Marionette Teil 3 - Christine Morandin - E-Book

Marionette Teil 3 E-Book

Christine Morandin

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Beschreibung

Sven hat seine erste Ehefrau Clara unter dramatischen Umständen verloren: Sie wurde aus verschmähter Liebe umgebracht. Erst neun Jahre später hält das Glück mit Belana erneut Einkehr. Doch es ist nicht von Dauer: Svens bester Freund Bernd entwickelt eine Besessenheit für Belana und entführt sie. Nur dem Scharfsinn von Kommissar Capatosci ist es zu verdanken, dass Belana rechtzeitig gefunden wird. Das kurze Glück das Sven und Belana beschieden war - eben mal lang genug, um spüren zu lassen, was Glück ist - wird im wahrsten Sinne des Wortes von einem Windhauch umgepustet. Jahre später: Bernd gelingt, durch die Hilfe seiner Therapeutin, die Flucht aus dem Gefängnis und stellt Belana erneut nach. Das Geschehen nimmt einen fürchterlichen Verlauf. Doch das Schicksal hat seine bösen Karten noch nicht ausgespielt.

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Seitenzahl: 323

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Da in diesem Buch explizite Liebesszenen beschrieben sind, ist es für Leser/innen unter 18 nicht geeignet. Personen und Charaktere in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu Lebenden und schon Verstorbenen sind rein zufällig.

Ich danke Hauptkommissar Michael Kramer für seine Reiseberichte, die er mir zur Verfügung gestellt hat. Mein Dank geht auch an meine Freundin Petra Ortwein, sowie an all meine Leser/innen, die meine Geschichten mit Begeisterung lesen.

Mein größter Dank geht an meine Lektorin, die mit Begeisterung und viel Liebe dieser Trilogie die endgültige Form für die Veröffentlichung gegeben hat.

Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen.

Büchner

An meine Leser:

Das Leben der Eheleute Sven und Belana Hansen führt uns schmerzlich vor Augen, wie erbarmungslos wir unserem Schicksal ausgeliefert sind.

Dieses Epos erzählt von der Liebe, aber auch der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des Glücks. Ein Windhauch im wahrsten Sinne war es, der das Leben von Sven und Belana auf furchtbare Weise zerstört hat.

Aber es erzählt auch von Hoffnung.

Liebe Leser!

Halten Sie ihr Glück mit beiden Händen fest, denn nichts ist für die Ewigkeit!

"Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich." (Hermann Hesse)

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Langsam mühte sich Belana aus der Finsternis ins Leben zurück. Die Engel, deren Flügel die junge Mutter beschützend umfangen hatten, entschwebten in einen Nebel und lösten sich ins Nichts auf.

Belana schien ins Uferlose zu fallen. Sie fiel und fiel und landete schließlich in einer Gegenwart des Grauens. Die Angst kehrte zurück. Angst, sich noch immer in der Gewalt jenes Unmenschen zu befinden, der sie von Sven und ihrem Kind hinweggerissen und ihr teuflische Schmerzen zugefügt hatte.

Wie ein kleiner, von der Sonne gewärmter Schmetterling, der sie mit seinen Flügeln streichelte und wohlige Wärme in ihren kalten Körper fluten ließ, streifte helles Licht ihre Augenlider.

Von weiter Ferne her, vernahm sie leise Stimmen und Worte:

„Lana?“, hörte sie eine vertraute Stimme. „Öffne deine Augen! Schau mich an!“

Die Stimme gehörte ihrer Freundin Chrissy, einer Ärztin.

„Frau Doktor, soll ich dem Ehemann Bescheid sagen?“, fragte jemand.

„Nein! Noch nicht“, antwortete Chrissy.

Belana wollte etwas sagen, doch in ihrem Hals brannte Feuer. Ihr Kopf schmerzte. Höllenglut fegte durch ihre Glieder, als sie mühsam versuchte, sich aufzurichten.

„Nicht, Maus! Bleib liegen. Du hast eine böse Kopfverletzung.“

Jetzt spürte Belana den dicken Verband um ihren Kopf. Bis auf Augen, Nase und Mund war alles bandagiert.

„Was ist mit meinen Haaren?!“, flüsterte sie kaum hörbar. Vorsichtig tastete sie sich am Verband entlang.

„Keine Angst, Süße“, beruhigte Chrissy, „die sind noch dran. Wir haben sie nur um die Wunde herum abgeschnitten und wegrasiert. „Bin ich froh, dass du endlich wach bist. Wir haben uns solche Sorgen gemacht! Schatz, wie geht es dir?“, flüsterte Chrissy und legte ihre Hand vorsichtig auf jene Stelle auf dem Verband, unter der Belanas Wange zu vermuten war.

Belana schien sich unter der liebevollen Zuwendung ein wenig zu entspannen.

„Bin ich hier im Krankenhaus?“, fragte sie mit krächzender Stimme. Sie versuchte den Kopf anzuheben, doch augenblicklich wurde er von Schmerz durchbohrt. Wimmernd ließ sie den Kopf zurücksinken.

„Lana, du bist vor vierzehn Tagen bewusstlos bei uns in die Klinik eingeliefert worden. Auf deinem Kopf befand sich eine tiefe und abscheuliche Verletzung, die genäht werden musste. Dein Kiefer war gebrochen, die Rippen verletzt, der Kehlkopf eingedrückt. Die Fesseln an deinen Handgelenken haben tiefe Schnittwunden hinterlassen. Wir haben uns so schreckliche Sorgen um dich gemacht und schon befürchtet, dass du nicht mehr aus deiner Bewusstlosigkeit erwachst. Ich bin so froh, dass du wieder bei uns bist. Jetzt wird alles gut.“

Erneut schien Belana das Bewusstsein zu verlieren. Ihr Blick trübte sich auf beängstigende Weise, während sich die Augenlider zitternd schlossen.

