Mauro - Anne C. Schreyer - E-Book

Mauro E-Book

Anne C. Schreyer

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Beschreibung

Das Buch beschreibt das erwachsen werden des vierzehn Lenze zählenden Mauro, zu Beginn der Renaissance. Der Junge hat in Florenz ein Stück Brot gestohlen und wird von Mönchen in die Kindermiliz des fanatischen Girolamo Savonarola, Prior von San Marco gepresst. Mauro lernt zu lügen, zu betrügen und zu stehlen. Die gleichaltrige Lucia, erweckt seinen Beschützer Instinkt. Beide werden Zeugen von schweren Verbrechen und müssen fliehen; wobei das Mädchen von einer Räuber Horde entführt und missbraucht wird. Die zahlreichen und teils lebensgefährlichen Abenteuer, stärken nicht nur ihren Charakter und Zusammenhalt; sie bringen auch die Beiden für das Leben zusammen.

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Seitenzahl: 386

Veröffentlichungsjahr: 2017

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FÜR ROCCO

Danke für deine Liebe, Geduld und Verständnis.

und

FÜR MIDIAN

...geh und lebe!

INHALTSVERZEICHNIS

MAURO

UNRUHIGES FLORENZ

DER AUFTRAG

SCHLECHTE ZEITEN

FABIANA DIE ROTE

DIE 'ENGEL'

GUIDO

PRIOR GIROLAMO

DER 'OBERENGEL'

DIE WITWE NUNZIATA

DIE SPIELER

DER VERRAT

DER VERDACHT

ANKLAGE UND STRAFE

DAS GROSSE BRENNEN

SAVONAROLAS CARNEVALE

SANTA CROCE

OHNE HOFFNUNG

DAS WIEDERSEHEN

DIE GEBURT

KAPRIOLEN

DIE RACHE

IN SAN MARCO

LANDLUFT

DER AUSBRUCH

DIE FEUERPROBE

DIE HINRICHTUNG

MAURO...GEH UND LEBE

GEFÄHRLICHE SUCHE

BANDITEN

DER SPURENSUCHER

DIE BEFREIUNG

GINONNA

SCHWANGER

DORFGRÜNDUNG

WINTER IM APENNIN

ENDLICH FRÜHLING

EIN NEUES JAHRHUNDERT

ANKUNFT UND WIEDERSEHEN

GESTÄNDNISSE

ENDLICH VEREINT

NACHWORT

MAURO

Es begab sich in der Toskana, genauer gesagt im Florenz des Jahres 1496, als mit harter Hand massiv gegen die alte Pforte des Hauses geschlagen wurde. In dessen Inneren begann der feuchte Verputz von den Wänden zu rieseln.

„Öffnet! Im Namen Gottes und der Stadt Florenz!“

Die verhärmte Frau die trotz der Kälte schwitzend am offenen Herdfeuer stand und in einem rußgeschwärzten Kessel eine undefinierbare Brühe rührte, fuhr erschrocken zusammen und blickte angstvoll zur Türe. Sie trocknete ihre abgearbeiteten Hände an einem mehrfach geflickten, aber sauberen Kleid ab, und wischte sich eine vorwitzige Haarsträhne, welche sich aus der Haube gestohlen hatte, aus der Stirne und schaute fragend zu ihrem Sohn. Dieser saß, unsicher zum Eingang blickend, an dem aus rohen Brettern zusammengezimmerten Tisch und kaute an einem angeschimmelten harten Brotkanten. Bittend warf er einen verzweifelten Blick zur Mutter.

Der einzige Raum des Gemäuers war kalt und klamm. Der Schimmel kroch raumgreifend an den Wänden empor und auf dem notdürftig mit Brettern bedeckten Lehmboden huschten Ratten umher, die ebenso abgemagert waren, wie der vierzehn Lenze zählende Junge, der nun schuldbewusst auf den, vom langen Regen aufgeweichten Lehmboden starrte.

„Öffnet, oder wir schlagen das Tor ein!“

Verzweifelt blickte Mutter Adriana zu dem einzigen mit Pergament bespannten Fenster des Raumes, vor dem sich aber bereits dunkle Schatten bewegten. “Mauro mein Sohn, du kannst nicht mehr fliehen, ich muss die Pforte öffnen. Verflucht seien alle Büttel!“

Wieder donnerte eine harte Männerfaust ungeduldig gegen die Türe, welche jetzt bereits gefährlich in den Angeln knarrte und ächzte.

“Meine Geduld ist am Ende! Öffnet die verdammte Türe Gevatterin Gelsino oder wir nehmen Euch verdammtes Lumpen Weib ebenfalls mit!“

„Mutter, ich bitte dich von ganzem Herzen... tu es nicht! Sie werden mich nach San Marco bringen; zu den 'Engeln' des Prior Savonarola. Ich will das nicht! Der Prior macht mir entsetzliche Angst!“

Das Eingangstor knackte laut und das Holzmehl der Wurmlöcher staubte zu Boden, als erneut dagegen geschlagen und getreten wurde. Waffen und Ketten klirrten bedrohlich.

„Es regnet wie aus Fässern..., verdammt seid Ihr Gevatterin! Wir werden wegen Eures Bengels nass bis auf die Knochen. Büttel! Schlagt die verfluchte Türe ein und fackelt anschließend das marode Gemäuer ab! Sollen Mutter und Sohn doch mit verbrennen, die Hauptsache ist doch, wir werden wieder warm.“

„Wartet! Gnade ihr Herren, ich öffne ja.“ Weinend und sich an der feuchten Wand abstützend humpelte Adriana zur Tür, schob den schweren eisernen Riegel zur Seite und hielt einen Moment inne. Der Frau schossen in diesem Augenblick Bilder, bezüglich der Verhaftung ihres Ehemannes durch den Kopf. Fast auf den Tag genau zwei Jahre war es nun her, dass ihr geliebter Ignazio denunziert und verhaftet wurde. Die Anklage lautete auf Gotteslästerung und Schändung seiner damals elfjährigen Tochter Giuliana. Dabei hatte ein – wie sie damals geglaubt hatten - guter und gottesfürchtiger Nachbar, aus Neid und Eifersucht auf den Erfolg des Stadtschreibers Ignazio, das kleine Mädchen mehrfach missbraucht, beinahe umgebracht und dann achtlos in ein Gebüsch geworfen. Das Kind war so verstört und eingeschüchtert gewesen, dass es nicht zu Gunsten des Vaters aussagen konnte und die, in den Prozess involvierten Nonnen, verbrachten sie umgehend in ein Kloster weit außerhalb von Florenz. Der Vater wurde im Beisein der Dominikaner, von den Bütteln so lange gefoltert, bis er gestand was er doch gar nicht getan hatte. Er wurde von den weltlichen Richtern wegen Unzucht, Gotteslästerung und Häresie verurteilt und zu Tode gebracht, in dem man ihm die Knochen zerschlug und ihn anschließend auf das Rad flocht. Da man sie als Ehefrau zwang, bei der Hinrichtung anwesend zu sein, gellten ihr noch immer seine Schmerzensschreie in den Ohren und ließen sie nächtens aus Alpträumen aufschrecken.

Auch sie selbst wurde unter dem Vorwand, sie hätte alles wissen müssen und wäre vermutlich auch daran beteiligt gewesen gefoltert. Aus diesem Grund wurde ihr das rechte Bein mehrfach gebrochen, weshalb sie keine langen Strecken gehen konnte und auf die ständige Hilfe von Mauro angewiesen war.

