Mein Wildkräuter-Guide - Manuel Larbig - E-Book
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Mein Wildkräuter-Guide E-Book

Manuel Larbig

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Beschreibung

Gesundes Kraut wächst überall, man muss es nur finden

Manuel Larbigs Leidenschaft sind die Pflanzen. Der erfahrene Biologe bietet deutschlandweit Kräuterwanderungen und -kochkurse an. Dabei zeigt er, dass es nicht nur viel Spaß macht, sich mit Wildkräutern zu beschäftigen, sondern dass diese auch gut für unsere Gesundheit sind. Und vor allem: Jeder kann lernen, Kräuter zu bestimmen. Dafür braucht es nicht jedes Mal einen Ausflug in den Wald – auch vor der eigenen Haustür lassen sich viele bekannte und weniger bekannte Arten entdecken.

In seinem Buch erzählt Manuel Larbig von Erlebnissen am Wegesrand und beantwortet alle Fragen, die ihm in seinen Kursen immer wieder gestellt werden. Er zeigt, wie man Wildkräuter richtig bestimmt und sich damit ganz einfach ein leckeres Essen zaubert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 307

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MANUEL LARBIG, Jahrgang 1987, ist Biologe, Wildkräuternarr und Outdoorexperte. Er gibt deutschlandweit Wildkräuterworkshops und Survivalkurse, denn er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen für die Natur zu begeistern. Nach seinem Buch Waldwandern entführt er uns mit Mein Wildkräuter-Guide in das Reich der heimischen Flora und zeigt uns, wie auch wir zum*zur Sammler*in werden können.

Außerdem von Manuel Larbig lieferbar:Waldwandern. Von der Sehnsucht nach Wildnis und Nächten unter freiem Himmel

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.deund Facebook.

MANUEL LARBIG

MEIN WILDKRÄUTER-GUIDE

Von Rauke, Rapunzel und anderen schmackhaften Entdeckungen am Wegesrand

Die Empfehlungen in diesem Buch sind vom Autor und dem Verlag sorgfältig geprüft. Sie bieten keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Jeder Leser und jede Leserin ist für sein eigenes Handeln selbst verantwortlich. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen ohne jegliche Gewährleistung oder Garantie seitens des Autors und des Verlags. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2021 by Penguin Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: Hafen Werbeagentur

Covermotiv: Benjamin Zibner

Redaktion: Regina Carstensen

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-26980-7V003

www.penguin-verlag.de

Inhalt

Einleitung

1 Warum Wildkräuter sammeln?

Die Stadt und ihre Umgebung als Naturraum

Es macht Spaß, sich mit Wildkräutern zu beschäftigen

2 Gesunde Wildlinge

Inhaltsstoffe – ein Vergleich

Häufig vorkommende Inhaltsstoffe in Wildpflanzen

3 Das ABC des Wildkräutersammelns

Das Recht auf Wildkräuter

Welche Orte eignen sich zum Wildkräutersammeln?

Wann ist es zeitlich am besten, Wildkräuter zu sammeln?

Pflanzen, die innerhalb gewisser Zeitfenster giftig sind

Wie sammle ich am besten Wildkräuter?

4 Gefahren und Bedenken

Autoabgase und Hundeurin

Fuchsbandwurm – Reineke und seine Würmer

Leberegel

Belastete Böden

Giftpflanzen

Pyrrolizidinalkaloide

Was Hildegard nicht wissen konnte

5 Wildkräuter in der Schwangerschaft & Stillzeit

Während der Schwangerschaft

Während des Stillens

Heilkräuter in der Schwangerschaft und Stillzeit – Tradition vs. Wissenschaft

6 Pflanzen bestimmen

Was ist eine Pflanzenart und was eine Pflanzenfamilie?

Heimische und nicht heimische Arten

Pflanzenbestimmung Basics

Pflanzenbestimmung – Buch oder App?

Faustregeln

7 Steckbriefe

8 Artenvielfalt erhalten – was kann ich tun?

Register

Quellenangaben

Quellenverzeichnis Wildkräuter-Tabelle

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

»Wildkräuterwanderungen in der Stadt? Junge, veranstaltest du auch Tauchkurse in der Lüneburger Heide?« Dieser nicht ganz ernst gemeinte Kommentar meines Sitznachbarn während eines Weiterbildungsseminars hat mich sehr belustigt. Die Frage ist durchaus berechtigt: Wachsen überhaupt Wildkräuter in der Stadt? Und ergibt es denn Sinn, sich mit der Flora eines scheinbar naturfernen Lebensraums wie der Großstadt und ihrer Umgebung zu beschäftigen? In einer Überflussgesellschaft, in der wir durch die großen Supermarktketten ganzjährig fast alle erdenklichen Lebensmittel konsumieren können, scheint es heutzutage überholt und überflüssig zu sein, Wildpflanzen zu sammeln. Doch ist dem wirklich so?

Ich kann auf beide oben gestellten Fragen mit Ja antworten. Ja, Wildkräuter sind auch in urbanen Zentren zu finden. Und ja, die Beschäftigung mit Wildkräutern kann uns auf vielen Ebenen nutzen: Zum einen kann uns das Sammeln der Kräuter dabei helfen, unser modernes und oft hektisches Leben zu entschleunigen. Zum anderen fügen sich Wildkräuter gut in den Trend hin zu einem nachhaltigeren und bewussteren Leben ein – schließlich sind sie nicht nur saisonal und regional, sondern zudem Bio, Fairtrade (da selbst gesammelt), oft sehr gesund und noch dazu völlig kostenlos.

Egal ob in der Apotheken Umschau, in den Kochrezepten von Zeitschriften, in Großstadt-Szene-Blogs oder Tageszeitungen – überall werden Wildkräutern wahre Wunderwirkungen zugesprochen. Das Problem an einem Ernährungshype ist allerdings leider, dass das übertriebene Aufbauschen eines Themas in der Regel dazu führt, dass die wirklich guten Eigenschaften im Nachhinein wieder in Vergessenheit geraten. Daher ist es mir wichtig, mich in diesem Buch so objektiv wie möglich mit Wildkräutern auseinanderzusetzen und etwas Klarheit in diese unübersichtliche Informationslage zu bringen. Meine gar nicht so gewagte These: Wildkräuter sind kein Superfood, aber super sind sie trotzdem.

