Matzbachs Nabel - Gisbert Haefs - E-Book

Matzbachs Nabel E-Book

Gisbert Haefs

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Beschreibung

In einem Nebental der Ahr betreibt Heinrich Genenger einen Privatfriedhof. Wer sich nach obskuren oder obszönen Riten bestatten lassen will und damit bei deutschen Friedhofsämtern nicht landen kann, ist hier willkommen. Eine ebenfalls private Schönheits- und Psychoklinik deponiert so viele Leichen, daß Genenger einen Kumpel darauf hinweist: Baltasar Matzbach, einem seiner angeblichen Freunde zufolge "Mischung aus Falstaff und Kater Garfield, als Hobbydetektiv auf die Menschheit losgelassen." Zusammen mit seiner Gefährtin Jorinde, einer Hexe, und dem chinesischen Kampfsportler Felix Yü begibt Matzbach sich ans Buddeln und Schnüffeln. Ein mysteriöser Köterkiller geht um, ein schlechter Heimatdichter schreibt sein Unwesen, der Regierungsbunker der Bonner Republik liegt ganz in der Nähe - und wie soll das alles zusammenpassen?

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Gisbert Haefs

Matzbachs Nabel

Matzbach exklusiv bei KBV:

Acht Neuauflagen und zwei Neuerscheinungen

Mord am Millionenhügel (Juni 2012)

Und oben sitzt ein Rabe (Juni 2012)

Das Doppelgrab in der Provence (Herbst 2012)

Mörder und Marder (Herbst 2012)

Matzbachs Nabel (Herbst 2012)

Kein Freibier für Matzbach (Frühjahr 2013)

Schmusemord (Frühjahr 2013)

Feuerwerk für Matzbach (Frühjahr 2013)

Finaler Rettungskuss (Juni 2012)

Zwischenfälle (Frühjahr 2013)

Gisbert Haefs, Jahrgang 1950, lebt und schreibt in Bonn; als Übersetzer/Herausgeber verantwortlich für Borges, Kipling, Brassens, Dylan u. a., als Autor haftbar für Erzählungen, historische Romane (Hannibal, Troja, Raja, Die Rache des Kaisers, Das Labyrinth von Ragusa u. a.) und Krimis (»Matzbach«).

Gisbert Haefs

Matzbachs Nabel

Die Originalausgabe erschien

1993 als Goldmann-Krimi

© 2012 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Fax: 0 65 93 - 998 96-20

Umschlagillustration: Ralf Kramp

Print-ISBN 978-3-942446-52-5

E-Book-ISBN 978-3-95441-118-4

Alle Personen, Doubles, Wiedergänger, Charaktere und Charakterlose in diesem Roman sind frei erfunden, ebenso viele Örtlichkeiten, Weinqualitäten etc. Jegliche Ähnlichkeit zwischen Dichtung und Wahrheit würde den Autor verblüffen, der sich hiermit nachdrücklich von seinen Protagonisten, ihren Taten und Meinungen distanziert.

