Mein Tanz mit Rommel - Elisabeth Marrion - E-Book

Mein Tanz mit Rommel E-Book

Elisabeth Marrion

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Beschreibung

Deutschland in den Jahren von 1926 bis 1945: Ihre Kindheit, geprägt von den Nachwehen des Ersten Weltkriegs, verbringt Hilde im beschaulichen Tilsit. Mit vierzehn Jahren muss sie sich alleine aufmachen in die weite Welt – nach Berlin – und kämpft fortan um das eigene Überleben und das ihrer Familie. Elisabeth Marrion, in Hildesheim geboren, zeichnet das Schicksal ihrer Mutter in diesem Tatsachenroman ergreifend nach. Der Leser erfährt, wie Hilde von einem schüchternen jungen Mädchen zu einer couragierten Frau heranwächst – und wie ein Tanz mit Generalfeldmarschall Rommel, dem „Wüstenfuchs“, der jungen Frau und ihrer Familie neue Hoffnung schenkt. Ein aufrüttelndes Zeugnis über Liebe, Freundschaft und Leid.

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Seitenzahl: 319

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Die Autorin:

Elisabeth Marrion (geb. Kinnigkeit-Päkel) ist gebürtige Hildesheimerin. 1969 zog sie nach England, wosieheiratete und noch heutelebt. Bis zuihrem Ruhestand war sie Geschäftsführerin in der Bekleidungsindustrie. Sie arbeitete mehrere JahreimFernen und Mittleren Osten. In Bangladesch war sie für ihr Unternehmen am Bau einer weiterführenden Schule beteiligt, in der heute Mädchen und Jungen im Alter von 12-18 Jahrenunterrichtet werden.

Elisabeth Marrion

MEIN TANZ MIT ROMMEL

– Ein historischer Roman –

Stuttgart 2014

Edition Noëma

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bibliographic information published by the Deutsche NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de.

Coverabbildungen:

Hilde 1937. Privatarchiv Elisabeth Marrion.

Kleine Abbildungen, von links nach rechts:

Berlin, Brände nach Luftangriff. Bundesarchiv, Bild 183-J30142 / CC-BY-SA

Berlin, Flüchtlinge aus dem Osten. Bundesarchiv, Bild 175-13223 / CC-BY-SA

Zwei B-17 Bomber über Osteuropa. Public Domain.

Generaloberst Erwin Rommel mit Offizieren seines Stabes bei einerLagebesprechung, links Oberst Eduard Crasemann; Jan.-Juni 1942; PK "Afrika". Bundesarchiv, Bild 101I-785-0287-08 /CC-BY-SA

Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Nipp und Waltraut Hoffmeyer

Dieser Titel ist als Printversion im Buchhandel oderdirekt bei der Edition Noëma(www.edition-noema.de) zu beziehen unter derISBN 978-3-8382-0568-7

ISBN-13: 978-3-8382-6568-1

© ibidem-Verlag

Stuttgart 2014

Edition Noëma

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und elektronische Speicherformen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, stored in or introduced into a retrieval system, or transmitted, in any form, or by any means (electronical, mechanical, photocopying, recording or otherwise) without the prior written permission of the publisher. Any person who does any unauthorized act in relation to this publication may be liable to criminal prosecution and civil claims for damages.

Für Moe

Danksagung

Mein Dank gilt Herrn Wolfgang Stierle, Bezirksvorsteher, Stuttgart-Botnang,ehemaliger Mitarbeiter von Professor Manfred Rommel, für seine Unterstützung und die aufmunternden Worte, die mich auf dieser Reise in die Vergangenheit begleitetet haben.

Elisabeth Marrion

März 2014

Prolog

14. Oktober 1944,Hildesheim

»Warum müssen Menschen sterben?«,fragte Klaus. Ich ging zu ihm und wollte ihn in meine Arme nehmen. Aber er stieß mich zurück.

»Der Mann, für den unser Papa arbeitet, ist der tot?«

Was sollte ich darauf antworten? Wie konnte ich einem Siebenjährigen die Grausamkeiten des Krieges erklären?

