Maxie - Maxie und ein tierischer Trubel - Usch Luhn - E-Book

Maxie - Maxie und ein tierischer Trubel E-Book

Usch Luhn

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Beschreibung

Maxie liebt Tiere über alles. Darum freut sie sich riesig, als ihre Mutter im Nachbarhaus eine Tierklinik eröffnen will. Doch dann ziehen dort ausgerechnet Herr Pfeffer und seine Söhne ein. Und die können Tiere überhaupt nicht leiden. Als wäre das nicht schlimm genug: Maxies beste Freundin Paula behauptet allen Ernstes, dass ihr Musiklehrer in Maxies Mutter verknallt ist. Dagegen muss Maxie unbedingt etwas unternehmen! Alle Abenteuer von Maxie: Band 1: Maxie und ein Fisch mit Fernweh Band 2: Maxie und ein Hund mit Herzklopfen Band 3: Maxie und ein Kater mit Köpfchen

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Seitenzahl: 348

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2018Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2012, 2014, 2018 Ravensburger Verlag GmbHDiese Ausgabe enthält zwei Bände der Serie „Maxie“ erschienen im Ravensburger Verlag GmbH:Maxie und ein Fisch mit Fernweh (erstmals erschienen 2012),Maxie und ein Hund mit Herzklopfen (erstmals erschienen 2012)Umschlag- und Innenillustrationen: Nina DulleckAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-47899-6www.ravensburger.de

„Maxie!

Maaaxiiieee!

Maxiiiiiiiiiiiieeeeeee, jetzt wach endlich auf!“

Die Nervensäge, die gerade mein Trommelfell zum Platzen bringt, ist meine Schwester Jule. Sie ist neun. Und das ist leider nicht das einzige Schreckliche an ihr.

Das kneifwütige Biest schnappt sich meinen linken Fuß, der unter meiner Bettdecke hervorlugt, und versucht, meinen kleinen Zeh zu zerquetschen.

Grrrrrr! Jetzt bin ich wirklich hellwach.

Und stinkwütend.

Ach übrigens, guten Morgen zusammen. Mein Name ist Maxie mit hintendran e. Und ich hasse es, so früh aus dem Schlaf gerissen zu werden.

Der Sonntag ist heilig für mich, denn es ist der einzige Tag, an dem ich richtig lange ausschlafen und mich von meiner lieben Großfamilie erholen kann. Genau deshalb wird Jule diese hinterhältige Wecknummer gleich bitter bereuen.

Ich hole tief unten in meinem Bauch Luft. Das habe ich im Schulchor gelernt. Wenn ich will, kann ich so laut schreien, dass die Fensterscheiben zittern. Ich brülle also los: „Juuuuule! Es ist Sonntag. Wenn du dich nicht sofort verziehst, passiert was ganz Schlimmes.“

„Aber da unten sind Einbrecher!“ Jules Stimme kippt vor Aufregung über. „Sie schleichen um unser Haus herum und gucken durch die Fenster und einer von ihnen ist sogar in den Garten geklettert. Glaubst du, sie wollen Eddy klauen?“ Sie schaut mich aus ängstlichen Augen an.

„Einbrecher? Wo?“ Ich schnelle nach vorne und knalle unsanft gegen Jules harten Schädel. Autsch! Jetzt sehe ich tatsächlich ein paar Sterne, obwohl die Sonne schon kräftig in mein Zimmer scheint. Ich massiere meine schmerzende Stirn.

Rummms!

Im nächsten Moment kracht es so laut, als ob eine Abrissbirne gegen unser Haus donnert. Die Wände wackeln und mein Schneewittchenspiegel fällt zu Boden.

Besonders zimperlich sind diese Einbrecher nicht.

Ich springe panisch aus dem Bett und zerquetsche mit meiner Ferse beinahe Cäsar. Er ist die jüngste von Mamas Sibirischen Springmäusen und schläft am allerliebsten in meinen Pantoffeln, obwohl er das eigentlich gar nicht darf. Trotzdem büxt er immer wieder aus und taucht heimlich bei mir auf. Ich habe nichts dagegen. Cäsar ist total süß und hat die schönsten Schnurrbarthaare der Welt. In meinem kuscheligen Hausschuh sieht er aus wie der letzte Bewohner der Arche Noah. Ich habe schon superviele Fotos von ihm geknipst und ein Gedicht über ihn gemacht.

Jetzt rettet sich Cäsar mit einem waghalsigen Sprung – und zwar ausgerechnet auf mein Aufsatzheft, das auf dem Teppich liegt. Dort pinkelt er erst einmal eine riesige Pfütze. Na toll!

Gute Nerven haben Mäuse nicht. Ich sehe bereits das empörte Gesicht von Frau Rabe vor mir, wenn sie den gelben Fleck sieht. Besser gesagt: riecht. Mäusepipi duftet nämlich nicht nach Maiglöckchen wie ihr Lieblingsparfüm.

Ich stürze zum Fenster und schaue hinaus.

In unserer Gartenmauer steckt ein roter Transporter. Das Fahrzeug ist rückwärts in unsere frisch gestrichene weiße Mauer hineingefahren. Der irre Fahrer drückt offenbar gerade erneut auf das Gaspedal, denn das Fahrzeug setzt sich mit aufheulendem Motor wieder in Bewegung und nietet die Mauer um, als wäre sie aus Pappe. Es rollt in Zeitlupentempo mitten in unseren Garten, direkt auf den neuen Kaninchenstall zu. Kurz davor kommt es mit einem Ruckeln zum Stehen.

Im selben Augenblick springt die Hecktür auf. Ein paar Kartons kippen heraus und platzen auf. Überall auf dem Rasen verteilen sich vollgeschriebene Blätter.

Während die Kaninchen panisch in ihrem Heim herumjagen, stampft unser Esel Eddy herbei und fängt genüsslich an, auf den Blättern herumzukauen. Papier gehört zu seinen absoluten Lieblingsspeisen, obwohl Mama meint, das sei für einen Esel nicht gesund.

Ein Mann in Jeans und Strickpulli springt aus dem Wagen und versucht hektisch, Eddy die matschigen Blätter aus dem Maul zu zerren. Dabei schimpft er die ganze Zeit laut vor sich hin.

Plötzlich kommen zwei Jungen herbeigerannt. Sie müssen direkt an unserer Hauswand gestanden haben, deshalb sehe ich sie erst jetzt. Sie fangen an wie verrückt zu lachen, weil der Mann wie Rumpelstilzchen herumspringt. Das macht ihn natürlich noch viel wütender.

