Mein Blut in seinen Adern - Kai Steiner - E-Book

Mein Blut in seinen Adern E-Book

Kai Steiner

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Beschreibung

Der Roman greift die politischen, gesellschaftlichen und religiösen Ressentiments gegen Partnerschaften und den Wunsch nach Kindern auf dem Hintergrund konservativer Eltern in Deutschland auf. Gleichzeitig offenbart er die Schwierigkeiten eines Zusammenlebens von zwei sich liebenden Männern, deren soziale Herkunft nicht unterschiedlicher sein kann. Protagonisten: Magnus, 24 und Banker, Sohn eines Privatbankiers, und Roberto, 20, Steward, der beabsichtigt, Kunst, Schwerpunkt Fotografie, zu studieren. Bisher fehlt das Geld. Ein Streit in der Familie Magnus' offenbart, dass die Aufrechterhaltung der Freundschaft zum Entzug des Erbes führt. Magnus verspricht zu heiraten. Das Testament wird zu seinen Gunsten beglaubigt. Magnus verschweigt seine Partnerschaft.Teresa, Freundin von Roberto, geht beinahe an der Liebe Robertos zu Magnus zu Grunde. Daher lehnt sie Magnus ab. Sie wird überfallen und schwer verletzt. Magnus übernimmt die OP-Kosten. Grund für Teresa, eine Leihmutterschaft für die beiden einzugehen, Bedingung: Vater muss Roberto sein. Der Vertragsabschluss erfolgt in Holland. Als Roberto bei Teresa weilt, fährt Magnus mit dessen PA nach Holland, hinterlegt auf einer Samenbank sein Sperma unter dessen Namen, was er Roberto mitteilt. Magnus fährt nicht allein. Begleitet von Leon, eine Liebschaft, die er Roberto verschweigt. Magnus erkrankt. Die Diagnose ist schrecklich, er wird bald sterben. Seine erste Reaktion: er informiert seine Eltern. Als sein Vater seinen Sohn abholen und in ein Spezialkrankenhaus bringen will, verunglückt der Wagen, der Vater stirbt, Magnus bleibt beinahe unversehrt. In einem Projektauftrag der Uni werden Models für Fotografien gesucht. Leon stellt sich vor. Roberto ist von der Lustigkeit des Jungen überwältigt. Die angefertigten Fotos soll sich Leon abholen. Dieser erkennt die Wohnung wieder. Seine Raffinesse warnt ihn, von der alten Beziehung zu plaudern. Sie genießen das Zusammensein, später wird Roberto von Gewissensbissen getrieben. Er will das Verhältnis beenden, der Junge aber bekennt sich ganz zu ihm.Magnus' Zustand verschlechtert sich. Roberto gibt das Studium auf, um sich seinem kranken Freund zu widmen. Magnus scheint zu gesunden, als er Transfusionen bekommt, Blut von Roberto. Doch das war eine Luftblase. Eine zweite gibt es, als er erfährt, dass Teresa seinen Sohn in Holland zur Welt gebracht hat. Roberto betreut seinen Freund rund um die Uhr, liest ihm vor, macht mit ihm Aufnahmen, erklärt Vieles aus der Kunst, was dem Todkranken gut tut. Bei einem Besuch Teresas mit dem Kleinen verrät Magnus, dass er sein Sohn ist. Es kommt mit Teresa zur Eskalation. Sie vernichtet aus Rache den Leihmuttervertrag. Nach dem Tod von Magnus zieht sie sich zurück und lässt die Vaterschaft überprüfen. Man bestätigt, dass Roberto nicht der Vater ist, was sie veranlasst, das Pflichterbe aus dem Vermögen des Sohnes zu erstreiten. Leon und Roberto ziehen zusammen. Monate später kommt es mit Teresa zur Versöhnung. Sie zieht zu den beiden jungen Männern, eine Patchworkfamilie wird begründet. Roberto setzt sein Studium fort, Leon beginnt eins der Architektur.

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Der Autor:

Kai Steiner studierte Wirtschaftswissenschaften, Pädagogik und Geografie in Hamburg, ging nach bestandenem Examen in den Schuldienst, wechselte in die Industrie nach Düsseldorf, nahm wieder als Lehrer die Arbeit in der Hansestadt auf, schulte gleichzeitig jahrelang Mitarbeiter mehrerer Unternehmen, betreute in den letzten 15 Jahre seiner beruflichen Tätigkeit junge Lehrer, die das staatliche Studienseminar besuchten und dessen Leiter er wurde.

Kai Steiner schreibt seit vielen Jahren.

Anfänglich veröffentlichte er Schulbücher in mehreren deutschen Schulbuchverlagen. Er schrieb Fachbücher, zuletzt war er Mitherausgeber einer kaufmännischen Fachzeitschrift. Inzwischen ging er dazu über, Romane, Kurzgeschichten, Erzählungen, Berichte und Anekdoten zu verfassen.

Er lebt in Hamburg.

„Schmetterlinge im Bauch“, 2006, ISBN: 978-3-934825-52-9

„Eingelocht“, 2006, ISBN: 978-3-934825-61-1

„Surfer Dreams“, 2007, ISBN: 978-3-934825-83-3

„Sommerlust am Mittelmeer“, 2009, ISBN: 978-3-940818-11-9

„Capri, amore mio“, 2009, ISBN:078-3-940818-31-7

„Paris, mon amour, 2010, ISBN 978-3-940818-49-2

Alle Bücher sind auch als E-books erschienen

www.himmelstuermer.de

E-mail: [email protected], Mai 2012

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

Coverfoto: Thinkstock

Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus. 

Alle Charaktere, Orte und Handlungen sind frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig

Printed in Czech Republic by FINIDR

Print:   ISBN 978-3-86361-100-2

ePub:   ISBN 978-3-86361-101-9

PDF:   ISBN 978-3-86361-102-6

 

Kai Steiner

 

 

Mein Blut in seinen Adern

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Selbstvergessenheit ist die höchste Form des Bewusstseins

 

                  Alexander Kluge

 

 

 

 

 

 

 

Für Wolf-Dietrich

und

für Freundinnen und Freunde

Teil 1

1. Ein Banker (Magnus)

Ich bin nicht gut drauf. Habe gleichzeitig Bauchschmerzen und Zahnschmerzen. Beides unten rechts. Wie hängt das zusammen? Ich weiß es nicht. Kann mir das jemand erklären? Ist beides zur selben Zeit zu bekämpfen? Zahnschmerzen mit kaltem Wasser, hat mein Pa gesagt. Dann aber verstärken sich die Bauchschmerzen. Nimmt man warmes Wasser, verdoppeln sich im Mund Bakterien und vielleicht Viren, wer weiß? Was würde dies für den Verdauungstrakt bedeuten? Jedenfalls wollte ich noch nicht zum Doktor. Die Zeit fehlt mir.

Apropos Job: Ich bin Banker. Wir laufen alle gestylt herum, Vorschrift: Nadelstreifen und einfarbige Krawatten (ehrlich, davon habe ich dreißig Stück, jeden Tag eine andere), dunkle Strümpfe, schwarze Schuhe. Übrigens läuft mein alter Herr auch so herum. Er ist nämlich Bankdirektor. Bei Einstellung wird auf das persönliche Aussehen geachtet, ein kundenfreundliches Gesicht ist Voraussetzung. Was das heißt? Keine Schlägertypen oder Raufbolde, glatte Haut, keine Krater auf den Wangen, keine Brillies im Ohr, versteht sich. Offene Tattoos ausgeschlossen.

Auch ich habe mich tätowieren lassen, aber das weiß niemand. Bisher habe ich meinen 'Schmuck' noch nicht zeigen können. Und das mit vierundzwanzig, nicht zu glauben.

Schließlich stehen wir oft genug am Schalter oder hinterm Tresen, die Kunden direkt vor uns, einen Meter entfernt. Wenn meine Mom ihrer Köchin Anweisungen gibt, geht sie auch dicht an sie heran. Ausweichen unmöglich.

Wer berät, muss Vertrauen ausstrahlen, damit die Leute unsere Produkte abnehmen. Davon leben wir. Mit einer Verzierung am Hals, mit einer Perle in der Augenbraue, undenkbar.

Ich bin Wertpapierberater, spannende Arbeit, aber anstrengend. Jeden Tag die Kurse der Papiere verfolgen, Kurven nachzeichnen, Ausfaller markieren, Tiefpunkte festhalten, immer wieder neue Sortimente zusammenstellen. Der Kunde will meist ein Bündel von Aktien und Fonds kaufen.

Er vertraut uns.

Vertrauen ist die Basis eines Geschäftsabschlusses, meint mein Pa.

Man will immer viel von uns wissen, wie das mit den Wertentwicklungen ist, wie hoch das Risiko bleibt, wenn’s mal bergab geht und wie hoch die jährlichen Kosten des Depots werden. Im ersten Jahr einer Geschäftsverbindung bieten wir manchmal kostenlosen Service an. Das zieht immer. Dann sacken wir später die Gebühren ein, denn im zweiten Jahr wird’s teuer. Meist merken unsere Kunden das nicht. Wir buchen von ihren Girokonten ab, auftragsgemäß, versteht sich. Man kann nicht immer nachfragen, ob man zahlungswillig ist oder Einwendungen hat. Hier ist tatsächlich Zeit Geld, und das brauchen wir, um das Kapital zu verzinsen und uns zu entgelten. Angemessen bitte.

Ich kann nicht klagen.

Eins möchte ich gleich herausstellen. Für mich ist Zaster alles. Es verleiht mir Flügel, nein, mit Geld ist man frei, unabhängig. Geld heißt Macht. Das habe ich im letzten Jahr erlebt, als ich mir meinen alten VW–Käfer in der Schweiz kaufte, den besaß ein alter Daddy, der dringend Barmittel benötigte. Seine Alte und er hatten den Wagen selten gefahren. Viel zu tattrig! Achtzehntausend Kilometer, Baujahr 1974. Sah wie neu aus. Ich habe gleich mit den Scheinen herumgewedelt. (Übrigens habe ich immer zehn Grüne dabei, in einer Klammer. Das macht was her.) Den habe ich aber runtergehandelt!

