Mein Jahr mit Mama und dem Jackpot - Sharon Wunsch - E-Book

Mein Jahr mit Mama und dem Jackpot E-Book

Sharon Wunsch

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Beschreibung

Wer träumt nicht davon, einmal 68 Millionen zu gewinnen? Und… dann? Was macht man eigentlich, wenn alles, was man sich erträumt hat, plötzlich aus der Portokasse bezahlbar ist… Eurojackpot-Gewinnerin Constanze Weber (50), mit pragmatisch gestrickten Naturell, hat darauf eine simple Antwort. Villa in St. Tropez, Porsche vor der Tür, eine Entourage von Dienstleistern, kurz: ein Leben im Jetset! Bevor es aber so richtig losgehen kann mit dem Geld ausgeben, gibt's eine Leiche im Keller und die Wildtier-Mafia steht vor der Haustür. Letzteres, weil ihre umtriebige Mutter, Schauspielerin Brenda (75), sich mit dem Geldsegen zum Schutz gefährdeter, vom Aussterben bedrohter Tiere in Asien und Afrika und im Kampf gegen Wilderei engagiert. Inspiriert von ihren Eindrücken entwickelt Brenda Buck schließlich eine grandiose Idee, um den Drahtziehern dieses Milliardengeschäfts eine Lektion zu erteilen, die sie so schnell nicht vergessen werden. JACKPOT ist sehr unterhaltsam, facettenreich und hochaktuell. Überbordende Dynamik und Tatkraft triumphieren in dieser Tragikomödie mit zum Teil rabenschwarzem Humor! Wie das Duo Mutter & Tochter mit dem Gewinn von 68 Millionen Euro im Rücken versucht, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen und sich 'Mama' dafür auch gerne mit der Mafia in Südostasien anlegt, ist mitreißend und faszinierend. Es ist ein Roman über zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und ein Roman über eine Frau, die weiß, was sie will: "Niemand auf der Welt braucht einen Elefantenstoßzahn - außer ein Elefant."

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Seitenzahl: 357

Veröffentlichungsjahr: 2021

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SHARON WUNSCH

MEIN JAHR MIT MAMA UND DEM JACKPOT

©2021 SHARON WUNSCH

Mein Jahr mit Mama und dem Jackpot

Autor: Sharon Wunsch

www.sharon-wunsch.de

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN: Paperback          978-3-347-30409-3

Hardcover                     978-3-347-30410-9

E-Book                          978-3-347-30411-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Personen und Handlung dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit einer lebenden oder verstorbenen Person ist zufällig.

„ IT ALWAYS

SEEMS

IMPOSSIBLE

UNTIL

IT´S DONE “

*

NELSON MANDELA

Staatspräsident Südafrika

Antrittsrede 10.Mai 1994

Pretoria

PROLOG

„Was habt ihr denn in all´ den letzten Jahren schon erreicht?“, fuhr Mama die Leute der Tierschutzorganisationen an.

„Das ist doch alles in allem nun wirklich sehr überschaubar!

Radikale oder drastische Maßnahmen sehe ich da eher nicht…, ums milde auszudrücken!“

Ein Blick in die Runde zeigte bedrückte Gesichter. Einige schauten verlegen auf ihre Schuhspitzen.

„JA, ihr wollt eine bessere Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden innerhalb der EU und… JA, ihr wollt eine vertiefte Kooperation mit afrikanischen und asiatischen Staaten.

Und selbstverständlich wäre es eine Gabe Gottes, wenn endlich ein vollständiges internationales Handelsverbot für Elfenbein und Rhinozeros Hörner durchgesetzt werden könnte!

Aber das dauert doch noch ewig… Menschenskinder! Wenn´s überhaupt was wird! Der Markt wird weiter unkontrolliert wachsen.

Was machen wir dagegen?

Angesichts der äußerst brisanten Situation, die weiß Gott keinen Aufschub mehr duldet, sei die Frage erlaubt: Um wen oder was geht es hier eigentlich?“

*

Nichts war Mama recht. Überall entdeckte sie nur, was fehlte. Die Politik im Gleichschritt mit den Lobbyisten verhindert, die Tiere vor Ausrottung und Vernichtung ihres Lebensraums zu bewahren. Alles nur Hilfskräfte für die nächsten Wahlen: Lauter Pappnasen, das wird nie was, beschwerte sie sich bei uns ahnungslos Daheimgebliebenen.

„Mit dummen Menschen zu streiten, ist wie mit einer Taube Schach zu spielen. Egal, wie gut du spielst, die Taube wird alle Figuren umwerfen, auf das Brett kacken und herumstolzieren, als hätte sie gewonnen!“

An einem Morgen X teilte uns meine Mutter Brenda Buck mit der Mimik eines Eisbergs mit, dass sie vorhabe, ein Exempel zu statuieren.

Ich fühlte mich wie im Krieg.

Wenn man‘s genau nimmt, trage ich, Constanze Weber, mit meinem JACKPOTGEWINN die Hauptverantwortung für diese chaotische Entwicklung.

Dabei hatte alles zwei Jahre zuvor so harmlos begonnen…

1 „Na, Constanze, was macht die hohe Kunst? Du klingst abgehetzt.“ Mama hatte offensichtlich Langeweile, wenn sie mitten am Tag anrief. Ich überlegte, was ich ihr anbieten könnte. Bislang war so ziemlich alles schief gelaufen.

„Es regnet, …ich war draußen, um die Zeitung aus dem kaputten Briefkasten zu retten.“

Dass ich zu allem Überfluss dem Briefträger auf der Treppe äußerst peinlich entgegengestürzt bin, verschwieg ich.

„Du hättest dir ruhig Zeit lassen können, Kind! Es gab nur Meldungen zu irgendwelchen gestörten Popstars in Entzugskliniken und Kriege toben wie üblich auf der südlichen Halbkugel oder besser gesagt: Hemisphäre!“, war Mutters trockener Kommentar.

„Außerdem ist doch heut´ der Tag, an dem dieser olle Mann vor einem halben Jahrhundert den zerknüllten Zettel aus der Tasche gezogen hat, um sein verrottetes Land endlich sanieren zu lassen. Da schreiben die Gazetten eh´ immer das Gleiche und voneinander ab. Wie hieß er noch mal?“

„Günther Schabowski, Mama.“

„Ach ja, richtig! Hat er klug gemacht. Jetzt haben wir den Salat! Unser Theater ist weiterhin in einem jämmerlichen Zustand, und kein Geld in Sicht. Geht alles in den Osten!“

Die Geräuschkulisse veränderte sich. Es knackte in der Leitung. Ich hörte spitze Absätze auf dem Parkett. Brenda schien durchs Zimmer zu spazieren.

„Mama, bist du noch dran?“

„Na klar, Mienchen, hab´ nur eben mein Fernglas rausgeholt und beobachte nebenher, wie sich die Eltern auf der Kinderparty gegenüber beim Sackhüpfen blamieren!“

Ein schadenfrohes Lachen untermalte den Satz.

„Wenn du sehen könntest, wie fett die Bagage geworden ist, und die sind noch nicht mal im Schulalter. Seit zwei Stunden wird entweder gefressen oder gehüpft. Grausig! Solche Kinder möchte man spätestens, wenn sie in der Pubertät sind, vermutlich gerne irgendwo abgeben.