Jule schreit los und zwickt mich vor Aufregung in meinen Arm. „Der Größere, der hat vorhin durch das Küchenfenster geguckt. Und der blonde Junge hat Eddy einfach an der Mähne angefasst.“

Also, wie gefährliche Diebe sehen die zwei eindeutig nicht aus, finde ich. Der Dunkelhaarige ist bestimmt nicht älter als ich. Wenn er überhaupt schon zwölf ist. Er hat einen blau-weißen Ringelpullover an und abgeschnittene Jeans. Seine braunen Haare sind ein bisschen zu lang und er wischt sie sich ständig aus dem Gesicht. Der andere Junge ist so groß wie Jule und rotblond.

Der Mann fasst Eddy nun direkt ins Maul. Das kann der aber überhaupt nicht leiden – hätte ich ihm gleich sagen können. Eddy schubst ihn mit seinem sabbernden Maul einfach um und der Mann landet unsanft auf seinem Po.

„Jule, so ein Quatsch. Das sind doch keine Einbrecher!“ Ich kichere.

Die Jungen versuchen jetzt auch mitzuhelfen, aber sie stellen sich noch dümmer an als der Mann. Bei ihnen sieht die Rangelei mit Eddy um die Blätter so aus, als ob sie einen Ringkampf austragen wollten. Eddy gewinnt natürlich haushoch. Es dauert nur ein paar Sekunden, dann liegen die beiden ebenfalls im feuchten Gras. Eddy probiert aus, wie die Haare des großen Jungen schmecken, aber zum Glück für diesen mag er sie nicht. Jetzt sieht der Junge so abgeschleckt aus, als hätte er sich Haargel in seine Matte geschmiert. Das ist echt zum Schreien komisch.

„Nö, Jule, das sind wirklich keine Einbrecher“, kreische ich. „Das sind einfach irgendwelche Wahnsinnigen, die sich offenbar in der Gartentür geirrt haben. Besser gesagt – in der Gartenmauer. Guck dir das an. Voll witzig. Eddy macht die in null Komma nix fertig. Und der Mann kann nicht einmal richtig Auto fahren. Wenn Mama die kaputte Mauer sieht, flippt sie völlig aus.“

Im gleichen Moment schlägt unten die Haustür zu. In Riesenschritten stürmt meine Mutter auf die Eindringlinge zu. Im Schlafanzug!

Jule und ich wiehern gleichzeitig los. Was jetzt passiert, ist bestimmt besser als Kino. Davon sind wir beide überzeugt.

Als Tierärztin ist meine Mutter nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Als Mama zum Glück auch nicht. Aber als Hausbesitzerin ist sie immer gleich auf hundertachtzig. Das ist echt komisch.

Wir sind erst vor zwei Jahren in dieses windschiefe Hexenhäuschen eingezogen, in dem unsere Großmutter als kleines Kind gewohnt hat. Sie hat es uns vererbt, weil sie leider schon gestorben ist. Das Haus stand ewig lange leer und wurde nie wirklich entrümpelt. Deshalb ist es bis unter das Dach voller seltsamer Sachen, die niemand braucht. Meint meine Mutter.

Ich habe nämlich in den Kisten auf dem Dachboden sehr schöne Dinge entdeckt, die ich gut in meinem Zimmer verwenden kann.

Den Schneewittchenspiegel zum Beispiel. Er hat einen verschnörkelten Rahmen aus Gold und wenn man hineinschaut, verzerrt sich das Gesicht, je nachdem, wie man den Kopf dreht. Das ist total lustig.

Außerdem eine riesige Glaskugel, die im Sonnenlicht funkelt wie ein kostbarer Edelstein. Sie hat bestimmt einer Wahrsagerin gehört. Ich habe aus Spaß mal meine Hände darübergehalten und ganz fest an ein Geheimnis gedacht, das ich unbedingt herauskriegen wollte, und da ist mir plötzlich ganz schummrig geworden. Habe ich mich vielleicht erschrocken!

Um mich zu ärgern, hat meine Mutter hinterher gesagt, dass ich in meinem früheren Leben sicher die Hexe in unserem Hexenhäuschen gewesen bin. Das macht mir aber gar nichts aus. Vielleicht habe ich ja deshalb Herrn Schiller im Wald gefunden.

Das ist gleich in der ersten Woche, nachdem wir hier eingezogen waren, passiert. Ich war alleine im Wald unterwegs und da lag er piepsend auf dem Weg. Mir ist fast das Herz stehen geblieben. Ich habe ihn ganz vorsichtig in mein blaues Halstuch eingewickelt und bin so schnell ich konnte nach Hause gelaufen. Mama kennt sich ja zum Glück mit Tieren aus.

Herr Schiller ist die schönste Krähe, die ich je gesehen habe, mit dunkelblau glänzenden Federn, einem weißen Fleck auf der Brust und einem pechschwarzen Schnabel. Bestimmt hat ihn ein Kuckuck aus dem Nest geschubst. Wenn ich ihn nicht gefunden hätte, wäre er garantiert gestorben. Sein linker Flügel war gebrochen, aber Mama hat ihn geschient.

Ich musste Herrn Schiller mit Insektenbrei füttern, und als es ihm etwas besser ging, kriegte er Rührei. Das ist immer noch seine Lieblingsspeise, obwohl er die Eier überall herumspuckt. Als er wieder gesund und flügge war, wollte er gar nicht mehr von uns weg. Und deshalb wohnt er jetzt bei mir.

Meine Mutter glaubt, Herr Schiller und ich sind Seelenverwandte, weil er Gedichte und Songtexte genauso gerne mag wie ich. Kann schon sein. Ich muss Herrn Schiller ja nur angucken, da fällt mir schon wieder was Neues für einen Song ein. Der hier ist gerade unser Lieblingslied:

CRAP RAPHerr Schiller: eine düstre Gestalt,bei dem wird jedem heiß und kalt.Er fürchtet sich im Finstern nicht, jagt selbst Vampire in die Flucht.Schickt sie ins Licht, spuckt ihnen Rührei ins Gesicht!Waaaaaaaah!

Wenn ich zum Schluss das Waaaaaaaah! ganz laut hinterherbrülle, dann gluckert Herr Schiller los wie eine Horde Lachtauben. Das ist total crazy.

Er kann sowieso supergut Stimmen nachmachen. Besonders die unserer Mutter, wenn sie sich aufregt. Wie jetzt eben. Ehrlich gesagt möchte ich gerade nicht in der Haut dieses ulkigen Typs da unten stecken.

Im gleichen Moment geht es auch schon los.

Mama fuchtelt mit Händen und Füßen herum und deutet aufgeregt auf die kaputte Mauer. Der fremde Mann macht aber mindestens genauso einen Alarm. Er zeigt anklagend auf den kauenden Eddy und tritt schließlich sogar mit der Fußspitze wütend gegen die Mauer. Oder was davon übrig geblieben ist.

So witzig dieser Stummfilm ist – eigentlich würde ich verflixt gerne hören, was die beiden sich genau an den Kopf werfen. Bis auf ein paar wütende Wortfetzen kriege ich nämlich nichts davon mit, weil Eddy mittlerweile lautstark mitmischt.

