Kein Freibier für Matzbach - Gisbert Haefs - E-Book

Kein Freibier für Matzbach E-Book

Gisbert Haefs

4,3

Beschreibung

Am Bonner Rheinufer liegt die "Spelunke", ein zum Restaurant umgebauter - aber noch schwimmfähiger - Rheindampfer. Ein Cheyenne als Oberkellner, ein Ashanti als Koch, ein Zwerg als Rausschmeißer, ein Chinese hinter der Bar: Felix Yü, Kampfsportler und Mitbesitzer des Lokals. Der andere Eigentümer ist Baltasar Matzbach, einem seiner angeblichen Freunde zufolge "Mischung aus Falstaff und Kater Garfield, als Hobbydetektiv auf die Menschheit losgelassen". In einer lauen Spätsommernacht liegt ein Geköpfter - Stammgast - vor der Gangway, seine Schwester bittet Matzbach um Hilfe, die Kripo und militante Vegetarier belagern die "Spelunke", die ein rabiater Spekulant unbedingt kaufen will, und zwischendurch muß Matzbach sich statt um seine neue Gespielin auch noch um einen toten Philosophieprofessor kümmern. Bis zum Salto Furioso des Finale Mortale bleiben ihm kaum Zeit für Wein und Zigarren, ohne die das Leben ohnehin nicht viel wert ist.

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Gisbert Haefs

Kein Freibier für Matzbach

Matzbach exklusiv bei KBV:

Acht Neuauflagen und zwei Neuerscheinungen

Mord am Millionenhügel

Und oben sitzt ein Rabe

Das Doppelgrab in der Provence

Mörder und Marder

Matzbachs Nabel

Kein Freibier für Matzbach

Schmusemord

Feuerwerk für Matzbach

Finaler Rettungskuss

Zwischenfälle

Gisbert Haefs, Jahrgang 1950, lebt und schreibt in Bonn; als Übersetzer/Herausgeber verantwortlich für Borges, Kipling, Brassens, Dylan u. a., als Autor haftbar für Erzählungen, historische Romane (Hannibal, Troja, Raja, Die Rache des Kaisers, Das Labyrinth von Ragusa u. a.) und Krimis (»Matzbach«).

Gisbert Haefs

Kein Freibierfür Matzbach

Die Originalausgabe erschien1996 als Goldmann-Krimi

© 2013 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheimwww.kbv-verlag.deE-Mail: [email protected]: 0 65 93 - 998 96-0Fax: 0 65 93 - 998 96-20Umschlagillustration: Ralf Krampunter Verwendung von: © akf · www.fotolia.deDruck: Aalexx Buchproduktion GmbH, GroßburgwedelPrinted in GermanyPrint-ISBN 978-3-942446-53-2E-Book-ISBN 978-3-95441-128-3

Der Abdruck der Auszüge aus Martin Heideggers Sein und Zeit erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Max Niemeyer Verlages, Tübingen.

Herzlichen Dank an Renate und Georg Cordts für die Überlassung von Leihpersonal – nach Ausbeutung unverstümmelt zurück.

