Mein Freund heisst Dracula - Lilia Ressil - E-Book

Mein Freund heisst Dracula E-Book

Lilia Ressil

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Beschreibung

Anna, die Mutter von Aisha und Djibril will aufgrund der Trennung von ihrem Ehemann einen Neuanfang wagen. Ihre Tochter ist von dem jedoch wenig begeistert und sieht diesen Umzug als eine negatives Erlebnis an. Doch am Neuen Ort findet Aisha schnell neue Freunde. Aber da ist jemand... jemand der sie verfolgt, sie stalkt. Wer ist dieser Typ? Mit ihrer neuen Freundin Samira, will Aisha herausfinden, wer er ist und was er von ihr will. "Aisha!" schrie meine Mutter vom Wohnzimmer. "Dein Schulfreund ist hier!" "Liam?" Das konnte fast nicht sein. Auf der letzten Stufe der Treppe drehte ich mich zur Eingangstüre um und blieb stehen. "Verschwinde von hier!", entfuhr es mir. Meine Mutter kam aus der Küche und schnaubte mich an. "Was ist denn los, habe ich dir nicht beigebracht freundlich mit deinen Mitmenschen umzugehen?" "Mam, das geht dich nichts an!", schellte ich zurück. Ich sah, dass es Aiden unangenehm war, dennoch schlug ich ihm die Türe vor der Nase zu und rannte wütend in mein Zimmer und knallte auch diese zu. Da sah ich, dass etwas auf meinem Bett lag und lief zögerlich näher heran. Es war ein Zettel, auf dem stand: "Ich weiss, du hast viele Fragen und bist wütend, aber lass es mich bitte erklären." Ich warf ihn direkt in den Abfalleimer und versuchte mir keine Gedanken mehr über Aiden zu machen, obwohl mir das Ganze langsam tierisch auf die Nerven ging.

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Seitenzahl: 168

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Prolog

Im Jahre 2015 sass ich an der Höheren Fachschule Gesundheit und Soziales und hatte die grossartige Idee ein Buch zu schreiben. Ich liess mich von meinen Gedanken inspirieren … Versuchte es zumindest. Zu dieser Zeit hatte ich eine Kollegin, die mir beim Anfang des Projektes half. Wir trafen uns auf einen Kaffee und trugen die Ideen zusammen. Leider blieb es nur bei diesem einen Treffen und kurz darauf teilte sie mir mit, dass sie nicht weiter an dem Buch arbeiten könne aufgrund privater Umstände. Ich war nach dieser Message ein wenig lustlos, verstand aber, dass ein solches Unterfangen doch zeitraubend sein würde. Doch mein Ziel war es, weiter daran zu schreiben und etwas Herausragendes und Lesbares auf die Beine zu stellen. Mein angefangenes Buch lag aber während fünf Jahre irgendwo in der untersten Schublade. In diesem Jahr, wir schreiben mittlerweile 2020, habe ich jedoch nochmals das Manuskript voller Ehrgeiz hervorgenommen und machte mich an die Arbeit.

Zu der Erzählung, die sich in meinem Heimatdorf abspielt, habe ich möglichst genaue Angaben der Strassen, Gebäude oder der Umgebung gemacht. Ich wollte eine Mischung zwischen Realität und Fantasie haben. Kombiniert ergibt es dann mein autobiographischer Roman.

Wenn Sie das Buch lesen, finden Sie Situationen, die ich selbst einmal erlebt habe, Namen, mit denen ich Menschen verbinde, die mir wichtig sind oder waren oder Autos, die ich liebe.

Kapitel 1 Irgendwann im Jahre 2015

Mit meinen Händen stützte ich mich auf dem Fenstersims ab und schaute auf die Wiese, auf der die Nachbarskinder Fussball spielten. Sie sahen so glücklich und ohne Sorgen aus. Während sich meine Gedanken um den Umzug drehten, schien mir die Sonne ins Gesicht und gab mir ein warmes, aber dennoch unangenehmes Gefühl. «Bist du fertig?», rief eine Stimme, die aus dem Flur ertönte und riss mich in die Realität zurück. Ich drehte mich um, lief zum Bett und setzte mich. Meine Gefühle waren so durcheinander, sodass ich nicht wusste, was ich von all dem halten sollte.