»Ja. Feldmarschall Rommel, der Mann, für den dein Papa arbeitet, ist tot.«

»Aber warum, Mama? Warum sterben Menschen?«

»Manchmal möchte der liebe Gott, dass sie zu ihm kommen.«

»Aber der liebe Gott will doch, dass alle zu ihm kommen.«

»Ja, das will er. Aber oftmöchte er sie früher haben, und dann muss er ganz schnell eine Entscheidung treffen.«

»Meinst du, so wie mit Inge? Er wollte, dass sie zu ihm kommt. Aber wir wollten lieber, dass siebei uns bleibt.«

»Ja, genau so, wie es mit Inge war.« Ich kämpfte gegen meine Tränen an. Ich wollte nicht, dass er mich jetzt weinen sah.

»Aber mein Papa, mein Papa kommt nach Hause«,beschloss er und ging zurück in die Küche, ummit den anderen zu spielen.

***

14. Oktober 1944,mittags in Herrlingen

Sie gingen zusammen den Waldweg hoch,die Köpfe gebeugt. Die beiden Männer sprachen leise,sie nahmen sich Zeit. Der kleine Pfad führte auf den Hügel zu einer Lichtung.

General Burgdorf ging links neben Generalfeldmarschall Rommel. Der Feldmarschall trug seinen Marschallstab unter dem linken Arm. Wenn er sich zu General Burgdorf drehte, berührte der Stab Burgdorfs Uniform.

Sie beschleunigten ihren Gang ein wenig – als ob sie sich daran erinnerten, eine Verabredung zu haben,zu der sienicht zu spät kommen wollten.

Das dunkelgrüne Auto, das sie hierher gefahren hatte, stand unten auf der Wiese. Sie nahmen an, dass General Maisel und der Fahrer noch im Wagen saßen.

Heute war das zweite Mal, dass General Burgdorf einen Befehl ignorierte.

Beim ersten Mal war das große Auto mit ihm und General Maisel vor Feldmarschall Rommels Haus vorgefahren.

Maisel sah ihn an, sprach aber kein Wort. General Burgdorf wies den Fahrer an, er solle sitzen bleiben.Er bat auch Maisel, im Wagen zu warten. Feldmarschall Rommel hatte den Wagen erwartet und kam Burgdorfentgegen. Beide Männer begrüßten sich und gingen zusammen die Treppe hoch ins Haus.

Burgdorf fühlte, dass er es dem Feldmarschall schuldig war, ihm Hitlers Entscheidung persönlich zu überbringen. Er wollte Rommel noch einen Augenblick Zeit geben, um sich zu fassen und sich von seiner Familie zu verabschieden.

Burgdorf sah durch das Flurfenster und hörte oben im HausRommels Frau weinen. Dann hörte er Schritte die Treppe herunterkommen. Burgdorf drehte sich um und sah Rommel mit seinem Sohn auf ihn zukommen.

Draußen vor der Haustür nahm Feldmarschall Rommel seinen Sohn noch einmal in die Arme, küsste ihn auf den Kopf und flüsterte ihm zu:

»Manfred, sei stark und tapfer. Deine Mutter braucht dich jetzt.«Dann drehte er sich um und folgte Burgdorf zum Wagen. General Maisel saß auf dem Beifahrersitz und nickte Rommel zu.Der Fahrer war ausgestiegen und hielt die Tür für ihn auf. Burgdorf stieg als Letzter ein und setzte sich hinten neben Rommel in das Fahrzeug.

***

Rommel hatte Burgdorf gebeten, noch einmal in den Wald gehen zu dürfen. Dorthin, wo er seine freie Zeit mit Manfred verbracht hatte. Sie hatten gejagt odernur still im Hochsitz gesessen unddas Wild beobachtet. Trotz des Befehls von Hitler, die Angelegenheit so schnell wie möglichdurchzuziehen, hatte BurgdorfRommels Bitte gern erfüllt.

Beide Männer waren nun am Waldrand angekommen. Rommel atmete tief ein und nahm den Geruch des Waldes mit seinem ganzen Körper auf.

»Wir müssen zurück, Herr Feldmarschall.«

»Ist es wirklich so weit gekommen? Nur zehn Minuten mit meiner Familie? Das war alles, was mir genehmigt wurde?«

»Es wird schmerzlos und schnell sein«, erwiderte Burgdorf.

»Mit schmerzlos meinen Sie, keine physischen Schmerzen, nehme ich an? Ich habe ihr Wort, Burgdorf, meiner Familie wird nichts passieren.«

»Sie haben mein Wort. Ich werde mich persönlich um Ihre Familie kümmern. Aber wir müssen jetzt zurück.Wie ich sehe, werdenSS und Gestapo dort unten ungeduldig.«

Feldmarschall Rommel und General Burgdorf gingen zum Fahrzeug zurück. Die Autotüren standen offen. General Maisel und der Fahrer standen 50 Meter vom Wagen entfernt.