Aus: Jakob Grunewald, Willkürliche Biogramme, 31991*

» ... wurde Baltasar Matzbach als ›Universaldilettant‹ bezeichnet, der sich in die Gefilde der Kriminalistik verirrt habe. Das Etikett ... beklebt einen, der von vielen Dingen zu viel weiß, um sie ernst zu nehmen, zu wenig, um von ihnen ernstgenommen zu werden, und genug, um Experten zu bluffen und Laien zu amüsieren. ... Ein Bekannter mutmaßte auch, B. M. leide (?) an Elephantiasis der Seele. Interessanter sind jedoch andere Aspekte, so z. B. Matzbachs verwegene Verfressenheit; wie zu Zeus Sein Donner und zu Jehovah Sein Zorn gehört zu Baltasar Sein Wanst. Immerhin kann er es sich seit vielen Jahren leisten, Hecht zu essen und zum folgenden Fleischgang einen Grand Cru zu trinken. Er wuchs nach dem Verscheiden seiner Eltern bei Verwandten auf und studierte später Philosophie und Atomphysik. Dabei erfand er etwas für ein Betatron, so kompliziert, daß er es selbst schon längst nicht mehr erklären kann, aber das Patent wird international verwendet und wirft einiges ab; anschließend wandte Matzbach sich der Musik zu und komponierte ein bißchen, darunter einen vollendet schwachsinnigen Schlager, der noch immer läuft und zwei- bis dreimal pro Jahr neu aufgenommen wird, und so schickt die GEMA ihm bisweilen einen freundlichen Scheck. Ein Hauptgewinn im Lotto sorgte 1962 dafür, daß Baltasar aus dem Gröbsten heraus war. Er investierte klug und ergab sich der sinnlosen Bildung, wobei er von den exakten zu den diffusen Gebieten überging; so stammt aus seiner Feder ein in Fachkreisen geschätztes Werk über Monotheistische Strömungen des inselkeltischen Druidentums.*Einige Jahre hielt er sich an der bretonischen Nordküste auf, bevor die touristische Völkerwanderung sie verwüstete, und weilte dort als Mäzen und Manager junger Künstler, Veruntreuer von frühen Touristinnen und Privatdozent gegen Okkultismus. Dabei verfaßte er zwei weitere Standardwerke: Schamanistische Einflüsse in die Analekten des Konfuzius*und Sexualpathologische Aspekte der Psychokinese.*Und tat zahllose weitere unsinnige Dinge, die ausnahmslos zu Gold wurden (er habe, behauptet er, in dieser Beziehung etwas durchaus Eselhaftes an sich). Jahrelang verdiente er sich ein regelmäßiges Zubrot mit seinem Kummerkasten Fragen Sie Frau Griseldis; außerdem droht irgendwann die Veröffentlichung seines geheimen Hauptwerks Der Leichnam in der Weltliteratur. (Die Mutmaßung, seine detektivischen Aktivitäten seien nur ein Vorwand dafür oder umgekehrt, ist nicht von der Hand zu weisen.) ...«

*Alle Titel erschienen im Verlag für Enzyklopädische Geisteswissenschaften (Edinburgh – Simla – Wachtendonk – Córdoba – Beaune).

1. Kapitel

Oft grub ich Tote aus und setzte sie vor ihrer Freunde Türen aufrecht hin.

WILLIAM SHAKESPEARE

Um halb vier morgens am Dienstag, 6. September 1994, verließ Baltasar Matzbach den umgebauten Rheindampfer Spelunke. Er schloß die doppelte Schiebetür nicht ab; das würde Felix Yü tun, der an Bord hauste und irgendwann schlafen gehen wollte.

Dank milder Nachtbrise stank der Fluß kaum. Wasseranteil und Flüssigkeitsstand waren niedrig; der Anleger hing weit unten in den Befestigungsschienen. Auf der steilen Treppe zur Uferpromenade lag etwas.

Es sah plump und unvollständig aus, aber eher drapiert und arrangiert denn hingeworfen. Sternklare Nacht und Uferlaternen gaben genug Licht; Matzbach kniete am Fuß der Treppe nieder und betrachtete den Gegenstand.

Es war ein kopfloser Leichnam, nackt, relativ männlich, in der Brust ein fransiges Loch; die verdrehten Hände hielten über dem Nabel einen dunklen Klumpen. Wie eine Büste stand der Kopf ein paar Stufen oberhalb. Die abgeschnittenen Genitalien hingen aus dem Mund.

»Das ist Albo«, murmelte Matzbach. »Dem wird doch nichts passiert sein?«

Ein Hauch wie Zimt und Geißblatt kam vom Ufer und überdeckte den salzigen Geruch von Fleisch und Blut. Matzbach blieb auf den Knien, musterte den Verstümmelten, die Treppe, das Geländer am Ufer; dann schloß er die Augen und sortierte seine Erinnerungen.

