Mein Bett gehört mir - Kathy Lette - E-Book

Mein Bett gehört mir E-Book

Kathy Lette

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Beschreibung

Diese Geschichte beginnt im Bett. Maddy (australische Lebenskünstlerin) bekommt ein Kind von Alex (gut aussehend, Zoologe, Engländer). Alex ist verheiratet, aber nicht mit Maddy. Maddy hatte ihn in Sydney an einer roten Ampel liebengelernt und war ihm nach London gefolgt. Auf den Honeymoon folgte Streß, denn Alex ist ein Feigling (sagt Maddy). Nun liegt Maddy in den Wehen ...

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Kathy Lette

Mein Bett gehört mir

Aus dem Englischen von Siv Bublitz

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Diese Geschichte beginnt im Bett. Maddy (australische Lebenskünstlerin) bekommt ein Kind von Alex (gut aussehend, Zoologe, Engländer). Alex ist verheiratet, aber nicht mit Maddy. Maddy hatte ihn in Sydney an einer roten Ampel liebengelernt und war ihm nach London gefolgt. Auf den Honeymoon folgte Streß, denn Alex ist ein Feigling (sagt Maddy). Nun liegt Maddy in den Wehen ...

Über Kathy Lette

Kathy Lette (geboren in Sydney, verheiratet in London, zwei Kinder) hat mit dieser Satire auf die Liebe, die Lust und das Kinderkriegen einen furiosen und rotzfrechen Frauenroman geschrieben.

Inhaltsübersicht

Für Julius, ohne ...Und mit Dank ...Erster Teil Stufe einsStufe einsDas Reich der VerliebtenEin völlig neues GeschmackserlebnisDie SoireeKontaktpflegeKänguruhgulaschZweiter Teil KomplikationenKomplikationenDamenkränzchenDer DeklinatorDie KolumneDas feige KrustentierDer JobFemme FoetaleUnheilbar indisponiertDer ZahnklempnerSchluss mit lustigDer EingriffKind oder nicht Kind, das ist hier die FrageTeestundeLeg dich hin, dreh dich um und 69 andere Arten, «Ich Liebe Dich» zu sagenEmbryonal gehandicaptDritter Teil ÜbergangÜbergangHautfarbene Hosen und TorschlusspanikDer GrunzkursDer König der künstlichen Haarverlängerung hat eine kahle StelleOhne Paddel im WildwasserkanalLachwerkDie böse HexeDie große FluchtDie bedeutungsschwangere PauseAns Herz gewachstWenn das Leben ein Rosengarten ist, was mache ich dann auf dem Kompost?Vierter Teil Stufe zweiDie GeburtBad ausgeschüttet, Kind behalten

Für Julius, ohne den dieses Buch nicht möglich gewesen wäre

Und mit Dank an den Erfinder der Periduralanästhesie.

 

Außerdem danke ich meinen fabelhaften Freunden Alison Summers, Patrick Cook und Maggie Alderson, meiner Schwester Liz, meinem Mann Geoff und meiner Lektorin Suzanne Baboneau.

Erster Teil Stufe eins

Stufe eins

MEINE Freundinnen haben mir immer erzählt, ein Baby zu kriegen sei, wie eine Wassermelone auszuscheiden. Unverdaut, natürlich. Alles gelogen. Ein Baby zu kriegen ist, als hätte man einen Häuserblock im Enddarm, samt Balkonen, Markisen, Wäscheleinen, Fernsehantennen, Satellitenschüsseln, Gartengrills, nierenförmigen Swimmingpools, Terrassen, Doppelgaragen und davor geparkten Autos.

Eine weitere Wehe schüttelt mich.

«Haben wir Schmerzen?» erkundigt sich die Schwester teilnahmsvoll, während sie mich sanft von der Zimmerdecke kratzt. «Sieht doch alles gut aus. Keine Krampfadern, keine vaginale Blutung.» Sie steht über mir und macht Kreuze auf einem Klemmbrett. «Kein Verlust von Fruchtwasser, keine anderweitigen Auffälligkeiten. Schön. Dann wollen wir mal sehen … Rasur?»

«Nein.»

«Einlauf?»

Ich komme mir vor wie bei einem Bewerbungsgespräch für einen Job, den ich nicht haben will. Über die Tapete zieht ein Schwarm Störche mit Bündeln lächelnder Babys im Schnabel – ironisches Bühnenbild für das Mutterschaftsdrama, das sich darunter abspielt. «Nein.» Vor mir erhebt sich mein Bauch, ein Fleischballon, durchzogen von einem bizarren Muster aus blauen Äderchen. Ich bin ein Wasserbett, das als Trampolin mißbraucht wird. Von innen.

«Familienstand?»

«Was zum Teufel hat das mit …»

«Und wer ist der glückliche Vater?»

Der unglückliche Vater. Er ist nicht mal aufgekreuzt, die fiese Ratte. Von mir aus kann er zur Hölle fahren. Ohne Rückfahrkarte.

Die Schwester entfernt die CTG-Kabel. «Machen Sie sich keine Gedanken. Manche Männer wollen einfach nicht bei der Geburt dabeisein.»

«Hören Sie, ich will auch nicht dabeisein!»

«Sie ist nicht verheiratet.» Yolanda flattert um mein Bett wie die übereifrige Gastgeberin einer Cocktailparty. Ich warte jeden Moment darauf, daß sie Appetithäppchen herumreicht. «Die Ärmste. Nicht, daß unsereinen so was stört, aber der Kleine wird es sicher schwer haben.»

«Es ist ein Mädchen, Sie dämliche –» Der Schmerz legt sich im Klammergriff um meinen Unterleib. Ich stiere mit hervorquellenden Augen auf den mittleren Knopf der Schwesternuniform und warte, daß der Krampf vorübergeht. At-men, drei, vier.

«Sie war in meinem Geburtsvorbereitungskurs, wissen Sie.» Yolanda rückt ununterbrochen ihre knallrote Riesenbrille zurecht. «Sie kam ganz allein, und irgend jemand mußte sich ja schließlich um sie kümmern.»

Wäre ich ihr doch bloß nicht auf dem Klinikflur begegnet! Schlimm genug, daß sie überhaupt hier ist, und dann schiebt sie auch noch diese unerträgliche Märtyrernummer! «Verschwinden Sie!» röchle ich. Es gibt absolut nichts, was mir an Yolanda Grimes sympathisch wäre. Yo-Yo gehört zu den Frauen, die morgens schon gutgelaunt aus dem Bett springen und den ganzen Tag hindurch immer fröhlicher werden. Sie backt nicht nur ihr Brot selbst und bringt ihre Zeitungen regelmäßig zum Altpapier-Container, nein, auch diese Massen von rohem Eiweiß, die wir alle im Kühlschrank sammeln, um sie schließlich ungenutzt in den Ausguß zu rühren? Daraus macht sie Baisers! «Alex muß jede Minute –»

«Ja, ja.» Yolanda tätschelt mir die Hand und wirft der klemmbrettschwenkenden Schwester einen verschwörerischen Blick zu. «Also, dann war die Schwangerschaft wohl, äh … ungeplant?» fragt Miss Klemmbrett. «Tut mir leid», fügt sie hinzu, als sich mein Blick wie ein Dolch in ihre Stirn bohrt, «die Frage ist Vorschrift.»

«Ungeplant?» Yolandas Schandmaul ist bereits im ersten Gang, bevor ich Luft holen kann. «Ach, sie ist extra nach England gekommen wegen diesem … Mann», sagt sie, und aus ihrem Munde klingt dieses Wort wie eine unheilbare Krankheit. «Und dann wurde sie schwanger.»