Wie dem auch sei, Geld stinkt nicht. Mein Pa drückt sich so aus: Pecunia non olet. Den einzigen Satz, den er aus dem Lateinischen drauf hat. Sein ganzer Stolz.

Nein, ich meine, auf das Geld. Wir sind wohlhabend, einfach reich, mein Vater hat eine Privatbank mit fünf Filialen in Deutschland. Man glaubt ihm, wenn er den Mund aufmacht. Wirklich. Wir machen Werbung wie Tchibo mit dem alten Kaffeeköster. So etwas zieht immer. Weiße Haare, Brille auf der Nase, Schmunzeln und im Hintergrund die Fassade unseres Hauptsitzes. Super.

Ich leide also keine Not. Und ich kann gut mit Geld umgehen. Es lässt sich alles leichter bewerkstelligen, hier mal ein Fünfziger, dort mal einen Grünen. Schon werden Wünsche wahr.

Keinen Neid!

Der hilft nicht. Nur durch Tun kommt man weiter, nie durch Maulen. Aber ich brauche meinen Alten nicht. Ich verdiene gut, bin der Star unter den Anlageberatern. Habe noch keinen Prozess am Hals gehabt. Ihr denkt bestimmt, das kommt noch. Nein, bei mir nicht, ich lasse alles gleich gegenzeichnen. Und auch meine Gesichtszüge schaffen eine beruhigende Atmosphäre. Wer mich kennt, bestätigt das.

Ich bin ein Realist, baue keine Luftschlösser. Allerdings träume ich manchmal. Vielleicht weil ich oft übermüdet bin. Letzte Woche hatte ich einen Fußballspieler vor Augen. Mir war, als ob seine Spielfreude auf mich übersprang. Ich überlegte mir am Morgen, was das wohl zu bedeuten habe. Meine Idee: Irgendwas in meinem Dasein fehlt. Sind es gute Freunde? Sollte ich erkennen, dass man neben Bankgeschäften auch Spaß an anderen Dingen haben kann?

Ich soll für meine Ellies und mich einen Tisch in einem Restaurant bestellen. Habe das Al Pedro ausgewählt, ein Zwei–Löffel–Restaurant. Das zu erklären ist ganz leicht. So wie es Sterne beim Film gibt, arbeitet man mit Löffeln bei Restaurants. Zwei Löffel sind sehr viel. Denn es gibt nur drei. Ich werde heute in der Mittagspause hinfahren und einen Dreiertisch bestellen. Ich könnte auch telefonieren, aber lieber ist mir, wenn man mich wahrnimmt, dann gibt’s den besten Tisch.

Lange dachte ich nach, wie man besonderen Eindruck schindet. Meine Entscheidung: das offene Cabriolet vorm Restaurant abstellen, höflich sein, ein bisschen kuschen, dann wird’s laufen … Parkplätze gibt es laut Stadtplan, und tatsächlich, einer oder zwei sind noch unbesetzt, man muss seinen Wagen nur hemmungslos vor anderen hineinbugsieren.

Ich schlage die Wagentür mit Gewalt zu, das Geräusch der einrastenden Haken trägt weit, sicher bis ins Restaurant. Da wird man aufgescheucht und nach draußen glotzen. Davon bin ich überzeugt. Alle Menschen sind nämlich neugierig. Ich nehme mich nicht aus.

Dann ab ans große Fenster. Es gibt sicher frei, was da drinnen abgeht. Mein Gesicht in der Nähe der Scheibe strahlt soviel Wärme aus, dass es beschlägt. Fein, hätte ich mir doch denken können. Sonst bin ich intelligenter!

Als ich im Eingang stehe, laufen meine Augen Amok. Sie sehen, wie Hände an einer Durchreiche zwei Teller aufs Büfett stellen, wie ein dicklicher, gut aussehender Italiener – Erkennungszeichen graues, glattes Haar, lang, (ich denke dabei an Nonnenmacher, jedem Banker ein Begriff) – die Gerichte auf den Tresen schiebt. Irgendwo von hinten kommt ein großer junger Mann nach vorn – mir fallen seine Haare auf – nimmt die eckigen Teller, garniert mit Birnenstreifen und Petersilie, in Empfang, dreht sie in den Händen wie ein Jongleur, eilt zu einem Pärchen.

Seine Miene ist ernst und beflissen. Meine Güte, die müssen auch Regeln wie wir einhalten. In Zeitlupe stellt er zuerst den einen vor der Frau ab, geht um sie herum, über die andere Seite gleitet das Porzellan auf den Platz des Mannes. Behutsam!

Er verbeugt sich dezent und mit elegantem Abgang zieht er sich rückwärtsgehend zurück. Ziel: das Stehpult, ich hatte es längst entdeckt. Da wird das Belegungsbuch liegen, denke ich.

Richtig.

Was für eine aufregende Figur, was für ein Profil! Meist sind Kellner doch die letzten Heuler, schlürfen, wackeln mit dem Hintern. Nur nicht die in Fastfood–Restaurants, aber wer von der etablierten Gesellschaft in obersten Etagen geht da schon hin? Wir Youngster von der Bank, natürlich.

Auch ein Italiener? … Ich werde verrückt. Hatte ich von diesem Jungen nicht geträumt? Endlich werde ich mir bewusst, was Neid ist – durch Schönheit darauf aufmerksam gemacht.

Meine Krawatte beengt mich!

Ich will den Knoten auseinander friemeln und mir das Hemd öffnen. Das misslingt. Meine Finger folgen kaum meinen Anweisungen, sie zittern. Was für ein Ärger. Meine Idee, das eine Ende durch die Schlaufe zu ziehen, klappt. Gott sei Dank. Die geöffneten Kragenknöpfe lassen mich vernünftig atmen. Sie verschaffen mir Erleichterung. Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen, Sicherheit ist in diesem Augenblick alles. Ich könnte ihm sonst nicht in die Augen sehen.

Ich gehe auf ihn zu, versuche zu vertuschen, dass er mich beeindruckt hat, komme gleich zu meinem Anliegen:

„Einen Dreiertisch für heute Abend neunzehn Uhr!“ Meine Stimme vibriert etwas. Blöder Kerl!

„Tut mir leid. Ausgebucht! Aber ich gehe noch einmal die Zeiten durch!”

Ohne sich umzudrehen und zu prüfen, mit wem er es zu tun hat – also hinterließ ich bisher keinen besonderen Eindruck, was bei mir leichte Wut auslöst – gleitet sein Zeigefinger die Tagesspalten entlang, den Kopf über die Seite gebeugt, dann zieht er seine Hand über die Stundentafel. Wut ist immer noch besser als gar nichts. Sie lässt mich erkennen, dass ich ganz lebendig bin.

Kopfschütteln.

„Na, Sie werden doch noch einen Tisch für eine angesehene Familie haben?”, gebe ich arrogant von mir. Auch diese Diktion scheint mir ein Zeichen meiner eigenen Ratlosigkeit.

Ich entschuldige mich vor mir selbst, das lässt immer Bescheidenheit erwarten: Man darf sein Interesse nie verraten, hatten uns unsere Seminarleiter eingetrichtert. Das mache den Partner oder Gegner, wie man’s nimmt, stark.

„Nein, haben wir nicht”, antwortet er, ich finde pampig.

Retourkutsche.

Natürlich.

Papa hat mich mal wissen lassen, wenn nichts klappt, Nettigkeit ist angesagt. Mal sehen.

„Vielleicht für ein Zubrot?”, hauche ich ihm mit fast zugekniffenen Augen hin. Es sollte meinem Angebot Nachdruck verleihen. Er wird wissen warum.

„Hör ’n Sie mal, für wen halten Sie mich?”, flüstert er mir empört zu, wirft seinen Kopf nach oben, und ich sehe seine ganze Schönheit.

Es ist um mich geschehen. Wie soll ich damit fertig werden?

Mein Schreck ist groß. Wollte er mich überrumpeln? Nein, den Gedanken weise ich von mir.

Ein Gesicht!

Unbeschreiblich.

Wäre er nicht besser Model geworden? Ich denke an Zac, Baptiste oder Jesus. Auch an Schenkenberg. Dieser junge Mann würde unter allen aus der Reihe fallen, schwarze Locken, ein südländisches, eigenwilliges Gesicht mit einem kleinen Höcker auf der Nase und ein Grübchen am Kinn. Mir kommt Adonis in den Sinn, der römische Jungentorso, ausgestellt im Louvre, von mir bestaunt. Gibt es mehr körperliche Harmonie? Ebenbürtig die Venus von Milo, die ich mir auch dort ansah. Bestens nachzuempfinden, dass die Göttin diesen Jüngling liebte.

Kann man Ehrlichkeit bei solchen Typen voraussetzen? Lassen sich nicht alle, die über wenig Mittel verfügen, zu einem besseren Leben überreden? Er ist italienischer Abstammung, ohne Frage.

Ich entschuldige mich und bitte ihn, mir einen Tisch für morgen Abend zu reservieren.

„Dienstags ist Ruhetag, sonst sind wir die Woche ausgebucht. Keine Chance. Heute in einer Woche! Dann bekommen Sie den Eckplatz dahinten mit einer hervorragenden Aussicht nach drinnen”, zwinkert er mir jetzt zu.

„Gut, schreiben Sie bitte auf: Magnus O’sswell!”, meine Tonlage ist jetzt geschäftsmäßig … soll der junge Mann nicht glauben, dass er’s mir angetan hat. Ich bin froh, dass ich mich zusammen nehmen kann. Das wäre auch für einen wie mich gelacht.

„Dreiertisch … 19 Uhr … Tel. 44 19 24 25.” Verdammt, die Worte kommen abgehackt aus meiner Kehle, was ist denn los mit mir? Einfach blöd!

„Danke, Herr O’sswell!”

Doofe Antwort. Das Bürschchen ist auch noch herausfordernd, na warte …

„Langes O wie Oooo’sswell!”