Aus: Jakob Grunewald, Willkürliche Biogramme,31997*

» … wurde Baltasar Matzbach als ›Universaldilettant‹ bezeichnet, der sich in die Gefilde der Kriminalistik verirrt habe. Das Etikett … beklebt einen, der von vielen Dingen zu viel weiß, um sie ernst zu nehmen, zu wenig, um von ihnen ernstgenommen zu werden, und genug, um Experten zu bluffen und Laien zu amüsieren. … Ein Bekannter mutmaßte auch, B. M. leide (?) an Elephantiasis der Seele. Interessanter sind jedoch andere Aspekte, so z. B. Matzbachs verwegene Verfressenheit; wie zu Zeus Sein Donner und zu Jehovah Sein Zorn gehört zu Baltasar Sein Wanst. Immerhin kann er es sich seit vielen Jahren leisten, Hecht zu essen und zum folgenden Fleischgang einen Grand Cru zu trinken. Er wuchs nach dem Verscheiden seiner Eltern bei Verwandten auf und studierte später Philosophie und Atomphysik. Dabei erfand er etwas für ein Betatron, so kompliziert, daß er es selbst schon längst nicht mehr erklären kann, aber das Patent wird international verwendet und wirft einiges ab; anschließend wandte Matzbach sich der Musik zu und komponierte ein bißchen, darunter einen vollendet schwachsinnigen Schlager, der noch immer läuft und zwei- bis dreimal pro Jahr neu aufgenommen wird, und so schickt die GEMA ihm bisweilen einen freundlichen Scheck. Ein Hauptgewinn im Lotto sorgte 1962 dafür, daß Baltasar aus dem Gröbsten heraus war. Er investierte klug und ergab sich der sinnlosen Bildung, wobei er von den exakten zu den diffusen Gebieten überging; so stammt aus seiner Feder ein in Fachkreisen geschätztes Werk über Monotheistische Strömungen des inselkeltischen Druidentums.*Einige Jahre hielt er sich an der bretonischen Nordküste auf, bevor die touristische Völkerwanderung sie verwüstete, und weilte dort als Mäzen und Manager junger Künstler, Veruntreuer von frühen Touristinnen und Privatdozent gegen Okkultismus. Dabei verfaßte er zwei weitere Standardwerke: Schamanistische Einflüsse in die Analekten des Konfuzius*und Sexualpathologische Aspekte der Psychokinese.*Und tat zahllose weitere unsinnige Dinge, die ausnahmslos zu Gold wurden (er habe, behauptet er, in dieser Beziehung etwas durchaus Eselhaftes an sich). Jahrelang verdiente er sich ein regelmäßiges Zubrot mit seinem Kummerkasten Fragen Sie Frau Griseldis; außerdem droht irgendwann die Veröffentlichung seines geheimen Hauptwerks Der Leichnam in der Weltliteratur. (Die Mutmaßung, seine detektivischen Aktivitäten seien nur ein Vorwand dafür oder umgekehrt, ist nicht von der Hand zu weisen.) …«

* Alle Titel erschienen im Verlag für Enzyklopädische Geisteswissenschaften (Edinburgh – Simla – Wachtendonk – Córdoba – Beaune).

ERSTER TEIL

NEBEL

1. Kapitel

Der Himmel öffnet gähnend blau den Rachen«, sagte Matzbach. Er plumpste aus dem breiten Bett, blinzelte und tastete mit den Zehen nach den sich auflösenden Hanflatschen. »Die Vögel hocken hustend im Geäst.« Er hustete und schlurfte über knarzende Bohlen zur Tür. »Wer möchte da nicht in die Socken machen, und würf ihn auch die Kebse aus dem Nest?«

»Wage es nicht.« Jorindes verschlafenes Gesicht erschien unter den verwickelten Wolldecken, dann auf dem Kissen. Sie richtete sich langsam auf, rutschte zurück, bis ihre bloßen Schulterblätter die Wand berührten, und blickte zum Wecker, der auf dem Rand der alten steinernen Pferdetränke stand. »Erst zehn. Was willst du denn schon draußen?«

Baltasar blieb unter dem Türsturz stehen, kratzte sich das Brusthaar und musterte die Hexe. Langsam breitete sich ein unrasiertes Lächeln über sein Antlitz.

Das Steingebäude war einmal Kapelle gewesen, später Stall, dann Unterkunft für Feldgendarmerie, Geräteschuppen und zuletzt – bis vor etwa drei Jahren – Alterssitz eines hessischen Staatssekretärs, der an die Nordgrenze des feindlichen Auslands Rheinland-Pfalz geflohen war. Aus dem bunten Bleifenster über Bett und Trog – es zeigte einen Seraph mit Flammenschwert, kokett abgespreizten Flügeln und grünstichigen Schwungfedern – rieselte Sommerlicht in mehreren Farbschichten.

Als Jorinde Seyß an der Wand wieder ein wenig hinabrutschte, schob sich ihr langes Mahagonihaar als schimmernde Mütze über den Kopf. Sie hatte den linken Arm zum Trogrand erhoben und ergriff den Aschenbecher; die rechte Brust lugte über die Wolldecken, und auf dem sahnigen Fleisch knisterte ein von der Schwertspitze des Seraphs geseihtes Brandlicht.

»Mußt du so früh schon grinsen?«

Matzbach schnalzte. »Des Bildes Anmut«, sagte er heiser. »Apart und revolutionär, wiewohl seitenverkehrt. Dein Haar als phrygischer Kopfputz – es fehlt die Fahne.«

Jorinde schloß die Augen. »O Mann.«

»Zutreffend. Und bevor ob deiner Unruh mein Pendel ausschlägt, geh ich lieber ins Aushaus.« Er öffnete die Tür.