Und wer glaubt, Metropolen sind per se naturferne Räume, hat weit gefehlt. Tatsächlich weisen viele Städte eine größere Artenvielfalt auf als manch ländliches Gebiet, das von Monokultur-Äckern und -Forsten bestimmt wird. Viele Großstädter anderer Länder beneiden uns um unsere grünen Städte, man vergleiche dahingehend nur mal die Grünflächen unserer Hauptstadt mit denen von Paris.

Im Raum Berlin und Brandenburg biete ich Wildkräuterworkshops, -ausbildungen und -wanderungen an, bei denen ich den Menschen unsere vielfältige und spannende heimische Pflanzenwelt näherbringe. Dabei konnte ich nicht nur einen Überblick darüber gewinnen, welche Themen besonders spannend und interessant sind, sondern auch, was die Teilnehmer bis dahin davon abhielt, Wildpflanzen zu sammeln oder sich ausführlicher mit ihnen zu beschäftigen.

Mit diesem Buch möchte ich euch ermutigen, sich der botanischen Welt zu öffnen, die uns immer und überall umgibt, und ein Auge dafür zu entwickeln. Kommt mit mir auf eine im wahrsten Sinn des Wortes buchstäbliche Kräuterwanderung, auf der es viel zu entdecken gibt.

1Warum Wildkräuter sammeln?

Was motiviert Menschen dazu, sich mit Wildkräutern zu beschäftigen? Diese Frage interessiert mich seit meinem ersten Wildkräuterkurs, den ich 2016 – höchst aufgeregt und mit weichen Knien – gegeben habe. Deshalb frage ich zu Beginn jedes Kurses nach der Motivation der Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Und nach nun fast 500 Kräuterwanderungen habe ich einen recht guten Überblick. Zwei Gründe werden besonders oft genannt: den positiven Einfluss auf den Körper durch wertvolle Inhaltsstoffe und eine gewisse Entschleunigung, die wir durch die Beschäftigung mit Wildpflanzen erfahren können.

Die Stadt und ihre Umgebung als Naturraum

Abb. 1: Städtische Umgebungen können artenreicher sein, als man gemeinhin annimmt.

Ich blicke in die Runde und sehe lauter überraschte Gesichter. »Wow, das ist wirklich krass. Ich meine, wir sind hier – keine Ahnung – vielleicht hundert Meter gelaufen, und wenn man genau hinsieht, wächst ja überall was!« Tom ist einer von zehn Teilnehmenden des von mir geleiteten Themen-Kräuterspazierganges »Urbane Wildnis«, der einmal im Monat jeweils in einem anderen Kiez in Berlin stattfindet. Dabei gehen wir ganz bewusst nicht in Parks und Stadtwälder, sondern laufen Einkaufsmeilen, Fressgassen und Parkplätze ab. Das macht immer großen Spaß, denn das Erstaunen ist jeweils groß. Es gibt an diesen Orten nämlich eine Menge zu entdecken, wenn man genau hinsieht.

»Städte sind naturferne, künstliche Lebensräume. Wer echte Natur möchte, muss dafür weit rausfahren.« Diese weitverbreitete Meinung beruht meist auf der Einteilung eines Raumes in »Natur« und »menschlich geprägt«. Wer lediglich vom Menschen unbeeinflusste Naturräume als echte Natur definiert, hat ein Problem. Denn dann existiert in Deutschland überhaupt keine Natur. Dann findet man sogar auf 99 Prozent der Fläche Europas keine Natur. Bei globaler Betrachtung müsste man dann in bestimmte Nationalparks und Schutzgebiete reisen, doch letztlich sind das winzige Flächen.

Urbane Lebensräume sind – selbst wenn es die extreme Versiegelung städtischer Böden und der Anblick grauer Betonmonster manchmal nicht erahnen lassen – relativ artenreich. Nicht nur wärmeliebende Pflanzen, Insekten und einige Vogelarten fühlen sich hier wohl, auch sind Hausgärten und Parks in Großstädten oft »wilder« und blumenbunter als die heutzutage meist »sauberen« und totgepflegten Vorstädte und Dörfer, in denen der Rasenmäher zum permanenten Hintergrundgeräusch gehört.

Die Berliner Morgenpost hat vor ein paar Jahren ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem Satellitenbilder ausgewertet wurden, um den Anteil an begrünten Flächen in unseren Großstädten zu berechnen. Durch die Draufsicht hat man so einen interessanten Blickwinkel, und bei der Berechnung flossen nicht nur die Flächen von Parks, Stadtwäldern und Feldern mit ein, sondern ebenso Dachbegrünungen und Hausgärten:

Großstadt

Prozentualer Anteil an Grünfläche

Hamburg

71,4

Dortmund

70,7

Stuttgart

69,9

Dresden

69,4

Bremen

68,2

Essen

68

Hannover

65,2

Berlin

59

Köln

58,4

Frankfurt am Main

58,2

Düsseldorf

56,7

München

49,9

Nürnberg

47,9

Leipzig

42,4

Bei spontanen Kräuterführungen muss ich in den allermeisten Fällen nicht vorher anreisen, um die Umgebung auf ihre botanische Vielfalt zu prüfen. Noch nie bin ich eine Straße in einer Stadt entlanggelaufen, ohne eine mehr oder weniger interessante Pflanze zu finden. Da gedeiht ein Herbst-Schuppenlöwenzahn (Scorzoneroides autumnalis) prächtig in der Asphaltritze, hier lugt ein Zimbelkraut (Cymbalaria muralis) aus einem Mauerspalt hervor und dort steht ein Kompass-Lattich (Lactuca serriola) an den Pfeilern einer Bushaltestelle. Überall, wirklich überall, lassen sich Wildkräuter finden. Ob man diese auch an jeder Stelle sammeln und später verwerten möchte, ist etwas anderes.

Natürlich sind Großstädte nicht so artenreich wie in der Natur vorkommende Trockenrasen oder Auwälder. Wenn ich also von einem »besonderen« Standort spreche, so liegt darin erst einmal keine Wertung. Gemeint ist, dass in Großstädten Bedingungen herrschen, die in der Natur so nicht gegeben und einmalig sind.

Dass es in Städten durchaus etwas zu entdecken gibt, zeigt sich schon daran, dass es einen Zweig in der Biologie gibt, der sich damit beschäftigt – Stadtökologie. Doch was macht die Stadt als Ökosystem so besonders?