Ich hatte in unseren Seminaren gelernt, wie man Leute behandelt, die sich überlegen fühlen, und das tut er, denn hier hat er die Macht, oder?

„Werden Sie uns bedienen?”, fahre ich mit fahriger Stimme fort.

„Ich bin täglich hier!”, lässt er mit leicht geöffnetem Mund vernehmen, ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Seine weißen Zähne glänzen.

„Mit wem hatte ich das Vergnügen?”

„Wozu?”, meint er, sie seien eine Mannschaft.

„Ja, ja!”, antworte ich verlegen, „wenn irgendetwas bei uns oder bei Ihnen dazwischen kommt, ist es doch gut zu wissen, an wen man sich wenden kann, nicht wahr?”

„Dazwischen kommen? Was meinen Sie?”

„Rohrbruch und so …!”

„Das stimmt … Roberto!”

„Gut, wir sehen uns in einer Woche, Roberto! Vielleicht aber schon eher.” Seinen Zügen entnehme ich, dass er nachdenkt und sich wohl fragt, was ich mit dem früher gemeint haben könnte. Ich habe jedenfalls schon eine Idee, verlasse das Lokal, drehe mich natürlich kurz um. Meine Hoffnung: Er blickt mir nach. Recht gehabt, er tut es und wieder fliegt ein Grinsen über sein Gesicht.

Er ist sich seiner Schönheit bewusst! Aber macht er was draus? Na klar, der Bengel ist doch nicht dumm. Er hat wahrgenommen, wie mir zu Mute war, als er mich anblickte.

Hier in diesem vornehmen Laden kellnern? Ich wüsste, wo’s in seinem Fall langgehen müsste und würde mir die Beine ausreißen! Dann würden die Zehner nur so sprudeln. Und er hätte tausend Weiber am Hals. Magnus, rufe ich mir zu, ist das so wünschenswert? Ich rufe noch im Wagen Mum an. Ich sage ihr, dass unser Essen erst eine Woche später stattfindet. Natürlich will sie sofort wissen, warum es nicht eher geklappt habe. Ich tröste sie:

„Dafür habe ich ein geiles Lokal ausgemacht!”

Was ich nun zu hören bekomme, ist kaum nachvollziehbar. Sie zieht vom Leder, was sie immer schon gekonnt hat. Sie schimpft mit mir herum, meint, ich käme doch aus einem guten Haus und habe Deutsch reden und schreiben gelernt, nicht diese vulgäre Sprache, die von Jugendlichen benutzt wird. Sie wünsche nicht, in dieser Weise angesprochen zu werden.

Da ist wieder diese O’sswellsche Verlogenheit. Meine Mutter stammt von einem heruntergekommenen Gastwirt aus Brindisi ab und hat sich meinem Vater an den Hals geworfen. Sie war nur schön. Der Alte ist drauf abgefahren, und was er aus ihr gemacht hat, seine Familie hat ebenso dazu beigetragen, ist allerdings ein Wunder. Sie ist eine selbstbewusste, elegante und gebildete Frau geworden, hat neben der Ehe Abitur in Abendkursen nachgemacht, dann studiert. Man kann auf sie stolz sein, ich bin es auch.

Aber ganz ehrlich ist sie nicht. Wie meine ganze Familie.

„Benutze deine ordinäre Wortwahl und Ausdrucksweise unter deinesgleichen, nicht bei mir und nicht zu Hause!”, zetert sie herum, und ich muss ihr recht geben. Ich hatte mir angewöhnt, mich so zu geben, wie viele junge Leute in unserer Firma es vormachen. Sie beziehen mich in ihren Kreis ein, weil sie aus meinem Gebaren und der Sprache ableiten, dass ich zu ihnen gehöre. Aber ich tue es eigentlich nicht. Ich bin älter. Wenn auch nur ein paar Jahre. Die meisten von ihnen drücken noch die Schulbank im dritten Ausbildungsjahr oder haben diese gerade verlassen. Ich habe aber meine praktische Ausbildung und das Studium hinter mir.

Nonchalance und Gegenwartsbezug sind wesentliche Merkmale ihrer Existenz. Ich meine damit, dies in den Tag leben, was mir sehr gefällt. Es macht leicht, beschwingt und lässt Misslichkeiten und Missempfindungen über Nacht vergessen oder verdrängen. Woran mag das bei mir liegen? Nach Tagen des Nachdenkens komme ich dahinter, wenn ich richtig liege, ich habe noch nie für jemand Verantwortung getragen, mich noch nie untergeordnet, noch nie um einen Menschen gekämpft. Das ist es, ich war bisher Einzelkämpfer. Das erleichtert vieles. Bei meinen Leuten bin ich Mitläufer, mache mich interessant. Sie fragen mich um Rat. Das finde ich super.

Angeber.

„Du musst endlich erwachsen werden!”, lässt Mum noch ab und hängt ein. Was hat die Sprache damit zu tun?

Ob es jetzt anders wird? Niemals haben mich andere Menschen in Bann gezogen, mich gereizt. Der Kummer meiner Eltern.

Könnte eine nähere Bekanntschaft mit Roberto das ändern? Spricht so ein junger Kellner nicht ebenso wie meine Leute in der Bank?

Mum hat sicher Unrecht!

Für meine Ellies zählen junge Männer in meiner Nähe nichts. Ja, sie wären sogar eine Katastrophe. Wie fast alle Mütter will Mum, dass ich endlich ein Mädchen anschleppe. Beide würden mich zu Hause sonst was mit ihr tun lassen … Mit einem jungen Mann? Um Gottes Willen. Beide sind sehr konservativ, insbesondere, was die Lebensplanung angeht. Na, ja, Bankunternehmer sind in der Regel nicht fortschrittlich, allenfalls noch liberal. Meine Eltern nicht einmal das. Aber ich liebe sie dennoch.

Vielleicht ist meine Aufmerksamkeit für Roberto nur eine Spielerei, eine jener Oberflächlichkeiten, die mir eigen sind. Vielleicht ist es meine Eitelkeit, dass ich in der Lage bin, einen Menschen für mich einzunehmen, sich für mich zu interessieren, wer weiß. Aber mir ist so, als ob sich irgendetwas bei mir ändern könnte. Ich spüre plötzlich Sehnsucht, obwohl ich mich als hetero einstufe. Ich habe mir schon Mädchen angesehen, ihnen nachgesehen, wenn sie ihren Po rassig hin– und herbewegten, wenn ihr Busen prall in durchsichtigen Hemdchen hüpfte. Meist war mein Interesse schnell erloschen, jedenfalls gab ich überall Arbeit vor, um einer näheren Bekanntschaft auszuweichen.

Roberto, Roberto …

Ich verstehe nicht, wie er in mein Leben eingreifen kann. Natürlich nicht wirklich, aber er berührt mich schon innerlich, und ständig denke ich an ein kommendes Treffen. Ich nehme es erst einmal hin, kommentarlos. Eins ist mir schon deutlich geworden. Er ist kein junger Mann, den man von oben herab behandelt, er wehrt sich, wenn man sich lustig über ihn macht. Er lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen, das gefällt mir. Darin ist er so wie ich. Vielleicht unterscheiden sich die sozialen Ebenen, in denen sich diese Vorgänge offenbaren.

Ganz bestimmt bekommt er jeden Abend zweifelhafte Offerten, hauptsächlich von Mädchen.

Halt, ein Angebot habe ich überhaupt noch nicht gemacht, ich möchte einfach nur mit ihm sprechen, vielleicht gemeinsam in die Disko marschieren oder ein Bier trinken. Reden. Meine Leute in der Bank sind für Privatgespräche ungeeignet. Außerdem will ich nicht, dass sie in meine Familie glotzen. Dieser Neid wäre kein guter Ratgeber.

2. Ein Job als Ober (Roberto)

Was war das denn für ein Typ, der eben durch das Fenster lugte? Dieser Angeber. Natürlich, sein Auto ist absolut top, wer hat das schon? Wie kommt man an so einen ran? Egal, und er ist mir gleichgültig. Will der etwa hier essen?

Tatsächlich, da steht er schon im Eingang.

Pfoten in den Taschen.

Na, na …

Auch keine Art …

Teresa hat heute die Deko auf den Tischen arrangiert. Das hat sie verdammt gut gemacht. Überall Vasen mit Rosen. Jeder zweite Tisch hat eine andere Farbe bekommen. Gute Idee.

Ich werde erst einmal das junge Pärchen bedienen, Girlis sind schnell ungehalten. Haben schon lange genug warten müssen. Sie hat die Zwischenzeit genutzt, um ihm die Leviten zu lesen, wie es scheint. Armer Kerl, eine Flunsch zieht der …

Dieser dämliche Koch hat doch das Gericht vertauscht. Wie kann so etwas passieren, und das bei uns? Wenn der Alte das wüsste, aber er war gerade am Telefon, als es sich ereignete.

Eigentlich hat er die Muschel immer am Ohr, wenn sich was zuträgt! Ein seltenes Geschick! Nun gut!

Pedro hält mir die Teller entgegen. Sie sind bei uns viereckig. Etwas Besonderes, das italienisches Flair ausstrahlt, meint Pedro. Besser noch: Capresisches. Davon verstehe ich nicht allzu viel.

Gemüse, Fleisch, Gewürze, fürs Auge arrangiert, Spitze, das muss ich ehrlich sagen. Er gibt noch eine Prise dazu. Placebo – in der Medizin bekannt. Er wirkt, wenn er seinen Arm schwenkt, und die Leute sehen das. Fühlen sich vom Chef besonders bedient.

Die Mangowürfel machen sich gut. Das muss einfach schmecken. Samuel ist unbestritten ein Künstler, aber nicht mein Typ. Er ist so von oben herab. Aber das machen wohl die beiden Löffel, die ihm ja eigentlich zugesprochen sind. Könnte er sich diese in die Ohren hängen, er würde es tun.

Er kocht faszinierend. Übrigens das Einzige, was an ihm auffällt. Mir jedenfalls. Die Verwechslung heute habe ich das erste Mal bemerkt. Sollte man vergessen.

