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Frantisek Marek ist der Pfähler! Das Erbe seiner Ahnen ist es, dass er gegen die Vampirbrut kämpfen und die Blutsauger ausrotten muss, wo immer er sie antrifft!
Es ist das Jahr 1978 in der Sozialistischen Republik Rumänien! Gerade erst hat Frantisek seine Bestimmung gefunden, als er mit dem Londoner Geisterjäger John Sinclair den ›Schwarzen Grafen‹ vernichtete, den Neffen des berühmtesten Vampirs aller Zeiten - Dracula!
Doch nun beginnt der Kampf gegen die Blutsauger erst richtig! Denn Frantiseks verloren geglaubter Sohn, der vor siebenundzwanzig Jahren von einem Vampir entführt wurde, meldet sich bei ihm und seiner Frau - und damit werden die Mareks in ein Intrigenspiel hineingezogen, in dem finstere Mächte die Fäden ziehen und dessen Ziel die Auferstehung Draculas ist!
Inspiriert von der legendären JOHN SINCLAIR-Trilogie "Der Pfähler" von JASON DARK, schrieb Top-Autor IAN ROLF HILL diese sechsbändige Miniserie, die den modernen Vampir-Roman mit klassischem Gothic-Horror mixt!
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Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Titelseite
Blutsbande
… UND IM NÄCHSTEN ROMAN LESEN SIE:
Fußnoten
Impressum
Blutsbande
von Ian Rolf Hill
Der Durst trieb ihn in den Wahnsinn!
Er brannte wie Feuer in seinen Eingeweiden und drohte, ihn von innen heraus zu verzehren, ihn auszuhöhlen, zu zerstören.
Dabei gab es mehr als genug Wasser. Der erste Schnee war gefallen und bedeckte die Wipfel der Bäume sowie die Dächer der Häuser des kleinen Orts am Fuße der Karpaten. In der Nähe plätscherte sogar ein kleiner Bach, der irgendwo in den Bergen entsprang und zu Tal floss.
Doch es dürstete ihn nicht nach Wasser!
Hätte er einen Schluck getrunken, hätte es seine Qualen nur noch vergrößert. Was er brauchte, fiel nicht in dicken Flocken vom Himmel, rieselte nicht aus Einschlüssen im Felsgestein, und es floss auch nicht durch das ausgewaschene Bett eines Flusses – sondern durch die Adern der Menschen, die drunten im Tal lebten, arbeiteten und starben!
Er gierte nach dem Blut der Menschen, seiner früheren Nachbarn und Freunde – denn Silviu Varescu war ein Vampir!
Kalurac persönlich hatte ihn dazu gemacht!
Der Neffe des sagenumwobenen Dracula war in das Haus seiner Familie eingedrungen. Silviu erinnerte sich noch genau, wie er nachts aus dem Schlaf hochgeschreckt war. Er hatte geglaubt, einen Schrei vernommen zu haben, den Schrei seiner Mutter Silva.
Sofort war er aus dem Bett gesprungen, hatte seinen Bruder Sergiu geweckt und war in das elterliche Schlafzimmer gestürzt.
Und dort hatte er ihn gesehen, den Schwarzen Grafen!
Vornübergebeugt, den Umhang, der an die ledrigen Flughäute einer Fledermaus erinnerte, über den halb entblößten Leib der Mutter gebreitet, die Lippen fest auf ihren Hals gepresst.
Rot geäderte Augen hatten Silviu und seinen Bruder über die Mutter hinweg angestarrt, deren Körper im Griff des Vampirs gezuckt hatte. Ihre Augen und ihr Mund waren weit aufgerissen. Sie stöhnte, als würde sie es genießen.
Und Vater?
Der hatte benommen daneben gelegen. Selbst als Kalurac wie ein ausgehungertes Raubtier über seine Söhne hergefallen war, hatte er nichts weiter getan als zuzusehen.