„Man versteht ja gar nichts“, sagt Jule enttäuscht. „Glaubst du, wir dürfen rausgehen? Oder wird Mama dann noch böser …“

Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher. Mama ist ganz schön unter Dampf.

„Guck mal, Maxie. Kassia ist ja unten. Dann geh ich aber auch!“ Jule rennt los.

Tatsächlich. Kassia ist ebenfalls im Garten. Sie ist meine andere Schwester. Wir haben am selben Tag Geburtstag, aber zum Glück ist Kassia ein Jahr jünger als ich. Obwohl – eine Zwillingsschwester fände ich auch irgendwie cool.

Kassia und ich sind allerdings alles andere als Zwillinge. Manchmal bin ich mir nicht einmal sicher, ob wir überhaupt miteinander verwandt sind. Kassia ist nämlich ein echtes Superhirn. Ein Mathegenie. Ein Überflieger. Direkt unheimlich. Sie kriegt garantiert einmal den Nobelpreis für Physik oder entdeckt einen fremden Stern, auf dem Außerirdische wohnen.

Samstagnacht hockt sie meistens auf dem Dachboden herum und guckt durch ein langes Fernrohr in den Himmel. Sie hat sogar ein Klappbett mit einem Schlafsack dort aufgestellt. Darin schläft sie manchmal. Aber nur, wenn am nächsten Tag keine Schule ist.

Anfangs hat Mama deshalb schrecklich herumgemeckert, aber dann hat sie nachgegeben. Kassia ist nämlich auch supergut darin, andere zu überzeugen. Das gilt auch für unsere Mutter. Und darauf bin ich wirklich neidisch.

Ich düse total schnell hinter Jule her. Nicht dass ich noch was Wichtiges verpasse.

Aber ich komme leider zu spät.

Anscheinend sind den beiden Streithähnen gerade die Schimpfwörter ausgegangen. Dabei hätte ich noch ein paar für mein neues Wutlied gebrauchen können.

Mama und der Mann gucken sich stumm und spinnefeind an.

Erwachsene sind echt ulkig. Wenn ich mich nur fünf Minuten mit meinen Schwestern fetze, wird meine Mutter total sauer. Warum gilt das immer nur für Kinder?

„Ich erwarte, dass Sie die Mauer umgehend ersetzen und wieder aufbauen“, sagt Mama mit eisiger Stimme. „Ich bin Tierärztin und trage Verantwortung. Die kranken Tiere, die man mir zur Pflege anvertraut hat, müssen sicher bei mir untergebracht werden. Das erwarten die Tierhalter zu Recht. Und auch unsere eigenen Tiere brauchen den Schutz der Mauer vor der Straße.“ Sie verschränkt die Arme.

„Ihr störrischer Esel hat meine kostbaren Kompositionen zerstört“, erwidert der Mann bockig. „Ich fordere Schadensersatz.“

„Mir egal, Ihre Noten“, sagt Mama.

„Mir egal, Ihre Mauer. Und gegen Tiere bin ich allergisch. Sogar gegen Fische“, sagt der Mann.

Die beiden stehen sich wie Kampfhähne gegenüber und starren sich wütend in die Augen.

Ganz ehrlich: Ich finde, Mama übertreibt gerade irgendwie. So gestelzt redet sie sonst nie. Der Typ muss sie ganz schön auf die Palme gebracht haben.

Die Mauer war zwar frisch gestrichen, aber ansonsten uralt. Und weder Eddy noch Herrn Schiller oder Kassias nervigen Kater Chili interessiert eine Mauer. Herr Schiller fliegt sowieso darüber, Chili tänzelt auf der Mauer herum wie auf einem Catwalk und Eddy geht durch das offene Gartentor auf die Straße spazieren, wann immer er Lust dazu hat. Autos kommen hier selten vorbei. Außer ausgerechnet dieser runtergekommene rote Transporter.

Zur Untermiete sind im Augenblick nur die Zwergkaninchen. Aber die hat ihr Besitzer wohl vergessen abzuholen, vielleicht weil aus den drei Babykaninchen mittlerweile fünfzehn geworden sind. Alle schwarz-weiß. Ansonsten wohnen bei uns noch Mamas zwölfköpfige Springmausfamilie (die hat jemand im Karton vor die Haustür gestellt), zwanzig Goldfische im Gartenteich (die flüchten auch nicht durch die kaputte Mauer), mehrere Frösche und drei Salamander.

„Tja. Dann sollten wir mal unsere Namen austauschen, um die Schadensfrage zu klären – falls es da etwas zu klären gibt“, räuspert sich der Unglücksfahrer. „Sebastian Pfeffer, Musiker.“ Er verbeugt sich.

Mama schleudert energisch ihren Pferdeschwanz hin und her. „Und mein Name ist Doktor Klementine Buntschuh, Tierärztin. Groß und deutlich hier zu lesen.“ Sie zeigt auf das Praxisschild neben unserer Haustür.

Der Fremde zuckt zusammen und kneift die Augen klein. Wie ein hypnotisiertes Kaninchen starrt er Mama an. „Buntschuh!“, ruft er ungläubig. „Aber wer heißt denn so? Und dazu noch Klementine.“ Er bricht in schallendes Gelächter aus.

„Wie bitte?!“ Mama schnaubt wie ein beleidigtes Rennpferd und presst trotzig ihre Lippen aufeinander. „Seinen Namen kann man sich nicht aussuchen. Aber wie man sich einer Dame gegenüber benimmt, schon. Adieu, Herr Pfeffer.“

Sie macht eine gebieterische Handbewegung in unsere Richtung. Das heißt, dass wir uns ins Haus verziehen sollen. Gehorsam setze ich mich in Bewegung und treibe meine zwei trödelnden Schwestern zur Eile an. Ich kenne Mama schließlich seit zwölf Jahren und weiß, wann sie es ernst meint.

„Nicht ,Adieu‘, sondern ,Auf baldiges Wiedersehen‘!“, ruft Herr Pfeffer uns hinterher. „Ich bin nämlich ab heute Ihr Nachbar, liebe Frau Doktor. Ich und meine Söhne Jonas und Lukas.“

Mama bleibt so abrupt stehen wie diese Frau aus der Bibel, die vor Schreck zu einer Salzsäule erstarrt ist. Ich kriege einen Moment richtig Angst, dass mit ihr dasselbe passiert, aber sie läuft nur knallrot an wie ein Leuchtfeuer über dem Ozean. „Wie bitte?“, kreischt sie und dreht sich eilig um.

Sebastian Pfeffer grinst, als wären seine Mundwinkel an den Ohren festgetackert. Er schwenkt einen Schlüsselbund. „Ich habe den alten Kasten gekauft“, sagt er lässig. „Wir ziehen heute ein. Um Ihre kaputte Mauer kümmere ich mich dann morgen. Schließlich will ich nicht, dass mir Ihre Arche-Noah-Crew den schönen Rasen kaputt trampelt.“ Er zwinkert mir verschwörerisch zu, bevor er zielstrebig auf unser leer stehendes Nachbarhaus zusteuert.