Der Besitz der Familie: das Haus im Stadt Kern, der Landbesitz und die gesparten Florine (Goldmünzen) wurden beschlagnahmt und dem Orden der Dominikaner, bzw. dem Kloster von San Marco zugeführt. Mutter und Sohn zogen zwangsweise in ein marodes windschiefes Gemäuer, im verrufenen Armenviertel des doch so reichen Stadtstaates Florenz und sie hielten sich, mehr schlecht als recht, mit Hilfsarbeiten am Leben.

„Himmeldonnerwetter!Öffnet endlich!“

Adriana zuckte zusammen, schüttelte den Kopf um die Bilder der Vergangenheit zu verscheuchen und öffnete das Tor.

Vor ihr standen die unförmigen Gestalten der beiden, mit langen braunen Lederwesten gewandeten Büttel Enzo Fabiani und Adriano Brunese. Der Regen tropfte von ihren, mit groben Stichen genähten Lederkappen und das lange fettige Haar klebte strähnig an den hageren und stoppeligen Wangen. Die fleckigen Beinlinge starrten vor Schmutz und die hohen speckigen Stulpenstiefel steckten bis über die Knöchel, in aufgeweichten Morast und Unrat. In den schmutzigen Händen hielten sie schwere Ketten, mit welchen sie nun drohend rasselten.

Hinter den Bütteln stand ein triefend nasser Mönch, in der mit Schlamm bespritzten schwarzweißen Kutte der Dominikaner und machte ein finster böses Gesicht.

„Ich bin Frate Matteo. Ich wurde geschickt um Euren Sohn wegen des Diebstahls eines Brotes festzusetzen.“ Mit einer herrischen Geste stieß er die arme Frau so grob zur Seite, dass sie auf die alten Bretter fiel, die den aufgeweichten Lehmboden bedeckten. Achtlos an der Frau vorbei gehend, betrat er mit angewiderten Gesichtsausdruck, den düsteren Raum.

„Wo befindet sich Euer gemeingefährlicher und nichtsnutziger Balg Gevatterin Gelsino? Wer weiß schon, was er außer dem Brot noch gestohlen hat. Er wird nun in Ketten gelegt und festgesetzt.“ Sich umsehend rief der Mönch in den Raum: “Komm aus deinem Versteck du Galgenstrick! Noch hast du ja Glück.., denn wegen deines Vaters bleibst du von einer Hinrichtung verschont.“

Suchend und vor sich hin brummelnd, blickte der Mönch sich um. Viele Möglichkeiten um sich zu verbergen gab es ja nicht. Die Feuerstelle, ein zusammengefallener gemauerter Herd, zwei schmucklose morsche Holztruhen für die Kleidung, ein schiefes Regal für die Küchenutensilien und ein Brettergestell mit zwei, vor sich hin modernden Strohsäcken, in welchen sich selbst die Flöhe und Wanzen nicht mehr wohlfühlten.

„Bei allen Heiligen..., was für ein Verhau.“

Der Mönch bemerkte eine kurze, schnelle Bewegung. Rasch wand er sich um, zog in der Bewegung ein altes Schwert aus seinem Habit hervor und hieb mit der Breitseite der scharfen Waffe auf den wackligen Tisch. Erneut hob er die Waffe, doch ein Aufschrei Adrianas, ließ den Kirchenmann inne halten. Sich zu ihr umwendend, blickte er die arme Frau fragend an.

“Weib..., habt Ihr mir etwas zu sagen?“

„Es war doch nur ein alter schimmeliger Brotkanten, der ohnehin nur dem Federvieh, als Futter hingeworfen worden war!Ich bitte Euch, im Namen aller Heiligen um Gnade, denn der Junge ist alles was mir von meinem Leben geblieben ist. Gnade..., um Jesu Christi willen, Gnade für mein Kind!“ Schluchzend und mit einem Aufschrei fiel die gebrochene Frau vor dem Mönch auf die Knie und küsste demütig dessen schmutzigen Saum. Bitte... lasst mir mein Kind!“

Mauro war unterdessen schlotternd vor Angst unter dem Tisch hervor gekrochen und hatte sich unsicher, aber tapfer vor seine Mutter gestellt. Mit angstvoll leiser Stimme bat er:

“Frate Matteo, bitte um Jesu Christi willen, verschont meine liebe Mutter. Sie hat, Gott allein weiß es, schon zu viel mitgemacht. Ich bitte Euch.“ Auch er fiel vor dem Mönch auf die Knie, „Was muss oder kann ich tun, um meine übergroße Schuld zu sühnen?“

Verblüfft darüber, dass sich der Junge trotz seiner Angst – ablesbar in seinen großen dunklen Augen – so couragiert und unerschrocken vor seine Mutter stellte, betrachtete der Dominikaner den Knaben von oben bis unten. Tapfer hielt Mauro dem klugen, forschenden Blick des Mönches stand. Anerkennend und voller Respekt meinte dieser „Mut hast du Bengel ja. Wenn du gebadet und sauber gekleidet bist...hm, eigentlich würdest du sehr gut in unsere Pläne passen. Möglicherweise könntest du...nun ja, warten wir erst einmal ab. Hier...“ der Mönch legte nachdenklich einen kleinen Beutel, gefüllt mit Münzen auf den wackeligen Tisch und sah Mauro dabei eindringlich in die dunklen braunen Augen, “...du wirst für deine duldsame Mutter und dich Nahrung und anständige Kleidung kaufen und mache hier etwas Ordnung. Neue Bretter für den Boden, frische Strohsäcke und ein paar Möbelstücke, werde ich euch durch die Büttel zukommen lassen. Dein mutiger Einsatz für deine Mutter hat mich schwer beeindruckt und mir gezeigt, dass du tatsächlich nur Hunger hattest und dein fester ehrlicher Blick hat mit bestätigt, dass du ein guter, verlässlicher Junge bist. Ich lasse baldigst von mir hören. Bis demnächst und Gott mit Euch Gevatterin Gelsino.“

So schnell wie die Büttel mit dem Mönch aufgetaucht waren, so schnell verschwanden sie auch wieder. Zurück blieben eine verblüffte Adriana und ein auf sich sehr stolzer Mauro.

Etwa zwei Wochen später, sah die Welt der beiden Gelsino ganz anders aus. Sie hatten - Frate Matteo sei Dank – in einer schmalen Gasse hinter dem Kloster und der Basilika Santa Croce, im Palazzo einer alleinstehenden alten Dame, ein neues Zuhause gefunden.

Endlich waren sie heraus aus dem, nach Kloake stinkenden verruchten Armenviertel; dem Stadtviertel der Gerber, Weber und abgehalfterten Huren, in dem wieder einmal die Pest zu Gast war.

Regelmäßig schickte Frate Matteo einige Münzen und er vermittelte Adriana Näharbeiten aus dem Kloster. Stets war dabei die Nachricht, sie mögen sich doch ruhig und zurückhaltend verhalten, er würde gar bald die Dienste Mauros benötigen. Dienste die ihm und Mutter Adriana, ja sogar dem hingerichteten Vater Ignazio einen Platz im Himmel bei den Engeln, sichern würde. Möglicherweise könne man auch die arme Giuliana aus dem Kloster holen und wieder bei der Mutter belassen.

Der vierzehnjährige Mauro gab sich alle Mühe, den Forderungen des Mönches gerecht zu werden und dabei steigerte sich seine Neugierde, in kaum noch auszuhaltende Dimensionen. Schnell aber kam der Tag, an dem diese endlich gestillt werden sollte.