«Was ist denn los, mein Schatz?» Meine Mutter hockte sich neben mich und sah mich an. Meine Blicke schweiften im Zimmer umher, bis ich bei meiner alten braunen Kommode innehielt.

«Ich habe Angst.»

«Angst vor was?»

«Angst vor dem, was kommt.»

«Ich weiss, dass es schwer für dich wird, ein Umzug ist nie leicht, aber wir brauchen diesen Neuanfang.» Sie gab mir je einen Kuss auf meine Wangen, lief bis zum Türrahmen und drehte sich noch einmal zu mir um. «Ich gebe dir, wie versprochen, die Zeit, die du benötigst. Dafür gibst du dem neuen Ort eine Chance, ich bin mir sicher, dass es uns dort gefällt.» Ich versuchte zu lächeln, um mir den Unmut nicht anmerken zu lassen. Mama war etwas grösser als ich und hatte für ihre 45 Jahre eine sportliche Figur, ein rundliches feines Gesicht und schulterlange hellbraune Haare. Ich hingegen war mit meinen 160 cm eher klein geraten und etwas kurviger. Die schwarzen glatten Haare reichten mir bis über die Hälfte meines Rückens. Dieselben schwarzen Haare, wie sie mein Vater trug.

«Kommst du mit nach draussen?»

«Nein, Djibril, Ich muss noch meine Sachen fertig packen.» Mein Bruder, der mit seinen fünfzehn Jahren schon grösser war als meine Mutter, hatte, wie ich, schwarze dicke Haare, die mit Gel nach hinten geglättet waren. Mit seinen grossen haselnussbraunen Augen schaute er mich traurig an und verliess mein Zimmer.

Am nächsten Morgen, es war neblig und kühl, wachte ich schweissgebadet auf. Meine Augen waren weit aufgerissen und der Puls, den ich am Hals pochen spürte, machten mich nervös. Ich blieb fünf Minuten in meinem Bett liegen und versuchte mich mit Atemübungen, die ich in der Schule gelernt hatte, zu beruhigen. Nachdem sich der Puls wieder normalisiert hatte, lief ich ins Bad, um mir das Gesicht mit kühlem Wasser zu waschen.

«Los jetzt, Schwesterherz, ich muss mal.» Djibril war wie immer ungeduldig und hämmerte gegen die Tür. Nachdem ich mich etwas frisch gemacht hatte, ass ich mein Frühstück, welches mir Mama in der Küche bereitgestellt hatte. Kurz darauf begab ich mich zu meiner Freundin, denn ich wollte mich vor dem Umzug noch verabschieden. Auf dem Weg zur Busstation wusste ich nicht, wohin mit meiner Trauer. Der Gedanke daran, dass ich Sara eine längere Zeit nicht mehr sehen würde, zerriss mich innerlich. Die Fahrt zu ihr dauerte zwanzig Minuten und der Bus hielt direkt vor ihrem Haus. So lief ich nur ein paar Schritte, bis ich an ihrer Haustür klingeln konnte. Als sie die Tür aufmachte, sprang sie mir gleich in die Arme und vergrub ihr Gesicht in meinen Schultern. Sara war so schlank, dass ich sie vollkommen umarmte und sie hochhob. Ihre dunklen Augen funkelten und die braun-schwarz gelockten Haare fielen locker auf ihre Schultern.

«Bitte, hör auf zu weinen, Süsse, du weisst, dass ich nicht hier bleiben kann, meine Mama will unbedingt einen Neuanfang in dieser langweiligen Gegend.» Sara lachte, denn sie kannte mich, ich war seit Neuestem allem gegenüber negativ eingestellt. Doch diesmal sah es anders aus. «Heute, als ich aufgewacht bin, ich meine in der Nacht, da hatte ich einen Albtraum …»

«Aisha, du weisst, dass ein Albtraum nur ein Albtraum bleibt?»

«Weiss ich ... Doch der war anders, er war irgendwie echt!»

«Was hast du denn geträumt?», hackte sie nach. Da sie meine beste Freundin war, verheimlichte ich ihr nichts und erzählte ihr, was im Traum vorgekommen war. «Lach jetzt nicht, aber da war ein Vampir, er verfolgte mich und wollte mich aussaugen!»