Aber dann sind sie zu groß und zu fett vom Eis-, Negerkuss- und Burger-Gefresse und passen in keine Babyklappe mehr, auch wenn man noch so kräftig drückt! Die da hinten muss übrigens die Großmutter sein…“

Sie sprach, als ob ich neben ihr stünde. Ich fühlte ihren langen dünnen Finger auf etwas zeigen.

„Gott nee, zwei dicke Kugeln aufeinandergepresst und oben drauf noch so‘ ne faltige Kugel. Ich würd´ mich erschießen…“

„Mutter, findest du nicht, dass du damit zu weit gehst und deine Betrachtungsweise ziemlich oberflächlich - um nicht zu sagen irrelevant - ist. Ich mein´, du kennst die doch gar nicht! Als Schauspielerin solltest du mehr Möglichkeiten haben als Polemik!“

Ihre Stimme drang leise und gepresst an mein Ohr, wahrscheinlich war sie mit Koordination von Fernglas und Telefon überfordert.

„Jaa, jaa, lenk´ nur ab, Constanze! Oder spricht da schon wieder dein Ehegatte - der moralisierende Harald - aus dir? Das verändert das Bild nur unwesentlich und erinnert mich umso mehr an das, was ich gerade hinter mir habe.“

„Und… das wäre?“, antwortete ich leicht genervt. Mama hatte demnach ebenfalls keinen besonders aparten Tag, wie sie gern zu sagen pflegte. „Ist kein gutes Timing für geschliffene Dialoge, Herzchen! Hab´ mir heut´ morgen das Script für ein Theaterstück angetan. Es ist zum Kotzen. Da bekommst du endlich mal ein Angebot, und dann geht´s um so was weltbewegendes wie die veränderten Geschlechter- und Generationsmodelle vor dem Hintergrund des digitalisierten Kapitalismus! Nicht besonders prickelnd, glaub´s mir…“

Polternd ließ sie das Fernglas in die Schublade plumpsen und schob diese geräuschvoll zu.

„Und was hast du für eine Rolle darin?“

„Ich soll eine uralte versiffte ehemalige Bürgermeisterin spielen, die allesamt Entscheidungen getroffen hat, für die es keine Rückfahrkarte gibt im Leben! Elendig einseitig, voller Klischees! Keine Chance für eine einzige gute Kritik! Was soll ich damit? Wenn du mich fragst: Das ist einfach nur gemein. Hat mit dem jungschen Schnösel von Regisseur zu tun. Du weißt schon… dem Dingsda… diesem Gideon von Trebel, den ich immer Nebel nenne!“

Sie stöhnte und spielte mit dem Telefonkabel. Ein weiteres Zeichen ihrer Gereiztheit.

„Biochemisch mag es ein Hirnschaden sein. Aber sozial und ökonomisch funktioniert Arroganz prächtig. Selbstherrlichkeit ist mal wieder verblüffend aktuell unter den Theaterleuten, mein Kind. Leider…!“

Ihr Ausatmen war mehr ein Schnaufen. Wenn das ´ne wehleidige Nummer werden sollte, hätte ich keine Chance und wäre ihren Monologen hilflos ausgeliefert. Da gab´s für Brenda kein Pardon.

„Klugscheißer sind zwar unerträglich, aber immer noch erträglicher als Dummschwätzer, Constanze, - glaub´ s mir!“

Um Mama abzulenken fragte ich, was sie beim diesjährigen Faschingsball des Theaters auf die Beine gestellt habe. Sie liebte Partys und Verkleidungen.

„Ach, das war sehr schön diesmal, wenn auch extrem warm. Ich ging als Froschkönigin, hatte so ein Ganzkörperkondom in Knallgrün an und eine Maske aus Pappmaschee. Es roch darunter nach Kleber, sag ich dir. Mir ist richtig übel geworden. Aber dafür habe ich nichts gegessen, ein Pfündchen weniger auf den Hüften und den zweiten Platz belegt: klasse, nicht wahr?

Tilly Rasmussen ist übrigens Erste geworden, die ging als Rauchmelder. Das sah vielleicht putzig aus! Ich fand meins zwar schicker, aber was soll´s: Originalität gehört belohnt. Stell dir vor, Kind, den ganzen Abend konnte sie nur durch klitzekleine Schlitze sehen. An der Seite hing eine Perlenschnur, wenn man an der zog, gab´s ein Mordsgetöse. Dazu blinkte das Kostüm und an der Hüfte stiegen Rauchwölkchen auf.

Alles per Hand gesteuert. Erinnerte schon irgendwie an einen Rauchmelder und das war´s wert…“

Mama gluckste leise und schien nach weiteren Highlights zu suchen.

„Weißt du noch, was du als kleines Mädchen mal gesagt hast, Mienchen? Das war auch nach ´ner Faschingsfeier. Du bist mitten in der Nacht zu mir ins Bett gekrochen und hast allen Ernstes erklärt, dass du das nächste Mal als Nudel gehen möchtest! Süß, nicht?“

Sie lachte und schien tatsächlich versöhnter mit diesem Tag. Eigentlich war´s relativ einfach mit ihr, wenngleich für mich oftmals schikanös: Ich hatte weder Fantasie für Sperenzchen, noch Geduld für ihre zahlreichen Spielchen. Schließt du eine Baustelle, kommt durchs Schlüsselloch eine neue daher.

Das war Brenda Buck, 74 Jahre jung, wie sie gern erklärte, und immer auf der Überholspur…, wenn man sie denn ließ. Heute war mir nicht danach.

Außerdem fiel mir zu dem Beispiel mit der Nudel noch ein, dass sie sich zum damaligen Event verabschiedete, ohne mir etwas zum Essen dazulassen. Ich ersehnte mich nicht nur kostümmäßig als Nudel, ich hätte auch gern welche gehabt. Es gab lediglich Corned Beef aus der Dose, ohne alles wohlbemerkt. Und ich traf meine Mutter erst weit nach Mitternacht vorm Kühlschrank wieder, nachdem ich ihr die Haustür aufschließen musste, an der sie eine geschlagene Viertelstunde das Schlüsselloch gesucht und dabei einen Höllenlärm verursacht hatte. Das Licht im Treppenhaus brannte zwar nicht, aber ihr Fluchen war unverkennbar. Als ich öffnete, wankte sie ganz in pinkes Tüll gehüllt an mir vorbei.

„Na endlich… wurde ja auch Zeit!“

Grummelnd ließ sie den Nerzmantel achtlos neben der Garderobe fallen, entledigte sich ihrer hochhackigen Pumps, indem sie einen nach dem anderen durch den langen schmalen Flur schleuderte und Richtung Küche schlich.

„Ich sag´s Dir, Mienchen, auf solchen Events wird nur stundenlang geschwatzt und rumcharmiert und nix gibt´s zu fressen! Schrecklich, warum tue ich mir das nur an?“

Sie hickste leise, starrte in unseren fast leeren Kühlschrank und griff sich seufzend ein halbes Glas Gurken. Die toupierten Haare standen zu allen Seiten ab, nachdem sie die rote Pracht vom runden Tüll-Hütchen befreit hatte, der nun auf dem Wasserkessel thronte.

