Meer als erhofft - Karin Wimmer - E-Book
SONDERANGEBOT

Meer als erhofft E-Book

Karin Wimmer

0,0
0,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Du und ich – und die Unendlichkeit des Ozeans. Ist es Zufall oder hat das Schicksal seine Finger im Spiel, als Nadine ausgerechnet auf einem Kreuzfahrtschiff auf Thomas trifft?  Diese Reise sollte eigentlich dazu dienen, die Erinnerungen an ihre kürzlich beendete toxische Beziehung zu verdrängen, doch schnell wird klar: Vergangenes kann man nicht so leicht hinter sich lassen. Aber Thomas berührt etwas tief in ihr und bringt ihr Herz zum Klingen. Während er Nadine zu durchschauen scheint, fühlt sie, dass auch ihn ein Geheimnis umgibt.  Nadine hat Angst, dass Thomas nicht ganz ehrlich zu ihr ist. Angst, der Anziehung nachzugeben. Angst, wieder zu fallen und auf dem harten Boden der Realität zu landen.  Doch eines weiß sie sicher: Die Begegnung mit Thomas wird bleibende Spuren auf ihrer Seele hinterlassen.    Eine Geschichte über Wunden, die schmerzen, bevor sie heilen, über eine Begegnung, die prägt, und über die Hoffnung auf ein neues Kapitel im Leben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MEER ALS ERHOFFT

KARIN WIMMER

1

»Hm …« Verschlafen nahm Nadine Hausmann auf ihrem Handy den Anruf entgegen, der sie eben geweckt hatte. Es waren Sommerferien, und in dieser Zeit war sie vor neun Uhr morgens kaum ansprechbar.

»Wir haben ein Problem!«, drang es aus dem Telefon. Nadine blinzelte und gab einen grummelnden Laut von sich. »Was hast du gesagt?«, hörte sie als Nächstes.

»Wer ist da?«, fragte Nadine undeutlich, die Augen erneut fest geschlossen.

»Hallo?! Hier ist Caro, deine beste Freundin! Du erinnerst dich? Blond, blaue Augen? Mensch, Nadine, wach auf! Hast du die Nachricht im Gruppenchat schon gesehen?«

Müde rappelte sich Nadine auf und fuhr sich mit der Hand über ihr Gesicht. Dabei fiel ihr Blick auf ihren Wecker, und sie verdrehte die Augen. Ihre beste Freundin war normalerweise ebenso eine Langschläferin wie sie, also musste es einen triftigen Grund geben, dass sie um halb acht schon so aufgekratzt war.

»Nein, ich habe bis eben geschlafen«, stellte Nadine klar und suchte eine bequeme Sitzposition in ihrem Bett. »Was ist denn los?«

»Kevin hat Stefan zu unserem Gruppenchat hinzugefügt. Er lädt uns alle am Samstag zur Party in seiner Wohnung ein. Es ist sein zwanzigster Geburtstag, und es wird sicher total cool«, informierte Caro sie knapp.

Nadine öffnete die Augen. Nun erkannte auch sie das Problem, von dem ihre beste Freundin sprach.

»Na toll … Haben Kevin und Timo schon zugesagt?«, wollte sie wissen.

»Ja, fast alle haben zugesagt, außer uns beiden und Dominik, der vermutlich auch noch pennt. Was machen wir denn jetzt?«, jammerte Caro.

Nadine überlegte. Stefan gehörte nicht zu ihrem und Caros engeren Freundeskreis, sie kannten sich nur vom Klub und vom Strandbad. Doch seine Partys waren legendär, und wenn man dazu eingeladen wurde, sagte man auf keinen Fall ab. Leider war Stefan aber schon mehrfach mit Drogen erwischt worden, und es wurde gemunkelt, dass er auch damit dealte. Anders als Nadines Freund Kevin und Caros Freund Timo waren die beiden noch nicht volljährig und würden wohl kaum die elterliche Erlaubnis für diese Party bekommen.

Kevin würde es vermutlich nicht aufregen, wenn Nadine nicht zur Party käme. Sie waren schon ein halbes Jahr zusammen, und er fand es nicht so schlimm, dass Nadines Eltern ab und zu mal ihr Veto gegen ein Vorhaben einlegten. Caro und Timo waren allerdings erst einige Wochen ein Paar und führten eine sehr emotionale und leidenschaftliche Beziehung, wobei Nadine besonders das Wort leiden sehr präsent darin vorkam. Timo hatte anfangs große Bedenken gehabt, weil Caro mit siebzehn über ein Jahr jünger war als er und eben noch nicht alles für sich allein entscheiden konnte. Wenn Caro nicht auf diese Party ging, sah Nadine das Drama schon auf sich zurollen.

»Und wenn wir unseren Eltern einfach verschweigen, dass die Party bei Stefan zu Hause ist?«, schlug Caro vor.

»Das kommt garantiert irgendwie raus, und wir handeln uns Hausarrest bis Silvester ein. Was glaubst du, wie viele Partys du dann verpasst?«, rückte Nadine ihrer Freundin den Kopf zurecht. »Sieh es ein! Wir fragen unsere Eltern, sie werden vermutlich Nein sagen, und in einer Woche redet kein Mensch mehr darüber, dass wir Stefans Party verpasst haben.«

Augen zu und durch erschien ihr hier der einzige realistische Weg, doch Caro sah das anders.