»Herzchen.« Jorinde blinzelte. »Aber doch nicht so.«

Matzbach blickte an sich hinunter. »Wie?«

»Nackt.«

»Nein?«

»Nein.«

»Doch.«

»Ja?«

»Ich betrachte es nicht als vordringliche Aufgabe, optische Gefährdungen von meinen Mitmenschen abzuwenden. Wer das Risiko eingeht, zu mir hinzusehen, der ist selber schuld.«

»O Mann.«

Matzbach nickte und trat in den Sonnenschein hinaus. Die mobile Bauarbeiter-Toilette – grünes Plastikzeug mit einem aufgemalten roten Herzchen, darüber Wellblech – stand einige Meter rechts der Tür, im Halbschatten des modernen Anbaus. Nach vollzogener Entwässerung watschelte Baltasar zur Viehtränke vor dem alten Hausteil, zog am kreischenden Schwengel der Pumpe, schnitt eine schmerzliche Grimasse und hielt den Kopf unter das kalte Wasser. In einem Anflug von Heroismus klomm er prustend und schnaubend in den Trog und ließ sich zur Gänze überspülen.

Als er den steinernen Behälter verließ und sich schüttelte, bemerkte er die Signalleine, die wahrzunehmen seine Augen vorher nicht imstande gewesen waren: Zwischen der Pumpe und der Antenne des zerbeulten grünen Volvo-Kombi spannten sich drei verknotete Nylonstrümpfe; in einem der Knoten steckte ein zusammengerolltes Stück Papier.

»Auch noch Inkas.« Mit nasser Pfote nestelte er an den Knoten.

»Was?« sagte Jorinde; die Tür war nur angelehnt.

»Post von Atahualpa. Ein Quipu.«

»O Mann.«

Matzbach schlang sich die Nylonstrümpfe um Hals und Schultern. Sonnenstrahlen leckten an den Tropfen auf seiner Haut und in seinem Haar. Er entrollte die Botschaft. WENN DU ZU ENDE GEPOFT HAST, KOMM ZUM GALGENBERG WG. INTERESSANTELEICHEN – HEINRICH

Baltasar gluckste und ging zurück ins Haus. Jorinde saß noch immer malerisch zu Füßen des Seraph. Sie streckte die Hand aus, nahm den Zettel, las und rümpfte die Nase.

»Hat er wieder wen verbuddelt?«

Matzbach zuckte mit den Schultern. »Macht er doch häufiger; dafür ist er ja Privatbestatter, oder?«

Sie seufzte, legte den Zettel auf den Rand des Trogs, unter den Wecker, und rutschte tiefer zwischen Decken und Laken. »Machst du Kaffee, herrlicher Mann?«

Matzbach blickte abermals an sich hinunter. »Ja. Nun ja.« Jorinde verfolgte ihn mit ihrem schrägen Lächeln. Er ging zum riesigen Kamin an der rechten Kopfseite des Raums, nahm das Kistchen vom Bord darüber, holte eine Zigarre heraus, steckte sie hinter sein linkes Ohr, klemmte das Streichholzdöschen zwischen die Zähne, nahm den Korb mit Holzscheiten und Tannenzapfen in die linke Hand und wanderte zur anderen Kopfseite, hinter der der moderne Anbau begann. Dort stand ein alter Herd, von dem Röhren zu vier Heizgerippen an den beiden langen Wänden führten. Auf halbem Weg, als er das Fußende des Betts passierte, hielt Jorinde ihn auf.

»Moment, Herzchen«, sagte sie kopfschüttelnd. »So geht das aber nicht.«

Sie kniete, während er sich auf ihre Gesten hin vorbeugte.

Sie hauchte ihm einen Kuß auf die Nase und band die drapierten Nylonstrümpfe zu einer Schleife. »Jetzt kannst du Kaffee kochen. Woher stammen übrigens die Strümpfe?«

Matzbach hob die Schultern und nuschelte etwas um die Streichholzdose herum. Er spuckte die Schachtel auf die Herdplatte. »Heinrich nimmt so was als Briefumschlag, offenbar.«

Die Hexe verdrehte die Augen und rollte sich wieder in die Decken.