Pedro drückt mir die Teller in die Hand.

„Ab zum Pärchen!”, zischt er mir zu. Er sagte hinterher, er habe geflüstert. Die Hälfte der Leute dreht sich ihm zu. Flüstern ist auch nicht mehr das, was es in DDR–Zeiten war.

Mein Gott, ich weiß doch, wohin ich zu gehen habe. Beinahe wie mein Alter, der mir ständig sagt, wo es lang geht. Immer diese Bevormundung. Mein Pa meint, nur er allein könne die Fäden in der Hand haben, müsse Anweisungen erteilen, damit die Untergebenen spuren. Raphael tut es trotzdem nicht. Er schleicht. Aber der ist sowieso sehr eigenwillig.

„Kräfte einteilen, Jungs”, sagt er immer. Man sieht’s seinem Körper an. Einhundert Kilo oder so was.

Pedro ist wirklich ein waschechter Italiener, kommt aus Neapel. Man sagt ihm nach, er solle Verbindung zur Mafia haben. In jedem Fall gibt er ziemlich mit seiner Herkunft an. Das Haus seiner Familie steht am Hang mit Blick auf den Golf. Er hat hier einige Bilder ihres Anwesens aufgehängt. Das mache sich gut, lässt er uns jeden Tag wissen. Geld in der Familie war demnach schon immer da.

Sieht toll mit seinem grauen Haar aus, hat ein ebenes Mönchsgesicht, als ob ihn nichts trüben könnte. Dabei ist er verheiratet.

Eine Nutte, sagen alle. Ich habe keine Vorurteile gegen Arbeitsbienen. Soll ’n sie doch! Außerdem hat selbst JesusMaria Magdalena in seine Arme genommen. Unser Pater meinte, sie wäre eine Sünderin gewesen. Meinetwegen …

In jedem Fall sind die Brüste von Pedros Frau aufgedonnert. Silikon. Ich mag sie nicht, ich mag keine Mädchen dieses Kalibers. Ich glaube, die würden mich erschlagen. Ich bin zwar nicht zierlich, aber solche Titten, nein.

Ich habe erst für richtig gehalten, dass Pedro die Anständigkeit in Person ist. Nun weiß ich es besser. Daraus habe ich richtig gelernt. Menschen mit Madonnengesichter können Ganoven sein. Daher muss man mit ihnen sehr vorsichtig sein. Sie erst erkunden.

Einmal hatte er ein Essen für sechs Personen handschriftlich aufgerechnet, nicht in die Kasse eingegeben. Das war Betrug. Ich bin noch nie auf ehrliche Leute gestoßen, die betrügen. Ich muss einfach mehr darauf achten. Vielleicht komme ich so zu etwas. Ein ehrliches Gesicht habe ich alle Male.

Der Job ist Klasse, die Leute, die herkommen, geben reichlich Trinkgeld. Neulich drückte mir ein Inder zehn Rupien in die Hand. Ich dachte, das sind zehn Euro. Nichts da. Fünf Cents sind’s.

Ich habe bisher hier viel gelernt. Mein Alter hatte mir den Job besorgt, er will, dass ich seinen Laden mal übernehme. Unser Restaurant ist gegen dieses eine Kaschemme. Das Einzige, was heraus sticht ist, dass auch bei uns hervorragend gekocht wird.

Jedenfalls pfeife ich auf die Nachfolge. Kommt nicht infrage. Dann stehe ich nur noch unter seiner Fuchtel, während er von draußen regiert.

Das Pärchen macht auf mich einen derangierten Eindruck. Wer weiß, was die hatten. Aber schließlich gibt es überall Streit.

Meine Ellies kämpfen beinahe täglich miteinander, und immer um die kleinen Dinge. Neulich wollte mein Alter einen drauf machen, holte schon Wein aus dem Keller. Mom starrte ihn an wie eine Katze vorm Mauseloch, besser noch wie ein Panther vor seinem Opfer! Ihr müsst wissen, in Italien haben Frauen zu Hause das Sagen! Was für einen Krach es gab! Italienischer kann es nicht zugehen.

Ich verbeuge mich, wünsche guten Appetit und flitze rückwärts davon. Pedro hat uns aufgefordert, den Gast immer im Auge zu haben, wenn man den Tisch verlässt. Er meint, dann würde man unser Interesse vermuten. Ich weiß nicht, die Alten reden oft so bescheuert.

So, nun werde ich mich um diesen Scheißer kümmern, der hier hereinmarschiert, als sei er Frederic von Dänemark. Warum schwitzt er nur so, ihm stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Als er gleich nach dem Betreten unseres Lokals den Schlips öffnen wollte, ich musste richtig grinsen. Das schadete ihm gar nichts. Arroganz hat sich noch nie ausgezahlt.

Der hat ja vielleicht sein Gesicht verzogen, als ich ihm sagen musste, dass wir voll belegt sind, und das die ganze Woche. Mir dann noch Schmiergeld anzubieten. Aber er hat was Edles, das muss ich zugestehen. Nun kommen sie Montag zu dritt. Fragt mich doch, ob ich da wäre. Was will er von mir? Hier sind immer mehrere Ober, und wir bedienen jedes Mal andere Tische. Da kann sich niemand einen bestimmten von uns aussuchen. Aber ein bisschen stolz macht es mich doch. Irgendwie ist er sympathisch. Und was das sollte, vielleicht sehen wir uns früher. Wieso? Will er vorher herkommen? Ich sagte ihm doch, dass wir diese Woche ausgebucht sind. Na, mal sehen.

Als die Tür hinter ihm zuschlägt, kämme ich mir schnell meine Haare durch. Das hätte ich eigentlich schon längst machen müssen. Zwar ist meine Visage auch bei ungeordneten Haaren passabel. Aber gepflegt hätte ich ihm noch mehr imponiert, denke ich. Wollte ich das bei so einem Typ? Nee …

Meine Mutter ist und war eine bildhübsche Frau, Schönheitskönigin der Lombardei, und mein Pa der zweite Sohn einer großen Mailänder Brauerei. Sein Bruder hatte die Führung übernommen, als unser Opa an einem Infarkt verstarb. Mann, das war eine Beerdigung. Alle liefen heulend durch die Gegend, in schwarzen Anzügen und steif wie ein Brett. Trauer braucht Gradlinigkeit, bestimmt. Nur seine Frau saß gebeugt in der ersten Reihe der Kirche.

Magnus heißt er. Er muss was Italienisches haben, denn der Name kommt aus dem Lateinischen.

Eindeutig.

Verwandtschaft von uns? Dass ich nicht lache.

Einmal hat er sogar gestammelt. Warum das? Vielleicht ist er Stotterer?

Wohlhabende haben oft eine Macke, habe ich gehört.

Vermögend sieht er aus, mittags einen Anzug zu tragen, dazu eine Goldkette, die vom Revers in die Einstecktuchtasche flieht. Wirklich gut. Das blaue Hemd, der rötliche Schlips, vom Feinsten. Na, und das Auto.

Wie er abgerauscht ist! Gaspedale runtergedrückt, im Leerlauf aufheulen lassen, so was zieht, dann ein Superschlenker auf die Fahrbahn. Quietschendes Bremsen hinter sich.

Aber vorher hat er sich vorn am Ausgang noch mal umgedreht. Das galt mir. Eindeutig. Mir hat das gefallen. Ein kluges Bürschchen. Eitelkeit will hofiert werden. Er muss sie bei mir entdeckt haben, kann ich mir vorstellen. Jeder, der gut aussieht, erfreut sich ziemlicher Aufmerksamkeit. Er auch!

Das wird sich noch mehr klären, wenn die Familie nächste Woche hierher kommt. Vielleicht gibt er mir einen Wink. Ich könnte ja, wenn er nach hinten geht, an ihm vorbeirauschen. Dann wird er was sagen, denn ganz schüchtern ist er nicht. Ich werde mich darauf einstellen.

Eventuell macht er aber auch Anstalten, mit mir auf die Toilette zu gehen. Was ich natürlich ablehnen werde. Einen Zettel mit seiner Adresse würde auch ausreichen oder so etwas Ähnliches.

Ein bisschen gehemmt war er, als er seine Tischbestellung aufgab. Ich mag Leute, die nicht soviel Selbstbewusstsein haben … Aber nach seinem Verhalten an seinem Cabrio bin ich doch eher der Überzeugung, dass er sehr wohl weiß, wer er ist. Wir hatten in unserer Klasse auch ein Mädchen, das schüchtern schien und keinem von uns in die Augen sehen konnte. Na, die haben wir geärgert, und alle Jungen haben sich lustig gemacht. Auch nicht anständig.

Wir hatten uns voll geirrt. Die hat es allen bewiesen, sie war ein Männerkiller.

3. Bankgeschäfte (Magnus)

In der Bank hat es letzte Woche viel Arbeit gegeben. Mehrere Beratungen haben mich voll in Anspruch genommen. Die wirtschaftliche Entwicklung gibt uns allen zu denken, unsere Volkswirte haben versucht, eine gewisse Klarheit ins Zinsgefälle zu bringen, haben unsere US–Strategen befragt, sind in die USA geflogen und haben dort Konsultationen aufgenommen. Andere haben sich chinesische Experten kommen lassen, sind in Tokio gewesen und haben Gespräche mit der Finanzwelt Asiens geführt. China ist sowieso aufs internationale Parkett zurückgekehrt. Erstaunlich.

Die Wertentwicklung des Euros macht allen zu schaffen. Bisher hatte ich in meinem Portfolio immer Aktien, Fonds und Festverzinsliche, meist aus Europa und den USA, ich möchte es gern mit Papieren von Singapur und Japan mischen, außerdem kanadische berücksichtigen. Den Vorschlag habe ich meinen Chefs unterbreitet, und deren Plazet erhalten. Zwar nur mit einem geringen Betrag. Aber der Anfang ist gemacht! Darauf bin ich stolz.

„Gute Risikoteilung!”, wurde mir versichert.