Bis er selbst an die Reihe gekommen war.
Kalurac hatte daraufhin gewartet, bis sie wieder zu neuem Leben erwacht waren. Er hatte ihnen aufgetragen, Opfer zu finden und den Keim der Vampire zu verbreiten. Der ganze Ort sollte zu einem Dorf der Untoten werden.
Corucz, der Gehilfe des Schmieds, war ihr erstes Opfer geworden, und viele hatten noch folgen sollen.
Doch dann waren Männer erschienen, die Jagd auf sie, die Vampire, gemacht hatten.
Silviu und seiner Familie war nichts anderes übrig geblieben, als sich zu verstecken. Auf dem alten Soldatenfriedhof hatten sie warten und ausharren wollen. Nur Mutter hatte es nicht ausgehalten. Der Durst hatte sie zu ihrer Freundin Marie getrieben, selbst Vater hatte sie nicht aufhalten können.
Silviu und sein Zwillingsbruder Sergiu hatten sich in der Gruft versteckt, ohne zu ahnen, dass diese bereits von jemand anderem beansprucht wurde.
Von einer widerwärtigen, scheußlichen, nicht-menschlichen Kreatur, formlos und schleimig.
Silviu hatte mitansehen müssen, wie sie über Sergiu hergefallen war und ihm das Fleisch von den Knochen gerissen hatte.
Das Ungeheuer war wie im Rausch gewesen. Fast wie Kalurac, als er über die Zwillinge gekommen war.
Silviu war nur knapp die Flucht gelungen.
Blindlings war er in die wolkenverhangene Nacht geflohen.
Erst nach Stunden hatte er sich wieder aus seinem Versteck im Wald getraut und war zurück zum Friedhof geschlichen, um Mutter und Vater zu warnen, doch da war es bereits zu spät gewesen.
Er hatte nur noch gesehen, wie sein Vater von dem Schmied getötet worden war.
Einer der Begleiter des Schmieds, ein großer blonder Kerl, war von dem schleimigen Monstrum aus der Gruft angegriffen worden.
Silviu hatte den Ausgang des Kampfes nicht abgewartet. Die Angst war zu groß gewesen.
Und so war er erneut weggelaufen. Nächtelang war er durch die Wälder geirrt auf der Suche nach Nahrung. Tagsüber hatte er sich in Höhlen verkrochen oder in die Erde gewühlt, um sich vor den Strahlen der Sonne zu schützen.
Einmal hatte er sich zurück ins Dorf getraut und gehofft, dort ein Opfer zu finden, doch die Menschen waren gewarnt gewesen. Niemand hatte sich mehr nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straßen getraut, Fenster und Türen waren mit Knoblauch verhangen.
Das Dorf Petrila hatte wie ausgestorben gewirkt.
Und so war Silviu zurück in die Wälder gegangen. Um sich zu stärken, hatte er Jagd auf Tiere machen wollen, doch die spürten das Böse, das von ihm ausging, und hatten stets rechtzeitig das Weite gesucht. So waren die Nächte vergangen, ohne dass er Nahrung gefunden hätte oder eine Spur seiner Mutter.
Schließlich war es kälter geworden.
Der Wind, der von den Karpaten hinunter ins Tal fegte, hatte den ersten Schnee mitgebracht. Der Boden war gefroren, und Silviu hatte gewusst, dass er sich einen neuen Unterschlupf suchen musste. Die Kälte machte ihm nichts aus, es war allein die Angst vor Entdeckung gewesen.
Und so war er in die Burg des Schwarzen Grafen gegangen.
Sie war nur noch eine Ruine, doch das Kellergewölbe mit dem Sarkophag, in dem Kaluracs Asche gelegen hatte, war noch vorhanden. Eine tote Hyäne lag davor. Ratten hatten sich an dem Kadaver zu schaffen gemacht.
