Mätresse auf italienisch II - Delilah Jay - E-Book

Mätresse auf italienisch II E-Book

Delilah Jay

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Beschreibung

Der Kampf zwischen Aeliata und Amos um ihren gemeinsamen Sohn Feliciano geht in die zweite Runde... Amos, der die Mutter seines Kindes, Aelita, am liebstenhinter Gittern sehen will und nichts auslässt, um seine Macht unter Beweis zu stellen, bedient sich der Mafia, mit fatalen Folgen: Er plant die Entführung seines eigenen Kindes. Der Coup, der quer durch Europa führt, gleitet aber selbst den Entführern - auch auf Grud der Cleverness des Kindes - aus den Händen. Das Buch erzählt aus der Sicht der Protagonisten Aelita, Amos und Feliciano. Sie berichten aus ihrer Perspektive - mal wütend, mal traurig, oft ängstlich. Aelita, die für ihren Sohn gegen den korrupten Mafia-Clan kämpft; Amos, der versucht, Aelita mit allen legalen und kriminellen Mitteln aus dem Weg zu räumen; Feliciano, der Sohn der beiden, der zum psychologischen Opfer seines Vaters wird - alles vor dem Hintergrund der skrupellosen Gangster des organisierten Verbrechens. Das Thema Kindesentführung ließ Delilah J nicht los. Vermisste Kinder, die nie wieder auftauchen; Kinder die ermordet wurden. Sehr häufig stecken Profitgier und das organisierte Verbrechen dahinter... und manchmal sogar die eigene Familie. Täglich, überall, mitten unter uns.

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Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2017

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MÄTRESSE

auf italienisch

~ Ein modernes Märchen ~

Impressum:

»Mätresse auf italienisch«, Band 2

Originalausgabe, Copyright © 2013 by Delilah J.

www.delilah-jay.com

Delilah J

c/o Pellybay Films GmbH

Große Elbstraße 145 a

22767 Hamburg - Germany

Layout, Typographie & Bildbearbeitung:

© by Carina Mueller, Dipl. Des.

www.c77-graphX.de

eBook Konvertierung

Marte Kiessling

www.martemarte.de

Verwendete Schriften:

Fontin & Fontin Sans

© by Jos Buivenga

Verwendete Bilder:

© by Kai Krellenberg

Lektorat:

Gitta Wolf

www.allice-wolf.de

Druck & Buchbindung:

www.esf-print.de

Printed in Germany

ISBN 978-3-84-428404-1

Für Massi J

Alle in diesem Buch

geschilderten Handlungen

und Personen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden

oder verstorbenen Personen

wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Aelita…

Qui dove il mare luccia

E tira forte il vento

Su una terrazza Avanti al golfo di Sorriento

Un uomo abbraccia

una ragazza dopo che aveva pianto

Poi si schiarisce la voce e ricomincia il canto…

Höre ich Luciano Pavarotti singen. Klar und deutlich, fast schon laut, klingt seine Stimme hier auf dem Friedhof. Stille. Ich lege eine rote Rose auf ein Grab. Blut tropft aus meinem Zeigefinger. Es waren die Dornen, die mich stachen. Ich bin nicht fünfzehn Jahre alt und heute ist auch nicht mein Geburtstag. In meinem Leben gab es nur die dreizehnte Fee, jene, die nicht zur Taufe geladen wurde. Der Todesfluch schwebt über mir…

Te voglio bene assaie

Ma tanto tanto bene sai…

Tränen rollen über meine Wangen.

„Te voglio bene assaie, ma tanto tanto bene sai…”

singe ich zusammen mit Luciano.

Meine Stimme bricht, ich weine.

Una catena ormai

Che scioglie il sangue dint’e vene sai1

Oh ja, mein Blut gefriert in meinen Venen…

Startbahn der Private Aviation, London 06.55 Uhr, Ziel Milano Linate, Italien. Ich reise leicht: Louis Vuitton Handtasche, Laptop, Dokumente. Make-up, Chanel Kleid, Jimmy Choo Schuhe Größe 42, Clip-In Hairextensions, Pucci Sonnenbrille, Antidepressiva. Den Laptop brauche ich dringend, um diese Geschichte zu schreiben, die Lippenstifte zur manuellen Korrektur des ausgedruckten Manuskripts sowie meiner vollen Lippen. Betonung – auf die kommt es an!