„Wie kommt denn der Hut da hin?“, sinnierte sie Minuten später, nachdem sie die angebissene Gurke im Aschenbecher abgelegt hatte. „Na ja… issaauchegal!“

Ihr übernächtigter Blick erinnerte mich an eine Eule. Mimisch eingeschränkt, aber auch - wie selten bei Tage - freundlich über den Dingen stehend und in sich ruhend, starrte sie mit riesengroßen dunklen Augen auf die Wanduhr gegenüber. Ein hässliches Teil von ihrer letzten Italy-Reise.

Das Zifferblatt zeigte eine Pizza, jede Zahl unterlegt von einer Salamischeibe. Die Zeiger glitten als Scampi tagtäglich knackend 360° um ihre Achse. Das Geräusch machte mich schon frühmorgens halb wahnsinnig. Mama lachte, wenn die Scampischere des Minutentakts ein Geräusch von sich gab, als zerbreche eine Salzstange, während der Stundenzeiger sich kratzend über die Platte schob, als würde unsere Katze Amy versuchen, die Tür zur Speisekammer zu öffnen. Ganz schlimm war´s, wenn die Zeiger sich einmal pro Stunde übereinanderlegten.

Mutter konnte sich eine Reihe von Monaten darüber amüsieren, dann war sie Gott sei Dank kaputt.

Während der Scampicorpus am angestammten Platz klebte, hatten die Scheren irgendeine Stunde nicht heil überstanden und steckten als ein X am Boden des Glases.

Beseitigt wurde das gute Stück nie. Mama bewahrte alles auf, was eine Erinnerung an gute Zeiten heraufbeschwor. Da war nichts zu machen.

Todmüde saß sie in der besagten Faschingsnacht in der Küche und grinste ihre Pizza-Uhr an: „Kannste nicht mal zaubern und uns wat zu essen servieren? Ne´ Pizza für mein Mienchen und für mich die große Scampi da unten… piacere!“

Sie lachte, biss ein Stückchen von der Gurke ab, wobei ihr Wasser übers Kinn in einem schmalen Rinnsal den Hals hinunterlief.

Auf ihre Hände gestützt, hing sie Minuten später unmittelbar mit dem Gesicht überm Tisch, sodass ich befürchtete, es könne jeden Moment auf die Platte krachen. Die Eulenaugen wirkten riesig im eingefallenen, blassen Gesicht. Eine Reihe falscher Wimpern hatte sich gelöst und klebte an der rechten Braue.

Ich fror, hatte die Knie unters Nachthemd gezogen, während ich darauf wartete, dass Mutter endlich ins Bett ging.

*

Ihre eher kleine Statur zwang sie am hohen Esstisch sehr aufrecht zu sitzen, um halbwegs vernünftig essen zu können, wie sie sich ausdrückte. Das massive Eichenteil stammte von meinem Vater, der bei einer stattlichen Größe von einsneunzig die Sonderanfertigung mit in die Ehe gebracht hatte.

„Um auch optisch und tagtäglich meine Unterlegenheit zu demonstrieren“, pflegte Mama allen Bekannten zu erzählen.

Leon war Theaterintendant des Hamburger Schauspielhauses, an dem sie engagiert war. Doppelt so alt und ein wichtiger Mann, zu dem die Leute aufschauten. Meine Mutter mit ihrem frechen Mundwerlk gehörte selbstverständlich nicht dazu.

Was ihn, im Gegensatz zu anderen Menschen aus dem Dunstkreis von Brenda Buck außerordentlich interessant machte, war die Tatsache, dass er sie penetrant ignorierte. Fuchsteufelswild habe sie das anfänglich gemacht. Nicht lange darauf sei er ihrer Koketterie allerdings erlegen. Sie sagte das mit überheblichem Blick und hochgezogenen Augenbrauen, als ob es sich bei der Jagdtrophäe um einen Fasan handelte, und nicht um einen Menschen, mit dem sie eine Partnerschaft eingehen wollte.

Der Gatte stammte aus einer wohlhabenden hanseatischen Familie, zu der niemand Zugang bekam, der nicht mindestens Mediziner, Staatsanwalt oder honoriger Vertreter einer Kaufmannsgattung war. Sie sei da eher hineingestolpert und dieser ‚Aasgeier‘ schneller überdrüssig geworden, als sie bis Zehn zählen konnte. Eine ganz und gar verlogene Gesellschaft, und ihre Zeit mit denen kräftezehrend.

Kurzum: Die beiden nervten und unterdrückten einander, bis sich der Magnetismus von Anziehung und Abstoßung binnen weniger Jahre derart verbraucht hatte, dass jeder nur noch Luft haben wollte und den andern in Freiheit entließ.

Die Ehe wurde nicht geschieden, aber das war auch nicht mehr nötig.

Mein Vater starb ein Jahr nach meiner Geburt. Und damit war das Thema für Mama erledigt.

Viele andere Männer kamen und gingen. Der Tisch von Leon hingegen wurde nie ausgetauscht. So ärgert er Mama heute noch.

*

In Zeitlupe nahm sie die angebissene Gurke aus dem Aschenbecher und klemmte sie umständlich zwischen ihre goldberingten Finger. Mit der anderen Hand versuchte sie vorsichtig, ein Feuerzeug aus ihrer kleinen Krokotasche zu ziehen, um mit halbgeschlossenen Augen das Deli-Gemüse anzuzünden. Es zischte, der Geruch war ekelerregend, zumal es noch ein paar Haare mit erwischt hatte.

Kurzerhand nahm ich ihr Gurke und Feuerzeug weg, zog sie am Ärmel hoch und schob sie Richtung Schlafzimmer. Sie protestierte schwach, wollte unbedingt noch ein Gläschen Champagner haben.

„Erst, wenn du im Bett liegst, Mama“, sagte ich ziemlich bestimmend für eine Sechsjährige.

Wenig später ließ sie sich ohne großes Brimborium in ihre Decke wickeln und beendete schnarchend ihren Tag, um mich gegen 10.00 Uhr laut singend, mit einem „Nothing gonne stop me now…“ zu wecken. Allzu viel Schlaf benötigte Madame eigentlich nie!

„Herzchen, hast Du meine Tasche gesehen? Ich weiß gar nicht, wo ich die gelassen habe. Komisch!“

Mit wiegenden Hüften stand sie in der Türschwelle, sich ihrer nächtlichen Unzulänglichkeiten durchaus bewusst, jedoch wild entschlossen, gnädig drüber hinwegzusehen, um erneut und taff wie üblich durchzustarten. Krone geraderücken und auf geht´s!

Damit erinnerte sie mich unweigerlich an unseren Terrier Geoffrey. Sein weiches, schwarzes Fell war irgendwann struppig und mausgrau. Halbblind… und mit nur noch einem Zahn im Maul mischte er dennoch zuverlässig jeden Morgen sämtliche Köter auf, egal wie groß sie waren. Tänzelnd umwarb er die Damenwelt bis zum letzten Atemzug. Nichts konnte ihn aufhalten.

„Geoffrey, setz´ die Schiebermütze auf, der Kampf beginnt“, blieb das Motto eines jeden Tages. Wild entschlossen und mit weit ausholendem Schritt verließ Brenda Buck samt Hund das Haus. Und nur ein um die Ecke kommender polnischer Riesenlaster konnte ihn stoppen.

Dasselbe dachte ich übrigens von Mutter.

*

Meine Kindheitserinnerungen hatten mich vom Telefonat abgelenkt. „Gibt´s noch was Wichtiges, Mama?“

„Nee, eigentlich nicht, oder doch… ja. Hast du die Lottozahlen mitbekommen? Alles unsere Geburtstage: 11,14,22,29… und noch so´n Firlefanz.