„Lanaaa!“ Verzweifelt packte Chrissy ihre Freundin mit festem Griff an der Schulter und schüttelte und rüttelte sie. „Bleib hier! Hörst du! Bleib! Nicht wieder einschlafen!“

Belana versank…

...sie spürte den harten Griff seiner Hand an ihrer Kehle. Sie spürte sein Gewicht auf ihren Rippen, den brutalen Faustschlag ins Gesicht und hörte den dumpfen Krach, als ihr Kopf unter der Wucht des Schlages an den eisernen Bettpfosten prallte.

Sie hatte Schmerzen, fühlte sich schwach und elend. Nein, sie war nicht stark. Nicht so wie es ihr Vorname gebot: Belana, die Starke.

Ihr ganzes Leben mit all seinen Freuden und Kümmernissen, mit all dem Leid, das sie durchlitten hatte, raste an ihr vorbei.

In ihrem Inneren vollführte die Sehnsucht nach Sven und Michel einen verzweifelten wilden Tanz.

Tage später hatte sie den Kampf zwischen Leben und Tod gewonnen. Doch Leid und Trauer hielten sie gefangen. In ihrem unsäglichen Schmerz vergoss sie ein Meer an Tränen, in denen sie zu ertrinken schien.

Er kam nicht. Sven ließ sie allein in ihrer Sehnsucht nach ihm und Michel.

Kai, bis vor Kurzem noch in Dubai, hatte erst von dem Verbrechen erfahren, als er wieder in Hamburg war. Er hatte weder Sven noch Bernd erreichen können, und so hatte ihm Svens Sekretärin von dem schauderhaften Geschehen erzählt.

„Stellen Sie sich mal vor: Herr Klüssner sitzt im Gefängnis, und Herr Hansen ist seit dem schrecklichen Geschehnis, völlig fertig mit den Nerven.“

„Was ist passiert? Warum sitzt Bernd im Gefängnis?“ Kai war völlig perplex.

„Ach ja, das können Sie ja nicht wissen! Bernd hat Frau Hansen entführt und vergewaltigt. Sie liegt in der Asklepios-Klinik. Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für eine Aufregung war. Ich bin fast umgefallen, als ich davon gehört habe. Unser Chef ist so fertig mit den Nerven, dass er nicht ansprechbar ist. Alle Versuche, sich ihm zu nähern, ihn zu fragen, wie es ihm, wie es seiner Frau geht, blockt er nur wütend ab.“

„Wie? Warum „Frau Hansen?“ Hab ich da was verpasst? Ich kann mich nicht erinnern, dass der Chef geheiratet hat.“

„Seine Frau ist eine geborene Weidenreich. Eine nette und sehr hübsche Frau.“

Dass Sven und Belana verheiratet waren, hieb Kai fast um. Die Angst um Belana, breitete sich wie ein Schwelbrand in seinem Herzen aus. Verzweifelt versuchte er, Ruhe zu bewahren.

„Was genau ist mit ihr geschehen?“, fragte er mit Nachdruck. „Lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen!“

„Hab ich doch schon gesagt!“, gab sich die Sekretärin eingeschnappt. „Also, noch einmal: Herr Hansen war in London. Bernd hat Frau Hansen entführt. Aber die Polizei hat sie schnell gefunden. So wie ich es verstanden habe, hat er sie vergewaltigt und fast getötet.“

Das war das Ende von Kais mühsam aufrechtgehaltene Ruhe. Ohne sich zu verabschieden, legte er auf. Er wollte nicht glauben, was Silvia erzählt hatte. Dass Bernd so ein Schwein war, hätte er im Leben nicht gedacht.

Nachdem er sich notdürftig aus seiner Schockstarre gelöst hatte, rief er Olaf an und erzählte, was geschehen war.

„Du machst Witze!“ Etwas anderes fiel Olaf in seiner Fassungslosigkeit nicht ein. „Das hast du geträumt. Oder?“

„Olaf, mit so etwas macht man keine Scherze!“

„Oh, mein Gott, Bernd??? Ist der Kerl verrückt geworden? Ich komme!“

Olaf hielt sich zur Zeit in Hamburg auf, und so musste Kai nicht lange auf ihn warten.

Gemeinsam und mit besorgter Miene betraten sie Belanas Krankenzimmer.

„Hi, Lana“, flüsterte Kai, zutiefst geschockt über den Anblick.

Belana sah zum Erbarmen aus. Ihre bleiche Haut hob sich kaum von der weißen Bettwäsche ab. Einzig allein das rote Haar und die verweinten geröteten Augen legten Zeugnis ab, - von unsagbarem Leid.

„Hi“, Belana brachte nur ein schwaches Krächzen über die Lippen, blickte ihn mit tränenden Augen an, wandte den Blick aber augenblicklich wieder dem Fenster zu.

„Ich habe dir Blumen mitgebracht. Olaf ist auch da. Schau mal!“

Die dunklen Ringe um ihre Augen verrieten, dass sie tage- und nächtelang geweint hatte. Noch nie hatte er einen derart gebrochenen Menschen gesehen.

„Lana“, sagte er, „schau mich an!“

Doch sie zuckte nur gleichmütig mit dem Kopf - sie wollte nicht. Tränen liefen an ihren Wangen herab, da ihre verzweifelte Hoffnung, Sven käme zur Tür herein, würde sie in die Arme nehmen, ihr versichern, dass alles wieder gut würde, erneut so bitterenttäuscht worden war. Warum hatte er sie in den zwei Wochen, die sie nun hier lag, nicht einmal besucht? Die Sehnsucht nach ihm und ihrem kleinen Michel, schien sie von innen her aufzufressen. Sven wusste, dass sie hier lag. Kommissar Capatosci hatte sie vor ein paar Tagen besucht, um ihre Aussage aufzunehmen, und dabei erwähnt, wie er und sein Kollege sie gefunden, und wie Sven sich aufgeregt habe. Wie verzweifelt er war, als er sie im Keller halbnackt auf dem Bett gesehen hatte.

Warum war er nicht hier? Gab er ihr die Schuld dafür, dass sein Freund diese Tat begangen hatte?

Kai setzte sich auf die Kante des Bettes, und strich Belana die Tränen aus dem Gesicht. Ihm tat das Herz weh.