Tatsächlich. Der Schlüssel passt ins Schloss, die Tür springt auf.

Jonas und Lukas hechten ihrem Vater hinterher und verschwinden mit ihm in der Villa.

Eine halbe Stunde später sitzen wir alle zusammen um den Küchentisch, trinken heißen Kakao und halten Krisenrat.

Mama hat sogar die Dose mit den kostbaren Schokoladenkeksen herausgerückt, die ihre beste Freundin Penny aus London ab und zu mit der Post schickt. Die beiden kennen sich schon seit der Uni und Mama ist die Patentante von Pennys Tochter Paula. Normalerweise kriegen wir nur mickrige Krümel ab, so geizig ist Mama mit ihren leckeren Keksen. Sie versteckt sie jedes Mal an einem anderen Ort, damit wir sie nicht heimlich vertilgen. Aber heute meckert sie nicht einmal, als Jule gleich zwei Kekse auf einmal in ihren Mund schiebt.

Das heißt, die Lage ist ernst.

„Mama, hast du gesehen, dass der fremde Mann seine Hand in Eddys Maul gesteckt hat?“, fragt Jule empört. „Schade, dass Eddy nicht zugebissen hat.“

Mama antwortet nicht. Sie rührt tief in Gedanken versunken mit dem Löffel in ihrem Kakao herum und starrt vor sich hin. Dabei murmelt sie ohne Unterlass: „Total unverschämt. Total unverschämt. Total unverschämt.“

Sie nimmt drei Schokoladenkekse auf einmal und bröselt sie in ihren Kakao. Dann löffelt sie den süßen Schoko-Kakaomatsch mit Leichenbittermiene leer.

Ich schüttle mich angeekelt. Das muss doch scheußlich schmecken!

Mama scheint es wirklich sehr schlecht zu gehen.

„Stimmt. Total unverschämt, wie der durch die Mauer gebrettert ist. Aber reg dich doch nicht so auf, Mamilein. Am besten, du rufst gleich morgen Früh bei Herrn Adler von der Versicherung an“, sagt Kassia sachlich. „Dieser Sebastian Pfeffer muss auf jeden Fall die Reparatur bezahlen. Vielleicht sollten wir noch ein paar Fotos machen. Als Beweis. Wenn du mir dein Handy gibst, übernehme ich das. Außerdem hat er die Kaninchen und Eddy geärgert. Vielleicht kann man ihn sogar wegen tierischen Erschreckens anzeigen. Gibt es so was?“

Mir klappt die Kinnlade runter. Meine Schwester Kassia ist irgendwie nicht normal. Wie kann man mit elf Jahren bloß so vernünftig sein?

Ich selbst spüre eigentlich nur Wut auf den Typ. Mir so fies den Sonntag zu vermiesen, ist alles andere als nett. Ich würde gerne sofort etwas ganz Schlimmes machen, aus Rache. Leider fällt mir auf Anhieb nur Hasenkötel vor die Haustür legen oder Cäsar auf seine Windschutzscheibe pinkeln lassen ein. Das ist ja eher Kinderkram. Aber ich bin sicher, dass ich was Gemeineres finde, wenn ich nur lang genug an unsere neuen Nachbarn denke.

Mama nickt zustimmend. „Du hast Recht, Kassischatz. Dieser Mann benimmt sich wirklich frech.“ Sie klopft energisch mit ihrem Löffel auf den Tisch.

Plötzlich schießt mir etwas ungeheuer Wichtiges durch den Kopf. „Wenn dieser Herr Pfeffer mit seinen Kindern nebenan einzieht, dann kriegen wir die Villa ja nicht mehr!“, brülle ich los. „Wie gemein ist das denn?“

Eigentlich platzt unser kleines Haus aus allen Nähten. Jule und Kassia müssen sich sogar ein Zimmer miteinander teilen. Vielleicht ist das der Grund, warum Kassia am liebsten ganz auf den Dachboden übersiedeln würde. Anscheinend zieht sie die Gesellschaft von Fledermäusen den Pferden vor, die auf Jules Zimmerseite die Wände schmücken.

Deshalb hat Mama vor Kurzem ihr Sparbuch hervorgekramt und nachgeschaut, ob wir uns die Villa leisten könnten, wenn wir Großmutters Haus verkaufen. Mamas Traum ist schon lange eine eigene Tierklinik mit allem Drum und Dran. In der Villa hätten wir genügend Platz für uns selbst und Mamas Patienten.

Bisher sah es ziemlich gut aus. Die Villa gehörte nämlich dem Bürgermeister. Seit er in einen schicken Neubau mit Pool gezogen ist, stand sie leer. Nur ab und zu kam ein Gärtner zum Rasenmähen vorbei.

Weil sein Jagdhund auf einen rostigen Nagel getreten war, ist der Bürgermeister erst vor einer Woche in Mamas Praxis gewesen. Er war wie immer zuckersüß und hat versprochen, sich ihr Angebot zu überlegen. Ein richtiger Schleimer! Er hat mit keinem Pieps erwähnt, dass er die Villa längst verkauft hatte!

„Ich konnte den Bürgermeister noch nie ausstehen“, sagt Kassia triumphierend. „Jetzt müssen wir uns wenigstens keine Sorgen mehr machen, dass du auf sein Gesülze hereinfällst. Er findet dich ja offenbar total toll.“

Jule fängt an, wie verrückt zu lachen. Dann führt sie einen wilden Tanz in der Küche auf. Dazu kreischt sie hysterisch: „Der Bürgermeister ist verliiiebt, der Bürgermeister ist in unsere Mami verliiiiebt! Er will die Mami heiraten, er will die Mami heiraten, er will die Mami heiraten.“

Mama runzelt ärgerlich die Stirn. „Jule – hör sofort mit diesem Quatsch auf!“ Sie schiebt entschlossen ihren Stuhl zurück. „Aber Maxie hat natürlich Recht. Das ist gar nicht nett vom Bürgermeister. Ich werde morgen ein ernstes Wörtchen mit ihm reden, wenn er mit seinem Hund zum Pfoteverbinden kommt.“ Sie geht zum Küchenfenster und schaut hinaus. „Dieser Pfeffer scheint es ernst zu meinen. Da steht jetzt auch noch ein riesiger Möbelwagen vor der Tür. Was will der mit dem ganzen Krempel?“

Sie beugt sich weiter hinaus und gibt gleich darauf ein erstauntes Krächzen von sich. Es hört sich fast an wie Herr Schiller, wenn er eine Erdnuss verschluckt hat.