UNRUHIGES FLORENZ

Man schrieb das Jahr 1496 und ständige Unruhen erschütterten Florenz. Armut, die Not und der Hunger wuchsen im gleichen Maße, wie die zur Schaustellung des Reichtums und die Ausschweifungen zu nahmen. Die Geschlechtskrankheiten unter den Besitzenden und die Pest und die anderen Seuchen in den Armenvierteln, hielten reiche Ernte. Die rivalisierenden Banden der verschiedenen Stadtviertel, denunzierten sich gegenseitig oder sie schlugen sich gleich die Köpfe blutig. Die Patrizierinnen liefen ebenso wie die edleren Kurtisanen, mit durchsichtigen Stoffen bedeckt oder gar mit nackten Brüsten und mit Schmuck, Preziosen und trotz der Wärme in Pelze gekleidet über die Straßen, Gassen und Plätze von Florenz.

Die illustre Gesellschaft des Adels und die Privilegierten kamen auf geschmeidig grazilen Rössern, in Edelstein besetztes wertvolles Tuch gekleidet, Beutel voller Florine (florentinische Goldstücke)an den Gürteln und wertvollen Waffen, an ebensolchen geprägten Sätteln, bis in den Dom geritten. Bis hinein in die Kirchen; ja sogar bis in die Vorhallen der Klöster boten aus Armut und Hunger, Lustknaben und Mädchen weit unter zwölf Jahren, ihre erotischen Dienste an. Es wurde von den ärmsten Hütten, bis in die Palazzi und höchsten Kreise gelogen, betrogen, gestohlen, gehurt und gemordet quer durch alle Stände.

Papst Alexander VI. Borgia, kümmerte das nicht. Er hatte nur Augen für seine junge Geliebte Giulia Farnese und gelegentlich für die Vanozza, Mutter seiner Kinder und für Rom. Wen kümmert da schon Florenz mit dem er ohnehin, wie mit vielen anderen Städten im Dauerunfrieden lag.

Einen gab es dem das schöne Florenz am Herzen lag; doch dieser kümmerte sich zu viel, zu sehr und zu gut..., der Prior von San Marco: Girolamo Savonarola, der Bettelmönch aus Ferrara.

Doch soweit ist die Geschichte um den jungen Mauro noch nicht, erst muss er sich noch beweisen.

DER AUFTRAG

An einem Spätnachmittag im August des selben Jahres, ertönte das eher seltene Geräusch von Pferdehufen in der kleinen kaum fünf Ellen messenden Gasse hinter dem, zum Teil noch im Bau befindlichen gewaltigen Gebäudekomplex des Franziskaner Klosters von Santa Croce.

Sachte wurde der bronzene Türklopfer am massiven Tor des Hauses angeschlagen und leise erklangen die Stimmen zweier Männer, als Adriana das Tor öffnete.

Mauro, der eben erst nachhause gekommen war begrüßte zuerst, mit einer herzlichen Umarmung seine Mutter und dann die beiden Gäste. Frate Matteo stellte seinen Begleiter vor:

„Dies ist Bruder Lionardo aus Ravenna, der nur deinetwegen seine muffige Zelle und auch sonstiges verlassen hat. Mauro mein Sohn, wir benötigen gar dringlich deine Hilfe. Doch warten wir noch einen Moment bis unser Packmuli hier eintrifft.“ Angestrengt blickte Frate Matteo, gegen die untergehende Sonne das Gässchen entlang und schimpfte ungeduldig:

“He Rocco, wo bleibst du denn du Langweiler?Vorwärts, wir haben nicht die Zeit der Ewigkeit, du Lausejunge.“

„Aber aber Bruder, was sagt Ihr da? Die Ewigkeit kennt doch keine Zeit.“ Tadelnd blickte Lionardo den Mitbruder an und drohte ihm scherzhaft mit dem erhobenen Zeigefinger.

Das keuchende Fluchen einer Kinderstimme war zu vernehmen, begleitet von einem merkwürdigen kratzen und schaben.

Neugierig trat Mauro auf die Gasse, um den Ursprung der Geräusche zu ergründen. Ein herzhaftes lautes Lachen entrang sich, angesichts dessen was er sah, seiner Kehle. Ein schmächtiges schwarzhaariges Jüngelchen, zog mit aller Kraft am Geschirr eines schwerbeladenen bockigen Eselchens, welches mit seiner schweren, breit ausladenden Last zwischen den Häusern feststeckte. Jedes mal wenn Rocco kräftig am Geschirr zog, glitt er im Morast aus und plumpste mit seinem Hinterteil auf den schwammigen und rutschigen Boden.

„Mistvieh, Hurenbock... komm endlich! Nun komm schon oder bei Gott, ich schwöre dir, dass du in der Wurst endest! Vorwärts du Satansbraten!“

Das ganze Ziehen und Fluchen nutzte nichts. Das arme Tierchen steckte mit seiner Last zwischen den Gebäuden fest und kam weder vorwärts, noch ging es zurück. Im Gegenteil...der Esel versank mehr und mehr in dem matschigen Boden, während der wieder einsetzende Regen in großen kalten Tropfen herunter klatschte. Das nun einsetzende Schreien des hilflosen Tieres, klang beinahe so, als würde es um Hilfe rufen.

Mauro und sein weiches Herz konnten das nicht mehr mit anschauen und so lief er zu dem mittlerweile weinenden Rocco und machte diesem den Vorschlag, gemeinsam das Tierchen zu entladen, damit es weiter gehen könne. Mühsam wuchteten die beiden Jungen die schweren Truhen herunter und trugen sie ins Haus.

Mauro verkniff sich dabei die Frage, ob die beiden Frati wohl Bleibarren in die Truhen gepackt hätten, denn die Antwort 'ihr müsst an euren Aufgaben wachsen', ahnte er bereits voraus. Nun hielt Mauro dem Grautier eine Rübe unter die Nase und siehe da es trottete, von seiner Last befreit, willig hinter den beiden Jungen her. Den Rest des umfangreichen Gepäcks trugen, nachdem sie Rocco entlohnt und weggeschickt hatten, die beiden Mönche ins Haus, wo Adriana sie bereits mit trockenen Tüchern erwartete.

Ein wärmendes Feuerchen prasselte im Kamin, ein Kessel mir heißem gewürzten Wein stand auf dem Tisch und während die Mutter und Mauro die geleerten Platten und Schüsseln von der Tafel räumten, lehnten sich die beiden Glaubensbrüder satt und zufrieden auf ihren Stühlen zurück.

Lionardo rieb sich stöhnend den aufgetriebenen, schmerzenden Bauch Nahezu tonlos meinte er:

“Bruder, so eine Köchin bräuchten wir im Kloster! Wenn ich mir vorstelle, es wäre Fastenzeit..., was für einen göttlichen Bohneneintopf mit Hammel hätten wir verpasst.“

„Bruder, Ihr sollt doch den Namen des Herrn nicht missbrauchen, aber dem zum Trotz, Ihr habt wahrlich recht, sagen wir es war himmlisch!“ Matteo furzte und rülpste zur Bestätigung laut und vernehmlich.

Lionardo schluckte den Tadel von Matteo hinunter und schickte ein stilles Gebet um Vergebung gegen die Decke des Raumes.

Beide begannen nun, ein sattes und schläfriges Gähnen zu unterdrücken; doch wirkte das gleichmäßige prasseln des Feuers und das leise rauschen des Regens wie ein Schlafmittel, denn als Mutter und Sohn zurück kamen, kündete lautes Schnarchen und Geräusche die vom Genuss der Bohnen herrührten, vom gesunden Schlaf der beiden Dominikaner.