Der Mann hatte die vertäute Kneipe gegen elf Uhr verlassen, allein und fast nüchtern. Es mochten zehn oder zwölf Gäste dageblieben sein – flauer Montag. Der Bauunternehmer und Investor Erler hatte wieder ein Angebot gemacht, höher als die bisherigen: nicht mehr ein Drittel, sondern neunundvierzig Prozent der Spelunke, und Matzbach hatte wie üblich abgelehnt; der Chinese und der Aschanti hatten den besoffenen Zaches auf den Billardtisch gebettet; die Kellnerin Lucy hatte eine Flasche Pommery fallen lassen. Lucy und Tshato waren gegen zwölf gegangen; gegen halb zwei hatte Matzbach die letzten Gäste an Land eskortiert – Erler plus zwei Leute und ein älteres Paar. Auf der Uferstraße hatten zwei bestellte Taxis gewartet, deren Dieselgrollen von der Backsteinmauer unterhalb der Uni-Bibliothek prallte und hallte. Matzbach erinnerte sich an zwei streunende Hunde, die rheinaufwärts – Richtung Bundestag – Uferbäume benetzten; aus einem nahen Geäst war ein zeternder Vogel zu einer Laterne geflattert: kein Käuzchen. Nach Abschließen des Geländertors war Matzbach zurück an Bord gegangen, hatte mit Yü aufgeräumt, Kasse gemacht, längliche Gin-Tonics getrunken und zwei Partien Schach gegen den Chinesen verloren.

Die Nacht war still und warm; in der Ferne knurrten einzelne Autos. Matzbach blieb auf den Knien, hielt die Augen geschlossen und versuchte, sich weiter zurück zu erinnern. Er wußte wenig über den Toten, zu wenig, um Spekulationen über Feindschaften anstellen zu können; daß man die Leiche ausgerechnet vor der Spelunke deponiert hatte, wirkte jedoch wie eine dunkle Drohung – wer hatte etwas gegen Albo, wer gegen die Spelunke, wer womöglich gegen beide? Oder gegen Einzelpersonen an Bord des Schiffs?

Nomey Tshato, Aschanti, angeblich Fürstensohn, Schiffskoch mit britischem Paß und Abneigung gegen Seßhaftigkeit, seit fünf Jahren in Deutschland; er hatte in etlichen Toprestaurants gearbeitet, erstklassige Referenzen, konnte woanders erheblich mehr verdienen, kochte aber seit einem halben Jahr für 3000,- pro Monat in der Spelunke seine wahnsinnigen Menüs – angeblich, weil er lieber auf einem Schiff seiner kulinarischen Phantasie gehorchen als an Land Cuisine nach Vorschrift betreiben mochte. Ach ja, und er lag in Lucys Schwimmdock zur Überholung seines Bugspriets, wie er sagte; die Kellnerin, 35, geboren und verwurzelt in Bonn, hatte ihn eines Tages angeschleppt und war sicher der Hauptgrund für Tshatos Verweilen. Gab es da düstere Vorgeschichten?

Don Red Horse, Cheyenne, Kellner und Barmann, vorher Kunstreiter und Dompteur in einem Zirkus, der pleite gegangen war; davor GI in Deutschland, bei einer Pionierabteilung; er fuhr einen rostigen Pick-up, hauste in einer Bruchbude in Dransdorf, nahm gelegentlich eine Nase voll Koks und gab einen perfekten Chefbutler oder Majordomus ab. Über sein Seelenleben, seine erotischen Vorlieben, überhaupt seine Geschichte wußte niemand etwas.

Oder Zaches? Der Zwerg – die Beine waren zu klein, alles andere normal und folglich im Verhältnis zu groß – behauptete, moldawischer Halbzigeuner zu sein und nach Jahren der Arbeit als Bodyguard und unterschätzter Rausschmeißer in einem Frankfurter Puff nun nach Australien zu wollen, aber zunächst noch zu Fuß durch Mitteleuropa; er war vor zwei Wochen aufgetaucht, nachts, neben Matzbach auf einen Barhocker geklettert und hatte sich nach irgendeinem Job erkundigt – Tellerwäscher, Rausschmeißer, Hilfskellner, Putzfrau, Mechaniker? Er hatte sogar einen Bootsführerschein. Matzbach war abgelenkt gewesen, als Zaches zu fragen begann – abgelenkt von einer anderen Frage eines anderen späten Besuchers, Vertreters der rheinischen Subkultur, der eben Mutmaßungen darüber anstellte, wieviel monatliche Schutzgebühr wohl der ungestörte Betrieb der Spelunke den Besitzern wert sein mochte. Matzbach hatte geseufzt und ihm das Spielzeug, ein Schnappmesser, aus der Hand geschlagen, und Zaches hatte den Mann scheinbar mühelos hochgehoben und gesagt: »Also, nen Rausschmeißer brauchste nicht, Chef, aber vielleicht nen Handtuchhalter – falls du dir noch mal die Hände an ihm abwischen willst?« Seitdem hauste Zaches in einer der Kabinen des unteren Decks, half bei allem, was anfiel, verschleppte mindestens jeden zweiten Abend eine andere hungrige Dame in seine Kajüte – »es ist das Große am Kleinen, sonst nix, Chef« – und besoff sich anschließend.