«Ich wurde nicht schwanger. Ich wurde geschwängert!» Du lieber Himmel, was hatte er mir schon bei unserem ersten Date von seiner Liebe zu Kindern vorgeschwärmt. Wie oft hatte er beteuert, er verachte diese Väter, die ihre Kinder vor dem Abendessen auf dem Silbertablett hereingebracht bekämen und sie wieder wegschickten, sobald die Suppe serviert wurde. Wenn Jugendliche wegen irgendwelcher Bagatelldelikte vor Gericht ständen, meinte er, sollte man die Väter dazu verurteilen, ihre Abende zu Hause zu verbringen. Wir hatten sogar darüber gesprochen, was für Puppen wir kaufen würden und ob sie anatomisch korrekt sein sollten.

Ich rutsche vom Bett wie eine Monsterqualle und fühle mich anatomisch absolut inkorrekt. Das Design des weiblichen Reproduktionssystems ist eine Totalpleite. Ich meine, wie kann etwas so Riesiges aus etwas so Kleinem herauskommen? Na ja, etwas ziemlich Kleinem. Ich bin neunundzwanzig, also ist die Zahl meiner Verflossenen schon eine Weile zweistellig. Mein durchscheinend weißer Mittelteil hüpft auf und ab – die groteske Parodie eines Bauchtanzes. Heftiger Schmerz rast im Zickzack durch meinen Leib. «Verdammt, ich schaff das nicht!» Hätte ich doch bloß nicht aufgehört zu rauchen, dann wäre es wenigstens kleiner.

«Na, na», tadelt Yolanda vergnügt. «Alle zehn Sekunden wird irgendwo auf diesem Planeten ein Baby geboren. So schlimm kann es doch nicht sein.»

Ich bin froh, daß ich den Einlauf abgelehnt habe. Es wird mir ein Vergnügen sein, Yolanda Grimes von oben bis unten einzusauen.

 

Während wir den Flur hinunterwatscheln, wobei ich alle paar Schritte anhalte, mich an die Wand lehne, nach Luft schnappe und versuche, so zu atmen, wie ich es gelernt habe, kann ich uns in dem Panoramaspiegel beobachten, der über dem Schnittpunkt der Krankenhausflure hängt. Wir geben ein ziemlich komisches Paar ab: ich ungefähr eins achtzig, mit kurzen roten Haaren, Rosentätowierung und blitzendem Nasenring. Yolanda klein, feist und in Nylonstrumpfhosen. Sie sieht aus wie eine dieser Gummipuppen beim Boxtraining, die so prall sind, daß sie sofort zurückfedern, wenn man auf sie eindrischt. «Verschwinden Sie endlich!» brülle ich noch einmal.

«Kommen Sie mit», federt sie zurück. «Der Kreißsaal ist gleich um die Ecke.»

«Was soll das heißen, ‹gleich›? Bei meiner augenblicklichen Verfassung könnte er genausogut in Afrika liegen!»

«Nach meiner Erfahrung machen die Frauen in der westlichen Welt viel zuviel Aufhebens von den Geburtsschmerzen. Sie sollten mehr Courage zeigen.»

Eine kesse Schamlippe riskieren, sozusagen. «Jetzt hauen Sie endlich ab und lassen Sie mich allein!» Doch als mich ein neuerlicher Krampf durchschüttelt, stütze ich mich unwillkürlich auf ihren Arm.

Wir befinden uns in einer Klinik in der Londoner Innenstadt; eine von der Sorte, die man erst mal saubermachen müßte, bevor man sie abreißen könnte. Mit dem abgeblätterten Anstrich und den schmuddeligen Linoleumböden wirkt der Kasten wie aus einem Prospekt des Bukarester Fremdenverkehrsbüros. Als wir durch die Gummitüren der Wöchnerinnenstation treten, kommt die passende Geräuschuntermalung hinzu: das Gestöhn und Gemurmel der werdenden Mütter erinnert an Orchesterproben für eine Komposition der rumänischen Postmoderne.

«Hach, wie die Babys heute wieder boomen», zwitschert Yolanda.

Offensichtlich bereitet ihr die Situation ausnehmendes Vergnügen. Ich würde sonstwas darum geben, daß sie aus dieser Station verschwindet, am besten gleich aus dieser Welt und in irgendeine ferne Galaxis, aber ich stehe nur hilflos und schmerzverkrümmt neben ihr. Ich zittere am ganzen Körper, wie eine Stimmgabel. Durch eine Art Nebelwand höre ich Laute aus meinem Mund dringen, mit denen ich sämtliche Geräuscheffekte in «Poltergeist II» würde bestreiten können. Falls Sie auch zu diesen Leuten gehören, die sich manchmal fragen, ob Gott eine Frau ist – vergessen Sie’s. Gott muß ein Macker sein, soviel ist klar.

Bei der Führung durch die Klinik hatte ich mir auch den Kreißsaal angesehen. Mit seinen kiefernverschalten Wänden sah er aus wie eine verrottete schwedische Sauna. Doch jetzt nehme ich das gar nicht mehr wahr. Ich kippe nach vorn, direkt in etwas, das aussieht wie ein großer brauner Kuhfladen. Mir schießt durch den Kopf, daß Alex, der in den sechziger Jahren studiert hat, es sicher lustig fände, daß man endlich eine sinnvolle Verwendung für den Sitzsack gefunden hat. Hier nennen sie ihn «Stillkissen».

Die Schwester legt ihr Klemmbrett ab. Sie reicht mir einen Kittel von der Größe eines Waschlappens, damit ich meine schwellenden Formen bedecken kann. Dann hilft sie mir auf das Bett. «Bis jetzt hat sich der Kopf des Kleinen ja noch nicht hervorgetraut.» Getraut? Bin ich paranoid, oder ist das eine Anspielung auf meinen Familienstand? In den Geburtshilfe-Broschüren steht, was man in sein Klinikköfferchen packen soll. Ehemänner gehören da ebenso zur Grundausstattung wie ein Nachthemd. «Aber Babylein dreht sich vor der Geburt meistens noch mal rum, also kein Grund zur Sorge.» Sie befestigt eine Gummimanschette an meinem Arm. «Ich komme alle halbe Stunde vorbei, um den Blutdruck zu messen.» Ich kann ihr jetzt schon sagen, daß er hoch sein wird. Bestimmt habe ich Diabetes von dem ganzen rosa Zuckerguß, mit dem ich meine frohe Erwartung überkleistert habe. Ich hatte mir vorgestellt, ich würde eine hingebungsvolle Mutter sein, die Tofu püriert und phantasievolle Figuren aus Knetmasse fertigt. Im Moment sieht es leider gar nicht danach aus. Das hier tut verdammt weh. «Oh, Scheiße, nein!» schreie ich. «Ich will nicht!»

«Na, na», ermutigt mich Yolandas blecherne Einpeitscherstimme. «Bäuerinnen gebären draußen auf dem Feld. Sie hocken sich einfach hin, und plopp! Kaum ist das Baby raus, müssen sie schon wieder an die Arbeit.»