Die Sonne war soeben aufgegangen und es versprach, nach Wochen des Dauerregens, endlich einmal ein trockener Tag zu werden. Die Mutter werkelte bereits seit Stunden in der Küche am offenen Feuer und der Duft von frischem Hirsebrei durchzog das ganze Haus und kitzelte Mauro in der Nase so, dass er erwachte. Sein Magen knurrte ihm wie ein angriffslustiger Wolf, weshalb es eilig in seine Beinlinge schlüpfte und sich das kittelartige Hemd überwarf. Eilig hastete er zu dem Brunnen im Innenhof, um sich dessen kaltes Wasser über den schläfrigen Kopf laufen zu lassen. Dann rannte er in die Küche, wo die beiden Frati bereits erwartungsvoll und gut aufgelegt am Tisch saßen und auf ihre gefüllten Schüsseln warteten. Mauro begrüßte die Mutter mit einer herzlichen Umarmung und gab dann den Dominikanern, freundlich lächelnd die Hand.

„Guten Morgen Bruder Matteo, guten Morgen Bruder Lionardo, habt ihr gut geschlafen? Ich platze bereits vor Neugierde, welche Aufgabe ihr für mich vorgesehen habt.“

„Gemach mein Junge, in der Ruhe liegt Kraft. Es wird nicht einfach und überschaubar für dich werden. Lass erst deiner Mutter die Ehre zuteil werden, ihre Kochkünste erneut zu loben.“

Schweigend schmatzend und sichtbar genussvoll, löffelten alle vier ihre Schüsseln leer. Nach einem höflichen, satten Aufstoßen, stand Frate Matteo auf und öffnete mit einem riesigen Schlüssel eine der beiden Truhen.

„Komm her du Galgenstrick..., sag was siehst du hier drin?“

„Bücher und ich sehe viele Pergament-Rollen, eine Schreibkiste und..., nein Frate Matteo, dass könnt Ihr mir doch nicht antun! So groß war mein Verbrechen nun auch wieder nicht. Ich fürchte mich vor diesem Menschen zu Tode...bitte nicht nach San Marco, nicht zu Prior Girolamo. Bitte glaubt mir, ansonsten würde ich alles für Euch tun, nur nicht zu diesen Kindern, den 'Engeln' von San Marco, nicht zu diesen scheinheiligen...“

Mauro wand sich an seine Mutter, die hinzu gekommen war und blicke sie um Vergebung bittend an „verzeih mir bitte den ungebührlichen Ausdruck Mutter..., kindischen Arschkriechern und hinterhältigen Denunzianten.“

Frate Lionardo, der ihnen ebenfalls gefolgt war, trat hinzu und er versuchte zu vermitteln. Um die Wogen zu glätten, erklärte er:

“Doch mein Junge, genau das erwarten wir von Dir, aber lass dir hierzu einiges unterbreiten,“ beruhigend strich der alte, im Dienste Gottes ergraute Mönch, dem Jungen über das wuschelige, lange Haar und blickte ihm verständnisvoll in die dunklen, nun angstvoll aufgerissenen Augen.

“Glaub mir Mauro, auch ich habe Angst vor Prior Savonarola, vor seinen gefährlichen Verrücktheiten und deren Folgen, die für uns alle nicht absehbar sind. Viele denken so wie wir und meinen, sie könnten nichts dagegen tun, aber wir können das und allen voran du. Komm setz dich zu mir alten Mann und höre aufmerksam unseren Plan.“

Doch noch ehe der Mönch beginnen konnte, verabschiedete sich Bruder Matteo mit mahnenden Worten.

“Ich muss, ehe man mich vermisst, zurück nach San Marco. Gevatterin Gelsino..., habt meinen großen Dank für Speise und Nachtlager. Mauro, gehorche deiner Mutter und höre auf meinen Glaubensbruder. Lerne gut und befolge seine Worte, denn wenn alles so kommt wie wir es planen, wirst du deinen Mut und deinen Einsatz für die Befreiung von Florenz, nicht bereuen. Bruder Lionardo, Ihr kennt ja unsere Kontaktperson besser, als jeder andere. Meint Ihr es wird funktionieren?“

„Gewiss doch und ich werde ihr auch unseren Schützling zuführen. Ich habe nur noch keine Ahnung wie.“

„Nun ja, lasst der Natur ihren lauf. Irgendwann muss ohnehin aus dem Lausbuben, ein Mann werden Bruder,“ lachend verließ Frate Matteo das Haus und ließ einen vor sich hin schmunzelnden Lionardo, einen verständnislos dreinblickenden Mauro und eine ahnungsvolle, Unheil witternde Adriana zurück.

„So mein Junge, zurück an die Arbeit. Packen wir die Truhe aus und beginnen mit dem Unterricht.“

„Unterricht? Aber wieso, warum und was?“

„Ja mein Kind, ich möchte ja nicht sagen, dass du dumm wie ein Esel bist, aber deine Mutter sagte mir, dass du seit dem gewaltsamen Tod deines Vaters keinen Unterricht mehr bekommen hast. Nun musst du innerhalb kürzester Zeit, Latein und griechisch lesen und schreiben lernen; die wichtigsten Begriffe des Kirchenrechts verinnerlichen und du wirst von mir persönlich eingewiesen, in die Strukturen und zu erwartenden Aufgaben der Kindermiliz des Priors...“

Hastig unterbrach Mauro die Ausführungen „... aber warum, wieso? Ich kann doch keiner Fliege etwas antun, was erwartet Ihr Frate Lionardo?“

„Zu aller erst lässt du den Frate und die Fremdenanrede 'Ihr' weg. Ich weiß das dies eine Respekt Frage ist, aber es wirkt sich störend aus. Mein Junge, nenne mich doch einfach Padre(Vater). Ich denke nämlich, dass Vater und Sohn leichter miteinander umgehen können, meinst du nicht?“

Auch wenn Mauro nicht alles ein leuchtete, so nickte er doch mit dem Kopf und strich sich mit einer unbeholfenen Geste, eine vorwitzige Strähne seines Haares aus den Augen.

„...und um deine Frage zu beantworten, du wirst durch Personen, welche du zu gegebener Zeit treffen wirst lernen, so zu tun als würdest du kämpfen und zuschlagen. Du wirst bei den Kindern, den kleinen Soldaten Gottes oder wie sie sich selbst nennen 'Engeln', als Spion eingeschleust. Du wirst deinen Mund geschlossen, dafür aber Augen und Ohren umso weiter geöffnet haben. Wir, die Gegner Savonarolas müssen alles wissen, um noch größeres Unheil verhindern zu können. Du musst lernen richtig zu lügen, zu betrügen, zu stehlen und zu plündern, um anschließend der Kontaktperson, der du noch begegnen wirst mitzuteilen, wohin die 'Beute' verbracht werden soll. Wir müssen unsere so vielfältige Kultur und vor allem die wertvollen alten Schriften, vor dem Zugriff und der Vernichtung durch diesen Fanatiker Savonarola bewahren.“ Lionardo nahm einen Schluck Wein, ehe er fortfuhr.

“Aber zunächst musst du deine Höflichkeit, die ich übrigens sehr schätze unterdrücken. Du musst dir außerdem einige deftige Schimpf Worte und das Fluchen aneignen. Mauro, nicht alle sind so hilfsbereit, höflich und freundlich wie du. Du bekommst es mit überwiegend wurzel- und haltlosen Straßenkindern zu tun, die keinerlei familiäre Bindung und Unterstützung kennen. Es gibt also immens viel zu tun und wir haben auch nur sehr wenig Zeit. Lass uns nun also, mit Gottes Hilfe beginnen.“ Erschöpft hielt der alte Mönch inne und nahm noch einen großen Schluck von dem Wein, den Adriana nach geschenkt hatte.

