Märchen aus Südamerika -  - E-Book

Märchen aus Südamerika E-Book

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung.

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Märchen aus Südamerika

Inhalt:

Geschichte des Märchens

Märchen aus Südamerika

1. Wie die Warrau auf die Erde kamen

2. Korobona

3. Die Sonne, der Frosch und die Feuerhölzer

4. Warum der schwarze Jaguar die Leute tötet

5. Der schwarze Jaguar, Wau-uta und der zerbrochene Pfeil

6. Die Geschichte von Haburi

7. Die Speerbeine

8. Die Zauberrasseln

9. Die Affenfrau

10. Die Frau, die vom Gespenst ihres Mannes getötet wurde

11. Du sollst nicht stehlen

12. Der Idiot, der fliegen wollte

13. Makonaura und Anuanaitu

14. Der Zauberarzt Makanaholo

15. Der Einsiedler und sein Hund

16. Arawanili, der erste Zauberarzt

17. Adaba

18. Woher die Aimara-Fische so schöne, große Augen haben

19. Wie der Ziegenmelker entstand

20. Der überlistete Waldgeist

21. Die Jaguarfrau

22. Das verliebte Faultier

23. Warum der Honig jetzt so selten ist

24. Der Mann mit der Brüllaffenfrau

25. Der Waldgeist mit den großen Ideen

26. Das Reh und die Schildkröte

27. Epetembo

28. Makunaima und Pia

29. Der Wunderbaum

30. Wie Krankheit, Elend und Tod in die Welt kamen

31. Warum die Kinder krank werden und schreien

32. Hänge keinen, bevor du ihn hast

33. Serikoai

34. Die Amazonen

35. Akalapischeima und die Sonne

36. Wie die Fischgifte in die Welt kamen

37. Wie die Plejaden an den Himmel kamen

38. Der Besuch im Himmel

39. Eteto

40. Das Augenspiel

41. Maiuag und Korotoiko

42. Jaguar und Regen

43. Jaguar und Blitzstrahl

44. Epeping-Orion

45. Die Plejaden

46. Der Maguary und der Schlaf

47. Die große Schlange

48. Der Schlangenpfeil

49. Der alte Aasgeier und seine Töchter

50. Wettflug zwischen Storch und Kolibri

51. Was die Äffchen sagen

52. Der Kurupira und die Frau

53. Die Schildkröte und das Fest im Himmel

54. Die Schildkröte und der Mensch

55. Die Schildkröte und der Riese

56. Wettlauf zwischen Schildkröte und Hirsch

57. Schildkröte und Tapir

58. Schildkröte und Jaguar

59. Die Entstehung des Tequendama-Falles

60. Isi

61. Das Haus der Jungfrauen

62. Die erste Paschiuba-Palme

63. Die Falken und die Sintflut

64. Die Tochter des Königsgeiers

65. Der Raub des Feuers

66. Der Erwerb der Nacht

67. Der Knabe und der Bakurao

68. Der rollende Totenschädel

69. Das Fest der Tiere

70. Der Ursprung des Honigfestes

71. Kaboi

72. Warum die Sonne langsamer geht

73. Der Alligator und die streitbaren Weiber

74. Die Zauberpfeile

75. Die Pirarukus

76. Der Stern

77. Sintflut und Weltschöpfung

78. Sintflut

79. Die Zwillinge

80. Keri und Kame

81. Der Jaguar und der Ameisenbär

82. Der Welt Anfang

83. Die magische Flucht

84. Die Sintflut

85. Der Mond

86. Der wunde Mann, die Aasgeier und die Ratte

87. Lehmhans

88. Wie der Hirsch die Kaschinaua den Ackerbau lehrte

89. Nasenbär, Taube und Faultier

90. Die Jaguarin, die ihre Enkel fraß

91. Wie der Zitteraal entstand

92. Wie die Wespe die Aasgeier betrog

93. Isch'tika, die Kröte

94. Der Krüppel, der sich in eine Schildkröte verwandelte

95. Die Ratte, die sich in die Fledermaus verwandelte

96. Der auferweckte Ameisenbär

97. Dohit

98. Die große Schlange

99. Von dem Regenbogen, Opito

100. Weshalb die Boaschlangen nicht Menschen fressen

101. Der Wildschweinkobold

102. Tiri und Karu

103. Warum die Guarayu im Rausch ihre Frauen prügeln

104. Die Pfeilketten

105. Weltuntergang und Raub des Feuers

106. Die Erschaffung der Welt

107. Tatutunpas und Aguaratunpas Verheiratung

108. Wie Aguaratunpa seinen Bruder nach dem Himmelsgewölbe schickte

109. Die Frau, die ihrem Manne nach Aguararenta folgte

110. Der Fuchs und der Jaguar

111. Wie die Schildkröte den Jaguar tötete

112. Die Liebesgeschichte des Kolibri

113. Wettlauf zwischen Zecke und Strauß

114. Das Mädchen, das der Kondor raubte

115. Der alte Latrapai

116. Die Totenbraut

117. Wettlauf zwischen Bremse und Fuchs

Märchen aus Südamerika

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Märchen aus Südamerika

1. Wie die Warrau auf die Erde kamen

Im Anfang wohnten die Warrau in einer schönen Gegend über dem Himmel. Außer ihnen gab es dort nur Vögel, die ihren jungen Jägern zur Beute wurden.

Einer von ihnen, mit Namen Okonorote, verfolgte eines Tages einen Vogel. Er schoß nach ihm, aber der Pfeil verfehlte sein Ziel und verschwand. Als er den Pfeil suchte, kam er an ein Loch, durch das er gefallen war. Er sah hinab und erblickte dort unten ausgebreitet unsere Welt mit Herden von Wildschweinen, zahlreichen Rehen und anderen Tieren, die ungestört weideten und umherzogen durch die grünen Wälder und Savannen. Da die Öffnung groß genug war, um hindurchzuschlüpfen, beschloß er, ein Tau oder eine Leiter aus Baumwolle zu verfertigen und hinabzusteigen. Mit Hilfe seiner Freunde wurde die Leiter fertiggestellt. Es dauerte viele Monate. Sie machten sie oben länger, wenn sie sahen, daß sie noch zu kurz war, bis sie hier unten in die Bäume einhakte. Dann wurde sie oben mit starken Streben festgebunden. Der mutige Okonorote kletterte daran hinab. Es war ein gefährliches Unternehmen, von oben zu kommen auf einer so gebrechlichen Leiter, die jeder Wind bewegen konnte.

Als er unten war, sah er sich verwundert um und betrachtete erstaunt das reiche Leben, die sonderbaren Vierfüßler und ihre Größe. Alles erschien seinen Augen wunderbar.

Er sah, wie die wilden Tiere ihre Beute verschlangen, und dachte, er könnte es auch wagen, eines der großen Tiere zu erlegen und zu verspeisen. So schoß er ein junges Reh. Er machte Feuer an mit zwei Stücken Holz und fand das Wildpret, eine ausgezeichnete Nahrung. Dann stieg er wieder hinauf, und das war eine furchtbare Anstrengung. Es war schwer, hinabzusteigen, aber hinaufzusteigen war noch schlimmer. Er brachte Wildpret mit von unten, nicht viel, aber genug, um es seinen Stammesgenossen zu zeigen. Seine Worte und der Geschmack des Wildprets versetzten alle in Begeisterung.

"Wir wollen nicht hier bleiben. Die kleinen Vögel um uns her sind wenig nütze. Dort unten in dem Land, das Okonorote für die Warrau gefunden hat, werden wir Tiere zur Nahrung im Überfluß haben! Laßt uns gehen!"