Aus den Proviantkartons fischte Baltasar Knäuel aus Zeitungspapier, warf sie in den Herd, streute Tannenzapfen darüber, legte Holz darauf und riß ein Streichholz an. Immer noch unbekleidet ging er wieder zur Pumpe vor dem Haus, füllte die antike Blechkanne mit Wasser, brachte sie pfeifend zum Herd zurück, stellte sie auf die Platte und zündete sich die Zigarre an. Nach ein paar mächtigen Vorfrühstückszügen legte er sie in den mitgebrachten irdenen Aschenbecher zu Haupte der Hexe.

»Willst du dich nicht mal anziehen?« sagte Jorinde.

»Warum? Gefall ich dir nicht mehr?«

»Ein Jegliches hat seine Zeit, o Matzbach. Es ist nicht zu leugnen, daß der Anblick mich gelegentlich erschauern läßt, aber jetzt ist nur Schaudern angesagt.«

Er giggelte schrill und ging zum Kamin, wo auf der Pyramide dickerer Hölzer seine Gewänder ruhten. Nachdem er die helle Leinenhose, die die untere Hälfte seiner 120 Kilo faßte, mit dem Gürtel gesichert hatte, stülpte er ein blaues Frotteehemd über die obere Partie. Das Wasser in der Kanne begann mißtönend zu singen.

Nach Heinrich Genengers Auskünften war auch der Speicher über dem einen großen Raum der ollen Kapolle leer. Herd, Kamin, bunte Fenster, die Heizkörper und die Tröge an der Wand gegenüber der Tür hatten seit Jahren den Raum mit Mäusen und anderen Geschöpfen des Feldes sowie Unrat geteilt. Jorinde Seyß und Baltasar Matzbach, am späten Nachmittag des Vortags zur Erholung angereist, waren vor der Tür mit dem demontierten Bettgestell, Matratzen, Decken, Brennholz, Tannenzapfen, einem Eimer, mehreren Besen und einem Zettel von Genenger kollidiert – er habe dringend fortgemußt, werde morgens jemanden bestatten und stehe alsdann zur Verfügung; bis dahin wünsche er feines Räumen und seliges Beilager. Dank längerer Telefonate in den letzten Wochen wußten sie, daß der moderne Anbau seit dem Tod des weiland Staatssekretärs versperrt war. Die Unschlüssigkeit der kleinen Landgemeinde hinsichtlich der Gebäude dauerte pietätvoll an.

Das Dorf lag an der Mündung des Adelbachs in die Ahr. Im Zuge der Gebietsreformen war es annektiert worden; es gab jedoch neben Bauern, Winzern, Handwerkern, Krämern und dem Pfarrer immer noch einen Dorfbürgermeister und offenbar auch Zuständigkeit für verwahrloste Gebäude. An der Mündung war das Tal breit genug für Felder und Weiden; die talauf schnell zusammenrückenden Hänge, nach alter Art terrassiert, produzierten mit Hilfe von Sonne, Regen, Wind und Winzern mehrere Weinsorten, über deren Trinkbarkeit Matzbach sich näher informieren wollte.

Auf dem linken Ufer des unbegradigten Bachs schlängelte sich eine vor vielleicht zwanzig Jahren zuletzt nachgebesserte Asphaltstraße talauf. Etwa dreieinhalb Kilometer vom Ortskern, mehr als zwei Kilometer vom letzten Haus entfernt, lag des verstorbenen Staatssekretärs Eremitage auf einer kleinen Kuppe, hundert Meter von der Straße und zweihundert Meter vor dem Beginn des Weinhangs. Der Feldweg – ringsum lag etwas, was Sauerwiese oder verwilderte Weide sein mochte – bestand aus Lehm, Schotter und Löchern.