„Nicht weinen Lana, alles wird wieder gut, Bernd wird dir nie wieder etwas antun, dafür wird der Staatsanwalt schon sorgen. Wir sind für dich da, wenn du uns brauchst, und Sven und Michel werden dafür sorgen, dass du alles so schnell wie möglich vergessen wirst.“

Der Gedanke, dass Sven seine Frau in ihrem Elend alleine ließ, schien Kai derart absurd, dass er ihm nicht im Traume gekommen wäre. Er ging davon aus, dass es die schreckliche Tat war, deretwegen Belana nun so litt.

Olaf war ans Bett getreten und hielt ihr unbeholfen einen Strauß weißer Rosen hin.

„Schau Lana, deine Lieblingsblumen!“

Er war völlig hilflos. Normalerweise war er nicht auf dem Mund gefallen und konnte reden wie ein Buch, - nur jetzt nicht. Sie so leiden zu sehen konnte er nicht ertragen. Er legte die Rosen auf das Tischchen neben Belanas Kopf und verließ fluchtartig das Zimmer.

„Hast du ihn gesehen?“, fragte Belana, die Olafs Flucht gar nicht mitbekommen zu haben schien.

„Wen?“, fragte Kai, „Bernd? Nein! Ich bin erst seit zwei Tagen wieder in Deutschland. Aber ich weiß nicht, ob ich ihn überhaupt sehen will.“

„Nein! Ich meine Sven. Hast du ihn und Michel gesehen? Weißt du, wie es ihnen geht, Kai?“

„Wieso?“ Grenzenlose Verwunderung malte sich auf Kais Züge. „Du müsstest doch wissen, wie es den beiden geht.“

Er hielt inne. Nein, das war jetzt nicht wahr! Hatte Sven Belana tatsächlich in den 14 Tagen, die sie hier lag, noch nicht einmal besucht?

„Lana, willst du mir damit sagen, dass Sven noch nicht hier war? Nicht ein einziges Mal?“

Verzweifelt schüttelte Belana den Kopf, und ihre Augen flossen über von Tränen. Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen, weinte bitterlich, und wurde von ihrem Schluchzen erbarmungslos durchgerüttelt.

„Er war nicht ein einziges Mal hier! Wer weiß, was Bernd ihm erzählt hat?!? Womöglich gibt er mir die Schuld und hasst mich?!“

„Was redest du da! Der Bastard hat dich fast umgebracht!“

„Ich bin schuld. Ich hätte Bernd nicht glauben sollen, als er sich entschuldigt hat, nachdem er mich auf Svens Geburtstagsparty begrabscht hat.“

„Was??“ Kai glaubte, nicht richtig zu hören. „Was hat er gemacht? Er hat dich damals schon angefasst? Mein Gott Lana, warum hast du nichts gesagt? Ich hätte ihm seine Hände abgehackt! Schht, Schht“, erschüttert nahm er die schluchzende Belana in die Arme und streichelte ihr zärtlich und beruhigend übers Haar. „Wie kommst du bloß darauf, dass du schuld sein sollst?“

Er stand auf, sichtlich erregt, und reichte Belana die Hand.

„Komm Lana, du brauchst frische Luft, zieh dir etwas an, wir gehen eine Runde spazieren, und du erzählst mir, was passiert ist, damit ich ein bisschen klarer sehe. Natürlich nur, wenn du willst. Ich kenne die Geschichte nur vom Hörensagen, von Svens Sekretärin. Ihn selber habe ich ja noch nicht erreicht.“

Belana dankte dem Himmel für Kai. Er war und blieb ihr bester Freund. Bei ihm konnte sie sich ausheulen, und er hörte ihr zu. Ihrer Mama und Hans wollte sie nichts vorjammern. Die würde dann fünfmal am Tag an ihrem Bett stehen und weinen. Svens Mutter machte Urlaub in der Karibik, und Frau Clemens lag mit einer Grippe zu Hause im Bett. Sonst hätte sie Michel längst vorbeigebracht. Chrissy und Werner waren ein paarmal zu Besuch gewesen. Doch die beiden waren sehr mit ihrem Liebesleben beschäftigt, und sprachen hauptsächlich über die Praxis. Sie selber erzählte nicht viel. Eigentlich wollte sie nur Sven und Michel sehen, und ansonsten ihre Ruhe haben.

Im Park hinter dem Krankenhaus stand ein kleines Café. Dort ließen sie sich nieder und bestellten sich etwas zu trinken. Plötzlich gewahrten sie Olaf, der sich ebenfalls dort niedergelassen hatte, und seine Sorgen im Dampf einer Tasse Kaffee, zu vernebeln suchte.

Olaf schaute Belana traurig an.

„Tut mir leid, Lana, dass ich abgehauen bin. Aber als ich dich so weinen sah, habe ich Panik bekommen. Ich kannte dich nur mit einem fröhlichen Gesicht und wusste nicht, wie ich mit deinem Schmerz umgehen sollte. Verzeihst du mir?“

„Alles gut, Olaf. Mach dir keinen Kopf“, sagte Belana und rang sich ein Lächeln ab. „Ich weiß, dass du ein Sensibelchen bist. Dein nicht stillstehender Mund, konnte mich noch nie täuschen.“

Belana versuchte Kais fragendem Blick auszuweichen, und schaute angestrengt auf ihre knetenden Hände. Doch als er seine zunächst stumme Frage in Worte kleidete, saß sie in der Falle. Sie wollte und konnte nicht über diese schreckliche Tat reden.

„Hat Bernd dich angefasst? Ich meine… du weißt schon. Hat er dich vergewaltigt?“

„Nein, hat er nicht. Da ich mir aber nicht sicher war, hab ich einen Arzt gebeten, mich zu untersuchen. Das hatte er während meiner Bewusstlosigkeit längst getan.“ Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Kai sah sie verwundert an – warum lächelst du?, fragten seine Augen.

„Aber“, so fuhr Belana fort, „er hat etwas anderes festgestellt. Kai, wir bekommen ein Baby. Michel bekommt ein Geschwisterchen.“

Kai sah ihre Traurigkeit zurückkehren.