Wir einträchtig beieinander, komisch, nich…? Eddy, Harald, du und meine Wenigkeit. Ich hab´s beiläufig aus dem Radio mitbekommen, aber ich dachte, ich informier´ dich mal. Sicherlich bist du durch Haralds umtriebige Weekend-Planung noch gar nicht dazu gekommen, nachzusehen, oder?

Apropos: Wo schleppt der Gute dich denn diesmal hin? Hoffentlich nicht wiederauf´ne Rennbahn, wo du dir mit deiner Pferdehaar-Allergie dicke Augen holst.“

Der kleine Seitenhieb auf meinen Mann war nicht neu. Mutter konnte Harald nicht ausstehen, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Mein unterdrücktes Stöhnen war echt. Viele von seinen Ideen waren in der Tat eine Zumutung. Die neueste reihte sich da lückenlos ein.

„Ich hab´s dir gemailt, Brenda!“

Wenn sie mich nervte, ging ich in letzter Zeit dazu über, sie beim Vornamen zu nennen. Was sie tunlichst übersah.

„Es geht auf die Hundemesse. Du weißt doch, dass sich Harald Gedanken darüber macht, einen Hund anzuschaffen, damit ich mehr rauskomme.“ Wie naiv ich manchmal bin! Ich hätte wissen müssen, dass dieser Hinweis reinster Sprengstoff ist.

„Damit Duuu mehr rauskommst?“

Sie spie es durch die Muschel und schnappte nach Luft.

„Ich fass´ es ja nicht! Der soll sich gefälligst um sich selber kümmern, da hat er genug zu tun! Tsss…“

Mamas Verachtung war durch den Hörer greifbar.

„Bloß keinen Hund, Schätzchen. Es gibt Lebewesen, die einem Aufmerksamkeit schenken, ohne dass man sie entwurmen muss!“

Ihr Lachen klang wie das Wiehern eines Pferdes.

Ich entließ mich mit einem kurzen Gruß an Eddy, indem ich endlich auflegte.

*

Um mich herum war´s plötzlich totenstill. Ich hatte Mama belogen, und es war bei Gott nicht das erste Mal. Niemand würde mit mir dieses Wochenende verbringen. Ich saß im Dustern und konstatierte, dass ich es nicht gerade einfach habe in meinem Zustand. Es hört mir nur niemand zu. Nicht mal mein Mann.

Der Radius meiner Aktivitäten erinnerte zuweilen eher an einen Häftling mit Fußfessel, der sich wie eine Geisha trippelnden Schrittes vorwärts bewegt, und deshalb seine Zeit lieber rauchend im Sessel verbringt. Letzteres tue ich schon eine Ewigkeit, und Rauchen war eine neue schlechte Angewohnheit.

Ich stand mir selbst im Weg und wartete auf ein Zeichen. Laut meiner Ärztin war dieser Zustand zum überwiegenden Teil meinem Klimakterium zuzuschreiben.

Es hieße nicht umsonst W-e-c-h-s-e-l-j-a-h-r-e!

Sie dehnte das Wort derart in die Länge, als ob mir dadurch ein Licht aufgehen müsse. Und im Übrigen… ließ sie mich mit erhobenem Zeigefinger altklug wissen: Ich allein besäße den Schlüssel für die Fußfessel und sollte diesen gefälligst auch benutzen.

Ihr Ton missfiel mir. Sie war eine alte Freundin von Mama und schien aus diesem Grunde der Auffassung zu sein, Erziehungsmaßnahmen seien angebracht. Der lange Arm der Brenda Buck!

Es lief darauf hinaus, dass meine Mutter immer schon meinte, ich besäße - im Gegensatz zu ihr - das Temperament einer Schlaftablette. Und genau dieser Umstand schien sich in der sogenannten Menopause verstärkt zu haben.

Mein Pragmatismus kannte kein Ende.

Ich wurde ohne Bewegung immer dicker und blieb dennoch genau dort sitzen, wo ich am liebsten war: daheim mit einem guten Buch in der Hand! Die Ausreden wurden immer abenteuerlicher, mein Hintern immer runder, die Bücher immer dicker.

Harald bezeichnete das uncharmanterweise mit den Worten ‚man könne sich den Arsch auch breitsitzen‘.

Was ihm klösterliche häusliche Ruhe über Tage bescherte, denn ich dachte nicht im Traum daran, mich mit so was abzugeben oder gar zu unterhalten.

Unglücklich, ich meine so richtig unglücklich und deprimiert war ich deswegen aber keineswegs.

Einen Mann hatte ich auch, wenngleich der wiederum nicht allzu oft bei mir weilte. Nur, das war nichts wirklich Neues. Insofern hatte sich mein Inneres Ich längst damit abgefunden. Handelsvertreter sind halt viel unterwegs. Unser Leben unterschied sich allein dadurch schon von dem anderer Familien.

Mir ist es recht, ich bin gern allein oder sagen wir mal: Ohne Klimakterium war ich ziemlich gern allein, und nun, da diese seltsame Stimmung in mir Einzug gehalten hat und ungefragt in mir wohnt oder präziser gesagt, sich breitgemacht hat, ist es nicht mehr ganz so gemütlich.

Ich spüre einerseits durchaus die Aufforderung, dem etwas Neues hinzuzufügen. Was es sein könnte, wusste ich zwar nicht, aber schon, was mich generell abhalten würde.

Woran jede Umsetzung hapert, ist meine absolute Faulheit. Und die mangelnde Entscheidungsfreude, würde meine Mutter behaupten. Um ermutigend hinzuzufügen: Vielleicht ist´s auch - wegen der gleichzeitig anzutreffenden Langsamkeit - die Schilddrüse. Sie ersparte sich nicht den Hinweis, mich diesbezüglich doch mal von Liesbeth Gräuel, eine Internistin und enge Freundin aus dem Theaterklub, untersuchen zu lassen.

Das war typisch für Mutter: Jeden Tag ein Tablettchen, und ich würde zum Flummyball mutieren. Sie glaubte jeder noch so idiotischen Medikamentenwerbung und fraß permanent irgendwelche Wundermittel.

Für sie bräuchten keine Labortiere zu sterben. Sie probierte alles selber aus und hatte mehrfach bei Versuchsreihen teilgenommen, wo sie vor allem durch ihren hohen Unterhaltungswert gern gesehen wurde.

Die Firmen Boehringer und Hoechst schickten ihr alljährlich Präsentkörbe zum Geburtstag, was ihr schmeichelte.

Ich denke eher, sie möchten kontrollieren, inwieweit Mama ihre Versuchsreihen überlebt hat, um dann - möglichst als Erster - den Korpus öffnen zu dürfen und nachzuschauen, wie diese Kreatur das jahrelang überstanden hat.

Brenda Buck verfügte über eine grandiose Gesundheit: außen und innen zäh und unverwüstlich. Dazu passt, dass ihr Vorname übersetzt so viel bedeutet wie flammendes Schwert‘.

Die altnordische Herkunft aus dem frühen 20. Jahrhundert demonstriert meine Mutter auch im 21. noch vorbildlich.

Die zugeschobene Visitenkarte ihrer Busenfreundin ließ ich in den nächsten Papierkorb fallen.