«Du meinst so ein richtiger Dracula, wie in den Filmen?» Ich habe ihr angesehen, dass sie ernst bleiben wollte, doch kurz darauf prustete sie los und lachte so lange, bis ihr Freudentränen die Wangen hinunterliefen und sie sich die Hände vor lauter Lachen auf den Bauch legte. Ich versuchte ernst zu bleiben, doch ihr Humor hatte mich angesteckt. Nach geschlagenen fünf Minuten beruhigten wir uns endlich wieder. Sara und ich beschlossen uns einen Kaffee zu machen und dazu ein Stück leckeren Schokoladen-Kuchen von ihrer Oma zu essen.

«Ich muss los, Süsse, sonst fahren die noch ohne mich ab.» «Das ist super, bleib hier und wir können für immer und ewig beste Freundinnen bleiben!» Ich blickte sie an und konnte mir meine Tränen kaum zurückhalten. «Du wirst immer meine beste Freundin bleiben!» Ich umarmte sie noch einmal ganz fest.

«Ich werde dich vermissen», sagte sie zu mir.

«Ich dich auch.» Wem würde ich denn jetzt all die Probleme erzählen? Und wer muntert mich auf, wenn es mir nicht gut geht? Schoss es mir durch den Kopf. «Aisha!», lachte sie und schniefte. «Lass los, du erwürgst mich noch.» Ich liess sie los, wich einen Schritt zurück und legte meine Hand auf ihre weichen Backen. «Ich werde dich anrufen, sobald ich in Walliswil angekommen bin.»

Ich steckte mir die I-Phone Kopfhörer in die Ohren, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, putzte die Nase und setzte mich auf die Bank im Bushäuschen. Im Bus drehte ich die Musik etwas lauter, damit ich das Gerede der anderen Leute nicht mithören musste. Mein Blick folgte den vorbeigehenden Menschen und während ich mich mit dem Kopf an das Fenster lehnte, liefen alle Erinnerungen, die ich mit Sara erlebt hatte, wie ein Film vor meinen Augen ab. Bei der letzten Station wollte ich aussteigen, da fiel mir ein junger Mann auf. Er war vielleicht Mitte zwanzig. Er hatte ein markantes Gesicht, stahlblaue Augen, umrandet von langen, dichten Wimpern und leicht gewelltes schwarzes Haar. Zudem trug er einen Vollbart. Ich liebe Männer mit Bart, schwärmte ich. Er musste mich offensichtlich die ganze Zeit beobachtet haben, denn unsere Blicke trafen aufeinander, als ich zu ihm sah.

«Zürich-Altstetten», riss mich die Durchsage vom Bus aus dem peinlichen Gestarre. Ich schüttelte ein wenig zu auffällig den Kopf und kam mir dabei ertappt vor. So schnell wie möglich packte ich meine Sachen und eilte an der hübschen Person vorbei. Bevor der Bus weiterfuhr, spähte ich noch einmal kurz in seine Richtung, doch er war weg. Jetzt wirst du noch paranoid, Aisha, dachte ich mir und spöttelte über mich selbst. Beim nach Hause Laufen ging mir dieser Junge einfach nicht mehr aus dem Kopf, aber wie konnte der einfach so verschwinden, meine Augen hatten mich mit Sicherheit nicht getäuscht! Vielleicht hat mir mein Kopf einfach nur einen Streich gespielt, schliesslich war ich sonst schon voll mit anderen Sorgen und er ist gleich hinter mir ausgestiegen … Mit Sicherheit! Zuhause angekommen, lief ich in mein Zimmer, um ein letztes Mal die Aussicht vom Fenster zu geniessen. Dabei liess ich alle Erinnerungen, die ich an diesen Ort hatte, Revue passieren. All die Übernachtungen mit Sara, die Spielnachmittage mit meinem Bruder, als wir klein waren ... Natürlich auch diese Erlebnisse mit Papa. Es machte mir im Herzen weh, dass die Erinnerungen an ihn so verschwommen waren. Aber mit dem hatte ich mich schon seit längerer Zeit abgefunden. Das komische Gefühl im Magen zeigte mir, dass es in mir viele Zweifel bezüglich des Umzuges gab. Es kommt, wie es kommen muss, seufzte ich.

«Aisha, wir fahren bald los, deine Koffer sind schon im Wagen.»

«Ich komme schon, einen Moment.» Meine Mutter drängte uns, wie immer, wenn sie nervös war. «Kannst auch ohne mich fahren, Mam!»