Der puertoricanische Steward bringt mir ein Glas Rœderer Cristal, damit ich meine Co-codamol-Schmerztabletten nehmen kann. Ein wundervoller Cocktail! Gleich geht es mir besser. Er lächelt wissend. Mein Freund Kevin liebt ihn. Wegen seiner vollkommenen Schönheit. Seiner geschmeidigen Haut. Seinem spanischen Akzent. Seinem kleinen Arsch und seinem großen Schwanz. Juan Carlos ist das Beste, was mir passieren konnte: ein Steward, der mich anhimmelt, vergöttert, mir jeden Wunsch von den Augen abliest und meinen besten Freund liebt. Er ist verschwiegen, treu, loyal – eine beste Freundin ohne menstruelle Hormonschwankungen. Ein Trolley-Dolly ganz für mich allein. Und für Kevin natürlich. Wir bekommen Starterlaubnis und heben ab. Ich nicht nur in der Boeing 727, dem für mich und meinen Begleiter im Frachtbereich gecharterten Privatjet, auch die Co-codamol-Champagner-Mischung beginnt in meinem Blutkreislauf ihren gewöhnlichen Platz einzunehmen. Es hätte auch ein kleinerer Jet sein können für die kurze Reichweite von London nach Milano: eine Challenger, Gulfstream, vielleicht eine Citation X. Nur hätte ich dann meine kostbare Fracht zurücklassen müssen – der Frachtraum hätte nicht ausgereicht: Ein königsblauer Sarg mit goldenen Lilien begleitet mich. Das Interior prunkvoll verkleidet in blutrotem Samt. Diese auffällige Variante seines letzten„Salons“hätte er nicht ausgesucht – aber ich!

Er starb an Erschrecken. Ein Anruf vom Finanzamt in England. Die Drohung, nie wieder in das Vereinigte Königreich einreisen zu dürfen. Drei Immobilienmakler melden sich aus Italien, um einen Besichtigungstermin für sein Mega-Anwesen zu vereinbaren. Sein Büro habe darum gebeten, da er doch seine Häuser verkaufen wolle. Eines davon sein erstes wahres Zuhause. Zum ersten Mal allein lebend mit fünfundfünfzig Jahren! Drei Empfangshallen, sieben Schlafzimmer, ein Ankleideraum von fünfzig Quadratmetern – Sarah Jessica Parker, oder besser: Carrie in Sex and the City, hätte sich gefreut! Ein Indoorswimmingpool. Er ist Mr. Big und lebt es auch! Fünf Badezimmer mit heizbaren Toiletten- sitzen. Jeder Raum ausgestattet mit Überwachungskameras. Kontrolle über das Imperium während seiner Abwesenheit. Ein Fitnessstudio mit Whirlpool. Sport für den Unsportlichen! Der einzig trainierte Muskel ist sein Schwanz. Ein separates Einfamilienhaus auf dem Grundstück für die Hausangestellten: den Butler, die Haushälterin, den Gärtner, den Chauffeur. Ein Zimmer für unseren gemeinsamen Sohn Feliciano, Felix genannt, mit En-Suite-Badezimmer. Schwarzer Marmor. Jede Maserung des Steins sorgfältig herausgearbeitet. Unsichtbar. Wie in Blake’s Hotel in London South Kensington, dem Lieblingshotel von Lady Gaga, Mickey Rourke, David Bowie, wenn sie in London sind. Designed von Anushka Hempel. Auch die Presse erscheint vor seinem Haus: Kameras, Mikrofone, Radio- und Fernsehsender warten auf ihn. Am vorderen und hinteren Eingang des Grundstücks. Die Überwachungskameras auf sie gerichtet wie Selbstschussanlagen. Er selbst bleibt dem Geschehen fern. Aus gutem Grund. Adrenalinstöße treffen ihn wie Elektroschocks. Sein Blutdruck erreicht 250 /120, sein Herzschlag 300.

Anruf von Ludmilla, einer kleinen Sünde vergangener Wochen und Monate.„Es ist dringend”, schluchzt sie in ihr iPhone, eine milde Gabe an sie, nachdem er für sich selbst gönnerisch die neueste Variante aus dem Apple-Spielzeugshop besorgt hatte.