«Plopp» – das ist eindeutig beschönigend. Alex meinte mal, so eine Niederkunft sei eine ziemliche Dammschlacht. Ich spüre, wie die Hebamme meinen Unterleib mit einer kalten Salbe einreibt und Saugnäpfe appliziert. Plötzlich hört man den Herzschlag des Babys wie Trommelfeuer. Ich bin überwältigt; nicht vor Freude, sondern vor Panik. Was habe ich nur getan? Wie kann ich in dieser kinderfeindlichen Gesellschaft ein Kind großziehen? In einem Land, wo man Hunde im Haus hält und Kinder in luxuriöse Zwinger steckt, die Eton und Harrow heißen? Ich will keine wohlerzogene Tochter, die bei Fuß geht, wenn man sie ruft. Und wie soll ich sie ernähren? Mit dem Beruf ist es aus und vorbei. Ich werde meine Karriere für meine Tochter aufgeben, genau wie meine Mutter ihre Karriere für mich aufgegeben hat. Das ist der Lauf der Welt. Gott, ich bin keinen Deut besser dran als eine konditionierte Laborratte. Ein verdammter Hamster.

Ein paar Studenten drücken ihre Pickelgesichter an die Glasscheibe in der Wand. Ich kann ihre Augen sehen, aufmerksam, aber teilnahmslos, wie die der Dealer auf den Straßen von Soho. Yolanda drückt mir eine dreieckige Gummimaske auf Nase und Kinn. Sie hat mir die Hand auf den Bauch gelegt und sagt die Wehen an. «Jetzt at-men, drei, vier.» Die Maschine zischt wie eine Schlange.

Japsend stoße ich die Maske weg. Wenn ich reden könnte, würde ich sagen, daß Gas bei Wehen ungefähr so wirkungsvoll ist wie Aspirin bei einer Amputation. Die Vorstellung bringt mich zum Lachen. Ich kichere hysterisch los. Wenn Taucher durchdrehen, kichern sie auch so – kurz vor dem Ertrinken.

Die Hebamme rauscht herein, mißt meinen Blutdruck, horcht auf die Herztöne des Babys. «Ich bin gleich bei Ihnen», sagt sie. «Brauchen Sie noch irgend etwas?»

Ja. Eine Rückfahrkarte nach Sydney. Eine Taille. Einen Ehemann. «Ich … brauche … eine … Vollnarkose.»

«Aber nein, meine Liebe, Sie machen das sehr gut.» Yolanda beugt sich besitzergreifend über mich. «Sie ist ein richtiges kleines Muttertier», versichert sie der Hebamme. «Wir werden das schon schaffen.»

«Ich will aber eine Narkose!» Wieso sind die Leute so verrückt nach diesem Natürliche-Geburt-auf-dem-Felde-Mist? Kein Mensch käme auf die Idee, zum Zahnarzt zu gehen und zu sagen: «Ich möchte meinen Zahn auf natürliche Weise gezogen kriegen.» Ich persönlich halte von natürlicher Geburt genausoviel wie von natürlichen Blinddarmoperationen. Mutter Natur ist eine miese Hebamme. Ich will eine unnatürliche Geburt. Doch ehe ich mich dahingehend äußern kann, stecke ich schon wieder in einem Kokon von Schmerzen. In einem Zeitlupen-Tunnel, wo eine Sekunde sich ein Leben lang hinzieht und Stunden mit Infinitesimalgeschwindigkeit vergehen.

Ich lasse die Hüften kreisen. Durch das Fenster kann ich die Mauern des alten Krankenhauses erkennen, die grinsenden Steinfratzen in den Nischen. Darüber bleigraue Wolken, schwer und kurz vor dem Bersten, genau wie ich. «Eis. Ich brauche Eis.»

Aus der Gegensprechanlage trieft Hotelmusik. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, die Wehen oder die Zumutung, zu den Klängen von Burt Bacharach gebären zu müssen. «Ist sie … bald … draußen?»

«Erst drei Zentimeter», klärt mich die Hebamme auf, während sie die Hand aus ihrem Plastikhandschuh schält. «Es dauert noch ein bißchen, junge Frau.»

«Narkose!» Das sind ja Steinzeitmethoden hier. Prähistorisch. Wie ist so was im zwanzigsten Jahrhundert überhaupt noch möglich? In einem Zeitalter, in dem Frauen Autotelefone und CD-Player haben und Seminare über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz besuchen?

Yolanda drückt meine Hand. «Das ist erst Stufe eins. Bis hierhin ist es noch einfach.»

Ich ziehe meine Hand weg. «Ich will eine Narkose! Drogen!» Ich erinnere mich an die Stunde, die Yolanda zum eigentlichen Geburtsvorgang gegeben hat. Als die kleine Babypuppe durch den Gebärmutterhals gedrückt wurde, rutschte das Ding aus seiner Verankerung. So was bräuchte man jetzt. Einen Unterleib zum Auseinandernehmen. Sofort.

Unzählige Geburtsvorbereitungsstunden bei Yolanda. Unzählige Bücher, Klinikführungen und Videos – aber keiner hat mir die Wahrheit über die Geburt gesagt. Keiner hat mir die Tatsachen des Lebens erklärt, alle haben mir irgendwelche Stories erzählt. «NARKOSE!»

«Dann wird das Baby schläfrig sein und nicht genug trinken … Sie werden ihm doch wenigstens die Brust geben, nicht wahr, Maddy? Es ist wichtig, daß Sie Ihre Abwehrkräfte weitergeben.»

Darauf können Sie wetten, daß ich die weitergebe. Besonders die gegen englische Männer. Meine Tochter wird sich nicht von einem kalauernden Tommy mit Strahlezähnen, athletischen Hüften und einem knackigen Hintern rumkriegen lassen.

«Die wollen Ihnen Valium geben.» Yolandas Stimme zittert vor Empörung. «Das wird sich auf Ihr Erinnerungsvermögen auswirken …»

Wunderbar. Dann kann ich ihn vielleicht endlich vergessen. Alex hatte gesagt, er wolle ein Vater sein, der den Unterschied zwischen hungrigem Schreien und traurigem Schreien, müdem Schreien und Ich-will-in-den-Arm-genommen-werden-Schreien kenne. Er wolle wissen, welches Kind lieber Schnecken als Spinat esse. Welche Stellen sie beim Waschen ausließen. Wo der andere Handschuh am ehesten stecken könne. Er hatte gesagt, man solle all diese amerikanischen Filme à la «Vater ist der Beste» in «Keiner ist schlapper als Papa» oder «Vater ist der größte Blödmann» umbenennen. Er hatte gesagt, er werde uns sehr, sehr glücklich machen. Und das war einer der Gründe, warum ich mich in ihn verknallt hatte. Gemeinsam Kinder in die Welt zu setzen stand ganz oben auf der Liste.

Aber das Problem mit Machos, die sich in bewegte Männer verwandeln, ist, daß sie dann noch viel unerträglicher sind.

Vielleicht ist das ja ein Fall für eine Beschwerde bei der Verbraucherzentrale? Charismatischer, attraktiver Typ mit Statur zum Anlehnen, heterosexuell und ungebunden, auf Treu und Glauben erstanden … Wie konnte ich eine der exotischsten erogenen Zonen der Welt verlassen, ein Hedonistenparadies voll Sonne, Sex und schäumender Brecher, die braungebrannte Surfer anspülten, um in diesem Land, wo das Bier warm und das Badewasser kalt ist, männerlos und unter Höllenqualen mit festgeschnallten Füßen herumzuliegen?

Bin ich wirklich dafür durchgebrannt?