So stiegen sie die Leiter hinab auf diese Welt hier unten. Alle waren damals jung – alte Leute gab es noch nicht. Die kleinen Kinder trugen sie, und alle kamen sicher hinunter, bis auf die letzte, eine dicke Frau, die eingekeilt in dem Loch stecken blieb, durch das die andern hinabgestiegen waren. Ihr Gatte unter ihr sah ihre Not und kletterte zurück, um ihr zu helfen. Aber er konnte sie nicht durchbekommen. Da wurde er schwindlig und stieg wieder hinunter, wo seine Stammesgenossen aufgeregt das Mißgeschick besprachen. Sie fragten alle, wie es sich zugetragen habe. Er konnte es auch nicht sagen. So blieb die Sache den Warrau rätselhaft.

Darauf fragten die Frauen tadelnd: "Ist es recht von dem Manne, herunterzukommen und nicht die ganze Nacht oben zu bleiben? Und der tapfere Okonorote, der schon einmal hinaufgeklettert ist, warum steigt er jetzt nicht hinauf mit ein oder zwei Männern, wenn der Gatte es ganz aufgegeben hat?"

Sie schraken alle zurück vor der Aufgabe, denn ein weiser Mann sagte:

"Gesetzt den Fall, ihr erreicht sie und könnt sie hindurchziehen, wird sie euch nicht allen den Tod bringen? Sie wird mit solcher Wucht herauskommen, daß ihr euch nicht halten könnt. Ihr werdet herabgeschleudert werden, und wir hätten unsere besten Männer verloren!"

So blieb die Frau oben, und die Leiter riß. So wird sie immer dort oben bleiben. Sie füllt das Loch aus, daher können wir niemals mehr in den Himmel hineinschauen.

2. Korobona

Im Lande der Warrau gab es einen klaren, ruhigen See, in dessen Wasser man nicht baden durfte. Eines Tages kamen zwei junge Warraumädchen singend von den Hügeln herunter und wagten sich in die Nähe des verbotenen Wassers, obgleich ihre Brüder ihnen gesagt hatten: "Nehmt euch in acht, der See ist gefährlich, badet dort nicht!"

Die ältere der beiden Schwestern, die schöne Korobona, sagte: "Warum sollen wir uns durch eine leere Drohung von diesem klaren Wasser zurückhalten lassen? Komm, meine Schwester, bade mit mir. Was soll uns geschehen? Wir Mädchen sind allein. Die Männer, alte wie junge, gehorchen abergläubisch dem Verbot. Es wird uns keiner stören."

Schnell sprangen sie hinein und begannen in dem reinen, klaren Wasser fröhlich zu tauchen und zu schwimmen. Die ältere schwamm furchtlos voran, die andere folgte ihr.

Plötzlich sah Korobona einen Holzpfahl aus dem Wasser ragen. Übermütig schüttelte sie ihn. Da erhob sich eine Männergestalt, ergriff Korobona und hielt sie mit starkem Arm.

Es war ein Wassergeist, der dort unten verzaubert gelegen hatte, bis jemand, der in den See hinausschwamm, es wagen würde, an dem Holzpfahl zu rütteln. "Warraumädchen," sagte er, "deine Schwester mag gehen! Aber dich halte ich, du schönes Weib. Du mußt mit mir hinunter in mein Heim!"

Die arme Korobona weinte zu Hause an ihrer Schwester Brust. Ihr einziger Trost war, daß ihre vier Brüder nicht wußten, warum sie so betrübt war.

Die Zeit verging. Sie wurde Mutter. Und ihre Brüder schwuren, das Kind zu töten.

"Tötet nicht meine Tochter!" schrie Korobona. "Erschlagt mich, weil ich leichtsinnig war! Meine Tochter wird ein sanftes Mädchen werden und wird euch liebreich dienen. Verschont das hilflose Kind!"

Die Brüder wurden gerührt durch ihre Bitte und überließen das Kind ihrer Sorgfalt, denn sie liebten sie, wenn sie ihnen auch Kummer gemacht hatte.

Inzwischen suchte der Wassergeist seinen Zeitvertreib am Ufer des Sees. Als riesige Schlange sah man ihn von Baum zu Baum gleiten. Oder er stand in menschlicher Gestalt unter den grünen Zweigen, dort, wo sanftes Wellengeriesel den Sand kräuselte. Manchmal war er oben ein Mann und unten eine Schlange. Und die Leute sagten: "Wessen Hand kann dieses schrecklichen Unholds Macht widerstehen? Wer kann seine Natur erkennen?"

Korobona hörte die Erzählungen von ihm, der ihren Sinn erfüllte. Sie hörte nicht auf die Bitten ihrer Schwester. Sie stahl sich zum See, entschlossen, die Wahrheit herauszufinden.

Lange wartete sie unter den Bäumen voll Furcht und seltsamer Hoffnung, während er, der ihre Gegenwart erspähte, sich ihren Blicken in Schlangengestalt entzog und sich ihr dennoch nahte. Sein Kopf sah aus wie ein schwimmender Samen, den der Wind auf das Wasser geblasen hat. Der Schwanz glich häutigem Schaum. Nichts anderes war von ihm zu sehen.

Korobona beugte sich herab, diesen schwimmenden Samen zu betrachten. Da schrie er triumphierend: "Du gehörst mir! Ergib dich in dein Schicksal!" und ergriff sie aufs neue.

Die unglückliche Korobona lebte nun einsam im Walde und verbarg dort ihr zweites Kind. Sie wußte, es mußte Blut fließen, wenn ihre Brüder ihre Schuld erfahren würden. Sie weinte viel, denn sie sah Unheil voraus, und ihr größter Kummer war der schöne Knabe, der zum Teil seines Vaters Gestalt hatte. Am Tage seiner Geburt versuchte sie zuerst zu fliehen. Aber sie kehrte bald wieder zurück zu der versteckten Lichtung, wo das hilflose Kind lag, das sie durch sein schwaches Schreien zurückrief. Ihre Schwester, die treu mit ihr weinte, bewahrte ihr Geheimnis.

Eines Tages hörte jemand, der vorüberging, das Kind schreien und entdeckte sie. Er sagte es ihren Brüdern, die in der Nähe jagten. Bald sah sie die vier erscheinen, wild vor Scham und Rache.

Zwei von ihnen zerrten ihre Schwester nach Hause, zwei wandten sich, um das Kind zu erschlagen, das hilflos vor ihnen lag. Sie durchschossen es mit einem Pfeil und ließen es liegen, wo es lag.

"Das Kind ist tot," sagten sie, "kümmert euch nicht um die wahnsinnige Mutter!" Sie ließen sie gehen, sein Grab zu bereiten. Sie ahnten nicht, daß die Sorgfalt, die sie anwandte, den unglücklichen Knaben wieder zum Leben erweckte.

Er wuchs geistig und körperlich viel schneller als andere Kinder. In einem hohlen Baum verbarg er sich vor allen Blicken, bis er die Gestalt seiner Mutter kommen sah. Sie ging täglich in den Wald und brachte ihm Nahrung und plauderte mit ihrem Kind und vergaß darüber ihre Sorgen.

Aber sie bedachte nicht, daß ihre Fußspuren ihren Weg verraten könnten. So erfuhren die Brüder ihr Geheimnis und machten Pfeile und Bogen bereit.

"Wozu macht ihr diese Pfeile?" fragte sie. "Was wollt ihr mit diesen Waffen?" Die Brüder gaben ihr kurze Antwort. Da floh sie in den Wald, und die Brüder eilten, sie zu verfolgen.