»Ich hoffe lieber auf das Wunder, dass ich doch hingehen darf«, erwiderte sie und legte auf.

Nadine seufzte. Da Stefan sich im Strandbad in letzter Zeit ständig zu ihrem Freundeskreis gesellte, hatte sie schon mit einer Einladung zu einer seiner Partys gerechnet. Klar wollte sie hin, denn er zog seine Feiern stets auf wie in den amerikanischen Filmen. Die ganze Wohnung war eine einzige Partyzone, und ein richtiger DJ legte auf. Es wäre schon verdammt cool, dabei sein zu können.

Grübelnd schwang Nadine schließlich die Beine aus dem Bett. Ihre Eltern waren beide in der Praxis ihres Vaters, und sie würde erst am Abend mit ihnen sprechen können. Also hatte sie noch Zeit, sich einen guten Schlachtplan auszudenken, wie sie die beiden vielleicht doch überzeugen konnte.

Aber erst startete sie den Tag ganz in Ruhe mit einer ausgiebigen Dusche. Ihr langes braunes Haar bekam noch eine extra Pflegespülung, und als sie schließlich in ein flauschiges Handtuch gewickelt vor dem Spiegel stand, blickten ihre braunen Augen ihr frisch und ausgeruht entgegen. In gemütlichen kurzen Hosen und einem weiten Shirt machte sie sich dann auf den Weg in die Küche, um zu frühstücken. Dort fand sie einen Zettel ihrer Eltern mit der Mitteilung, dass am Abend eine Veranstaltung der Ärztekammer sei und sie erst spät nach Hause kommen würden.

Nadines Vater war Arzt und hatte sich einige Monate zuvor mit einer eigenen Praxis selbstständig gemacht, weil ihm die Nachtschichten im Krankenhaus langsam etwas zu viel geworden waren. Eigentlich hatte er dadurch mehr Zeit für die Familie haben wollen, doch genau das Gegenteil war eingetroffen. Nadines Mutter war jetzt als Ordinationshilfe an seiner Seite, und Nadine sah ihre Eltern kaum noch. Zweimal in der Woche hatte die Praxis bis acht Uhr abends geöffnet. Neben den Ordinationszeiten kamen nun auch Hausbesuche und einige administrative Arbeiten dazu. Außerdem waren ihre Eltern des Öfteren bei Freunden oder Kollegen zum Essen eingeladen oder hatten eine Veranstaltung. Nadine hatte sich an die einsamen Abende gewöhnt, doch an diesem Tag seufzte sie. Am Telefon um Erlaubnis für die Party zu fragen wäre nicht besonders klug, denn da würde sie nur noch schneller ein Nein als Antwort kassieren. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als bis zum nächsten Tag zu warten.

Gerade als sie es sich mit einem Buch auf einem Liegestuhl im Garten bequem machte, klingelte ihr Handy erneut. Nadine sah auf das Display und entdeckte unter dem Namen des Anrufers das Bild ihres Freundes.

»Hey Kev!«, sagte sie lächelnd.

»Hey Babe! Ich wollte dich fragen, was du heute Abend machst.«

»Keine Ahnung, meine Eltern sind wieder mal weg«, erzählte Nadine und streckte sich im Liegestuhl aus.

»Klingt nach sturmfrei! Soll ich vorbeikommen, und wir machen es uns auf der Couch gemütlich?«, schlug Kevin vor. Seine aufgeregte Stimme ließ Nadine innerlich seufzen. Sie ahnte schon, worauf der Abend dann hinauslaufen würde.

»Ja, warum nicht«, stimmte sie trotzdem zu. Sie mochte Kevin sehr und freute sich, wenn sie Zeit miteinander verbringen konnten. »Bestellen wir uns Pizza?«, schlug sie vor, um auf unverfänglichem Terrain zu bleiben.

»Ich bin um sieben bei dir«, antwortete ihr Freund und legte auf.

Nadine schüttelte grinsend den Kopf. Sie dachte daran zurück, wie alles zwischen Kevin und ihr begonnen hatte. Sie waren einander öfter im Freedom, dem Stammlokal ihrer Clique, begegnet. Sein Lächeln, seine strahlend blauen Augen, sein blondes Haar und die breiten Schultern hatten sie angezogen wie ein Magnet. Durch Freunde und Bekannte hatte sie etwas mehr über ihn erfahren. Er war ein Jahr älter als sie und machte eine Lehre als Kfz-Mechaniker. Wenn sie Kevin am Wochenende im Klub gesehen hatte, hatte sie sich immer in seiner Nähe aufgehalten und Blickkontakt hergestellt. Auf der Geburtstagsparty eines gemeinsamen Freundes war er schließlich zu ihr gekommen und hatte sie nach einem kurzen Gespräch zu einem Konzert eingeladen. Nadine hatte von der Band noch nie gehört, doch trotzdem begeistert zugesagt. Dort war es laut und eng gewesen, und die Musik hatte nicht gerade Nadines Geschmack entsprochen, doch das hatte ihr alles nichts ausgemacht. Zwischen zwei Songs hatte er sich zu ihr gebeugt und sie ohne Vorwarnung geküsst.