«Ach komm, sei nicht so, Schatz, dein Bruder freut sich auf Walliswil.» Ich schaute zuerst meinen Bruder an, danach schweifte mein Blick zu meiner Mutter. Genervt von der ganzen Prozedur lief ich auf das Auto zu, stieg ein und schmetterte die Autotür zu.

«Wann sind wir endlich da?»

«Nie! Wenn du nicht endlich die Klappe hältst.»

«Aisha, hör auf!», erwiderte meine Mutter.

«Tut mir leid, es ist nur … Du weisst, dass ich da nicht hinwill.» Nun brach wieder eine ausgedehnte Diskussion aus. Mama wollte mir einreden, dass ich den Umzug auf mich zulassen kommen sollte. Doch so einfach war es nicht und das wusste sie. Da wir aber eine Weile zusammen im Auto verbringen müssten, beendete ich die Diskussion, indem ich ihr versicherte, dass ich das schon schaffen werde und sie sich um mich keine Sorgen machen solle. Es herrschte lange Stille, bis sich Djibril zu Wort meldete. «Wann kommen eigentlich all unsere Möbel dort an?»

«Die sollten schon dort sein.»

«Ach so», grummelte er und widmete sich wieder seinem Smartphone zu. Endlich fuhren wir in Richtung Einfahrt zum neuen Wohnort. «Mega», flüsterte mein Bruder und starrte das Haus mit grossen Augen an. Auch ich war ein wenig fassungslos oder eher fasziniert, denn es war riesig und ich hätte es mir wesentlich kleiner vorgestellt, da ich es nur auf Bildern gesehen hatte. Aber alt, das war es. Meine Mutter, Djibril und ich stiegen aus dem Auto und liefen durch das Gartentor, das ein Knarren von sich gab, als ich es aufstiess. Das Anwesen war elegant gebaut und doch unheimlich. Ich berührte die Fassaden des Hauses mit der Handfläche, man konnte deutlich die Spuren des Wetters und der Jahre, die es schon hinter sich hatte, erkennen. Wieder meldete sich dieses mulmige Gefühl in mir, doch ich versuchte den Zweifel zu ignorieren, weil ich vor allem meiner Mutter damit nicht zur Last fallen wollte. «Das ist doch mindestens hundert Jahre alt!» äusserte sich Djibril. «Sogar noch älter», ergänzte meine Mutter.

«Na, grossartig!» Am liebsten wäre ich wieder ins Auto gestiegen und zurück nach Hause gefahren, doch ich musste mich jetzt dieser neuen Situation stellen und etwas daraus machen, etwas daran zu ändern war zwecklos. So trug ich demotiviert die Koffer und Taschen vor den Eingang des neuen Zuhauses und ergriff die Schlüssel, die mir meine Mutter während der Fahrt in die Hand gedrückt hatte. Sie meinte, ich solle die Erste sein, die in das Haus eintritt, damit ich mich «anfreunden» könnte. Es würde nicht viel bringen, doch Mama zuliebe tat ich, was sie von mir verlangte. Zögernd drehte ich den Schlüssel im Schloss, bis es klickte, drückte die Klinke nach unten und gab der alten knarrenden Tür einen Schubs. Oh Gott! Schlimmer kann es nicht werden. Doch das übertraf definitiv meine Vorstellungen. Vor mir war eine riesige Eingangshalle, in der mittig eine lange Treppe nach oben führte und nach links verlief. Die Stufen selber sahen nicht mehr so stabil aus, obwohl die Maklerin uns versicherte, dass das Gebäude erst renoviert worden sei. Links von mir war die Küche. Ich drückte meine Hände gegen den Türrahmen, um mich mit meinem Oberkörper nach vorne zu beugen. Ich drehte meinen Kopf nach rechts und erblickte einen schwarzen, uralten Schrank, der über beide Türen mit einem Spiegel versehen war. Langsam hob ich einen Fuss und übertrat die Schwelle nach innen zur Eingangshalle. Es war kühl und dunkel, denn so, wie ich das bis jetzt gesehen hatte, verfügte die Villa nicht über genügend Fenster, wie man es im 21. Jahrhundert kannte. Etwas hier drinnen gefiel mir nicht. Doch nichtsdestotrotz begab ich mich zum schwarzen Schrank, um ihn mir von Nahem anzusehen. Ich führte die Fingerspitzen auf dem gemustertem Holz entlang zum kleinen Griff und öffnete die quietschende Tür.