"Verberge mich, Mutter, vor ihren Augen!" schrie das unglückliche Opfer. "Warum gabst du mir das Leben? Ich habe keinen Platz auf Erden und soll nun bald sterben!"

Die Mutter klammerte sich an ihren Sohn und schirmte ihn mit ihrem Leib vor seinen Feinden. Sie hatten nur wenig Platz zum Zielen, aber von den unfehlbaren Bogen traf jeder Pfeil. Sie schnitten ihn in kleine Stücke. Korobona verfluchte ihre Grausamkeit: "Ihr gemeinen Mörder dieses unschuldigen Kindes! Das Unglück, das ihr fürchtet, wird jetzt über euch kommen, aber durch euch, nicht durch mich! Seht hier Korobona liegen! Dieser Fleck soll ihr Grab werden, dieser Fleck, der bedeckt ist von dem armen Blut! Denkt daran, wenn Unglück über euch kommt und die Warrau ihrem Schicksal verfallen!"

Korobona blieb im Walde zurück und bewachte ihren Toten. Sie häufte breite grüne Blätter und rote Blüten über den zerstückelten Leichnam. Und lieblich und duftend blieb der blutgetränkte Erdenfleck. Aasgeier und wilde Tiere blieben ihm fern. Das Schlangenkind verweste nicht.

Nach einiger Zeit begann der mit Blumen bedeckte Hügel sich zu heben. Sie vernahm die Worte: "Dein Sohn wird jetzt den Mord rächen, der an ihm geschehen ist. Meine Mutter, höre auf zu klagen!"

Erst erhoben sich ein Haupt und Schultern, langsam aus dem Hügel hervorwachsend, dann sah sie die ganze mächtige Gestalt erscheinen mit vollständigen und gesunden Gliedern, wohl bewaffnet, um alle Feinde mit Schrecken zu erfüllen. Mit schwerer Keule stand der Krieger da, mit Bogen und Pfeilen. Weiße Daunenfedern schmückten sein kurzes, schwarzes Haar. Seine Haut leuchtete wie Kupfer, heller als die der Warrau. Seine Wangen und Brauen waren rot bemalt wie mit Blut. So erhob sich finster der erste Karaibe, ein starker Krieger, seine Feinde zu schlagen, ein Schrecken für jeden Warrau. Die vier Brüder erbleichten, als sie ihn sahen, und riefen ihre Krieger zusammen. Aber wenige wagten, es mit seiner Keule aufzunehmen, und die es wagten, erschlug er. Die übrigen flohen. Kein Warrau konnte ihm widerstehen; ihre Pfeile trafen ihn nicht. Die Krieger flohen, um ihr Leben zu retten. Ihre Weiber nahm er zu Frauen, und all ihr Gut wurde seine Beute.

Seine Kinder vermehrten sich und nahmen den Platz der Warrau ein.

Sie sind unbesiegbar, da sie übernatürlichen Ursprungs sind, obgleich sie durch ihre Mutter zu dem von ihnen verachteten Stamme der Warrau gehören.

3. Die Sonne, der Frosch und die Feuerhölzer

Es war einmal ein alter Mann namens Nahakoboni (d.h. einer, der viel ißt), der hatte niemals eine Tochter gehabt. Nun dachte er voll Unruhe an seine alten Tage, denn er hatte natürlich keinen Schwiegersohn, der für ihn gesorgt hätte, wie alle die anderen alten Leute um ihn her. Daher schnitzte er sich eine Tochter aus einem Pflaumenbaum. Er war ein Zauberarzt, und er schnitt und schnitzte so geschickt an dem Holz herum, daß wirklich eine liebliche Frau entstanden war, als er seine Arbeit beendigt hatte. Ihr Name war Usi-diu, und ihre körperlichen Reize waren fast, aber nicht ganz vollkommen. Sie war so anziehend, daß alle Tiere, Vögel und Vierfüßler, von weit her kamen, um ihr den Hof zu machen, aber dem Alten gefiel keiner von ihnen, und als sie die Tochter von ihm zur Frau erbaten, wies er sie kurz ab. Er hatte eine sehr geringe Meinung von den Fähigkeiten dieser zukünftigen Schwiegersöhne. Da hielt Yar, die Sonne, selbst in seiner Reise inne, um den alten Mann zu besuchen. Es war klar, zu welchem Zweck Yar kam, und es dauerte nicht lange, da hatte er den Beweis, daß seine Werbung gern gesehen würde.

Nahakoboni wollte Yar auf die Probe stellen, um zu sehen, was er konnte. Er befahl ihm, ihn zu füttern, und ließ ihn all das gedörrte Fleisch herbeibringen, das er auf seiner Reise mitgebracht und am Rande des Waldes niedergelegt hatte. Er aß sehr herzhaft, wie es zu erwarten war bei seinem Namen, und ließ nur ein Viertel des Fleisches für seinen Besucher. Danach ließ er sich zu trinken bringen, und Yar leerte einen großen Krug in seine Kehle.

Sein nächster Befehl war, Yar solle ihm Wasser zum Baden bringen, und dazu gab er ihm ein Sieb. Aber als der arme Bursche das Sieb in das Wasserloch tauchte und es wieder herauszog, lief das Wasser natürlich heraus. Er versuchte es viele Male, aber immer lief es heraus. Da hörte er ein raschelndes Geräusch vom Walde her und sah einen Hebu (Waldgeist) kommen. Als dieser hörte, um was es sich handelte, bot er seine Hilfe an und machte, daß das Wasser im Sieb blieb. Yar brachte es nun seinem zukünftigen Schwiegervater und badete ihn.

Der Alte befahl ihm darauf, für ihn Fische zu schießen. Ein Boot würde er im Fluß finden, die Bank dazu unter den Wurzeln eines bestimmten Baumes und einen Pfeil im Schatten eines anderen Baumes. Wirklich fand er das Boot. Es lag unter Wasser und war sehr schwer, aber es gelang dem jungen Manne endlich, es heraufzuziehen und auszuschöpfen. Als er sich dem bezeichneten Baume näherte und zwischen den Wurzeln suchte, war er überrascht und erschreckt, dort einen Alligator zu finden. Er ergriff ihn im Nacken, und der Alligator verwandelte sich in eine Bank, die in das Boot paßte. Im Schatten des anderen Baumes sah er zu seinem Schrecken eine große Schlange. Er packte sie jedoch im Nacken, und sie verwandelte sich in einen Fischpfeil.

Der Alte gesellte sich nun zu ihm. Sie stiegen in das Boot und ruderten den Strom hinab. "Ich möchte Kwabaihi-Fische haben," sagte der alte Mann, "aber du mußt nicht in das Wasser sehen. Schieße in die Luft!" Sein Gefährte tat, wie er sagte, und so geschickt war er mit dem Bogen, daß der Pfeil den Fisch durchbohrte und tötete. Der Fisch war so groß, daß das Boot beinahe sank, als sie ihn heraufzogen. Sie brachten es jedoch fertig, damit nach Hause zu kommen.