Schutzgebühr? Matzbach dachte an einen anderen Fall, fünf Tage her. Diesmal war es ein Chinese gewesen, der sich gleich an Yü wandte und sehr freundlich lächelnd etwas sehr Freundliches, sehr Chinesisches sagte; und Felix Yü hatte einen entrückten, nahezu konfuzianisch-meditativen Gesichtsausdruck bekommen, sich plötzlich wie ein Panther um den Tresen herum bewegt (ohne daß einzelne Bewegungen zu sehen gewesen wären) und dem fernöstlichen Besucher sehr schnell drei Finger und den Unterarm gebrochen. Dann hatte er sich verneigt, und der andere war mit einer etwas übertriebenen Verbeugung verschwunden.

Sie wußten – alle wußten –, daß mehr als die Hälfte aller gastronomischen Betriebe aller Großstädte Schutzgelder zahlt; aber als Matzbach vor dem verstümmelten Leichnam kniete und nach eingehender Gewissenserforschung die Augen wieder öffnete, hielt er es doch für abwegig, in dieser nächtlichen Lieferung eine Art Zahlungsaufforderung zu sehen.

Er stand auf, sah sich noch einmal gründlich um und ging über den Anleger zurück; irgendwie kam es ihm vor, als ob die fetten Wellen am Schiffsrumpf schmatzten.

Yü lehnte am Tresen, auf den rechten Ellenbogen gestützt, und schien in dieser Haltung bis zum Sonnenaufgang über die Probleme der Doppelhelix oder der tibetischen Grammatik nachdenken zu wollen. Oder beides.

»Du mußt dein Herz weit machen«, sagte Matzbach.

Yü seufzte.

»Ziehst du längeres Aufbleiben vor oder frühes Wecken?«

»Gegen wen?«

Matzbach wies mit dem Daumen hinter sich. »Regloser Besuch.«

Yü rieb den Ellenbogen und verschwand im Niedergang. Matzbach goß je drei Fingerbreit Cardhu in zwei Gläser und befreite eine Davidoff vom Cellophan. Als Yü zurückkehrte, hatte sein Gang etwas Katzenhaftes, und in den dunklen Augen glomm es.

»Es gibt ein Ding zwischen den Mundwinkeln, das ist: das Durchbeißen«, sagte Matzbach.

Yü nahm das zweite Glas und rieb den Rücken an der Tresenkante. »Er hat den Mund voll von seiner Lieblingsbeschäftigung, beißt aber nicht mehr. Ihm ist die Festigkeit der Backenknochen abhanden gekommen.« Nach einem Schluck setzte er hinzu: »Kaum Blut; das ist woanders passiert.«

»Womit wir bei der Frage wären: was tun?«

Yü blickte wie zerstreut zum Billardtisch hinüber, auf dem Zaches der Zwerg schlief und röchelte. »Weißt du irgendwas?«

Matzbach blies einen Rauchkringel. »Null. Du?«

»Nichts von Bedeutung. Wann ist er weg?«

»Gegen elf.«

Yü klackte mit der Zunge. »Wir ahnungslosen Knaben ... Rufst du an? Ich mach Kaffee.«

Ein Schwarm fragseliger Heuschrecken in Grün und in Zivil befiel das Rheinufer und die Spelunke, die Matzbach und Yü nach dem katastrophalen Ende ihres Abenteuers an der Ahr* mit einem Teil der blutigen Beute respektive des Erbes sowie mit Zuschüssen zweier Banken gekauft und umgebaut hatten. Matzbach registrierte, daß Yüs Panthergang wieder ins Menschliche verfiel. Offenbar erstickte das Polizeiaufgebot den Funken Jagdinstinkt, angefacht von Albos Aushauchen; andererseits hatte der 32jährige Chinese Erfahrungen als Kellner, Koch, Leibwächter, Kampfsportlehrer, Hilfsschreiner, Hobbywinzer – vielleicht wechselte er einfach zum gerade erforderlichen Aspekt seiner Persönlichkeit. Oder ihm war sein deutscher Paß eingefallen, was jeden Panther hemmen muß.