Als sie spürten, dass sich Silviu näherte, huschten sie blitzschnell davon. Im ersten Augenblick sah es so aus, als würde der Kadaver wieder zum Leben erwachen, doch es waren bloß die pelzigen Leiber der Ratten, die aus dem aufgeblähten Balg krochen und die Flucht ergriffen. Selbst die Ratten mieden ihn.
Er legte sich in den Sarkophag des Schwarzen Grafen und fragte sich, wie es sein mochte, so wie er zu sein. Ein König, dem sich alle zu Füßen warfen. Ein Herrscher, der sich einfach nahm, was er begehrte. Dem sich die Opfer freiwillig hingaben, ihm das weiche Fleisch ihrer Hälse darboten, damit er seine Zähne hineinschlagen konnte, um das warme, dampfend-pulsierende Blut aus ihren Adern zu saugen.
Silviu Varescu heulte auf.
Er spürte, wie sich die erschlaffte Lunge in seiner Brust mit Luft füllte. Sie flatterte wie ein alter Sack im Wind, als der Schrei seine Kehle verließ.
Er brauchte Blut!
Es war nur eine Frage der Zeit, bis er zu schwach sein würde, um auf die Jagd zu gehen.
Zum Glück lag der Deckel nicht auf dem Sarkophag. Er wusste nicht, ob er noch die Kraft gehabt hätte, ihn zur Seite zu schieben. Dann wäre er lebendig begraben gewesen, ohne jedoch sterben zu können, schließlich war er bereits tot. Er würde langsam vor sich dahinsiechen, bis sich sein untoter Körper selbst verzehrte und nur noch eine vertrocknete, ausgezehrte Hülle übrig blieb.
Doch was, wenn die Jäger kamen? Würden sie hier nicht als Erstes nach ihm suchen? Was hätte er ihnen schon entgegenzusetzen, schwach, wie er war?
Furcht überkam ihn.
Er brauchte ein Opfer!
Immer wieder erschien das Gesicht von Constanza vor seinem geistigen Auge. Die liebliche Constanza. Sie lebte im Nachbardorf bei ihren Eltern. Zuletzt hatte er sie beim Pfingsttanz gesehen. Oh, wie sie sich in ihrer Tracht gedreht hatte. Im Geiste sah er ihre blonden Locken wirbeln. Die Lippen so rot, das Fleisch so weich und warm und voller Blut …
Damals hatte sie nichts von ihm wissen wollen, doch das kümmerte ihn nicht länger. Er war kein dummer Junge mehr, er war jetzt ein Vampir!
Der Schwarze Graf persönlich hatte ihn dazu gemacht.
Ein wütendes Fauchen drang aus dem Schlund des Untoten.
Er richtete sich auf, kroch aus dem Sarkophag und stolperte über die tote Hyäne. Er stürzte. Eine Ratte quiekte. Sie war nicht schnell genug gewesen, und jetzt klemmte ihr nackter Schwanz unter seinem rechten Handballen.
Die Augen des Blutsaugers fingen an zu glänzen. Er leckte sich über die Lippen und stieß mit der Zunge gegen die langen Eckzähne, die wie kleine Speere aus seinem Oberkiefer ragten.
Fasziniert beobachtete er den verzweifelten Kampf der Ratte, die sich krümmte und nach seiner Hand schnappte. Sie bohrte die Zähne hinein, doch er verspürte keinen Schmerz.
Das begriff auch die Ratte, die nach ihrem eigenen Schwanz angelte, um ihn durchzunagen. Bevor ihr das gelang und sie doch noch entkam, packte Silviu zu.
Die Finger seiner Linken schlossen sich um den zuckenden, pelzigen Leib des Nagers. Er war weich und warm. Eine nie gekannte Gier übermannte Silviu. Und ohne lange darüber nachzudenken, grub er die Fänge in den Leib der Ratte, die quiekend ihr Leben aushauchte.
In seiner Gier biss Silviu so fest zu, dass die Knochen knackten.