SCHLECHTE ZEITEN

Der Sommer war extrem heiß und trocken gewesen. Wochenlang hatte kein Tropfen Wasser die ausgedorrten rissigen Felder berührt, das Vieh keinen Halm mehr gefunden und es stand schreiend vor Durst und Hunger, abgemagert bis auf die Knochen, auf den verbrannten Weiden.

Das Obst und die Oliven waren, auf Grund der Trockenheit, unreif von den Bäumen gefallen und ganze Olivenhaine, Felder und unzugängliche Wälder hatten in Flammen gestanden. Doch auch die Menschen hungerten und man hatte mit Angst und Schrecken, auf den nahenden Winter geschaut. Besonders bedroht waren die großen Städte. Florenz stöhnte unter dem massiven Zustrom von Flüchtlingen vom Lande. Auch die letzten Brunnen drohten nun zu versiegen.

Die vermeintlich unter Kontrolle gebrachte Pest brach, neben anderen Seuchen, wieder aus und die ständigen Erhöhungen der Steuern, steigenden Kirchenabgaben und Teuerungen führten immer mehr Menschen in Armut und Not.

Dann zu Ende Juli, begann es zu regnen. Der Himmel schien nachholen zu wollen, was er im Frühjahr und Sommer nicht hatte geben wollen. Tag und Nacht schüttete es wie aus Fässern. Der Arno trat wieder über die Ufer und viele Menschen in den Armutsvierteln ertranken.

Ende Oktober setzte eine, für die Jahreszeit ungewöhnlich starke erneute Hitzewelle ein...

Im Dom wetterte der Prior von San Marco, Girolamo Savonarola gegen die vermeintlichen Auslöser dieser Hungers und Seuchennot: Alexander VI. Borgia und und seine ganze Sippe. Der Prior verfluchte ihre Prunksucht, Hurerei und die unmoralischen Ausschweifungen.

Die Stadt platzte aus allen Nähten, denn noch immer strömten die Fremden herein, da es sich bis weit in das Umland hinein herum gesprochen hatte, das am Klostertor von San Marco, von den Brüdern Suppe und Brot verteilt würden.

Der Prophet Gottes, wie Savonarola sich selbst nannte, rief von der Kanzel die 'civitas Dei', den Gottesstaat aus. Ebenso rief er dazu auf alle müssten, so wie es ihm seine Visionen befohlen hätten, enthaltsam und asketisch wie er selbst leben und täglich Buße tun. Denn nur so, könne der Gottesstaat wachsen und sich ausbreiten.

Savonarolas 'Engel auf Erden' organisierten auf sein Geheiß hin, Kinderprozessionen zu Ehren der Mutter Gottes und tausende von Kindern und Halbwüchsigen nahmen weiß gekleidet, mit aufgemalten roten Kreuzen und mit Kerzen in den Händen daran teil. Aus allen Stadtteilen und Dörfern der Umgebung, kamen diese Bitt- und Bußprozessionen, betend und Psalme singend, auf der Piazza della Signoria an um von dort, vereint weiter zum Dom zu ziehen.

Gegner des Priors und dessen Plänen, darunter auch viele seiner Glaubensbrüder (Dominikaner), Franziskaner, Adlige, ebenso die bekämpften Spieler, Huren, Goldschmiede und Teppichhändler bewarfen die 'Engel' mit Steinen, Unrat und harten Schimpf Worten.

FABIANA DIE ROTE

Trotz aller chaotischer Zustände in der altehrwürdigen Stadt und der sengenden Hitze, saß Mauro oft stundenlang über seinen Büchern, Schriften, Studien und Notizen.

Vater Lionardo war mehr, als nur zufrieden mit seinem gelehrigen Schüler, der alles in sich auf sog wie ein Schwamm. Schmunzelnd stellte der Mönch eine Abwechslung der besonderen Art in Aussicht, was ihm einen entsetzten Blick aus Adrianas dunklen Augen einbrachte.

Mauro warf auf Geheiß seines Lehrers, die schwarzweiße Kutte der Dominikaner über und zog deren Kapuze tief über die Augen. Langsam und leise schlichen die Beiden durch die enge Gasse; wobei sie teilweise die Luft anhalten oder sehr flach atmen mussten, da vom Arno der infolge der unnatürlichen Hitzewelle kaum Wasser führte, ein fürchterlicher Gestank herüber geweht wurde. Der Junge nahm sich zum wiederholten male vor, Vater Lionardo der sehr belesen war, nach dem Grund der Wetterkapriolen zu fragen.

Schließlich blieben sie an der Ecke der gotischen Kirche und der Piazza stehen, um Luft zu schöpfen, um sodann ihren Weg nach San Marco fortzusetzen. Dies aber, hätten sie besser nicht getan, denn kaum machten sie sich auf den Weg über die Piazza, stürmten auch schon einige Franziskaner, bewaffnet mit schweren Eichenknüppeln, auf sie los.

„Verschwindet ihr Hunde Gottes! Haut ab zu eurem abartigen Sau Schwanz von Prior und verpisst euch aus unserem Stadtviertel! Aber flott... oder wir gerben euch, euer scheinheiliges Leder! Als ob es nicht genug damit ist, dass dieser Hungerhaken Savonarola, uns seine teuflischen 'Engel' zum Betteln herschickt, nein... da treiben sich auch noch seine Anhänger hier herum!“ Drohend und zähnefletschend schwangen sie ihre massiven Knüppel.

Mauro stand wie angenagelt da, vermochte keinen Finger zu rühren und der Angstschweiß lief ihm den Rücken hinab, um sodann brennend im After zu versickern. Verzweifelt rief Vater Lionardo ihn immer wieder zu, doch weg zulaufen, aber die Angst und der Schrecken vor diesen aggressiven Franziskanern, ließ ihn versteinern. Wütend krakelten die angetrunken wirkenden Mönche weiter und kamen dabei immer näher.

„Bestellt diesem Weihwasserpisser, dass wir uns gegen ihn zu wehren wissen und uns an die Signoria (Stadtregierung), die Medici und gegebenenfalls an den heiligen Vater wenden werden, um ihn..., Savonarola, als Scharlatan und Lügner zu entlarven. Gebt endlich Fersengeld und verschwindet!“

Frate Lionardo versetzte Mauro eine schallende Ohrfeige, um ihn aus seiner Erstarrung zu erlösen.

“Lauf mein Junge...!“

Der junge Mann rieb sich die brennende Wange, sah sich um, erkannte die Gefahr und er rannte los. Einer der Knüppel sauste auf die Stelle, auf der Mauro soeben noch gestanden hatte und zersplitterte krachend auf dem schmutzigen Pflaster. Drohend und die Beiden weiterhin verfolgend, schwangen die fünf Mönche weiter ihre Prügel und machten sich schwankend an einen erneuten Angriff.

Mauro und Lionardo rannten über den Kirchenvorplatz und erreichten schließlich die schützenden Häuser, zwischen denen sie untertauchten.

„Puhhh, das war verdammt knapp Vater, aber hättest du nicht weniger fest zuschlagen können?“

Der Junge rieb sich die misshandelte Wange, auf der sich die fünf Finger von Lionardos Hand abzeichneten.

„Ich hatte eine erbärmliche Angst,“ söhnte Mauro und hielt sich die stechende Seite „und wohin jetzt Vater?“

„Verzeih meinen festen Schlag mein Sohn, aber als dieser Mönch so auf dich zu stürmte, fürchtete ich um dein Leben.“ Sanft strich er über Mauros wirres Haar, „Auf zu unserer Kontaktperson...,“ grinste er verschmitzt „zu Fabiana der Roten. Der Überraschung die ich dir versprach.“

„Na danke, mit Überraschungen wurde ich heute schon genug beschenkt,“ maulte der Junge verstimmt.