Seither waren Kevin und sie ein Paar, ganz ohne langes Händchenhalten oder einen theatralischen ersten Kuss. Es war nicht so wie in den Romanen, die Caro und sie so gern lasen, aber das hier war ja auch das echte Leben, in dem man eben nicht auf Wolken schwebte, Schmetterlinge im Bauch hatte und bei einem Kuss die Welt rundherum vergaß. Bei Kevin und ihr gab es kein großes Gefühlschaos, sie trafen sich und unternahmen etwas gemeinsam. Und sie fühlte sich wohl damit.

Nadine verbrachte den Tag lesend im Garten und ging erst gegen sechs ins Bad, um nochmals zu duschen und ihre bequemen Sachen gegen ein Sommerkleid zu tauschen. Dann suchte sie die Bestellkarten verschiedener Pizzaservices heraus und deckte den Tisch im Wohnzimmer.

Kevin kam pünktlich um sieben und küsste sie flüchtig zur Begrüßung. Nachdem sie sich auf einen Lieferdienst geeinigt hatten, bestellte Nadine die Pizza, während Kevin auf der Couch lag und durch die Programme zappte, bis er sich schließlich für einen Psychothriller entschied. Nadine verzog wenig begeistert das Gesicht. Solche Filme ließen sie immer unruhig schlafen, aber sie kuschelte sich trotzdem an Kevin und schwieg. Er legte seinen Arm um sie und zog sie nah an sich. Nadine konzentrierte sich auf den Film, doch noch ehe sie der Handlung folgen konnte, küsste Kevin sie. Schon bald gingen die Hände ihres Freundes auf Wanderschaft. Eine erkundete ihren Rücken, bis sie auf ihrem Po lag, und die andere machte es sich auf ihrer linken Brust bequem. Nadine verspannte sich leicht, ließ ihn aber gewähren. Erst als Kevins Hand zwischen ihre Beine wanderte, stoppte sie ihn und rückte ein Stück von ihm weg.

Er seufzte tief.

»Was ist denn nun schon wieder?«, fragte er genervt.

Nadine sah ihn ungläubig an. »Ehrlich jetzt? So stellst du dir das vor? Während wir auf den Pizzadienst warten?«

Sie warf die Hände in die Luft.

Seit zwei Monaten drängte Kevin sie nun schon immer öfter, den nächsten Schritt in ihrer Beziehung zu machen und miteinander zu schlafen. Nadine wusste, dass er diesbezüglich bereits Erfahrung hatte, sie jedoch nicht. Und sie fühlte sich zu diesem Schritt mit Kevin einfach noch nicht bereit, was sie ihm auch schon eindeutig gesagt hatte. Doch er startete immer wieder plumpe Versuche wie diesen.

»Ja, eine schnelle Nummer zwischendurch klingt ziemlich verlockend für mich«, gab er nun zu.

Nadine schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

»Für mich klingt das nicht unbedingt so, wie ich mir mein erstes Mal vorstelle.« Sie war sauer, dass er ihr Nein einfach nicht akzeptieren konnte.

»Herrgott, was stellst du dir denn vor?«, schnauzte er sie an. »Rosenblätter, Kerzen, davor ein Schaumbad und eine lange Massage und danach zwei Stunden kuscheln und einen formellen Dankesbrief? Mensch, Nadine, werd erwachsen! Das läuft nur in deinen Schnulzen so ab. Sex gehört in einer Beziehung nun mal dazu, und zwar auch mal schnell und sachlich. Und soviel ich gehört hab, ist das erste Mal für eine Frau ohnehin nie besonders toll, also lass es uns doch einfach hinter uns bringen.«

Nadine schnappte nach Luft und wollte etwas erwidern, doch die Klingel unterbrach ihren Streit. Sie öffnete die Tür und bezahlte die Pizza, die sie anschließend schweigend aßen.

»Ich habe noch eine Überraschung für dich«, meinte Kevin schließlich.

Nadine hob hoffnungsvoll eine Augenbraue.

»Ja?«, fragte sie versöhnlich.

Kevin holte seinen Rucksack, den er bei der Garderobe abgestellt hatte, und zauberte daraus zwei Dosen Bier und eine Schachtel Kondome hervor. Nadine sah ihn verwirrt an. Das war seine Überraschung?

»Na ja, ich dachte mir schon, dass du wieder ein wenig verspannt reagierst, also habe ich Bier mitgebracht, um die Situation etwas lockerer zu machen«, erklärte Kevin.

Nadines Laune sank ins Bodenlose. Es ging also immer noch um Sex. Konnte er sie nicht endlich mal damit in Ruhe lassen und ihr die Zeit geben, die sie brauchte?

Ihr Blick fiel auf die Schachtel.

»Und die Kondome –«, begann sie, doch Kevin unterbrach sie.

»Safer Sex, damit du siehst, wie verantwortungsbewusst ich bin.« Erwartungsvoll schaute er sie an.

Nadine fühlte sich in die Ecke gedrängt. So hatte sie sich den Abend nicht vorgestellt, doch es lief immer aufs Gleiche hinaus, wenn ihre Eltern nicht zu Hause waren. Sie holte tief Luft und trat einen Schritt zurück.