Eine warme, sirupartige Flüssigkeit quoll in seinen Mund, zusammen mit einer sämigen Masse, denn er hatte nicht nur die Adern zerbissen, sondern auch die Eingeweide.
Ekel überkam den Vampir.
Ekel vor der bitter schmeckenden Brühe, die seinen Mund füllte. Aber auch Ekel vor sich selbst.
Angewidert schleuderte er den kleinen Kadaver von sich. Er klatschte gegen die Wand.
Silviu beachtete ihn gar nicht. Sein Blick galt dem gräulichen Tageslicht, das durch den Niedergang in die Gruft sickerte.
Auf allen vieren kroch er darauf zu. Schneeflocken wirbelten durch die Öffnung und klatschten ihm ins Gesicht. Es war einer dieser Tage, an denen es nie richtig hell zu werden schien. Nein, heute würde kein Sonnenstrahl die Wolkendecke durchstoßen, dessen konnte er sich sicher sein. Hätte Silvius Herz noch geschlagen, es hätte mit Sicherheit schneller geklopft.
Der Untote richtete sich auf.
Seine trüben Augen bohrten sich durch den wirbelnden Vorhang aus Schneeflocken, die der Wind vor sich hertrieb.
Silviu Varescu wankte durch den Vorhof der Burg, in dem der Schnee knöchelhoch lag.
Er torkelte, schwankte wie ein Betrunkener, doch mit jedem Schritt wurde sein Gang fester. Allein der Gedanke an frisches Menschenblut verhalf ihm zu neuer Stärke.
Es war, als würde ihn der Geist des Schwarzen Grafen durchströmen, ihn leiten und ihm Kraft geben. Kalurac hatte ihm den Vampirkuss gegeben, und er wollte seinen Herrn und Meister nicht enttäuschen.
Sein Blick irrte dorthin, wo er die Lichter des Dorfes sah, und ein Ruck durchlief Silvius ausgemergelte Gestalt.
Und so ging er in den dunklen Tannenwald, wo er mit den Schatten zwischen den dicht stehenden Nadelbäumen verschmolz.
Eine halbe Stunde lang irrte er durch das Gehölz, bis er den helleren, von Schnee bedeckten Pfad erreichte, der hinunter ins Dorf führte.
Plötzlich hielt Silviu inne.
Er hatte etwas gehört. Nicht aus Richtung des Orts, sondern viel näher. Vielleicht hätte er die Geräusche schon früher vernommen, doch der Schnee, der auf den Ästen der Bäume lastete und sie nach unten drückte, dämpfte die Laute.
Jetzt aber vernahm er deutlich das monotone Dröhnen einer Kettensäge. Gar nicht weit entfernt. Die Holzfäller!, schoss es Silviu durch den Kopf.
Ein Kichern sickerte über seine kalten, toten Lippen. Die Opfer waren ganz in seiner Nähe, und sie waren ahnungslos. Selbst wenn sie von ihm gewusst hätten, wer rechnete schon damit, dass ein Vampir tagsüber auf die Jagd ging?
Silvius Lider flatterten. Er konnte das Blut förmlich schmecken.
Für einen Moment verlor er sich im Taumel ekstatischer Vorfreude, dann hatte er sich wieder im Griff und ging weiter.
Geradewegs auf die Geräusche zu …
November 1978
Mit irrsinniger Geschwindigkeit fraß sich die Kette in das Holz des Baumes.
Gefrorene Rinde sprang vom Bast, Splitter prasselten in den Schnee, der Geruch frischen Holzes vermischte sich mit dem beißenden Gestank der Abgase und des Kettenöls.
Vasile brauchte den Stamm nicht durchzusägen. Es reichten zwei Drittel, den Rest erledigte die Schwerkraft. Schon schwankte die Krone der Fichte, schüttelte den Schnee ab und neigte sich nach vorne, genau in die Richtung, die Vasile anvisiert hatte.