*

Eigentlich bin ich mir im Klaren, worin der wahre Grund dafür liegt, dass die Faulheit mich derart in ihren Klauen hält. Es ist auch keine weitere Ausrede, ganz gewiss nicht: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass mir schlichtweg das Geld für großartige Erneuerungen fehlt!

Die meisten Veränderungen, die mir in den Sinn kommen, sind ausgesprochen kostspielig.

Damit ist nicht der Gang ins nächste Fitnessstudio gemeint, was ich nebenher natürlich auch noch besuchen könnte, wenn mich nicht mein innerer Schweinehund hiervon abhielte.

In meinem Fall handelt es sich nicht um ein Einzelexemplar dieser Gattung, sondern um eine ganze Herde. Nur das braucht ja keiner zu wissen.

*

Oft genug spinne ich Mama oder Harald was vor: im Handyzeitalter null Problemo. Ich könnte behaupten, ich stünde vorm Markus Dom. Dabei sitze ich daheim auf der Couch, um mir die kompletten Staffeln von ‚Mellrose-Place‘ bis ‚Sex and the City‘ reinzuziehen, und das schon seit zwei Tagen.

Vorsichtshalber habe ich mir für besondere Telefonate ein zweites Prepaid zugelegt. Der beste Freund jedes Betrügers!

Ich bin mit allen Wassern gewaschen, um meine Faulheit zu schützen und meine Lethargie hat sich wie ein haushohes Spinnennetz um mich gestrickt.

Deshalb ist es auch ungemein wichtig, genau zu wissen, wann Harald das Haus betritt. Ich benötige mindestens zwei Stunden, um mich aus meinem Kokon zu schälen, meinen behäbigen 90 Kilokörper ins Bad zu schwingen, alle leeren Pizzakartons der letzten Tage vom Boden aufzusammeln, im Container zu entsorgen und meine Umgebung halbwegs auf Vordermann zu bringen!

Einschließlich des Ausdenkens von Beschreibungen der Aktivitäten, die meine eindrucksvoll verbrachten Tage belegen würden.

Die Museen in unserer weitläufigen Umgebung sehen mich in meiner Fantasiewelt häufig. Während ich in der Badewanne sitze, höre ich mir im Radio an, wie die jeweiligen Ausstellungen kommentiert werden. Das ist dann der heilige Stoff für meinen Ehegatten, wenn er müde und abgespannt nach Hause kommt.

Ich konnte schon immer einmal Gehörtes einwandfrei abrufen. Das hat mir in der Schulzeit so manch gute Noten beschert und ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die einzige Qualität, bei der ich meinem Mann überlegen bin.

Er würde zwar gerne ins Museum gehen, da ist er laut eigener Aussage sogar ganz wild drauf, aberschlichtweg zu erschöpft, um es einmal wirklich zu schaffen. Das hat ihm seine Gattin mit all´ ihrer Freizeit natürlich voraus.

*

Fakt ist, da muss ein richtig großer - und damit extrem teurer - Plan her, der mich aus unserem geräumigen Mäuseloch von 98 Quadratmetern herausholt und meinem weiteren Leben neuen Glanz verleiht. Mein jetziges ist bruchstückhaftes Ertragen diverser aneinandergeklebter Alltäglichkeiten in einer Endlosschleife.

Das Motto des heutigen unbedeutenden Tages hieß zum Beispiel: ‚Vorsicht, die meisten Unfälle passieren zu Hause‘.

Auf dem Weg zum Briefkasten hatte ich mich am Treppenabsatz in der Troddelschleife meines Hausschuhs verheddert und knallte ungebremst mit dem Gesicht gegen den nächsten Türgriff zwei Meter unter mir. Es grenzt an ein Wunder, dass lediglich ein blutunterlaufenes Hörnchen meine obere Gesichtshälfte ziert. Ich hätte mir alles Mögliche brechen können, oder meine Rippen anknacksen!

Harald würde süffisant anmerken, dass ich wegen meiner üppigen Mitte die Troddeln ohnehin nicht persönlich im Blick gehabt haben dürfte, und das Fett auf den Rippen in diesem Falle als Airbag recht dienlich gewesen wäre.

Zu allem Überfluss würde er sein dämliches Grinsen anschalten. Schon aus dem Grunde werde ich ihm nicht von meinem Teletubby-Sturz berichten: Ich lag da, wie Gott mich schuf, nur viel, viel dicker!

Eine positive Mantra schien angebracht: Auch der schlimmste Tag hat nur 24 Stunden! Ich weiß noch, wie ich mit einem Schokoriegel in der Hand die erste Nervenberuhigung nachschob, während ich mit puckerndem Hörnchen am Kopf vor der vollen Waschmaschine stand und mir beim Kauen einen meiner Lieblings-Tagträume gönnte:

Vielleicht würde ja jetzt doch noch alles gut und ich wäre Mamas Hinweis zufolge seit wenigen Stunden Millionärin!

Was übrigens den Vorteil hätte, dass ich lästige kleine Malheurs gar nicht mehr persönlich erleben werde. Zukünftig würde meine Hausperle, Putzfrau, Köchin - wer auch immer -, die Treppen runterfallen, während ich das Luxusleben vorzugsweise liegend genieße.

Ausstieg aus meinem jetzigen Leben hieße: Einfach alles fallenlassen, Schlüssel im Schloss rumdrehen und gehen. Millionenschwere paradiesische Zustände erwarteten mich.

Den meisten Frauen reicht es, sich in Tagträumen ans rauschende Meer irgendwelcher kalifornischer Sonnenstrände zu schicken, wo sie mit den Zehen schneeweißen Sand durchpflügen, mit ´nem Drink in der Hand Männern mit gebräunten Bizeps plus Knackarsch hinterherschauen, und nebenher die laue Brise salziger Meeresluft einatmen.

Mir reicht das bei Weitem nicht.

Dafür hat mich der ‚Steinbock Plus Mond im Zeichen Jungfrau‘ mit zu viel Ratio bedacht. Was nützt mir die Vorstellung von Meeres-Klimbim, wenn ich ein Stündchen später doch wieder auf meinem durchgesessenen Sofa mit kaputter Glühbirne überm Kopf erwache und feststellen muss, dass sich um mich herum nichts weiter getan hat.

Aufgerissene Pizzakartons neben der Literflasche billiger Coke auf dem Ikea-Tisch als auch mein Spiegelbild im Flur auf dem Gang zum Klo machten auf einen Schlag alles zunichte!

*

Zum Glücksspielvergleich kam ich allerdings nicht mehr. Gerade als ich dabei war, im Waschlappen zerdrückte Eisstückchen auf meine lädierte Gesichtshälfte zu drücken, läutete es Sturm. Im Türrahmen lehnte meine völlig aufgelöste Nachbarin.

Peggy Sue ist der lebendige Beweis dafür, dass die Scheidungsrate bei Ehetherapeuten auch nicht niedriger ist. Hunderte hat sie beraten und vor ihrer eigenen Haustür tobte neuerdings der Krieg.

Sie hatte ihm gebeichtet, mit dem Lehrer ihrer Tochter fremdgegangen zu sein, daraufhin hatte er ihr süffisant erzählt, dass er seit einem halben Jahr mit ihrer besten Freundin schlief.

Das Drama warfilmreif und zeigte für meinen Geschmack wieder einmal sehr deutlich, dass absolute Ehrlichkeit nur einsam macht.