»Wenn ich vorher Alkohol brauche, damit ich mit jemandem Sex haben will, ist es meiner Meinung nach einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt«, stellte sie klar. »Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.« Sie deutete mit dem Kopf auf die Tür.

Kevins Miene verfinsterte sich. Wütend packte er die Bierdosen und die Kondome wieder ein und verließ grußlos das Haus.

Nadine atmete durch. Ja, sie wusste, dass sie die letzte verbliebene Jungfrau in ihrer Clique war, seit Caro vor zwei Wochen mit Timo geschlafen hatte. Seither nagte Kevin an ihr wie eine Termite am Holzgeländer. Sie hatte doch auch keine Ahnung, warum sie einfach keinen Sex mit ihm wollte. Ein halbes Jahr waren sie nun schon zusammen, aber es war, als wäre da eine unsichtbare Barrikade in ihr, die sie zurückhielt. Und der ständige Streit über dieses Thema machte es nicht besser. Oder hatte Kevin recht, und sie sollte es einfach hinter sich bringen? Hatte sie Angst? Gott, sie hatte ja selbst keine Ahnung, was mit ihr los war. Frustriert räumte sie das Wohnzimmer auf und legte sich mit einem Buch ins Bett.

Dort warf sie noch einen Blick auf ihr Handy. Caro hatte ihr geschrieben, dass sie von ihren Eltern bereits ein Nein zu Stefans Party bekommen hatte. Sie wollte wissen, wie es Nadine ergangen war. Diese seufzte. Der nächste Kampf ließ nicht lange auf sich warten.

2

Am nächsten Morgen stand Nadine schon vor sieben auf, um ihre Eltern noch beim Frühstück zu erwischen.

»Guten Morgen, du bist aber früh wach!«, begrüßte ihre Mutter sie überrascht, als sie in die Küche kam.

»Morgen«, antwortete Nadine. »Ja, ich muss euch etwas fragen«, rückte sie gleich mit der Sprache heraus und setzte sich mit an den Frühstückstisch.

»Wir sind ganz Ohr«, meinte ihr Vater, legte die Zeitung beiseite und griff nach seiner Kaffeetasse.

»Lasst mich erst mal ganz ausreden, okay?«, bat Nadine.

Ihre Eltern nickten.

»Stefan feiert am Samstag seinen zwanzigsten Geburtstag und gibt eine Party. Alle meine Freunde werden dort sein und auch noch viele Leute aus dem Strandbad, und es wäre mir wirklich sehr wichtig, dass ich auch hingehen darf. Ich schwöre euch, dass ich nur Cola oder Saft trinken und außer ein paar Chips auch nichts zu mir nehmen werde. Darf ich bitte hin?« Flehend sah sie zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater hin und her.

Nadines Vater lehnte sich im Stuhl zurück. »Stefan – das ist doch der Junge, der schon einige Male mit Drogen erwischt wurde, oder?«

Nadine nickte stumm. Es zu leugnen wäre zwecklos.

»Ist die Party im Freedom?«, wollte ihre Mutter wissen.

»Nein, bei ihm zu Hause«, gab Nadine zu.

»Ich nehme mal nicht an, dass er noch bei seinen Eltern wohnt und diese dabei sein werden«, mutmaßte ihr Vater dann.

Nadine schüttelte den Kopf, und ihre Eltern wechselten einen Blick.

»Schatz … Wenn die Party im Freedom gewesen wäre, wo Sicherheitsleute sind, hättest du gehen können, aber wir lassen dich nicht ohne jede Aufsicht zu einem Zwanzigjährigen nach Hause, der mit Drogen zu tun hat. Da kommt es ganz schnell zu einer hässlichen Gruppendynamik, und du bist in einer unangenehmen Lage. Es tut mir leid«, traf ihre Mutter schließlich eine Entscheidung.

Nadine hatte am Vortag schon befürchtet, dass ihre Eltern nicht zustimmen würden, also war ihre Enttäuschung nun gering.

»Verstehe«, meinte sie nur.

Ihr Vater sah sie überrascht an.

»Sicher?«, fragte er nach. Es schien, als hätte er mit mehr Gegenwehr von seiner Tochter gerechnet.

Nadine nickte. Sie konnte die Sorge ihrer Eltern nachvollziehen und musste sich selbst eingestehen, dass die Sache mit dem Gruppenzwang nicht so weit hergeholt war. Das sah sie ja gerade beim Sex-Thema und dem Druck, den Kevin deshalb ausübte.

Ihre Eltern umarmten Nadine und versicherten ihr nochmals, dass es ihnen leidtue. Dann brachen sie in die Praxis auf.

›Ich darf auch nicht auf die Party‹, schrieb Nadine noch an Caro, ehe sie sich wieder ins Bett verzog.

Als Nadine am späten Vormittag dann selbst beim Frühstück saß, verabredete sie sich mit ihren Freunden für den Nachmittag im Strandbad. Dort würden Caro und sie den anderen gegenüber zugeben müssen, dass sie nicht zu Stefans Party durften.

Im Strandbad kühlten sich alle nach einem schweißtreibenden Volleyball-Match gemeinsam im Pool ab. Anschließend legte Nadine sich mit ihrem Liegetuch neben Kevin.