Dafür sorgte die keilförmige Kerbe, die der Holzfäller zuvor am Fuß des Baumes in den Stamm geschnitten hatte, eine Handbreit unter dem Fällschnitt.
Das Brechen des Holzes war Musik in Vasiles Ohren.
Die Kettensäge fest in beiden Händen haltend, richtete er sich auf und beobachtete, wie der Baum zwischen die Stämme der Nachbarbäume rauschte und mit einem dumpfen Schlag auf den zugefrorenen Boden schlug.
Es sollte der letzte Baum für heute sein. Das Schneetreiben wurde dichter, und damit stieg auch die Gefahr eines Unfalls. Nicht nur wegen der schlechten Sicht, sondern vor allem wegen des Schnees, der auf den Ästen lastete und dafür sorgte, dass die Bäume sich manchmal noch im Fallen drehten und woanders aufschlugen, als es vorgesehen war.
Vasile stapfte an den gestürzten Stamm heran, um ihn zu entästen, als sich eine Gestalt aus dem Schneegestöber schälte und von der anderen Seite her dem Stamm näherte.
Es war sein Vater, in dessen grauem Bart der gefrorene Schnee hing. Die gerötete Nase ragte knubbelig aus dem Gestrüpp hervor, die Lippen waren bläulich verfärbt. Der alte Mann, der stramm auf die Siebzig zuging, trug eine Wollmütze, einen Parka, Cordhosen und kniehohe Gummistiefel. Die Handschuhe hatte er nur wegen der Kälte angezogen, nicht etwa der harten Arbeit wegen. Die Haut des Holzfällers war derb wie altes Leder.
Vasile staunte immer wieder darüber, wenn sein Vater im Sommer Wespen mit bloßen Händen zerdrückte. Die Hornhaut an den Fingern und die Schwielen an den Händen waren so dick, dass kein Stachel hindurchdrang.
»Das langt!«, rief der alte Mann über das Tuckern der Säge hinweg.
Vasile nickte und wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. »Ich mach den hier noch fertig, dann komme ich.«
Um seine Worte zu unterstreichen, deutete er auf den gefällten Baum.
»Gut. Wir kommen dann auf dem Rückweg hier vorbei und ziehen den Stamm raus!«
Der alte Mann wandte sich um und stapfte durch das Unterholz zurück auf den Pfad, wo er kräftig aufstampfte, um die lehmige Erde und den Schnee abzuklopfen.
Dann ging er dorthin zurück, wo Marco dabei war, die Ketten an einem der bereits entasteten Stämme zu befestigen. Geduldig wartete der Gaul, ein kräftiges Kaltblut, auf dem Pfad, um den Baum aus dem Wald bis zur Sägerei in Petrila zu ziehen, in der die Männer arbeiteten, wenn das Wetter so schlecht war, dass sie kein Holz schlagen konnten.
Marco war sein Schwager, der Mann seiner älteren Schwester Dacia.
Ihre Familie wohnte in Jiet, einem Nachbarort von Petrila, keine drei Kilometer entfernt.
Vasile freute sich schon auf das Abendessen, das vermutlich längst auf dem Herd stand. Dazu ein guter Schluck Sliwowitz, um die Kälte aus den Knochen zu vertreiben.
Immerhin war sie nicht mehr ganz so klamm und feucht wie noch vor zwei Wochen, als der erste Schnee vermengt mit Regen gefallen war. Seitdem waren die Temperaturen noch tiefer gesunken. Es würde ein langer, harter Winter werden, davon war der Vater überzeugt, und Vasile befürchtete, dass er damit richtig lag. Sein Vater irrte in dieser Hinsicht nur selten.
Und mit dem Schnee würden irgendwann auch die Wölfe und Bären kommen.
Vor wenigen Wochen erst hatte man einen Wolfskadaver auf dem alten Soldatenfriedhof gefunden. Dem Tier war das Rückgrat gebrochen worden. Hatte sich vermutlich mit einem Bären angelegt und den Kürzeren gezogen.