Das Reich der Verliebten

DAS Valium wirkte wie ein kleines Periskop, das man über den Schmerz hinausschieben konnte. Als sie hindurchschaute, sah Madeline Wolfe sich selbst, wie sie den kugelbäuchigen Jumbo bestieg, sozusagen die aeronautische Verkörperung des Mannes, für den sie ihr Leben, ihre Heimat, ihre Hemisphäre aufgab. Maddy war selbst erstaunt darüber gewesen, was sie alles aufgeben konnte, wenn es zum Äußersten kam: einen Holden-308-Eintonner mit Doppelauspuff, Känguruh-Fender und abnehmbaren Surfboard-Haltern, ihren elektrischen Wok (teflonbeschichtet), ihr Windsurfboard, einen Wellensittich, zwei zahme Beutelratten mit gestreiften Schwänzen, ihren Kräutergarten, ihre geliebten Zierwicken und Myrten, einen gutbezahlten Job als Tauchlehrerin, ein Zehngangfahrrad, ein Boogie Board und einen Armvoll Verehrer. Sie reiste mit leichtem Gepäck. Sie war verliebt.

Maddy sah hinunter auf ihre neuen lila Pumps; nicht gerade das vernünftigste Schuhwerk für einen langen Flug. Allerdings konnte man diese ganze Aktion wohl kaum als vernünftig bezeichnen. Alexander Drake war Zoologe. Wenn er sich nicht gerade an eine Eisscholle in der Antarktis klammerte, über brodelnden Vulkanen auf den Philippinen hing oder in den Regenwäldern von Borneo durch Fledermausexkremente robbte, war der Fernsehschirm sein natürliches Habitat. Mit seiner spektakulären, international ausgestrahlten Naturfilm-Sendereihe stellte er das Missing link zwischen Tieren und Gebührenzahlern dar. Kurzum, Alex hatte für den Naturschutz geleistet, was Placido Domingo für die Oper, John Profumo für Sex-Skandale und Madonna für Gummibustiers getan hatten. Sein furchtloses Vorgehen gegen illegale Walfänger in Japan oder brutale Viehfarmer in Brasilien hatte ihm zahllose Preise und eine gut ausbalancierte Aura von Glamour und Seriosität eingebracht. Er war der Liebling der Londoner Intellektuellen-Schickeria.

Dreieinhalb Milliarden Jahre Evolution mußten irgendwann einmal das ultimative Endprodukt hervorbringen. Was Maddy betraf, so hatte sie es in Drakecus q.v. (Alexander), unangefochtener König des Fernsehdschungels und Vielzweck-Zweifüßler der Spezies Video sapiens, gefunden.

Als Ergebnis einer, wie Maddy sich ausdrückte, Versexlungskomödie hatte sich dieser Überflieger ausgerechnet in sie verknallt: einen rebellischen, spottlustigen, hochgewachsenen (kleiner als «groß für ihr Alter» war sie nie gewesen), autodidaktischen (dieses Wort hatte sie sich selbst beigebracht), großmäuligen australischen Rotschopf.

Irgendwas an den Druckverhältnissen in der Kabine führte dazu, daß sich ihre Fesseln unter den Lederriemchen bedrohlich spannten. Sie stellte sich vor, wie sie sich in Heathrow durch die Ankunftshalle drängeln würde, in ihrem kurzen, auf Figur geschnittenen Kleid und den knalligen Ohrringen – apart ergänzt durch graue Flugzeugsocken. Grinsend schob sie sich eine Portion Erdnüsse aus der Frischhaltepackung in den Mund. Dabei entging ihr der symbolische Charakter ihres Phantasiebildes völlig. Damals konnte sie noch nicht ahnen, daß Alex sie in der Tat auf dem falschen Fuß erwischt hatte.

Rückblickend betrachtete Maddy diesen Teil ihrer Liebesaffäre als Stufe eins. Den unproblematischen Teil.

Da partnerschaftliches Zusammenleben der häufigste Ursprung aller Beziehungskrisen zu sein schien, hatte Maddy versucht, den postkohabitalen Schock zu vermeiden, indem sie Alex eine vollständige Liste ihrer Schwächen und Schrullen schickte und ihn bat, das gleiche für sie zu tun. Auf Maddys Liste standen etwa ihre unreife Begeisterung für Alex’ Kalauer (sie nannte es «Wortvorspiel»), ihr Akzent (der so breit war, daß man darauf eine Schnellstraße hätte bauen können), ihre berufliche Vergangenheit (sie hatte einen ganzen Rattenschwanz von Berufen ausgeübt, von einer kurzen Erfahrung als Muldenkipperfahrerin im Tagebau – die einzige Frau unter fünfhundert Männern – bis zu Jobs als Model für Bademoden, Bootsmaat auf einem Krabbenkutter vor der Küste von Darwin, wo sie riesige silberne Schwärme heraufgeholt hatte, Trapezkünstlerin im Zirkus Oz, Fahrbahnmarkiererin für die Straßenbaubehörde – mit einem Loch im Helm, aus dem ihr roter Pferdeschwanz baumelte –, Aushilfe beim Schafescheren, Rettungsschwimmerin und, zuletzt, Tauchlehrerin in der Whitsunday-Passage. Es folgten weitere unangenehme Angewohnheiten, unter anderem ihre Vorliebe für Austern-Sandwiches, und schließlich nannte sie noch ihre Neigung zu verbalen Ausflügen unter die Gürtellinie. «Manchmal», hatte sie gestanden, «bin ich imstande, irgendwelchen Kerlen zu sagen, ich würde ihnen gern die Eier ins Hirn treten, wenn sie auch nur eins von beiden hätten.»

In seinem Antwortbrief hatte Alex sie daran erinnert, daß sie sich ohne ihr leicht entflammbares Naturell gar nicht kennengelernt hätten. Nur zu gern erzählte er jedem, der es hören wollte, wie alles begonnen hatte, mitten auf der Straße in Sydney: Maddy war an einer roten Ampel aus ihrem Wagen gesprungen und hinter ihm hergerannt, weil er mißgelaunt mit der Faust auf ihre bucklige Motorhaube geschlagen hatte, während er die Straße überquerte. Ihr Vergnügen darüber, ihm ordentlich die Meinung gegeigt zu haben, war allerdings nur von kurzer Dauer: Als sie wieder in ihr Auto steigen wollte, stellte sie fest, daß sie sich ausgesperrt hatte. Der Motor lief noch, die Passanten kicherten, die gegnerische Partei warf ihr anzügliche Blicke zu, die Ampel war längst umgesprungen, der Feierabendverkehr toste, und ihr Tank war fast leer. Als sie schließlich den schimpfenden Inhaber des chinesischen Restaurants an der Ecke um einen Drahtbügel erleichtert, ihr Auto aufgebrochen, zur Tankstelle geschoben und vollgetankt hatte, war sie zu erschöpft gewesen, um seine Entschuldigung und die Einladung zu einem Versöhnungsdrink abzulehnen.

Sie hatten sich, erzählte Alex später, über eine Dose kühlem Foster’s im Sea Breeze Hotel ineinander verliebt.

Er hatte ein schräges Lächeln, einen Schopf glänzend schwarzen, von grauen Strähnen durchzogenen Haars und blitzende kiwifarbene Augen hinter einer Hornbrille. Er benutzte wunderbare Wörter wie «Indolenz» und «sanguinisch», Wörter, die schimmerten. Er kannte die Geheimnisse prominenter Politiker und seltener wirbelloser Tiere. Er hatte die sieben Meere befahren wie ein Pirat und sich mit atomar bewaffneten Seestreitkräften angelegt. Er brillierte mit enzyklopädischen Kenntnissen über die Popmusik der sechziger Jahre. Er hatte mit den kongolesischen Babinga-Pygmäenkriegern Krokodilfleisch gegessen. Er konnte die fremdsprachlichen Zitate in Romanen übersetzen. Er kannte sich einigermaßen bei Schopenhauer aus, wer immer das sein mochte. Die Kragenecken seines Designer-Hemdes zeigten direkt zum Himmel. Er sah ihr in die Augen und sagte langsam ihren Namen, als lasse er einen unendlich teuren Rotwein über seine Zunge gleiten: «Mad-e-line».

