Medizinische Organisationspsychologie für das Krankenhaus -  - E-Book

Medizinische Organisationspsychologie für das Krankenhaus E-Book

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Beschreibung

Dieses Buch nimmt Einrichtungen des Gesundheitswesens unter eine organisationspsychologische Lupe und unterstützt bei der Bewältigung krankenhausspezifischer Herausforderungen mit dem Handwerkszeug systemischer Beratung. Die Autor:innen geben Einblicke in die wissenschaftlich fundierte und praktische Beratungserfahrung der Sektion Medizinische Organisationspsychologie in Heidelberg. Das Spektrum reicht von der Beratung einzelner erschöpfter Mitarbeiter:innen bis zur Arbeit mit großen Teams im Schichtdienstbetrieb; von der Fallsupervision für anstrengende Patient:innenkontakte bis zur resilienzfördernden Team- und Führungskräfteentwicklung; von der breitgefassten "Inhouse-Beratung für alle Lebenslagen" bis zur hochspezialisierten Konfliktmediation. Inspiriert ist dieser Band von der Hochachtung für die Organisation Krankenhaus und deren Mitarbeitende, die tagtäglich Menschenleben retten oder zumindest vielen von uns helfen, gesund zu bleiben oder wieder zu werden. Die facettenreichen Beiträge zeigen den Geist systemischer Beratung, vermitteln Haltungen wie Wertschätzung, Neugier, Allparteilichkeit und zeugen vom Respekt gegenüber den Personen und Zielen der Organisation – bei gleichzeitiger Respektlosigkeit gegenüber angeblich nicht anzweifelbaren Glaubenssätzen.

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Leben.Lieben.Arbeiten SYSTEMISCH BERATEN

Herausgegeben vonJochen Schweitzer undArist von Schlippe

Janna Küllenberg und Jochen Schweitzer (Hg.)

MedizinischeOrganisationspsychologiefür das Krankenhaus

Systemische Beratungin einem fordernden Umfeld

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit einer Abbildung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Badun/shutterstock.com

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2625-6088

ISBN 978-3-647-99363-8

Inhalt

Zu dieser Buchreihe

Vorwort von Arist von Schlippe

IDer Kontext

Was ist medizinische Organisationspsychologie?

Krankenhäuser verstehen

Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz Krankenhaus

IIDie systemische Beratung

Teamberatung im Krankenhaus wirksam ausrichten

Konfliktmoderation und -mediation im Krankenhaus

Dilemmakompetenz trainieren

Führungskräfte entwickeln und coachen

Anonyme innerbetriebliche Mitarbeiterberatung in Krisensituationen

Interne Organisationsentwicklung einer Klinik

IIIAm Ende

Wie arbeiten wir? Das Wichtigste in aller Kürze

Literaturverzeichnis

Die Autorinnen

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewältigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwer machen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) haben mit unseren intimen Beziehungen zu tun, mit deren Anfang und deren Ende, mit Liebe und Hass, mit Fürsorge und Vernachlässigung, mit Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten.

Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben, allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungswegen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick.

Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen »Grundlagenwissen« (1996/2012) und zum »störungsspezifischen Wissen« (2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das »kontextspezifische Wissen« der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind.

Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten.

Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort von Arist von Schlippe

Organisationen sind merkwürdige Gebilde. Die Fähigkeit von Menschen, sich kooperativ zusammenzuschließen, um mehr zu erreichen als sie könnten, wenn sie allein unterwegs sind, hat zu einer unglaublichen Steigerung der Möglichkeiten geführt – nicht erst seit heute. Wir stehen staunend vor den Pyramiden, vor dem Kölner Dom und anderen Gebäuden und erfreuen uns im Alltag an Erzeugnissen, die ohne die Fähigkeit des Organisierens und ohne die Koordination unterschiedlicher Organisationen nicht möglich wäre.

Doch was ist eigentlich eine Organisation? Gebäude, Türschild, Personen, all das ändert sich, Organisationen leben ja in der Regel viel länger als ihre Mitglieder. Sie wechseln Standorte, Briefköpfe, Führungs- und Organisationsstrukturen. An äußeren Merkmalen sind sie nicht dauerhaft dingfest zu machen. Am ehesten kann man sagen, dass sie definierbar sind durch die Art und Weise, wie sich Menschen koordiniert verhalten. Dabei lassen sich formale und informale Aspekte voneinander unterscheiden. Während Organisationen über komplexe Regelsysteme die Tätigkeiten der Mitglieder über formale Abläufe festlegen, sind alle sich bewusst, dass all dies allein nicht reicht. Die informale Seite besteht »aus eingeschliffenen Praktiken, aus gepflegten Kniffen zur Arbeitserleichterung und aus regelmäßigen Abweichungen von den formalen Regeln«. Sie ist in gewisser Weise mit dem Nervensystem eines Menschen vergleichbar: feiner, weniger offensichtlich als Haut und Knochen, aber zugleich die feine Struktur, das Ganze ausmacht.1