Nun denn, sollten die Wölfe es zu arg treiben, mussten sie eben eine Treibjagd veranstalten.
Vasile verdrängte die trüben Gedanken, stapfte am Stammende entlang auf die unteren Äste der am Boden liegenden Krone zu. Als er die ersten Zweige erreichte, nahm er die Säge in beide Hände, hob sie an, und das leise Knattern des im Leerlauf tuckernden Zweitakters steigerte sich zu einem lauten Dröhnen, das im winterlichen Wald verhallte.
Vasile führte das Schwert dicht am Stamm entlang. Kleine trockene Zweige, die sogenannten Wasserreiser, flogen nach allen Seiten davon, dann grub sich die Kette durch den ersten Ast, der von Stamm und Krone so fest auf die Erde gedrückt wurde, dass er unter Spannung stand.
Der zweiunddreißigjährige Holzfäller musste höllisch aufpassen, damit ihn kein zurückschnellender Ast verletzte. Auch die herumfliegenden Späne stellten eine Gefahr dar. Allzu leicht konnte etwas ins Auge gehen, deshalb trug er eine Schutzbrille.
Anderswo waren die Holzfäller besser ausgerüstet. Sie trugen nicht nur Helm und Schnittschutzhosen, sondern zudem Gehörschützer. Davon konnte Vasile nur träumen. Das Geld war schon da, nur eben kein Geschäft, in dem man das Zeug kaufen konnte.
Hier in den Karpaten tickten die Uhren eben noch anders als in Bukarest.
Das Schwert verkantete sich und blieb stecken.
Für einen Moment hatte Vasile nicht aufgepasst und die Säge im falschen Winkel angesetzt, um einen der dickeren Äste vom Stamm zu säbeln. Der Ast war zurückgeschwungen und hatte den Schnitt mit dem darin befindlichen Schwert eingeklemmt.
Vasile zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen und versuchte, den Ast zurückzudrücken, um den Schnitt zu öffnen und die Säge herauszuziehen.
Dummerweise saß die Kette nicht mehr so stramm auf dem Ritzel, wie sie es eigentlich sollte, und hatte sich verhakt.
»Scheiße!«, knurrte Vasile.
Er spielte mit dem Gas, in der Hoffnung, dass sich die Säge wieder freiruckelte, doch es war nur ein protestierendes Brummen zu hören.
Vasile seufzte schwer. Es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als die Kette mit der Hand zu lösen.
Er schaltete den Motor aus, und es wurde still. Selbst von Marco und Vater war nichts zu hören.
Oder?
War da nicht ein Knacken, direkt hinter ihm?
Die Säge nur mit einer Hand haltend, wandte sich der Holzfäller um.
Die Gestalt stand keine vier Schritte entfernt zwischen den Bäumen, inmitten des dichter werdenden Schneegestöbers, dunkel gekleidet, mit einem totenbleichen Gesicht, aus dem Vasile blutunterlaufene Augen anstarrten.
Mit beiden Fäusten umklammerte die Gestalt einen armdicken Ast, den sie zum Schlag erhoben hatte.
Sekundenlang starrten sich Vasile und der Fremde an. Doch so fremd war der andere ihm gar nicht. War das nicht …
»Silviu?«
Kaum war Vasile der Name über die Lippen gekommen, da verzerrte sich das Antlitz des jungen Mannes, der seit Wochen verschwunden war, zu einer wutentbrannten Fratze. Er riss den Mund auf und fauchte.
Wie gebannt starrte Vasile auf die Eckzähne, die lang und spitz aus dem Oberkiefer ragten.
Also stimmten die Gerüchte – Silviu Varescu war ein Vampir!
Der Anblick ließ Vasile das Blut in den Adern gefrieren. Vielleicht reagierte er deshalb zu spät.