Der Alte war nun hinreichend überzeugt von Yars Tüchtigkeit und gab ihm seine Tochter Usi-diu zur Frau. Am nächsten Morgen ging das junge Paar zum Jagen in den Wald. Als sie spät am Nachmittag zurückkamen, hatten Vater und Tochter eine lange und ernste Unterredung, in deren Verlauf der Alte erfuhr, daß das Meisterstück, das er mit so viel Geduld, Geschick und Verständnis ausgeführt hatte, nicht ganz vollkommen war. Ihr Gatte hatte an ihr zu tadeln. Am folgenden Tage wurde die Jagd wiederholt. Wieder fand am späten Nachmittag eine Unterredung statt, aus der klar hervorging, daß der gerügte Fehler noch immer bestand. Der verwirrte Vater konnte seiner Tochter nur versichern, daß er nichts weiter tun könne, um sie ihrem Gatten angenehm zu machen. Als der letztere dies hörte, fragte er einen Bunia-Vogel um Rat und brachte ihn am nächsten Tage mit nach Hause. Während die junge Frau ihn auf ihrem Schoß streichelte und fütterte, machte der böse Vogel einen schlimmen Angriff auf ihre Unschuld und flog davon. Als diese Gewalttat dem Vater bekannt wurde, beschloß er, seine Tochter noch einer Prüfung zu unterziehen, und es gelang ihm, eine Schlange aus ihr herauszuziehen. Die Schwierigkeit war nun behoben, und die junge Frau ging noch einmal zu ihrem Gatten. Am folgenden Nachmittag trafen sich Vater und Tochter wieder zu heimlicher Zwiesprache. Nun war sie glücklich! Ihr Gatte war zufrieden gewesen und hatte nichts mehr an ihr auszusetzen.

Obgleich der Alte absichtlich keinen bösen Willen zeigte, war er doch sehr ungehalten über seinen Schwiegersohn, nicht nur, weil dieser unzufrieden gewesen war mit dem Schnitzwerk, als es zuerst in seinen Besitz kam, sondern auch, weil er dem Buniavogel erlaubt hatte, daran herumzupfuschen. Er wartete seine Zeit ab und schob seine Rache auf, bis der junge Mann die üblichen Heiratsaufgaben vollendet hätte, das Schlagen einer Pflanzung und das Baum eines Hauses für ihn. Es dauerte nicht lange, da fing Yar an, die Pflanzung zu schlagen. Er arbeitete früh und spät daran und sagte endlich seiner Frau, sie solle ihrem Vater mitteilen, daß er das Feld besichtigen könne. Der Alte ging hin, um es anzusehen, und sagte nach seiner Rückkehr der Tochter, daß er es tadeln müsse. Darauf ging das junge Paar selbst zur Pflanzung und war sehr erstaunt, alle Bäume und Sträucher wieder üppig wachsen zu sehen. Sie ahnten nicht, daß Nahakoboni am vorhergehenden Abend durch seine Zaubermittel dieses rasche Wachstum hervorgebracht hatte.

Yar mußte darauf ein anderes größeres Feld schlagen, und wieder ereignete sich dieselbe Sache. Der Alte drückte sein tiefstes Mißfallen aus. "Wie geht das zu?" sagte Yar zu seiner Frau. "Nun habe ich zweimal ein Feld geschlagen, und doch ist der Alte noch nicht zufrieden." Sie riet ihm darauf, ein drittes Feld zu schlagen und diesmal alle Baumstümpfe mit den Wurzeln auszureißen. Nachdem er das dritte Feld geschlagen hatte, fing er an, die Baumstümpfe herauszuziehen. Er versuchte es bei vielen, aber es gelang ihm nicht einen herauszureißen. Erschöpft fiel er nieder. Da erschien sein alter Freund, der Waldgeist, und bot sich an, die Arbeit für ihn zu tun. Er wies ihn an, sogleich nach Hause zu gehen und seiner Frau zu sagen, daß das Feld nun gründlich gereinigt sei. Nahakoboni ging am nächsten Morgen hin und bepflanzte das Feld mit Kassawa, Bananen und all den anderen nützlichen Pflanzen. Er kehrte am Abend zurück, aber er sprach kein Wort. Das machte Yar mißtrauisch. Er stand am anderen Morgen früh auf und war sehr überrascht, an Stelle eines leeren Feldes eine reiche Ernte an reifer Kassawa zu finden, ebenso Bananen und all die anderen guten Sachen, nach denen sich sein Magen sehnte.

Aber noch immer nagte der Ärger am Herzen des alten Mannes, und als sein Schwiegersohn seine andere Aufgabe, den Hausbau, in Angriff nahm und vollendete, fand er auch daran zu tadeln, riß das Haus zusammen und sagte, er wolle es stärker gebaut haben. Daraufhin baute Yar das Haus aus dem härtesten Holz, das er finden konnte. Endlich war Nahakoboni zufrieden, bezog das Haus und lebte dort.

Yar, die Sonne, war nun frei und konnte sich um seine eigenen häuslichen Angelegenheiten kümmern, und da er mit seiner Frau zufrieden war, lebten sie sehr glücklich miteinander. Eines Tages sagte er ihr, daß er eine Reise nach Westen unternehmen wolle. Da sie jetzt schwanger sei, würde sie wohl nicht imstande sein, mit ihm Schritt zu halten; daher möge sie langsam nachreisen. Er wolle zuerst aufbrechen, und sie solle seinen Spuren folgen. Sie solle immer die rechte Spur verfolgen; er wolle Federn streuen auf die linke, damit sie sich nicht irren könne. Daher hatte sie am nächsten Morgen, als sie ihre Reise begann, keine Schwierigkeit, den Weg zu finden. Sie vermied die Federn, bis sie an eine Stelle kam, wo der Wind sie fortgeweht hatte. Da begann ihre Not. Was sollte sie nun tun, da sie den Weg verloren hatte? Ihre Mutterschaft wurde ihre Rettung, denn ihr ungeborenes Kind begann zu sprechen und sagte ihr, welchen Weg sie verfolgen müsse. Als sie weiter und weiter wanderte, bat ihr Kind sie, die hübschen Blumen zu pflücken, die hier und da am Wegrande blühten. Sie hatte einige rote und gelbe gepflückt, als eine Wespe sie auf den Leib stach. Sie wollte die Wespe töten, verfehlte sie und schlug sich selbst. Das ungeborene Kind verstand die Sache falsch und dachte, es wäre geschlagen worden. Es wurde böse und weigerte sich, seiner Mutter noch länger den Weg anzugeben. Die Folge davon war, daß die arme Frau sich hoffnungslos verirrte.

Mehr tot als lebendig kam sie endlich an ein sehr großes Haus, in dem Nanyobo (ein großer Frosch) wohnte, eine sehr alte, dicke Frau. Sie sagten einander "Guten Tag", und die Besucherin wurde gefragt, woher sie käme. Sie suche ihren Gatten, die Sonne, antwortete sie, aber sie habe den Weg verloren und sei nun sehr müde. Nanyobo hieß darauf die Frau willkommen. Sie gab ihr zu essen und zu trinken, hieß sie sich setzen, hockte sich vor ihr auf die Erde und bat ihren Gast, sie zu lausen. "Aber sieh dich vor," sagte die alte Frau, "stecke die Läuse nicht in den Mund, sonst werden sie dich vergiften!" Die Frau aber, überwältigt von Müdigkeit und Angst, vergaß die Warnung, faßte eine Laus und steckte sie zwischen die Zähne. Kaum hatte sie das getan, als sie tot hinfiel.