»Streiten wir noch?«, fragte sie ihren Freund leise. Außer einem knappen ›Hallo‹ hatten sie an diesem Tag noch kein Wort miteinander gesprochen. Er schüttelte jedoch den Kopf.

»Nein, vergiss es«, antwortete er und grinste sie von der Seite an.

»Du, Kev, ich muss mit dir über die Party reden«, begann Nadine. Kevin setzte sich auf und sah sie an.

»Wann soll ich dich denn am Samstag abholen?«, wollte er wissen.

»Na ja … gar nicht. Meine Eltern erlauben mir wegen der Drogensache nicht hinzugehen«, gab Nadine zu.

Kevin seufzte. »Mach dir keinen Kopf, Babe. Dann wird es eben ein Männerabend. Ich melde mich am Sonntag bei dir, wenn ich bis dahin wieder nüchtern bin, okay?«

Damit legte er sich wieder auf sein Liegetuch, und die Sache war für ihn gegessen. Nadine war froh, dass so etwas zwischen ihnen kein großes Drama war.

Wie vermutet, sah die Sache bei Caro und Timo aber anders aus. Auch Nadines Freundin beichtete ihrem Freund im Strandbad, dass die Party für sie gestorben war. Der nahm es allerdings nicht so gut auf, wie unschwer zu hören war.

»Was soll die Frage? Nein, ich will es mir nicht mit dir zu Hause auf der Couch gemütlich machen! Ich bin jung, ich will feiern und nicht an einem Samstagabend wie ein Rentner vor der Glotze hängen«, regte Timo sich auf. Er raffte seine Sachen zusammen und verschwand in Richtung Parkplatz. Caro folgte ihm aufgeregt und redete auf ihn ein.

»Kev, ich mach mich dann auch auf den Weg«, raunte Nadine ihrem Freund zu. »Sieht so aus, als könnte Caro heute noch eine Freundin gebrauchen.«

Er nickte und küsste sie zum Abschied flüchtig.

Als Nadine auf den Parkplatz kam, hörte sie nur noch eine knallende Autotür. Schließlich fand sie Caro, die mit Tränen in den Augen Timos Wagen hinterhersah.

»Was ist denn passiert?«, fragte Nadine einfühlsam.

Caro ließ die Schultern hängen.

»Ich habe ihn gebeten, die Party auch sausen zu lassen, und er ist ausgeflippt. Er hat mir gesagt, dass er nicht wusste, dass er mit einem Kind zusammen ist, das wegen jeder Kleinigkeit um Erlaubnis fragen muss. Und dann ist er einfach gefahren«, erzählte sie mit tränenerstickter Stimme.

Nadine nahm sie in den Arm.

»Das hat er bestimmt nicht so gemeint. Er wollte sicher nur vor den anderen Jungs nicht blöd dastehen, du kennst das doch«, versuchte sie Caro zu beschwichtigen. »Die Party ist für alle eine große Sache. Warte mal ab, bis er sich abregt. Morgen sieht die ganze Sache schon wieder anders aus.«

Caro zuckte nur mit den Schultern. Gemeinsam machten sich die Freundinnen auf den Heimweg.

3

Am Freitagabend traf sich die Clique wie üblich im Freedom, dem angesagtesten Klub der Stadt. Caro holte Nadine ab. Sie hoffte, dass sie sich an diesem Abend wieder mit Timo versöhnen konnte, denn seit dem Streit im Strandbad herrschte Funkstille zwischen ihnen. Als die beiden Mädchen das Freedom betraten, sahen sie sich suchend nach Caros Freund um. Doch wie sie von einem gemeinsamen Bekannten erfuhren, hatte der sich an diesem Abend mit zwei Kumpels für einen anderen Klub entschieden. Caro machte sich daraufhin auf den Weg zur Tanzfläche, um ihren Frust wegzutanzen.

Nadine fand Kevin an der Bar und musste feststellen, dass das Glas in seiner Hand wohl nicht das erste des Abends war. Er hatte einen Arbeitskollegen getroffen, und die beiden tranken sich offenbar quer durch die Getränkekarte. Sein Alkoholspiegel war für die Uhrzeit erschreckend hoch. Um einen Totalabsturz zu vermeiden, versuchte Nadine, ihn auf die Tanzfläche zu locken, doch ohne Erfolg. Also tanzte sie mit Caro.

Als die Mädchen gerade Pause machten und ihren Durst mit Cola stillten, schob sich ein Longdrinkglas vor Nadines Augen. Sie drehte sich um und sah in Kevins grinsendes Gesicht.

»Hier für dich! Mal etwas Stärkeres.« Er zwinkerte ihr sichtlich betrunken zu.

»Kev, du weißt doch, dass ich nicht so gern Alkohol trinke«, erklärte sie ihm, wie schon so oft.

»Es gehört zum Jungsein dazu, sich öfter mal zu betrinken und die Kontrolle zu verlieren«, belehrte er sie lallend. »Außerdem könnte es dir nicht schaden, mal ein wenig lockerer zu werden. Dann bist du vielleicht auch in anderen Dingen nicht mehr so verklemmt und spießig.«

Seine Worte waren ein Tiefschlag für Nadine. Sie konnte das Sex-Thema einfach nicht mehr hören. Vor allem wurde Kevin in letzter Zeit immer gemeiner, wenn es darum ging.