Eilig gucke ich ihr über die Schulter. „Ein Klavier! Ein richtiger Flügel wie bei uns in der Schule.“ Jetzt bleibt mir aber die Spucke weg. Für so ein tolles Instrument ist in unserem winzigen Haus kein Platz. Bei uns bekäme vermutlich schon eine Blockflöte Platzangst.

„Und in Weiß. Hammer!“, sagt Kassia. Sonst sagt sie nichts. Anscheinend fehlen ihr ausnahmsweise mal die Worte, was höchst selten vorkommt.

Jule klettert wie ein Äffchen auf meinen Rücken, um nichts zu verpassen. „Oh, das ist aber schön. Wie das Klavier in dem Dornröschenfilm. Vielleicht hat der Mann ja auch noch ein Pferd in dem großen Lastwagen?“, sagt sie hoffnungsvoll.

Meine kleine Schwester liebt Pferde über alles. Aber Mami will auf gar keinen Fall ein Pferd im Garten. Sie sagt, wir hätten ja unseren Eddy und der wäre genauso prima.

Das stimmt allerdings nicht so ganz. Eddy ist zwar echt süß, aber die meiste Zeit steht er lieber einfach so herum und kaut vor sich hin, anstatt mit Jule auf dem Rücken herumzutraben. Er ist eben nur ein dickköpfiger Esel und kein richtiges Pony. Das müsste Mama eigentlich am besten wissen. Schließlich kennt sie sich mit Tieren aus. Esel sind Packtiere und nicht besonders scharf auf Galopp. Und wenn sie keine Lust haben, haben sie keine Lust. Dann bleiben sie einfach stehen und denken anscheinend ewig lange darüber nach, ob sie in diesem Leben überhaupt noch einen Schritt machen sollen.

Die Möbelpacker schleppen eine spannende Kiste nach der anderen in die Villa. Sosehr ich mich auch anstrenge, ich kann nicht einmal erahnen, was sie enthalten. Aber Herr Pfeffer führt sich auf, als wäre ihr Inhalt ganz schön wertvoll.

„Ich wüsste gerne, ob er noch mehr Instrumente hat. Vielleicht in den Kisten“, sage ich. „Ein Schlagzeug wäre toll.“ Ich kriege vor Aufregung kaum noch Luft.

Kassia fängt an zu kichern. „Nicht verzagen, Eddy fragen.“

Meine Schwester hat wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen.

Eddy ist unbemerkt durch die Mauerreste getrabt und beschnuppert nun neugierig einige ausgeladene Kisten, die die Möbelpacker unvorsichtigerweise im Garten der Villa abgestellt haben. Einige Pappkartons sind mit Kordeln zugebunden. Geschickt kaut Eddy die Bänder mit seinen großen Zähnen durch. Dann beginnt er, die Pappe vollzusabbern, so als ob er sie aufweichen wollte.

„Esel sind die klügsten Tiere überhaupt“, schwärmt Kassia. „Bestimmt denkt er, er findet in dem Karton ein Leckerli.“

Im selben Moment kommt Herr Pfeffer aus dem Haus. „Weg da!“, schreit er los und stürzt sich auf Eddy. Doch Eddy frisst sich ungerührt weiter in das Paketinnere.

Herr Pfeffer wirft sich mit seinem ganzen Körper gegen unseren Esel. Eddy rührt sich nicht vom Fleck.

Er schüttelt Herrn Pfeffer unwillig ab und schiebt ihn behutsam mit seinem nassen Maul zur Seite.

„Gib ihm was zu fressen, Papa!“, kommt der kleinere Junge seinem Vater zu Hilfe. Er holt einen roten Apfel aus seiner Hosentasche und hält ihn Eddy direkt vor das Maul. Dabei streichelt er Eddys Kopf. „Schau mal, wie lieb der Esel ist!“

Ich traue meinen Augen nicht. Der Junge steigt auf eine wackelige Holzkiste und klettert furchtlos auf Eddys Rücken.

„Gleich wirft er ihn ab“, haucht Jule atemlos in mein Ohr. „Das lässt sich mein Eddy nicht gefallen.“

Der Junge flüstert Eddy etwas in seine Lauscher. Im gleichen Moment marschiert Eddy los. Aber nicht zurück in unseren Garten, sondern die Straße hinunter, und zwar in einer ziemlichen Geschwindigkeit.

Ich wusste gar nicht, dass Eddy so schnell laufen kann. Wahnsinn! Der kleine Junge scheint überhaupt keine Angst zu haben. Im Gegenteil. Er klebt juchzend auf Eddys Rücken und bewegt sich zu Eddys Tempo auf und ab wie ein Flummi.

„Eddy! Komm zurück“, schreit Jule empört. „Der blöde Junge soll sofort meinen Eddy zurückbringen, Mami.“ Sie fängt sirenenartig an zu heulen und trampelt wütend mit den Füßen.

„Ist das ein Affentheater hier!“, ruft Mama aus. „Erst die Mauer, dann der Esel.“ Sie stürmt aus der Küche und galoppiert in Hausschuhen die Straße hinunter. „Brrrr, Eddy. Brrrrr. Brrrrrr. Eddy, brrrrrrr!“ Mama wedelt aufgeregt mit den Armen. Im Nu hat sie die Ausreißer eingeholt und umkreist Eddy wie ein spanischer Stierkämpfer. Das sieht total beeindruckend aus. Selbst Jule hat aufgehört zu heulen und guckt fasziniert zu.

„Mama ist so was von cool!“ Kassia spricht aus, was wir alle drei denken.

Unsere coole Mutter treibt Eddy ruck, zuck nach Hause zurück.

Der Junge springt von Eddys Rücken herunter und holt eine Möhre aus seiner Tasche, um ihn noch schnell zu füttern. Anscheinend hat der Winzling einen halben Obst- und Gemüsegarten in seinen Klamotten vergraben.

Es gibt noch einmal einen kurzen, aber gesalzenen Wortwechsel zwischen diesem Herrn Pfeffer und unserer Mutter. Der Junge steht die ganze Zeit grinsend daneben und streichelt Eddy. Also, jetzt reicht es aber langsam.

„Das reicht jetzt aber langsam!“, höre ich Mama in diesem Moment ganz laut sagen. Sie schickt Eddy energisch in unseren Garten und läuft barfuß heim, weil sie unterwegs einen Hausschuh verloren hat.

Wir empfangen sie mit lautem Applaus und fallen ihr um den Hals. So eine tolle Mutter hat sonst keiner, da bin ich mir sicher. Sie sieht zerzaust, aber sehr unternehmungslustig aus.

„So, jetzt habe ich dem Herrn Nachbarn noch ein bisschen die Meinung gegeigt“, sagt sie zufrieden. „Der soll gleich wissen, dass er der Familie Buntschuh nicht auf der Nase herumtanzen kann.“

Den restlichen Sonntag bleibe ich lieber in meinem Zimmer, obwohl draußen die Sonne scheint. Herr Schiller und ich üben einen neuen Song ein, besser gesagt, einen Krächz-Rap. So richtig bei der Sache bin ich aber nicht.