Um ein Ökosystem zu charakterisieren, kann man sich, stark vereinfacht, drei Faktoren ansehen: Klima, Boden und Relief. Das urbane Klima ist im Vergleich zum Umland ein anderes, was vor allem der Bebauung geschuldet ist, denn Beton speichert die Wärme und gibt sie langsam ab. Speziell in der Nacht ist dieser Effekt auffällig. Stellenweise ist das Klima überhaupt von sehr hohen Temperaturen geprägt. Dann ist die Windgeschwindigkeit in der Stadt geringer; die Luft hat eine andere Zusammensetzung und es gibt mehr Niederschläge als im direkten Umland. Wo eine Pflanze wächst und wo nicht, wird vor allem durch den Boden bestimmt. Ein sandiger Boden trocknet schnell aus, und ein lehmiger Boden kann manchen Pflanzen mit Staunässe zu schaffen machen. Das Relief einer Großstadt ist durch die unterschiedliche Bebauung wiederum sehr abwechslungsreich und kleinteilig. Der Boden in Städten ist oft auch stark verdichtet, sauerstoffärmer und trockener. Außerdem sind viele Flächen »versiegelt«, und durch exzessives Salzstreuen im Winter ist in urbanen Böden der Salzgehalt meist sehr hoch. Was die Großstadt aber aus ökologischer Sicht letztlich interessant macht, sind die vielen abwechslungsreichen Mini-Ökosysteme. Da ist der Balkonkasten im achten Stock, der den ganzen Tag Sonne abbekommt, die streusalzreiche Ecke im Hinterhof, die Dachbegrünung der Kita.

Das Ganze soll hier nun kein Plädoyer für einen Aufenthalt in der Großstadt ohne Ausflüge ins Umland sein. Auch möchte ich nichts romantisieren, denn die Artenvielfalt selbst in den Städten sinkt stetig (doch mehr dazu im Kapitel 8). Mir ist jedoch wichtig, aufzuzeigen, dass man sogar in der Großstadt und in ihrer näheren Umgebung eine interessante Botanik vorfinden kann und nicht jedes Mal weit rausfahren muss, um sie zu erleben.

Es macht Spaß, sich mit Wildkräutern zu beschäftigen

Dass es gerade der urbanisierten Seele guttut, wenn ihr Träger raus in die Natur geht, ist kein Geheimnis. Der Aufenthalt in der Natur spricht alle Sinne an und wir können vom Alltagsstress aufatmen. Probleme im Büro oder zwischenmenschliche Schwierigkeiten sind während eines Spaziergangs im Grünen oft wie weggeblasen. Dessen sind sich die allermeisten bewusst. Noch nie habe ich jemanden sagen hören: »Ich bereue es, meinen Hintern hochbekommen zu haben! Ach, wäre ich doch lieber daheimgeblieben und hätte eine Netflix-Serie geschaut, als diesen Spaziergang gemacht zu haben.« Die Schwierigkeit liegt, glaube ich, für viele eher darin, sich zu motivieren, es einfach zu tun. Beschäftigt man sich mit Wildkräutern, hat man noch einen weiteren Grund, sich Zeit fürs Rausgehen zu nehmen.

Abb. 2: Sich mit Wildpflanzen zu beschäftigen macht Spaß und tut gut.

Ich bin ein großer Fan von Vera Birkenbihl, leider starb diese faszinierende Kommunikationstrainerin schon 2011. Ich liebe ihre nüchtern-sachliche Art, gepaart mit einem wunderbaren Sarkasmus und einer gewissen Derbheit. Als Asperger-Autistin hatte sie einen ganz anderen Zugang zu zwischenmenschlicher Kommunikation und zu Lernmethoden. Sie propagierte immer wieder ein lebenslanges Lernen und ermutigte die Menschen, sich geistig bis zum Schluss zu fordern und zu fördern. Ich bin sicher, Vera Birkenbihl hätte eine Beschäftigung mit Wildkräutern gutgeheißen, schließlich werden dabei die kognitiven Fähigkeiten immens gefordert. Und das mithilfe all unserer Sinne – Sehen, Tasten, Riechen, Schmecken und und sogar Hören (Hast du schon mal einen Klappertopf klappern hören?).

In Deutschland wachsen zwischen 3000 und 4000 verschiedenen Samenpflanzenarten, und es geht nicht darum, sie alle zu kennen. Man würde Tausende Pflanzen auf Grundlage eines wissenschaftlichen Systems lernen, das stets im Wandel ist. Viel wichtiger ist: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken. Gerade diese »Transferleistungen« trainieren unser Gehirn viel mehr als stupides Auswendiglernen. Gleichzeitig ist eine grundlegende Artenkenntnis sehr hilfreich, und deren Ausbau kann auch bereichernd sein, nur sollte man sich nicht nur darauf fokussieren.

Es ist ein tolles Gefühl, eine unbekannte Pflanze von Nahem zu betrachten und Gemeinsamkeiten zu einer bereits bekannten Art zu entdecken. Wenn aus einem »Moment mal, die erinnert mich an diese und jene Pflanze« ein »Wow, die ist ja ganz nah verwandt mit der Art, an die sie mich erinnert« wird, ist das ein Glücksmoment. Eine Vermutung wird zur Gewissheit, man ist stolz, und das Botanik-Selbstbewusstsein erhält einen gewaltigen Schub. Natürlich liegt man hin und wieder völlig daneben oder ist leicht verzweifelt, weil man keine Ahnung hat, was für eine Pflanze man da vor sich hat und der komplizierte Bestimmungsschlüssel die eigene Verwirrung nur noch verstärkt. Doch wenn man an den Punkt kommt, zu akzeptieren, dass man nicht immer zur Lösung gelangen muss (und zum Teil gar nicht vermag), dann kann man sich den Kräutern noch viel entspannter und mit mehr Freude widmen.

Also: Vergiss Gehirnjogging-Apps, beschäftige dich besser mit einer bunten und vielfältigen Welt, die dir bis dahin im Verborgenen blieb, dich aber immer und überall umgibt: die Welt der Wildpflanzen.