Die Metapher scheint mir das Buch, dem dieses Vorwort gilt, gut zu charakterisieren. Es geht um die vielen psychologischen Facetten des Organisierens, die nicht offensichtlich, nicht in klare Struktur übersetzbar sind – und die trotzdem oder gerade deswegen das ausmachen, was für eine Organisation essenziell ist. Hier kommt noch ein Aspekt hinzu: Es geht nicht um ein zu verkaufendes Produkt. Das konfrontiert uns mit der Paradoxie, dass eine gesellschaftlich zentrale Aufgabe zu erfüllen ist, nämlich kranken Menschen zu helfen und sich dabei zugleich marktwirtschaftlich aufzustellen, also möglichst Gewinne zu erzielen. Das setzt Krankenhäuser in ein brisantes Spannungsfeld, macht die dort Tätigen besonders vulnerabel. Umso wichtiger ist es, das »Nervensystem« dieser Organisationen gut zu erschließen und kritische Punkte, an denen die Paradoxie offenkundig wird, aufzuzeigen.

Diese Aufgabe erfüllt das kleine Buch sehr gut, das Sie, liebe Leserin, lieber Leser in Händen halten. Ich wünsche Ihnen viele Erkenntnisse, die helfen, die »unmögliche Aufgabe« medizinischer Organisationen innerhalb unserer Kultur weiterhin zu erfüllen.

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1Kühl, S. (2018). Organisationskulturen beeinflussen. Berlin/Heidelberg: Springer VS, S. 20 f.

Der Kontext

Was ist medizinische Organisationspsychologie?

Jochen Schweitzer, Janna Küllenberg und Beate Ditzen

Medizinische Organisationspsychologie ist ein Begriff, den unsere Arbeitsgruppe im Jahr 2007 gewählt hat, um einer damals neu gegründeten wissenschaftlichen und beraterischen Arbeitseinheit am Universitätsklinikum Heidelberg einen Namen zu geben. Er gefiel uns damals und er gefällt uns bis heute als Kürzel für den doppelten Versuch, Einrichtungen des Gesundheitswesens in ihren Besonderheiten (daher medizinisch) wissenschaftlich unter eine speziell organisationspsychologische (und nicht primär klinisch-psychologische) Lupe zu nehmen und sie und die Mitarbeiterinnen mit dem Handwerkszeug organisationspsychologisch informierter Beratung bei der Bewältigung ihrer vielen Herausforderungen auch praktisch zu unterstützen. Diese Perspektive verbanden wir, auch wenn das nicht Teil des Namens der Arbeitsgruppe wurde, von vornherein mit der Sicht der systemischen Beratung, die praktisch von allen bis heute hier Arbeitenden geteilt und praktiziert wurde.

Seit 1997 haben wir, mit Unterstützung des damaligen Leiters Rolf Verres, im Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg diesen Schwerpunkt aufgebaut. 2007 wurde er als eine offizielle Sektion des Universitätsklinikums anerkannt. Zwischen 1997 und 2022 hat diese Sektion einschließlich ihres inoffiziellen Vorläufers zwölf drittmittelgeförderte Forschungsprojekte durchgeführt. Parallel dazu hat sie eine große Zahl von Führungskräften, von klinischen, wissenschaftlichen und Service-Teams sowie Umstrukturierungsprojekten bei ihrer Arbeit beratend unterstützt. Jetzt, 2022, mit dem Ruhestand von Jochen Schweitzer als Gründer und langjährigem Leiter der Sektion, wird sie zunächst als Arbeitsgruppe im Stil einer Beratungsstelle unter Leitung von Kirsten Bikowski ihre Arbeit in dem heute von Beate Ditzen geleiteten Institut für Medizinische Psychologie fortführen. Dieser Übergang ist auch der biografische Anlass für das von Janna Küllenberg koordinierte Verfassen dieses Buches gewesen.