„Nun stell dich nicht wie eine Mimose an. Machen wir aus dir einen Mann.“

„Vater, wie meinst du das?“

„Das mein Sohn, wirst du gleich sehen und erleben.“

Am Rande des Bezirks von San Marco, in einer etwas dunklen schmuddeligen Seitengasse, befand sich ein kleiner Palazzo, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Dieser war Eigentum einer gewissen Antonia Pazzo, welches natürlich nicht ihr richtiger Name war..., ihres Zeichens Besitzerin dieses Freudenhauses; weshalb im Eingangsbereich Tag und Nacht ein Öllicht brannte.

Der Mönch Lionardo sah sich zuerst gehetzt um und zog dann, den widerstrebenden Mauro schnell in den Schatten der Arkaden.

“So komm doch endlich! Ich weiß ja, dass du noch nie in einem solchen Hause warst. Wenn du nicht willst oder kannst, brauchst du ja nicht 'bügeln'. Aber zum Teufel...“ schnell schlug Lionardo ein Kreuz und schickte einen, um Vergebung heischenden Blick gen Himmel, „...wir müssen uns auch nicht von Savonarolas überall herum schnüffelnden Spitzeln erwischen lassen. Er würde uns ohne mit der Wimper zu zucken, exkommunizieren lassen und als abartig auf den Scheiterhaufen bringen.“

Etwas gereizt und übernervös stieß Vater Lionardo, den jungen Gelsino in den Eingang des Etablissements und weiter in den überhitzten schwülstigen Salon.

Mauro fand sich leicht benommen und vollkommen verunsichert in einem, von zahlreichen Kerzen erleuchteten, intensiv nach Honig und Kräutern duftenden Raum wieder. Auf dicken geknüpften Teppichen und mit Samt und Seide bespannten Ottomanen, räkelten sich einige, in durchsichtige Gewänder gehüllte, ansonsten aber nackte Frauen jeglichen Alters und unterschiedlichster Hautfarbe.

Dem Jungen wurde heiß und kalt gleichzeitig. Seine Wangen glühten und seine Ohren hatten die Farbe der Kardinal Gewänder angenommen. Der Mund ward ihm vor Aufregung ganz trocken und eine beklemmende Atemnot setzte ein, als sich eine schöne ältere Frau, mit breit ausladenden Hüften und gewaltigen aber doch festen und nackten Brüsten auf ihn zu wälzte. Überängstlich und ungeschickt machte der Junge einige Schritte rückwärts, um der weiblichen Fülle auszuweichen und strauchelte dabei über eine hochstehende Teppichkante. Mit den Händen nach einem Halt suchend, streifte er die nackte Brust, warf sich zurück und fiel rücklings zwischen die schlanken Schenkel, einer wohlgeformten Frau, deren obere Gesichtshälfte, unter einer schwarzen Maske verborgen war. Die Geheimnisvolle schlang von hinten ihre nackten Arme um den, vor Aufregung zitternden Vierzehnjährigen und der rot geschminkte Mund, kam näher und näher...

„Bella Fabiana, wartet... Geduld, Mauro hat noch keinerlei Erfahrung, also lasst uns ein Zimmer aufsuchen, ehe uns der Knabe vor Angst noch stirbt.“

Vater Lionardo hatte zwischenzeitlich die Kapuze von dem ergrauten Schädel genommen, Signora Pazzo mit einem herzhaften Kuss auf den blanken Busen begrüßt und einen Obolus für sich und Mauro entrichtet. Währenddessen schlichen die anderen Grazien, sich Obszönitäten zurufend, mit abschätzenden Blicken um den Jungen herum.

Vater Lionardo, der das Geschehen um Mauro herum kritisch beobachtete, rief leicht verärgert und doch mit unterdrücktem Lachen:

“Komm her zu mir und höre auf zu schlottern! Bella Fabiana beißt nicht, sie verzehrt Grünschnäbel wie dich auf der Stelle.“

Die rothaarige Maskierte erhob sich, ohne den Jungen aus ihren Armen zu entlassen. Sie überragte ihn um mehr als eine Kopflänge und drehte ihn nun zu sich herum, um Mauro anschauen zu können. Ihre Brust, der ein betörender Duft nach Milch und Honig entströmte, befand sich dadurch direkt vor seinen Augen. Rasch drehte der Jugendliche seinen glühenden Kopf zur Seite und blickte seinen Mentor aus Ravenna hilfesuchend und mit Tränen gefüllten Augen an.

„Donna Fabiana, lasst ihn um Himmelswillen los, denn wenn er vor Angst stirbt, war die Arbeit von Monaten umsonst. Lasst uns endlich nach oben gehen und dieses unwürdige Possenspiel beenden.“

Unter dem Lachen und den zotigen Sprüchen der anderen 'Damen', erklommen Lionardo, Fabiana und Mauro die breite Treppe in den ersten Stock; weiter einen kurzen Gang entlang, in ein sehr karg eingerichtetes Zimmer, wo die Frau einen verborgenen Mechanismus betätigte, worauf sich eine nicht erkennbare Türe öffnete. Sie betraten einen langen, dunklen, zugigen Gang und nach einer weiteren geheimen Türe, standen sie in einem großen, lichtdurchfluteten und gemütlichen Raum. Von der Türe, durch die sie gekommen waren, war nichts mehr zu sehen.

Mauro, der an eines der großen Fenster trat stellte fest, dass sie sich nunmehr in einem Palazzo, an der Straße nach San Marco befanden.

Fabiana riss sich mit einem erleichterten Aufseufzen die dunkle Maske vom Gesicht und – zu Mauros Erstaunen – die rote Perücke vom Kopf, warf beides in eine Ecke und hängte sich einen wärmenden Umhang, um ihre makellosen Schultern. Dann drehte sie sich, mit beiden Händen das dunkelblonde, lange Haar lockernd zu Vater Lionardo um und lächelte ihn liebevoll an.

„Du kommst spät Babbo (liebevolle Form von Papa), ich hatte schon Angst es sei etwas geschehen und du hast uns schon lange nicht mehr besucht. Bitte setze dich doch...“, sie warf Mauro einen bösen Blick zu „und du Dumm Beutel, hast beinahe unsere mühsam aufgebaute Tarnung auffliegen lassen! Babbo, hast du ihn denn nicht eingeweiht?“

Verlegen uns schuldbewusst blickte der gemaßregelte Junge zu Boden, während Lionardo antwortete:

“Leider war die Zeit zu knapp mein Kind, er hatte noch eine ganze Menge zu lernen. Man hat ihm und seiner Mutter sehr übel mitgespielt und trotzdem sind sie so unbedarft und naiv. Glaub mir, ich kam mir schon vor wie ein Verbrecher, als ich den armen Jungen wegen eines schimmeligen Brotkanten festnehmen lassen wollte; doch wegen der drängenden Zeit hatte ich keine andere Wahl“ und zu Mauro gewandt „Söhnchen, nun mache schon deine Futterluke zu. Nein, Fabiana ist keine der Huren, sie hat zur Tarnung nur so getan und ja, sie ist meine Tochter. Aber...sie hat herrlich mitgespielt und dich erschreckt. Du hättest dein Gesicht sehen sollen...“ lauthals brach das, solange unterdrückte Lachen aus Vater Lionardo heraus und auch seiner Tochter liefen die Tränen des Frohsinns über die blühend frischen Wangen.

