedrohliche Atemnot. Wir konnten einen Schlauch, also einen sogenannten Tubus, durch die Stimmritze in die Trachea, das heißt in die Luftröhre, schieben. Über diesen Schlauch wird ihr Kind jetzt beatmet. Wenn die Schwellung im Bereich der Stimmritze wieder abgeklungen ist, können wir den Schlauch wieder entfernen. Das wird vielleicht schon morgen der Fall sein. Hatte ihr Sohn schon einmal einen Croup-Anfall?«

»Nein.«

»Ich frage, weil diese Komplikationen zu Rezidiven neigt. Das heißt die Symptome können jederzeit wieder auftreten. Aber meistens hört es im Alter von sieben Jahren wieder auf.«

»Das ist ja beruhigend. Alexander wird nächste Woche sieben«, sagte Inga lakonisch, und Dr. Jürgen Erdmann wurde bewußt, daß er die junge Frau mit seinen medizinischen Ausführungen vielleicht im Augenblick überforderte. Sicher wollte sie jetzt einfach nur zu ihrem Kind. Er lächelte schuldbewußt.

»Okay, kommen Sie bitte mit mir.«

Inga folgte dem Arzt durch die Glastür in eine andere Welt.

»Hier liegt Ihr Sohn, Frau Dillenburgh«, sagte Dr. Erdmann, als er plötzlich vor einem Glaskasten anhielt. Inga starrte durch die Glaswand.

»Kann ich zu ihm?«

»Ja, sicher.«

Inga ging mit zittrigen Beinen zum Bett ihres Sohnes. Die Schwester stellte ihr rasch einen Stuhl neben das Bett, auf dem Inga dann sogleich Platz nahm.

»Na, mein Kleiner, was machst du für Sachen«, sagte sie mit brü-chiger Stimme, denn der Anblick, der sich der jungen Mutter bot, war nicht gerade ermutigend. Blaß und mit geschlossenen Augen lag er da. Verkabelt mit Drähten und Schläuchen, von denen Inga nicht im mindesten ahnte, wozu sie dienten.

»Was hat er denn da im Mund?« fragte sie. Verstört deutete auf etwas, das Alexander aus dem Mund ragte und hinter seinem Kopf wie ein Brille verschnürt war.

»Das ist der Tubus. Ein Schlauch, der in der Luftröhre liegt und über den ihr Sohn jetzt beatmet wird«, erklärte ihr die Krankenschwester. Inga nickte und starrte wieder in das kleine Gesichtchen ihres Kindes. Es schien offenbar, daß Sa-

scha von all dem, was um ihn herum passierte, nichts mitbekam. Inga seufzte hörbar und tastete nach der kleinen Hand, die ihr so vertraut war.

»Bevor Sie nach Hause fahren, würde ich noch gern Ihre Personalien aufnehmen«, hörte sie die Schwester plötzlich sagen.

»Mittlerweile habe ich zwar erfahren, daß ihr Sohn Alexander heißt und daß Sie ihn Sascha nennen, aber das reicht unserer Verwaltung nicht ganz.«

Inga lächelte flüchtig. »Natürlich. Es gibt doch bestimmt ein Formular, daß ich ausfüllen kann, nicht wahr?«

»Ja, so ist es. Ich kann Ihnen aber gern dabei helfen. Nach so einer Aufregung fällt einem manchmal nicht einmal mehr das eigene Geburtsdatum ein«, schlug die Krankenschwester vor. Inga lächelte wieder, denn sie war momentan dankbar für jedes freundliche Wort. Kurz darauf diktierte sie der Schwester alles Wissenswerte zu ihrer Person. Als sie nochmals in aller Deutlichkeit ihren Namen gesagt hatte, stutzte die Schwester.

»Von Dillenburgh?«

»Ja, genau.«

»Sind Sie mit dem von Dillenburgh verwandt?«

»Wen meinen Sie denn mit dem von Dillenburgh?« fragte Inga nach, obwohl sie eigentlich wußte, wen die Schwester meinte.

»Na, Sie wissen schon… der Industrielle, der vor wenigen Jahren gestorben ist. Dem gehörte doch fast die ganze Stadt… der ist bekannt wie ein bunter Hund…«, sagte die Schwester frei heraus, ohne sich viel Gedanken über ihre Wortwahl zu machen.

»Ich glaube, Sie sprechen von meinem verstorbenen Mann«, sagte Inga etwas kühler.

»Oh, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen. Ich meine, er war doch schon alt…«, sagte die junge Krankenschwester und wurde sich plötzlich bewußt, daß sie jetzt einen Fauxpas begangen hatte. Eilig versuchte sie das soeben Gesagte wieder zurückzunehmen.