„Weiß Sven davon? Oder ..., ich trau mich gar nicht zu fragen. Ist es von ...?“

„Nein … nein, nein! Was denkst du da! Ich wusste es vor meiner Entführung auch noch nicht. Und seitdem, habe ich Sven nicht mehr gesehen. Ich bin jetzt in der achten Woche.“

Kai kochte innerlich. Wie konnte Sven es zulassen, dass Belana so litt? Nach diesem Besuch würde er ihn aufsuchen. Und wehe ihm, er macht die Tür nicht auf, dann Gnade ihm Gott! Er würde die Tür eintreten, und den Treulosen ins Krankenhaus schleifen.

Im Laufe des Nachmittags hatte sich Belanas Gemütszustand ein wenig erholt. Sogar lachen konnte sie, wenn Olaf einen Witz erzählte. Erst als die beiden gegangen waren, fragte sie sich, wie ihr Leben weiter gehen würde, wenn Sven sie wirklich für die Schuldige halten sollte. Schließlich war Bernd sein bester Freund.

In der Küche werkelte Frau Nickel herum. Michel saß auf seinem Kindersitz am Tisch und half beim Plätzchenbacken für den Kinderhort, den er ab morgen besuchen sollte.

Da Frau Nickel nicht jeden Tag zur Verfügung stand, hatte Sven die meiste Zeit von zu Hause aus gearbeitet. Manchmal nahm er seinen Sohn mit auf eine Baustelle. So konnte es nicht weitergehen. Michel brauchte einen geregelten Tagesablauf. Also war der Kindergarten eine willkommene Alternative.

Als Sven in die Küche trat, musste er schmunzeln. Michel sah wieder aus wie ein kleines Teigmonster. Sein Dino steckte im Teig, und er selber klebte an dem Holzlöffel wie eine Fliege an einem Fliegenfänger.

„Na, mein Sohn, saut ihr schon wieder die Küche ein?“

Michel ging nicht groß auf Papas Frage ein. Er zog den Dino aus der Teigschüssel, und schleckte das Ungeheuer genüsslich ab. Als er genug hatte, reichte er es dem Papa hinüber. Der sollte vermutlich schlecken.

„Papa, Papa!“

Erstaunt blickten Sven und Frau Nickel einander an, und Michel schien selber überrascht, und konnte es nicht glauben, dass etwas anderes aus seinem Mund kam, als Babyquatsch.

Vor lauter Freude riss Sven seinen Sohn an sich, wirbelte ihn durch die Luft, und bedeckte das fröhliche Kindergesicht mit vielen kleinen Küsschen. Dabei landete der teigverschmierte Dino auf seinem Kopf, und Michels verklebtes Gesicht schmiegte sich ausgiebig und hingebungsvoll an seine Wange.

„Michel, sag das noch mal, sag Papa!“, rief Sven.

Doch den Gefallen tat Michel ihm nicht. Er war damit beschäftigt, die Teigreste, die an seinen Fingern klebten, mit voller Hingabe in Papas Bartstoppeln zu schmieren.

Das abrupte Klingeln an der Haustür unterbrach die Einträchtigkeit. Sven setzte Michel auf dem Tisch ab.

„Ich komme gleich wieder, Sohnemann, dann möchte ich hören, was du zu sagen hast“, lachte Sven. Er war stolz wie Oskar. Sein Sohn hatte Papa gesagt. Im Hinausgehen schnappte er sich ein Tuch, und wischte sich den Teig aus dem Gesicht.

Als er grinsend und mit stolzgeschwellter Brust die Haustür aufriss, erfror er innerlich. Vor der Tür stand Kai, in dessen Gesichtszügen man nichts Gutes las.

Wütend stieß Kai ihn zur Seite und stampfte in den Flur.

„Dir scheint es ja gut zu gehen“, schrie er Sven aufgebracht an. „Im Gegensatz zu deiner Frau. Hast du sie noch alle?? Wie kannst du dein Leben ohne sie weiterleben, als wäre nichts geschehen? Gerade du!? Du, der unsterblich in seine Frau verliebt war.“ Donnernd, wie ein ausgebrochenes Gewitter, unerfreulich laut, polterte Kais Stimme in dem riesengroßen Flur.

„Weißt du eigentlich, wie es Lana geht???“ Er senkte die Stimme und verwandelte sich wieder in einen mitfühlenden Freund: „Sven, was ist los mit dir?“

Beschwichtigend fuhr Sven den Arm nach Kai aus. Er berührte ihn an der Schulter, schob ihn in sein Arbeitszimmer und seufzte tief.

Er hatte Mühe, das Ventil in seinem Inneren zu öffnen, das seine Zerrissenheit und den Unbill, mit dem er sich beladen fühlte, notdürftig unter Verschluss hielt.

„Nichts ist mit mir los!“, sagte er. „Gar nichts. Ich kann nicht zu ihr. Ich kann es einfach nicht!“

„Warum Sven? Warum? Sag es mir! Lana hat nichts getan. Sie weint sich die Augen aus, wegen dir und Michel. Gibst du ihr am Ende gar die Schuld?“

Sven schaute Kai erschrocken an und schlug die Hände vors Gesicht.

Dann schrie er sein Leiden heraus:

„Er hat sie markiert, Kai, er hat sie entehrt und ich bin schuld. Ich habe sie allein gelassen und ihm schutzlos ausgeliefert. Obwohl ich es geahnt habe. NEIN!!!, ich habe es gewusst, ich wusste, dass Bernd scharf auf sie war. Ich wusste, dass er krank im Kopf ist, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich bin schuld!“ Er griff sich ins Haar, rüttelte an seinem Kopf herum und lief im Zimmer auf und ab.