„Ich bin HIV positiv!”,jammert sie unter Tränen. Sein Puls steigt. Kein Kondom benutzt – wie üblich. Er sieht sich sterben. Langsam. Es reicht nicht. Noch nicht. Der Tod durch Erschrecken ist schwierig. Für den Erschreckenden! Den Mörder? Die Mörderin? Soll ich mich so nennen? Für denjenigen, der es plant jedenfalls. Wie viel braucht er noch? Soll ich sparsam dosieren oder die Munition erhöhen? Abwarten.

Ludmilla traf ich in Moskau. Im Hotel Imperial wartete sie auf einen Regisseur an der Bar.„Die große Rolle”– so sagte sie. Er kam nicht. Auch nicht der Produzent. So schien der Traum des großen Films zu zerplatzen, hätte ich nicht das neue Drehbuch direkt parat gehabt: Ludmilla ist groß, schlank, blond, slawisch, jung, naiv. In sein Beuteschema passend. Und sie wartete auf ihren großen Moment.

Wir tranken Mandarinensaft, später gefolgt von Champagner. Sie war so glücklich nach der ersten Flasche des kalten Prickelns, die sie fast allein leerte. Sie sprach vom schicksalhaften Zufall, mich getroffen zu haben in diesem tragischen Moment ihres Lebens. Sie weinte, dass sie schon bezahlt hatte fürdie Rolle – ein„Threesome”–zu dritt, wie das Wort schon sagt: sie, der Regisseur und der Produzent. Kontakte nach Hollywood hätten sie. Und das hat Ludmilla geglaubt. Und je mehr sie über ihren Einfluss, ihre Kontakte, ihre Macht und das leichte Leben in Beverley Hills zwischen Studios, Nobu Matsuhitas erstem Restaurant, Clubs mit weißen Puderzuckerlinien, Tiffany’s, Cartiers, Bulgari, Dachterrassen mit Swimmingpools, Partys mit Celebrities – ganz einfach: von der besseren Welt des Erfolgs, erzählten, um so leichter fiel es ihr, den beiden jeden Wunsch zu erfüllen. Neunzehn sei sie gerade geworden und dass sie so gut englisch spricht, verdankt sie ihrer Ambition, eine großartige Schauspielerin werden zu wollen. Dafür würde sie alles tun! Ja, alles! Auch mir fiel dazu etwas ein: Ob sie denn einen einflussreichen Mann kennenlernen will? Gute Kontakte zu Pellybay Films hat er in Hamburg und der ganzen Welt. Sie muss mir nur versprechen, mich nie zu erwähnen. Oh nein, das wird sie nicht! Ganz bestimmt nicht! Vorsichtshalber erfährt sie meinenanderenNamen: Dorota aus Wien – so stelle ich mich vor – das ist polnisch für Dorothy.

„Das weiß ich”, strahlt sie und verspricht, mich gewiss zu ihrer ersten Oscarverleihung einzuladen, wenn es denn dazu kommt. Mein Drehbuch gefällt Ludmilla: Sie will meinen Geliebten Amos verführen. Begeisterung! Applaus!

„Ja, das kann ich”, quietscht sie vor Freude. Das war mir klar – verschwende viel Lob an sie. Wie das gehen soll? Sie kennt ihn doch gar nicht? Dafür sorge ich schon. Gebe ihr meine österreichische Mobil- nummer, die ich nur für„Action Ludmilla”nutzen werde.„Ich rufe dich an”, bestimme ich. Bald.

Mein Name ist Aelita. Manchmal auch Aelitina oder wie auch immer Amos mich nennt. Je nach Stimmung, Rausch, Bewunderung, Verachtung, Lust. Ich war seine Geliebte. Seine Mätresse. Ich will, dass das immer so bleibt. Ich bindieMätresse seines Lebens und wen auch immer er beherzt, vögelt, küsst, beschenkt, jagt, begehrt – ich bleibedieGeliebte! Dieser Anspruch ist nicht sexuell gemeint – nein, eher philosophisch und intellektuell. Ich bin die Mutter seines einzigen Kindes, unseres Sohnes Feliciano. Wir leben in London, Belgravia, Eaton Square – SW1. Bald werden Feliciano und ich noch mehrere Adressen haben. Über die ganze Welt verteilt. Mit dieser Sorge sitzen wir beide im Privatjet von London nach Milano. Amos im edlen Sarg als schweres Gepäck im Frachtraum der Boeing 727. Es hat nicht lange gedauert nach Ludmillas Anruf.