Aus der Nachbarschaft kommen seltsame Geräusche; ich wusste gar nicht, dass Einziehen so einen Krach macht. Mama jagt den ganzen Tag durch den Garten und räumt auf. Sogar Eddy muss dran glauben. Sie schrubbt ihn mit einer Bürste und ganz viel Babyshampoo. Sogar hinter den Ohren. So blitzblank war unser Esel schon lange nicht mehr.

Kassia belehrt mich, dass unsere Mutter Eddy nur aus einem einzigen Grund badet, nämlich, um unsere neuen Nachbarn auszukundschaften. Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen, aber warum eigentlich nicht? Zutrauen würde ich es ihr. Schließlich haben wir nicht nur die coolste, sondern auch die schlaueste Mutter der ganzen Welt. Bestimmt sammelt sie heimlich Beweise, wie wir die nervige Pfefferbande schnell wieder loswerden, damit wir doch noch in die Villa einziehen können.

Und wenn Mama das alleine nicht schafft, helfen wir einfach ein bisschen nach. Da fällt mir bestimmt was Tolles ein. Ich sage nur: Wüstenspringmaus-Parfüm. Stimmt’s, Herr Schiller?

Am Abend ist unsere Mutter völlig erschossen. Kein Wunder, sie hat ja den halben Garten umgegraben. Während sie zur Entspannung in die Badewanne steigt und Kassia zusammen mit Jule den Abendbrottisch deckt, füttere ich draußen schon mal unsere Kaninchen und Chili, Kassias Kater, obwohl wir uns nicht besonders gut leiden können. Das Biest ist unberechenbar und hat Herrn Schiller schon mal eine Feder ausgerupft.

Gerade als ich mit Hoppel und Poppel, den zwei zutraulichsten Kaninchen, im Gehege schmuse, sehe ich den älteren der beiden Jungen in der Garage der Villa an einem Fahrrad herummurksen. Jonas heißt er, fällt mir ein. Wieso habe ich mir überhaupt seinen Namen gemerkt?

Hoffentlich kommt er nicht in meine Klasse. Na, eigentlich auch egal. Mehr als eine Woche bleibt die Pfefferbande sowieso nicht. Sie können den Möbelwagen eigentlich gleich vor der Haustür stehen lassen.

Das Fahrrad sieht nagelneu aus, so ein typisches Angeber-Mountainbike. Keine Ahnung, was der Junge damit will. Schließlich wohnen wir hier nicht in den Alpen.

Plötzlich guckt der Junge in meine Richtung. „Hey“, sagt er. Sonst nichts. Er pumpt konzentriert den Hinterreifen auf.

Ich zucke so heftig zusammen, dass Hoppel und Poppel empört von meinem Arm springen und in ihrem Häuschen verschwinden.

Verdattert starre ich zu ihm hinüber. Er schraubt einen Kilometerzähler fest.

„Gehören die Kaninchen alle dir?“, fragt der Junge.

„Nee, dem Weihnachtsmann“, antworte ich schnippisch.

Der Junge grinst. „Ich dachte eigentlich, die sind mit dem Osterhasen verwandt.“

Was quatscht dieser Typ denn da? Auf so einen Unsinn antworte ich gar nicht, das ist unter meiner Würde. In Zeitlupentempo klettere ich aus dem Kaninchengehege und setze mich ins Gras.

„Ich heiße Jonas und ich schätze, du bist auch zwölf“, sagt er. „Wahrscheinlich gehen wir sogar in dieselbe Klasse, oder gibt es in diesem Kaff mehrere Schulen?“

So viel Frechheit macht mich sprachlos. Deshalb versuche ich möglichst gelangweilt zu gucken, als ich nicht auf sein Geblubber reagiere. Diesen Blick habe ich übrigens bereits ewig lange vor dem Spiegel geübt. Wenn ich mal mit Herrn Schiller auf einer richtigen Bühne stehe und mit ihm meine Wut-Songs oder den Krächz-Rap vor einem großen Publikum vortrage, ist es wichtig, dabei so cool wie möglich auszusehen.

Jonas starrt mich an. „Besonders gesprächig bist du ja nicht. Hast du Bauchweh oder warum verzerrst du dein Gesicht so komisch? Hör mal!“ Er drückt auf seine Klingel. Ein ohrenbetäubendes Kikeriki erklingt. Unsere Kaninchen hoppeln aufgeregt in ihrem Stall herum.

Wie kindisch ist das denn?

Jonas strahlt mich an. „Verdammt cool, was? Das hat keiner außer mir.“

Allerdings nicht. Kein anderer würde sich freiwillig mit so einer Klingel zum Affen machen.

„Also dann“, sagt er und hebt zwei Finger zum Gruß. „Man sieht sich.“

Er verschwindet in der Villa. Gleich darauf geht im oberen Stockwerk das Licht an und ich entdecke Jonas am Fenster. Es befindet sich auf der gleichen Höhe wie mein eigenes. So ein Mist. Der Junge kann ja direkt bei mir hineingucken. Gleich morgen bitte ich Mama, dass sie mir einen dicken Vorhang kauft. Ich habe nämlich nur ein dünnes buntes Tuch vor die Fensterscheibe gehängt. Scheint die Sonne, leuchtet mein ganzes Zimmer wie ein Regenbogen. Aber damit ist jetzt eben Schluss. Hastig laufe ich zurück ins Haus.

„Hast du gerade mit dem großen Jungen von nebenan gequatscht?“, fragt Kassia vorwurfsvoll, als ich mich zum Abendbrot an den Küchentisch setze. „Wir wollten die Pfefferbande doch links liegen lassen.“

Ich schüttle empört den Kopf. „Er hat mit mir geredet. Keine Ahnung, was. Hörte sich alles total wirr an.“ Ich schmiere fingerdick Erdbeermarmelade auf mein Butterbrot und beiße wütend hinein.

„Ich finde die Fahrradklingel von dem Jungen toll, die ist ganz laut“, mischt sich Jule ein. „So eine hätte ich auch gerne. Ob ich mir die mal ausleihen kann?“

„Jule!“, rufen Kassia und ich im Chor.

„Untersteh dich“, nuschle ich mit vollem Mund. „Ab heute gilt absolutes Sprechverbot mit den Pfeffers, ist das klar?“

Jule zieht eine Schnute. „Ich kann die Klingel doch ausprobieren, ohne mit dem Jungen zu reden.“

Kassia und ich wechseln einen alarmierten Blick. „Ich erkläre es dir nachher, wenn ich dir eine Gute-Nacht-Geschichte vorlese“, sagt Kassia.