Die E-Mail eines Kursteilnehmers freute mich sehr. Er habe, so schrieb er mir, seit einigen Jahren einen jener Konzept-Gemüseacker in Berlin gepachtet, auf denen man bereits eingesäte oder eingepflanzte Kulturen pflegt und erntet. Vor allem der Spinat habe nie so recht gedeihen wollen, dauerhaft sei er mit Schädlingen befallen gewesen. Und, als wäre das nicht schon genug, hätten ihm die Unkräuter – allen voran der lästige Weiße Gänsefuß (Chenopodium album) – das Leben zur Hölle gemacht. Nun wolle er sich bedanken, durch die Wildkräuterausbildung mit dem damit verbundenen Wissenszuwachs sei für ihn eine andere Sicht auf die Dinge möglich geworden. Alle Unkräuter seien wie weggezaubert, ein Wunder! Stattdessen würde er überall interessante Wildkräuter sehen. Und das mit dem Spinat hätte sich nun auch erledigt, fuhr er fort. Seitdem er nun wisse, dass der Weiße Gänsefuß, sein ehemaliger Erzfeind, ein toller Spinatersatz und mit diesem ja sogar nah verwandt sei, hätte er den Spinat gänzlich gestrichen. Vielmehr fördere er nun den Gänsefuß, dieser müsste kaum gegossen werden, sei sehr resistent gegenüber den Schädlingen und schmecke ganz wunderbar.

Die Beschäftigung mit unserer Natur kann einiges leisten. Die Wahrnehmung verändert sich, man geht wacher durch die Welt. Das Greiskraut (Senecio vulgaris) hinter der Bushaltestelle, an der man jeden Morgen steht, fällt einem auf einmal ebenso auf wie die zierliche Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) im Blumenkübel mit den Geranien. Man schärft seine Sinne für Details, und das springt zum Teil auf andere Dinge über, die nichts mit Wildkräutern zu tun haben.

Neben all diesen Argumenten gibt es für mich vor allem eine wichtige Triebfeder, die mich immer weiter mit Wildkräutern beschäftigen lässt: Es macht riesigen Spaß! Das Finden von Pflanzenarten triggert bei mir wahrscheinlich einen ähnlichen Bereich des Belohnungszentrums im Gehirn, der bei anderen beim Sammeln von Fußballbildern, Briefmarken oder dem Fangen von Pokémon angesprochen wird. Nur dass – nichts gegen Briefmarkensammler – Wildpflanzen zusätzlich viele Anwendungsmöglichkeiten bieten.

2 Gesunde Wildlinge

»Stimmt es eigentlich, dass Wildkräuter gesünder sind als das Gemüse aus dem Supermarkt?«, fragt mich Tanja, als ich mich gerade hinknie und allen Teilnehmern der Wildkräuterwanderung einen Wiesen-Bocksbart (Tragopogon pratensis) zeigen möchte. Ich stehe wieder auf und halte einen Moment inne. »Das kommt darauf an«, sage ich langsam und überlege währenddessen, inwieweit es die Zeit zulässt, weit auszuholen. Ich entscheide mich für die kurze Variante: »Prinzipiell schon, es gibt viele Wildkräuter, die Kulturgemüsesorten um Längen schlagen, was die Inhaltsstoffe angeht. Aber es kommt ebenso darauf an, wo die Wildkräuter gesammelt werden.«

Ich bin kein Freund von pauschalen Aussagen – auch wenn viele Wildkräuter sehr gesund sind, würde ich den Satz »Wildkräuter sind gesünder als Zuchtgemüse« so nicht unterschreiben. Absolute Aussagen lassen sich zumeist mit der einen oder anderen Ausnahme aushebeln.

Möchte man einen tiefergehenden Vergleich von Supermarktgemüse und Pflanzen aus der Natur wagen, sollte man zuerst die Begriffe »Kulturpflanzen« und »Wildkräuter« definieren. Zuerst einmal lassen sich alle vom Menschen genutzten Pflanzen als Nutzpflanzen bezeichnen, dazu gehören sowohl wilde als auch kultivierte Arten. Kulturpflanzen sind jene, die vom Menschen zum Zwecke der Ernährung angebaut und geerntet werden. Wildkräuter hingegen wachsen, wie der Name schon sagt, »wild«, werden also nicht ausgesät, angepflanzt und versorgt. Es gibt durchaus Arten, die ursprünglich angebaut wurden und sich dann selbstständig vermehrt und ausgebreitet haben und nun ohne menschliche Hilfe wachsen, etwa Echter Buchweizen (Fagopyrum esculentum). Diese Kräuter bezeichne ich im Folgenden ebenfalls als Wildkräuter, obwohl sie ursprünglich als Kulturgemüse ausgebracht wurden.

Inhaltsstoffe – ein Vergleich

»Wildkräuter sind kein Superfood!«

Absolute Stille. Die Menschen in der kleinen Halle, in der ich meinen Vortrag halte, schauen mich erstaunt an.

Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Schließlich wurde im Untertitel des Vortrags erwähnt, dass Wildkräuter gesund sind und man hört ja überall davon.

Superfood

Der Begriff »Superfood« soll dem Konsumenten vermitteln, dass es sich dabei um ein Lebensmittel handelt, welches eine herausragende positive Wirkung auf seine Gesundheit mit sich bringt. Dass es in den meisten Fällen keine Belege dafür gibt, scheint Verkäufer und Kunden gleichermaßen wenig zu interessieren.

»Tatsächlich bin ich der festen Überzeugung, dass es gar keine Superfoods gibt. Meiner Meinung nach ist dieser Begriff ein Produkt findiger Marketingstrategen, die dafür bezahlt werden, Emotionen und Gelüste zu erzeugen, um Verkaufszahlen zu steigern. Wildkräuter sind kein Superfood. Aber trotzdem super.«

Doch wie sieht das konkret aus: Stecken Wildkräuter nun voller wertvoller Inhaltsstoffe oder ist auch diese Aussage nur Folge eines aufgeblasenen Hypes? Ist sie eine schamlose Übertreibung?

Das Problem an vielen im Internet kursierenden Nährwerttabellen ist, dass sie allein dem Zwecke dienen, dem Leser ein »Oha!« zu entlocken und mit der entsprechenden Überschrift fast schon das Niveau der meistverkauften deutschen Tageszeitung erreichen. Aus vielerlei Gründen bin ich kein Freund von solchen Tabellen und vorschnellen Schlussfolgerungen. Der erste Punkt ist die Vergleichbarkeit der Werte. Meiner Meinung nach schadet es der Glaubwürdigkeit, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. In dem Fall der kursierenden Tabellen vergleicht man sogar eher Äpfel mit Mettwurst. Es ergibt keinen Sinn, Zuchtpflanzensorten mit niedrigen Kaliumwerten mit nicht verwandten Wildkräuter-Arten gegeneinander abzuwägen, die in diesem Punkt einen hohen Wert aufweisen.