»Ich meine… so alt war er nun auch wieder nicht… und sehr rüstig für sein Alter… nun ja, wie soll ich sagen… Sie scheinen mir noch sehr jung zu sein…« Die arme Krankenschwester war inzwischen puterrot geworden und schaute unglücklich in das unbewegte Gesicht Inga von Dillenburghs.

»Schon gut. Ihre Beobachtung ist ja nicht falsch. Mein Mann war fünf-undzwanzig Jahre älter als ich«, sagte Inga tonlos. Sie war der Schwester nicht böse, aber es war heute auch nicht der Tag, an dem sie gern darüber sprach, wie es gewesen war, mit Ende zwanzig Witwe zu werden.

Gegen fünf Uhr morgens hielt ein Taxi vor der noblen Villa der von Dillenburghs. Inga hatte die Klinik mit dem Gefühl verlassen, daß Sascha in guten Händen war, und hoffte nun auf noch einige Stunden Schlaf. Es war nicht anzunehmen, daß die kleine Sophie, die sie bei Rosamma zurückgelassen hatte, zwischenzeitlich aufgewacht war. Inga überlegte, ob sie ihrer indischen Hausangestellten noch kurz eine Nachricht notieren sollte, fühlte sich aber dann plötzlich von einer bleiernden Müdigkeit übermannt, daß sie nur noch in ihr Bett fallen konnte.

*

Inga erwachte, als sie gegen neun Uhr eine Autotür zuschlagen hörte. Sie brauchte einige Zeit, um das Geräusch der Autotür, die Helligkeit in ihrem Schlafzimmer, ihre seltsame Kleidung, denn sie war weder im Nachthemd, noch war sie richtig angezogen, zusammenzubringen. Dann fiel es ihr wieder schlagartig ein, und sie fühlte sich gleich so matt, daß sie wieder in die Kissen zurücksank. Rosamma hatte offenbar veranlaßt, daß Sophie in den Kindergarten gefahren wurde. Sie war ihr dankbar, daß sie nicht versucht hatte, sie zu wecken. Oder vielleicht hatte sie es versucht, aber vergeblich. Das war auch möglich. Inga stand auf. Ihr Blick fiel in den großen Wandspiegel, und es entfuhr ihr eine kurzer Stoßseufzer.

»Oje, wie sehe ich denn aus!« Doch ohne sich länger mit ihrem erbärmlichen Aussehen zu beschäftigen, griff sie zu ihrem Handy und rief im Krankenhaus an. Sie hatte Glück und konnte sofort mit Dr. Erdmann sprechen, der ihr mitteilte, daß es Sascha gutgehe und sie daran dächten, den Tubus noch am Vormittag zu entfernen. Nach dieser erfreulichen Nachricht ging Inga in ihr Badezimmer. Sie hatte immer noch eine Pyjamajacke und eine Jogginghose an. Darüber hatte sie nur einen Trenchcoat geworfen, denn es hatte in der zurückliegenden Nacht wirklich sehr schnell gehen müssen. Und am frühen Morgen war sie dann in diesem Aufzug ins Bett gefallen. Jetzt hatte sie bläuliche Schatten unter den Augen, war blaß und irgendwie angeschlagen, wofür die pochenden Schmerzen in den Schläfen ein untrügliches Zeichen waren. Inga duschte und entschied sich für ein dunkelblaues Kostüm mit weißer Bluse. Sie war mit ihren zweiunddreißig Jahren eine noch junge Frau. allerdings war ihr Geschmack alles andere als trendy. Sie kleidete sich überaus konventionell, wenn nicht gar konservativ, was die schöne Frau älter aussehen ließ, als wie war. Ihre langen nordischblonden Haare bändigte sie mit wenigen geschickten Handgriffen zu einer Hochsteckfrisur und ging dann Richtung Küche, wo sie Rosamma vermutete.

»Guten Morgen, Rosamma. Danke, daß Sie mich nicht geweckt haben.«

»Oh, gnädige Frau. Sie sind schon auf. Was ist mit Sascha? Wie geht es ihm? Ich habe mir solche Sorgen gemacht… ich dachte…« Rosamma schluckte und wischte sich die Tränen weg, die ihr ohne Vorankündigung übers Gesicht gelaufen waren. Dann sagte sie im Flüsterton: »Ich dachte, ich sehe ihn nicht wie-

der.«

Jetzt liefen auch bei Inga die Tränen, und die beiden Frauen lagen sich in den Armen, um sich gegenseitig zu trösten. Erst nach einiger Zeit konnte Inga berichten, was sich im Krankenhaus ereignet hatte.