Er hatte damals bis über beide Ohren in Arbeit gesteckt, an einem Film über die Geschlechtswechsel-Strategien des Riesenlippfischs. Die Abendluft war eukalyptus- und frangipanigeschwängert, der Wind wehte lau vom Hafen herüber und fönte ihre Haare zu fremdartigen Frisuren. Als sie sich küßten, rann ihnen der Schweiß klebrig wie Honig den Rücken hinab. Ihre größte Schwäche hatte Maddy auf der Liste gar nicht erwähnt: Alex. Sie verfiel ihm in einem Anfall von Mösenwahn, wie ihre Freundinnen das nannten. Er brauchte sich bloß zurückzulehnen und sie aufzurollen wie ein Jo-Jo.

«Was? Verliebt? Sei bloß nicht so theatralisch. Der will doch nur deinen Körper.»

«Ein Engländer? Herzliches Beileid.»

«Was haben kaltes Bier und Cunnilingus gemeinsam? Keins von beiden kannst du in London kriegen.»

Für Maddys Freundinnen gab es nur einen Grund, ins Ausland zu fahren: zollfrei einkaufen.

«Also, wenn du wirklich diesem alten Knacker hinterherrennen mußt, pack wenigstens ein paar Vorräte ein, damit du im Notfall was Anständiges zu essen hast.»

«Nein, es schockiert mich keineswegs, daß du dich in einen Tommy verknallt hast; was mich schockiert, ist, daß du es zugibst, ungeniert, vor allen Leuten. Ich meine, verdammt noch mal, Maddy, warum?»

Warum? Ein Journalist von News of the World würde ihr ein Jahr später exakt die gleiche Frage stellen. Während sie in ihren Cappuccino starrte, hatte Maddy überlegt, wie sie es ihnen erklären könnte. Weil seit der Begegnung mit Alex plötzlich Gedichte einen Sinn bekamen? Wegen seines Pos, der zum Reinbeißen war? Wegen seiner lauten, widerhallenden Orgasmen, die klangen, wie wenn man den Bogen über ein Cello zieht? Weil sie über dieselben Sachen lachten? Weil er ihr Ritter in Nadelstreifen war, ihr Sonnenkönig in Turnschuhen? Weil sie leidenschaftlich und rettungslos in ihn verliebt war? Weil, wie Alex sagte, Verliebtsein ein Geschenk des Himmels sei, so selten, daß man schon bei den geringsten Anzeichen mit Zähnen und Klauen daran festhalten müsse? Weil, wie Alex sagte, man genausogut gleich tot umfallen könne, wenn man nicht bereit sei, das Leben bis zur Neige auszukosten? Wegen der Weltwunder, die er ihr zeigen würde? Eine Armee panamaischer Ameisen, die im Regenwald biwakierte. Die rein weiblichen Elefantenkrippen in Ostafrika. Paarungsrituale von Schimpanse bis Schleiereule, Jagdverhalten von Lama bis Libelle, Geburtstechniken von Schwimmbeutler und Dattelmuschel bis zu den Zitteraalen im Amazonas. Dies alles würde er ihr zu Füßen legen.

Maddy schaute in die fragenden, sonnengebräunten Gesichter ihrer Freundinnen und zuckte die Achseln. «Ich kann euch nur eins sagen: Er ist der Star meiner feuchten Träume.»

Während er ihren eiernden Gepäckwagen durch die Ankunftshalle schob, erwähnte Alex Maddys Flugzeugsocken mit keinem Wort. Wie er auch nie eine Bemerkung über ihre Körpergröße machte. Manchmal fragte sie sich, ob der wahre Grund für ihre Gefühle darin lag, daß er der einzige Mann war, auf den sie niemals herabschauen mußte. Buchstäblich. Bei ihnen hieß es Auge in Auge. Bei den meisten Männern wußte sie über ihre Schuppen, schlecht sitzenden Toupets oder mühsam versteckten kahlen Stellen eher Bescheid als über irgend etwas anderes. Und da sie nun endlich jemanden gefunden hatte, der es vertikal mit ihr aufnehmen konnte, lag ihr um so mehr daran, so oft wie möglich mit ihm in die Horizontale zu gehen.

«Du bist völlig gaga, Alex! Wir können doch nicht da drinnen … Was, wenn jemand reinkommt –»

«Sie ist leer. Los, komm. Ich kann nicht länger warten.»

«Hör mal, du bist schließlich Engländer. Du darfst eigentlich überhaupt nicht spontan sein! Das verstößt gegen den Nationalcharakter.»

«Jetzt komm schon!»

«Ich hab noch nicht mal geduscht!»

«Komm endlich!»

Maddy stellte fest, daß sie ihre Navigationskünste aufpolieren mußte, was seinen Körper betraf. Ihre Küsse trafen daneben, ihre Nasen kollidierten, ihre Zähne schlugen gegeneinander. Finger fummelten hilflos an Knöpfen herum, verklemmten sich in Reißverschlüssen, Kragen, Manschetten. Ihr Kopf blieb im Blusenkragen hängen, und sie mußte eine unbeholfene Rumba vollführen, um mit Alex’ Hilfe ihre Schultern daraus zu befreien. Seine Unterhosen rutschten an blassen Waden herunter auf elegante Schnürschuhe mit Lochmuster. «Psst», zischte sie ein ums andere Mal, und: «Paß auf, du zerquetschst mich ja!»

Die Behindertentoilette in Heathrow, Terminal vier, Erdgeschoß, war über eine Stunde besetzt. Später meinte Alex, er sei selten so schön geflogen.

 

«Kaum zu glauben, wie schnell du alles arrangiert hast, um hier rüberzukommen, Liebling.» Während sie an Alex’ Lippen hing, fand Maddy wieder einmal, daß er seine Stimme bei Lloyd’s versichern lassen sollte. Sie war süß wie Feigenmarmelade, dunkel wie Schokoladenmousse.

Tja, dachte sie. Als ob ich eine andere Wahl gehabt hätte. Jede Pore, jede Zelle, jedes Follikel in ihrem Körper hatte gebrüllt: Ich will bei diesem Mann sein! «Lust auf den ersten Blick», erwiderte sie mit souveräner Ironie. «Phantastische Rationalisierungsmaßnahme.» Sie schaute aus dem Fenster von Alex’ Lotus Elan. Zu ihrer Linken erstreckte sich der Hyde Park wie ein riesiger Billardtisch. Blumen sprossen aus allen Gehwegritzen. Ganz London wirkte freundlich und hingebungsvoll. Motorisierte Bowlerhüte, auf denen «Taxi» stand, preschten vorbei. Die Häuser mit ihren Milchglasscheiben, Erkern, Rundungen, Türmchen und Rosetten erinnerten an Hochzeitstorten. «Dieses Hotel da sieht aus wie ein Pudding.»

«Ja.» Er lächelte. «Wie ein großer, steinharter Pudding bei der Schulspeisung.»

«Na, das erklärt einiges.» Sie knuffte ihn scherzhaft in seinen karohemdbedeckten Bauch. «Falls du’s noch nicht weißt, mein Lieber: Ein Fitneßprogramm ist nichts, was man in der Fernsehzeitschrift findet.»