Die alte Nanyobo schlitzte ihr den Leib auf und zog nicht nur ein Kind, sondern zwei hervor, ein Paar wunderschöner Knaben, Makunaima und Pia. Nanyobo erwies sich als gute, treue Pflegemutter und versorgte sie wohl. Als die Kinder größer wurden, fingen sie an, Vögel zu schießen. Als sie noch größer wurden, gingen sie an den Fluß hinunter und schossen Fische und Wild. Jedesmal, wenn sie Fische schossen, sagte die Alte: "Ihr müßt eure Fische an der Sonne trocknen und niemals über einem Feuer!" Aber es war sonderbar, daß die Alte sie jedesmal ausschickte, um Feuerholz zu holen, und wenn sie damit zurückkamen, waren die Fische schon schön gekocht und hergerichtet für sie. In der Tat spie die Alte Feuer aus ihrem Mund, kochte ihr Essen und leckte das Feuer wieder auf, bevor die Knaben zurückkamen. Sie ließ sie niemals ein Feuer brennen sehen. Da sich dies Tag für Tag wiederholte, wurden die Knaben mißtrauisch. Sie konnten sich nicht denken, wie die Alte ihr Feuer anzündete, und beschlossen daher, es herauszufinden. Bei der nächsten Gelegenheit, als sie wieder ausgeschickt wurden, um Feuerholz zu holen, verwandelte sich einer von ihnen in sicherer Entfernung vom Hause in eine Eidechse, lief zurück und schlüpfte in das Dach hinauf, von wo er alles sehen konnte, was vor sich ging. Was sah er nun? Er sah nicht nur, wie die alte Frau Feuer erbrach, es benutzte und wieder aufleckte, er beobachtete auch, wie sie sich im Nacken kratzte, worauf dort etwas wie Balata-Milch herausfloß, wovon sie Stärkemehl bereitete. Befriedigt von dem, was er gesehen hatte, kam er herunter und lief zu seinem Bruder. Sie besprachen die Sache gründlich und sagten: "Was die alte Frau tut, ist nicht gut. Töten wir die Alte!" Dies taten sie. Sie rodeten ein großes Feld und ließen gerade in der Mitte einen schönen Baum stehen, an den sie die alte Frau banden. Dann umgaben die Knaben sie von allen Seiten mit Holzspänen und zündeten diese an. Als die alte Frau allmählich vom Feuer verzehrt wurde, ging das Feuer, das in ihr war, in die sie umgebenden Reiser über. Diese Reiser waren zufällig Hima-heru-Holz, und noch heute können wir Feuer bekommen, wenn wir zwei dieser Hölzer aneinander reiben.

4. Warum der schwarze Jaguar die Leute tötet

Eines Tages fing Tobe-horoanna, der schwarze Jaguar, draußen im Walde einen jungen Mann. Er schleppte ihn in sein Heim, steckte ihn in einen Topf und sagte: "Du brauchst dich nicht zu fürchten. Ich habe nicht vor, dich zu töten, zu kochen und zu essen. Du wirst am Leben bleiben."

Als des schwarzen Jaguars Bruder und Schwester heimkamen, sagten sie: "Wir haben gehört, daß du einen jungen Mann gefangen hast. Wo ist er?" "Im Topf," antwortete Tobe-horoanna. "Hast du ihn gefüttert?" war ihre nächste Frage, und als er dies verneinte, sagten sie: "Nun, so gib ihm ein Wildschwein, und wenn er es nicht ganz vertilgt, so werden wir ihn vertilgen."

Der Mann war recht erschrocken, als er sie so sprechen hörte, und als sie ihm das Wildschwein gaben, tat er sein Bestes, es zu verzehren. Nachdem er aber die beiden Hinterbeine bewältigt hatte, konnte sein Bauch nicht mehr aufnehmen. Darauf reichte Tobe-horoanna ihm eine Kalabasse mit Kaschiri und gebot ihm, sie auszutrinken. Der arme Bursche sagte, daß sein Bauch voll sei, und daß er es unmöglich trinken könne. Da sie jedoch alle drei darauf bestanden, schluckte er das Kaschiri hinunter, aber fast augenblicklich war er genötigt, alles wieder herauszubrechen. "Ach, was machst du da?" sagte der schwarze Jaguar. Er dachte, es müßte irgend etwas nicht richtig sein im Munde des Mannes. Da ließ er durch seinen Bruder dem Manne den Mund aufreißen, während er ihm noch mehr Kaschiri eingoß. Aber die Schwester hatte an ihm Gefallen gefunden und wollte gern mit ihm leben. Daher sagte sie, die Brüder möchten den Mann in Ruhe lassen. Da ließen sie ihn los und schickten ihn in den Wald zum Jagen, damit er zeige, ob er imstande sei, eine Frau zu ernähren. Als er aus dem Walde zurückkehrte, brachte er zehn geräucherte Wildschweine mit. Da sagte Tobe-horoanna: "Das ist recht! Ich bin zufrieden. Du kannst meine Schwester haben."

Also lebte der Mann lange Zeit dort bei seiner Jaguarfrau, die ihm schließlich Zwillingssöhne gebar. Als die Kinder älter wurden und schon kriechen und krabbeln konnten, hütete der Vater sie, während seine Frau auf das Feld ging. Plötzlich knurrten sie und machten ein Geräusch wie Naharani, der Donner. Dies erschreckte den Mann, aber als die Mutter zurückkam, sagte sie ihm, daß solch ein Geräusch nichts zu bedeuten habe; es sei nur derselbe Ton, den die Leute vom Stamme der schwarzen Jaguare immer hören ließen, wenn sie durch den Wald reisten.

Bald danach bekam der Mann Heimweh. Er sagte zu seiner Frau, daß er beabsichtige, seine Mutter und Schwester zu besuchen, und er machte sich auf. Wie freudig wurde er zu Hause bewillkommnet! Sie hatten ihn schon längst verloren gegeben. Seine Mutter fragte ihn, ob er eine Frau habe, und als sie erfuhr, daß er nicht nur eine Frau, sondern auch zwei Knaben habe, die merkwürdig knurren könnten, bat sie ihn, doch bei seinem nächsten Besuch seine Familie mitzubringen.

Das tat er sehr bald, aber als sie zum Hause seiner Mutter kamen, war dort ein Trinkfest, und die alte Frau hatte ihre Zunge nicht mehr in der Gewalt. Sie machte ihm Vorwürfe, daß er ihr eine solche Schwiegertochter ins Haus bringe; ob er nicht sehen könne, daß sie nicht ein richtiger Mensch, sondern eine Jaguarin sei, die eines Tages über ihn herfallen und ihn umbringen würde? Schäme er sich denn nicht, so eine zu ihr zu bringen, und so weiter. Und in ihrer betrunkenen Wut töteten sie und ihre Tochter ihn. Seine Frau tat ihr Bestes, ihn zu verteidigen, aber sie erschlugen auch sie. Seine beiden Knaben würde das gleiche Schicksal ereilt haben, wenn sie dort geblieben wären, aber es gelang ihnen zu fliehen, und sie kamen unbeschädigt nach Hause.

Der Onkel Tobe-horoanna fragte: "Wo ist euer Vater?" "Tot!" antworteten sie. "Wo ist eure Mutter?" "Auch tot!" erwiderten sie. Als er alles von ihnen erfahren hatte, wurde er sehr böse, verwandelte sich wieder in einen schwarzen Jaguar, trabte davon zu dem Ort, wo sie tranken, und tötete alle, die Mutter, die Tochter und alle Gäste.

5. Der schwarze Jaguar, Wau-uta und der zerbrochene Pfeil

Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Schwäger. Während er ein rechter Pechvogel war, kehrten sie regelmäßig des Nachmittags mit reicher Jagdbeute heim. Da sagten sie: "Er hat doch kein Glück. Wir wollen ihn unterwegs verlieren!" Sie wollten ihn loswerden.

Eines Tages nahmen sie ihn mit in den Wald. Sie gingen alle drei zusammen, aber bald sagten sie ihm, er solle nach der einen Richtung gehen, während sie nach der anderen gingen. Sie verabredeten, sich an einem bestimmten Platz zu treffen.