»Wir haben wirklich Glück gehabt, Rosamma. Aber er wird heute noch in der Kinderklinik bleiben. Was war mit Sophie? Hat sie nach mir und Sascha gefragt?«

»Ja, natürlich, gnädige Frau. Ich habe der Kleinen das Nötigste erklärt. Franz hat sie dann in den Kindergarten gefahren. Das war doch recht so, oder?«

»Ja, das war sehr recht sogar«, lobte Inga Rosamma lächelnd. Dann fuhr sie fort, mit ihrer Haus-angestellten den heutigen Tag durchzusprechen. Rosamma und Franz waren die einzigen beiden Angestellten, die für Inga seit dem Tod ihres Mannes noch arbeiteten. Inga nannte Rosamma im Spaß ihre Innenministerin und Franz, der für den Garten und alle möglichen Reparaturen am Haus zuständig war, ihren Außenminister. Darüber hinaus waren die beiden auch so etwas wie Familienersatz, insbesondere für Sascha und Sophie. Inga wollte die Küche gerade verlassen, wo sie in Stehen einen schwarzen Kaffee getrunken hatte, als Rosamma noch einfiel, daß jemand angerufen hatte.

»Oh, fast hätte ich es vergessen. Herr Dr. Schneider hat angerufen. Er wollte sich mit Ihnen in der Stadt zum Essen treffen.«

»Das ist heute ungünstig. Hat er gesagt, wo er sich heute am Vormittag aufhält?«

»Nein, hat er nicht. Aber entweder im Büro oder auf dem Golfplatz. So wie immer«, sagte Rosamma unschuldig. Inga lächelte.

»Okay, ich versuch es gleich übers Handy. Ich möchte jetzt erst einmal in die Klinik.«

Rosamma nickte verständnisvoll. »Sollte ich Herrn Dr. Schneider etwas ausrichten, falls er sich noch einmal hier meldet?«

»Nein, danke, Rosamma. Er hat meine Handynummer. Irgendwie kriegen wir uns schon«, entschied Inga. Sie fühlte plötzlich, daß ihr das jetzt nicht so wichtig war, ob sie Paul Schneider zum Essen traf oder nicht. Sie hatte jetzt andere Sorgen.

*

»Hallo, Sascha, mein Schatz. Mensch, das ist ja toll, daß man dir schon den Schlauch entfernt hat. Kannst du denn schon sprechen?« begrüßte Inga ihren Sohn freudig und setzte sich neben sein Bett.

»Ja, ein bißchen«, krächzte der Junge. »Mein Hals tut noch weh, aber der Doktor hat mit Eis versprochen.«

»Aha, wenn das nicht eine gute Nachricht ist… du glaubst gar nicht, wie groß meine Angst war, als du plötzlich gar keine Luft mehr bekommen hast…«

»Ich hatte auch Angst, Mama«, sagte der Junge und schaute seine Mama aus großen blauen Augen ernst an. Inga ergriff seine Hand. Jetzt konnte Sascha den Druck erwidern. Inga lächelte und konnte nur mit Mühe ihre Tränen zurückhalten.

»Wann kann ich denn wieder nach Hause?« fragte Sascha.

»Das weiß ich leider nicht. Aber wenn es dir schon so gut geht, wirst du sicher nicht lange hierbleiben müssen.«

»Kannst du nicht mal fragen? Ich wüßt’ es gern genauer.«

»Ja, natürlich. Ich werde gleich mit einem der Ärzte sprechen, wenn sie Zeit haben.«

»Das haben wir«, sagte plötzlich jemand hinter ihr. Inga drehte sich herum und sah Dr. Erdmann vor sich stehen.

»Schau her, Sascha. Das sah gestern nacht ziemlich schlecht für dich aus. Wir sind alle miteinander froh, daß es dir wieder gutgeht. Aber wir wollen auch nichts überstürzen. Also, bis morgen hältst du es wohl noch bei uns aus«, sagte Jürgen ruhig und bestimmt.

Sascha nickte. Der Doktor gefiel ihm. Da verstand er gleich, was der meinte.

»Sascha klagt über Halsschmerzen. Er sagte, er bekäme Eis zum Nachtisch. Darf ich ihm auch zwischendurch ein Eis geben?«

»Ja, sicher, Sascha kann auch zwischendurch mal ein Eis haben«, antwortete Jürgen und zwinkerte Sascha zu. Damit war die Visite erst einmal beendet. Und auch Inga mußte leider schon wieder gehen, da sie Sophie vom Kindergarten abholen wollte. Am Nachmittag würde sie gemeinsam mit Sophie und einer Extra-Portion Eis wiederkommen, versprach sie Sascha, der daraufhin zufrieden lächelnd in die Kissen zurücksank.

*

Im Auto schaltete Inga ihr Handy wieder ein, und noch bevor sie ihren Wagen startete, ertönte das Klingelzeichen. Sie meldete sich und war nicht erstaunt, Paul Schneider in der Leitung zu haben.