Feldmarschall Rommel stieg ein, Burgdorf folgte ihm. Beide saßen nun auf demRücksitz.Burgdorf fasste in seine Uniformtasche, nahm eine Kapsel heraus und hielt sie Rommel hin. Dann folgte Feldmarschall Rommel seinem letzten Befehl und nahm die Kapsel von Burgdorfs ausgestreckter Hand.

***

Es ist unsere traurige Pflicht, demdeutschen Volk mitzuteilen, dass Generalfeldmarschall Erwin Rommel heute, am 14.Oktober 1944, in seiner Heimatstadt Herrlingen seinen Verletzungen, die er sich bei dem Angriff der britischen Luftwaffe in Frankreich im Juli 1944 zugezogen hat, erlegen ist. Das Staatsbegräbnis wird am 18.Oktober in Ulm stattfinden. Unser Führer hat Feldmarschall Rommels Familie sein Beileid ausgedrückt. Unser Führer ist, wie wir alle, zutiefst erschüttert. In seiner offiziellen Erklärung sagte unser Führer, dass unser Land einen der größten Feldherrn aller Zeiten verloren habe. Heil Hitler!

***

14. Oktober 1944, Hildesheim

Die Nachricht aus demRadio dröhnte uns noch in den Ohren. Wir hatten schon am Nachmittag vor dem Schultor davon gehört. Aber wir konnten es nicht glauben.

»Maria, das kann doch nicht wahr sein. Wir haben doch erst vor Kurzem gehört,dass er sich gut von seiner Verwundung erholt hätte.«

»Hilde, wenn es aber wahr ist,was dann?«

Zu Hause schickten wir Klaus zu Frau Bucker, sie sollte schnell runter kommen. Sie wusste sofort:Es war etwas passiert.

Wir stellten das Radio an und hörten einen Trauermarsch, dann kam die Nachricht vonRommels Tod.

»Oh mein Gott. Rommel ist tot.« Frau Bucker war die Erste, die etwas sagte.

Ich ging in die Küche und gab den Kindern etwas zu trinken. Maria suchte im Radio den Sender Von der Front.Sonst hörten wir diesen Sender nie, weil er immer nurPropaganda verbreitete. Aber heute wollten wir die Nachricht aus dem Radio hören.

»Hilde, was wird jetzt aus uns? Solange Rommel lebte, hatten wir noch Hoffnung.«Ich hörte Frau Buckernur halb zu. Ich starrte an die Wand und dachte zurück.

Kapitel 1

Frühjahr 1926, Tilsit, Ostpreußen

»Hilde, wo bleibst du?«Meine Mutter rief mich aus der Küche, wobei sie ungeduldig auf und ab ging. Ich warauf unserem Hof hinter dem Haus und fütterte die Schweine und Hühner. Hier draußen genoss ich die Ruhe und hatte Zeit zum Träumen. Heute wollte mein Lehrer zu uns kommen, dennich brauchte die Erlaubnis meiner Eltern, um mit unserer Theatergruppe auf Tournee gehen zu können. Die Proben für die Oper Hänsel und Gretel von Humperdinck sollten in der kommenden Woche beginnen. Ich sollte Gretel spielen, die Hauptrolle.Es war schon das dritte Mal, dass ich mitsingen durfte. Aber diesmal ging es auch auf ›Abstecher‹. Mein Lehrer hatte schon zugesagt, und meine Mutter konnte ich bestimmt überreden. Bei meinem Vater war ich mir nichtganz so sicher.

»Hilde.«

»Ja, ich komme gleich.«

Mein Vater hatte endlich wieder Arbeit gefunden. Er war jetzt bei der Bahn beschäftigt. Im Krieg hatte er den rechten Arm verloren, und als er 1918 nach Hause zurückkehrte, war er nicht wiederzuerkennen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie er vorher war; aber jetzt saß er nur noch vor dem Fenster und sah in die Ferne. Oder er stand im Wohnzimmer und starrte auf die Wand, als ob wir für ihn gar nicht vorhanden wären.