Fassungslos starrte der junge Mann auf die Beiden, die ihm gegenüber saßen und er war noch immer dabei, das eben Gehörte zu verarbeiten, als eine weitere kaum sichtbare Türe geöffnet wurde. Ein hünenhafter, beinahe schwarzer Mann betrat mit einem voll beladenen Tablett und einem breiten Grinsen, dass die schneeweißen Zähne blitzen ließ den Raum.

Mit einem Aufschrei „der Teufel!“ verschwand Mauro hinter einer Truhe und nur die vor Schreck aufrecht stehenden Haare, waren noch zu sehen.

„Babbo, das Kind ist so voller Angst...er taugt nicht für unsere Zwecke! Beim geringsten Anzeichen von Gefahr scheißt er sich die Beinlinge voll; er wird uns noch alle in Gefahr bringen und verraten.“

„Mauro, komm sofort her..., wie kannst du mich nur so enttäuschen? Jacobo N'gari, ist getauft und Christ wie du, sag nur du hast noch nie einen Mann von der anderen Seite des Meeres gesehen?“

„Doch, ich habe schon welche gesehen...nur, ich bin fürchterlich erschrocken. Der Mann ist so riesig, es tut mir sehr leid. Signore Jacobo, ich bitte Euch um Vergebung und auch Ihr Signora Fabiana...vergebt mir. Die letzten Monate musste ich so viel Neues erfahren und unendlich viel lernen...bitte verzeiht mir.“

Erneut wurde die Türe geöffnet und ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, in Begleitung eines Turban Trägers trat ein.

„Wenn ich vorstellen darf, meine Enkelin Lucia und ihr Beschützer und Lehrer Mehmet Turkman, ein Muselmane...“ Lionardo schloss das Mädchen liebevoll in seine Arme und begrüßte anschließend Memet mit einem festen Handschlag. “Setzen wir uns, ich habe dem jungen Mann hier, noch einiges zu erklären. Mauro, wie du vielleicht bemerkt hast, ist dies meine Familie. Ich war nicht immer Mönch..., erst als meine geliebte Frau Carmela starb, erreichte mich der Ruf Gottes und ich bin bei den Dominikanern eingetreten. Obwohl die Ordensregeln und Savonarola verlangten ganz im Glauben aufzugehen und alles hinter sich zu lassen, habe ich den Kontakt zu meiner Tochter, meinem Fleisch und Blut, nie ganz verloren.“

Der Mönch holte tief Luft, wischte sich eine Träne der Erinnerung von der Wange und sprach dann bedächtig weiter.

„Ihr Ehemann, der Spitzenhändler Sebastiano Manuzzio, wurde 1494 während des Triumphzuges des Franzosen Königs Karl VIII., nahe der Ponte Vecchio im Arno ertränkt. Sein Geschäft das sich auf der Brücke befand, wurde geplündert und zerstört. Also brachte ich meine Tochter und ihr Kind hier unter, um ihnen nahe zu sein. Fabiana glaubt, dass die Gefolgsleute Savonarolas an dem Mord an ihrem Ehemann, beteiligt waren und nun kämpft sie getarnt als Hure, gegen diese. Du mein Junge wirst nicht unser einziger Spion sein, denn auch Lucia wird mitmischen. Ihr werdet als Bruder und Schwester stets gemeinsam agieren und aufeinander Obacht geben. Doch zunächst wirst du einige Wochen hier wohnen..., bis kurz vor dem Carnevale. In dieser Zeit wirst du von Memet und Jacobo, das faire Kämpfen und Täuschen lernen. Hast du noch Fragen mein Sohn?“

„Was wird aus meiner Mutter? Sie braucht doch meine Hilfe.“

„Keine Angst mein Sohn, wir die Gegner des Prior sind viele, ganz gut organisiert und weit verzweigt. Der angesehene Cavaliere, der Giudice (Richter) Pietro di Vitali wird sich, getarnt als ihr Verehrer, um sie kümmern. Außerdem haben wir ihr ein junges Mädchen namens Aliena zur Seite gestellt. Der Richter wird Verbindung zu uns halten, da er jederzeit an jedem Ort, selbst im Kloster, Zugang hat. Du hast den Winter über Zeit, dich an all das Neue zu gewöhnen.

Ich kehre nach San Marco zurück und kontaktiere euch wieder wenn es an der Zeit ist, euch bei der Kindermiliz einzuschleusen. Alles verstanden?“

Mauro nickte und Vater Lionardo verkündete: “So..., jetzt habe ich Hunger und ihr doch sicherlich auch. Fabiana mein Kind, lass auftragen.“

DIE 'ENGEL'

Der Winter begann mit Regenfällen ohne Ende. Wasser gab es jetzt mehr als nur genug. Der Arno trat wieder einmal über die Ufer und überschwemmte die Armenviertel, in denen die Seuchen weiterhin reiche Beute fanden. Das Ungeziefer, allen voran die Ratten kamen auf ihrer Flucht vor dem Wasser bis in die Patrizierhäuser, Palazzi und Klöster. Hunger und Not beherrschten das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel zum Jahr 1497..., ein Schicksalsjahr!

Die 'Engel' von Savonarolas Kinderarmee hielten Bibellesungen, verteilten Brot und von den Reichen gespendete und gestohlene Kleidung an die Ärmsten der Armen.

Mitte Januar standen Mauro und Lucia in weiße, mit einem roten Kreuz bemalte Kittel gehüllt und in Begleitung von Vater Lionardo, vor dem Kloster von San Marco. Unsicherheit, wenn nicht sogar Angst, spiegelte sich auf ihren angespannt wirkenden und schmal gewordenen Gesichtern.

„Kommt, gehen wir...“ der ergraute Mönch nahm die Beiden rechts und links an die Hand und betrat mit festen, energischen Schritten das Kloster. Da Vater Lionardo sie angekündigt hatte, wurden sie eingelassen und fanden sich in einem Gang, vor einer massiven geschnitzten Holztüre wieder. Nun warteten sie darauf, eingelassen zu werden.

„Großvater, ich muss mal...“ nervös trat Lucia von einem Bein, auf das andere.

„Ab jetzt bin ich Frate Lionardo und nicht dein Großvater! ...und du musst jetzt nicht.“ Ärgerlich und schmerzhaft, drückte der Mönch die Finger der Kinder zusammen. “Still und beherrscht euch jetzt,“ zischte er zwischen seinen Zähnen hervor, da ein Novize soeben die Türe öffnete.

Inmitten des Raumes voller wertvoller alter Bücher und Folianten stand ein Mönch, die Kapuze tief in die Stirne gezogen.

„Kommt näher Bruder Lionardo, wen bringt Ihr mir da?“

„Mauro und Lucia ein verwaistes Geschwisterpaar, dass keinerlei Angehörige mehr hat.“ In Gedanken bat Lionardo Gott, die geheiligte Jungfrau und seine Tochter Fabiana um Vergebung für diese Notlüge.

Der den Kindern fremde Mönch schob seine Kapuze vom Schädel und wand ihnen sein Gesicht zu. Da die Beiden ahnten wer der Mann war, dem Lionardo soviel Ehrerbietung entgegenbrachte, liefen ihnen Schauer der Angst über den Rücken. Bei dem Anblick des hageren Gesichtes, fielen ihnen die unzähligen Geschichten ein, die über den Prior kursierten.