Gegen sieben, ehe der dicke Morgenverkehr begann, verschwanden der Tote, die Leute von der Spurensicherung und der Mediziner, mit dem Hauptkommissar Walter Freiberg noch ein paar Worte wechselte, ehe er Matzbach wieder in die Spelunke folgte. Unter der Bräune (»Engadin – aber rein beruflich«) fräste der Schlafmangel tiefe Spuren in die Haut. Am Fuß der Doppeltreppe zum Kneipendeck blieb Freiberg stehen, betrachtete wie zum ersten Mal die Hinweisschilder – VIPs/Toilette nach links oben, Menschen/Klo nach rechts –, rieb sich die Augen und murmelte etwas wie »verrückte Bastarde«. Er stieg die Treppe hinauf; dabei klopfte er mit zusammengerollten Papieren an seinen Oberschenkel. Oben steckte er die Rolle in die Jacke, schaute mit schmalen Augen zum Zwerg, der immer noch auf dem Pooltisch schnarchte, und kletterte ächzend auf einen Hocker am Tresen.

Aus dem Kombüsendurchgang erschien Yü mit einem Krug. »Frischer O-Saft.«

»Gut für sauren Magen und Gemüt.« Matzbach hockte sich links neben Freiberg und deutete auf das Whiskyglas; Yü schob ihm die Flasche Cardhu hin.

»Trotzdem danke.« Freiberg goß selbst Saft ein, trank und ächzte noch einmal; in dem Geräusch lag eine gewisse Feierlichkeit, etwas vorläufig Endgültiges. »Schläft der da immer so fest?« Er deutete auf Zaches, den man vergeblich zu vernehmen versucht hatte.

»Fast. Was sagt euer Pathologe?« Matzbach kaute auf einer erloschenen Zigarre.

»Er ist begeistert.« Freiberg gluckste. »Das wäre die widerlichste Sache, die er seit langem gesehen hat, sagt er.«

Die »Technik« hatte nichts Wesentliches gefunden, nur eine Million nutzloser Fingerabdrücke an Geländer und Törchen. Nirgends in weitem Umkreis Blut oder Schleifspuren, auch keine herrenlose, besudelte Schubkarre oder derlei. Die diversen Scheußlichkeiten mußten woanders durchgeführt worden sein; vermutlich hatte man Rumpf und Kopf nach Verschneiden und Schächten mit einem Auto hergebracht und über das Tor gekippt.

Freiberg nippte an seinem Saft; dann gähnte er und rieb sich die Augen. »Tja, also – kurz und schmerzlos ...«

»Mistah Kurtz he dead«, sagte Matzbach. »Und schmerzlos war das bestimmt nicht.«

Der Hauptkommissar verzog das Gesicht. »Deswegen ist der Kollege ja so begeistert. Auf die genaue Reihenfolge will er sich nicht festlegen, glaubt aber, daß die – wer auch immer – nicht mit dem Kopf angefangen haben.«

»Gah«, sagte Matzbach.

Yü lächelte beinahe entrückt. »Wer sein Herz einmal verloren hat, sollte es danach nie wieder aus der Hand geben. Kung-tse.«

Freiberg schüttelte den Kopf. »Nun mal ernsthaft, Jungs. Den offiziellen Teil habt ihr anständig absolviert. Jetzt sind wir unter uns. Was wißt ihr wirklich? Und ... bah, wieso muß ausgerechnet ich das hier machen?«

Matzbach grinste. »War ich dir doch schuldig, Freibier. Ich hab die Sache gemeldet und darum gebeten, daß auf keinen Fall HaKa Freiberg kommen soll, wegen alter Differenzen. Persönliche Inkompatibilität. Erschien mir als sicherste Methode, dich schnell aus dem Bett zu zerren.«