«Na, was sagst du, Aisha?»

«Was soll ich sagen, ich werde wohl den Rest meines Lebens unglücklich sein.» Mama lief hinter mich, legte eine Hand auf meine Schultern und sagte seufzend: «Du bist hier, und das ist das Wichtigste.»

Kapitel 2

«Hallo, Sara! Es ist schrecklich hier! Das Haus ist uralt und überall knarrt es. Mein Zimmer ist dunkel und ich …» Meine Freundin unterbrach mich. «Ok, ganz langsam, ich weiss, es gefällt dir nicht, wie schon befürchtet. Wir sind ein paar sehr viele Fusskilometer voneinander entfernt und ich kann jetzt nicht in den nächsten Bus steigen und zu dir zu kommen, das heisst, du beruhigst dich jetzt!»

Ich atmete tief durch und sammelte all meine Gedanken und ordnete die Gefühle. Doch die Tränen liefen mir wieder über die Backen und ich versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. «Dass es dir nicht gefallen würde, wussten wir beide schon, bevor du dorthin gezogen bist. Aber versuch es, vor allem für deine Mutter. Du wirst auf eine neue Schule gehen und lernst neue Freunde kennen oder wer weiss, vielleicht einen süssen Jungen.»

«Ha, ha, wie witzig!», spottete ich. «Das kann es doch nicht einfach gewesen sein?»

«Ist es auch nicht, Aisha, aber das ganze braucht Zeit und die wirst du dir nehmen müssen.» Ich war einen Moment lang still und sagte einfach nichts.

«Ist es in Ordnung, wenn wir morgen wieder telefonieren? Ich brauche ein wenig Zeit, um das Ganze zu verarbeiten.» Bedrückt sass ich auf meinem Bett. In einem Zimmer, das zu gross und düster war. Meine Stimmung war noch schlechter, als dass sie ohnehin schon gewesen war. «Aisha!», rief Djibril. «Es gibt Abendessen.» Mein Bruder stand in der Tür zu meinem Zimmer, ich sah ihn an und er merkte sofort, dass etwas nicht mit mir stimmte. Er setzte sich neben mich und nahm mich in den Arm.

«Ich weiss, dass du diesen Ort nicht magst, aber vergiss nicht, dass ich immer für dich da bin.» Ich liebte meinen Bruder für seine einfühlsame Art, die er besass. Er war vielleicht jung, aber er war weitaus reifer als andere Jungs in seinem Alter.

«Danke», flüsterte ich ihm ins Ohr und drückte ihm einen dicken Kuss auf die Backe.

Beim Abendessen war es still. Djibril brach wieder einmal das Schweigen und fragte, wem dieser schwarze Schrank gehöre. «Die Maklerin hat mich vor dem Kauf gefragt, ob es in Ordnung wäre, wenn wir den Schrank übernehmen und ich dachte, etwas Antikes könne nicht schaden.»

«Antiker als das Haus geht es ja wohl kaum.» Meine Mutter sah mich mit ihrem stechend scharfen Blick an und gab mir zu verstehen, dass solche Kommentare nicht erwünscht waren. Nach dem Essen schlurfte ich die Treppen hoch in mein Zimmer und legte mich ins Bett. Ich war so müde von dem ganzen Umzug, dass ich sofort einschlief.

Es war drei Uhr morgens, der Mond schien hell durch das Fenster direkt auf mein Gesicht. Ich spürte meinen Herzschlag und wie der Schweiss von der Stirn rann. Schon wieder ein Albtraum, murmelte ich und setzte mich an die Bettkante. Irgendetwas stimmt hier nicht! Müde, wie ich war, lief ich zu meinem Schreibtisch, klappte den Laptop auf und recherchierte im Internet nach Walliswil-Bipp. Nichts schien speziell zu sein. Ein langweiliges Dorf mit einem Altersheim, einem Restaurant und einem Friedhof. Ich schüttelte den Kopf und seufzte. Nicht einmal einen Selecta-Automaten gibt es in diesem Kaff! Ich fuhr den Laptop herunter, trank einen Schluck Wasser und legte mich wieder ins Bett.