Die nächste Stunde verbrachte ich damit, ihr klarzumachen, dass an der Liebe zu arbeiten, wie sie es eigentlich vorhatte, Bullshit sei, denn wenn es aus ist, ist es aus. Beziehungsgespräche bei Kerzenschein sind über dem Verfallsdatum datiert nur noch nervig… und Stoffservietten zu diesem Anlass nicht romantischer als Papierservietten.

Angeblich hatte Peggy Sue alle Register gezogen, ihren Liebling aber leider nicht zurückgewonnen. Was ich wiederum nicht bedauerlich fand: Wenn mich einer ein halbes Jahr mit meiner besten Freundin betrügt, kann er mich mal kreuzweise.

Meine Nachbarin brauchte allerdings länger, um zu dieser Einsicht zu gelangen. Sie thronte auf gestapelten Pizzakartons meiner letzten Tage im Sessel und heulte eine Packung Taschentücher voll:

Weltuntergangsstimmung folgt schließlich eigenen Regeln.

Als es langsam dunkel wurde, beschloss ich für uns beide eine Pause vom Desaster und schleifte Peggy zum Italiener. Einige Rippchen mit Barbecue Soße später ertrug ich weitere Eindrücke ihres Ehealltags schon viel besser.

Selig schlief ich an diesem Abend mit dem Gedanken ein, dass Gott sei Dank bei mir alles in Ordnung war. Harald nervte oft, aber er war Handelsvertreter und - wie bereits erwähnt - viel unterwegs.

Ich glaubte allen Ernstes, dass dies eine Garantie für eine gute Ehe sei.

Wie man sich doch täuschen kann.

2 Um es kurz zu machen: Ich habe gewonnen!

Zwar nicht im Lotto, denn das waren nach meiner Recherche ganz andere Zahlen, als die von Mama genannten.

Mein Supercoup war der EUROJACKPOT!

Ich war keiner der hektischen Glücksspieler, im Gegenteil. Meine Glücksfee musste genauso viel Geduld haben mit mir wie umgekehrt. Der Schein mit spartanisch ausgefüllten vier Wetten wurde jede Woche am Zeitschriftenstand abgegeben, meist etwas versteckt unter Zeitungen. Gerne auch mit dem eher peinlichen Zusatz: „…für meine Mutter!“

Als ob die Dame an der Lotterieannahme ihre Klientel nach einigen Wochen nicht genau einzuschätzen wüsste.

Ähnlich auffällig verhielten sich Stammkunden, um ihre Schnapsfläschchen - liebevoll ‚Kurze‘ genannt - blitzschnell über den Tresen zu schieben, und Sekunden später im verblichenen Leinenbeutel verschwinden zu lassen. Wie viele von den Dingern in ihre Hände passten! Hatte was Akrobatisches und zeigte Übung. Als ob sie ein Leben lang nichts anderes getan hätten.

Nur die ganz abgebrühten, denen eh´ alles, aber auch wirklich a-l-l-e-s egal war, ließen hochprozentige Ware locker über das Kassenband trudeln. Obwohl jeder dabei zusehen konnte, wie scheiße sich ihre kleine Welt anfühlte und wie abhängig sie bereits um elf Uhr früh von dem Stoff waren, der ihnen eine andere Sicht auf die Dinge und ihrer Funktion darin bescheren würde.

Ungefähr zu dieser Zeit trat ich allwöchentlich in die dysfunktionale Welt der armen Schluckspechte. Meist nach einem reichhaltigen Weekend-Frühstück mit Harald, während der schon lockeren Schrittes mit Tennisschlägern unterm Arm das Haus verließ.

Und die Gattin laut seinen Vorstellungen das machte, was sie am liebsten tat: einkaufen und sein Geld ausgeben!

Ich weiß nicht, welche Verblendung da irgendwann aufgetreten ist: Sein Geld reichte immer nur knapp bis zum nächsten Monat. Im Tennisklub konnte er sich gerade mal grünen Tee leisten, welchen er neuerdings reichlich trank, um möglichst Hundert zu werden. Zur weiteren Entgiftung gab´s daheim Brennnesseltee. Ein Gesöff, bei dem sich mir der Verdacht aufdrängte, Nachbars Katze Picksy habe reingepullert. Gesagt habe ich nichts, bin schließlich kein Fachmann. Das äußerst gewöhnungsbedürftige Getränk pries der Herr als Anti-Aging-Waffe: Es entgifte einfach alles. Das will ich nun wiederum gerne glauben. Irgendwann fiel mir eine halb volle Tasse auf den Boden und ließ doch tatsächlich das Dekor der Fliese verblassen.

Per Excel-Tabelle hatte Monsieur akribisch ausgerechnet, wie viel wir ausgeben dürfen, damit das Geld bis zur gepriesenen Hundertmarke reichte.

In all den Jahren seiner Selbstständigkeit drohten die per Aktienkäufe erworbenen finanziellen Unterstützer dieses Plans, leider zu versagen. Sie schmolzen wie der Schnee in der Sonne von Jahr zu Jahr.

Allen angekündigten Tricks zum Trotz: Harald war, wenn man´s genau betrachtete, ein armes Würstchen. Und dann auch noch eine Frau an seiner Seite, die ihm zusätzlich einen Strich durch die Rechnung machte.

Dauernd hielt er mir mein ausgabefreudiges Wesen vor, welches ihn - laut Excel-Tabelle - bereits mit spätestens Neunzig in die Kiste zwingen würde, weil die Ressourcen durch mich aufgefressen wären.

Auf einer Tabelle war er die grün-umrandete Zahl, ich die rote. Das sagt schon alles, oder? Die rote Zora neben dem grünen friedlichen Drachen.

Was mir eigentlich zu denken geben müsste, war die Tatsache, dass der skizzierte Modellbaukasten ‚Leben‘ meine Versorgung gar nicht berücksichtigte. Ich war immerhin 10 Jahre jünger, und dürfte - rein rechnerisch - demnach mit 80 nichts mehr zu essen haben. Somit würde ich ohne eigene Vorsorge entsorgt ins Heim für Minderbemittelte.

Keine Residenz, sondern ein nach Pisse stinkendes abbruchreifes Haus, in welchem in winzigen Kämmerchen alte Leute gestapelt, mit billigsten Lebensmitteln abgefüttert und gewindelt werden.

Ohne Anspruch auf das Glück des freien Falls: ein selbstversorgtes pralles Altersleben in der Sonne sitzend bei einem Glas Champagner.

Überlegungen dieser Art quälten mich immer öfter in den letzten Jahren, manchmal sogar im Traum. Wiederholt mit dem zarten Hinweis, zukünftig für mich selbst Sorge zu tragen!

Da mir weder im Traum noch im realen Leben einfiel, wie ich das bewerkstelligen sollte, um in der Sonne Kaliforniens - und nicht wie bei uns mit Blick auf die Müllkippe - beim besagten Glas Champagner sitzen zu können, blieb nur das heimliche Glücksspiel und die alle Trostlosigkeit besiegende Hoffnung.

Mama würde als Drahtzieher dieser Einschätzung meines persönlichen kleinen Desasters wieder einmal Schilddrüse oder ein Klimakterium bemühen.

Is´ ja auch wurscht. Diesmal würde ich zumindest nicht in meiner Talsohle sitzenbleiben und abwarten. Diesmal würde ich in eigener Regie handeln!