Ich zitterte, die dünne Strickjacke bot keinen Schutz vor dem kalten Ostwind. Trotzdem wollte ich noch nicht zurück ins Haus gehen.

Dieser Winter war besonders lang. Normalerweise hatten wir Frost von November bis März, aber in diesem Jahr war die Memel noch im April zugefroren.

Die sonstgerngenutzteSchiffsverbindung über den Fluss war eingestellt worden und wir benutzten die Eisfläche als Abkürzung, um von einer Uferseite auf die andere Seite der Stadt zu kommen. Die meisten Wohnhäuser und Bauernhöfe befanden sich auf der östlichen Seite der Memel. Die Schulen jedoch, die Geschäfte und der wöchentlich stattfindende Markt waren auf der westlichen Seite. Es war immer ein langer, mühsamer Weg über eine der beiden Brücken, wenn wir mit unserem Bollerwagen zum Markt mussten, um einzukaufen. Oder in der Erntezeit, um unsere Erbsen und Bohnen an einem Stand zu verkaufen.

Im Winter fand der Markt auf dem zugefrorenen Fluss statt, und um die Weihnachtszeit waren dort auch Stände aufgebaut – mit gerösteten Maronen, Bratwürsten, Grog für die Erwachsenen und warmem Kakao für die Kinder.

Um die wenigen Stunden Tageslicht auszunutzen, die es zu dieser Jahreszeit hier im Nordosten nur gab, liefen wir auf dem Fluss Schlittschuh – bis zum April, obwohl das Eis dann schon zu tauen begann. Aber das durften wir immer nur sonntags nach dem Kirchgang und solange es hell war.

Letztes Jahr wollten wir es noch einmal riskieren, obwohl unsere Mutter es uns schon verboten hatte.

Cousin Norbert war als Erster auf dem Eis und lief sofort bis zur Mitte. Er drehte sich um und winkte, dass wir uns beeilen sollten. Dann brach das Eis unter seinem Gewicht ein, und er verschwand. Mein Bruder Arno legte sich flach aufs Eis und krabbelte vorsichtig zur Mitte des Flusses. Nur Norberts Kopf ragte noch aus dem Wasser, und er schrie um Hilfe.

Es dauerte eine ganze Weile, bis wir alle an der Stelle angekommen waren, wo Norbert eingebrochen war. Norbert klammerte sich am Rand des Eises fest, und vier Paar Hände griffen nach seinem Mantel und ließen ihn nicht mehr los. Langsam zogen wir ihn aus dem eiskalten Fluss. Norbert war kreidebleich. Seine Stiefel mit den Schlittschuhen waren verschwunden, er hatte nur noch die Socken an den Füßen. Der Mantel hatte sich voll Wasser gesogen und war ihm dadurch zu schwer geworden, also ließ er ihn einfach am Ufer liegen.

Als wir bei meiner Tante ankamen, machte sie Wasser im Kessel heiß und goss es in eine Zinkwanne, die sie in die Küche vor das Herdfeuer stellte. Da hinein setzte sie Norbert und schickte uns nach Hause. Als meine Mutter von dem Unglück erfuhr, ließ sie alles stehen und liegen und lief sofort zum Haus meiner Tante. Es gab an diesem Abend nichts zu essen, aber das merkten wir noch nicht einmal.

Norbert bekam hohes Fieber und meine Mutter sagte, der Arzt habe mit dem Kopf geschüttelt und gemeint, wir sollten beten. Norbert starb drei Tage später an einer Lungenentzündung.

Zur Beerdigung wagte sich mein Vater zum ersten Mal wieder aus dem Haus.

»Hilde.«

»Ja, ich komme.«

Nur acht Eier. Zwei Hühner hatten nicht gelegt. Meine Mutter würde ärgerlich sein: Es gibt keinen Grund, Hühner zu füttern, die nicht legen.

An diesem Abend gab es unser Lieblingsessen: Königsberger Klopse, Salzkartoffeln und Kohl. Es durfte immer erst gegessen werden, wenn mein Vater zu Hause war, und das konnte spät werden. Oft ging er nach der Arbeit noch mit seinenKollegen in die Kneipe. Wir warteten dann vergebens.Meine Mutter ging nervös in der Küche hin und her, immer ein Augeauf das Küchenfenster gerichtet.