Am nächsten Morgen, kurz vor neun Uhr, weckte mich der Lärm in der Küche. Ich fühlte mich nicht wirklich besser, als dass ich es gestern getan hätte. Mit schwerem Kopf und müden Augen schaute ich auf die Uhr meines Smartphones und wusste, dass meine Mutter früh aufgestanden war, um die Kisten auszupacken und das Geschirr in die Schränke einzuräumen. Da ich sowieso nicht mehr schlafen konnte, zog ich mich an und beschloss heute die Umgebung ein wenig zu erkunden. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit zwei Nutella-Broten und einer Ovomaltine packte ich meine schwarze Tasche, warf das Nötigste hinein, lief zur Treppe und stolperte fast hinunter. «Langsam, Aisha! Wo willst du hin?»

«Ich will mir mal das Dorf anschauen.»

«Pass auf dich auf und komm nicht zu spät nach Hause, ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir noch helfen würdest, die anderen Kisten auszupacken.» Ohne ihr zu antworten, eilte ich zur Tür hinaus. Ich nahm sozusagen meine Beine in die Hand und lief in Richtung ... Ja, wohin genau lief ich eigentlich? Das 200-Seelendorf bot mir nichts Spezielles. Nicht so wie in Zürich, da hatte man alles Brauchbare in der direkten Nähe. Und hier? Nichts! Ich liess mich von meiner Nase leiten, so wie es mein Grossvater immer gesagt hatte: «Immer der Nase nach.» Diese führte mich in den Wald. Ich fühlte mich gleich in einer anderen Welt. Hier hörte man die Vögel zwitschern, man roch die Blumen und sogar das Holz hatte diesen angenehmen Duft.

Nach einem kleinen Marsch von gerade mal zwanzig Minuten entdeckte ich einen Grillplatz, eine Schaukel aus Holz und drei Sitzbänke mit Tischen, welche im Kreis aufgestellt waren. Mir fielen die keltischen Zeichen, die in die Rückenlehne der Bänke geschnitzt waren, sofort auf. Zögernd tappte ich an den Wegrand des Platzes und sah direkt in eine riesige Kiesgrube hinein. An dieser Grube wurde, so wie es aussah, jeden Tag gearbeitet, denn da standen Bagger und Krane von der Marke Cat. Rechts von mir sah ich einen Wanderweg, der mit verschiedensten Blumen verziert war.

Ich entschied mich, eine Weile hier zu bleiben und setzte mich auf einen der hellbraunen Holzbänke, die schon morsch waren und ich mir nicht sicher war, ob die mich überhaupt tragen würden. Die Atmosphäre liess mich meine Augen schliessen und meine Ohren lauschten dem Gesang der Vögel.

«Ich komme immer hierher, wenn ich meine Ruhe brauche.», sagte auf einmal jemand, der neben mir sass.

Ich zuckte zusammen, weil ich mit den Gedanken woanders gewesen war. Als ich den Kopf skeptisch nach rechts drehte, überlegte ich, von wo der auf einmal herkam, übersehen hatte ich ihn zuvor nicht, soviel stand fest.

«Ich bin Aiden», stellte er sich vor und grinste.

«Aisha», erwiderte ich zaghaft.

«Ein sehr schöner Name, den du da hast, Aisha, von woher kommt die Namensgebung?»

«Naja ... Also meine Mutter hat nach ihrem Schulabschluss eine Zeitlang Religion studiert und der Islam hat sie fasziniert. Die Namensgebung stammt von der dritten Frau des Propheten Mohammad. Sie hiess Aisha und wurde als Mohammads Lieblingsfrau bezeichnet.» Erschrocken von mir selbst, dass ich einem Fremden so viel preisgab, presste ich meine Lippen aufeinander und starrte auf den Boden. Aiden schaute mich an und grinste frech. «Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken!»

«Schon gut», erwiderte ich und verfing mich gleich in seinen blauen Augen. Apropos blaue Augen, die hatte ich doch schon einmal irgendwo gesehen.

«Ich komme jetzt schon so oft hierher, aber dich habe ich hier noch nie gesehen.» Aiden lehnte sich zurück in die Bank.

«Das liegt wohl auch daran, dass ich erst seit gestern hier wohne», konterte ich.

«Und warum bist du dann hierhergezogen, wenn ich fragen darf?»

«Fragen darfst du, nur die Antworten kriegst du nicht.» Jetzt war ich die, die ihn angegrinst hatte. Dabei ertappte ich mich, wie ich auf seine vollen Lippen starrte.