»Ich werd mich demnächst revanchieren. Also, komm, raus damit – was weißt du über diesen Albo Schmidt? Blöder Vorname, übrigens.«

»Rufname«, sagte Yü. Er stand noch immer hinter dem Tresen, einen Unterarm auf die Zapfhähne gelegt. »Kriegsname, sozusagen.«

»Wie heißt er richtig?«

Matzbach kicherte. »Du wirst es nicht mögen. Seine Eltern hatten einen Hang zu jenen germanischen Namen, die Hitler und Co nicht mißbraucht haben.«

»Spuck’s schon aus.«

»Alberich.«

»Alberich Schmidt? Mein Gott, wie albern.« Freiberg zog die Papiere aus der Tasche, nahm den von Yü dargebotenen Kuli und kritzelte. »Kennt ihr ihn gut?«

»Nur flüchtig. Seit wir die Kneipe hier aufgemacht haben, ist er häufig dagewesen. Trinkt Köstritzer Schwarzbier. Ißt Käsehäppchen und Gemüseaufläufe und so was. Verschwindet meistens vor Mitternacht – die haben im Bauministerium bestimmt Gleitzeit, aber vielleicht gleitet er gern früh. Oder hat später nachts noch was Glitschiges vor.«

Freiberg legte die Papiere auf den Tresen und steckte den Kuli in die Brusttasche. Yü beugte sich vor und zog ihn heraus.

»Was? Ach so, Firmeneigentum. Also, Schmidt war hier von neun bis elf, ungefähr, ist gegangen, und dann hast du ihn gegen halb vier gefunden. Mehr nicht?«

»Mir reicht das völlig«, sagte Matzbach.

Freiberg gähnte schon wieder. »Scheißzeit ... Hat er exotische Kontakte?«

»Bitte?« Yü hob die Brauen.

»Er kennt mindestens einen Chinesen«, sagte Matzbach. »Und massenhaft exotische Beamte im Ministerium. Wieso?«

»Ach, ich meine, wer schneidet denn das Ding ab und steckt es ihm in den Mund? Im Rheinland unüblich.«

Baltasar wackelte mit dem Kopf. »Vorsicht. Sagen wir, diese hübsche alte Gepflogenheit harrt im Rheinland noch ihrer Wiedereinführung.«

Freiberg seufzte. »Hat er vielleicht – ach, was weiß ich denn, eine Botokudin geschändet und ist jetzt von den Angehörigen bestraft worden?«

Matzbach zog die Mundwinkel herab, als müsse er sich tiefer Zweifel erwehren. »Kaum. Die botokudische Population hierorts ist allenfalls karg. Und Albo hat sich zwar nie geoutet, ich bin aber sicher, daß er schwul war.«

»Hm. Wie wär’s mit einem Fememord im schwulen Milieu?«

Yü runzelte die Stirn. »Ihr müßt sehr müde sein, Herr, wenn Ihr derart phantasiert.«

»Bin ich. Also, ihr habt wirklich keine Ahnung? Kommt, Jungs, tut mir doch den Gefallen. Gebt schon zu, daß ihr ihn da hingelegt habt, um Kunden abzuschrecken. Aus Faulheit. Ihr kriegt gemütliche Zellen, mildernde Umschläge, Kooperation mit den Behörden, alles was ihr wollt.«

Matzbach holte ein Wegwerffeuerzeug aus der Tasche seines Piquéhemds und zündete die antike Zigarre wieder an. »Du bist doch bloß zu faul, jetzt das ganze Bauministerium zu befragen, oder?«

»Grauenhafte Vorstellung.«

»Du kannst ja deinen wölfischen Assistenten damit betrauen. Und hör dich mal im Milieu um.«

Freiberg stützte die Ellenbogen auf den Tresen, faltete die Hände, legte das Kinn darauf und blinzelte. »Irgendwie ...« Er hüstelte. »Die Sache hat ja zwei Aspekte.« Er richtete sich wieder auf, ließ die Arme baumeln und musterte zuerst Yü, dann Matzbach.

»Erklärt Euch, Herr«, sagte der Chinese.