Wortlos drehte sie sich um und verließ den Klub. Sie hatte genug. Ihre Stimmung war ruiniert, und sie musste nicht bleiben, um sich beleidigen zu lassen und Kevin dabei zuzusehen, wie er sich betrank.

Bald schon hörte sie Schritte hinter sich. Leise Hoffnung keimte in ihr auf, doch es war nicht Kevin, der ihr folgte, sondern Caro.

»Männer sind scheiße«, sagte Nadines Freundin nur und entlockte ihr damit ein Auflachen. Caro hakte sich bei Nadine unter und bezeugte damit wortlos ihre Solidarität. Auf dem Heimweg beschlossen die beiden Mädchen, diesen Abend als Katastrophe abzuschreiben. Für den nächsten Abend verabredeten sie, gemeinsam ins Kino zu gehen, während alle anderen bei Stefans Party wären. Alles Weitere würden sie dann sehen.

Der Sonntag verlief ausgesprochen ruhig. Die Party hatte wohl bei allen in Nadines Freundeskreis zu einem Totalabsturz geführt, denn nicht einmal im Gruppenchat rührte sich etwas. Nadine und Caro telefonierten kurz, um sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen, ob einer der beiden Jungs sich gemeldet hatte. Doch sowohl Timo als auch Kevin stellten sich tot.

Nadine seufzte, nachdem sie das Gespräch mit Caro beendet hatte. Sie wollte sich wieder mit Kevin vertragen und mit dieser leidigen Party abschließen. In ein paar Tagen würde sie mit ihren Eltern in Urlaub fahren und wollte dabei nicht ständig den Streit mit ihrem Freund im Kopf haben. Sie versuchte, Kevin zu erreichen, doch ihre Nachrichten und Anrufe blieben unbeantwortet.

4

Zwei Tage später hatten Nadines Eltern sich freigenommen. Sie wollten alle gemeinsam ins Einkaufszentrum, was zu einer wahren Seltenheit geworden war. Da es nicht mehr lange bis zu ihrem Urlaub dauern würde, hatte Nadine bereits ihren Koffer aus dem Keller geholt. Sie arbeitete gerade langsam ihre Packliste ab, als sie von unten die Stimme ihrer Mutter hörte.

»Nadine, wir wollen fahren. Kommst du jetzt mit?«, rief sie laut.

»Ja, Mama, wartet. Ich komme gleich!«

Kurz darauf rannte Nadine die Treppe hinunter.

»Sorry, aber ich habe noch meine Kamera gesucht. Weißt du, wo ich sie hingelegt habe?«, fragte sie ihre Mutter, während sie ihre Schuhe anzog.

»Ja, die liegt im Wohnzimmer auf der Kommode«, antwortete diese und schüttelte den Kopf über den Ordnungssinn ihrer Tochter. Nadines Vater sah die beiden verwirrt an.

»Wozu brauchst du denn jetzt deine Kamera?«, fragte er verständnislos.

»Ich packe schon mal meinen Koffer«, klärte ihn Nadine auf und lächelte, als sie das entsetzte Gesicht ihres Vaters sah.

»Oh, mein Gott! Unser Urlaub! Den habe ich ja total vergessen«, stieß er hervor.

Nun lächelte auch Nadines Mutter.

»Manchmal frage ich mich wirklich, was du machen würdest, wenn du mich nicht hättest. Ich habe schon fast alles gepackt«, beruhigte sie ihn.

Nadine und ihre Eltern hatten die Kreuzfahrt durch die Karibik seit Langem geplant, doch ihr Vater hatte in der Praxis so viel zu tun, dass er den Urlaub offenbar vergessen hatte.

»Könnt ihr mich auf der Rückfahrt vom Einkaufszentrum bei Caro absetzen?«, bat Nadine.

Immer noch verwirrt nickte ihr Vater. Nadine wechselte einen schnellen Blick mit ihrer Mutter, bevor sie das Haus verließen, und beide unterdrückten ein Lachen.

Zwei Stunden lang streiften die zwei Frauen durch sämtliche Geschäfte und Boutiquen im Einkaufscenter am Stadtrand, um noch alles Mögliche für ihren Urlaub zu besorgen. Nadine genoss es, wieder einmal gemeinsam mit ihrer Mutter zu shoppen. Seit diese in der Ordination ihres Vaters arbeitete, waren die beiden nicht mehr dazu gekommen. Darum nutzte sie diese Gelegenheit und schleppte ihre Mutter von einem Geschäft ins andere. Ihr Vater versuchte verzweifelt, die beiden nicht aus den Augen zu verlieren. Schließlich gab er auf und wartete in einem Café auf sie.

Nach dem Einkaufen setzte er seine Tochter wie gewünscht bei ihrer Freundin ab. Als sie klingelte, öffnete ihr Caros Mutter die Tür.

»Hallo Nadine!«

»Hallo Frau Steger!«, antwortete Nadine lächelnd.

»Caro ist oben.«

Ihre beste Freundin saß in ihrem Zimmer auf dem breiten Fensterbrett und las, während im Hintergrund Musik lief. Ihre langen Beine hatte sie angezogen, und ihr schulterlanges blondes Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie war so in ihr Buch vertieft, dass sie Nadines Klopfen überhörte. Nadine schüttelte amüsiert den Kopf und öffnete die Tür. Das war mal wieder typisch Caro. So leicht vergaß sie über ihren Büchern eine Verabredung. In diesem Moment sah Caro auf.

»Hey, wann bist du denn gekommen?«, fragte sie mit großen blauen Augen und winkte sie herein. »Ich habe dich gar nicht gehört.«

»Das ist ja kein Kunststück, du warst völlig in deine Lektüre vertieft.« Nadine schloss die Tür hinter sich. »Was liest du denn da? Einen neuen Liebesroman?«

»Ja genau, ich kann von der Liebe ja nur noch lesen, im Gegensatz zu dir«, fauchte Caro sie an. Nadine zuckte zusammen. Caro und sie stritten sich nie, und es sah ihrer besten Freundin nicht ähnlich, dass sie Nadine so anfuhr. Doch Nadine wusste, dass Caro unter dem Streit mit ihrem Freund litt.

»Hat Timo sich gemeldet?«, fragte sie vorsichtig. Ihre Freundin zuckte nur mit den Schultern und starrte aus dem Fenster. Nadine wurde langsam ungeduldig. »Caro, rede mit mir! Schließlich sitzen wir wegen der dummen Party doch im selben Boot.«

»Von wegen im selben Boot. Du hast deinen Freund noch«, murmelte Caro.

»Ich erreiche ihn seit Sonntag aber auch nicht mehr«, warf Nadine ein und erlangte damit Caros Aufmerksamkeit.

»Immer noch nicht?«, fragte sie nach, und Nadine schüttelte den Kopf.

»Er liest nicht mal meine Nachrichten«, antwortete sie leise.

»Vielleicht hat er sein Handy geschrottet?«, mutmaßte Caro. »Mach dir keinen Kopf, es war zuletzt ja noch alles in Ordnung zwischen euch.«

Na ja, Friede, Freude, Eierkuchen sah anders aus als die ständige Streiterei, die sie seit einiger Zeit mit Kevin wegen der Sex-Sache hatte, fand Nadine. Aber darüber hatte sie mit Caro noch nicht gesprochen. Also schwieg sie.

»Hat Timo nun angerufen?«, lenkte Nadine das Gespräch wieder auf Caros Beziehung.

»Ja, er hat sich heute Vormittag gemeldet«, erwiderte Caro.

»Und? Was hat er gesagt? Habt ihr euch wieder gestritten?« Nadine ließ sich auf Caros Couch fallen und sah ihre Freundin erwartungsvoll an.

»Nein, haben wir nicht. Er hat gesagt, dass er sich mit mir treffen will«, erklärte Caro schließlich.

»Aber das klingt doch positiv«, meinte Nadine aufmunternd. »Wann und wo wollt ihr euch denn sehen?«

»Heute Abend um halb acht, im Café Realto. Er sagte, er muss mit mir über etwas Wichtiges sprechen«, rückte Caro nun mit der ganzen Wahrheit heraus. Das klang allerdings beunruhigend.

»Und? Gehst du hin?«, fragte Nadine vorsichtig. Sie wusste, wie stur Caro manchmal sein konnte.

»Ich weiß es nicht. Meinst du, das hat überhaupt noch einen Sinn?«

»Ach komm! Hör dir erst mal an, was los ist, und dann kannst du immer noch überlegen, wie es weitergehen soll mit euch beiden«, riet ihr Nadine und lächelte sie entwaffnend an.

»Okay, du hast ja recht«, gab sich Caro geschlagen.

Nadine nickte zufrieden.

»Toll, und jetzt muss ich dir noch meine neue Eroberung zeigen«, wechselte sie das Thema und zog ihre Einkaufstüte näher heran.

»Weiß Kevin schon von deiner neuen Eroberung?«, fragte Caro unschuldig.

Nadine lächelte gequält und verdrehte die Augen. Dann zeigte sie Caro ihren nagelneuen Bikini, den sie sich extra für die Schiffsreise gekauft hatte.

Als Nadine sich schließlich verabschiedete, war die Zeit wie im Flug vergangen. Caro brachte sie noch zur Tür.

»Und ruf mich morgen Vormittag an. Ich möchte wissen, wie es zwischen dir und Timo gelaufen ist und worüber er reden wollte«, bat Nadine neugierig.

Caro lächelte. Sie hatte Timo in den letzten Tagen schrecklich vermisst.

»Klar, ich melde mich gleich morgen früh bei dir«, versicherte sie, bevor sie die Tür hinter Nadine schloss.

Nadine machte sich auf den Heimweg. Ihre Eltern waren bei Freunden zum Abendessen eingeladen, darum war sie nicht überrascht, das Haus im Dunkeln vorzufinden. Nachdem sie ihre Schuhe ausgezogen hatte, ging sie in die Küche und holte sich Saft aus dem Kühlschrank. Danach machte sie es sich vor dem Fernseher bequem. Für den Fall, dass sie keine Lust hatte, sich selbst etwas zu kochen, lag immer Geld in einer Keramikdose in der Küche für Pizza oder den Lieferservice vom China-Restaurant. Früher war Kevin öfter vorbeigekommen, und sie hatten es sich gemeinsam auf der Couch gemütlich gemacht. Aber seit er sie immer häufiger zum Sex drängte und sie deshalb stritten, verbrachte Nadine die vielen elternlosen Abende lieber allein.