Seine Stimme wurde leiser und schmerzverzerrt: „Kai, ich wollte der einzige Mann sein, der in ihr sein durfte. Sie lag da im Keller, fast nackt. Jedes Mal, wenn ich sie vor mir sehe, sehe ich, wie Bernd auf ihr liegt und sie…“ Er drehte sich zum Fenster, um Scham und Leid in seinem Gesicht vor dem Freund zu verbergen. „Ich kann es nicht ertragen. Ich habe Angst, dass ich sie nie wieder so unschuldig vor mir habe. So rein. Mensch Kai, ich liebe Lana und ich brauche sie, wie nichts anderes in meinem Leben. Ich habe Bilder vor Augen, die mich an den Rand des Wahns treiben, und das, was Bernd gesagt hat, macht mich verrückt. Ob du es glaubst oder nicht, ich war jeden Tag in der Klinik. Ich konnte nur nicht hineingehen. Ich hatte Angst zu sehen, wie er sie nimmt. Wie er sie schändet.“

Kai traute seinen Ohren nicht. Da glaubt dieser behämmerte Kerl, seine Frau wurde von Bernd geschändet, und will sie nicht mehr, weil Bernd sie mit seinem Sperma markiert hat? Weil sie nicht mehr rein war? Liebe? Der sprach von Liebe? Hatte der sich ein einziges Mal gefragt, was Belana durchgemacht hatte, und wie es ihr jetzt ging? So allein?

„So, Sven, jetzt werde ich dir mal was sagen. Erstens: Du bist für mich das Allerletzte. Du sprichst von Liebe? Ha, dass ich nicht lache. Liebe hält zusammen im Guten wie im Bösen. Aber du siehst nur deinen Schmerz. Zweitens weiß ich, dass Bernd sich nicht an ihr vergangen, sie nicht geschändet hat. Er war nicht in ihr. Du hättest dich mit ihrem Arzt unterhalten sollen, oder mit Lana. Und drittens: Und wenn es so gewesen wäre, Bernd hätte sie vergewaltigt. Denkst du, Lana hat freiwillig die Beine breitgemacht? Überlege mal. Nimm dein Hirn und fange an zu denken. Sie ist das Opfer, nicht du.“ Kai raste vor Wut. Seine Halsschlagader kochte und pochte wie wild. „So, und nun zum Vierten: Lana ist schwanger. Und ehe du denkst, sie bekommt ein Kind von Bernd, solltest du nachrechnen: Sie ist in der achten Woche, du blöder Wichser!“

Kai drehte sich angewidert um und ließ seinen Freund stehen. Doch ehe er die Tür hinter sich zuknallte, sagte er: „Ach übrigens, sie wird morgen entlassen und weiß nicht wohin. Sie traut sich vor Angst und Scham nicht nach Hause.“

Dann fiel die Tür zu.

Kai war so zornig, dass er nicht mehr für seine Worte garantieren konnte, er hatte sich in Glut und Rage geschimpft, und es fehlte nicht viel, er hätte die Fäuste sprechen lassen. Er verstand seinen Freund und Arbeitgeber nicht. Eine Frau wie Belana, lässt man nie wieder los.

Sven stand noch minutenlang wie angewurzelt am Schreibtisch. Auch in ihm brodelte das Blut, so jedoch nicht vor Wut. Er wusste, dass er einen riesengroßen Fehler begangen hatte. Wie sollte er Belana mit dieser Schuld gegenübertreten?

Halt! Hatte Kai nicht gesagt, Bernd hätte sich nicht an Belana vergangen???

„Oh Lana“, stöhnte er auf. „Wie kannst du mir noch verzeihen? Mein Schmerz hat mich zerfressen und dein Leid nicht gesehen.“

Dass sie von ihm schwanger war, machte ihm sein Herz nur noch schwerer. Wie sollte er ihr jemals wieder in die Augen blicken und erwarten, dass sie ihm verzieh?

Sven tigerte wie ein gefangenes Tier auf und ab. Er liebte Belana wie verrückt und vermisste sie überall in seinem Leben. Jeden Tag und jede Nacht blutete sein Herz. Ihren Duft hielt er am Leben, indem er mit ihrem Parfüm durchs Haus lief und alle Räume einsprühte.

Sven hielt es nicht mehr aus und stürmte in die Küche, schnappte sich den Kleinen und sagte zu Frau Nickel:

„Wir fahren ins Krankenhaus!“

Frau Nickel schaute ihn verwundert an. Sie hatte sich schon längst gefragt, wann dieser Mann wieder zur Vernunft kommen würde. Sie war nicht blind. Sie konnte sehen, wie er litt und wie er seine Frau vermisste: Dass er wie ein Geist durchs Haus lief und ihr Parfüm versprühte. Ihr war auch keinesfalls verborgen geblieben, wie sehr der kleine Michel litt.

„Gott sei Dank, Herr Hansen. Ich dachte schon, Sie kommen niemals mehr zur Vernunft. Eigentlich hatte ich vor, Ihnen heut den Kopf zu waschen, während Michel seinen Mittagsschlaf hält.“

Etwas schüchtern – ihre Hand fühlte sich an wie ein welkes Herbstblatt, tätschelte sie ihm linkisch die Wange.

„Ja Frau Nickel, ich war, nein ich bin ein Vollidiot, ich weiß, sie können es ruhig laut aussprechen. Verdient habe ich es. Aber ich hoffe, meine Frau verzeiht mir.“

Verklebt mit Kuchenteig fuhren sie los.

Dr. Albert Herrmann stand an Belanas Bett und teilte ihr mit, dass nichts dagegen sprach, sie am nächsten Tag zu entlassen.

„Ihre Werte sind alle in Ordnung, Frau Hansen. Sorgen mache ich mir nur noch um Ihren Gemütszustand. Ich rate Ihnen, sich zu schonen. Lassen Sie sich verwöhnen.“

Ja, dachte sie in einem Anflug von Bitternis und Sarkasmus, ich werde mich zusammenreißen. Das Leben wird ohne Sven weitergehen müssen. Ich dachte, Sven liebt mich. Aber ihr erster Weg würde sie zu Michel führen. Wenn Sven sie nicht mehr wollte, würde sie es akzeptieren müssen. Ihren kleinen Sohn würde sie sich jedoch nicht wegnehmen lassen.

Eine Stunde später, es klopfte leise.