Herr Potenski, mein Lehrer,war schon da. Er saß am Küchentisch, auf den meine Mutter schnell noch einen Teller gestellt hatte.Vorher warf sie mir noch einenbösen Blick zu. Ich hatte nicht angekündigt, dass wir heute Abend Besuch bekommen würden, und ich wusste, dass die Klopse abgezählt waren.

Ich sagte ein stilles Gebet in der Hoffnung, dass mein Vater gut gelaunt nach Hause kommen würde. Wenn er wollte, konnte er sehr unterhaltsam sein. Er erzählte dann Geschichten, sang alte Volkslieder, und wir Kinder saßen auf dem Fußboden und hörten zu oder sangen mit. Meine kleine Schwester Erika klatschte dazu vor Begeisterung in die Hände.

Aber wenn er nach Hause kam und betrunken war, verschwanden wir Kinder, ohne einen Ton zu sagen, auf den Hof und versteckten uns.

Ich wartete nervös am Küchenfenster. Von hier aus hatte ich einen guten Blick runter zur Stadt. Ich sah ihn den Pfad hoch taumeln, drehte mich zu meinen Geschwistern um und schüttelte den Kopf. Wie auf Kommando nahm Arno Erikas Hand und schubste Herbert und Helmut durch die Tür nach draußen. Arno drehte sich noch einmal zu mir um und ich sah, wie er»Komm!« mit seinem Mund formte. Aber ich zuckte nur mit den Schultern und blieb am Fenster stehen.

»Was ist denn hier los?«, brüllte mein Vater,nachdem er es endlich geschafft hatte, die Tür zu öffnen.

»Beruhige dich, August«, sagte meine Mutter.»Herr Potenski ist gekommen, um die schriftliche Genehmigung einzuholen, dass Hilde bei der Theateraufführung mitspielen und mit auf Abstecher gehen darf.«

»Dafür ist es jetzt zu spät, auf Wiedersehen, Herr Potenski. Sie brauchen es sich gar nicht erst an meinem Küchentisch gemütlich zu machen.«

Mein Vater stolperte nach vorne und versuchte, sich mit der rechten Hand am Tisch festzuhalten. Er hatte in diesem Moment ganz vergessen, dass er rechts keinen Arm mehr hatte. Mit Panik in den Augen sah er meine Mutter flehend an, die nach vorne stürzte, um ihn festzuhalten.

»Was heißt denn hier zu spät?«Mein Lehrer hatte sich gefasst und half meinem Vater wieder auf die Beine.

»Hilde hat Arbeit in Berlin, sie verlässt Tilsit nächste Woche.« Das war alles, was meine Mutter erwiderte, ohne mich dabei noch einmal anzusehen.

Kapitel 2

»Bitte, bitte geh nicht weg.« Erika klammerte sich noch immer an mir fest. Wir saßen auf unserem gemeinsamen Bett und ich zog sie näher an mich heran.

»Beruhige dich.Ich komme euch oft besuchen.Berlin ist doch gar nicht so weit fort.Und denke daran, was ich alles mitbringen kann. Die ganzen schönen Dinge, die es in so einer großen Stadt gibt.«

Aber Erika war nicht zu überzeugen. Neben uns im Körbchen lag unsere kleine Schwester Gisela. Die ganze Nacht hatte sie gequengelt, aber meine Mutter kam nicht ein Mal, um nach ihr zu sehen. Erika und ich nahmen sie mit in unser Bett. Wir hätten sowieso nicht schlafen können.

Wer würde sich jetzt um die beiden Mädchen kümmern? Ich wusste, meine Brüder würden ihr Bestes geben,aber war das nicht die Aufgabe einer älteren Schwester? Alles, was meine Mutter mir bis jetzt gesagt hatte, war, dass meine Schwester Helene für mich eine Stelle im Haushalt einer alleinstehenden Dame in Berlin gefunden hätte. Mehr sagte sie nicht, als sie mir an diesem Nachmittag beim Packen half.

»Mutter, wieso hat Helene mir eine Stelle besorgt?«

Sie tat so, als hätte sie mich nicht gehört.

»Lass mich bitte zu Hause bleiben, ich will zurück in die Schule, ich will Sängerin werden.Bitte, Mutter, schick mich nicht fort. Du brauchst mich doch, ich kann dir im Haushalt und bei der Ernte helfen. Mutter, bitte. Bitte.«

Sie drehte mir den Rücken zu und ging zur Tür, aber ich hielt sie am Arm fest. »Mutter, bitte schick mich nicht weg.«

»Hilde, es ist zu spät dafür, sie warten auf dich in Berlin. Dein Vater hat schon die Fahrkarten, er wird sie heute Abend mit nach Hause bringen.«

***

Am nächsten Morgen stand ich als Erste auf und ging nach draußen, um noch einmal die Tiere zu füttern. Zwei Hühner fehlten – das Abendessen von gestern.