»Von mir aus können wir uns ruhig duzen.«

Yü deutete eine Verneigung an, sagte aber nichts. Matzbach und der Hauptkommissar kannten einander seit langem; in einer Kleinstadt wie Bonn ist es nicht zu vermeiden, daß Personen mit Hang zu Personen mit krimineller Energie früher oder später kollidieren. Seit sie die Kneipe aufgemacht hatten, war Freiberg einige Male dagewesen – meistens, um auf seine promovierte Konkubine zu warten, die geheimnisvolle Dinge in der nahen UB trieb.

»Für einen Chinesen ist ›Ihr‹ und ›Herr‹ schon ziemlich vertraulich«, sagte Matzbach. »Du solltest ihn nicht drängeln.«

Freiberg legte eine Faust auf den Tresen. »Bah. Also – zwei Aspekte, wie gesagt. Jemand hat Schmidt gemetzelt – wer, wo, wann, warum? Und: Wieso hat man die Leiche auf eurem Anleger deponiert? Es liegt nahe, eine Verbindung zwischen den Dingen zu vermuten, oder?«

Matzbach grinste. »Es wird sich als Fraktal herausstellen, Junge. Eine der berühmten akausalen Verbindungen, denen du nicht einmal mit transfiniter Beweisführung gerecht werden kannst.«

»Ach hör doch auf mit deinem Gesabber.« Freiberg betrachtete Yüs ausdrucksloses Gesicht. »Von Ihnen – von dir weiß ich wenig. Schwatzbach würde nur jemand umnieten, wenn es sich irgendwie lohnt oder nicht vermeiden läßt. Ihr habt bestimmt Schulden gemacht, um das Ding hier zu finanzieren. War Schmidt reich und hat euch ins Testament gesetzt?«

»O Mann.« Yü holte tief Luft und zeigte die Schneidezähne. »Ich verwende die Seidenschnur oder die blanke Hand. So eine Sauerei würde ich nie anrichten, schon gar nicht auf der eigenen Türschwelle. Und abgesehen von den üblichen Unersprießlichkeiten weiß ich nichts von bösen Menschen mit bösen Vorfahren.«

»Was für Unersprießlichkeiten?«

»Ach, Schutzgeldforderungen und derlei.«

Freiberg nickte. »Trübe Sache, greift immer weiter um sich. Habt ihr da Probleme?«

Yü hob die Schultern. »Immer mal wieder. Letzte Woche hab ich einen rausgeworfen, der kassieren wollte.«

»Und?«

»Nix und.«

Matzbach blies eine lange Rauchschlange zwischen Freiberg und Yü. »Yü hat ihm den rechten Unterarm gebrochen. Und gesagt, wenn er wiederkäme, würde er mit dem linken weitermachen. Bis jetzt hatten wir Ruhe. Ich fürchte, du wirst die ganze Routine fahren müssen, Freibier. Vielleicht weiß seine Schwester ja was – die von Albo.«

»Schwester? Aha. Ist die auch schwul?«

Yü breitete die Arme aus. »Eine Frage der Definition.«

Freiberg zwinkerte. »Inwiefern?«

»Zwei Leute machen’s nur mit Männern«, sagte Matzbach. »Der eine ist schwul; was ist die andere? Konfuzius hat das in einem Aufsatz über amorphe Logik mal als ›einseitiges Dilemma‹ bezeichnet.«

»Für Konfuzius bin ich zuständig«, sagte Yü.

»Ihr könnt mich mal«, sagte Freiberg; knurrend glitt er vom Hocker.

»Aber nicht sofort, oder?« Matzbach nahm die Zigarre aus dem Mund, betrachtete das feuchte Ende und schüttelte den Kopf. »Nein, jetzt nicht.«

»Wo wohnt die Schwester, und wie heißt sie?«

Yü schob die Unterlippe vor. »Wir haben hier leider nur uninteressante Adressen. Sie steht aber bestimmt im Telefonbuch, unter Schmidt.«

»Schön, das sind höchstens sechs Seiten. Alt, jung, geschieden? Und, bittebitte, hat sie vielleicht einen Vornamen?«

Matzbach kicherte. »Verwitwet. Ihr Mann ist mal zu schnell gefahren. Und der Vorname wird dir nicht gefallen.«