Ganz langsam und vorsichtig wurde die Tür aufgeschoben, und Michel schaute herein. Er saß auf den Armen seines Papas, der sich nun gemeinsam mit ihm in den Raum schob.

Sven setzte Michel auf dem Boden ab, und der Kleine krabbelte auch sofort auf seine Mama zu.

„Michel? Sven?“

Ungläubig starrte Belana auf diese beiden Menschen, nach denen sie sich so sehr verzehrt hatte. Sie lachte und weinte vor lauter Freude und Glück, drückte Michel ganz fest an sich und schaute in Svens Gesicht. Sie sah das Glitzern der Tränen in seinen Augen, - seine Liebe und seine Reue.

„Michel, ich hab dich so vermisst. Ich hab dich lieb.“ Sie küsste den Kleinen ab und flüsterte immer wieder zärtlich seinen Namen. Sie sind gekommen, dachte sie glücksüberströmt.

Aus Scham über seine Dummheit hätte sich Sven am liebsten selber eine reingeschlagen, als er jene einzigartige Mischung aus Verzweiflung und Glück gewahrte, in der Belana ihn und Michel ansah. Er konnte sich nicht mehr verstehen. Schließlich hockte auch er sich zu den beiden und sog ihren Anblick und Duft ein. Es war himmlisch. Er legte die Arme um seine kleine Familie und stammelte:

„Kannst du mir verzeihen, Lana? Ich bin der größte Dummkopf der Welt. Wie konnte ich es nur soweit kommen lassen? Aber ich habe dich vermisst, wie ein Hund. Oh Lana, verzeih mir!“

Seine Tränen ließen sich nun nicht mehr zurückhalten. Immer wieder strichen seine zitternden Hände über ihre Wangen. „Ich liebe dich, Lana. Ich liebe dich so sehr. Mehr als mein Leben!“ Zärtlich drückte er sie.

Michel wand sich aus den Armen seiner Mama, und robbte durch das fremde Zimmer. Da gab es so viel zu sehen und zu untersuchen.

Sven richtete sich auf, hob Belana mit sich empor, zog seine weinende Frau an seine Brust und berührte ihre Lippen. Sie hatte noch kein einziges Wort der Vergebung verlauten lassen, aber so, wie sie sich an ihn presste, machte sie ihm deutlich, dass sie ihm verziehen hatte.

„Ich hatte solch eine Angst, du könntest mir die Schuld geben, und denken, ich hätte Bernd dazu gebracht so etwas zu tun. Warum solltest du mich sonst nicht mehr sehen wollen? Glaub mir bitte, ich kann nichts dafür. Ich wollte nie etwas von Bernd,“ sagte sie nach langem Schweigen.

„Bist du verrückt Kätzchen, wie kommst du auf so eine dumme Idee? Ich habe dir doch schon vor langer Zeit gesagt, dass meine Freundschaft mit Bernd einen Riss bekommen hat. Dass er kein guter Mensch ist. Und du wolltest mich eines Besseren belehren. Du hast gesagt, dass man eine Freundschaft, die schon seit Kindestagen existiert, nicht einfach aufgeben solle. Dass er nicht so ist, wie meine Befürchtungen mir eingeben. Du hast das Gute in ihm gesehen. Ach Kätzchen, er ist der schlechteste Freund, den man sich nur vorstellen kann. Er hat auch Clara getötet. Ich hasse diesen Menschen – und zwar abgrundtief. Dich trifft keine Schuld, denn ich hätte dich vor ihm schützen müssen. Es tut mir leid! Es tut mir so leid!“

Liebevoll, fast schon übervorsichtig, drückte er sie erneut an sich.

„Ich habe euch so vermisst! Sven, ich liebe dich. Nur dich“, flüsterte sie an seinem Hals und schmiegte sich noch fester an ihn. Sie brauchte seine Wärme so dringend. „Ich bin so froh, dass ihr endlich gekommen seid. Lasst mich bitte nie wieder allein.“

Belana sog Svens männlich herben Duft tief in sich ein. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, seitdem sie das letzte Mal von seinem Duft umgeben war. Endlich hielt er sie wieder in seinen starken Armen. Endlich, endlich. Auch wenn es noch lange schmerzen würde, dass er nicht früher gekommen war, sie würde ihm vergeben. Wichtig war ihr, dass er sie liebte und wieder da war.

Sven löste sich aus ihrer Umarmung, blickte sie traurig an und stotterte verlegen und schambeladen:

„Ich hatte Angst, dass sich Bernds Bildnis über dich legt, sobald ich dich ansehe. Diese Bilder lassen mir keine Ruhe!“

Belana blickte zu ihm empor und hielt ihm die Hand auf den Mund.

„Sprich es nicht aus, Sven, er hat es nicht getan. Der Doktor hat es mir gesagt, denn er hat mich gleich nach meiner Einlieferung untersucht.“

Ihr Blick wanderte zu Michel, der soeben im Begriff war, sich am Bett emporzuziehen, wobei sich die Bettdecke in Bewegung setzte. Der kleine Mann fiel quietschend auf seinen Hosenboden. Er sah lustig aus, denn seine spärlichen Haare standen wie Igelstachel vom Kopf ab - hart, als hätte er sich ein Kilo Gel in die Frisur hineingematscht. In seinem Gesicht blätterte der Teig ab, wie alter Putz, und seine Händchen, die gerade damit beschäftigt waren, die Bettdecke vom Bett zu ziehen, waren teigbepflastert.

Belana schaute Sven an und lachte:

„Wie seht ihr eigentlich aus? Michel wie ein Igelmonster, und du? Du siehst aus wie ein Dinosaurier, der ein Bad im Kuchenteig genommen hat.“

In seinen Haaren klebte der Teig, und auf seinem Dreitagebart ragten kleine picklige Stachel empor.

„Lustig!“, lachte sie, und strich über Michels Köpfchen.

Verlegen wischte Sven über seinen Kopf und über sein Gesicht, und sofort rieselte der getrocknete Teig wie Sand zu Boden.