Sie fragte mich:„War ich gut?”Und ich konnte sie nur in ihrem Plan, eine außergewöhnliche Schauspielerin zu werden, bestärken. Er hatte einen Herzinfarkt gekoppelt mit einem durch Stress verursachten Schlaganfall. Fünfundfünfzig Jahre alt ist er geworden. Nicht alt, nicht jung. Er hätte sich nie vorstellen können zu sterben.

„Se moio… – falls ich sterbe…”,begannen seine Sätze zu diesem Thema und sich selbst als würde der Tod nur die anderen betreffen, nicht ihn. Kürzlich er- klärte er Feliciano, dass er besonders lange leben werde wegen der vielen Vitamine, die er täglich nimmt. Und man beachte seinen schlanken Körper – nicht so fett und dickbäuchig wie die der Väter von Felix‘ Freunden, die er vor seiner Schule sieht, wenn er ihn alle drei Wochen freitags abholt. Felix belohnte ihn dafür mit feuerroten Fingernägeln während er schlief. Der Nagellackhersteller hätte die Farbe phantasievoll„Killed by fire”genannt, wenn sie auf dessen Palette erschienen wäre – gleich neben Sugardaddy, Love me tender, Viagra me!, Pussycat oder Hollywood Glam. Kleine Fläschchen aus meiner Sammlung im Bade-zimmer... So ist er, mein Feliciano. Er hat einen außergewöhnlichen Geschmack kombiniert mit Phantasie und Kreativität. Er versteht es sehr gut, seinen Vater zu peinigen: Liebesentzug, Zeitentzug, lässt ihn spüren, dass er mit ihm spielen kann, wie er will. Amos hätte ihm seine im Schlaf rot lackierten Fingernägel nicht einmal übel genommen, wenn er noch die Chance gehabt hätte, die peinliche Tat rechtzeitig zu entdecken. Hatte er aber nicht. Auch der Sturz in den Pool im Haus von Amos‘ Mutter auf der Insel Procida und den direkt hinterher geschmissenen Kärcher, den der leibeigene Butler in jenem Moment gerade benutzte – noch in der Steckdosesteckend , das Kabel reichte – der Stromschlag leider nicht...So gelang Feliciano jedoch der Streich, Amos‘ wenige Haare am Hinterkopf zu rasieren und ihn so in eine Vorstandssitzung zu schicken. Im Spiegel sah Amos nur sein Frontantlitz, nicht die mühevolle Verzierung seines gesamten Hauptes. Es dauerte lange, bis er merkte, was ihm tatsächlich geschehen war.

FEEEELIIICIIIAAANOOOO!

Ihm war sofort klar, wessen Handschrift die fein säuberlich rasierten Elemente, welche seinen Kopf zierten, trug!

Feliciano…

Der Schrei meiner Mutter weckte mich aus dem Tiefschlaf.„Mum?”

Ich höre ihr Herz rasen – sie antwortet nicht.

Ich nehme ihr das BlackBerry aus der Hand und sehe, dass sie soeben eine E-Mail meines Vaters gelesen hat.

„Er ist tot!”, stammelt sie.

„Wer ist tot?”, frage ich sie.

„Amos, dein Vater”, antwortet sie bestimmt.

Sie versucht ihre Stirn in Falten zu legen, was nur bedingt gelingt, dank der Überdosis Botox, die sie verjüngen soll.

„Mum?”

„Ja, Darling?”, fragt sie geistesabwesend.

„Das kann nicht sein. Er hat mich eben angerufen. Ich habe mit ihm gesprochen!”

Sie schweigt. Schaut mich an, als wäre soeben noch eine Welt zusammengebrochen.