»Moment. Wieso heißt sie Schmidt, von wegen verheiratet und verwitwet? Kein Doppelname?«

Yü starrte an die weißgestrichene Decke und bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. »Sie hieß Schmidt, hat einen Mann namens Schmidt geheiratet, auf den Doppelnamen verzichtet und nach Eintritt der Witwenschaft ihren Mädchennamen wieder angenommen.«

Freiberg schloß die Augen. »Vorname.«

»Tja«, sagte Matzbach. »Noch so was Germanisches.«

Der Hauptkommissar öffnete die müden Augen. »Und zwar?«

»Rapunzel. Rapunzel Schmidt.«

Freiberg kratzte sich den Kopf.

»Ich glaube«, sagte Yü, »Feldsalat mag sie nicht.«

»Irgendwie«, sagte Freiberg finster, »fühl ich mich hier ein bißchen verarscht. Wir sprechen uns noch.« Er ging zur Treppe.

Das Schweigen dauerte so lange, wie Yü zum Kaffeekochen brauchte. Matzbach sah sich im Kneipenteil des umgebauten Dampfers um, als ob er sich von den Holztischen, den Stühlen, dem belegten Pooltisch und überhaupt allem einzeln verabschieden müßte.

»Gewissenserforschung?« Yü stellte das Tablett mit Thermoskanne, zwei Bechern, braunem Zucker und echter Sahne auf den Tresen.

»Wieviel schulden wir den Banken?«

»Typisch Abendländer. Ich frag nach Gewissen, er denkt an Geld.« Yü grinste; dann gähnte er und machte eine Art Kniebeuge.

»Du hast dein Morgengrauen-Kung-fu ausfallen lassen; Freibier hätte den Anblick bestimmt genossen. Erler hat fünfhundert Kilo für neunundvierzig Prozent angeboten. Fünfzig mehr als zuletzt.«

Yü kam um den Tresen herum, setzte sich auf den vom Hauptkommissar vorgewärmten Hocker und goß beide Becher voll. »Freiberg hätte gelacht«, sagte er halblaut; »ich hol das Turnen später nach. Die Banken kriegen noch an die eins Komma eins von uns; ich will Erler nicht als Teilhaber; und was ist mit deinem Gewissen?«

Matzbach winkte ab. »Reden wir nicht von hypothetischen Dingen oder phantastischen Wesenheiten. Fällt dir irgendwas ein? Mafia, Triaden?«

Yü zupfte sein rechtes Ohrläppchen. »Nichts, außer der letzten Schutzgeldaffäre. Wegen des Arms würden die uns aber keinen zerschlitzten Albo vor die Tür legen, oder? Und auch noch, ohne was zu sagen.«

Matzbach hielt sich mit beiden Händen am Becher fest. »Kaum. Alte Freunde? Alte Feinde?« Er tat Sahne und Zucker hinein und rührte laut. Zaches setzte sich auf, blinzelte, ächzte, ließ sich zurücksinken und schlief Sekunden später wieder.

Yü schüttelte den Kopf.

»Na gut. Also umhören. Und abwarten, was die Jungs von der Kripo rauskriegen?«

Yü spitzte den Mund. »Solange das Mandat des Himmels nicht erloschen ist, haben alle Organe des Drachenthrons Anspruch auf Loyalität. Sagt Meng-tse.«

»Laß mich mit den Körperteilen des Kanzlers in Ruhe. Drachenthron, pah.« Matzbach rutschte vom Hocker; im Stehen leerte er seinen Becher. »Wie üblich um sechs, oder was Besonderes?«

Yü kniff die Augen zusammen. »Nichts – außer umhören. Und sieh dich vor.«

Matzbach klopfte ihm auf die Schulter. »Ich bin ja bald unter Menschen, sofern das in Bonn der Rede wert ist. Du dagegen, alter glückhafter Herr Yü, hausest hier allein auf der Dschunke. Besorgnisse?«

Yü deutete auf den Poolschläfer. »Erstens bin ich nicht allein. Zweitens überlaß ich das Besorgen dem Koch; der hat den Einkaufszettel.«

*Vgl. Matzbachs Nabel

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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