Der Weg, den ihm die zwei schlechten Brüder gewiesen hatten, führte zum Lager von Tobe-horoanna, einem riesigen schwarzen Jaguar, aber das wußte der Mann nicht. Er ging fort und fort und kam zu einem breiten Pfad. Da rief er aus: "Wohin gehe ich jetzt?" Während er so mit sich selbst sprach, hörte er etwas heranstürmen und wunderte sich, was das wohl sei. Er sollte sich nicht lange wundern, denn er sah Tobe-horoanna kommen. Da lief er, so schnell er konnte, auf einen riesigen Baum zu, der schwarze Jaguar hinter ihm her. So liefen sie immer rund um den Stamm herum, einer hinter dem andern her, bis es dem Manne gelang, die Hinterbeine des Tieres zu erreichen und ihm beide Fersen abzuschneiden. Da setzte sich der Jaguar nieder, denn er konnte nun gar nicht mehr laufen. Darauf schoß ihm der Mann seinen Pfeil durch den Nacken, brachte mit dem Messer die Arbeit zu Ende und ging nach Hause.

Die zwei Schwäger zweifelten inzwischen keinen Augenblick daran, daß sie ihn nie wiedersehen würden. Sie wußten ja, was für ein armseliger Jäger er war, und wohin sie ihn geschickt hatten. Daher waren sie bei seiner Heimkehr sehr überrascht und entschuldigten sich, um ihre schlechten Absichten zu verbergen, indem sie sagten: "Wir gingen an den verabredeten Platz, aber du warst nicht da. Wir riefen nach dir, aber wir erhielten keine Antwort. Da dachten wir, du wärest tot und gingen fort. Aber wir wollten gerade noch einmal nach dir sehen." Natürlich war dies alles gelogen.

Als der Mann erzählte, daß er tatsächlich den Tobe-horoanna getötet habe, wollten es ihm die beiden Schwäger, sowie auch ihr alter Vater kaum glauben. Sie bestanden darauf, das er sie zu dem Platz führte. Sie gingen alle zusammen hin, und als sie aus einiger Entfernung den schwarzen Jaguar auf dem Boden liegen sahen, fürchteten sich alle näher zu gehen, außer dem einen, der ihn getötet hatte. Er sagte ihnen wieder, daß er "ganz ganz tot" sei, aber sie fürchteten sich noch immer. Da ging er dreist heran und trat auf den Kadaver, um ihnen zu zeigen, daß er die Wahrheit gesagt habe. Nun erst wagte der alte Mann sich zu nähern, seine beiden Söhne aber blieben ängstlich, und dann kehrten sie alle nach Hause zurück.

Nach ihrer Ankunft gab ihm der alte Schwiegervater noch eine Tochter zur Frau, so daß er nun zwei Weiber hatte.

Die Schwäger bauten ihm ein größeres Haus, und er wurde fortan als Ai-jamo, als Häuptling der Niederlassung, anerkannt.

Nun genügte aber unserem Freunde der Ruhm nicht, den er sich erworben hatte, indem er das Land von Tobe-horoanna befreite, er wollte auch gern einen guten Ruf haben als geschickter Jäger auf alle anderen Tiere. Wen konnte er da besser um Rat fragen als Wau-uta, den Laubfrosch? Also wanderte er umher, bis er den Baum fand, in dem Wau-uta wohnte. Er stellte sich unter den Baum und rief ihr zu, ihm zu helfen. Er rief und rief, bis der Abend heraufdämmerte, aber er bekam keine Antwort. Dennoch rief er immer weiter und bat sie, ihn alle die Dinge zu lehren, die er so gern lernen wollte, und als die Nacht hereinbrach, begann er zu weinen. Er wußte ganz gut, daß sie herunterkommen würde, wenn er lange genug weinte, gerade wie eine Frau, die einen Mann einmal abgewiesen hat, doch endlich Mitleid bekommt, wenn sie ihn weinen hört.

Als er so wehklagend unter dem Baum stand, was kam da einhergezogen? Ein ganzer Zug Vögel, wohlgeordnet nach der Größe vom kleinsten bis zum größten. Der kleine Doroquara kam zuerst. Er pickte mit dem Schnabel auf die Füße des Mannes, um ihn erfolgreich zu machen, ihn zu jagen. Und so kamen der Reihe nach alle anderen Vögel bis zu den allergrößten. Wau-uta begann nämlich Mitleid mit ihm zu haben, aber das wußte er natürlich nicht. Als alle Vögel fertig waren, kamen alle Ratten der Reihe nach, je nach ihrer Größe. Ihnen folgten die Aguti, Paka, Rehe, Wildschweine usw. bis zum Tapir. Im Vorbeigehen streckte jedes Tier die Zunge heraus, leckte seine Füße und ging weiter. Dadurch brachten sie ihm Glück auf der Jagd nach ihresgleichen. In gleicher Weise kamen dann die Tiger, vom kleinsten bis zum größten. Alle nahmen die gleiche Handlung vor und gingen weiter. Zuletzt erschienen die Schlangen, taten wie die anderen und krochen weiter.

Natürlich beanspruchte dieser Vorbeimarsch Zeit. Erst bei Tagesanbruch war er beendet. Da hörte der Mann endlich auf zu weinen. Im Tageslicht sah er jemand auf sich zukommen. Es war Wau-uta, die einen sonderbar aussehenden Pfeil trug. "Du warst es also, der die ganze Nacht lärmte und mich nicht schlafen ließ?" "Ja," erwiderte der Mann, "ich war es." "Nun," sagte Wau-uta, "sieh einmal an deinem Arm herunter von der Schulter bis zur Hand!" Er blickte daran herunter und sah, daß sein ganzer Arm mit Schwamm bedeckt war. Er blickte auf seinen anderen Arm. Dort war es ebenso. Dieser Schwamm war es, der ihm immer Unglück gebracht hatte. Nun kratzte er ihn schleunigst ab.

Wau-utas Pfeil sah sehr merkwürdig aus. Er war in drei oder vier Stücke gebrochen, die nachträglich wieder zusammengefügt waren. Wau-uta gab ihn dem Manne und nahm seinen Pfeil dafür zum Tausch. Sie hieß ihn, den Pfeil auf den Bogen legen und nach einer dünnen Liane schießen, die weit entfernt hing. Der Pfeil traf sein Ziel.

Wau-uta legte den Pfeil wieder auf den Bogen und gebot ihm, in die Luft zu schießen. In welcher Richtung er immer seinen Pfeil abschoß, sobald er zur Erde kam, traf er irgend etwas, zuerst einen Doroquara und dann weiter, in derselben Reihenfolge, wie die Vögel seine Füße gepickt hatten, alle Vögel bis zum Hokko, jedesmal einen anderen Vogel. Dabei konnte er selbst nichts sehen, wenn er den Pfeil abschoß. Als er fortfuhr, nach allen Richtungen in die Luft zu schießen, fand er, daß er eine Ratte, ein Aguti getroffen hatte, usw., bis ein prächtiger Tapir seinem Pfeil erlag. Danach schoß er Tiger und Schlangen. Als all dies beendet war, sagte Wau-uta zu ihm, er dürfe den zerbrochenen Pfeil behalten, aber unter der Bedingung, daß er niemals zu irgend jemand ausplauderte, daß sie es gewesen sei, die ihn gelehrt hätte, ein so guter Schütze zu sein. Darauf trennten sie sich. Unser Freund kehrte nach Hause zurück zu seinen beiden Frauen. Sein Bratrost war immer gefüllt, und bald war sein Ruf als glücklicher Jäger ebenso groß, wie sein Ruhm als Töter des Tobe-horoanna. Alle taten ihr Möglichstes, um das Geheimnis seines Erfolges herauszubekommen. Sie fragten ihn wiederholt, aber er weigerte sich, es zu sagen. So warteten sie ihre Zeit ab und überredeten ihn, ein großes Paiwari-Fest mitzumachen. Das alte Lied: Der Trunk brachte das Unheil; er löste seine Zunge. Da plauderte er aus, was geschehen war.