Die erste Welt, an die ich mich erinnere, die in ihr zusammenbrach, war jene, als mein Vater uns in Nacht und Nebel durch Italien fahren ließ und Mum und ich in die Nebelwand starrten auf dem Weg von Ferrara nach Parma. Ich war noch klein – sehr klein. Ein Lastwagen hupte uns aus dem Weg als Mum und ich beinahe ein Agip Benzinlieferfahrzeug vor Schreck seitlich rammten. Ausgebremst und auf die rechte Spur verwiesen rettete uns nur noch ein Traktor, der aufgrund von Mums Fahrtüchtigkeit einem Vollbremsungsbefehl folgte und dabei einen Strohballen verlor. Sanft landeten wir dann – den Strohballen vor unserem Auto herschiebend wie eine weiche Wolke, weitab und sicher auf dem Standstreifen, während die Ladung des Treckers in Flammen aufging. Ich bewunderte das Feuerwerk im Nebel des kalten feuchten Januartages. Es war ein verspätetes Neujahrsgeschenk! Der Knall – einer Explosion gleich – ließ eine Feuerwolke über unseren Köpfen dank des Windes vorbeiziehen. Erst später begriff ich, dass es mein Vater war, der versuchte, meine Mum und mich auf jenem Weg von Ferrara nach Parma umzubringen.

Alle Zeitungen Italiens berichteten ausführlich darüber. Auch das Fernsehen zeigte den Brand und unser Auto mit dem Berliner Kennzeichen. Mum und mich im Bild. Mein Vater ignorierte den Unfall, die Zeitungsberichte, die Fernsehinterviews mit Mum, die plötzlich im Scheinwerferlicht stand. Ich war ja noch nicht„sein Sohn”– also nur eine„Option”in seinem Leben, die mit Aufschub auf den richtigen Moment zwischen Investitionen, Hedge Funds, Helikopter fliegen wartete ebenso wie Erpressung, Korrup- tion und der Bereicherung an allem, was sich bietet. Jener späte Nachmittag jedoch, im Nebel zwischen Ferrara und Parma, veränderte mein junges Leben schlagartig. Mord hat viele Gesichter! Der Versuch auch... Damals war ich knapp drei Jahre alt – heute bin ich fast vierzehn.

Aelita…

Amos lebt! Bellarosa lebt! Ich erwache aus einem schönen Traum. Die schreckliche Realität holt mich langsam ein. Sitze erstarrt in meinem Bett – aufrecht. Kann es noch nicht glauben. Soll das alles nur ein wunderschöner Traum gewesen sein? Ein Traum, den ich die„Mätresse auf italienisch”nannte? Er war so wundervoll... Ich verharre in Momenten der Realitätsdifferenzierung meiner Liebe zu Amos, meiner Trauer um ihn, meinen Hass spürend.

Das einzig Wahre bleibt: Feliciano, der mir ein Glas Wasser reicht.„Mum? Are you OK?”,fragt er mich liebevoll besorgt.

„Sag mir bitte, dass ich träume!”, fordere ich Felix auf.

Ich betrachte meine Hand, das Blut, den Zeigefinger. Kein Einstich. Keine Dornen und auch keine Spindel.

„Du bist wach, Mum. Wieso solltest du dann träumen? Wir sind zu Hause. In unserem Haus in London. Schau aus dem Fenster, es regnet!”

Ich habe geträumt. Plötzlich wird mir klar, dass die„Mätresse”ein Traum war, den ich für die Wirklichkeit hielt. Amos lebt, wir, mein Sohn Feliciano und ich, leben in diesem Puppenhaus in Barnes bei Central London, kein Eaton Square in SW1, in Belgravia. Barnes – für mich die Spießigkeit, Kleinbürgerlichkeit schlechthin. Nachbarn, die sich täglich an den steigenden Immobilienpreisen aufgeilen. Eine spießige Gesellschaft, in die ich nicht passe und nie hineingehören werde. SW13 heißt der Postcode. Kein Anwesen in Schottland, meine Hunde Bonnie und Clyde jedoch mit treuem Blick am Fuße meines Bettes wachend. Kein Dressurtrainer für mich – kein Vielseitigkeitstrainer für Felix. Kein Kibbuz in Israel, kein Robin Hood meiner Träume. Peng! Geplatzt ist der Traum – Amos erfreut sich seines alternden Daseins, was er Leben nennt. Ein Leben, das er nie gelebt hat! Kein Erbe, das Feliciano angetreten hat, kein Verkauf der Immobilien in Italien, Felix hat auch keinen Designerpreis für seine Surfbretter gewonnen oder für die neue Kreation der schnittigen Generation sportlicher, eleganter Ökoautos.