Ein Beispiel: Es ist schlichtweg nicht fair, in puncto Kalium den Kopfsalat (220 mg) gegen den weißen Gänsefuß (900 mg) antreten zu lassen. Kontrastiert man hingegen Gänsefuß mit Spinat (630 mg), erkennt man weiterhin, dass Ersterer mehr Kalium enthält. Hier eine Parallele zu setzen ergibt aber durchaus mehr Sinn, da diese beiden Pflanzen relativ nah verwandt sind und Gänsefuß auch als »Wildspinat« bekannt ist.

Was die Vergleichbarkeit aber oft schwierig gestaltet, ist die Anbaumethode der Zuchtpflanzen; sie hat zum Teil einen Einfluss auf die Inhaltsstoffe. Ökologisch erzeugte Lebensmittel sind also ernährungsphysiologisch oftmals wertvoller als konventionell hergestellte Produkte. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Pflanzen je nach Standort unterschiedliche Mengen von (Mikro-)Nährstoffen einlagern. Und das ist nicht der einzige Einflussfaktor: Genotyp (genetische »Ausstattung«), Klima, Zeitpunkt des Sammelns im Jahresverlauf, Lichtverhältnisse, Boden oder sogar Schädigungen durch Fressfeinde können zu ganz unterschiedlichen Werten führen.

Auch kommt es auf Analysemethode und Interpretation an. Das bekannteste Beispiel liefert hier – mal wieder – der Spinat. 1890 analysierte der Physiologe Gustav von Bunge seinen Eisengehalt und fand vor: 35 mg pro 100 g Ausgangsmaterial. Später übersah man bei der Erstellung von Nährwerttabellen, dass Bunge mit getrocknetem Spinat gearbeitet hatte und die Werte aller anderen untersuchten Lebensmittel auf frischen Produkten basierten. Er hatte sich also nicht – wie oft behauptet – einen Kommastellen-Patzer geleistet, sondern seine Angaben wurden falsch interpretiert und eingeordnet. Die Annahme, Spinat habe unglaublich hohe Eisenwerte, war dafür verantwortlich, dass Kinder jahrzehntelang mit diesem Grün gemartert wurden. Nicht zu vergessen die Comicfigur Popeye, jener Spinat vertilgende Seemann mit übernatürlichen Kräften.

Überhaupt: Ein Wert sagt per se noch nicht viel aus, entscheidend ist auch die Verwertbarkeit des jeweiligen Inhaltsstoffs. Beim Eisen etwa wird das als Häm-Eisen vorliegende Metall im Fleisch viermal besser von uns Menschen aufgenommen als das Nicht-Häm-Eisen aus Pflanzen. Doch selbst innerhalb der Pflanzenwelt kann es erhebliche Unterschiede in der Verwertbarkeit geben, da andere Inhaltsstoffe die Aufnahmefähigkeit im Körper beeinflussen können. So führt die im Spinat enthaltene Oxalsäure dazu, dass sein Eisen nicht so wertig ist wie das von Pflanzen, die wenig oder keine Oxalsäure ausweisen. Zudem werden viele Werte oft mit unterschiedlichen Methoden gemessen, sodass selbst in der Forschung unterschiedliche Interpretationen existieren.

aid infodienst

Der aid infodienst (Land- und Hauswirtschaftlicher Auswertungs und Informationsdienst) existierte von 1950 bis 2016. Er bereitete Forschungsergebnisse aus den Bereichen Ernährung, Umwelt und Landwirtschaft auf und stellte sie meist kostenlos Verbrauchern, Landwirten, Journalisten sowie Lehrern zur Verfügung.

Ein weiterer Grund, weshalb viele im Netz kursierenden Wildkräutertabellen zu hinterfragen sind: Fast ausnahmslos alle deutschsprachigen Webseiten, auf denen Tabellen mit »Wildkräuter vs. Gemüse« zu finden sind, beziehen sich auf eine einzige Quelle. Diese ist ein kleines Faltblatt aus dem Jahr 1982 mit dem Titel »Wildgemüse« (Nr. 1182), herausgegeben vom aid infodienst in Bonn. Auf Nachfrage beim Bundeszentrum für Ernährung (BZfE), einer Nachfolgeinstitution des aid infodiensts, wurde mir mitgeteilt, dass es seit 1982 keine Neuauflage des Faltblättchens mehr gab, die dort aufgelisteten Angaben als »betagt« einzustufen sind und heutzutage nicht mehr als Quelle herangezogen werden sollten.

Eigentlich war ich auf der Suche nach seriösen Quellen gewesen, um meine These, dass Wildkräuter gesund seien, zu untermauern. Das hatte ich nun davon – alles, was ich zunächst vorgefunden hatte, war ein unseriöser Umgang mit Quellen und Daten. In den folgenden Wochen unterhielt ich mich mit diversen Experten, wurde in Universitäten vorstellig, telefonierte mit Lebensmittelchemikern, durchforstete alle möglichen Datenbanken nach Studien über Inhaltsstoffe von Wildkräutern und versank in Spezialliteratur. Das Ergebnis war nicht wirklich zufriedenstellend: Es gibt nicht besonders viele aktuelle Untersuchungen dazu. Nach einiger Zeit fand ich dann aber doch Angaben, die auf einer Datenerhebung nach wissenschaftlichen Standards beruhen – und zwar in einigen Studien zu den Inhaltsstoffen ausgewählter Wildpflanzenarten.

In der folgenden, von mir angelegten »Großen Wildkräuter-Nährwerttabelle« wirdzum Teil eine große Spanne von Werten abgebildet. Diese sollen besagen, dass in unterschiedlichen Studien unterschiedliche Werte gemessen wurden. Hier einen Mittelwert zu bilden, wäre statistisch schlichtweg falsch, also belassen wir es bei einer Spanne. Wasser Protein Kohlenhydrate und Ballaststoffe sind in Gramm angegeben, die restlichen Werte in Milligramm. Sie beziehen sich auf 100 g Frischmasse des Ausgangsmaterials.

Nährwerte von Wildkräutern im Vergleich zu Kultursorten

Die Vergleichstabelle finden Sie hier:

https://www.penguinrandomhouse.de/penguin/Wildkraeuter-Naehrwerttabelle

Auch wenn die Angaben im Internet und in manchen Wildkräuterbüchern nun als überhöht entlarvt wurden, lässt sich sagen, dass Wildkräuter in der Tat häufig einen hohen Gehalt an ernährungstechnisch interessanten Inhaltsstoffen aufweisen. Aber warum ist das so?