Am nächsten Morgen, nachdem er zum Bewußtsein erwacht war, wollte er seinen Pfeil holen, den Pfeil, den Wau-uta ihm geschenkt hatte, aber er fand ihn ersetzt durch seinen eigenen Pfeil, den er Wau-uta zum Tausch gegeben hatte. Von der Zeit an hatte er alles Glück verloren.

6. Die Geschichte von Haburi

Vor langer Zeit lebten einmal zwei Schwestern allein zusammen. Sie hatten keinen Mann, der für sie sorgte.

Eines Tages fällten sie eine Mauritiapalme, um aus ihrem Mark Mehl herzustellen. Es war über dem Fällen spät geworden, deshalb ließen sie die weitere Arbeit und gingen nach Hause. Als sie am anderen Morgen an den Platz kamen, fanden sie das Mehl schon fertig zubereitet. Sie konnten sich nicht erklären, wie das zugegangen war. Am nächsten Tage war es ebenso – wieder fanden sie das Palmmark fertig bereitet. Und so geschah es ihnen wieder und wieder. Da beschlossen sie, eines Nachts zu wachen.

Neben der Mauritiapalme stand eine Assaïpalme, und um Mitternacht sahen sie, wie sich einer der langen Palmwedel allmählich weiter und weiter herabneigte, bis er die Schnittfläche der abgehauenen Mauritiapalme erreichte. Da liefen beide Schwestern herzu, hielten den Palmwedel fest und baten ihn inständig, sich doch in einen Mann zu verwandeln. Er weigerte sich zuerst, aber als sie gar so sehr baten, tat er ihnen den Willen. Sein Name war Mayara-koto. Die ältere der Schwestern war nun glücklich, und im Laufe der Zeit bekam sie ein schönes Knäblein, das sie Haburi nannten.

Die beiden Frauen wohnten in der Nähe von zwei Teichen. Der eine Teich gehörte einem Jaguar, der andere gehörte ihnen, und aus ihm holten sie sich ihre Fische. Sie warnten Mayara-koto, niemals an den Teich des Jaguars zu gehen. Der Mann sagte jedoch: "In unserem Teich sind wenig Fische, in dem des Jaguars dagegen viele. Ich werde fischen gehen in seinem Teich!" Er tat, wie er gesagt hatte, aber der Jaguar kam des Weges, packte ihn und tötete ihn, weil er ihm seine Fische gestohlen hatte.

Danach nahm der Jaguar Mayara-kotos Gestalt an und kehrte zu den beiden Frauen zurück. Es war sehr spät, als er kam und sehr dunkel. Er brachte Mayara-kotos Tragkorb mit und auch die Fische, die der letztere ihm gestohlen hatte, bevor er ihn tötete. Der Jaguar stellte den Tragkorb vor dem Hause nieder, wie es Sitte ist, ging hinein und sagte den Frauen, er habe Fische mitgebracht. Beide Frauen waren erstaunt über seine rauhe, heisere Stimme. Er sagte dann, daß er sehr müde sei und sich in seine Hängematte legen wolle, sie sollten ihm Haburi bringen, er wolle auf ihn acht geben. Daraufhin brachten sie ihm das Kind. Er sagte ihnen auch, daß er schlafen wolle, sie sollten die Fische hereinbringen und kochen, aber sich nicht weiter um ihn kümmern.

Die Frauen kochten die Fische. Als sie gekocht waren, und die Frauen sie aßen, war der Mann eingeschlafen. Da fing er an sehr sonderbar und laut zu schnarchen, so laut, daß man ihn auf der anderen Seite des Flusses hätte hören können. Während er schnarchte, rief er den Namen des Mannes: "Mayara-koto!" Die beiden Frauen sahen einander an und lauschten. Sie sagten: "Unser Gatte hat niemals so geschnarcht, er hat nie zuvor seinen eigenen Namen gerufen!"

Sie hörten sofort auf zu essen und sagten eine zur anderen, daß dieser Mann unmöglich ihr Gatte sein könne. Da überlegten sie, wie sie den kleinen Haburi aus den Armen des Mannes bekommen sollten, in denen er ruhte.

Sie machten ein Bündel aus Baumbast, schoben es vorsichtig unter das Kind und zogen es heraus. Dann machten sie sich eiligst mit ihm davon, während der Mann noch schnarchte mit dem Bastbündel im Arm. Sie nahmen auch ein Wachslicht mit und ein Bündel Feuerholz.

Auf ihrer Flucht hörten sie Wau-uta singen. Wau-uta war in jener Zeit eine Frau. Sie war eine Zauberin, und sie sang gerade zu ihrer Zauberrassel. Die beiden Frauen eilten vorwärts, denn sie wußten, daß sie bei Wau-uta in Sicherheit sein würden.

Inzwischen war der Jaguar-Mann aufgewacht, hatte das Bastbündel in seinem Arm gefunden anstatt des kleinen Haburi und sah, daß beide Schwestern fort waren. Da wurde er zornig. Er verwandelte sich zurück in Tiergestalt und sprang ihnen nach. Die Frauen hörten ihn kommen und eilten noch mehr. Sie schrien: "Wau-uta! Öffne die Tür!" "Wer ist da?" fragte Wau-uta. "Wir sind es, die zwei Schwestern." Aber Wau-uta machte die Türe nicht auf. Da kniff die Mutter den kleinen Haburi ins Ohr, damit er schrie. Sowie Wau-uta das hörte, rief sie hinaus: "Was ist das für ein Kind? Ist es ein Mädchen oder ein Knabe?" "Es ist mein Haburi, ein Knabe," antwortete die Mutter. Darauf öffnete Wau-uta sofort die Türe und sagte: "Kommt herein, kommt herein!"

Kaum waren alle im Hause, da kam der Jaguar. Er rief nach Wau-uta und fragte sie, wohin die zwei Frauen und das Kind gegangen seien. Aber Wau-uta log und sagte, sie hätte sie nicht gesehen, sie hätte niemand gesehen. Der Jaguar wußte aber durch seinen Geruchsinn, daß sie dort waren, und darum wartete er draußen und weigerte sich fortzugehen. Dies ärgerte Wau-uta. Sie wurde so zornig, daß sie ihm sagte, er möge nur seinen Kopf hereinstecken und sich umschauen; wenn er die Frauen und das Kind sähe, könne er sie gleich fressen, wenn er wolle. Aber die Tür war mit großen Dornen bedeckt, und sowie der dumme Jaguar seinen Kopf hineinsteckte, schloß die alte Frau die Türe und tötete ihn so.

Die beiden Schwestern blieben dort und weinten viel. Sie trauerten um ihren Gatten. Sie weinten so viel, daß Wau-uta ihnen gebot, hinauszugehen auf das Feld, um Kassawa zu holen und Getränk zu bereiten. Da machten sie sich fertig und wollten Haburi mitnehmen, aber Wau-uta sagte: "Nein, ich kann gut nach dem Kinde sehen, während ihr fort seid." So taten sie, wie ihnen gesagt war, und gingen fort auf das Feld.

Inzwischen ließ Wau-uta das Kind sich sogleich in einen Jüngling verwandeln und gab ihm die Flöte zum Blasen und die Pfeile zum Schießen.

Als die Mutter und die Tante zurückkehrten mit der Kassawa, hörten sie die Musik und sagten: "Es war kein Mann oder Knabe da, als wir das Haus verließen. Wer kann es sein? Es muß ein Mann die Flöte blasen." Obgleich sie sich schämten, gingen sie hinein und sahen den Jüngling auf der Flöte blasen.