Einen weiteren Kilometer talauf mündete ein namenloser Minilauf in den Adelbach. Immerhin hatte das Wässerlein in Jahrzehntausenden einen V-Ausschnitt in die Berge gefräst; dort endete der Weinbau, und dort begann das Reich von Heinrich Genenger. Von der verwilderten städtischen Nachkommenschaft eines alten Adelsgeschlechts – man hielt sich nur noch zu bestimmten Gelegenheiten in den Hallen der Vorväter oberhalb des Tales auf und ließ die Gebäude gezielt verfallen – hatte Genenger vor Jahren ein Areal namens Galgenberg »zu Lehen genommen«. Nach alter Überlieferung sollten dort nur Schufte und anderes Kroppzeug verscharrt werden. Genenger, Absolvent mehrerer Universitäten, Dr. phil. (mit Dissertation über Spinoza), hatte seine nutzlosen Philosophiekenntnisse, die ihn im Leben nicht weiterbringen konnten, sinnvoll aufgegeben und sich dem Geschäft des Todes gewidmet, von dem er prächtig lebte, indem er auf seinem Privatfriedhof um teures Geld Snobs bestattete, die nach ausgefallenen, okkulten, finsteren oder obszönen Riten beigesetzt werden wollten und bei bundesdeutschen Friedhofsämtern nicht landen konnten. Matzbach hatte Heinrich Genenger und die ehemalige Studentin der Philosophie, nunmehr Hexe Jorinde Seyß, vor zehn Jahren bei einem Treffen kreativer Ex-Philosophen kennengelernt, die sich als Tierverleiher, Auftragsdichter, Heraldikmodistin, Portraitrice, Computerkomponistin, Beratender Philosoph (mit Praxis in Bonn) sowie eben Privatbestatter und Hexe selbständig gemacht hatten, statt Matzbach in seiner Eigenschaft als Steuerzahler auf der Tasche zu liegen. Es war ein wildes Wochenende in einem verschneiten Haus im Westerwald gewesen, mit Marder und allerlei erotischen Leibesübungen und einem Mord, den Matzbach hatte aufklären können, ehe der Schnee wieder schmolz.*

Als das Wasser kochte, schüttete Matzbach vierzehn Löffel Kaffee in die Kanne, die neun Tassen faßte, ließ sie einen Moment auf der Platte stehen, streute eine Prise Salz in das Gesprudel, schlug an der Pfanne, in der zerlassene Margarine zischte, ein Ei auf, warf die Schale ebenfalls in den Kaffee und schob das Blechgefäß dann an den etwas kühleren Herdrand. Aus dem mitgebrachten Proviant folgten fünf weitere Eier, ein paar Scheiben bacon, Salz und Pfeffer; dann säbelte er von dem dicken Laib Graubrot, den Genenger als Willkommen auf der Schwelle hinterlassen hatte, vier fingerdicke Scheiben ab, wühlte nach Tellern, Blechbechern und Besteck, lief zu seinem Wagen hinaus, kehrte mit zwei Picknickstühlchen und einem Klapptisch zurück und arrangierte am Fußende des Betts alles für ein Schlemmerfrühstück. Den Slivovitz lehnte Jorinde dankend ab; mit großen Augen sah sie zu, wie Baltasar die Nylonstrümpfe beschnupperte.

»Was wird das?«

Er hob das Gebinde hoch. »Ich hoffe, die sind unbenutzt, oder jedenfalls nicht allzu oft getragen seit der letzten Wäsche. Wäscht man so was?«

»Man tut das, ja. Wieso?«

Matzbach spitzte konzentriert den Mund, breitete ein Oberschenkelstück Nylon über seinen Blechbecher und siebte den Kaffee. »Darum, Gespielin des Nachtwinds. Du auch?«

Sie zuckte mit den Schultern, wickelte sich in die Decke, nahm Platz und aß zwei Spiegeleier zu einer Scheibe Brot; der Rest verschwand in Matzbach.

»Irgendwie«, sagte er mit vollem Mund, »find ich das hier ganz nett. Vor allem dieses mobile Aushaus drauß und den Badetrog vor der Tür. Ob in dem Anbau Dinge sind, die man als sanitäre Einrichtungen umschriebe, wenn man es wüßte?«

»Selbst wenn – wie soll man reinkommen?« Jorinde blickte hin und her im Raum, der in allen Farben des Regenbogens schillerte. Auf Matzbachs Stirn waberte ein roter Klecks: Sonnenlicht und ein Scheiterhaufen im Fenster mit einem zappelnden Märtyrer. Sie streifte die Proviantkartons, verstreuten Koffer, Matzbachs Seesack, die Bücherkiste mit wehmütigem Blick, seufzte und schloß die Augen, als Baltasar den leeren Teller von sich schob, rülpste, Kaffee per Nylon nachgoß, mit Slivovitz versetzte und die erloschene Frühzigarre wieder ankokelte.