Was hatte der Bengel seinem Vater da wieder eingebrockt? Nicht genug damit, dass er nun wie ein Narr vor Belana stand, nein, er sah auch aus wie einer.

„Michel hatte Frau Nickel grad beim Plätzchenbacken geholfen, als ich in die Küche kam. Übrigens, er spricht! Er hat heute das erste Mal Papa gesagt, ich hab mich so darüber gefreut, dass ich ihn, vollgekleckert wie er war, an mich gerissen habe. Vermutlich ist es da passiert. Aber denkst du, er hat das Wort noch einmal wiederholt? Von wegen. Dann ist Kai gekommen und hat mir den Kopf gewaschen. Seine Worte haben mich wachgerüttelt. Ich habe mir Michel geschnappt, Zeit, in den Spiegel zu schauen hatten wir nicht, denn wir sind sofort losgefahren, wollten so schnell wie möglich zu dir.“

„Ihr seht echt süß aus“, lachte Belana erneut, beugte sich nach vorn, hob Michel in die Höhe und legte sich mit ihm ins Bett. In seinem Gesicht las man Zufriedenheit. Endlich durfte sich dieses kleine Menschenkind wieder an den weichen Busen seiner Mama kuscheln und das Leben schien wieder in Ordnung. Aber plötzlich überkam es Belana denn doch. Der Schmerz darüber, dass Sven in der Not nicht für sie da war, kochte empor, und sie wurde von jähem Schluchzen durchbebt: Sie weinte und weinte: Um die verlorene Zeit, aber auch in Erinnerung an die durchlittene Einsamkeit und das verzweifelte Sehnen nach ihren Liebsten. Ob sie es Sven jemals verzeihen konnte, dass er sie so lang alleine gelassen, ihr misstraut hatte, wusste sie nicht.

Wird eine Liebe, die so viel Schmerz ertragen musste, überhaupt überleben?

Die Liebe zu Sven und dem kleinen Würmchen unter ihrem Herzen, war riesengroß. Und Belana fühlte Hoffnung in sich aufsteigen, dass man auch diese Hürde des Schicksals, mit der Zeit gemeinsam würde meistern können.

Währenddessen hielt Sven sie fest in seinen Armen, spürte ihren Schmerz und fragte sich, wie er seine Dummheit jemals wieder gutmachen könne? Sanft betupfte er ihre Hand mit dem Finger und flüsterte: „Es tut mir so leid, Lana!“

Bis zum späten Nachmittag hielten sie sich umschlungen und sprachen kein Wort. Sie zentrierten sich nur noch auf ihre Liebe, und drückten ihre Gefühle in Blicken und Liebkosungen aus.

„Kommst du morgen nach Hause?“, brach er leise das Schweigen, um Michel nicht zu wecken. Er befürchtete, dass Michel sich nicht von seiner Mama trennen ließ - nicht schon wieder. Dies war ihm jedoch nicht zu verdenken.

„Ja“, hauchte Belana und streichelte Michels Köpfchen. Ihr Gesichtsausdruck war traurig. Sie wollte sich nicht von ihrem kleinen Schatz trennen.

„Michel soll bei mir bleiben! Ich frage nach, ob ein Bettchen ins Zimmer gestellt werden kann. Obwohl…“, sie überlegte laut, „ich glaube nicht, dass wir es brauchen werden, der kleine Kerl lässt mich bestimmt nicht mehr los.“

Schwester Hilde war nicht begeistert, und machte den Vorschlag, Belana solle den Arzt darauf ansprechen, ob der sie nicht schon einen Tag früher entlassen könne. Die Papiere würden sie dem Hausarzt zuschicken, das wäre überhaupt kein Problem.

Das ließ sich Belana nicht zweimal sagen – in Windeseile stand sie auf den Füßen, und die kleine Familie verließ das Zimmer, holte sich die Genehmigung, und entwich aus dem Krankenhaus.

Auf dem Heimweg erzählte Belana, Sven und Michel von dem Baby in ihren Bauch.

Bernd bereitete sich auf die Gerichtsverhandlung vor. Seit sechs Monaten saß er nun in einer Zelle, die kleiner schien als seine Besenkammer. Langsam hatte er genug von diesem Theater. Er fieberte dem Urteil entgegen: Einem Freispruch, denn er war sich keiner Schuld bewusst. Schuld waren die anderen. Angefangen bei seinem Vater, der ihn geschlagen hatte, bis er kurz vor dem Tode stand. Und da gab es auch noch seinen imaginären Freund die böse Stimme in seinem Inneren, die keine Ruhe geben wollte.

Eines Morgens – Bernd war in den Wald gelaufen, nachdem sein Vater ihn wieder barbarisch verprügelt hatte – hörte er sie das erste Mal. Erst hatte er geglaubt, es wäre der Wind, der ihm durch das Rascheln der Blätter etwas zuflüsterte. Dann hatte die Stimme ihn umschmeichelt und umgarnt. Hatte ihm Freundschaft vorgegaukelt. Bald jedoch verband ihn und die Stimme eine symbiotische Beziehung, die für sein Überleben zwingend war. Danach kam Clara, die ihn verhöhnt und verspottet hatte, als er ihr seine Liebe gestand. Hätte sie ihm das gegeben, nach dem er sich sehnte – sie wäre noch am Leben. Tja, und der arme Kerl, Klaus Clemens, hatte nur Pech. Hätte er Bernds Eigentum nicht berührt, und nicht den Eindruck vermittelt, dass er sich Belana unrechtmäßig einverleiben wollte, so könnte auch er, heute noch unter den Lebenden weilen. Und Belana?

Sein Innerstes bebte, wenn er nur an sie dachte. Sie wäre seine Erlösung gewesen.

Bernd wurde von dem jungen Staranwalt Rufus Pein vertreten, der bereits etlichen Prominenten geholfen hatte, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Pein war, ebenso wie Bernd, felsenfest davon überzeugt, dass nur ein Freispruch infrage kam. Wie recht er doch hatte! Was Bernd jedoch nicht gefallen wollte, war, dass Pein von ihm verlangte, reumütig zu sein.