Harald sollte weiterhin seine blöden Wasserbetten verkaufen und mich unter der Woche in Ruhe lassen. Er hatte schließlich vor Jahren die Idee gehabt, dass ich zu Hause bleiben sollte, um für ihn hoffentlich bald ein Baby zu bekommen. Mein Herzenswunsch stand dabei nicht zur Debatte; ich hatte wohl auch keinen, sondern war froh, dass dieser damals charmante Mann, sich für mich interessierte und schließlich ehelichte. Standhaft hatte ich mich in den ersten Ehejahren geweigert, meinen Job als Optikerin aufzugeben. Nun war ich seit 10 Jahren zu Hause, ein Baby kriegte ich davon allerdings nicht. Ätschibätschi…

*

An meinem ehemaligen Arbeitsplatz hatten wir uns vor zweiundzwanzig Jahren auch kennengelernt. Harald sah umwerfend aus, war aber blind wie ein Maulwurf und trug bei unserer ersten Begegnung keine Brille. Aus purer Eitelkeit, wie er mir später gestand. Mein fürsorgliches Herz begann sofort zu pochen, als er sich mit der Hand vorsichtig tastend für die abschließende Messung Richtung Stuhl bewegte. Ich fand das irgendwie süß. Es erinnerte mich an einen halb blinden Welpen.

Er sah buchstäblich die Hand vor Augen nicht: Dioptrien 13!

Das bedeutete früher flaschenbodenähnliche Brillen-Optik und war heute problemlos zu operieren. Ob das der Grund war, weshalb er sich in mich verliebte, weiß ich nicht so genau. Später behauptete er es gehässigerweise und nannte in diesem Zusammenhang meine zu früheren Zeiten liebliche Stimme. Sie allein habe ihn in den Bann gezogen. Damals…, betonte er mehr als einmal.

Welches Bild er in mich projizierte, weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau. Über Äußerlichkeiten zu sprechen, verbot sich von selbst. Immerhin war ich ziemlich groß und von kräftiger Statur, während er in jungen Jahren eher zart, fast schon filigran wirkte und auch nicht besonders groß war. Er hatte ein schönes Gesicht, dichtes gelocktes Haar und sehr hübsche Hände. Diese Attribute fehlten mir, wenngleich ich wohl wusste, dass ich von meiner Mutter ausdrucksstarke Augen geerbt habe, während mir alles andere - und das war viel - väterlicherseits anhaftete. Der Theaterintendant hatte mir neben Statur eine ebenso imposante Nase, sein fusselig-dünnes, sandfarbenes Haar und wohl auch den breiten Hintern vererbt.

„Kreissäge“, hatten mir die Jungs schon in der 13. Klasse nachgerufen. Ich war laut Mamas Einschätzung was ganz Besonderes.

„Eine Constanze Buck ist eben kein Mitläufer“, predigte sie ein ums andere Mal.

Alles flirtete, was das Zeug hielt, nur ich stand mit meinen Heftstapeln fest im Arm gedrückt alleine auf den Schulfluren und fummelte verlegen an meinem großen Brillengestell. Meine Brüste waren zu klein und mein wundervoller Charakter interessierte niemanden.

Jahrelang stand ich mit dem Rücken an der Wand und wartete auf Mister Right.

Dioptrien 13 küsste erst sehnsüchtige 10 Jahre später Dioptrien 6.

*

Da Harald derart gemein zu mir gewesen war, sollte er von meinen aktuellen Plänen weder was wissen, noch jemals darin vorkommen!

3 Somit gehörte ich zum Kreis der verdeckten Spieler. Was noch aus einem anderen Grunde nicht ganz freiwillig geschah, da Glücksspiele im Hause Weber strengstens verboten waren. Harald hätte das nie durchgehen lassen. Vom monatlichen Haushaltsgeld leichtsinnig Glücksspiele zu finanzieren, ohne selber etwas zu verdienen, das ging gar nicht.

Also habe ich das Tor zu meiner Parallelwelt eröffnet, mir allwöchentlich den verschwörerischen Nervenkitzel eines eventuellen Gewinns gegönnt, und mein Spiel vor einem halben Jahr begonnen.

Ein junger Student hatte in unserem Supermarkt Werbung für diese neue Form der Lotterie gemacht. Er stand im Eingangsbereich auf einer Holzkiste und informierte die Besucher lautstark darüber, dass am folgenden Wochenende europaweit in 17 europäischen Ländern Megagewinne bereitstehen würden. Die Ziehungen fänden unter notarieller Aufsicht in Helsinki statt.

Sein Adamsapfel hüpfte angespannt am mageren Hals auf und ab, während er atemlos verkündete, dass sich künftig allwöchentlich mindestens 10, maximal 90 Millionen im Jackpot befinden würden!

Ich war sofort infiziert: EURO-JACKPOT!

Glücksgriff aus einer allzu engen Umklammerung; einzigartig, abenteuerlich und mein spezielles Geheimnis. Ich glaub´, diese Aussicht war der Hauptgrund für die Entscheidung, es tatsächlich zu wagen.

Lotto wollte ich zum Beispiel nie spielen! Die Gewinne waren viel zu niedrig. Das reichte ja nicht mal zum Hauskauf.

So viel steht fest: Demut und Dankbarkeit war keine hervorstechende Eigenschaft von mir. Da muss ich meinem Mann und meiner Mutter recht geben. Wenngleich Brenda damit eigentlich keine Probleme hatte, im Gegenteil. Sie fand, dass ich es weiter bringen würde, als der Rest der ewig mit was auch immer Zufriedenen.

Worauf sie wartete, war der Zeitpunkt der Umsetzung dieser durchaus Früchte tragenden Charaktereigenschaft ihres einzigen Kindes.

*

Die Tatsache, nun auch ein Vertreter der Alltagsdroge Glücksspiel zu sein, hatte für mich von Anfang an einen angenehmen Nebeneffekt. Wann immer fortan etwas dumm lief, stellte ich mir vor, was ich alles machen würde mit den Millionen, die ich eines Tages gewinnen werde. Es beschäftigte mich derart, dass ich häufig Ursachen negativer Befindlichkeiten völlig verdrängte.

Ich hatte genug damit zu tun, meine diversen Wünsche zu ordnen. Ständig kamen neue hinzu. Ich wägte ab: Manches blieb bestehen, sozusagen die Top 10 oder eher Top 20. Vieles floppte, noch ehe die nächste Ziehung anbrach.

Eigentlich war´s Blödsinn, mir derartige Gedanken zu machen. Nicht etwa, da der Millionen-Gewinn niemals eintreffen würde, sondern weil ich mir im Klaren wurde, dass alles, buchstäblich alles, was meine Fantasie an Wünschen deklarierte, zukünftig aus der Portokasse bezahlbar wäre.

Ich muss zugeben, das turnte eher ab als an, zeigte es doch, wie klein meine Vorstellungswelt war. Es reichte nicht, um bei den ganz Großen mitzuspielen, nicht mal ansatzweise.

Irgendwann beschloss ich, die Klappe zu halten, Zahlen anzukreuzen und in Ruhe abzuwarten, bis das Schicksal mir den weiteren Verlauf meines Lebens in neuem, glanzvollerem Gewand zu zeigen bereit wäre.

Die Gewinnzahlen ließen sich online abrufen, was normalerweise bei uns natürlich nicht ging, - das wäre meinem Gatten aufgefallen. Regelmäßig kontrollierte er seinen Computer und beäugte Online-Einkäufe mit großem Misstrauen.