Sobald sie die Körbe vom Rücken abgestellt hatten, fragten sie nach Haburi. Wau-uta sagte, das Kind sei hinter ihnen hergelaufen, sobald sie zur Pflanzung gegangen seien, und sie hätte gedacht, es sei noch bei ihnen. Natürlich war dies alles gelogen. Die alte Wau-uta wollte Haburi gern schnell groß haben, weil sie ihn später zu ihrem Liebsten machen wollte. Sie betrog die beiden Schwestern weiter, indem sie so tat, als ob sie in der Umgebung des Hauses eifrig nach dem Kinde suche, aber sie richtete es so ein, daß sie zuerst zurückkam, und sagte zu Haburi, sie, Wau-uta, sei seine Mutter, und gab ihm genaue Weisungen, wie er sie behandeln müsse.

Haburi war ein ausgezeichneter Schütze; kein Vogel entkam seinem Pfeil. Wau-uta ließ sich von ihm alle großen Vögel bringen, die er tötete, und seiner Mutter und Tante mußte er die kleinen geben, und zwar erst, wenn sie verdorben waren. Sie wollte dadurch die beiden Schwestern so ärgern, daß sie den Ort verließen. Aber das taten sie nicht. Sie suchten unaufhörlich die Umgegend ab nach ihrem kleinen Bübchen. So ging es lange Zeit.

Eines Tages jedoch fehlte Haburi zum erstenmal einen Vogel. Der Pfeil blieb in einem Zweig stecken, der über eine Bucht hing, in der seine Onkel, die Fischottern, ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegten. Es war ein hübscher, sauberer Platz. Hier erleichterte sich Haburi und bedeckte den Kot mit Blättern. Danach kletterte er auf den Baum, um den Pfeil herabzuholen. Da kamen gerade die Fischottern an, schnupperten in die Luft und riefen: "Wonach riecht es hier? Unser nichtswürdiger Neffe Haburi muß in der Nähe sein!" Sie blickten um sich, herunter und herauf, und entdeckten ihn endlich in den Zweigen des Baumes. Da befahlen sie ihm herunter zu kommen. Dann setzten sie ihn auf eine Bank und sagten ihm, daß er ein sehr schlechtes Leben führe, daß die alte Frau gar nicht seine Mutter sei, sondern daß die beiden jungen seine Mutter und seine Tante seien. Sie sagten ihm, daß es sehr unrecht von ihm sei, daß er die Vögel so ungerecht verteile, und daß er es in Zukunft gerade umgekehrt machen und seiner rechten Mutter, der größeren der beiden Schwestern, die größten Vögel geben müsse. Sie rieten ihm auch, seiner rechten Mutter zu sagen, daß er sie nur aus Unkenntnis der Dinge so schlecht behandelt hätte, und daß es ihm leid täte.

Als Haburi an jenem Tage nach Hause kam, führte er aus, was ihm die Fischottern geraten hatten. Die schlechten kleinen Vögel gab er Wau-uta, und seiner Mutter schüttete er sein Herz aus. Dem armen Ding war es sonderbar zumute. Sie konnte sich nicht entschließen, plötzlich "mein Sohn" zu ihm zu sagen. Aber als er ihr erklärte, daß nur Wau-uta ihn so schnell zum Manne gemacht hätte, glaubte sie ihm und war getröstet.

Als die alte Wau-uta dies alles hörte, geriet sie in große Wut. Sie packte Haburi im Nacken, blies ihm ins Gesicht und schrie, er müsse wahnsinnig geworden sein. So wütend und aufgeregt war sie, daß sie nichts essen konnte. Haburi ging am nächsten Morgen fort, wie gewöhnlich, und kehrte am Nachmittag zurück. Da gab er wieder seiner rechten Mutter die großen Vögel, die er geschossen hatte, und Wau-uta die beschmutzten und kleinen. Nun ließ ihm Wau-uta keine Ruhe mehr, wie man sich denken kann.

Daher beschloß Haburi fortzugehen. Er sagte seiner Mutter, daß sie alle drei fortgehen wollten. Er verfertigte ein kleines Kanu aus Bienenwachs, und als es fertig war, ließ er es am Ufer. Aber am anderen Morgen hatte es eine schwarze Ente fortgenommen. Da machte er ein neues kleines Kanu aus Lehm, dieses wurde von einer anderen Ente gestohlen. Inzwischen schlug er eine Pflanzung und rodete so schnell, daß die Frauen mit ihren Stecklingen nicht nachkommen konnten. Sie brauchten viel Kassawa für ihre Reise. Während die Frauen pflanzten, ging Haburi oft davon und machte ein Boot, immer wieder aus anderem Holz und von anderer Form, und immer wieder kam eine andere Art Ente und stahl es ihm. Endlich machte er ein Boot aus dem Holz des Samauma-Baumes, und dieses wurde ihm nicht gestohlen. So war Haburi der erste, der ein Boot machte und der die Enten lehrte, auf der Oberfläche des Wassers zu schwimmen, denn mit seinen Booten gelang es ihnen. Die Warrau sagen, daß jede Ente ihr besonderes Boot habe.

Das Boot aber, das Haburi gemacht hatte, war über Nacht ganz groß geworden. Er wies seine Mutter und seine Tante an, Lebensmittel ins Boot zu tragen für ihre bevorstehende Reise. Er selbst kehrte zur Pflanzung zurück und half der alten Wau-uta. Nach einiger Zeit schlüpfte er davon, ging zum Hause zurück, nahm seine Pfeile und seine Axt und eilte zum Ufer. Bevor er das Haus verließ, gebot er den Pfosten, ihn nicht zu verraten, denn in jenen Tagen konnten die Hauspfosten sprechen, und wenn der Eigentümer abwesend war, konnte ein Besucher von ihnen erfahren, wo er sich aufhielt. Es war aber auch ein Papagei in dem Hause, und Haburi vergaß völlig, ihm Schweigen aufzuerlegen.

Als nun die alte Frau nach einiger Zeit Haburi vermißte, ging sie ins Haus, um ihn zu suchen. Sie fragte die Pfosten, sie blieben stumm. Der Papagei aber verriet ihn.

Da eilte Wau-uta zum Landungsplatz und kam gerade zur Zeit, um zu sehen, wie Haburi zu seiner Mutter ins Boot stieg. Sie klammerte sich an das Fahrzeug und schrie: "Mein Sohn, mein Sohn, du darfst mich nicht verlassen. Ich bin deine Mutter!" Und obgleich sie alle mit den Rudern nach ihr schlugen und ihr fast die Finger zerbrachen, ließ sie nicht los.

So sah sich Haburi gezwungen, wieder an Land zu kommen. Er ging mit Wau-uta zu einem hohlen Baum, in dem sich ein Bienennest befand. Er schlug den Baum um, schnitt ein Loch in den Stamm und gebot der Alten, hineinzukriechen und den Honig zu schlürfen. Sie liebte den Honig sehr. Obgleich sie die ganze Zeit bitterlich weinte bei dem Gedanken, Haburi zu verlieren, kroch sie doch durch die kleine Öffnung, die er sofort fest verschloß.

Dort findet man sie noch heute als den Wau-uta-Frosch, der nur in hohlen Bäumen vorkommt. Wenn man genau acht gibt, kann man noch sehen, wie geschwollen die Finger sind von den Ruderschlägen, als sie versuchte, das Boot festzuhalten. Auch hört man sie noch immer klagen über den verlorenen Liebhaber. Noch heute schallt ihr Ruf: Wang, Wang, Wang!

7. Die Speerbeine