In der zehntausendjährigen Geschichte der Kulturpflanzen haben unsere Vorfahren zum Teil bewusst und zum Teil unbewusst bestimmte Merkmalseigenschaften der Pflanzen wie Größe der Früchte, Geschmack und Anbaufähigkeit selektiert. Als geeignet empfundenes Saatgut bewahrte man auf und brachte es aus. Doch für unsere Vorfahren – und heute ist es zumeist nicht anders – waren andere Eigenschaften als der Gehalt an Mikronährstoffen wichtiger. So war damals die Größe der Pfahlwurzel der Wilden Möhre (Daucus carota) interessanter als der Gehalt an Vitamin A (von Letzterem hatte man noch nicht den geringsten Schimmer), und auch der etwas weniger bittere Geschmack des Kompass-Lattichs war schlichtweg attraktiver, man wusste noch nicht, dass man durch die Züchtung hier gleichzeitig den Kaliumgehalt senkte. Ganz praktische Merkmale waren für unsere Vorfahren entscheidend und sind es für die Landwirte oft heute noch. Die Ährenspindel (der oberste Teil, an dem die »Körner« hängen) des Urweizens zum Beispiel fällt während der Reife auseinander, sodass die wertvollen Samen vorzeitig auf die Erde fallen. Um das zu verhindern, hatte man nur die Samen der Pflanzen weiter ausgesät, die hängen blieben. Schließlich hatte man eine Zuchtform gefunden, bei der die Samen bis nach der Ernte an der Ähre festsaßen. Leider haben produktionssteigernde Merkmale dieser Art seit Jahrzehnten einen immer größer werdenden Einfluss. Im Zusammenspiel mit einer noch nie da gewesenen Machtstellung einiger weniger Global Players unter den Agrarunternehmen und Biotechnologiekonzernen und dem damit verbundenen Sortenverlust gingen uns bereits jetzt schon viele ernährungsphysiologisch interessante Kultursorten verloren.

Nichtsdestotrotz haben Zuchtpflanzen ihre Berechtigung, sie haben einen so großen Bevölkerungszuwachs überhaupt erst ermöglicht. Kaum vorstellbar, dass sich zweiundachtzig Millionen Deutsche fortan nur von Wildkräutern ernähren könnten. Unser Nährstoffbedarf ist so immens, dass Wildkräuter diesen niemals für uns alle decken könnten. Wenn sich die Menschen vor Beginn des Ackerbaus von Wildkräutern ernähren konnten, so lag das vor allem an der geringen Bevölkerungsdichte. Vor 9000 Jahren, also in der Zeit, als die Menschen auf dem europäischen Kontinent das erste Mal Ackerbau betrieben, lebten auf der gesamten Welt etwa so viele Menschen wie heute in Barcelona (fünf Millionen). Auch haben Wildpflanzen nicht alleine ihren Nährstoffbedarf decken können, der Konsum von Fleisch und Fisch war unerlässlich.

Die Wildkräuter-Nährwerttabelle zeigt, dass Wildkräuter ihren gezüchteten Verwandten, gerade was die Mikronährstoffe angeht, oft überlegen sind. Was jedoch die Makronährstoffe (Fette, Proteine und Kohlenhydrate) betrifft, kann man das nicht gerade behaupten. Bei meinen Survival- und Wildnistrips habe ich mich oft tagelang hauptsächlich von Wildkräutern ernährt. Kehrte ich dann zurück in die »Zivilisation«, stand ich jedes Mal mit großen Augen in der Gemüseabteilung eines Supermarkts und war überwältigt allein von der Größe der Kultursorten. Wer sich einmal die Mühe gemacht hat, drei Dutzend Wurzeln der Wilden Möhre zu sammeln, weiß, wovon ich spreche. Für einen Möhrensalat wären an die hundert Pflanzen nötig. Es ist ungemein schwierig, sich mit wild wachsenden pflanzlichen Makronährstoffen zu versorgen. Somit verwundert es nicht, dass es nach heutigem Wissensstand in der Geschichte der Menschheit keine indigene Gruppe gab, die vegan lebte und keinen Ackerbau betrieb.

Doch heutzutage müssen Wildkräuter das auch gar nicht leisten. Im Gegenteil: Uns mangelt es nicht an Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten, davon haben moderne Lebensmittel reichlich. Uns fehlt es an dem, was die wahre Stärke der Wildkräuter ausmacht: Ballaststoffe, Mineralien, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe.

Häufig vorkommende Inhaltsstoffe in Wildpflanzen

Die meisten der im Folgenden aufgelisteten Inhaltsstoffe sind sekundäre Pflanzenstoffe. Diese Stoffe sind zwar nicht zwingend zum Überleben der Pflanze nötig und erfüllen keine direkte Funktion im Energie- oder Aufbaustoffwechsel, was aber nicht heißt, dass sie unwichtig sind. Sie können chemische Waffen gegen Fressfeinde sein (sie wagen gar nicht erst, sich den Pflanzen zu nähern), locken mit ihren Farb- und Aromastoffen pollenverbreitende Insekten und samenverschleppende Früchtefresser an oder wehren damit Krankheitserreger ab. Gerade Letzteres ist auch für uns Menschen von großem Wert: So können sekundäre Pflanzenstoffe antibiotisch sein, Krebs vorbeugen oder sogar eine hemmende Wirkung auf Tumore haben. Mit anderen Worten: Sie sind für eine abwechslungsreiche Ernährung unabdingbar. Auf die Risiken für Schwangere und stillende Frauen wird im Kapitel 5 näher eingegangen.