Vor Verblüffung mußte er lachen. Sie gab ihm Widerworte, und Maddy wußte, daß ihn das an ihr reizte. In ihrem Kleiderschrank lagen keine Samthandschuhe.

«Da werden wir was unternehmen müssen. Entweder täglich Gymnastik, oder du versprichst mir, daß du deinen Herzinfarkt kriegst, bevor ich zu alt bin, mir einen anderen Kerl zu suchen. Kapiert?»

Alex brauste bei Dunkelgelb über eine Kreuzung und bog mit quietschenden Reifen rechts ab. Im Rhythmus des Blinkers zuckte ein Lächeln um seine Lippen. Maddy war sich nicht ganz sicher, welche Richtung es anzeigen sollte.

 

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie den Aufmarsch klassizistischer Häuser am Straßenrand. Wie Orgelpfeifen standen sie da, die Arme an die weißverputzten Fassaden gelegt. Sie kannte Islington. Die billigen blauen Straßen beim Monopoly, die nie jemand haben wollte. «Ich dachte, du wohnst in Maida Vale?»

«Ich hab uns was Neues gemietet. Meine alte Wohnung war dunkel und ziemlich heruntergekommen. Ich wollte etwas, das mehr deinem Naturell entspricht – frisch und strahlend.» Alex beugte sich zu ihr hinüber und küßte sie auf den Mund. «Alles, was ich dir bieten kann, o Herrin meines Herzens, ist ein Leben voll feuchtfröhlicher Begegnungen in den öffentlichen Bedürfnisanstalten dieser Welt, einen Platz in der Arbeitslosenschlange, die sich durch die Hinterhöfe des konservativ regierten England ringelt, und ein namenloses Grab auf dem Frauenfriedhof unseres feministisch orientierten Stadtbezirks.»

«Echt? Frauen, die ein Leben lang unter ihren verhaßten Männern gelegen haben und sich weigern, im Tod neben ihnen zu liegen? Das gefällt mir.» Sie küßte zurück und erforschte mit der Zunge die Abgründe seiner Kehle. «Akzeptiert.»

 

«Zieht wie Hechtsuppe hier.» Maddy zog eine Decke vom Bett und wickelte sie sich notdürftig um den Leib. «Na, wenigstens brauchen wir nicht rauszugehen, um frische Luft zu schnappen.»

Alex nahm sie in die Arme, sein Atem blies warm auf ihren Hals. «Kleiner Trick, um dich unter der Bettdecke zu halten.»

Während der ersten paar Tage beschränkte sich Maddys Sightseeing auf die pastellfarbene Blumenwiese auf dem Bettbezug. In tiefer Gleichgültigkeit gegenüber der Außenwelt hatten sie das Reich der Verliebten betreten, wo die Aufmerksamkeit sich auf ein Knäuel von Beinen, Zungen und Zehen konzentrierte. Sie küßten sich so ausgiebig, daß ihre Lippen wund wurden. «Lippen-lag», sagte Maddy dazu. Telefonate blieben unerledigt, Betten ungemacht. Sie entwickelten eine kolonialistische Besitzgier auf den Körper des anderen; Leberflecke, Sommersprossen, Narben und Muttermale wurden kartographiert. Sie blieben die ganze Nacht auf und schliefen den ganzen Tag. Sie aßen mit den Fingern direkt aus der Schüssel und leckten sich gegenseitig das Gesicht sauber. Sie befanden sich im Reich der Verliebten, wo man Liebeslimericks dichtete und sie zu den Melodien von Bach-Kantaten sang. Sie gebrauchten ohne rot zu werden Wörter wie «Sehnsucht», «Schmachten» und «Verzehren». Er nannte sie Schnuckelpuppe, Lämmerschwanz, Schmusekatze, Didelbums, sein famöses Baby. Sie nannte ihn Ursus, heißer Preis, Hannibal (der Kannibale) oder Horaz, nach der blauzüngigen Eidechse, die sie als Kind gehabt hatte. Sie hatten das Reich der Verliebten betreten, wo man um vier Uhr morgens Schaumbäder nahm und sich dann mindestens einmal in jedem Zimmer im ganzen Haus liebte, in jeder Position, auch wenn man sich dabei Frostbeulen und einen Bandscheibenvorfall zuzog.

Wenn sie sich müde geliebt hatten und das Bedürfnis verspürten, für kurze Zeit wieder in die normale Welt zurückzukehren, saßen sie engumschlungen in der letzten Reihe irgendeines Theaters, während die Worte sie umplätscherten und ihre brennende Neugierde ausschließlich für einander reserviert war. Sie befanden sich im Reich der Verliebten, was Alex erlaubte, während einer Aufführung von «Hamlet» zu flüstern, er liebe sie, «rein oder nicht rein», und Maddy gestattete, dies nicht nur geistreich zu finden, sondern zurückzutuscheln, Kalauer seien Shakespeares learstes Kind gewesen. Im Reich der Verliebten kann man all die Dinge tun, die einem Brechreiz verursachen, wenn man sie bei anderen Paaren sieht. Wenn man noch nie dagewesen ist, erscheint einem das Reich der Verliebten so absurd, daß die von Außerirdischen besetzten Planeten in «Raumschiff Enterprise» sich dagegen vollkommen normal ausnehmen.

 

«Ich bin zurück, sobald du deinen Jetlag überwunden hast», versprach Alex in der zweiten Woche ihres hormonalen Honeymoons.

Maddy löste ihre Zunge kurzzeitig aus seiner Achselhöhle und sah auf. «Das mit den Arbeitslosenschlangen war doch nicht ernst gemeint, oder?»

«Ich besorg dir einen Job. Du kannst Recherche machen oder als Assistentin anfangen …»

«Aber ich will dich auf dieser Reise begleiten», jammerte sie. Ihr wohlgeformter, durchtrainierter Körper hob sich dunkelbraun vom weißen Laken ab.

«Maddy, wir verfolgen eine Bande Elfenbeinwilderer. Es ist zu gefährlich. Ich werde jedesmal an dich denken, wenn sie mich an der Grenze nach Waffen abtasten, okay?»

Alex zog seinen Mantel unter einem Wochenstapel leerer Take-away-Kartons hervor und durchwühlte die Taschen. Schließlich förderte er einen British-Airways-Prospekt zutage. Maddy strahlte erwartungsvoll. Der einzige Vorteil Englands bestand in der verkehrsgünstigen Lage zum Rest der Welt. Sie machte sich Hoffnungen auf Prag, aber Paris wäre auch okay gewesen. Irgendwann hatten sie in seinem Hotelzimmer in Sydney gesessen und die Städte aufgelistet, in die sie zusammen reisen wollten – in allen Ecken der Welt außer Iran, Irak, dem Sudan, der Costa del Sol und Kanada.

Er reichte ihr die Broschüre, und sie überflog den Text auf der Suche nach dem Zielort.

«Prue Leith’ Kochkurs?»

«Hab ich als Preis für meine Flugkilometer bekommen. Entweder den Kochkurs oder ein Wochenende in Brighton auf den Spuren unserer besten Krimiautoren.»

«Aber – ein Kochkurs?»

«Ja.»

«In England?»

«Wieso?»

«Alex, wir reden hier über eine Nation, die einen Aal und ein Glas Gelee genommen und gesagt hat: ‹Laßt uns diese beiden in einen Topf werfen!›»

«Ich dachte einfach, es würde dich beschäftigen, während ich weg bin. Außerdem können wir nicht bis in alle Ewigkeit von lauwarmem Tandoori leben. Mein Kopf hat längst die diplomatischen Beziehungen zu meinem Magen abgebrochen.»