Vielleicht lässt sich mit allen zusammen eine gute Rendite einfahren, und das ist doch unser Kerngeschäft. Ob Roberto davon eine Ahnung hat? Wie wird er zum Geld stehen? Eigentlich sieht er mehr wie ein Künstler aus, und die sind doch weltfremd. Das hört und liest man immer wieder. Sie waren es, die in der Finanzkrise Geld verloren haben. Man hatte in zu chancenlose Geschäfte investiert. Übrigens waren es meist Juristen, Lehrer, Regisseure, Ärzte. Schwachsinnig. Später ist mir klar geworden, dass viele Banker eine Mitschuld tragen, mitverantwortlich sind. Mancher Berater hatte tatsächlich unterlassen, auf Risiken hinzuweisen. Die Prozesse gegen einige Finanzinstitute haben gezeigt, dass man leichtfertig mit dem Geld Fremder umgegangen ist. Da war ich von Anfang an vorsichtig, mein alter Herr hat mir geholfen, und seine Institute sind aus der Krise sehr gut hervorgegangen, Millionengewinne haben das Vertrauen in unsere Privatbank gestärkt.

Mein Pa klopft sich ständig selbst auf die Schulter und will mich überreden, eine Stelle bei ihm zu übernehmen, was ich ablehne. Wer würde schon gern im eigenen Familienbetrieb unter seinem Alten malochen?

„Hast du nicht ständig gepredigt, dass ich mir zuerst die Sporen woanders verdienen sollte? Nun habe ich eine gute Position erreicht, bin selbständig und für mich verantwortlich, jetzt forderst du mich auf, in deinen Betrieb zu kommen. Nein, Pa, noch nicht!”

Mein Vater war sehr betrübt, aber, und das halte ich ihm zugute, er wollte wirklich mein Bestes. Ich dagegen will frei sein, unabhängig und für mich selbst entscheiden. In seinem Geschäft würde er vorgeben, wo’s lang geht, denn immer noch wird seine Bank patriarchalisch geführt, was nicht schlecht ist, aber für mich ungeeignet. Es gibt genügend Mittelstandsbetriebe, die diese Führungskonstellation bevorzugen, meist Familienunternehmen.

Ich habe mich entschlossen, Infineon einzukaufen und Siemensaktien, Toyota, Toshiba, Singapore–Airlines, Canadian Windcrafts. Unser Chinaexperte sichtet zurzeit den Markt drüben, und wenn er zurück ist, werde ich zuschlagen.

Wenn ich den Kunden verklare, dass die Anschaffung von Siemens, Toyota sowie Toshiba (Mischkonzern), außerdem Singapore–Airlinesin in eine langfristige Strategie passen, dagegen Infineon und Canadian Airlines eher für eine kurzfristige Disposition stehen, und es ihnen näher erläutere, folgen sie meinen Überlegungen und akzeptieren sie. So habe ich in den vergangenen Tagen gute Geschäfte abgeschlossen, meine Chefs grinsten mich Freitagmorgen an, und schickten mich zum Nachmittag nach Haus. Zur Erholung … was mir entgegenkam.

Unter meinen neuen Kunden befinden sich nicht nur Bürgerliche, Kleinsparer und Kleinunternehmer, ein paar größere Fische sind schon dabei. Ich will nicht behaupten, dass kleinere Beträge oder gar monatliche Abbuchungsaufträge bis einhundert Euro für eine Bank langweilig sind, bestimmt nicht. Das war ja damals der fatale Irrtum der Deutschen Bank, diese einem neu gegründeten Institut (Bank 24) zu übertragen. Man hat’s ihr übel genommen, Abwanderungen die Folge.

Ich wohne noch bei meinen Eltern. Meine Verwandtschaft trichtert mir dauernd ein, dass junge Männer raus müssen, was ja stimmen mag. Nur nicht für mich. Ich fühle mich bei ihnen wohl. Außerdem habe ich zwei Zimmer und ein eigenes Bad in der ersten Etage. Ich muss zwar immer durch unser Entree nach oben gehen, so dass meine Ellies mitbekommen, wann ich zu Hause anlange, aber was soll’s. Anders wäre es vielleicht, wenn ich eine Freundin habe, aber das sehe ich noch nicht. Ich komme gut zurecht. Und mit Roberto? Wer weiß, was da auf mich zukommt. Ausziehen kann ich immer noch. Aber hier haben wir eine Haushälterin, einen Gärtner und mein Pa hat einen Chauffeur. Den kann ich unter Umständen auch in Anspruch nehmen, wenn ich mal getrunken haben sollte. Übrigens ist mir unser Geld nicht zu Kopf gestiegen.

Ich mach mir wenig aus Alkohol, und harte Sachen sind nicht mein Ding. Aber manchmal muss man eben mithalten. Tue ich auch, ich bin kein Frosch.

4. Pech, oder? (Magnus)

Ich stehe in einiger Entfernung zum Al Pedro, habe alles voll im Blick. Das Restaurant ist gut besucht, meist Menschen mittleren Alters, darunter viele Südländer. Junge Leute können es sich kaum leisten, alte essen nicht mehr gern spät. Mir ist das alles egal. Er ist da.

Drinnen ist Festbeleuchtung. Ich kann durch die Glasfront die Geschäftigkeit und die Schwelgerei der Gäste verfolgen. Wirklich, da wird vielleicht aufgetischt. Und überall Weinflaschen.

Mir läuft die Spucke im Mund zusammen. Ich rieche förmlich die Rotweinblume der alten Reben und habe den herben, erdigen Geschmack des Merlot auf der Zunge. Rotwein gehört bei uns zu den täglichen Selbstverständlichkeiten. Mein Pa genießt ihn bereits zum Mittag. Manchmal macht sich das bemerkbar.

Übrigens hat meine Mom eine Köchin angestellt. Mom meinte, sie brauche mehr Freizeit. Der wahre Grund ist, dass sie nicht kochen kann.

Roberto flitzt zwischen den Tischen herum, nimmt hier Bestellungen auf, rechnet dort ab, serviert und räumt das Geschirr ab, hat keine Pause, auch keine Zeit, Blicke nach draußen zu werfen, was er auch nicht muss. Mir wird die Zeit vor dem Lokal nicht zu kurz, es gibt wirklich viel zu sehen. Die ankommenden Gäste, ihr Gehabe, die sich verabschiedenden Kunden und auch Fußgänger, deren Augen auf der Speisekarte vor dem Eingang hoch und runter wandern. Manche brauchen dazu Minuten. Die Schrift ist zu klein, wie ich beim letzten Besuch feststellte.

Exklusive Leute, wie mir scheint, die das Lokal frequentieren. Ich werde Roberto schon einen entsprechenden Empfang bereiten. Vielleicht aber hat er doch mein Cabriolet wahrgenommen, es ist unübersehbar, der Parkplatz exponiert. Außerdem habe ich mich unter einer Laterne platziert, das Weiß der Karosserie glänzt, das Schwarz des Verdecks ein feiner Gegensatz.

Er soll erkennen, mit wem er sich einlassen wird. Reichtum hat noch niemand geschadet …

Derweilen sehe ich mir das Haus von außen an, gehe die Fensterreihen durch, merke mir das Aussehen, erkenne an der Fassade Putten – sie werden zu Roberto – und Girlanden, ein altes Haus also, was es innen so gemütlich macht. Die kleinen französischen Balkons (für Romeo und Julia eingerichtet) weisen auf den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hin, so alt ist der Kasten, aber tiptop gestrichen, um die Fenster herum blau, sonst gelb. Sieht irre gut aus wie die Farben der FDP. Bloß, dass die hier nicht ihre Niederlassung hat.

Der Eingang liegt zwischen zwei schlanken Säulen – ionische, glaube ich, oben ein hinreißendes Kapitel, wie auf der Akropolis – viele Meter voneinander getrennt, so dass immer mehrere Leute gleichzeitig vom Vorraum aufgenommen werden können und beinahe Hand in Hand durchs Portal nach innen drängen. Das ist wichtig. Die Leute reden, überall, auch während sie ein Lokal betreten, und Italiener sowieso. Das macht sie auch so sympathisch. Sie palavern mit Inbrunst. Ich mag das. Zuerst war ich schockiert, als wir Rom besuchten, aber man gewöhnt sich dran, und bald gehörten ihr Geschrei und ihre Gesten zur Normalität. Man hat einfach Temperament. Das erhoffe ich mir auch von Roberto. Irgendwie. Unternehmungslust nach dem Motto: Packen wir’s an! Ich muss über meine eigenen Gedanken schmunzeln. Was stelle ich mir bloß vor? Eigentlich gar nichts.

Inzwischen ist es spät geworden. Die letzten Gäste zahlen und lachend und lärmend zerstreuen sie sich in den Straßenschluchten. Gleich muss Roberto kommen. Der wird Augen machen, davon bin ich überzeugt.

Die ersten Bediensteten verlassen das Lokal.

Ich ziehe mir den letzten Zug meiner Zigarette tief in die Lungen, werfe die Kippe auf die Straße. Roberto muss nicht gleich erkennen, dass ich qualme.

Eine Frau und zwei Männer. Wohl das Küchenpersonal. Eigentlich kann das nicht sein, die müssen doch die Küche in Ordnung bringen. Alle haben es eilig.

Vielleicht ist Roberto so vernünftig und geht zuletzt. Dann kann er zu mir auf die andere Straßenseite kommen, ohne dass er irgendjemand Rechenschaft schuldig ist. Unsinn, so weit wird er ausgerechnet meinetwegen nicht denken. Seine Gesichtszüge sind nicht hinterhältig, oder ist Verschlagenheit gar nicht in der Mimik ablesbar? Was wohl seine Eltern machen? Von wem hat er die Schönheit? Sehen seine Eltern auch so gut? Ob er allein wohnt? Wenn ja, könnten wir zu ihm auf die Bude ziehen. Mann, das wäre superb! Wenn nicht, gehen wir erst mal ins News – meinem Arbeitsplatz gegenüber. Da ist es um diese Zeit noch leer, man kann ungestört quatschen. Das Einzige, was mich stören würde, wäre, dass ich auf bekannte Gesichter stoße. Die Mitarbeiter in meiner Bank sind neugierig und würden sich um mich kümmern wollen.