Viel schlimmer noch trifft mich, dass Bellarosa noch lebt! Ich habe sie doch von ihrer Yacht stoßen lassen! Das war kein Film – kein Traum, oder? Doch, es war ein Traum und auch nur ein Wunsch – leider! Der Traum meines tiefen hundertjährigen Schlafes:„,Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot niederfallen’, sprach die dreizehnte Fee. Und ohne ein Wort weiter zu sprechen kehrte sie sich um und verschwand wieder. Alle waren erschrocken, doch da trat die zwölfte hervor, die ihren Wunsch noch übrig hatte.”Die Stimme des Märchenerzählers aus meiner Kindheit scheint aus einem dunklen leeren Raum aus Dornröschen zu mir zu sprechen. Geschwind schlüpfte ich in die Rolle des Dornröschens, die mir so gut steht.„Zwar konnte sie den bösen Spruch nicht aufheben, doch sie konnte ihn mildern”,liest der Märchen- erzähler aus dem dicken alten Märchenbuch weiter.„Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundert Jahre langer Schlaf, in den die Königstochter fällt.”

Es dauert eine Weile, bis ich langsam begreife, dass die Phantasie mit mir durchgebrannt ist. Eine E-Mail von Amos erreicht mich und rüttelt mich aus meinem Dornröschenschlaf: Es ist die Antwort auf einen Brief des Kinderpsychologen, bei dem Amos und ich vor kurzem einen ersten und bisher einzigen Termin hatten. Amos „monologte” mal wieder vor sich hin. Ich war gelangweilt. Meine süße Rache, das Buch„Mätresse auf italienisch”, von der er noch nichts weiß, lässt mich sanft vor mich hin schmunzeln. Eine Spitze nach der anderen über ihn und sein Leben, seinen Tod, die Beerdigung als Spektakel, wie noch nie zuvor gesehen, seine Hinrichtung. Es gibt Menschen mit weitaus weniger Qualitäten – Skills, so nannte Chiara meine Talente. Oh ja, die habe ich! Und ich stelle sie ständig unter Beweis. Der Umgang mit dem Wort, der mir als „Linguistin” leicht fällt – in der Wahl der Worte der Lust bis hin zur Zerstörung. In jeder Sprache, die ich beherrsche. Der Umgang mit meiner Zunge – davon kann Amos viel berichten.„Keine hat an meinem Schwanz je so hervorragend gesaugt wie du, Aelitissima!”, stöhnte er stets.

Mein Networking, die Kunst, die richtigen Kontakte zu knüpfen. Sie zu pflegen, zu nutzen und in eine unberechenbare Abhängigkeit zu bringen, ja auch das ist eine meiner vielen Fähigkeiten. Kreativ – immerhin habe ich die„Mätresse auf italienisch”geschrieben, meinen Debütroman, der viele Klagen auf Persönlichkeitsverletzung hinter sich zog. Meine Arroganz wuchs mit jedem Fernsehauftritt, jeder Lesung aus der„Mätresse”,bei jeder Frage der Presse an mich. Ich wurde zu einer Marke – einem „Brand” – selbst erschaffen, kreiert aus der puren Not: der Not der Rache!