Scharfe eng zusammen stehende Augen blickte klug und forschend in die verängstigten Augen der Jugendlichen. Die Nase ragte wie der Schnabel eines Adlers, aus dem asketisch hageren Gesicht. Das Kinn scharf geschnitten und energisch, nahezu eigensinnig wirkend und der Mund, dessen leicht aufgeworfene Lippen schmal zusammengepresst waren und der sich nun öffnete...

“Willkommen ihr Engel der königlichen Jungfrau Maria und Jesu Christi, des Königs von Firenze (Florenz)..., seid gesegnet.“ Er blickte fragend zu Lionardo „...und wo werden Eure Schützlinge wohnen Bruder?“

„Ich werde sie den liebevollen Händen der Witwe Nunziata Versini übergeben. Sie wohnt hinter dem Dom, da haben es die Kinder nicht weit zu Euch, verehrter Prior und ich kann weiterhin ein Auge auf sie haben.“

„Bravo, nur so bleiben die Geschwister zusammen und werden nicht getrennt. Ihr Beide kommt dem nach zur Domgruppe meiner Engel von San Marco.“ Savonarola drehte sich zu einem Schreibpult, an welchen normalerweise die Mönche alte Schriften kopierten und fuhr den dort stehenden Schreiber Frate Franco, harsch an:

„Holt mir sofort den Anführer meiner Kindermiliz, meinen Oberengel Guido, sofort!“

Eilig und katzbuckelnd machte sich der Angesprochene auf den Weg, um den gewünschten Jungen zu suchen.

“Bruder Lionardo, Ihr habt die Geschwister doch aufgeklärt über das, was sie zu tun haben werden und was ich von ihnen erwarte?“

„Das habe ich verehrter Prior, das habe ich,“ leise aufseufzend aus Sorge um die Beiden, wischte der Mönch seine schweißnassen Hände an der Kutte ab und blickte mahnend zu den Kindern.

„Zeigt doch meinen neuen Engeln...,“ Girolamo Savonarola strich den Beiden zärtlich und gedankenverloren über das Haar „die wundervollen Fresken, die Angelico so liebevoll gemalt hat und findet Euch, nach dem Angelus Gebet im Refektorium ein. Die Kleinen werden hungrig sein und wir müssen ihnen, zur Ehre von Jesus Christus und sein geheiligten Mutter, Vater und Mutter ersetzen. Nun geht...und Gott mit euch.“

„Auch mit Euch Prior Girolamo...“ mit einer tiefen Verbeugung, dem Beugen des Knies und dem schlagen des Kreuzes verabschiedeten sich die Drei vom Prior von San Marco.

Die Kinder, ja sie waren noch Kinder, weshalb auch Lucia das Kloster betreten durfte, bewunderten das Bauwerk des Klosters; die steinernen Figuren der Heiligen und die farbenfrohen, aber ernsten Szenen aus dem Leben der Heiligen und der Gründer des Ordens, in unnachahmlicher Weise auf Wände und Decken gemalt von dem Mönch Angelico.

Zur gleich Zeit bekam der Anführer der 'Engel' Guido, ehemaliger Strauchdieb und Anführer einer Straßenkinder Bande, welche bereits sämtliche vorstellbare Verbrechen begangen hatte, vom Prior die Pläne für den nächsten Tag.

Aber erst hatte er Order erhalten, nach dem Essen die Zöglinge Lionardos, bei der Witwe Versini abzuliefern. Ferner sollte er der Alten für die Betreuung und die Versorgung der Kinder, einige Münzen, Brot und Kleidung übergeben.

Während sich Mauro und seine 'Schwester' Lucia die Fresken betrachteten und sich dabei angeregt unterhielten, trafen sich in einer geschützten Ecke die Glaubensbrüder Lionardo und Matteo, um leise über den Stand der Dinge und die politische Lage von Florenz zu diskutieren.

„Lionardo bitte, bleibt außerhalb des Konvents und kümmert Euch um Eure Tochter und die beiden Kinder. Dieser Ketzer Savonarola hat verstärktes Fasten angeordnet auch außerhalb der Fastenzeit. Er erwartet, dass wir alle so asketisch leben, wie er selbst. Er meinte, dass stärke den Glauben und den Charakter und dies könne auch satt machen. Wenn wir es hier im Kloster können, kann es auch Florenz und mit der Zeit das ganze Land, alle Staaten, ja die ganze Welt. Nur so entstehe in aeternum die civitas Dei (Auf ewig der Staat Gottes). Durch seine Brotverteilungen steht die Bevölkerung noch immer hinter ihm und seinen 'Engeln'. In der Signoria (Stadtverwaltung) und der Händlerschaft brodelt es gewaltig. Gebe Gott, das es nicht ausbricht wie ein Vulkan..., denn dann kommt es zum Bruderkrieg. Gott steh uns allen bei!“

Händeringend und mit dicken Schweißperlen auf der Stirn blickte Matteo seinen Freund verzweifelt an.

„Glaubt mir..., da draußen ist es auch nicht besser. Die Frauen will er aus dem öffentlichen Leben verbannen und es geht das Gerücht um, dass es diesem Fanatiker am liebsten wäre, wenn die Frauen sich verschleiern würden, wie die Weiber der Muselmanen. Er lässt von den 'Engeln' an den Stadttoren und den Zugängen zum Dom Sperren errichten, um den Adel und die Kaufleute auszunehmen und zu berauben. Er legt sich mit den Borgias, allen voran Alexander VI. und den Medici an. Wie ist das möglich? Er hat ganz Florenz im Würgegriff und trotz allem ist der Dom noch immer brechend voll, wenn er predigt. Doch sieh dir die Leute an wenn sie den Dom verlassen..., voller Angst vor den Höllenqualen des Teufels und die steten Teuerungen, geben den Menschen den Rest.“

„Ach Lionardo,“ seufzte Matteo „dass allerschlimmste aber ist..., für das kleinste Vergehen gibt es drastische Strafen, bis hin zum Scheiterhaufen. Die Büttel und Henker wissen nicht, wann sie wieder normal zum Schlafen kommen. Doch still jetzt, die Kinder kommen zurück...!“ Matteo begrüßte den Jungen herzlich.

„Mauro mein Lieber..., Gott zum Gruße! Ach wie sehr vermisse ich doch die Kochkünste deiner lieben Mutter...,“ wobei er mit laut knurrenden Magen aufstöhnte und die Kinder liebevoll in die Arme schloss.

GUIDO

Guido, der junge Rebell und 'Oberengel' Savonarolas, kam von der Witwe zurück. Für ihn selbstverständlich, hatte er der herzensguten Frau alles, außer den Münzen gegeben. Als Anführer der 'Engel von San Marco' war er der Meinung, dass die alte Vettel genug besaß, um die Geschwister durchzufüttern. Grob und mit vielen deftigen Flüchen, hatte er Mauro und Lucia bei der Witwe abgeliefert und ihnen für den Fall das sie ihm, dem Anführer nicht gehorchen sollten, deftige Prügel angedroht.

“Euch geht es auf jeden Fall wesentlich besser als mir. Ich muss in einem Verschlag unter der Hintertreppe des Klosters schlafen. Dort ist es feucht, schmutzig, schimmelig und saukalt, außerdem benutzen mich einige Mönche so oft als Frauenersatz, dass mir meine Rückfront glüht und ich kaum zu Laufen vermag. Ihr dagegen, bekommt täglich die feinsten Leckereien und ich muss mich mit dem begnügen, was mir die gefräßigen Mönche übrig lassen, also bringt mit gefälligst jeden Tag etwas zum Futtern mit, sonst...“ drohend schwang Guido seine Fäuste und ging dann seiner Wege.

Noch in der Dunkelheit des nächsten Tages trommelte der selbsternannte