Ich werde Roberto einladen. Ein Glas Rotwein trinkt er bestimmt mit mir zusammen. Mal sehen, wie er reagiert, wenn sich unsere Knie unterm Tisch berühren. Gewollt von mir, natürlich. Man muss mit allen Mitteln arbeiten!

Und tatsächlich, da ist er. Mir erscheint er abgekämpft. Das bin ich meist auch, geht’s mir durch den Kopf, wenn ich das Geschäft abends verlasse. Wer will ihm das verdenken? Sein Job und die Kunden fordern den Körper heraus. Dazu die ständige Freundlichkeit, immer lächeln:

„Ja, mein Herr; selbstverständlich, gnädige Frau, oh pardon, ich habe nicht aufgepasst, entschuldigen Sie!”

„Ober, zahlen!”

„He Sie, Roberto, warum muss man auf seine Bestellung stundenlang warten? “

Dann die Zurufe des Chefs, die Anzeigen der Küchen, das Rufen wartender Leute:

„Wo bleibt denn die Rechnung, Herr Ober …!”

Neben Roberto eine Frau. Jetzt fällt mir erst auf, dass er fast so groß ist wie ich. Denn seine Begleiterin ist ein Kopf kleiner als er. Ich erkenne sie an ihrem strengen Haarschnitt. Wie eine Lesbe. Ich erinnere mich, sie stand hinterm Tresen, zapfte Bier, ist wohl auch zuständig für die Gedecke, die die Durchreiche verlassen sollen. Also hat er wohl doch eine Freundin. Sie müssen gleichaltrig sein, von weitem sieht sie ihm nicht ebenbürtig aus, ich meine, sie ist nicht so hübsch. Bin ich das denn? Ich weiß nicht, ich bin smart, hat man mir schon mal gesagt. Wer’s glaubt … Ich habe einen drahtigen Körper – dafür gehe ich dreimal die Woche auf die Fläche (ich meine ins Fitnessstudio) – und vom Gesicht, das müssen andere entscheiden. Ich hätte gern dichtere Haare, seine zum Beispiel, und finde, dass meine Kopfform wie ein Ei aussieht, aber …

Jetzt hat er mich gesehen. Gott sei Dank! Verdammt, die Frau lässt ihn nicht los. Würde ich ja auch nicht tun!

Er läuft über die Straße, das junge Mädchen wartet vorm Lokal und wie es scheint: sie gestikuliert mit den Armen, ärgert sich wohl über ihn, sie verlassen zu haben.

„Hallo, Herr Oooo’sswell!” Unglaublich, er hat sich die Dehnung gemerkt. Da ist was …

Jetzt steht er vor mir, grient.

„Hi, Roberto, ich wollte Sie nach Haus fahren …”, blies ich ihm entgegen, verlegen – und das passiert ausgerechnet mir – eigentlich hätte ich besser erst fragen sollen, wie es ihm ergangen ist. Ich habe wieder diesen Ton in der Stimme, jetzt hüstle ich sogar. Magnus, nimm’ dich zusammen!

„Geht nicht, Magnus”, posaunt er mir entgegen. Grinst wieder. Auch Verlegenheit? Diese Zähne …

Magnus, nanu? Er muss meinen Gedanken gelesen haben, ein pfiffiger Kerl.

„Ich halt’s mit der Gleichberechtigung”, sagt er lachend und streicht sich die Locken aus dem Gesicht. „Leider, nein, meine Kollegin bringt mich nach Hause!”

„Leider?” Als mir das so rausrutscht, schiele ich ihn von der Seite an. Hoffe, dass er darauf eine Antwort gibt. Das hört sich doch so an, als ob er gern mit mir losgezwitschert wäre …, jubiliert es in mir.

„Ehrlich. Aber ich halte Verabredungen ein, und dies war eine mit ihr.”

„Kollegin?”, wiederhole ich zaghaft. Schließlich möchte ich doch wissen, woran ich bin. Man kauft nicht gern eine Katze im Sack. Scheißkerl, sage ich mir. Eins ist mir doch klar, ich habe wenigstens Geld. Also bin ich ihr überlegen!

„Nächstes Mal!” Schon will Roberto wieder die Straße überqueren, da rufe ich hinterher:

„Und wann?”

„Kommenden Mittwoch, einverstanden?” Und ob. Er grinst, während er sich auf den Weg macht. Er geht rückwärts, wie er es gewohnt ist, was hier bestimmt leichtsinnig ist, winkt, und das tut mir gut. Zwar bin ich unverrichteter Dinge hergekommen, aber kann doch einen Erfolg einheimsen, er ist gewillt. Ob ich richtig liege?

Ich öffne das Dach meines Autos, selbstverständlich hier mit allerlei Brimborium – im Übrigen dauert es bei diesem Fahrzeug immer länger – vertäue seine Enden an den vorgesehenen Klammern, öffne mit Bravour die Fahrertür, schlage sie mit Karacho zu. Da kein Wagen in Sicht ist, fahre ich mit einem kräftigen Schwenker in die Fahrbahnmitte, lasse die zweite, verbotene Fanfare aufheulen, als ich beide erreichte und trete vehement aufs Gas. Das Auto macht dadurch einen Hopser. Ich hatte das Pedal zu abrupt nach unten getreten. Blödmann! Außerdem war es viel zu laut, finde ich, aber ich bin nun mal extrovertiert und möchte auffallen.

Ob die beiden geglotzt haben? Ob sie mir hinterher sehen?

Manchmal habe ich mich gegen meine Angeberei gewehrt. Sie steckt in mir, ich möchte für andere zum Blickfang werden, obwohl ich nicht viel davon habe. Aber allein das Gefühl macht mich an.

Das war schon immer so. Ich glaube, meine Ellies haben mich zu dem gemacht, die schoben mich immer in den Vordergrund, wo immer sie mit mir hingingen. Das hat sich auch heute nicht geändert. Mein Pa ist versessen auf mich. Er prahlt zu gern mit seinem Sohn, sagt allen möglichen Leuten, wie stolz er auf mich sei und der letzte Satz von ihm lautet meist:

„Und das in seiner Jugend.”

Für gewöhnlich hüstelt er hierbei verlegen, manchmal kann er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Je nachdem, wie seine Gesprächspartner sind, setzt er noch einen drauf.

„Er ist schon jetzt ein Bankprofi. Er wird bald die Leitung unseres Hauses übernehmen!”

Ich ziehe mich bei soviel Lob in mein Inneres zurück und spiele das Unschuldslamm, das nichts gehört hat.

Hoffentlich hält Roberto mein Gehabe nicht von seinem Versprechen ab. Aber sagte er nicht, er hielte Verabredungen?

5. Beobachtungen (Roberto)

Da steht er schon wieder! Genau unter der Laterne. Natürlich will er mir imponieren. Pedro hat auch schon rübergeglotzt. Hoffentlich hat er nicht bemerkt, dass das Auto mir gilt. Tut es bestimmt.

Verdammt, was ist heute bloß hier los? Dazu steht Teresa voll neben sich. Was hat sie denn? Mit ihrem Freund Zoff? Das ist so ein Brutalo, er hat sie neulich abgeholt. Sie sagt, er sei Kroate. So sieht er auch aus, ein Quadratkopf, Gefahr strömt aus seinem Gesicht wie Wasser aus einem To…spüler , ein Broccoliohr (wahrscheinlich hat er geboxt), massige Statur, Haare kurz gehalten, nur oben auf der Platte eine kräftige durchgehende Strähne. Laszives Grinsen, widerlich. Was sie an dem hat? Ein Körperteil wird’s sein. Sonst kann man sich doch so einem Typ nicht anvertrauen?

Ich möchte jemand haben, auf den ich blind zählen kann, der mich festhält, meine Sorgen mit mir teilt, der auf meiner Welle liegt. Sport gehört dazu. Ich bin ein Fußballfreak. Zu Kunstausstellungen muss er sich nicht zwingen lassen, er muss von allein mitkommen, schließlich will ich Fotograf werden.

Ja, ich mache dies hier gern, und verdiene gut, aber auf die Dauer ist Kellnerei einseitig. Außerdem bekomme ich kräftige Waden, was ich mir aber wünsche, ist ein knackiger Hintern.

Immer für andere da sein, ständig grinsen, pausenlos Unfreundlichkeiten einstecken, na, und körperlich ist die Arbeit auch nicht ohne. Bestimmt nicht.

„Ja, ich komme ja schon!”

Dass Pedro uns ständig unter Strom hält! Niemand von den Tischen hat gewinkt. Er aber will, dass wir uns erkundigen, ob es schmeckt, ob man noch Wünsche hat, vielleicht …

… Noch ein paar Kartoffeln, der Herr? ...

Das kotzt mich ehrlich an. Die werden schon rufen, wenn sie uns brauchen.

Was macht Magnus denn da draußen? Schleicht ums Auto …?

Wann tun das Leute? Wenn sie einen Platten feststellen, wenn sie Schrammen begutachten, die jemand mit dem Schlüssel aus Wut oder Übermut fabriziert hat, wenn sie zeigen wollen, dass sie zum Wagen gehören, wenn sie irgendwas vom Auto klauen wollen und sonst? Ich weiß nicht.

Wie er sich jetzt hinstellt. Beine breit!

Männer stehen oft so. Man hat das gesetzlich verboten, des öffentlichen Ärgernisses wegen, aber welcher Kerl kümmert sich darum, sein Bedürfnis tötet jede Scham! Männer sind darin hemmungslos. Ich denke nur an all die Fans, die sich nach einem Fußballspiel unmittelbar am Stadion in die Büsche schlagen. Der Gestank schreit zum Himmel …

Bei uns im Klo zu Hause zeigt ein Männekenpiss an: Sitzen! Da kennt meine Mom nichts!

Muss er wirklich pinkeln? Alte Sau!