Die Löschtaste war allerdings mein liebstes Spielzeug nach getaner Arbeit. Erworbene Schätze gelangten bequem unter der Woche per Nachnahme in meine Obhut, und ich freute mich jedes Mal diebisch über ein Klingeln des Paketboten an meiner Haustür.

Haralds Einschätzung nach waren alle Frauen von Natur aus kaufsüchtig und würden jeden Überblick verlieren, sofern es sich um Schuhe oder Handtaschen handelte. Jedes Widerwort ging unter.

Mit seinem Kosenamen – er wurde als Bub von seinen Eltern angeblich ‚Wunderkind‘ (wie blöd ist das denn bitteschön) genannt – gelang mir die Bestellung einer Handtasche vom selben Label. Der Kitzel hatte was, kostete 1200 Euro, die ich über viele Monate vom Haushaltsgeld abgezwackt und im Dachboden unter einem Brett in Seifenkistchen versteckt hatte. Den Scheinen haftete danach der Duft englischer Rosen an. Ein etwas penetranter Geruch, der mir noch heute in der Nase hängt. Geschenk meiner Schwiegermutter, welches ich alljährlich zum Geburtstag erhielt. Deren Inhalt landete konsequent im Müll, die Verpackung blieb jedoch verschont. Sie war nach dem Vorbild alter Überseekoffer gearbeitet, ganz aus Holz geschnitzt, und trug, neben dem noblen Schriftzug ‚English Rose‘, zig Stempel ferner Länder. Meiner Fantasie, zukünftig weite Reisen auf einem Luxusdampfer zu erleben, verlieh das reichlich Nahrung.

Allmählich gingen dem Wunderkind die Namen aus. Daher war es nur natürlich, dass irgendwann auch Marlis Weber bei ihrem Sohn computermäßig verhackstückt wurde: Schön ordentlich vorwärts und rückwärts, denn Harald ist im Zeichen ‚Jungfrau‘ geboren. Mit nur sechs Buchstaben war´s allerdings zu kurz, er hängte seine Lieblingszahl ‚66‘ hinten ran.

Als ob ich die nicht wüsste oder nach kurzem Ausprobieren drauf käme: Was denkt der eigentlich, wen er vor sich hat??

Ich bin 21 Jahre mit dem Mann verheiratet!

Womit er mir zunächst Schwierigkeiten bereitete, war der Name seines ersten Hundes. Hieß der nun Bronko (wieder zu kurz) oder Hasso (noch kürzer) rätselte ich, bevor ich es kurzerhand in ‚Bronko von Fallersleben‘ änderte. Der Hund entstammte selbstverständlich einem adeligen Hause, wie hatte ich das nur vergessen können. Die Moonboots - runtergesetzt auf 280 Euro – gehörten im Winter zu meinen Lieblingen.

*

Mitte 2012 war jedenfalls alles - vorwärts oder rückwärts - ausgereizt. Erst bekam ich schlechte Laune, bis mir meine Jackpot-Fantasie erneut Flügel verlieh. Dafür bedurfte es allerdings einer Einsatzerweiterung, um meinem Glück ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

Neue Tipp-Scheine verschwanden in der Seifenkiste und kamen nur an die frische Luft, um am Wochenende von Frau Blume, der kaufmännischen Angestellten oder Fräulein Kerstin, dem 19-jährigen Azubi, kontrolliert zu werden. Auf die ewig gleiche Mitteilung, auf den Scheinen wäre nichts drauf, machte ich ein möglichst unbeteiligtes Gesicht.

Ich meine, schon die Bezeichnung ist eigentlich falsch, denn da war sehr wohl was drauf (ganz genau 56 Kreuze), aber ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen mit meiner Klugscheißerei, und hörte mir mit beiläufigem Nicken an, dass ich noch eine weitere Woche auf mein neues Leben warten müsse.

Während Azubi Kerstin anscheinend mit der Lotterie-Spielerei nichts anfangen konnte, sie wirkte gelangweilt und irgendwie abwesend mit ihren abgeknabberten Nägeln, war es bei Frau Blume schon interessanter, auf den Kommentar beim Scannen zu achten.

„Tut mir leid, Frau Weber!“

Fragend hob sie die Augenbrauen und hielt den vermaledeiten Schein in die Höhe. Hieß so viel wie, wollen sie d-e-n etwa wieder mitnehmen? Ich winkte ab, woraufhin sie ihn im Papierkorb verschwinden ließ. Roswitha Blume und ich hatten denselben Traum, das verbindet.

„Und… nächste Woche wieder mit dabei?“

Auffordernd streckte sie ihre Hand über den Tresen, um mir den Tipp mit den immer gleichen Worten „Neues Spiel, neues Glück!“ abzunehmen.

Derart einvernehmlich lief das zwischen uns, wenn niemand in der Nähe stand. Gab´s eine Schlange, reichte ein beiderseitiges Augenzwinkern, um Mut zu machen für die nächste Runde.

*

Als ich ein paar Tage nach Mamas Anruf am Zeitungsstand lehnte und überlegte, ob ich diesmal eine Packung Zigaretten mehr kaufen sollte, mir war so danach, trat Frau Blume plötzlich neben mich und flüsterte verschwörerisch hinter vorgehaltener Hand: „Ich habe einen Jackpot-Sieger bedient! Stellen Sie sich das mal vor, Frau Weber! Letzte Woche. Bin noch ganz aufgeregt, als ob´s mein Schein wäre. Isser aber nicht. Leider!“

Sichtlich erregt marschierte sie zur Mittagspause.

Ich war so perplex, dass ich beschloss, erst mal den Lebensmittelkauf vorzuziehen. Dabei lief ich rum wie Falschgeld, lud hirnlos den Wagen voll, gönnte mir zum Abschluss eine Flasche Champagner und zwei Schachteln Pralinen auf den selig machenden Traum vom Glück.

Unmittelbar vor der Kasse stellte ich fest, dass sich die Scheine nicht wie üblich in der Manteltasche befanden.

Mein Kopf explodierte augenblicklich: Die Dinger konnten schließlich überall sein. Auf dem Dachboden, Küchen- oder Flurtresen, im Bad, in meiner Jeans… und damit leider auch in der Waschmaschine: Heute war Dunkel-60° dran.

Spontan fiel mir die selbsterfüllende Prophezeiung von Paul Watzlawek ein. Die Gedanken an den großartigen Psychologen und Meister schafften Distanz: Fuck!!

Warum sollte ich überhaupt der Gewinner sein?

Die Chance stand 1:98 Millionen, oder waren´s sogar noch mehr? Bislang kein Berliner dabei, nur zwei Spieler aus NRW. Was ja schon ´ne andere Dimension hatte als das vergleichsweise kleine Berlin-West. Keep it cool, Constanze!

Gemäßigten Schrittes ging ich zur Kasse, füllte bei Fräulein Dingsbums Azubi wie-hieß-sie-doch-gleich neue Scheine aus, wobei die Hand zitterte. Der Pegel war noch nicht ganz unten. Ich kramte einen Zwanziger aus dem Portemonnaie, um eine Stange Zigaretten als Beruhigungsmittel einzusetzen. Harald war ohnehin nicht daheim, es ließe sich also ohne ätzende Kommentare rauchen!