Ich hatte keinen Bissen runtergebracht, und mein Vater hatte wütend mit der Faust auf den Tisch geschlagen, sodass die Teller hochsprangen und der Krug mit dem Wasser umkippte und sich über die Kartoffeln ergoss. Er war von seinem Stuhl hochgeschossen und hatte drohend mit der Gabel in der Hand herumgefuchtelt.Er nannte mich ein undankbares Geschöpf, das nicht zu schätzen wüsste, dass die ganze Verwandtschaft gekommen war, um mir auf Wiedersehen zu sagen.

Meine Tante wollte aufstehen, aber mein Onkel legte seine Hand auf ihre Schulter und warf mir einen traurigen Blick zu.

Erika verließ ihren Platz neben Mutter und setzte sich auf meinen Schoß.

»Erika, setz dich sofort wieder auf deinen Stuhl und iss den Teller leer.« Mein Vater hatte ein knallrotes Gesicht.

Ich stand auf, nahm meine Schwester auf den Arm und drehte mich zu meinem Vater. »Du kannst mir gar nichts mehr sagen, ich wohne ja jetzt nicht mehr hier.« Ich zitterte am ganzen Körper. Wäre ich am nächsten Tag nicht gefahren, hätte ich nie gewagt, so mit meinem Vater zu sprechen.

***

Mein Vater ging zur Arbeit, ohne sich von mir zu verabschieden. Auf dem Küchenfußboden stand mein Gepäck:ein großer Pappkarton.Wie sollte ich den über 900 Kilometerheil ans Ziel bringen?Mein Bruder hatteihn mit Bindfäden verschnürt, um ihn zusammenzuhalten, und einen Griff angebracht, damit ich ihn besser tragen konnte.

Als ich am letzten Tag zur Schule ging, um mich zu verabschieden, zeigte Herr Potenskimeinen Klassenkameraden den Reiseweg auf der großen Landkarte. Von Tilsit fuhren Züge nur bis Königsberg. Dort musste ichin die ostpreußische Zuglinie umsteigen.

Diese Züge kamen nur alle zwei Tage aus Warschau und fuhren weiter bis Berlin.

»Ich komme mit.« Erika hielt sich an meinem Mantel fest. Ich kniete mich zu ihr hinunter und sah ihr in die Augen.

»Nein, du kannst nicht mitkommen.Ich muss doch dort arbeiten. Aber du darfst mich bis zum Zug begleiten.«

Arno hob sie hoch und setzte sie auf meinen Karton, der schon im Bollerwagen verstaut war. Meine Mutter lief ins Haus zurück und holte eine Decke. Damit wickelten wir Erika warm ein. Meine Brüder hatten nur ihre Pullover an und nichts auf dem Kopf oder an den Händen. Heute blies der eiskalte Ostwind wieder besonders stark.

Ich trug den Mantel meiner Mutter, brauner Pelz.Den hatte sie schon, seit ich denken konnte. Sie gab mir auch ihr Kopftuch, und mein Bruder Herbert gab mir seine Stiefel.

Ich verabschiedete mich von meiner Mutter, küsste Gisela. Dann sah ich meine Tante und die Cousins, wie sie den Feldweg heruntergelaufen kamen. Außer Atem blieben sie vor uns stehen. Meine Tante stützte ihre Hände auf die Knie und holte erst einmal tief Luft.

»Elisabeth, du gehst mit zum Bahnhof.Ich passe solange auf Gisela auf«, sagte sie zu meiner Mutter.

Zwei Stunden brauchten wir, bis wir am Bahnhof ankamen. Meine Cousins und Brüder schoben oder zogen den Wagen über die holprigen Straßen. Schweiß lief ihnen übers Gesicht. Die ganze Zeit über hielt ich Erikas Hand.

Kapitel 3

Beinahe hätten wir den Zug verpasst. Erika ließ mich nicht los und schrie wie am Spieß. Arno musste ihre kleinen Finger einen nach dem anderen zurückbiegen. Je mehr er

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