Da ist er ja schon wieder. Jetzt telefoniert er. Was will er bezwecken? Alle Leute quasseln unterwegs in ihr Handy. Das ist nichts Besonderes mehr. Es sei denn, man macht’s wie Italienerinnen. Die haben meist vier in den Falten ihrer Handtasche liegen. Man sieht sie überall, die mit ihrem Handy angeben wollen.

Der müsste doch tausend Weiber am Hals haben, denn gut sieht er aus, sein Körper ist wirklich wie der von Beckham. Das blaue Hemd von Montag war durchsichtig, da konnte man seine Nippel erkennen, ziemlich lange, und den Sixpack. Er hält was auf sich. Er ist nicht mein Typ. Ganz und gar nicht. Vielleicht gerade noch seine Umrisse. Sieht wie ein gewichtiger Gernegroß aus, hat vielleicht ne kleine Klitsche an der Backe. Ich schätze mal: einen Kunstladen oder ein edles Papiergeschäft. Die sind nur hinter dem Zaster her. Ewig diese Geldkacke im Kopf. Ich habe nicht viel dafür übrig. Ich verdiene genug, kann sogar sparen und später die Fotoschule in Warschau bezahlen. Leider werde ich nächstes Jahr gegen den Wunsch meiner Eltern abhauen. Mit Kellnerei ist dann nicht mehr.

Es ist spät geworden. Endlich sind alle Gäste weg.

Heute habe ich allein an einem Tisch vierzig Euro bekommen. Den Nebentisch hat Pedro abkassiert, weil Raphael gerade eine Taxe holte. Ich habe genau gehört, wie er sagte: 329 Euro, darin sind aber 60 Euro Mehrwertsteuer enthalten.

„Dann schreiben Sie mir sechshundert + Mehrwertsteuer auf”, flüsterte der Mann und zwinkerte mit den Augen. Ich hab’s mitbekommen. Pedro ist nach hinten geeilt, hat per Hand eine Rechnung ausgestellt. Genau das sieht edel aus und vertrauenswürdig. Das Finanzamt wird jubeln.

Ich bin doch nicht blöd. Ich weiß, was das bedeutet, mein Vater hat’s mir erklärt. Das Essen wird dann vom Staat bezahlt, bzw. von der Steuer. Was für Betrüger, und Pedro macht da mit. Das kann es doch nicht sein.

Immerhin habe ich heute ’ne Menge für uns verdient. Monatlich kommen in der Regel für jeden vierhundert bis fünfhundert Euro heraus. Pedro hat da einen besonderen Schlüssel gefunden. Neulich ließ er uns wissen, er würde uns am liebsten Entfernungsmesser in die Absätze einbauen lassen. Dann könnte man nach Metern abrechnen. Totale Kacke!

Ich kümmere mich nicht um die Verteilung. Für Geld buckle ich nicht. Ja, man muss genug zum Leben haben und ein bisschen mehr, aber sonst? Allenfalls brauche ich es zum Sparen für meine Zukunft. Aber wenn ich dann berühmt bin …

Pedro schließt das Trinkgeld weg. Den Obulus auf seine handgeschriebenen Rechnungen behält er stillschweigend.

Na ja, schließlich arbeite er ja auch, belehrt uns Samuel.

Teresa mault herum. Ihren Tresen hat sie allerdings schon gesäubert. Sie ist von der schnellen Truppe. Mein Alter nennt solche Geschöpfe Blitzmädchen. Ich weiß nicht, was er damit meint. Er sagte, der Begriff stamme aus dem Krieg. Woher soll ich das wissen? Der liegt 60 Jahre zurück. Allerdings hatten sich vier Jungen in der Klasse mal einen alten Film reingezogen. Ich war dabei. Fritz fand ihn im verstaubten Archiv der Schule, wo Fahnen herumstanden und alte Atlanten lagen. Der hieß: Mädels an die Front! Die hatten aber Soldatenspezifisches abzuarbeiten.

Pedro weiß, was er an ihr hat. Sie will mich heute wieder nach Haus fahren. Das macht sie jeden Freitag, weil’s für mich so spät wird. Ich wohne in Eidelstedt, sie in Lurup. Das passt gut. Aber öfters lasse ich mich nicht mitnehmen. Ich hasse Abhängigkeit, und irgendwann kommt die Rechnung, hat mein Vater gesagt. Er gab mir zu bedenken, dass niemand etwas ohne Gegenleistung mache. Aus Nettigkeit wasche keine Hand die andere! Schon gar nicht, wenn sie schmierig ist.

„Im Gegenteil, die Forderung wird nach einer bestimmten Zeit präsentiert und sie ist viel höher, mein Sohn. Finger davon!”

Ich werde auch vorsichtig mit dem da drüben verfahren. Soll ich hinübergehen?

Natürlich gehe ich … ich weiß auch nicht … der reizt mich. Was wird Teresa sagen? Ach, ich erkläre ihr einfach, er sei ein Freund von mir, und ich würde ihm nur Bescheid geben. Mehr nicht.

Freund? Mann, Lügner. Egal. Sie kann’s nicht wissen.

Der wartet tatsächlich schon mehrere Stunden auf mich, wie neulich. Hoffentlich kein … Na was denn?

Ich sprinte auf die andere Seite. Mir ist, als habe ich es mächtig eilig.

Stimmt, aber eine Straße ist schließlich keine Arena.Er steht am hinteren Kotflügel, eine Zigarette im linken Mundwinkel, die Lippen geschlossen, lässig, lässig, nein blöd, lässig … seine Hand auf dem eingerollten Verdeck. Sieht verdammt salopp aus. Er ist wohl so ein abgefahrener Typ. Er hat vergessen, den Hosenstall zu schließen. Also hat er gepisst. Dieses Schwein!

Mann, er ist ja aufgeregt. Jetzt hampelt er ständig von einem Fuß auf den anderen, wo er mich kommen sieht. Was hat er bloß? Neulich schon die zitternden Hände. Lass die Finger von einem Irren, Roberto.

Wie er mich angestarrt hat. Also ob er mich auffressen wollte. Ist wohl ein Krokodil. Jetzt wirft er die Kippe auf den Asphalt. Umweltverschmutzer! Dennoch zieht es mich zu ihm. Seine strahlenden Augen, sein rassiger Körper. Zu dumm mit Teresa.

„Hi, Roberto, ich wollte Sie nach Haus fahren!”

Mensch, wieder der Vorname. Ich sage auch einfach Magnus. Warum nicht? Ist ja privat! Mal sehen, wie er darauf reagiert.

Damit hat er nicht gerechnet, denn er stutzt. Wie nett sein Gesicht dabei aussieht. Nicht so blasiert, endlich normal. Richtig gut.

„Leider nein!”

Das 'Leider' ist mir einfach so herausgerutscht. Sofort wird er hellhörig. Er richtet sich auf, ist so groß wie ich, hat runde Schultern, die Lederjacke macht ihn sogar besonders sympathisch und der Schal steht ihm gut. Blauschwarz gestreift. Up to date. Ein bisschen zu lang, bis zum Bauchnabel!

Sein Profil im Halbschatten … kein schlechtes Bild. Vielleicht hat er auch Interesse an der Fotografie. Das wäre ideal, dann gäbe es immer Themen und zu tun. Nacktfotos müsste er sich auch gefallen lassen, sie gehören zu jedem Künstler, ob Maler, Bildhauer, Fotograf. Alle versuchen sich in diesem Metier. Habe ich gehört, oder ist es eher, dass sie sich ergötzen? Wie auch immer, mein künftiger Beruf wird mich auch dazu zwingen. Eher verleiten?

Teresa ruft. Ich muss zurück.

„Ehrlich …” Habe ich mich verraten? Spürt er, dass ich ihn trotz der Arroganz neulich mag? Wenn er wüsste, wie mir seine Stimme gefällt. Das Rollen im R. Kein Alt, kein Bariton, nein, tiefster Bass. Wie unser Klassenlehrer. Seine Tonlage hat alle mitgerissen. Da gab es keine Müdigkeit, und wenn gequatscht wurde, seine Stimme hat dazwischen gefunkt, mit Erfolg. Überhaupt war die Schule total Mega. Sie war am Berliner Tor …

„Nächstes Mal …” Ohne weiter nachzudenken, will ich zurück. Gott sei Dank ruft er mir nach, wann das sein soll. Ich bin doch eine dumme Sau. Vergesse, ihm einen Termin zu geben. Nachdem ich das nachgeholt habe, renne ich zu Teresa.

„Wieso läufst du rückwärts übers Pflaster?”, fragt sie kopfschüttelnd.

„Wieso, wieso? Weil wir’s aus dem Scheißlokal gewohnt sind!”

„Sag mal, hast du sie nicht alle, das ist doch kein Grund. Stell dir vor, ein Auto …”

„Ist es aber nicht …”

„Ein Macker von dir? Ziemlich abgedreht. Mit so einem Krach und Hupen vorbei zu fahren. Du hast komische Freunde.”

Zuerst lasse ich sie abblitzen. Sie kennt nämlich keine meiner Leute, und einfach so daher reden …

Dann bin ich aber nett zu ihr, ziehe aus meiner Jeansjacke eine Tafel Schokolade, breche einen Riegel ab und schiebe ihr den genüsslich in den Mund. Sie sagt:

„Du bist doch ein netter Kerl. Und hübsch obendrein!” Das ist das erste Mal, dass sie mich das wissen lässt.

6. Im Restaurant (Roberto)

Pünktlich um sieben Uhr fährt ein Riesenschlitten vor. Die Fenster hinten sind abgedunkelt. Wer kann sich so ein Auto leisten? Ein Afrikaner chauffiert. Seine Livree ist ausgefallen. Einfach verrückt. Nennt man das nicht Dienstuniform? Wie auch immer! Ob Magnus sich noch an den Tisch erinnert, den ich ihm vorgeschlagen habe? Sicher ist der Abend mit einem Supertrinkgeld verbunden.