So nervig meine Schwester Kassia manchmal ist mit ihrer Besserwisserei – gerade könnte ich sie abknutschen. Denn eines ist total klar: Wir müssen die Pfefferbande so schnell wie möglich wieder loswerden. Und da können wir uns nicht bloß auf Mama verlassen.

Als ich später im Bett liege, kann ich einfach nicht einschlafen. Das war wirklich ein ziemlich chaotischer Tag. Mama ist ganz früh in ihrem Zimmer verschwunden, ganz ohne Abendbrot. Sie hat ziemlich müde und besorgt ausgesehen, das hat mir richtig Angst eingejagt.

Ich würde gerne das Licht anknipsen und noch ein bisschen lesen, aber ich will auf keinen Fall, dass dieser Jonas in mein Zimmer gucken kann. Von meinem Bett aus entdecke ich, dass sein Fenster sperrangelweit offen steht. Obwohl es draußen stockduster ist, erkenne ich, dass er ebenfalls noch wach ist und auf der Fensterbank sitzt. Ich habe nämlich Augen wie eine Eule, sagt Mama immer. Die habe ich von Papa geerbt.

Ach Papa. Auch in der Dunkelheit kann ich sein Foto, das über meinem Schreibtisch hängt, so gut sehen, als wenn es taghell wäre.

Das liegt bestimmt daran, dass ich es mir schon mindestens eine Million Mal angeschaut habe. Auf dem Foto sind unsere Eltern zusammen drauf, mit Papas Pferd Kaliber. Papa konnte nämlich super reiten, genau wie Jule.

Wenn unser Vater nicht mit seinem Rettungshubschrauber unterwegs war, ist er mit Kaliber durch den Wald geritten. Also dort, wo wir früher alle zusammen gewohnt haben. Ganz in der Nähe vom Flughafen, damit er immer schnell starten konnte, wenn ein schlimmer Unfall passiert war.

Mein Vater war nicht nur ein toller Pilot, er war auch supermutig und der süßeste und lustigste Papa auf der ganzen Welt.

Ach, Papa. Du hättest die Pfefferbande mit deinem Hubschrauber verjagt wie Superman. Da bin ich ganz sicher. Und dann hätten wir alle zusammen in die Villa einziehen können. Der Garten hinter der Villa ist so groß, dass Kaliber dort sogar einen eigenen Stall hätte bekommen können. Dann hätte ihn Mama nicht verkaufen müssen.

Aber Papa ist eines Tages nach der Arbeit nicht mehr nach Hause gekommen. Ein Vogelschwarm ist gegen seinen Hubschrauber gekracht und er ist einfach abgestürzt.

Das ist jetzt vier Jahre her, und immer, wenn ich an ihn denke, dann tut mir alles gleichzeitig weh. Der Bauch, mein Kopf, sogar mein kleiner Zeh. Die Schmerzen gehen nur weg, wenn ich ganz schnell anfange zu heulen. So wie eben jetzt. Ich schnappe mein Kopfkissen und schluchze es eine Runde nass.

„Krah. Krah. Krah.“ Plötzlich segelt Herr Schiller in einem eleganten Bogen über mein Bett und landet direkt neben meinem Kopf. Er hackt mir mit seinem kräftigen Schnabel ins Ohr. „Krah. Krah. Krah.“

„Aua!“ Ich bin so verblüfft, dass ich schlagartig aufhöre zu heulen. „Hast du nicht alle Federn unterm Pony?“, rufe ich empört. Auf einmal bin ich total wütend. Wütend auf Herrn Schiller, wütend auf die blöden Vögel, die mit Papa zusammengestoßen sind. Wütend auf alle Vögel dieser Welt.

„Du doofer Vogel!“, schreie ich ihn an. „Du doofer, doofer Vogel.“

Herr Schiller guckt mich aus seinen kugelrunden schwarzen Knopfaugen ernst an.

„Kacke. Kacke. Kacke“, sagt er. Und während er zurück auf seine Stange segelt, stößt er einen langen und tiefen Seufzer aus.

Im ersten Moment weiß ich nicht, ob ich weiterheulen oder lachen soll. Herr Schiller ist wirklich der verrückteste Vogel der ganzen Welt.

„Kacke. Kacke. Kacke“, wiederhole ich. „Herr Schiller, du hast total Recht. Es ist total kacke, dass Hubschrauber nicht so gut fliegen können wie Vögel.“

Plötzlich bin ich todmüde. Ich riskiere einen Blick hinüber zur Villa. Wann taucht eigentlich die Mutter der Pfefferbande auf, frage ich mich unvermittelt. Auf die bin ich echt gespannt. Sie muss Nerven wie Stahlseile haben, bei der Familie. In diesem Augenblick knallt das Fenster gegenüber zu. Ich ziehe mir meine Bettdecke über den Kopf und schlafe in der gleichen Sekunde ein.

Am nächsten Morgen habe ich überhaupt keine Lust aufzustehen.

Aber leider pickt mich Herr Schiller total lästig in mein Ohr. Das macht er immer, sobald der Wecker zum ersten Mal geläutet hat. Ich habe den Verdacht, dass Kassia ihm dieses Kunststück heimlich beigebracht hat, um mich zu ärgern.

Montag ist der schlimmste Tag in meinem Leben. Und das jede Woche neu.

Obwohl ich zwölf bin und schon ewig in die Schule gehe, gewöhne ich mich einfach nicht daran. Habe ich mich am Freitag endlich damit abgefunden, dass ich dort jeden Vormittag verbringen muss, dann ist Wochenende. Und danach geht alles wieder von vorne los.

Hört sich verrückt an? Vielleicht. Ich würde es ja selbst gerne ändern. Meine Schwestern können es gar nicht erwarten, dass der Unterricht losgeht. Kassia, weil sie möglichst schnell möglichst viel lernen will, damit sie Sternenforscherin werden und Aliens in einem Raumschiff besuchen darf. Und Jule, weil sie dort ihre zwei besten Freundinnen trifft.

Manchmal, wenn ich ganz verzweifelt darüber bin, dass Schule mir so schwerfällt, tröstet mich Mama. Dann erzählt sie mir, dass Papa sogar ziemlich oft geschwänzt hat und deshalb riesigen Ärger mit seinen Eltern kriegte. Und dass er ja trotzdem ein toller Pilot geworden ist.

In den ersten beiden Stunden am Montag habe ich Deutsch. Frau Glöckner ist meine Lieblingslehrerin, denn sie ist immer gut gelaunt und meckert fast nie. Sie hat sogar schon Gedichte von mir gelesen und mir Tipps gegeben, wie sie noch fetziger werden.

Leider kriege ich in Deutsch trotzdem immer eine miese Note und wir wissen beide einfach nicht warum. Bei Klassenarbeiten legt sich in meinem Kopf ein Schalter um. Ich kann mich dann an nichts mehr erinnern, also jedenfalls nicht an Rechtschreibung und den ganzen Kram. Besonders schlimm ist es, wenn wir was erzählen sollen. Dann purzeln meine Gedanken wie wild durcheinander.