Ich sitze im Flugzeug – Lufthansa Flug LH 2483 von London-Heathrow nach München. Ein Termin mit der marktführenden Sicherheitsschmiede. Ich soll mich um die Emerging Markets einer Partner-gesellschaft kümmern. Global, weltweit. Sie haben sie, die Lizenz zum Drucken der Euros, der Personalausweise und Pässe, der sensitiven Sozialversicherungsausweise, Krankenkassenkarten. Sie beschäftigen sich mit dem Thema Net Security. Angriffe auf den Staat, Ausräuberung von Bankdaten, Kundenkartenfälschungen, das Vermeiden von terroristischen Anschlägen – das alles wissen sie zu verhindern. Sie retten die Welt in Deutschland und überall! Und ich mit ihnen! Spezialisiert auf die Länder der Korruption – da kenne ich mich aus! Meine Zeit mit Amos und seinen im Bett geflüsterten Geheimnissen wird mir helfen – dank eines meiner weiteren Talente: Ich nenne es die „umgesetzte Intelligenz”. Jeden Monat werde ich nach Asien fliegen: Hongkong, Singapur, Indien für die Sicherheit – Net Security. Ich werde auf die geheimen Daten der Banken, aller Staaten, Versicherungen, Asset Management Groups, Hedge Fund Gesellschaften Einblick nehmen. Ja sogar das FBI und die CIA werde ich beobachten! Als Spionin neben James Bond werde ich als Nummer 001 arbeiten. Über ihm und unter im. Er auf mir und in mir. Und wenn es sein muss, werde ich ihn töten – für meine eigene Sicherheit. Und die Felicianos! Ich bin 001, Aelita, das Bondgirl Nummer 1! Im Bett mit Sean Connery. Und mit Pierce Brosnan. Von mir aus auch gleichzeitig. Bondgirl 001 fährt Porsche, wie im echten Leben! Nachtblau außen, schwarzes Leder innen. Das Schiebedach nur leicht geöffnet wie der Mund aller James Bond Girls beim geheuchelten Orgasmus. Licht aus. Ihre Augen sind geschlossen. Sex im 911er ist nur für besonders elastische Menschen: Sie tauscht nun zwingend Sean Connery gegen Daniel Craig ein. Sinnliches Muskelspiel wird zum Berührungskampf von Haut und dem schwarzen Leder. In keinem Sportwagen der Welt macht Sex so viel Spaß wie im 911er...

Mein Bankkonto füllt sich täglich von allein. Die Klagen gegen meine„Mätresse auf italienisch”von Amos, gefolgt von Bellarosas überheblicher Anmaßung, dass tatsächlich eine Story über sie zu Papier gebracht wurde, und dem Gransignore in Carozza in seinem roten Rennwagen, den ich am Ende ins Gefängnis träumte, verhalfen mir zu einem weltweiten Erfolg: Aelita, die Heldin! Die Mätresse! Sie kämpft gegen die Mafia, ruiniert die italienische Gesellschaft mit ihrer Mistress - The Italian Way. Sollten sie alle nichts Besseres zu tun haben in diesen Tagen der unaufhörlichen Wirtschaftskrise? Die Verfilmung der „Mätresse”, das Merchandising – alle Rechte in meinen Händen. Ich verachte Menschen ohne Talente... Bald werden Amos und ich wieder bei einem der vielen Shrinks seiner Wahl sitzen – Feliciano gewiss auch. Felix ist so glücklich! Nur Amos weiß das nicht – oder besser: Das hier ist die Antwort auf unseren erneuten Streit um Geld, Haus, Schule für meinen Sohn. Ein alter Machtkampf, der nicht zu Ende gehen will. Erst vor einem Jahr bestand Amos auf Thera-peuten, Psychiater und Psychologen für Feliciano, die herausfinden sollten, warum er so unglücklich ist.

Wir drei beim Assessment im Hospital des großen, von allen Gerichten gern gehörten und bestens anerkannten Kinderpsychiaters Dr. Alon Steinberg. Seine Mitarbeiterin, Dr. Marisa Paoli, eine italienische Psychologin, beginnt zu fragen:

„Beschreiben Sie doch mal bitte Ihre Beziehung zu Aelita, Amos.”Feliciano lümmelt auf der Psycho-Couch. Amos legt seine Stirn in Falten, die Mundwinkel nach unten ziehend. Er leidet, wie so oft. Sein Gesicht ähnelt einem Greis in klassischer Walt Disney-Skizzierung.

„Ich habe Aelita immer sehr geschätzt, bis sie auf einmal schwanger war”, beginnt Amos.

Felix wartet allein draußen, auf Amos’ Wunsch hin. Mir ist klar, was jetzt kommt.

„Wir hatten nie eine Beziehung, Aelita und ich”,fährt er fort.„Und das war auch nie geplant. Auf einmal ist sie schwanger. Woher sollte ich denn wissen, ob das mein Kind ist?”Ich verlasse den Raum.

„Sorry, das höre ich mir nicht mehr an!“

Dr. Paoli fragt:

„Wie soll ich denn jetzt das Assessment durchführen?”

„Keine Ahnung – ist nicht mein Job”, erkläre ich ihr mit meinem arroganten Lächeln.

Wir erhalten den Report des Assessments später. Und der geht dann so: