Meet Me Under the Mistletoe - Ada Bailey - E-Book

Meet Me Under the Mistletoe E-Book

Ada Bailey

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Beschreibung

Lass dir die Wartezeit auf Weihnachten versüßen ... ... mit dem perfekten Adventskalender für alle, die Romance und Romantasy lieben. Die Weihnachtsanthologie »Meet Me Under the Mistletoe« enthält 24 romantische Kurzgeschichten aus den Genres Romance und Romantasy plus eine Silvester-Bonusgeschichte für kuschelige Lesestunden. Wenn es draußen stürmt und schneit und drinnen gemütlicher Lichterglanz lockt, beginnt die romantischste Zeit des Jahres: Was passt besser zu Plätzchenduft und Kerzenschein, zu Punsch und heißer Schokolade mit Marshmallows als zauberhafte Liebesgeschichten zum Träumen? Die Kurzgeschichten in diesem Adventskalender stecken voller Winterzauber und Weihnachtsmagie und entführen dich zu den romantischsten Momenten in unserer und in fantastischen Welten. Genieße die Vorfreude auf Weihnachten mit Herzklopfen im Schnee und Küssen unter dem Mistelzweig. Adventskalender-Buch mit 24 weihnachtlichen Kurzgeschichten und einem Silvester-Special Freude dich auf einen Mix aus romantischen, fesselnden, herzerwärmenden und fantastischen Beiträgen von folgenden Autor*innnen: Ada Bailey, Alessia Gold, Anna Knopf, Antonia Wesseling, Basma Hallak, Beril Kehribar, Christian Handel, Christina Kaspar, Eleanor Bardilac, Inka Lindberg, Isabell Linn, Janine Ukena, Jennifer Wiley, Justine Pust, Kristin MacIver, Lin Rina, Liza Grimm, Maike Voß, Nina Bilinszki, Noah Stoffers, Regina Meissner, Sarah Saxx, Steffi Kuhlmann, Valentina Fast und Zara Reed.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 441

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Knaur Romance (Hrsg.)

Meet Me Under the Mistletoe

24 romantische Storys für eine zauberhafte Weihnachtszeit und Silvester-Special

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Lass dir die Wartezeit auf Weihnachten versüßen ...

Wenn es draußen stürmt und schneit und drinnen gemütlicher Lichterglanz lockt, beginnt die romantischste Zeit des Jahres: Was passt besser zu Plätzchenduft und Kerzenschein, zu Punsch und heißer Schokolade mit Marshmallows als zauberhafte Liebesgeschichten zum Träumen?

In diesem Adventskalenderbuch voller Winterzauber und Weihnachtsmagie für alle Fans von New Adult Romance und Romantasy erwarten dich 24 weihnachtlich-romantische Geschichten plus eine Silvester-Bonusgeschichte für kuschelige Lesestunden. Mal romantisch, mal fantastisch erzählen die Geschichten von Herzklopfen, Winterdates, der großen Liebe und Küssen unter dem Mistelzweig. Für eine wunderschöne Vorweihnachtszeit!

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

1 | Ada Bailey: Snow, Steam and Molecules

2 | Beril Kehribar: The Darkest Winter

3 | Lin Rina: Lebkuchen-Küsse

4 | Antonia Wesseling: What the Winter Won’t Say

5 | Kristin MacIver: Once Upon an Irish Winter

6 | Liza Grimm: Mein Wintergeist

7 | Steffi Kuhlmann: Catching Feelings

8 | Jennifer Wiley: A Second Chapter With You

9 | Noah Stoffers: Winterwald

10 | Sarah Saxx: Weihnachtszauber unter dem Mistelzweig

11 | Christina Kaspar: Say It With Flowers

12 | Christian Handel: Silberne Tränen

13 | Zara Reed: No Risk No Fun

14 | Regina Meissner: Der goldene Totenkopf

15 | Justine Pust: Wo die Winternacht uns begegnet

16 | Anna Knopf: Vielleicht

17 | Inka Lindberg: Happy Birthday To Me

18 | Nina Bilinszki: Sliding Into My Heart

19 | Maike Voß: Winter Winds and Angel Wings

20 | Isabell Linn: Secrets Under the Christmas Tree

21 | Alessia Gold: Shorthander ins Herze

22 | Eleanor Bardilac: Dein winterstilles Sommerherz

23 | Janine Ukena: Wie ein Schneesturm Weihnachten rettet

24 | Valentina Fast: It Happened on Christmas Eve

25 | Basma Hallak: New Year, Old Mistakes

1

Ada Bailey

Snow, Steam and Molecules

Ada Bailey wurde 1996 in einem Ort an der Nordseeküste geboren und kann einfach nicht ohne das Meer, weshalb sie auch heute noch dort wohnt. Neben dem Lesen, Schreiben und Gaming bestimmen Kreativität und Reiselust ihr Leben, weshalb selten Langeweile aufkommt. Auf Social Media ist sie unter adas.worlds zu finden.

Das Schicksal hasst mich gerade mindestens so sehr, wie ich Hüte hasse. Und das meine ich ernst. Wenn man mir hunderttausend Dollar dafür bieten würde, ein Jahr lang jeden Tag einen Hut zu tragen, würde ich das Angebot nur annehmen, weil mein Fünfzigtausend-Dollar-Studienkredit mich dazu zwingt. Aber es gibt ohnehin niemanden, der einem Geld fürs Hütetragen bietet. Deshalb bin ich, wie jeden Winter, dazu gezwungen, im Colorado Luxury Resort zu arbeiten. Wobei das sicherlich bald vorbei sein wird. Denn morgen ist der Tag, an dem ich meinen Job verlieren werde. Ganz sicher.

Ich schlucke schwer, während ich die wöchentliche Kursverteilung durchblättere, bis ich an meinem Namen hängen bleibe: Malia Valentine, zwei Mal vier Stunden Snowboardunterricht für zwei Personen. Level Fortgeschritten. Kundenname Mason Samley. Mason Samley.

Fuck. Das kann nur ein Fehler sein. Nein, das muss ein Fehler sein. Alles andere würde bedeuten, dass ich das Universum schon wieder tiefgreifend verärgert habe.

In meinen Gedanken gehe ich die letzte Woche durch. Abgesehen davon, dass ich den Kittel meiner Laborpartnerin unabsichtlich angezündet habe, fällt mir nichts ein. Und dafür habe ich mich entschuldigt. Mehrfach. Und doch stehe ich vor meinem Fach im Mitarbeiterraum des Resorts und starre auf den Namen des Mannes, der mich mehr hassen muss als ich Hüte. Fuck.

»Ist alles in Ordnung? Du bist blasser als der Schnee vor der Tür«, reißt mich die besorgte Stimme meiner Kollegin Marybeth aus den Gedanken.

Ich sehe zu ihr auf. »Ja, es ist nur …« Wie erkläre ich die Situation am besten, um nicht wie der Bösewicht in der Geschichte rüberzukommen? Obwohl ich es natürlich bin. Ich bin der Grund dafür, dass Mason vor zwei Jahren alle seine Social-Media-Accounts löschen musste.

Ich war so unbesonnen gewesen, der einzigen Freundin, die von meinem Crush auf Mason wusste, das Lernvideo weiterzuleiten, das er für mich aufgenommen hatte. Noch immer verfolgt es mich in meinen Träumen. Mason sitzt mit einer Gitarre in der Unibibliothek und rappt molekulare Verbindungen auf schnelle Akkorde. Es war süß, besonders weil sein Gesangstalent mehr als unausgereift war. Leider hatte Anne das Video dann auf dem Chemie-ist-heiß-Account der Universität bei TikTok hochgeladen. Und das Internet hat Mason Samley über Nacht zu MC Molecool gemacht. Seitdem ist er ein lustiges Meme. Danach haben wir kein Wort mehr gewechselt. Kein einziges. Wir alle machen Fehler, oder? Das kann doch mal passieren. Nein, Malia, kann es nicht.

»Ich kenne Mason von der Uni, wir verstehen uns nicht besonders«, antworte ich so ausweichend wie möglich.

»Oh, das tut mir leid. Ich würde dir ja anbieten zu tauschen, aber ich bin nur noch heute hier. Am Samstag fahre ich schon nach Hause.« Marybeths Gesicht spiegelt die Art von Mitleid, die ich definitiv nicht verdient habe. Wahrscheinlich glaubt sie, dass er mich geghostet hat oder wir Konkurrenten um den Jahrgangsbesten-Titel sind. Ich wünschte wirklich, es wäre so einfach.

»Schon okay, ich frage einfach Victor.«

»Victor ist gestern Abend schon nach Hause gefahren. Er hat all seine Kurse für dieses Wochenende abgesagt. Sorry, Girl.«

Klar. Natürlich fahren ausgerechnet dieses Jahr zwei der drei Snowboardlehrer des Resorts schon am Wochenende vor Weihnachten nach Hause. Ich werde also mit Mason Samley allein sein. Na ja, mit ihm und seiner Plus One.

Mein Bedauern bleibt Marybeth nicht verborgen, weshalb sie sich dazu genötigt fühlt, mich aufzumuntern. »Du hast ja heute Zeit, dich emotional auf den Kurs morgen vorzubereiten. Ich empfehle dir die Sauna im Spa. Stell dir vor, unsere Mitarbeiter-Keycards funktionieren genau wie die der Gäste. Manchmal mache ich das heimlich, wenn ich anstrengende Kunden hatte, aber pst, verrate das nicht den anderen. Die würden das nur petzen.«

Dankbar nicke ich meiner Kollegin zu. Vielleicht werde ich ihren Tipp wirklich beherzigen, aber zuerst muss ich meinen heutigen Arbeitstag überstehen. Es gibt kaum etwas Anstrengenderes als Anfängerkurse für die Kinder unermesslich reicher Helikoptereltern, die Fotos knipsend am Rand stehen und alles kritisieren, was ich tue. Aber immerhin würde mich das von Mason Samley ablenken.

 

Das hatte ich zumindest gedacht. Zehn Stunden später stehe ich in Flipflops und einem Hotelbademantel vor der braunen Holztür zum Spa-Bereich, in der Hoffnung, dass meine Gedanken an Mason einfach in der Sauna verdampfen. Nicht einmal das stille Aufzählen von periodischen Ordnungszahlen hatte mich ablenken können. Es ist wie verhext, und dabei glaube ich nicht an Hexerei, ich bin eine Frau der Wissenschaft. Wenn ich nicht dringend etwas Entspannung bekomme, werde ich den morgigen Tag nicht überleben, weil ich mich buchstäblich zu Tode schäme.

Meine Finger umschließen das kühle Metall des Türgriffs, während ich meine Karte vor den Sensor halte. Er piept zweimal rot, dann grün, dann schiebt sich der Riegel in der Tür zurück. Ich werfe einen letzten verräterischen Blick über die Schulter, weil das, was ich gerade vorhabe, eigentlich nicht erlaubt ist. Dann trete ich durch die Tür, und eine Mischung aus Wärme und Eukalyptusduft hüllt mich ein wie eine warme Decke. Meine Schultern fühlen sich bereits leichter an. Mein Blick gleitet durch den Raum, um mich zu vergewissern, dass ich hier wirklich allein bin. Normalerweise befinden sich die Gäste um diese Zeit beim Dinner im Restaurant, weshalb laut Marybeth jetzt die beste Gelegenheit ist, um sich einzuschleichen. Und meine Kollegin scheint recht zu behalten.

Schnell husche ich durch die Tür, die zum Saunabereich führt. Glücklicherweise bin ich auch hier vollkommen für mich. Ich streife den Bademantel ab, greife mir ein frisches Handtuch vom Regalbrett über der Tür und wickle mich darin ein. Es ist viel weicher als die, die wir Mitarbeiter bekommen, weshalb ich darüber nachdenke, es mitzunehmen für die Zeit, in der ich noch hier bin. Das ist kein Diebstahl, ich gebe es ja zurück. Irgendwann.

Zufrieden gehe ich zur Sauna und lasse mich auf eine der Holzbänke sinken. Mein Blick wandert zur Fensterfront hinter dem dampfenden Saunaofen. Der volle Mond taucht die verschneite Berglandschaft in silbriges Licht. Es ist wunderschön. Ich lehne mich zurück und genieße den Anblick, bis plötzlich die Tür aufgeht.

Scheiße. Mir stockt der Atem. In der Tür steht niemand Geringeres als Mason Samley, und das Einzige, was er trägt, ist ein Handtuch. Ich sollte definitiv nicht so auf den bedeckten Bereich starren, das weiß ich selbst, aber die Alternative wäre, ihm ins Gesicht zu sehen, und ich weiß nicht, ob ich dazu schon bereit bin. Oder es jemals wieder sein werde. Und dann tue ich es doch, weil der bekannte Klang seiner Stimme mir einfach keine Wahl lässt. »Malia.« Er flüstert meinen Namen, als wäre er ein Geheimnis. Wie von selbst wandert mein Blick über seinen athletischen Oberkörper bis hin zu seinen weit aufgerissenen haselnussbraunen Augen. Er sieht mich wie einen Fremdkörper an, als würde ich hier nicht hingehören. Was ich genau genommen auch nicht tue. Himmel, ich wünschte, ich könnte mich auflösen wie Natriumchlorid in kochendem Nudelwasser. (Wobei der Vergleich faktisch hinkt, weil sich das Salz in Ionen spaltet und im Wasser verteilt, aber ihr wisst, was ich meine.)

Für einen unendlichen Moment sehen wir einander starr in die Augen, bis Mason das Schweigen bricht. Er schüttelt lachend den Kopf. »Du bist hier.« Es ist, als könnte er nicht glauben, dass ich wirklich in der Sauna eines eingeschneiten Hotels am Ende der Welt vor ihm sitze. »Bist du auch im Urlaub?«

Diese Frage schubst mich augenblicklich in eine Zwickmühle, aus der ich nur schwer herauskommen werde. Wenn ich ihm die Wahrheit sage, weiß er, dass ich hier arbeite, und meldet es sicher dem Hotelmanagement, was mich meinen Job kosten würde. Wenn ich ihn stattdessen anlüge, merkt er das spätestens morgen Vormittag und meldet es ebenfalls dem Management. Beides keine besonders vielversprechenden Optionen.

»Ich äh … verbringe die Vorweihnachtszeit immer im Resort.«

Ja, das ist gut. Vage genug, um es morgen als Missverständnis zu entlarven, über das wir beide in meiner Vorstellung herzlich lachen werden. Nur, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich an seiner Stelle je wieder mit mir lachen würde. Wahrscheinlich nicht.

Er verschränkt die Arme vor seiner Brust und wirft einen nachdenklichen Blick durch die Fensterfront. »Kann ich verstehen. Vielleicht ist es besser, wenn ich …«

Er wird wieder gehen, wegen mir, schießt es mir durch den Kopf. Das kann ich nicht zulassen, nicht nur, weil ich mir den »Snowboardlehrerin verdrängt heißen Gast aus Sauna«-Mitarbeiternewsletter sparen will, sondern auch, weil er wegen mir schon genug durchgemacht hat. Also mache ich Anstalten aufzustehen, wobei mein Handtuch verrutscht. Mit weit aufgerissenen Augen ziehe ich es schnell wieder zurecht, als mir bewusst wird, dass ich nackt bin. Dass wir beide nackt sind. Zusammen im selben Raum. Mein Herzschlag beschleunigt sich wie eine Zentrifuge.

»Du musst nicht gehen«, sagt er, und auch wenn ich mich absichtlich von ihm abwende, weiß ich, dass er mich ansieht. Ich kann es fühlen, und es ist nicht besonders hilfreich für mein Zentrifugenherz.

»Doch, ich denke schon.« Steif umklammere ich meinen Oberkörper und wende mich Richtung Tür.

»Das hier ist eine öffentliche Hotelsauna. Mich stört es nicht. Jeder darf hier sein.«

Jeder außer mir. Und doch setze ich mich wieder, genau wie Mason. Wie zwei Hühner auf einer Stange hocken wir schweigend nebeneinander auf der Saunabank, und ich würde jeden Hut der Welt darauf verwetten, dass er sich genauso wenig entspannt wie ich.

»Zwei Jahre. Und jetzt treffen wir uns kurz vor Weihnachten in einer Sauna wieder. Wie stehen die Chancen dafür?«, durchbricht er das unangenehme Schweigen.

»Keine Ahnung. Wahrscheinlichkeitsrechnung ist nicht meine Stärke.«

Lächelnd streicht er seine blonden Haare zurück. Eine rebellische Strähne lockt sich in der feuchten Hitze und fällt ihm immer wieder in die Stirn. »Beruhigend. Ich hätte mich sonst gefragt, ob du ein besonders verstörendes Comeback geplant hast. Aber ich sehe keine Kameras.« Er verpackt es als Scherz, und ich bin sicher, dass er es genauso meint, aber mir entgeht nicht, dass sein Blick zwischen den Ecken der Sauna hin und her gleitet. Der letzte Rest Entspannung ist wie weggeblasen. »Ich habe mir oft vorgestellt, wie es wäre, wieder mit dir zu sprechen und nicht nur auf dem Campus aneinander vorbeizulaufen, als würden wir uns nicht kennen«, gibt er zu.

Ich zwinge mich zu einem gequälten Lächeln. »Ich auch. Ich dachte nur nicht, dass es bei neunzig Grad mit nassen Haaren passieren würde.« Demonstrativ wickle ich mir eine Strähne um den Zeigefinger.

Mason grinst.

»Du hast nackt vergessen.«

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erröte ich gerade wie eine Bunsenbrennerflamme, wenn man Lithium hineinhält. »Nein. Ich habe es gekonnt ignoriert.«

Er neigt den Kopf, und ich kann nicht anders als anzuerkennen, dass er noch genauso attraktiv ist wie früher.

»So wie du alles ignorierst, was auch nur ein wenig unangenehm werden könnte?«

Eins zu null für Mason. Meine Schultermuskulatur erreicht den durchschnittlichen Härtegrad von gepresstem Eis. Dies ist der Zeitpunkt, vor dem ich mich seit Jahren fürchte. In dem ich ihm erklären muss, was passiert ist, weil eine einfache Entschuldigung nicht mehr ausreicht. »Es ist meine Schuld, dass das Internet glaubt, du seist eine Witzfigur.« Mason nickt verstehend, unterbricht mich aber nicht. Nervös beginne ich an einer Handtuchecke zu pulen. »Weil ich eine People-Pleaserin bin und nicht gut damit umgehen kann, wenn der Kerl, in den ich seit der ersten Biochemie-Vorlesung verknallt bin, mir das Herz bricht, habe ich es mir selbst gebrochen. Ich war egoistisch.«

Mason zieht scharf die Luft ein. »Und deshalb gehst du mir von einem Tag auf den anderen aus dem Weg? Antwortest nicht auf meine Nachrichten? Und wechselst den Kurs?«

Schuldbewusst kratze ich mich im Nacken. »An deiner Stelle hätte ich mich gehasst. Wie hätte ich dir in die Augen sehen sollen?«

»Du tust es jetzt gerade.«

Mason stützt sich auf seine Ellenbogen und reibt sich das Gesicht.

»Wenn du es jetzt kannst, nachdem du das zwei Jahre lang in dich hineingefressen hast, dann hättest du es auch damals gekonnt. Du hättest es mir erklären können, statt einfach aus meinem Leben zu verschwinden. Scheiße, ich war so verdammt verliebt in dich. Und du warst einfach weg.«

Ich war verliebt in dich … Mein Lächeln verdampft in der Hitze. Jede Faser meines Körpers erinnert sich an die Gefühle, die Mason vor zwei Jahren in mir ausgelöst hat. Es ist, als wären sie nie verschwunden. Heilige Scheiße, sie sind nie verschwunden. All die Schuld und Reue haben mich nur von ihnen abgelenkt; von ihm abgelenkt. Das Video zu versenden war nicht der unverzeihliche Fehler, den ich gemacht habe, sondern dass ich ihn danach weggestoßen habe.

Plötzlich fühlt sich mein Hals so trocken an wie die Sahara, was ich auf das Tannennadelöl im Saunaaufguss schiebe, auch wenn ich es eigentlich besser weiß. »Es tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll. Ich komme mir so schäbig vor«, antworte ich heiser.

Ein paar Minuten sitzen wir schweigend nebeneinander, bis Mason den Abstand zwischen uns verringert. Sein nackter Oberschenkel berührt nun meinen. Es scheint augenblicklich heißer zu werden. Hat hier etwa jemand heimlich den Saunaofen hochgedreht?

Er legt seine Finger an mein Kinn, sodass mir keine andere Wahl bleibt, als ihn anzusehen. Er wischt mit seinem Daumen eine stumme Träne von meiner Wange. »Tu das nicht, Malia. Hör auf, dich dafür verantwortlich zu machen. Du hast einen Fehler gemacht, ja, aber da bist du nicht die Einzige.« Er seufzt. »Anfangs wollte ich, dass du dich schlecht fühlst, zumindest, bis Anna mir gestanden hat, was eigentlich passiert ist. Und trotzdem habe ich den Fehler gemacht, dich einfach gehen zu lassen, wohl wissend, dass dich dein schlechtes Gewissen auffressen wird. Dir das jetzt sagen zu können, fühlt sich an wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Ich war feige, Malia, und ich will nicht mehr feige sein.« Die letzten Wörter raunt er mir ins Ohr, und kurz wünscht sich etwas in mir, dass er mich wieder küsst, dass alles wie früher wird, dass wir irgendwann vergessen können, was vorgefallen ist. Doch das wäre unvernünftig, und ich bin nicht unvernünftig. Wobei, wenn ich so drüber nachdenke, ist es doch ziemlich unvernünftig von mir, als Mitarbeiterin in der Gästesauna zu schwitzen, während mir der Mann Gesellschaft leistet, der mir mehr schlaflose Nächte bereitet hat als mein Celebritycrush. Verflucht. Das ist einfach alles zu viel.

Panisch springe ich auf, das Handtuch fest an meine Brust gepresst. Ich registriere seinen verwirrten Ausdruck, bin aber zu blockiert, um das zu tun, was ich sollte: ehrlich sein, meine Feigheit überwinden, bleiben. Stattdessen mache ich das, was ich am besten kann: verschwinden, wenn es schwierig wird. »Ich kann das gerade nicht, Mason. Es tut mir leid, aber … Wir sehen uns morgen«, presse ich noch hervor, bevor ich die Tür aufreiße, um zu fliehen. Ohne Bademantel. Merry Crisis.

 

Die Nacht war hart. Die erste Hälfte habe ich mit Grübeln verbracht, die zweite damit, mir DAS Video in Dauerschleife auf YouTube anzusehen, bis ich jeden von Masons Funfacts über Molekülverbindungen mitsingen konnte. Zehn Millionen Views. Siebenundachtzig davon sind von mir.

Nervös trete ich von einem Bein aufs andere, wobei der Schnee unter meinen Snowboardboots knirscht. Schneeflocken fallen still um mich herum und glitzern in den Strahlen der winterlichen Morgensonne. Mason und seine Plus One müssten jeden Moment am Treffpunkt auftauchen, wobei sie mich bereits seit fünfzehn Minuten warten lassen. Vielleicht kommen sie nicht. Was ich ihm nicht vorwerfen würde. Als Mason dann doch mit einem nagelneuen Board unterm Arm aus dem Resort tritt und mir ein Lächeln zuwirft, das der strahlenden Weihnachtsdekoration Konkurrenz macht, stolpert mein Zentrifugenherz. Meine Nervosität steigt. Schon wieder sind wir allein miteinander, denn er kommt ohne Begleitung. Immerhin ist dieses Mal keiner von uns nackt.

»Hey«, begrüßt er mich mit einem Lächeln auf den Lippen, das unverschämt charmant ist.

»Hey«, erwidere ich etwas beschämt.

»Du bist also nicht in den Ferien.« Mason sieht nicht überrascht aus.

»Was hat mich verraten? Die abgenutzte Jacke oder das Snowboard, das älter ist als meine kleine Schwester?«

Er schüttelt den Kopf. »Eigentlich war es die Mail mit der Buchungsbestätigung, in der dein Name stand.«

Das Blut weicht aus meinen Fingerspitzen, als ich realisiere, dass er schon lange vor mir wusste, dass ich hier sein würde. Ich stemme die Hände in die Seiten. »Du hast mich getestet.«

»Unabsichtlich, aber ja. Tut mir leid, dass ich es dir nicht schon gestern gesagt habe, es hat sich nicht ergeben.«

Offenbar haben wir mehr gemeinsam, als ich dachte. »Schon gut, ich habe es ja auch nicht gesagt.«

»Also sind wir quitt?«

Ich nicke zustimmend. »Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst. Nach …«

»Nach gestern Abend?«

»Ja, ich meine nein. Ich meine wegen allem, was war.«

»Du glaubst also, dass ich mir vier Stunden Herumgestammel von dir entgehen lasse? Keine Chance.«

Ich boxe ihm leicht gegen den Oberarm, und kurz ist es so ungezwungen wie zu der Zeit, in der wir uns noch gelern-dated haben. Leise Küsse hinter riesigen Bücherregalen. »Du wolltest also, dass ich mich blamiere?«

»Natürlich. Wobei, es fehlt noch die Kamera.«

»Du meinst das ironisch, oder?«

»Natürlich meine ich das ironisch. Für was für einen Menschen hältst du mich?«, fragt er gespielt entrüstet.

Den besten, den ich kenne. Was ich nicht laut ausspreche. Himmel, ich sollte dringend einen Onlinekurs im Zusammenreißen besuchen.

»Für einen, der einen teuren Snowboardkurs gebucht hat. Wir sollten los, bevor der Hotelmanager realisiert, dass wir hier herumstehen, und mir den Lohn kürzt«, wechsle ich das Thema, auf eine (wie ich finde) sehr humorvolle Weise.

Mason hebt die Brauen. »Wirklich?«

»Nein, aber es ist nicht gern gesehen.« Ich mache eine kurze Pause. »Kommt deine Plus One eigentlich noch?«, frage ich so beiläufig wie möglich, nur um sicherzugehen.

»Nein. Meine Mom fühlt sich nicht gut.«

Seine Mom, nicht seine Freundin. Ist es verwerflich, dass mich das beruhigt?

Wir gehen zur Gondel, um die Piste zu erreichen. Oben angekommen setzen wir uns die Helme auf und schnallen uns die Boards unter. Zuerst schaue ich mir an, was Mason schon kann. Er steht stabil, schafft einfache Rotationen und hat keine Angst vor Geschwindigkeit.

Nach der dritten Abfahrt sinken wir außer Atem in den Pulverschnee. »Okay, gute Basis«, lobe ich ihn. Im Gegensatz zu vielen anderen Klienten fühlt es sich bei ihm deutlich ehrlicher an. »Bereit für ein paar einfache Tricks?«

»Immer doch. Irgendwas, womit ich dich später beeindrucken kann, bitte.« Er zuckt die Augenbrauen so verführerisch nach oben wie ein Achtzigerjahre-Pornostar.

Ein Kribbeln, das ich viel zu lange nicht gespürt habe, breitet sich in meinem Bauch aus. »So weit bist du noch nicht, fürchte ich. Aber ich zeige dir etwas, womit du zumindest ein paar attraktive Anfängerinnen beeindrucken könntest.«

Dabei fallen mir zwei junge Frauen in blauen Skioveralls auf, die uns tuschelnd beobachten. Mason folgt meinem Blick, bevor er grüßend die Hand hebt.

Die beiden kommen kichernd herüber. »Oh mein Gott, er ist es«, flüstert die eine der anderen so laut ins Ohr, dass wahrscheinlich selbst der Liftwart in seiner Kabine es hören kann.

»Hi, du bist doch MC Molecool, oder?«, fragt die Erste hoffnungsvoll. Als Mason zur Antwort nickt, klatschen beide quiekend in die Hände.

»Oh man, das ist so cool!«, erwidert die andere.

»Nein, Mole-cool«, verbessert sie die Erste.

Beide lachen Tränen. Es ist bizarr.

Mason hingegen bleibt professionell, als wäre das hier Teil seines Alltags. Wahrscheinlich ist es das auch. »Freut mich sehr, möchtet ihr ein Foto machen?«

Die beiden nicken wie Wackeldackel. »Unbedingt! Das glaubt uns doch sonst niemand.«

Wie ein Profi posiert Mason zwischen den Frauen, während ich die Fotos schieße. Dann können wir uns endlich wieder von den beiden losreißen und für eine weitere Abfahrt in die Gondel flüchten. Die Türen schließen sich, und wir sind wieder allein.

»Passiert dir das oft?«, frage ich schuldbewusst.

»Nicht mehr so oft wie am Anfang, aber hin und wieder.« Er zuckt mit den Schultern. »Erst war es mir peinlich, dann fand ich es nervig. Aber mittlerweile sehe ich mich als Ritter der Chemie. Ich bilde mir ein, dass sich die Menschen die kovalenten Verbindungen nur wegen mir merken können«, erklärt er gelassen.

Meine Lippen verziehen sich zu einem leichten Schmunzeln. »Ich denke, das ist die beste Art, damit umzugehen.«

»Ich hoffe, du glaubst mir jetzt, dass ich dich für nichts verantwortlich mache.« Er lehnt sich zu mir vor, sodass ich seinen warmen Atem an meiner Nase spüren kann. Mein sonst so eifriges Herz setzt einen Schlag aus, als seine Hände nach meinen greifen. »Es ist mir wichtig, dass du mir glaubst. Denn ich habe vor, dich noch mal um ein Date zu bitten. Ein echtes, ohne Bücher, so wie ich es schon vor zwei Jahren hätte tun sollen. Und ich muss wissen, ob du die Sache von damals hinter dir lassen kannst und Ja sagst.«

Dopamin flutet meine Blutbahn, als ich bemerke, dass ich ihm glauben will. »Selbstvorwürfe sind schon ziemlich lange Teil meiner Persönlichkeit. Ich weiß nicht, ob ich so einfach von ihnen loskomme«, gestehe ich, während ich in seinen tiefbraunen Augen versinke. Die Grübchen in seiner Wange verraten mir, dass er damit zurechtkommen wird.

»Ich kann dir dabei helfen, wenn du mich lässt«, raunt er.

Ich hole tief Luft, bevor ich das Wort sage, das meine Zukunft in neue Bahnen lenken wird. »Okay.«

»Okay«, wiederholt er es zufrieden. »Wie wäre es, wenn wir gleich damit anfangen? Darf ich dich in das Bergrestaurant ausführen?«

»Was, jetzt? Aber ich soll dir doch Snowboardtricks beibringen, und wenn wir ehrlich sind, haben wir heute nicht besonders viel geschafft.«

Mason grinst. »Das kannst du auch morgen noch, aber jetzt ist mir nach einer heißen Waffel mit Vanilleeis und der schönsten Aussicht, die ich je genießen durfte.«

Ich werde rot. Was soll ich sagen? Gegen seinen Charme bin ich leider nicht immun. Das war ich noch nie. Obwohl sie sich noch nicht berühren, kann ich mich an das prickelnde Gefühl seiner Lippen auf meinen erinnern. Hitze durchflutet meinen Körper und drängt mich dazu, nachzugeben, also rutsche ich noch ein wenig auf meiner Sitzbank nach vorn.

Ich tue, als würde ich nachdenken, bevor ich mit: »Waffel mit Vanilleeis klingt nach einer wirklich guten Idee« antworte.

»Weißt du, was auch nach einer wirklich guten Idee klingt?«

»Mich zu küssen?«, frage ich hoffnungsvoll.

Ohne zu antworten zieht Mason mich auf seinen Schoß, bevor er erst mir und dann sich den Helm abnimmt. »Du bist so schön wie der Schnee, Malia Valentine.«

»Hör auf zu reden«, flüstere ich ungeduldig, »sonst sind wir gleich oben und haben uns immer noch nicht geküsst.«

Mason streicht mir lächelnd eine lose Strähne hinters Ohr. »Wir haben den Ausstieg längst verpasst.« Damit legt er seine warmen Hände an meine Wangen. »Das gibt uns eine Dreiviertelrunde Zeit, das nachzuholen.«

Endlich spüre ich seine Lippen sanft auf meinen. Ein Feuerwerk explodiert in meiner Magengegend. Und auch wenn ich weiß, dass es die chemischen Prozesse sind, die in mir arbeiten, ist es perfekt. Es ist endlich perfekt.

2

Beril Kehribar

The Darkest Winter

Beril Kehribar, geboren 1991, lebt mit ihrem Mann und den gemeinsamen zwei Katzen in einem alten Haus im Grünen – mit eigener kleiner Bibliothek. Sie hat einen Hang zu allem, was düster ist, und erschafft am liebsten ebenso dunkelschattierte Charaktere und geheimnisumwobene Welten. Nach ihrem erfolgreichen Jugendbuch-Debüt erobert sie mit Empire of Sins and Souls nicht nur weiterhin die SPIEGEL-Bestsellerlisten, sondern auch die Romantasy-Literatur für Erwachsene. Auf Instagram und TikTok ist die Autorin unter @beril.kehribar zu finden.

Ich liebe dich nicht. Habe ich nie.

Wenn es wenigstens nur seine Worte wären, die seit Tagen wie ein Vorschlaghammer gegen meinen Schädel krachten. Musste es auch noch seine Stimme sein, die sie sprach – in Dauerschleife?

Ich liebe dich nicht. Habe ich nie.

Fick dich, Corvin.

Der frostige Wind zerrte an meinem Kleid, ließ die schweren Stoffbahnen aufgescheucht durch die Nacht flattern. Mein Atem wob sich sichtbar in die Luft, weiße Wolken, die sich verflüchtigten wie Geister, kaum dass sie entstanden waren. In meinen Händen hielt ich die Einladung.

Seien Sie Teil des magischsten Abends des Jahres

Vorgoth, die Akademie der dunkelsten Künste, lädt ein zum Nachtglanzball. Hüllen Sie sich in Eleganz und zelebrieren Sie den Winteranfang mit uns. Der Ballsaal in der großen Halle wird um 20 Uhr geöffnet, und der Tanz der Familiare beginnt um Mitternacht. Die Teilnahme ist für alle Studierenden der Akademie verpflichtend, doch sie bietet zugleich die Möglichkeit, alte Bande zu festigen und neue zu knüpfen. Unter dem frostigen Glanz der magischen Lichter erwartet Sie eine Nacht voller Zauber.

 

Was im Schatten geschieht, bleibt im Schatten.

 

Hochachtungsvoll,

Professor Alistair Valtieri

Rektor von Vorgoth, Akademie der dunkelsten Künste

Im Auftrag der Gründerinnen und Gründer

Das Letzte, was ich jetzt wollte, war alte Bande zu festigen. Sie sollten sich gefälligst auflösen, wie die Schneekristalle es taten. Eine Schneeflocke fiel auf die Tinte und schmolz dahin. In einem Moment da, im nächsten fort. Und die zuvor gestochen scharfe Schrift verwandelte sich unter ihr in graue Schlieren, die nichts mehr bedeuteten.

Ich hob den Blick von dem zerknitterten Pergament und ließ ihn über den Horizont gleiten. Die dunklen Turmspitzen von Vorgoth waren in edles Weiß getaucht und ragten in den nachtdunklen Himmel hinauf. Hinter den Spitzbogenfenstern funkelten Lichter, und gedämpfte Stimmen und das Klirren von Gläsern mischten sich in das Knirschen des Schnees unter meinen Stiefeln, als ich mein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerte.

Vor mir erstreckte sich der verschlungene Pfad aus eisglänzendem Kopfsteinpflaster, gesäumt von Laternen, die dicht über dem Boden schwebten. Er führte über den Innenhof der Akademie direkt zum großen Saal, in dem der Ball stattfinden würde.

Ich zog die schwere Tür auf, und ein warmer Schwall aus Licht und Musik empfing mich. Der Kontrast zur beißenden Kälte draußen war so scharf, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurückmachte, bevor ich mich zwang, einzutreten.

Vielleicht kam der Widerwille aber auch daher, dass ich ihm begegnen würde. Corvin.

Der Boden unter meinen Füßen verwandelte sich von gefrorenem Stein zu glänzendem schwarzen Marmor, der das Licht der schwebenden Kerzen und magischen Eiskristalle reflektierte. Sie sammelten sich unter der runden Decke, die auf erhabenen Säulen thronte. Der Saal war überwältigend, ein Meer aus schillernden Gewändern und bestickten Umhängen.

Ich strich mir den Schnee vom Kleid, das in verschiedenen Blautönen changierte. Es fing die Farbe meiner Augen perfekt ein. Mein eisblondes Haar hing mir geflochten über die nackte Schulter. Dort, wo die schwarzen Linien unter meiner Haut schimmerten. Sie gehörten zu Ash, meinem Familiar, und formten seine Umrisse. Geweitete Flügel, die sich über meinen Rücken erstreckten, sein gefiederter Rumpf und der kleine Kopf mit dem spitzen Schnabel. Ein Falke.

»Du siehst wunderschön aus, Ophelia.«

Ich hob den Kopf und begegnete dunkelbraunen Augen, die mich beinahe ehrfürchtig musterten. Sie funkelten zwischen dichten Wimpern, die so hell waren, dass sie ebenso durchscheinend wirkten wie die blasse Haut des Mannes vor mir.

»Danke.« Ich schenkte Alaric ein flüchtiges Lächeln und strich mir im selben Atemzug eine meiner Haarsträhnen hinters Ohr. Hauptsache, meine Finger waren irgendwie beschäftigt. Hoffentlich hielt mich das davon ab, an Alaric vorbei in den Festsaal zu spähen, um Ausschau nach jemand anderem zu halten.

Ich liebe dich nicht. Habe ich nie.

»Es ist mir eine Ehre, dein Partner sein zu dürfen«, Alaric räusperte sich, »zumindest für diesen Abend. Erst mal. Weil vielleicht, wenn es gut läuft … Ich dachte, falls …« Er kniff die Augen kurz zusammen und fluchte leise.

»Alaric, vielleicht holst du uns etwas zu trinken?«

Erleichtert hob er die Mundwinkel und nickte knapp, bevor er sich umdrehte und zurück in der Menge verschwand. Ich konnte nicht sagen, ob ich damit ihm oder mir helfen wollte, aber zumindest hatten wir nun beide einen Moment, um durchzuatmen.

»Du hast einen neuen Laufburschen gefunden.«

Die Stimme strich über die Haut in meinem Nacken wie ein frostiger Windhauch, und ich erzitterte. Nur einen Wimpernaufschlag später stand er vor mir. Corvin Cross.

Sein dunkles Haar fiel ihm wie zufällig ins Gesicht, als hätte er es gerade erst mit einer fahrigen Bewegung seiner Finger nach hinten gestrichen, nur damit es sich wieder löste. Die Lichter über uns warfen ihren Schein auf seine scharf geschnittenen Züge: hohe Wangenknochen, eine gerade Nase, ein Mund, der sich zu einem schiefen, viel zu selbstsicheren Lächeln verzog. Seine Augen schimmerten wie flüssiges Quecksilber, kühl und unergründlich, mit diesem mir allzu bekannten Hauch von Spott darin, der ihn so gefährlich machte – und mich verdammt wütend.

»Er holt uns nur etwas zu trinken. Aber ich wüsste nicht, was dich das angeht.«

Corvins volle Lippen zuckten amüsiert. »Ein wahrer Gentleman, dein Ritter. Ich hoffe, er bringt dir etwas Stärkeres als Wein. Sonst kann der Abend mit ihm an deiner Seite nur langweilig werden.«

Natürlich überging er meine Bemerkung. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, bildete mir ein, ich könnte so Abstand zwischen uns bringen. »Ich brauche keinen Ritter, und –«

»Ich weiß.«

»Und«, setzte ich erneut an, »mein Abend wird nicht langweilig. Dafür werde ich schon sorgen.«

Für einen Moment wirbelten die Silberschlieren in seinen Iriden wild umher, wurden finster, als hätten die Sterne am Nachthimmel vergessen, ihn zu erleuchten. Dann lachte Corvin leise, ein dunkler, kehliger Laut, und trat einen Schritt näher, die Barriere ignorierend, die ich zwischen uns aufzubauen versuchte. Der Geruch von kaltem Rauch und Winterregen haftete ihm an, holte Erinnerungen zurück, die einen prickelnden Schauer über meinen Rücken jagten. Ich wusste zu genau, wie es sich anfühlte, wenn es nichts mehr gab, das unsere Körper voneinander trennte. Keine verschränkten Arme, keine Kleidung, keine Worte.

»Oh, Ophelia«, raunte er, und in seinen Augen glomm ein Funke auf. Ein einzelner Stern. Er verkündete nichts als Unheil, sagte mir, dass Corvin Cross ein Problem war – eines, das ich längst hätte eliminieren müssen. Trotzdem hatte mein Herz in diesem Moment nichts Besseres zu tun, als sich wild und rettungslos gegen meinen Brustkorb zu werfen. Beinahe so, als würde es Corvin noch näher sein wollen. Dabei hatte er es verraten. Hatte uns verraten. Und seitdem er Schluss gemacht hatte, hatte er nichts anderes getan, als mich zu meiden und mir böse Blicke zuzuwerfen, wenn wir uns zwischen Magische Kriegsführung und Runenmagie in den Gängen der Akademie begegneten. Und jetzt stand er hier und … Ja, was? Was wollte er?

Ich liebe dich nicht. Habe ich nie.

Aber ich liebte ihn. Hatte ich immer, würde ich immer …

»Ich hoffe, du magst Wein?«, zerschnitt eine Stimme meine Gedanken. Sie klang dünn und formte zum Ende hin ein Fragezeichen, das sich kaum überhören ließ.

Corvins Grinsen wurde breiter, bevor er mir zuzwinkerte und verschwand.

Alaric blickte ihm missmutig hinterher. »Was wollte Corvin?«

»Wein ist großartig«, sagte ich, nahm ihm das Glas ab, das er mir reichte. Ich trank es in einem Zug leer, nur, um ihm nicht antworten zu müssen. »Wollen wir tanzen?«

Alaric führte mich weiter hinein in den Festsaal, wo der Duft von Nelken, Zimt und Tannennadeln über unsere Köpfe hinwegschwebte. Der nahezu deckenhohe Tannenbaum ragte über uns auf, seine Nadeln so tiefgrün, dass sie beinahe schwarz wirkten. Nebelschwaden verfingen sich zwischen ihnen, kräuselten sich wie gefangene Geister entlang der glänzenden Kugeln und Girlanden, die den Baum schmückten. Einige leuchteten schwach, als wären darin die letzten Erinnerungen eines längst vergessenen Winters eingeschlossen.

Alaric griff nach meiner Hand und zog mich an sich. Seine Finger schmiegten sich an meine, während er seine andere Hand an meinen unteren Rücken legte. Ganz leicht nur. Ganz anders, als Corvin es immer getan hatte.

»Ist das okay?« Er blickte zwischen seinen Wimpern zu mir runter, und zum ersten Mal fiel mir auf, dass er wirklich schön war. Und noch dazu einer der klügsten Hexer in Vorgoth.

Ich nickte, woraufhin Alaric mich in eine Drehung schickte, bevor wir wieder lachend zueinanderfanden. Dieser Abend musste nicht langweilig werden. Ganz und gar nicht. Erst recht nicht, wenn ich mich hierauf einließ – auf Alaric. Wenn ich Corvins Stimme und die Erinnerung an seine Berührungen endlich aus meinen Gedanken verbannte.

Die Musik wechselte und wir bewegten uns zum neuen Rhythmus. Es war ein melancholisches Lied, eines, dessen Klänge noch lange in mir nachhallten, sogar noch, als wir viele Lieder später schwer atmend auf eine der Bänke zusteuerten, die die lange Tafel säumten. Sie war ein Meisterwerk opulenter Dekadenz, aus dunklem Ebenholz gefertigt und von schwebenden Kerzen in warmes Licht getaucht.

Goldene Teller spiegelten sich in der polierten Oberfläche, Kristallgläser funkelten wie Sternensplitter. Die Speisen waren prächtig angerichtet, eine Mischung aus erlesenen Köstlichkeiten. Ein spiegelndes Tablett präsentierte zarte Pasteten mit violetter Füllung, daneben türmten sich blutrote Weintrauben auf, so prall, als könnten sie jederzeit aufplatzen und ihren süßen Saft über den Tisch vergießen.

In kunstvoll geschnitzten Schalen lagen dunkle Schokoladenpralinen, durchzogen von feinen Goldadern, die im Kerzenlicht glitzerten.

Alaric streckte eine Hand nach einer hohen Karaffe aus, die zwischen zwei Kandelabern stand, tiefdunkler Wein schwappte darin hin und her. Über seine Schulter hinweg fand mein Blick ein Paar silbrig glühender Augen, das uns aus der Ferne musterte. Ich rückte noch ein Stück näher an Alaric heran und genoss es, dabei zuzusehen, wie sich Corvins Miene verfinsterte, ehe er sich zu seiner Begleitung umdrehte.

Er war eifersüchtig. Corvin konnte mir nichts vormachen, dafür kannte ich ihn zu gut. Er konnte mir nicht erzählen, dass er mich nicht liebte, wenn sein Körper genau das Gegenteil schrie.

»Auf uns«, sagte Alaric feierlich, und ich stieß mit ihm an, schüttelte die Gedanken an Corvin und die hübsche Brünette, die über einen seiner Witze zu lachen schien, ab.

Gerade, nachdem ich einen ersten Schluck genommen hatte, erklang das Geräusch eines Stabes, der drei Mal auf den Boden schlug. Es hallte durch den gesamten Festsaal, und die Musik verstummte. Gespräche und Gelächter verebbten, stattdessen breitete sich erwartungsvolle Stille aus.

Auf der erhöhten Plattform am Kopfende des Saals stand unser Rektor Professor Alistair Valtieri. Sein dunkles Gewand verschmolz mit den Schatten, nur durchbrochen von den feinen Silberstickereien, die sich in Form uralter Runen über die Ärmel und den hohen Kragen zogen.

Seine durchdringenden grauen Augen musterten die versammelten Studierenden, seine knochigen Finger krümmten sich um den silbernen Stab. »Die Nacht schreitet voran«, begann er mit ruhiger, doch tragender Stimme, die den Saal ohne Anstrengung erfüllte. »Und nun ist es an der Zeit, des Ritus zu gedenken, der unsere Verbindung zu jenen Wesen stärkt, ohne die wir Hexen den Magiern weiterhin unterlegen wären.«

Ein leises Murmeln ging durch die Menge, eine Mischung aus Vorfreude und Ehrfurcht.

»Die Familiare, unsere gebundenen Seelen, dürfen in wenigen Momenten den Ball betreten«, fuhr Professor Valtieri fort und ließ den Blick hinter der silbergerahmten Brille über die Gesichter der Anwesenden gleiten. »Ihre Essenz ist unsere Kraft, ihre Treue unser Schwur. Durch diesen Tanz ehren wir den Pakt zwischen Hexe und Familiar, zwischen Blut und Knochen, zwischen Geist und Schatten.«

Mit einer geschmeidigen Bewegung hob er den Stab und ließ ihn ein weiteres Mal auf den Marmorboden hinabfahren. Ein kühler Lufthauch zog durch den Raum, die Kerzenflammen flackerten, und ein kaum wahrnehmbares, silbernes Leuchten breitete sich über dem Boden aus.

»Ruft eure Familiare!«, befahl Professor Valtieri, und in diesem Moment begannen sich die ersten Studierenden zu rühren.

Draußen brüllte der Drache des Rektors auf.

Die Zeremonie hatte begonnen.

Ich schloss die Augen und tastete nach Ashs Seele. Sofort spürte ich ein leichtes Zucken unter meiner Haut, das sich in meiner Wirbelsäule sammelte.

Ich konnte meinen Rücken nicht sehen, aber ich wusste, was in diesem Moment passierte. Die nachtschwarzen Linien und Muster unter meiner Haut begannen, sich zu verflüssigen. Sie kribbelten, bevor sie von meinem Körper glitten.

Mit einem tiefen Atemzug öffnete ich die Augen und sah, wie sich aus den Linien der Tätowierung ein schimmerndes Federmuster formte, das sich um mich herum ausbreitete und mit der Luft des Ballsaals zu einer flimmernden Gestalt verschmolz. Ash nahm seine Form an, seine Flügel aus aschegrauen Federn, die sich majestätisch öffneten, als er sich höher in Richtung Decke schraubte. So hoch, dass ich ihn aus den Augen verlor zwischen all den Familiaren der anderen. Eulen, Adler, Fledermäuse. Gerade schlängelte sich ein feuerfarbener Fuchs zwischen meinen Beinen hindurch – ein Höllenfuchs. Er gehörte zu …

»Pyrrhax, komm zurück!«

Ein leichter Windzug streifte meine nackten Schultern, er trug den Geruch von kaltem Rauch und Winterregen.

»Corvin!«, rief ich, als mein Ex-Freund an mir vorbeirannte, seinem Höllenfuchs hinterher. Sein Familiar jagte durch die Menge, zwischen rauschenden Umhängen und wirbelnden Röcken hindurch, seine Schweifspitzen glühten im schummrigen Licht und stoben bei jedem Schritt Funken.

Ich überlegte nicht lang und schob mich hinter ihnen durch die Masse aus Hexen, Schattenwölfen, Knochenkatzen und winzigen Sturmdrachen. Wieso rannte Pyrrhax vor Corvin weg? Sie waren immer unzertrennlich gewesen, genauso wie Ash und ich.

Während ich hinter Corvin her in Richtung der Doppelflügeltür eilte, hielt ich weiter Ausschau nach meinem Falken. Wohin war er so schnell verschwunden?

Plötzlich schlangen sich warme Finger um mein Handgelenk.

»Ophelia, was ist los?« Alaric sah mich aus seinen großen dunklen Augen an, ein Hauch Sorge flackerte darin.

»Ich muss zu …« Kurz presste ich die Lippen aufeinander und holte tief Luft, dann sprach ich weiter. »Hör zu, Ric, du bist klug und nett und fürsorglich, und ich weiß, du magst mich, aber –«

»Aber es ist Corvin. Schon klar.« Das Flackern in seinem Blick erlosch, und ein müdes Lächeln umspielte seinen Mund.

»Tut mir leid«, murmelte ich, was vom Gewirr um uns herum verschluckt wurde.

Doch Alaric verstand. Er nickte knapp, dann ließ er mich gehen.

Noch immer konnte ich Ashs Präsenz nirgendwo spüren, also lief ich weiter Corvin hinterher, der gerade durch die Tür hinaus in den Hof trat.

Draußen schluckte der Winter die Geräusche des Balls. Der Innenhof war in schillerndes Weiß gehüllt, der Schnee lag wie weiche Seide auf den verschlungenen Steinstatuen. Laternen mit rußgeschwärzten Glasfassaden warfen ihr violettes Licht in den Hof, Lichterketten hingen zwischen frostbedeckten Bäumen, und irgendwo in der Ferne erklangen tiefe Glockenschläge – dumpf und melancholisch, als würden sie von einer anderen Welt herüberwehen, um die Mitternacht anzukündigen.

Corvin stand im Schnee, sein Atem schwer und seine Schultern eingefallen.

»Ash ist auch fort«, flüsterte ich.

Corvin wandte sich mir zu, sein Gesicht im fahlen Laternenlicht halb verborgen. Schweigen dehnte sich zwischen uns aus, nur unterbrochen vom leisen Knirschen des Schnees unter meinen Stiefeln, als ich mich langsam auf ihn zubewegte.

»Vielleicht haben sie sich gegenseitig aufgescheucht?«, spekulierte ich. Ash und Pyrrhax waren noch immer so eng verbunden wie Corvin und ich einst. Der Gedanke bohrte sich wie ein Stachel zwischen meine Rippen.

»Oder etwas anderes hat sie angelockt«, erwiderte Corvin dunkel.

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus, und ich spürte das Gewicht meines Mortacri an meinem Oberschenkel. Ein aus Knochen geschnitzter Zauberstab, dessen Spitze sich unter meinem Kleid in mein Fleisch bohrte, als wollte er, dass ich ihn hervorholte, um mich zu beschützen.

»Vorgoth ist sicher«, sagte ich überzeugt, doch Corvins Miene wurde nur noch düsterer. »Was ist los, Corvin?«

»Verdammt, Ophelia, nicht jetzt.« Er kniff die Augen zu und fuhr sich durchs kohlschwarze Haar.

Die Geste ließ mein Herz heftig trommeln, weil ich verflucht noch mal Panik bekam, wenn er so verzweifelt war. »Corvin«, versuchte ich es noch mal, sanfter jetzt. Ich war ihm inzwischen so nah, dass ich nur meine Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu berühren. »Was ist passiert?«

»Gar nichts!«

»Du lügst!«, konterte ich. »So wie letzte Woche, als du gesagt hast, du würdest mich nicht lieben!«

Corvin zuckte zusammen, kaum wahrnehmbar. Aber ich kannte ihn. Ich kannte alles von ihm. Sein Blick huschte durch den Innenhof. »Wir können nicht darüber reden. Es ist zu gefährlich.«

»Das ist mir egal!«, rief ich. »Du hast mich abserviert, als wäre ich nichts weiter als eine belanglose Affäre für dich gewesen! Weißt du, wie sich das anfühlt?« Meine Stimme zitterte mittlerweile mindestens so sehr wie meine Knie.

Corvin überbrückte den letzten Abstand zwischen uns und legte mir sein Jackett um die Schultern. Die intensive Wärme, die von ihm ausstrahlte, hüllte mich ein. Berauschte mich, bis mir die Röte in die Wangen stieg. Doch jetzt, wo wir uns so nah waren, erkannte ich den Schmerz in seinen Augen. Sie sahen gebrochen aus.

»Du bist alles für mich, Ophelia, nur nicht belanglos.«

Ich schluckte noch gegen den Kloß in meinem Hals an, da sprach er bereits weiter.

»Deswegen musste ich dich verlassen. Sie haben …« Sein Blick zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zur Seite, als überlegte er, wie viel er mir verraten konnte. »Ich habe etwas herausgefunden. Über die Magier.«

Ich spürte, wie sich Falten in meine Stirn gruben. Die Magier waren seit Jahrhunderten die größten Feinde von uns Hexen. Aber hier in Vorgoth lebten wir abgeschirmt vor ihnen. Niemand kam an Professor Alistair Valtieri und den Schutzzaubern seines Schattenspeierdrachen vorbei.

»Seitdem … verfolgen sie mich. Ich habe Spuren gefunden. In meinem Zimmer. An meiner Kleidung. Kleine Warnungen. Ich kann nicht bleiben.« Corvin sah mich verzweifelt an, und etwas in mir zerbrach. »Ich muss verschwinden. Ich habe keine Wahl.«

»Aus Vorgoth?« Ich hatte das Gefühl, mein Inneres löste sich auf. Doch als er nickte, waren da nur vier Worte, die auf meiner Seele brannten und entschlossen dort loderten. »Ich gehe mit dir.«

Corvins Blick fiel auf meine Lippen, als könnte er nicht fassen, was gerade über sie gekommen war. »Ophelia …«

»Ich liebe dich.« Mein Herz klopfte, klopfte, klopfte. »Für mich gibt es keine andere Option. Nur du und ich, Corvin. So war es schon immer, und ich will nicht, dass sich das jemals ändert. Das überlebe ich nicht.«

Corvin beugte sich zu mir runter, und ich sah den Kampf, der in seinem Inneren tobte, bevor er die Augen schloss und nachgab. Ich hielt die Luft an, als ich das vertraute Gefühl seiner weichen Lippen auf meinen spürte. Es rieselte schaudernd durch meinen gesamten Körper und sammelte sich kribbelnd in meinem Bauch wie eintausend aufstiebende Eiskristallfalter.

Ohne nachzudenken, öffnete ich mich ihm, seine Zunge streifte meine, und er stöhnte. Es war, als erlaubte er sich endlich, zu fühlen. Als hätte sich etwas in ihm losgerissen, das sich seiner Kontrolle entzog. Seinem sorgsam errichteten Schutzwall, der mich schon viel zu lange aussperren sollte.

Seine Hand glitt besitzergreifend in meinen Nacken, zog mich näher an sich, die andere grub sich fest in meine Hüfte. Corvin küsste mich, als befürchtete er, mich nach der heutigen Nacht nie wieder zu schmecken.

»Ich liebe dich auch«, flüsterte er dicht an meinen Lippen. »Das werde ich immer.« Ich spürte sein Lächeln, als er mich wieder küsste und wieder, bis nichts anderes mehr um uns herum existierte.

Außer …

Atemlos lösten wir uns voneinander, als Schritte im Schnee erklangen. Nur wenige Meter von uns entfernt stand Pyrrhax. Ash saß auf seinem Kopf und betrachtete uns neugierig. Fast schon … selbstzufrieden.

»Ihr habt das eingefädelt!«, schlussfolgerte ich, mein Herz noch immer ein aufgeregtes Flattern in meiner Brust.

Corvin schob seine Finger zwischen meine und hielt mich fest. »Manchmal glaube ich, sie kennen uns besser als wir uns selbst.«

Ich grinste und warf einen letzten Blick auf die Turmspitzen von Vorgoth. »Lasst uns von hier verschwinden.«

3

Lin Rina

Lebkuchen-Küsse

Ein Lächeln auf den Lippen, eine Tasse Tee in der Hand und den Kopf voller Geschichten: Wenn Lin Rina schreibt, träumt sie sich in andere Welten. Mit ihrem Roman Animant Crumbs Staubchronik hat sie internationale Beliebtheit erreicht und sogar einen tschechischen Buchpreis gewonnen. Bei Knaur ist ihr New-Adult-Roman You found me in Paris erschienen. Ihren Alltag verbringt sie mit ihren Töchtern, Tanzen und Zeichnen. Sie lebt mit Kindern, Freundin und Hund in einem Cottage im Schwarzwald.

Letzte Nacht ist der Winter angebrochen. Und das nicht nur auf dem Kalender. Zwar hat es nicht geschneit, aber die Kälte drückt durch jede Ritze ins Haus, und Eisblumen überziehen die Ränder der Fensterscheiben.

Ich habe im Café die Heizungen auf Anschlag gedreht und lasse die Tür zur Küche offen, damit sich auch die Hitze der Backöfen verteilt. Das hat auch den Vorteil, dass es im ganzen Verkaufsraum nach gebackenen Äpfeln und Zimt riecht und sich der Kuchen dadurch erstaunlich schnell verkauft.

Der Vormittag ist geschäftig, aber nicht anders als andere Samstage, nur ich bin nervöser als sonst.

Ungeduldig starre ich auf die kleine Eieruhr in Form einer dicken, genervten Katze und tippe im Stakkato mit der Schuhspitze auf den Laminatboden. Immer wieder sehe ich durch das Glas des Ofens in der Hoffnung, der Kuchen könnte heute schneller fertig sein als sonst. Die kleinen Schneeflocken aus Mürbeteig, die ich als Verzierung ausgestochen habe, werden langsam golden, doch aus Erfahrung weiß ich, dass die Puddingfüllung noch mindestens fünf Minuten braucht.

Im Cafébereich höre ich das unverkennbare Lachen von Katharina, die dort schon mit Elli sitzt und sich ihren Schoko-Cappuccino schmecken lässt. Ich bin unheimlich froh, dass wir es geschafft haben, uns so kurz vor Weihnachten noch zu treffen, bevor Katharina zu ihren Eltern fährt und Elli im neuen Jahr für ein Auslandssemester nach Portugal verschwindet. Als die Glocke der Ladentür ertönt, macht mein Herz einen Satz, und ich springe sofort in die geöffnete Küchentür, um über den Tresen hinweg nachzusehen, wer da gekommen ist.

Es ist nur der DHL-Bote, der ein Päckchen bei meiner Chefin abgibt und sich einen Kaffee to go bestellt. Kleine Stiche der Enttäuschung durchbohren meinen Brustkorb, und ich ziehe mein Handy aus der Tasche meiner Schürze.

Ich tippe auf unseren Gruppenchat und scrolle nach oben. Doch hier steht es, schwarz auf weiß, dass Manisha zugesagt hat. Und dass sie uns vermisst. Seit zwei Monaten hat sie nun diesen Job und für niemanden mehr Zeit.

Sie hat sich nicht mal auf meine letzten Nachrichten zurückgemeldet.

Ihr Profilbild grinst mir entgegen. Das Basecap tief ins Gesicht gezogen, zu viele Ringe an den Fingern ihrer Hand, mit der sie ihr überdimensionales Eis hält.

Ich erinnere mich genau an diesen Tag. Es war Spätsommer, und ihr Kopf lag den ganzen Nachmittag auf meinem Schoß, während das Wasser des Stausees das Sonnenlicht schimmernd in die Krone der Linde über uns reflektierte.

»Ich hab übrigens den Job«, sagte sie, als wäre gar nichts dabei und als ob sie nicht seit Monaten darauf hingefiebert hätte, nach ihrem Bachelor im feministischen Research Center anzufangen. Ich fuhr so freudig hoch, dass mein Ellbogen schmerzhaft mit dem Stamm der Linde kollidierte.

»Aaaah! Wie genial! Ich bin soooo stolz auf dich!«, kreischte ich trotz Schmerzen im Arm, während sie mir lachend den Mund zuhielt, weil es ihr peinlich war, wenn ich viel Aufhebens um sie machte. Doch ich wusste gleichzeitig, dass sie sich darüber freute.

»Du bist eine Kreischkugel«, war ihre Antwort, und ich umarmte sie ganz fest. Sie roch nach Sonnencreme und Sommer.

Ich bestand darauf, zu feiern, und kaufte ihr ein Eis von der Größe eines Handballs. Sie war sehr glücklich darüber. Und ich auch.

Mein Herz schlägt viel zu schnell bei der Erinnerung an ihr Lächeln, und ich drücke mir das Handy an die Brust wie ein verliebter Teenager.

Es ist verrückt. Wieso fühle ich mich so? Wir sind seit drei Jahren befreundet, und plötzlich habe ich Schmetterlinge im Bauch, nur weil ich weiß, dass ich sie gleich wiedersehe.

Die dicke Katze rasselt und reißt mich aus meinem Gedankenschloss. Ich brauche eine Sekunde zu lang, um das Handy wegzustecken und die Topflappen korrekt zu halten, um den Kuchen aus dem Backrohr zu holen. Ich bin so fahrig, dass er mir beinahe aus den Händen rutscht und ich mir den kleinen Finger verbrenne.

Leise fluchend bugsiere ich das nach Lebkuchen duftende Backwunderwerk auf eine silberne Platte, löse den Rand und schiebe anschließend ein Blech Apfelmuffins in den Ofen.

Ich darf nicht vergessen, meiner Chefin die Eieruhr hinzustellen, denn ich gehe jetzt in die Pause, um meine Freundinnen zu sehen. Um Manisha zu sehen.

Dicker Pudding mit Lebkuchengeschmack quillt aus dem Mürbeteig heraus, als ich den frischen Kuchen anschneide und vier Stücke auf Tellern verteile. Schnell mache ich unser Tablett fertig, platziere noch ein paar glasierte Plätzchen in Rentierform dazwischen und begebe mich endlich vollbepackt in den Cafébereich.

Als Elli mich sieht, nimmt sie ihre Tasche vom Tisch, damit ich das Tablett abstellen kann. »Rahel, du Profi. Hast du den gebacken?«, ruft sie und umarmt mich nur halb, da sie mit dem anderen Arm an ihrem Taschenträger hängen geblieben ist. Die mit winzigen Weihnachtskugeln geschmückte Topfpflanze neben uns kommt dabei gefährlich ins Wanken. Ich lache und helfe ihr aus der Schlaufe, ehe sie noch das ganze Café einreißt.

Katharina verteilt die Teller und schiebt sich direkt ein Plätzchen in den Mund, während ich mir noch schnell am Tresen eine heiße Schokolade mit Sahne und Marshmallows zubereite.

Ich setze mich neben Katharina und lasse ganz bewusst den Stuhl auf meiner anderen Seite frei.

»Wo bleibt eigentlich Manisha? Kommt die nicht?«, erkundigt sich Elli und sieht dabei zu mir.

Mir wird auf der Stelle warm im Bauch, nur weil ihr Name gefallen ist. Ich will gerade den Mund öffnen, um zu antworten, da kommt Katharina mir zuvor.

»Sie meinte vorhin, sie kommt ein bisschen zu spät«, teilt sie uns mit einem Nicken zu ihrem Handy mit.

Die Wärme in mir erlischt auf der Stelle, und ich muss schlucken, ehe ich sprechen kann. »Sie schreibt dir?«, frage ich so unauffällig wie möglich, schnappe mir meinen Löffel und rühre meine Sahne in die heiße Schokolade, als wäre die Antwort nicht so wichtig. Doch sie ist es.

»Ja. Seit sie im Research Center arbeitet, nicht mehr so oft, aber ja«, meint sie und sieht mich dabei an. Ich kann kaum den Blick heben, weil ich genau weiß, dass ich schlecht darin bin, meine Gefühle zu verstecken, und Katharina mir an der Nasenspitze ansehen wird, dass etwas im Argen liegt.

»Mir antwortet sie seit fast zwei Monaten kaum«, bringe ich trotzdem heraus und sehe sie nun doch an. In ihren Augen liegt etwas so Vieldeutiges, dass ich keine Ahnung habe, was sie mir damit sagen will.

Ellis Gesichtsausdruck ist dagegen eindeutig. »Aber ihr seid doch wie Pech und Schwefel«, flüstert sie bestürzt, und ich zucke mit den Schultern, als wäre es nicht so schlimm, während mein Herz zu einem schmerzhaften kleinen Klumpen zusammenschrumpft.

Sie hat recht, das waren wir. Freundschaft auf den ersten Blick sozusagen. Vielleicht, weil wir beide lesbisch waren und daher ähnliche Erfahrungen im Leben gemacht hatten. Vielleicht auch, weil es einfach passte. Wenn wir uns trafen, gingen uns nie die Gesprächsthemen aus, ich fühlte mich bei ihr immer wohl, und wir kannten die bescheuertsten Macken voneinander, ohne dass es uns störte.

»Sie hat halt viel zu tun. Und ich verbringe viel Zeit damit, zu schauen, was ich jetzt eigentlich machen will. Und dann noch die Arbeit im Café …« Ich lasse den Satz unbeendet, als wäre all dies eine natürliche Entwicklung des Lebens. Und nicht ein schmerzhafter Stich in meinem Herzen, weil Manisha jetzt etwas richtig Cooles, absolut Nerdiges, mit vielen alten Büchern und Forschung und Frauengeschichte macht und mich darüber vergessen zu haben scheint.

Elli blickt mich weiter unsicher an, und ich schiebe mir eine Gabel voll dampfender Lebkuchen-Tarte in den Mund, um nicht mehr sagen zu müssen. Ich bin so froh, dass sie gut geworden ist. Ich hoffe, sie schmeckt Manisha auch. Es ist ihr Lieblingskuchen.