«Wir reden hier von einer Nation, deren einziger Beitrag zur Kochkunst der Kartoffelchip ist.»

«Also bitte», sagte er in gespielter Entrüstung, «du vergißt verlorene Eier.»

«Das klingt wie ein tragischer Zwischenfall bei einem Thailand-Urlaub.»

Alex nahm sie in die Arme. «Es sieht jedenfalls so aus, als hätte ich jetzt nichts mehr zu verlieren.»

Sie schob ihn von sich. «Abgesehen von deiner kostbaren Zeit, wie es scheint.»

«Ich muß arbeiten, Maddy. Dies war die längste Vierundzwanzig-Stunden-Erkältung in der Geschichte der Menschheit.»

«Weiß ich ja. Es ist bloß …» Sie boxte ihn in die Seite. «Du Ratte. Als ich den British-Airways-Prospekt sah, dachte ich, du wolltest mich zu einem wilden Wochenende entführen.»

«Tut mir leid, meine Kaktusblüte. Natürlich mach ich das. Wohin möchtest du denn?» Er knabberte am Gummi ihres Spitzenhüftslips. «Ich kenn da ein lauschiges Plätzchen. Allgemein bekannt unter dem Namen G-Spot.»

«Du bist durch und durch verkommen», jubelte Maddy.

«Du wirst nicht einsam sein», drang es gedämpft an ihr Ohr. «Ich hab eine Überraschung für dich.» Aber sie hörte schon nicht mehr zu. Sie mußte es unbedingt ihren Freundinnen erzählen: Das Bier in London war kein bißchen warm.

 

Ein paar Stunden später wachte Maddy auf und tastete, noch im Halbschlaf, neben sich über ein eiskaltes Bettlaken. Sie riß die Augen auf, sprang aus dem Bett und zog das Rollo hoch. Die Häuserzeile gegenüber, ordentlich in Reih und Glied angeordnet wie ein Regal voll grauer Schuhkartons, schien sich unter den Strahlen der Frühlingssonne zu ducken. Dann hörte sie, wie sich ein Schlüssel im Schloß drehte, und gleich darauf war die Wohnung erfüllt vom überwältigenden Gestank nassen Hundefells. Ein dampfendes, pelziges Kraftpaket schoß durch den Flur direkt auf sie zu.

«Liebling, das ist Moriarty. Solange ich weg bin … Würde es dir etwas ausmachen …?»

Sekundenschnell hatte Maddy den Schminktisch erklommen. Ihre «Überraschung» kauerte davor und schielte aus Triefaugen zu ihr hinauf.

«Er tut nur so stark. In Wirklichkeit ist er sanft wie ein Lamm.»

«Alex, das ist kein Lamm. Das ist der Hund von Baskerville!»

«Er ist ganz einfach zu füttern.»

«Man braucht ihm bloß ein paar ungeöffnete Dosen hinzuwerfen, richtig?»

«Er will jetzt Gassi gehen, das ist alles.» Der Killerhund zerrte an seiner Lederleine. «Moriarty, sitz. Hörst du? Sitz!» Alex zuckte hilflos die Achseln. «Normalerweise gehorcht er aufs Wort. Ehrlich.» Damit wandte er sich zum Gehen.

«Hey, wann führst du mich mal Gassi? Ich bin hier seit Tagen …»

Die Tür fiel ins Schloß. Mit spitzen Fingern inspizierte Maddy Moriartys Toilettenartikel – eine waschbare Hundedecke und ein Petrodex-Zahnpflegeset, das Enzympaste und Gazelappen enthielt. Es beschlich sie das deutliche Gefühl, daß in diesem Land die Herrchen ihren Hunden gehorchten.

Später, als sie und Alex in postkoitaler Erschöpfungshaltung nebeneinanderlagen, während der Hund im Vorgarten knurrte, gestand Maddy, sie habe Katzen eigentlich lieber als Hunde.

«Katzen?» Alex griff nach der Fernbedienung und erweckte den Fernseher zum Leben. «Katzen sind echte Yuppies», sagte er verächtlich. «Arroganter Schnösel.» Auf dem Bildschirm erschien sein Gesicht in Großaufnahme. «Ganz zu schweigen von ihrer pathologischen Eitelkeit.» Er drückte ungeduldig auf den Lautstärkeregler. «Und Egozentrik.»

«… Chefinspektor Giscard …» Der zischende Klang von Alex’ Moderatorenstimme übertönte seine Worte. «… Sie leugnen, daß der Greenpeace-Aktivist in der Haft physischen Attacken ausgesetzt war. Wie erklären Sie sich dann, daß die Schuhcremespuren im Schritt der Hose des Verdächtigen von genau der gleichen teuren Marke stammen, mit der Sie Ihre Schuhe zu putzen pflegen?»

«Damit hab ich ihn festgenagelt.» Alex drückte erneut auf den Lautstärkeregler. «Verdammter Froschfresser!» Sichtlich beglückt über seine Leistung, lehnte er sich zurück.

Plötzlich fiel Maddy ein, daß Alex ihr nie die Liste seiner Schwächen und Schrullen geschickt hatte.

Hätte sie nicht längst viel zu tief im Tunnel der Leidenschaft gesteckt, wäre dies vielleicht eine erste Warnung gewesen. Ein Vorgeschmack auf das emotionale Rodeo, das sie erwartete.

Ein völlig neues Geschmackserlebnis

MADDYS Mutter hatte immer darauf bestanden, daß Liebe durch den Magen gehe. Maddys Beteuerungen, damit ziele sie ein paar Zentimeter zu hoch, halfen gar nichts: Jeder Geburtstag brachte eine neue Ladung elegant verpackter Knoblauchpressen und Steinguttöpfe. Bislang hatte sich Maddy allerdings standhaft geweigert, in die Falle der Häuslichkeit zu tappen. Die «Neue Küche» war in ihren Augen etwas, was ein Ehemann seiner Frau zu Weihnachten schenkte. Deshalb erschien Maddy zur ersten Stunde des Prue-Leith-Kochkurses in Verkleidung. Wenn jemand in Sydney von dieser Aktion hörte, würde sie zum Gespött der ganzen Stadt. Schließlich schrieb man die neunziger Jahre. Das einzige, was eine vernünftige Frau heutzutage vom Kochen verstehen mußte, war, wie man jemanden abkocht.

Nachdem sie zum hundertstenmal Alex’ Postkarte gelesen hatte – «Grüße aus dem Wildererparadies. Die Polizei zieht auch hier gern vom Leder. Motto: Unser Service schlägt alles. Was macht der Kochkurs? Kann’s kaum erwarten, Dich zu vernaschen!» –, steckte sie sie in ihr Fransenbustier und marschierte in den Kursraum. Um ihr Inkognito zu wahren, hatte sie für den Anlaß eine zurückhaltende Garderobe gewählt: kurze Jacke aus Leoparden-Imitat, roter Ledermini und Reitstiefel mit Gummistulpen. Alle anderen Kursteilnehmerinnen trugen Perlen zur Küchenschürze. Die Namensschilder mit Blumenmuster sahen aus wie bei einer Kindergartengruppe und trugen Namen wie Clarissa, Octavia oder Saskia. Einige hatten mehrere Adelsprädikate und brauchten zwei Schilder, um sie alle unterzubringen. Die hoffnungsvollen Hausfrauen schwatzten angeregt über ihre Mamis, ihre Ponys und ihre sorgfältig vorgefertigten Meinungen von der Ehe.