Mit einem gewaltigen, fast übermenschlichen Satz sprang Silviu Varescu auf ihn zu, schlug mit dem Ast nach ihm.
Vasile versuchte auszuweichen und gleichzeitig die Säge zu sich heranzuziehen, um eine Waffe gegen den Blutsauger zu haben, doch die Kette saß noch immer fest, und so kam er nicht rechtzeitig weg.
Der Hieb mit dem Ast traf seine rechte Schulter, der Schmerz war teuflisch.
Vasile schrie und kippte seitlich in den Schnee.
Riesengroß ragte der Blutsauger vor ihm auf. In seinen Augen spiegelte sich die nackte Gier.
Ehe sich Vasile versah, ließ der andere den Ast fallen und stürzte sich auf ihn.
Vasile versuchte noch, ihn abzuwehren, doch sein rechter Arm wollte ihm nicht mehr gehorchen, und der linke lag halb eingeklemmt unter seinem Körper.
Silviu ließ sich fallen. Seine Finger wühlten sich durch die Mütze in Vasiles Haar.
Mit einem brutalen Ruck riss der Blutsauger Vasiles Kopf zur Seite, mit der anderen zerrte er den Kragen nach unten, sodass der Hals frei lag.
Er will an mein Blut!, schoss es Vasile durch den Kopf. Er will tatsächlich mein Blut trinken!
Vasile hatte nie an Vampire geglaubt, jedenfalls nicht so wie die Alten. Er war ein Kind der neuen sozialistischen Republik, und in der gab es nun mal keinen Platz für Vampire, Werwölfe und Hexen.
Ein Irrtum, wie Vasile jetzt feststellen musste. Ein Irrtum, der ihm das Leben kosten würde.
Der Gedanke weckte seine Lebensgeister. Heiß wie Lava schoss das Blut durch seine Adern.
Vasile bäumte sich auf, warf den Kopf herum. Seine Stirn krachte seitlich gegen Silvius Kiefer, genau in dem Augenblick, als dieser zubeißen wollte.
Statt in seinen Hals bohrten sich die Hauer in seine Jacke.
Der Griff des Vampirs lockerte sich, plötzlich hielt er nur noch die Mütze in der Hand.
Eisiger Wind strich Vasile durch die struppigen Haare. Auf einmal konnte er den rechten Arm wieder bewegen.
Er winkelte ihn an und rammte die flache Hand gegen Silvius Brust, versuchte, ihn mit aller Macht zurückzudrücken. Und er schaffte es.
Für Sekunden starrten sich der Holzfäller und der Untote an. Die Augen des Vampirs waren fast schwarz. Er hechelte wie ein Hund, die graue Zunge reckte sich Vasile wie eine Schlange entgegen, die spitzen Zähne schimmerten gelblich.
»Neeein«, keuchte Vasile.
Da verzogen sich Silvius Lippen zu einem Grinsen. Beinahe zärtlich griff er nach Vasiles rechtem Arm. Mit spielerischer Leichtigkeit bog er die Hand zur Seite, dann rammte er den Kopf nach vorne. Die Stirn knallte auf Vasiles eiskalte Nase.
Er hörte es knacken, die Schmerzen explodierten hinter seiner Stirn in einem wahren Feuerwerk. Vasile sah Sterne und schmeckte das warme Blut, das über die bärtige Oberlippe in seinen Mund floss.
Der Anblick machte den Vampir rasend. Mit übermenschlicher Kraft presste er Vasile auf den kalten, hart gefrorenen Boden.
Vasile hatte keine Kraft mehr, sich gegen den Untoten zu wehren.
Aber noch bevor sich dessen Zähne in Vasiles Kehle graben konnten, durchlief ein Ruck die ausgemergelte Gestalt, die auf dem Holzfäller kniete.
Für einen Moment erstarrte er, ein hohles Röcheln drang aus der Kehle des Vampirs.