Bitterstoffe

Bitterstoffe werden in der Regel alle Stoffe genannt, die eine Erregung unserer Bitterstoffrezeptoren verursachen, selbst wenn sie aus chemischer Sicht nichts miteinander zu tun haben. Bitterstoffe haben eine Reihe von positiven Eigenschaften: Sie helfen beim Aufschließen von Fetten und Ölen, steigern die Magen- und Gallensaftproduktion und haben generell einen positiven Einfluss auf die Verdauung. Einerseits können Bitterstoffe vor dem Essen appetitanregend wirken, andererseits können sie dem Gericht nachfolgenden Heißhunger verhindern. Man nimmt an, dass der Geschmack bitter uns vor giftigen Pflanzen warnen soll, da diese nicht selten so schmecken. Doch probiert man sich mal durch unsere Flora durch, fällt auf, dass Bitterstoffe sehr weitverbreitet sind – tatsächlich giftig für uns sind nur wenige der bitter schmeckenden Pflanzen. Möglich wäre es ebenso, dass nicht giftige Pflanzen sich als giftig »ausgeben«, indem sie ebendiesen Geschmack nachahmen. Jedenfalls dienen Bitterstoffe der Pflanze als Fraßschutz, denn bittere Pflanzen werden von vielen Tieren nur ungern gefressen.

Abmildern von bitteren Wildkräutern

Wenn Pflanzen zu bitter schmecken, kann man sie eine halbe Stunde lang in lauwarmes Wasser legen – das »zieht« die Bitterstoffe etwas heraus. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Wildkräuter getrennt zu kochen und das Kochwasser wegzuschütten.

Heutzutage spielen Bitterstoffe in der Kulinarik eher eine untergeordnete Rolle, in der westlichen Welt sind wir sehr auf süß, salzig und umami getrimmt. Umami ist ein Lehnwort aus dem Japanischen und meint »fleischig« oder »würzig«. Einst aßen die Menschen viel bitterere Speisen, doch im Lauf der Jahrhunderte wurden unsere Salat- und Gemüsesorten durch gezielte Züchtung immer »milder«. Wie so oft, gilt auch hier der Grundsatz: Die Dosis macht das Gift. Wer Bitterstoffe überdosiert, muss mit Übelkeit, Erbrechen und einer Reizung des Verdauungsapparats rechnen. Doch wenn man es nicht übertreibt, können Bitterstoffe unsere Küche bereichern und einen Beitrag zu einer gesunden und ausgewogenen Ernährung leisten.

Gerbstoffe

Gerbstoffe (Tannine) kommen recht häufig in Wildpflanzen vor. Sie sollen sie vor Fressfeinden sowie dem Befall schädlicher Mikroorganismen schützen. Gerbstoffe sind nämlich in der Lage, Proteine zu vernetzen und zu deaktivieren. Zudem wird die Löslichkeit von Proteinen in Wasser herabgesetzt. Genau das passiert, wenn man nach dem Genuss gerbstoffhaltiger Lebensmittel (zum Beispiel Wein) ein »pelziges« Gefühl im Mund hat – die Proteine im Speichel und auf der Mundschleimhaut flocken aus. Wer einmal in den pelzigen Genuss dieser Stoffgruppe kommen möchte, ohne Wein zu trinken, dem empfehle ich, in eine Eichel zu beißen. Eichen haben in der Rinde und in ihren Früchten eine Menge Gerbstoffe und wurden deshalb bereits von den Germanen zum Gerben von Fellen verwendet. Aufgrund dieser Verwendung erhielten Gerbstoffe dann später ihren Namen. Andere gerbstoffreiche Pflanzengruppen sind: Rosengewächse, Heidekrautgewächse wie etwa Heidelbeeren und Knöterichgewächse wie der Schlangenknöterich (Bistorta officinalis). In der Naturheilkunde werden sie aufgrund ihrer adstringierenden Wirkung zur Blutstillung und Entzündungshemmung eingesetzt. Sehr gut funktionieren sie auch bei Halsschmerzen (siehe Echte Nelkenwurz), und sie sind ein probates Mittel bei Magen-Darm-Infekten und einem »verstimmten Magen«. Aber Vorsicht: Bei einer Überdosierung drohen Magenschleimhautreizungen, Erbrechen, Verstopfungen. Zudem kann die Aufnahmefähigkeit von Proteinen und einiger Vitamine herabgesetzt werden.

Schleimstoffe

Pflanzliche Schleimstoffe bestehen aus Polysacchariden (Mehrfachzucker) und bilden in Wasser viskose Flüssigkeiten (Schleime/Gele). Sie dienen als Wasser- und Reservespeicher oder ermöglichen die Wasserbindung für eine erfolgreiche Samenkeimung. Mit ihrer Hilfe können Pflanzen ebenso Verletzungen schließen. Diese Eigenschaft kann sich der Mensch zunutze machen, indem Schleimstoffe als »Schutzfilm« bei gereizten Schleimhäuten im Mund- und Rachenraum eingesetzt werden. Zudem können sie bei der Verdauung unterstützend wirken, da sie das Volumen des Darminhalts vergrößern und somit die Darmtätigkeit anregen, zugleich legen sie einen Schutzfilm auf die Darmwände. Hier gilt ebenfalls: Eine Überdosierung kann schädliche Auswirkungen haben. Im Extremfall wird die Aufnahmefähigkeit von Nährstoffen massiv abgesenkt oder es kommt zu einem starken Wasserentzug.

Schleimstoffe finden sich in vielen Pflanzen, in besonders wirksamen Konzentrationen in den Familien der Wegerichgewächse (Spitzwegerich, Indischer Wegerich oder »Flohsamen«) und Malvengewächse (Eibisch, Malven-Arten, Linden).

Flavonoide

Das lateinische Wort flavus bedeutet »gelb«, und tatsächlich ist die Stoffgruppe der Flavonoide oft für die gelbe Farbgebung vieler Pflanzen verantwortlich, auch wenn mittlerweile viele farblose oder andersfarbige Flavonoide bekannt sind.

Flavonoide sind eine riesige Stoffgruppe mit über 8000 verschiedenen Verbindungen, deren Aufgaben noch immer nicht genau bekannt sind. Aufgrund dieser Mannigfaltigkeit kann man keine pauschalen Angaben über ihre Wirkung auf uns Menschen machen. In Studien werden ihnen sehr positive Zeugnisse ausgestellt, so geht man bei ihnen von entzündungslindernden, antibiotischen und tumorhemmenden Eigenschaften aus. Zudem sollen sie neuronale Schäden senken. Besonders hohe Konzentrationen von Flavonoiden finden sich in den Außenbereichen der Blätter sowie in der Schale vieler Früchte (Äpfel, Kirschen, Trauben etc.). Die herzstärkende Wirkung von Weißdorn (Crataegus sp.) ist zum Teil auf die in ihm enthaltenen Flavonoide zurückzuführen, ebenso die leicht antidepressive Wirkung des Echten Johanniskrauts (Hypericum perforatum).