«Hi», grüßte Maddy und setzte sich auf ihren Platz. Die anderen Damen nickten kurz und strichen ihre Schürzen glatt, als wären es Ballkleider. Eine schimmernde Tapete mit Kupfertöpfen und Puddingformen bedeckte die Wände. Die Ingredienzien für die heutige Lektion waren auf kleinen Tabletts arrangiert, adrett verpackt und gebrauchsfertig. Die Kochlehrerin Priscilla («Ihr könnt mich ‹Plum› nennen») erläuterte mit Verve das kulinarische Tagesziel: Saumagen, Kutteln, Steak-und-Nieren-Pastete, Blutwurst im Schlafrock und Nieren à la Robert. Auf dem vordersten Tisch, neben den Kochplatten, befand sich ein Schlachtfeld voll hingemetzelter und gevierteilter Angehöriger des Tierreichs. Plum steckte bis zu den Ellbogen in intimsten Körperteilen. Als sie etwas hochhielt, was aussah wie verknotete Fahrradschläuche, schaute Maddy weg. Ein lebenslanges Abonnement beim indischen Schnellimbiß schien ihr zusehends verlockender.

Maddy war in eine unzensierte Retrospektive von Alex’ größten Schlafzimmer-Hits vertieft, als die Tür aufflog und eine Frau eintrat. Ihr dunkler Kopf lugte aus dem Mantelkragen wie eine Beutelratte aus ihrem Bau.

«Für alle, die es noch nicht wissen», sagte die Nachzüglerin, «ich heiße Gillian Cassells.» Ihre Garderobe war schrill, die Stimme passend. Als sie sich aus ihrem Fell gepellt hatte, sah Maddy, daß diese Gillian dünn war. So dünn, daß man sie mit ihrem Fußkettchen hätte fesseln können. Ansonsten war dies das einzige, was an ihr fesselnd war. «Und das da», Gillian zeigte auf die Tür, wobei ihre Nägel wie Schnappmesser hervorschnellten, «ist Imelda.» Eine winzige Filipina trippelte herein. «Sie wird ab und zu hereinschauen, um meinen Abwasch zu erledigen.» Sie zog die Schnappmesser wieder ein. «Ich habe empfindliche Nagelhäute.»

Die Augen der versammelten Octavias, Clarissas und Saskias ruhten mißtrauisch auf der Neuen. Zu Maddys Entsetzen steuerte Gillian auf den leeren Stuhl an ihrer Seite zu. Nachdem sie ihr hübsches Hinterteil darauf plaziert hatte, beugte sie sich zu Maddy herüber und riß ein Blatt von ihrem Notizblock. «Sie haben doch nichts dagegen?»

Maddy legte ihr den Block mit spitzen Fingern auf den Schoß. «Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.»

«Eine Antipodin?» Gillian ließ die stark geschminkten Augen über Maddys Garderobe gleiten. «Ihre Klamotten sind wohl noch in Quarantäne?»

«Aufgepaßt, Mädels!» flötete Plum. «Man muß das Hirn vierundzwanzig Stunden wässern, um es von allen ekligen Bestandteilen zu befreien.» Maddy fand, eine solche Prozedur würde auch den grauen Zellen dieser Gillian ausgesprochen guttun. Als sie ihrer Sitznachbarin diese Anregung zukommen ließ, schlug die amüsiert die seidenbestrumpften Beine übereinander. «Ach ja? Aber sagen Sie, hinter was für einem Ehemann sind Sie her?»

Maddy lief vor Entgeisterung rot an. «Was?»

«Ein Kochkurs gehört zur Mitgift jeder britischen Debütantin. Sehen Sie sich doch mal um. Sieht eine dieser jungen Damen irgendwie verheiratet aus?»

Maddy schlug in gespieltem Entsetzen die Hände vors Gesicht. «Sind das wirklich die Neunziger? Ich habe allmählich das Gefühl, wir sind in einen Doris-Day-Film zurückgebeamt worden.»

Gillian grinste vergnügt. «Sieh mal an – eine Feministin! Wie niedlich!»

Maddy spürte, wie Ärger in ihr aufstieg. Wer war diese entsetzliche Person, die aussah, als sei sie direkt dem britischen Schickimicki-Handbuch entstiegen? Maddy hatte noch nie jemanden getroffen, der so narzißtisch wirkte. Gillian Cassells war die Sorte Frau, die aus ihrer eigenen Geburtstagstorte springen würde. Maddy intonierte mit den Fingern einen kleinen Trommelwirbel auf der Lochmuster-Bank und ignorierte ihre neue Nachbarin entschlossen.

«Wissen Sie, was der Feminismus den Frauen eingebracht hat?» fragte Gillian herausfordernd. «Magengeschwüre, Herzinfarkte und eine niedrigere Lebenserwartung.»

Maddys Entschlossenheit schmolz dahin wie die Butter in der Vorführpfanne. «Ganz zu schweigen vom Wahlrecht, dem Recht auf Abtreibung und der Freiheit, nicht herumsitzen und auf den Traumprinzen warten zu müssen …»

«Prinz?» Gillian zuckte entsetzt zusammen. «Schätzchen, wer hat von Prinzen gesprochen? Prinzen sind heutzutage die reinsten Psychotiker, und Geld haben sie auch keins mehr. Ich will mindestens einen Ölmilliardär!»

Maddy wandte ihrer Banknachbarin demonstrativ den Rücken zu und versuchte sich auf die Kursleiterin zu konzentrieren. Plum hielt gerade einen Gegenstand hoch, der aussah wie der Hammer eines Gerichtspräsidenten. Damit schlug sie auf die verknoteten Fahrradschläuche ein, bis sie frischen Verkehrsopfern ähnelten. Der Geruch nach verfaultem Fleisch war unerträglich.

Gillian beugte sich wieder zu ihr herüber und flüsterte verschwörerisch: «Da Sie gerade erst an diesen Gestaden aufgelaufen sind, ein kleiner Tip. Ein guter Ehemann sollte über dreierlei verfügen: eine ordentliche Kinderstube, eine ordentliche Schulausbildung und, die Hauptsache, ein ordentliches Vermögen.»

«Verzeihen Sie, Zsa Zsa Gabor, aber sagt Ihnen der Begriff ‹aushalten lassen› etwas? Wie in ‹Goldgräberin›, ‹Abstauberin›, ‹Glücksritterin›?»

Gillian schnaubte. «Weit gefehlt. Ich bin bisher eher eine Unglücksritterin gewesen. Ehrlich, wenn es irgendwo im Umkreis von hundert Kilometern einen arbeitslosen Tellerwäscher gibt, lande ich bei ihm. Jeder Typ mit einer James-Dean-Tätowierung auf dem Oberschenkel trägt meinen Stempel. Aber damit ist es jetzt vorbei. Ich ändere meine Strategie. Deshalb auch der Kochkurs. Nicht, daß ich kochen lernen wollte. Ich will mir nur das Abschlußzeugnis an die Wand hängen. Ich bin dabei, die Ledernacken gegen Typen mit handvernähtem Sämischleder an den Fingern einzutauschen. Verarbeitet zu Autohandschuhen mit Löchern an den Knöcheln.»

Unwillkürlich war Maddy von Gillian angetan. Man konnte dieser Frau ebensowenig widerstehen wie einem handgeschöpften Trüffel mit Schokoüberzug. «Wieso Autohandschuhe? Da komm ich nicht mehr mit.»