Die Krönung für ihn waren die Stunden bei der Psychologin – Frau Dr. Kliems. Sie arbeitete im Gefängnis mit gefährlichen Straftätern, in deren unergründliche Psyche sie einzudringen suchte, und die Gestrauchelten mit ihren bohrenden Fragen quälte.

Frau Dr. Kliems war die ehrenvolle Aufgabe zuteilgeworden, Bernds Zurechnungsfähigkeit zu prüfen.

Für ihn eine Beleidigung, doch er spielte das Spielchen mit. Er antwortete auf Fragen, die seine Eltern betrafen, und erzählte von der Liebe, die er für Belana empfand. Dass sie genau wie er auf außergewöhnliche Spielchen beim Sex stand, und die Sache aus dem Ruder gelaufen war, und dass Belana sich dabei verletzt hatte, war ein Unfall. Er wollte sie noch zum Arzt bringen, doch da kam ihm die Polizei zuvor. Man habe ihn unter Druck gesetzt, Dinge zuzugeben, die er nie begangen hatte.

Die Kliems verbiss sich auf seinen Vater.

Wofür das alles gut sein soll?, wollte er wissen, und ihre Antwort nährte seine Hoffnung, auf eine baldige Freiheit.

„Herr Klüssner, Sie trifft keine Schuld. Schuld ist Ihr Vater. Genauer gesagt Ihre Eltern. Wenn die Sie mit Liebe, statt mit Schlägen großgezogen hätten, wäre all das nicht passiert.“

Dieser Meinung war Bernd auch. Ihm war es ein Leichtes, die Kliems dahingehend zu blenden, dass sie ihn anzuhimmeln begann. Diese Psychologin war ganz eindeutig in ihn verliebt. Sie war bereit für ihn zu lügen, hatte er festgestellt, als sie sagte:

„Ich werde dem Richter Ihre Geschichte erzählen. Wie Sie als Kind gelitten haben, wie Ihr Vater Sie schlug, und womit. Dass Sie nicht die Liebe erfahren haben, die einem Kind zusteht. Was Frau Hansen betrifft, werde ich es so darstellen, dass sie diejenige war, die Sie, Herr Klüssner, dazu angehalten hat, die Entführung so echt wie möglich aussehen zu lassen. Wie ich aus Ihren Erzählungen herausgehört habe, haben Sie aus Liebe gehandelt.“

„Ja“, hatte er gesagt. „Aus Liebe.“

Gedacht hatte er, und dachte es immer noch: Er würde sie wieder entführen. Aber beim nächsten Mal wäre er schlauer und würde keine Fehler mehr machen.

Ein zweiter Psychologe, Dr. Hehrer, wurde herangezogen, da der zuständige Richter ein zweites Gutachten brauchte. Ihn jedoch konnte Bernd nicht bezirzen.

Der Psychologe erinnerte Bernd so stark an seinen Vater, dass er in seiner Gegenwart völlig ausgerastet war. Bei den Fragen nach seiner Kindheit war alles wieder emporgekocht. All der Zorn, den er nie hat loswerden können, und den sein Vater nie zu spüren bekam, ergoss sich über Dr. Hehrer.

Der Tag der Entscheidung war gekommen.

Bernd wurde von zwei Staatsdienern in den Sitzungssaal geführt und auf den Stuhl neben seinem Anwalt gedrückt.

Ein Beamter sagte: „Sitzen bleiben! Stehen Sie erst auf, wenn Sie dazu aufgefordert werden!“

Auf der linken Seite saßen zwei Schöffen, ein Protokollführer und in der Mitte der Richter, - ein stattlicher, weißhaariger Mann, der Güte und Gerechtigkeitsliebe ausstrahlte. Die schwarze Robe, die er trug, machte sein Erscheinungsbild noch eindrucksvoller. In der Mitte des Saals stand ein Tisch für Augenzeugen bereit.

Was für Zeugen?, fragte sich Bernd. Es gab keine. Für wie doof hielten die ihn? Er hatte aufgepasst wie ein Luchs.

Hinter dem Zeugentisch und einer Absperrung, standen Stühle für Presse und Zuschauer.

„Beamte, Zuschauer und pressegeile Fotografen, was soll dies Theater? Halten die mich für einen Schwerverbrecher?“, flüsterte Bernd seinem Anwalt ins Ohr.

Bis vor ein paar Minuten noch hatte er solch eine freudige Aufregung gespürt, jetzt aber wurde ihm langsam mulmig; Scheinbar hielt man ihn tatsächlich für einen Schwerverbrecher.

Pein klärte ihn noch einmal darüber auf, dass er nach dem Zeugnisverweigerungsrecht keine Aussage machen müsse. Bernd nickte nur und starrte auf die Tür. Er wartete auf SIE: auf Belana. Ihr Erscheinen würde ihn in einen Taumel puren Glückes stürzen.

Sein Herz raste in einem Affentempo. Schwindel packte ihn, als sie zur Tür hineinkam. Endlich! Er sprang aus seinem Stuhl empor, um ihr entgegenzufliegen. Doch die beiden Aufseher hinter ihm drückten ihn wieder auf den Stuhl zurück.

Wie schön sie doch war! Ihr rotes Haar glänzte wie Seide und ach, allein der Anblick ihres sinnlichen Mundes, ihrer wunderschönen Lippen, bereitete ihm den Himmel auf Erden. Er erinnerte sich, wie er sie geküsst hatte. Wie sie geschmeckt hatte.

„Lana, ich liebe dich!“, dachte er laut. Daran, dass sie ihn ausgewürgt hatte, wollte er nicht denken. Sie war da, das allein zählte.

Im Geiste sah er sie nackt vor sich liegen, seine Spermien auf ihrer Haut, er spürte, wie er sie berührte, wie sanft und zart sie sich anfühlte.

Doch aus seinem Ergötzen stieg Wut hervor. Sie gehörte ihm, niemand anderes durfte sie besitzen.

„Warum schaust du mich nicht an, Lana?“, fragte seine kranke Stimme im Kopf. „Ich bin es. Ich bin doch dein Mann!“