Ich will meine Geschichte zwar unbedingt loswerden und in meinem Kopf ist sie auch wunderschön. Aber ich schaffe es einfach nicht, sie rechtzeitig aufzuschreiben, bevor wieder alles durcheinandergewirbelt wird. In meinem Heft fliegen die Buchstaben dann so wild kreuz und quer wie die Sternschnuppen, die Kassia immer durch ihr Fernrohr beobachtet. Ich kann einfach nichts dagegen tun.

Seit ich das weiß, traue ich mich eigentlich gar nicht mehr loszulegen. Aber damit sind meine Mutter und Frau Glöckner leider nicht einverstanden. Deshalb muss ich mich durchbeißen.

Zum Glück kann ich mich nach Deutsch bei Frau Rabe erholen. Bei der haben wir Musik, mein absolutes Lieblingsfach. Frau Rabe ist keine Lehrerin, sondern Organistin in unserer Kirche. Deshalb kann sie perfekt Klavier spielen. Wenn man die Augen dabei zumacht, hat man das Gefühl, man schwebt auf einer Wolke davon, so schön hört sich das an.

Frau Rabe hat den Musikunterricht aushilfsweise übernommen, weil wir im Moment keinen richtigen Musiklehrer haben. Sie ist fast so nett wie Frau Glöckner und völlig verrückt nach Herrn Schiller.

Letzte Woche verkündete sie eine wahnsinnig spannende Sache: Das Landesschulamt hat einen Musik-Wettbewerb ausgeschrieben. Jede Schule kann eine Band hinschicken.

Ohne groß zu überlegen, brüllte ich ins Klassenzimmer: „Ich will als Texterin antreten, zusammen mit Herrn Schiller, der ersten rappenden Schulkrähe auf der ganzen Welt.“

Gleich darauf wäre ich am liebsten im Boden versunken. Warum denke ich nicht besser nach, bevor ich meinen Mund aufmache? Das passiert mir in letzter Zeit ständig. Dabei habe ich gar keine Lust, mich extra zum Affen zu machen.

Mama sagt, das liegt daran, dass ich bald in ein anstrengendes Alter komme. Keine Ahnung, was sie damit meint. Ich finde meine jüngeren Schwestern schlimmer, oder warum streiten wir so oft?

Aber zu meiner großen Überraschung lachte mich überhaupt niemand aus. Im Gegenteil. Einige meiner Mitschüler trampelten sogar mit den Füßen und fanden meinen Vorschlag richtig toll! Besonders Jana, der ich meinen Rap schon mal vorgesungen habe, kriegte sich gar nicht mehr ein. Fand ich ziemlich cool.

Jana ist das netteste Mädchen in meiner Klasse und sitzt neben mir. Wir sind miteinander befreundet, aber nicht richtig fest. In letzter Zeit geht sie mir leider mindestens einmal am Tag ziemlich auf die Nerven. Sie interessiert sich nämlich seit Kurzem sehr für Jungs und will in den Pausen über fast nichts anderes mehr reden.

Aber zurück zu meiner Band-Idee: Auch Frau Rabe war total begeistert und lud Herrn Schiller zum Probevorsingen ein. Das finde ich echt spontan von ihr und deshalb üben wir jetzt jeden Tag den Crap Rap. Schließlich will ich sie nicht enttäuschen. Unser Auftritt bei diesem Wettbewerb soll einfach alle aus den Schuhen kippen lassen. Wir holen den ersten Platz. Ich weiß es! Krah, krah, krah!

Für das Gewinnerteam gibt es nicht nur eine Urkunde, sondern auch noch Geld für neue Instrumente. Davon könnte Frau Rabe ein Schlagzeug und ein Saxofon und was sonst noch drin ist für die Schule kaufen, sodass wir in der Musikstunde endlich ordentlich Krach machen könnten. Das wäre genial!

Plötzlich klopft mein Herz ganz heftig. So sehr freue ich mich.

Ich glaube, ich stehe doch ganz schnell auf und gehe in die Schule. Ich muss unbedingt noch mal mit Frau Rabe über den Wettbewerb sprechen. Damit auch wirklich nichts schiefgeht. Und vielleicht traue ich mich ja sogar, Frau Glöckner den Crap Rap vorzulesen.

„Was ist los?“ Meine neunmalkluge Schwester Kassia schaut mich erstaunt an, als ich vollkommen angezogen und mit meinem gepackten Schulrucksack in der Küche auftauche. „Heute ist Montag! Haben Aliens dein Zimmer bevölkert oder wieso tauchst du freiwillig auf?“

Grrrr! Alles klar? Das meine ich, wenn ich sage, dass Kassia nervt.

Auf so einen blöden Satz gebe ich gar keine Antwort, das ist unter meiner Würde. Stattdessen suche ich nach meinem Schulbrot.

Mama kann genial kochen und backen. Sie macht alles selbst, auch wenn sie das ganze Wartezimmer voller kranker Vierbeiner hat. Und sie denkt sich jede Woche köstliche Beläge für unsere Pausenbrote aus. Montags kriege ich immer etwas extra Leckeres mit, damit mir der Tag nicht ganz so schwerfällt.

Eigentlich wäre mal wieder Quark dran, finde ich, mit saftigen Kräutern aus unserem Hexenbeet, wie Mama ihre Kräuterecke draußen im Garten nennt. Aber meine Proviantdose ist leer.

„Wo ist mein Pausenbrot?“, frage ich alarmiert. „Hast du es genommen, Kassia?“

Kassia schüttelt energisch den Kopf. „Ich bin doch nicht lebensmüde. Du musst heute Zwieback mitnehmen oder Knäcke. Mama ist krank. Sie liegt noch im Bett.“

Seit ich in den Kindergarten gehe, habe ich mein Pausenbrot noch nie selber machen müssen. Sogar als Mama sich mit Windpocken bei uns angesteckt hatte. Wenn Mama nicht mal aufstehen kann, hat sie bestimmt etwas ganz Schlimmes. Mir wird vor Schreck schlagartig kochend heiß. Ohne eine Sekunde zu zögern, stürme ich zu ihr.

Mama hat alle Vorhänge zugezogen, sodass es in ihrem Zimmer stockdunkel ist und kein einziger Sonnenstrahl hereinkommt.

„Mama?“, flüstere ich und mein Hals ist plötzlich staubtrocken. „Was hast du denn? Musst du jetzt ins Krankenhaus?“

Plötzlich sausen ganz viele wirre Gedanken durch meinen Kopf. Wenn Mama ins Krankenhaus kommt, wer passt denn dann auf uns auf?, denke ich.

Ich habe mal ein Buch gelesen, da wurden alle Geschwister ins Heim geschickt, weil die Mutter krank war und sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern konnte.