An diesem Abend verputzte sie Frühlingsrollen und Hühnchen nach Szechuan-Art, während sie die neueste Folge ihrer Lieblingskrankenhausserie sah. Sie checkte zum wiederholten Male, ob Kevin ihre Nachrichten schon gelesen hatte, und rief ihn auch an. Sein Handy war an, aber offenbar stellte er sich tot.

5

Am nächsten Morgen läutete Nadines Handy, als sie gerade frühstückte. Sie hatte schlecht geschlafen und war über die Störung nicht sehr erfreut. Seufzend angelte sie nach dem Smartphone. Es war Caro.

»Guten Morgen!«

»Hey Nadine«, hörte sie ihre Freundin sagen.

»Wie ist es denn gestern noch gelaufen?«, fragte Nadine vorsichtig.

»Na ja, so weit ganz gut. Timo hat sich entschuldigt und war auch sonst total lieb, aber die Neuigkeit, die er mir erzählt hat, dürfte auch dich interessieren«, informierte Caro sie knapp.

Nadine merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. »Wieso, was ist denn passiert?«

»Das möchte ich dir lieber nicht am Telefon erzählen. Kannst du vielleicht kurz zu mir kommen?«, bat ihre Freundin ernst.

»Klar, ich zieh mich noch rasch um und bin gleich bei dir«, antwortete Nadine beunruhigt.

»Gut, dann bis gleich.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, sah Nadine ihr Handy noch einige Minuten an. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dieses Gespräch nicht erfreulich für sie verlaufen würde.

Nachdenklich räumte sie ihr Frühstücksgeschirr in die Küche. Danach lief sie die Treppe hoch in ihr Zimmer und schlüpfte rasch in Shorts und Top. Kurz darauf war sie auf dem Weg zu Caro.

Als Caro die Tür öffnete, überfiel Nadine sie sofort. »Jetzt möchte ich aber wissen, was los ist.«

»Willst du nicht erst einmal reinkommen, oder legst du Wert darauf, dass die ganze Straße unser Gespräch mitkriegt?«, fragte Caro trocken. Erstaunt folgte Nadine ihr ins Haus.

»Möchtest du einen Tee oder gehen wir gleich in mein Zimmer?«, erkundigte sich Caro.

Nadine winkte ab. »Danke, ich habe schon gefrühstückt.«

In Caros Zimmer setzte sie sich auf die kleine Couch, während Caro sich auf ihrem ungemachten Bett niederließ. Gespannt sah Nadine ihre Freundin an.

»Also, worum geht’s?«, fragte sie.

»Um dich«, antwortete Caro schlicht.

Nadine runzelte die Stirn. »Du triffst dich mit deinem Freund, damit ihr euch endlich versöhnt, und ihr redet dabei über mich?«

»Nein … Doch … Ich meine, nicht nur, aber …«, begann Caro zögernd.

»Caro, jetzt sag endlich, was los ist!«, rief Nadine genervt. Sie hasste es, auf die Folter gespannt zu werden.

Caro sah sie verzweifelt an. Dann holte sie tief Luft. »Okay, okay! Am Samstag war Timo ja allein auf Stefans Party. Dort war er zu späterer Stunde auf der Suche nach der Toilette. Als er dann eine Tür geöffnet hat, hat er ein Pärchen in sehr … horizontaler Lage erwischt. Die beiden waren aber so miteinander beschäftigt, dass sie Timo gar nicht bemerkt haben.«

Caro stockte, und Nadine sah sie überrascht an. »Und das war die wichtige Sache, die Timo dir erzählen wollte? Ich meine, das kann ihn doch nicht so schockiert haben. Stefans Partys sind ja für solche Aktionen bekannt.«

Caro schüttelte den Kopf und unterbrach Nadine. »Du weißt ja noch nicht alles. Der Typ, den Timo da überrascht hat …«, sie holte noch einmal tief Luft, »… war Kevin. Timo hat dann die Tür gleich wieder geschlossen, Kevin hat ihn nicht gesehen. Er wollte es erst mir erzählen, damit ich es dir schonend beibringen kann.«

Nadine fühlte sich, als hätte sie in einem Boxkampf einen Tiefschlag bekommen. Sie saß stumm auf der Couch und konnte nicht glauben, was ihre Freundin ihr da erzählte. Dass Kevin mit einer anderen geschlafen hatte, traf sie völlig unvorbereitet.

Caro sah sie besorgt an. »Nadine? Bist du okay?«

Nadine lachte kurz auf. »Natürlich, es geht mir hervorragend. Mein Freund hat mich betrogen, was sollte da nicht okay sein?«, erwiderte sie sarkastisch. Dann wurde sie ernst. »Wer war das Mädchen?«

»Ist das so wichtig?«, entgegnete Caro.

Nadine nickte.

»Ja, ich will wissen, mit wem er da im Bett gewesen ist«, sagte sie mit fester Stimme. Caro gab sich geschlagen.