Carotinoide

Die Carotinoide bewirken eine gelbliche bis rötliche Färbung und sind nicht nur bei Pflanzen zu finden, sondern ebenso bei einigen Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln (zum Beispiel Flamingos). Da Tiere diese Farbpigmente nicht selbst herstellen können, müssen sie sie über die Nahrung aufnehmen. Darüber hinaus sind Carotinoide wichtig für einen reibungslosen Ablauf der Fotosynthese, weshalb sie aufgrund des Beitrags zur Energiegewinnung manchmal nicht zu den sekundären, sondern zu den primären Pflanzenstoffen gezählt werden. Carotinoide sind grundlegend für die Vitamin-A-Synthese, daher haben Karotten auch ihren Ruf, gut für die Augen zu sein. Dabei schärfen sie zwar nicht den Sehsinn, wie oft angenommen, jedoch trägt das Vitamin A zur Augengesundheit bei. Doch nicht nur in Karotten findet sich eine Menge Carotin, tatsächlich sind sie ebenso in sehr vielen gelben und roten Früchten wie Orangen, Paprika und in den grünen Teilen vieler Wildkräuter enthalten. Laut einer neueren Studie sollen Carotinoide entzündliche Prozesse verringern, weitere positive Effekte werden schon seit Längerem vermutet.

Alkaloide

Alkaloide sind basische (»alkalische«) und bitter schmeckende Stickstoffverbindungen, die von bis zu 20 Prozent aller Wildpflanzenarten gebildet werden. Warum Alkaloide von Pflanzen gebildet werden, das ist bislang noch nicht ganz geklärt. Manche Forscher gehen von einer Verteidigungsstrategie gegen Pilze, Mikroben und Fressfeinde aus, andere vermuten, dass es sich hierbei um ein Nebenprodukt anderer Stoffwechselvorgänge handelt. Interessant ist, dass Alkaloide nicht nur für viele Lebewesen und die allermeisten Säugetiere giftig sind, sondern ebenso für die Pflanzen selbst. Deshalb werden sie in speziellen Zellbereichen »verwahrt« und kommen somit nicht in allen Pflanzenteilen vor. Die Konzentration hängt sowohl von dem Standort als auch von dem gesammelten Pflanzenteil ab. So sind die Samen der Mohn-Arten so gut wie alkaloidfrei, selbst wenn sie zum Teil noch nachweisbar sind – das Hauptvorkommen liegt hier im milchigen Pflanzensaft. Alkaloide sind der Grund, warum man keine grünen Kartoffeln oder Tomaten essen sollte, da diese sehr große Mengen davon enthalten können – ebenso wie einige unserer heimischen Wildkräuter.

In einigen Familien sind sie besonders häufig zu finden:

Hülsenfrüchtler (Spartein in Ginster)Liliengewächse (Imperialin in der Kaiserkrone)Mohngewächse (Morphin im Schlafmohn)Hahnenfußgewächse (Aconitin im Eisenhut)Amaryllisgewächse (Lycorin in vielen Narzissen) Nachtschattengewächse (Solanin in der Tollkirsche)

Besonders brisant sind Alkaloide deshalb, weil sie aufgrund ihrer Fettlöslichkeit die Blut-Hirn-Schranke passieren können. Da diese Stickstoffverbindungen oft eine gewisse Ähnlichkeit mit Botenstoffen haben (etwa Hormone oder Neurotransmitter, die im Körper Informationen weiterleiten), können sie unser Zentralnervensystem beeinflussen. Die Folgen bei einer Überdosis können verheerend sein – Krämpfe, Schwindel, Atemlähmungen, Erbrechen bis hin zum Kreislaufversagen. Schwangere sollten bei Alkaloiden ganz besonders vorsichtig sein, so stehen diese im Verdacht, für Fehlbildungen verantwortlich zu sein.

Ätherische Öle

Ätherische Öle haben mit den sogenannten fetten Ölen, die wir zum Beispiel vom Speiseöl kennen, nur wenig gemein. Sie sind zwar fettlöslich, enthalten aber selbst keinerlei Fette. Ätherische Öle sind komplexe Gemische aus zum Teil bis Gemische aus zum Teil hunderter Einzelkomponenten, sind oft für den intensiven, aromatischen Geruch vieler Pflanzen verantwortlich. Sie verdunsten rückstandslos, verflüchtigen sich also im »Äther«. Zu den Familien, bei denen diese Stoffe besonders häufig vorkommen, gehören: Kieferngewächse (Zirbelkiefer), Doldenblütler (Kümmel, Anis, Koriander), Lippenblütler (Basilikum, Thymian, Schwarznessel) oder Korbblütler (Kamille, Wermut, Ringelblume).

Ätherische Öle dienen der Pflanze zum einen als Schutz vor Fressfeinden und Krankheitserregern, zum anderen werden durch sie nützliche Insekten wie Bestäuber oder »Feinde der Feinde« angelockt. Gewonnen werden sie hauptsächlich durch Wasserdampfdestillation. Der Dampf treibt die ätherischen Öle aus den zerkleinerten Pflanzenteilen, die dann aufgefangen werden. Traditionell verwendet man sie als krampflösende Mittel (Verdauungstrakt), als Hustenmittel, zur Beruhigung oder Durchblutungsförderung. Auch wenn diese keine Wunderheilmittel sind, wurden zum Teil positive Wirkungen zu besagten Anwendungsgebieten in Studien nachgewiesen, es besteht jedoch noch eine Menge Forschungsbedarf. War die Aromatherapie, die sich besonders auf ätherische Öle spezialisiert hat, bis vor Kurzem noch als eine etwas esoterische Behandlung verschrien, könnten die neuesten Forschungsergebnisse unter anderem des Bochumer Professors Hans Hatt etwas Bewegung in die Sache bringen. Dieser hat herausgefunden, dass wir nicht nur in der Nase Geruchsrezeptoren besitzen, sondern auch in der Haut, vielen Organen und sogar in den Spermien. Das wiederum könnte gewisse Erfolge der Aromatherapie erklären, über dessen Wirkungsweisen man lange gerätselt hat. Trotz dieses Potenzials sind ätherische Öle immer mit Vorsicht zu genießen – in zu hoher Dosierung sind sie in der Lage, Reizungen der Haut und der Schleimhäute auszulösen, zudem können sie für manche Allergiker besonders gefährlich werden.

Iridoide