Mit diesem Buch wollen wir die praktischen Beratungserfahrungen vermitteln, die sich unsere Gruppe in diesen Jahren angeeignet hat – teils inhouse im Universitätsklinikum Heidelberg, teils extern in anderen Krankenhäusern. Wir denken, dass die Arbeit im Gesundheitswesen in manchen Bereichen typisch für die Arbeit in großen Organisationen ist, andererseits aber – und hier besonders die Arbeit in der Klinik – Besonderheiten aufweist. Dies u. a. durch die interdisziplinäre Struktur, die Notfallszenarien, den Umgang mit Menschen, die in einer Ausnahmesituation sind, und die elementaren und existentiellen Fragen, die immer wieder auftreten. Das Buch richtet sich deshalb an Leitungskräfte und Mitarbeitende im Gesundheitswesen, besonders in Krankenhäusern, die Unterstützung in psychosozialen Konfliktlagen suchen oder vermehrt organisationsentwicklerisch tätig sein wollen. Und es richtet sich an Beratungsfachleute, die sich in die besonderen Herausforderungen von Gesundheitseinrichtungen eindenken wollen. Das Spektrum der Beratungssettings reicht von der Beratung einzelner erschöpfter Mitarbeiter bis zur Arbeit mit zum Teil sehr großen Teams im Schichtdienstbetrieb; von der Fallsupervision für anstrengende Patientenkontakte bis zur resilienzfördernden Team- und Führungskräfteentwicklung; von der breitgefassten Inhouse-Beratung für alle Lebenslagen bis zur hochspezialisierten Konfliktmediation.

Das Buch enthält zahlreiche Falldarstellungen, die aber durch zahlreiche Verfremdungen allesamt keine in dieser Form realen, sondern prototypische Begebenheiten erzählen. Alle darin vorkommenden Klienten sind in diesem Sinne erfundene Klienten, alle Geschichten erfundene Geschichten. Alle hätten sich aber recht ähnlich wie beschrieben abspielen können.

Das Buch ist inspiriert vom Geist systemischer Beratung, von Haltungen wie Wertschätzung, Neugier, Allparteilichkeit, vom Respekt gegenüber den Personen und Zielen der Organisation bei gleichzeitiger Respektlosigkeit gegenüber angeblich nicht anzweifelbaren Glaubenssätzen. Wer sich in die Grundlagen systemischer Beratung vertieft einarbeiten möchte, sei auf das Lehrbuch von Schlippe und Schweitzer (2016) hingewiesen. Alle Autorinnen2 sind in systemischer Therapie und Beratung oder in systemischem Coaching und Organisationsentwicklung weitergebildet, meist am Heidelberger Helm Stierlin Institut, und haben zu verschiedenen Zeiten in der Sektion oder als Partnerin mit der Sektion zusammengearbeitet.

Das Buch ist auch inspiriert von unserer Hochachtung für die Organisation Krankenhaus und deren Mitarbeitende, die tagtäglich – oft im Schichtdienst, oft unter Zeitdruck, oft unter belastenden ökonomischen und bürokratischen Rahmenbedingungen – Menschenleben retten oder zumindest vielen von uns helfen, gesund zu bleiben oder wieder zu werden.

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2Wir verwenden im Text in zufälliger Folge die männliche und weibliche Form. Im Sinne der gendersensiblen Sprache mögen sich bitte alle mitgemeint fühlen.

Krankenhäuser verstehen

Antonia Drews, Frauke Ehlers und Jochen Schweitzer

Das Krankenhaus – eine Gesundheits-Einrichtung

Was unterscheidet Krankenhäuser von anderen Arten von Organisationen? Die wichtigste Unterscheidung betrifft Gesundheit als ein besonderes, basales und existentielles Gut. Gesundheit ist eine Grundbedingung für die Nutzung fast aller anderen Güter, insofern lebenswichtiger als Autos oder Wertpapiere. Sie hat sowohl für Patienten als auch für Mitarbeitende eine sehr hohe persönliche Bedeutung und lässt niemand kalt, wie man so schön sagt. Dabei ist sie ein »Vertrauensgut« (Friedrich u. Schulz, 2020), bei dessen Gewinnung die Patientin Co-Produzentin ist, d. h. intensiver mitarbeiten muss als bei anderen Gütern. Zudem inszenieren sich im Krankenhaus häufig Grenzsituationen zwischen Leben und Tod, was es zu einem besonders spannenden und interessanten, aber auch besonders anstrengenden Arbeitsplatz macht. Deshalb sind Überlastung und Überarbeitung häufig anzutreffen und dementsprechend ist deren Prävention durch Gesundheitsmanagement hier noch wichtiger als in vielen anderen Branchen (Kroll, Müters, Schumann u. Lamper, 2017).

Gesundung erfordert besondere Prozessabläufe. Prozesse im Krankenhaus sind oft nur bedingt vorhersehbar und aufgrund der Heterogenität der Krankheitsverläufe von Patienten auch nur begrenzt standardisierbar: Die Planung des Unplanbaren stellt Qua