»Und jetzt?« sagte sie schwach.

»Ah, na was? Genenger auf seiner Leichenhalde aufsuchen. Wenn’s da interessante Leichen gibt … Wann hatte ich die letzte interessante Leiche? Elend lange her.«

»Ich denke, wir wollen uns erholen.«

»Deine Anwesenheit entschädigt mich in einer Minute für einen Monat des Darbens, Madame. Gewissermaßen bin ich bereits erholt.«

»Irgendwie ist mir nicht nach Leichen zumute.« Sie öffnete die Augen und lächelte. »Selten. Außer wenn ich Tischrücken spiele oder professionell mit dem Jenseits telefoniere.«

»Sehr wohl, Frau Hexe. Muß aber heut früh nicht sein, oder?«

»Muß nicht, nein. Ich glaub, ich räum ein bißchen auf.«

Baltasar ging um das Bett herum und klaubte ein Buch vom Boden. »Hier. Wenn du dich zwischendurch amüsieren willst.«

Sie nahm den Band in die Hand, drehte ihn hin und her. »Morganatische Gesänge«, sagte sie halblaut; sie runzelte die Stirn. »Von Osiris K. Was ist das denn?«

»So was wie ein subversiver Heimatdichter. Hockt hier irgendwo in der Nähe. Hat mir Genenger mal geschickt, aber bisher war ich nicht dazu gekommen.«

Jorinde blätterte. »Sieht wie richtiges Bütten aus. Jesses.«

»Macht der wohl alles selber. Schöpft Papier, vergnügt sich mit Handsatz, bindet und marmoriert. Und dichtet. Mon dieu, und wie der dichtet!«

»Und was, bitte sehr, sind morganatische Gesänge?«

Matzbach grunzte. »Das war früher mal, wenn ein Fürz oder King oder Prinz ein Mädel nahm, und die Dame war nicht standesgemäß, so daß sie zwar in sein Bett durfte, aber nicht an seinen Privilegien teilhaben oder Thronrechte genießen, dann war das eine morganatische Ehe. Auch Ehe zur linken Hand oder linker Hand oder so. Lyrik linker Hand ist das wahrscheinlich. Aber verglichen mit dem, was sonst so an Gedichten gedrechselt wird, ist es nicht schlecht. Allein für die Zeile ›die Vögel hocken hustend im Geäst‹ hat er nen Preis verdient.«

»Ach, deine üblen Aufstehverse vorhin sind von dem?«

»Just so.« Er kratzte sich den Kopf. »Ich glaube, ich überlasse dich deiner Ordnungsliebe und geh Leichen kucken. Bis nachher, Fürstin des Morgendämmers.« Er schleuderte eine Kußhand nach ihr; Jorinde duckte sich.

*Vgl. Mörder & Marder

2. Kapitel

Auf leisen Sohlen, die Socken in der Tasche, die Schuhe in der Hand, drückte Matzbach sich durch das Tor der von Genenger als Sichtschutz angelegten Friedhofsmauer, mied den Kies und schlich Taxushecken entlang über den Grasrand. Der Drachenkopf der purpurnen Gondel, die Genengers Särge auf den Friedhof verschiffte, ragte über die schartige Zwischenmauer, weiter vorn. Matzbach pirschte näher.

Heinrich Genenger saß am Kopf des offenen Grabes und aß. Die Beine baumelten über dem Sarg. Es war ein schöner Behälter, liebevoll gefertigt aus schimmerndem Kirschbaum. Wider alle Wechselfälle hatte man ihn verriegelt und mit vergoldeten Beschlägen gesichert; ob er einen doppelten Boden und Netz hatte, konnte Matzbach von seiner Lauerposition aus nicht sehen. Die Oberfläche, einen halben Meter unter Genengers Halbstiefeln, war von kundiger Hand ausgeschnitzt worden; hierbei hatte der Künstler die Maserungen des Holzes als Anregung für verschlungene Ornamente genommen. Ein lädierter Regenwurm hangelte sich die Steilwand der Aushebung entlang. Genenger kaute auf einem Hühnerknochen und folgte dem Wurm mit den Augen, bis dieser Rand und Rettung erreichte. Er verschwand unter den Blumenbergen und Kranzstapeln.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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