„Nein, Wahnsinn!”, stoße ich plötzlich unkontrolliert aus, als ich Magnus sehe. Ich blicke mich ängstlich um, fühle, dass man mich anstarrt. Pedro winkt mich zu sich und fragt, wer das sei und wieso ich mich nicht zusammennehmen könne. Ich antworte ihm, dass der Sohn für heute Abend einen Dreier bestellt habe, dass ich aber nicht einschätzen konnte, mit welchem Wohlstand er sich umgibt. Pedro nickt.

Das wird sein Tisch!

Schade, ich hätte dort gern bedient. Geflirtet? Nein, das kann man vergessen, Geld einkassiert! Nicht für mich allein, für alle. Das ist bei uns so.

Der Fahrer springt aus dem Wagen und öffnet die Fondtüren, beflissen wie aus einer Mannschaft wegen Spielverweigerung verbannte Fußballprofis. Zuerst steigt der Vater von Magnus aus, dann seine Mutter. Beide top gekleidet. Sogar festlich, wie es sich für unser Haus gehört. Vielleicht ein Geburtstag?

Magnus?

Sein Outfit lässt darauf schließen.

Die blonden Haare sind hoch gestrubbelt. Seine Figur macht alles möglich. Er trägt einen grauen Zweireiher mit sechs Knöpfen – vier hätten es auch getan – das Cover geht bis zum Schritt, die Hosenbeine verjüngen sich, reichen nur bis zum Knöchel – mit Aufschlag. Und jetzt der Hammer, dazu rote Riemchen–Sandalen, die Füße bloß. Unter dem Jackett ein blau gestreiftes Sweatshirt mit Rundhals. So etwas habe ich neulich von Kilian Kerner gesehen. Den jungen Mann begleiten viele Augenpaare, was ich sofort bemerke. Wie ein Lockvogel. Für wen?

Mir ist, als sehe ich ihn durch eine Linse, ein Porträt vor Augen, das ich gern knipsen würde. Seine Körperhaltung stellt klar: hier bin ich, Magnus, Kronprinz von … Bei der Platzreservierung sah er seriös, aber modisch aus, heute dagegen wie ein Model im letzten Modeschrei. Führt er abends ein anderes Leben als am Tag? Entledigt er sich abends seiner Geschäftsuniform?

Was wohl seine Eltern dazu gesagt haben? Sie jedenfalls sehen solide aus, nicht überstylt, trotz des Autos und eines Chauffeurs. Seine Mum geht kerzengerade, als habe sie einen Stock geschluckt, sein Vater gebeugt, na ja, bei dem Sohn …

Magnus geht voran, eher: stolziert, während das Fahrzeug hinter der nächsten Kreuzung verschwindet. Pedro stellt sich an die Tür und verbeugt sich tief. Unterwürfigkeit ist angebracht, meint er immer, wenn uns wohlhabende Gäste besuchen.

Schleimscheißer! Ich eifere ihm nicht nach, und die anderen?

„Buona sera! Per favore!”

Mit diesen Worten und entsprechenden Handbewegungen zeigt Pedro auf den Tisch, den ich Magnus versprochen hatte, schreitet voran, zieht den ersten Stuhl vor, Magnus’ Mum nimmt Platz. Sein Vater wartet, bis Pedro auch seinen Stuhl bewegt hat.

Ist das eine Kackfamilie!

Magnus lässt sich nicht helfen. Ein Pluspunkt für ihn! Trotzdem.

Schon sehe ich seine Augen umherflitzen. Galt das Blinzeln nicht mir? Natürlich. Kopfnicken, Magnus möchte sicher, dass ich die Speisekarte vorlege.

Pedro ist schneller. Schon übergibt er jedem ein Exemplar und wartet, die Hände fein auf dem Rücken zusammengeschlagen. Alles nach Vorschrift. Er ist wirklich ein guter Gastwirt. Dann höre ich ihn leise sprechen: er empfiehlt als Vorspeise Bärlauchsuppe mit Sahnehaube, dann Lachsforelle mit Kräuter–Senfkruste (phantastisch) und was er zum Nachtisch vorschlägt, kann ich nicht verstehen, denn er beugt sich über den Tisch, als sei sein Dessert ein Geheimnis, dann schnellt er zurück.

„Rotwein, ein einfacher Merlot, 1981!” Er passe genial dazu.

Übertrieben, natürlich! Pedro ist ein Schlitzohr. Der Jahrgang macht die Flasche teuer.

Magnus’ Miene ist säuerlich. Genauso verziehe ich die Lippen, wenn ich an Buttermilch riechen muss. Er entpuppt sich als ungezogener Sohn. Aber eigentlich kann ich ihn verstehen. Wenn man sich etwas in den Kopf gesetzt hat, was durchkreuzt wird … Allerdings weiß er noch nicht, dass zwischen uns nichts sein wird. Ich werde den Termin absagen. Ich kotze auf sein Milieu, allenfalls nicht aufs Trinkgeld. Man muss seinen Prinzipien treu sein. Menschen mit soviel Geld passen nicht zu mir. Wirklich nicht! Die können noch so hoch gestylt sein.

Während er bestellt, gehe ich demonstrativ nach hinten. Nur mal ausprobieren, ob meine Taktik gelingt. Mehr nicht! Ich drehe mich um und sehe, – nach den Bewegungen seiner Mum gegenüber – wie sich Magnus entschuldigt. Er erhebt sich, folgt mir. Hoffentlich hat niemand etwas bemerkt. Bestimmt hat er sie wissen lassen, dass er mal müsse …, vielleicht aber auch, dass er sich die Haare kämmen wolle, ist doch vornehmer!

Wir stoßen an der schmalsten Stelle des Ganges zu den Toiletten aufeinander. Nein, ehrlich, ich habe da gewartet, ich hatte einen Riecher, dass er mir folgt. Er wird mein Grinsen bemerkt haben, ein schadenfrohes Lächeln. Wenn er wüsste, dass unser Date nichts wird. Trotzdem: Mein Plan ist aufgegangen. Bin ich nicht ein Topschuss?

Wie der Zettel so schnell zwischen seine Finger gelangt ist, weiß ich nicht. Er ist einfach da. Was will Magnus? Eh ich mich versehe, drückt er sich von der Wand ab, steht handbreit von mir entfernt. Ich rieche wieder, dass er qualmt. Noch etwas, was nicht zu mir passt.

Grüne Augen!

Ich habe das Meer um die malidivischen Atolle vor meinen Pupillen.

Da träumt man wochenlang, monatelang. Alle um einen herum haben Freunde, Freundinnen, Partner oder irgendjemand oder etwas, nur man selbst ist allein. Und dann steigen Sehnsüchte auf, man stellt sich vor, wie jemand aussehen müsste, und plötzlich steht er vor einem. Man blickt ihn sprachlos an, weiß nicht, was man sagen soll, ist fasziniert vom Gesicht. Nur das ist es, seine Züge, seine Haare, sein Lachen. Noch fehlt jede Kenntnis des Charakters, man hat nur das Antlitz im Kopf, das ausreicht, einem den Atem zu rauben. Man ist sich noch nicht sicher. Man möchte sofort etwas sagen, fragen, ihn sogar berühren, aber man bleibt schüchtern, hat Angst, und doch wieder hofft man.

Grüne Augen. Unglaublich.

Am liebsten würde ich in ihnen baden. Türkis, wie das Meer bei Karpathos, so etwas hatte ich noch nie von nah gesehen: blond und grün. Wirklich. Erstaunlich die Farbe für einen Kerl aus einer Familie italienischer Abstammung. Möglich, dass er germanisches Blut in den Adern hat. Na, das wäre ein Ding!

Unsere Schenkel berühren sich, mein Herz klopft. Jetzt sein zartes, verlegenes Lächeln.

Verlegen? Ja, finde ich.

Der hat bestimmt zig Models an der Backe …

Da hört doch alles auf.

So schnell wie er handelt, kann ich gar nicht denken. Seine Hand bohrt sich sekundenlang in meine linke Hosentasche. Ausgerechnet in die. Sie ist nämlich am Ende zerrissen, und auf Unterhosen verzichte ich bei unserer Geschäftskleidung immer, ich schwitze durch das Hin– und Hereilen – eigentlich mehr schreiten – laufen ist übrigens untersagt – schon genug. Schwarze weite Hosen, weißes Stehkragenhemd und gestreifte Weste. Kein schlechter Anblick. Das sagte gestern auch Teresa und nahm ihre Blicke nicht von meinem Hosenschlitz.

Was für eine Frechheit. Was nimmt Magnus heraus? Nur weil er nach Geld stinkt? Unverschämt. Mein Schwanz wird lebendig. Nur eine kurze Berührung. Mir ist, als wäre ich im Schwitzkasten, aus dem ich mich nicht befreien kann. Wozu Menschen fähig sind, wenn sie etwas erreichen wollen? Mir kommt Pedro in den Sinn, ist er anders?

Mein Gott, ich bin über mich erschreckt. Noch ein Griff.

Bloß an Pedro denken, ablenken.

Mit den Küchenfrauen lässt sich eine Menge anfangen, das hat er oft von sich gegeben, und manchmal kann man tatsächlich sehen, dass er sie einfach begrabscht. Sie lassen sich die Berührung gefallen, Angst um den Job, glaube ich.

Magnus lacht. Ich glotze säuerlich aus der Wäsche.

Seine Züge strahlen Ironie aus. Vielleicht Hoffnung? Wenn schon, keine Zugeständnisse!Peinlich ist es mir doch. Ich trete auf einen seiner Füße. Das muss wehgetan haben, er gibt mich frei.Ich springe zur Seite, so dass seine Hand aus meiner Hose rutscht. Dann verschwindet er in der Toilette. Ich gehe auf unser Mitarbeiterklo. Bei uns herrscht Ordnung.

Was das wohl für ein Zettel ist? Hastig reiße ich ihn auseinander: Eine E-Mail Adresse. Außerdem: Ich muss dich eher sehen. Magnus.

Ich verlasse die To und kehre in unseren Gastraum zurück. Pedro ist wütend. Sein Blick verrät, dass er mich am liebsten auffressen würde. Er musste die Suppe am Dreier selbst servieren. Mir macht’s Spass.