Mein zauberhafter Weihnachtsladen - Angela Lautenschläger - E-Book

Mein zauberhafter Weihnachtsladen E-Book

Angela Lautenschläger

5,0

Beschreibung

Der zauberhafte Weihnachtsladen - ein geheimnisvoller Ort Pleite, arbeitslos und von ihrem Freund verlassen erfährt Nele Hansen, dass sie eine ungewöhnliche Erbschaft gemacht hat. Aber kann sie überhaupt ein Antiquitätengeschäft führen? Als sie den funkelnden Laden das erste Mal betritt, ahnt Nele nicht, dass der verstorbene Inhaber Hermann Habenicht viel größere Pläne mit ihr hat. Eine warmherzige, humorvolle Geschichte für dunkle Winterabende.

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Zu diesem Buch:

Pleite, arbeitslos und von ihrem Freund verlassen erfährt Nele Hansen, dass sie eine ungewöhnliche Erbschaft gemacht hat. Aber kann sie überhaupt ein Antiquitätengeschäft führen? Als sie den funkelnden Laden das erste Mal betritt, ahnt Nele nicht, dass der verstorbene Inhaber Hermann Habenicht viel größere Pläne mit ihr hat.

Eine warmherzige, humorvolle Geschichte für dunkle Winterabende.

Angela Lautenschläger arbeitet als Nachlasspflegerin und schreibt Kriminalromane. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in Hamburg.

www.angela-lautenschlaeger.de

Vermutlich hätte ich bereits stutzig werden müssen, als die Maus durch den Laden huschte, wobei sie es offenbar nicht besonders eilig hatte. Jedenfalls nahm sie sich die Zeit, kurz innezuhalten, um mir aus ihren blitzblanken Äuglein einen prüfenden Blick zuzuwerfen. Oder als ich den Namen Hermann Habenicht das erste Mal las, den ich nie zuvor gehört hatte. Und schließlich hätte ich mir viel früher eingestehen müssen, dass all die merkwürdigen Dinge, die später wie von Geisterhand geschehen waren, eine andere Ursache haben mussten. Es gibt schließlich keine Geister. Oder?

Vielleicht waren meine Sinne von dem überbordenden Laden mit all den funkelnden Sachen vernebelt. Möglicherweise auch von den Lichterketten, die das ansonsten finstere Haus erhellten, von dem Schnee, der alles mit einer weißen Puderschicht bedeckte, die jedes Geräusch verschluckte, oder von dem silbernen Klang, als würde ein Elf Harfe spielen. Aber am besten beginne ich mit meiner Geschichte ganz von vorn.

Der Tag erreichte seinen absoluten Tiefpunkt, als ich auf meinen Kontoauszug sah. Die Zahl darauf war bedrohlich nah an dem Dispo, den mir die Bank eingeräumt hatte. Genau genommen stand mir noch ein Guthaben von drei Euro fünfzig zur Verfügung, es war erst Mitte Dezember, und ich hatte noch kein einziges Geschenk besorgt. Nachdem mir mein Chef am Vormittag eröffnet hatte, dass er künftig ohne meine Dienste auskommen würde, hatte ich jetzt eigentlich genug Zeit zum Einkaufen, aber leider kein Geld dafür. Während ich mich mit meinen Finanzen befasste, lief Georg durch die Wohnung und redete unentwegt. Ich war nicht bei der Sache und sagte nur hin und wieder Hm oder Jaja. Als er einmal eine Pause einlegte, merkte ich kurz auf, aber weil er weitersprach, widmete ich mich wieder meinem Kontoauszug, auf dem immer noch dieselbe unschöne Zahl zu sehen war. Georg war inzwischen im Wohnzimmer verschwunden, dann hörte ich ihn aus dem Bad rufen. Ich konnte ihn nicht richtig verstehen, aber um nicht unhöflich zu sein, sagte ich: »Ja, ist okay.«

Es läutete. Georg war auf dem Weg zur Wohnungstür, blieb auf meiner Höhe stehen, sah mich kurz stirnrunzelnd an und ging dann öffnen. Während Georg an der Tür mit jemandem sprach, grübelte ich über meine Situation nach, die nach meiner Kündigung direkt auf eine finanzielle Katastrophe zusteuerte. Georg schloss die Tür und reichte mir mit den Worten Für dich einen Briefumschlag, bevor er wieder im Bad verschwand. Es war ein beeindruckender Umschlag aus festem chamoisfarbenem Büttenpapier auf dem in großen Lettern mit Füllfederhalter Zustellung durch Boten Eilt Wichtig stand. Ich holte aus der Küche ein Messer, weil ich diesen Brief anders als üblich nicht mit dem kleinen Finger aufreißen wollte. Zum einen, weil der Umschlag so elegant war, zum anderen weil ich befürchtete, mich zu verletzen. Mit klopfendem Herzen zog ich den Briefbogen heraus, auf dem oben in silbernen Lettern der Aufdruck Dagobert Klappstuhl Notar prangte. Inzwischen zitterten mir die Hände, und ich war nicht in der Verfassung, den Brief zu lesen. Ich zog mir einen Küchenstuhl heran und setzte mich an den Küchentisch, auf dem noch das Geschirr vom Abendbrot stand. Mit zusammengekniffenen Augen zwang ich mich, mich auf den Inhalt des Schreibens zu konzentrieren. Darin ging es um einen Hermann Habenicht, der offenbar verstorben war. Einige Zeilen weiter stand ein Termin, darunter die Entschuldigung des Notars mit dem lustigen Namen für die Unannehmlichkeiten, die mit dem kurzfristig anberaumten Zusammenkommen verbunden waren, aber die Sache sei nun einmal eilbedürftig. Als ich meinen Blick wieder auf die ersten Zeilen lenkte, wurde mir klar, was Herr Klappstuhl damit meinte: Der Termin in seiner Kanzlei sollte bereits am Vormittag des nächsten Tages stattfinden.

»Ich bin dann jetzt weg. «

Ich sah auf. Georg stand vor mir. Er trug seine Jacke, den Schal, den ich ihm vor Jahren geschenkt hatte, und einen Koffer. »Du verreist?« fragte ich.

Er nickte mit betrübter Miene. »Das hab ich mir gedacht. «

»Was hast du dir gedacht?«

»Dass du mir nicht zugehört hast«, erwiderte er und zog eine Pudelmütze aus der Jackentasche. »Dabei hast du gesagt: Ja ist okay«, gab er meine eigenen Worte wieder.

Ich kniff die Augen zusammen. Vielleicht hätte ich vorhin doch besser zuhören sollen. »Also, wohin willst du denn verreisen?«

Georg verdrehte die Augen und setzte sich die Mütze auf. »Ich verreise nicht, Nele, ich ziehe aus.«

Mir entfuhren die Worte: »Was? Aber warum?«

»Genau deshalb Nele. Du hörst mir nicht zu, du interessierst dich nicht für mich. Und ich weiß nicht, was in dir vorgeht.«

Starker Tobak, aber tief in meinem Innern wusste ich, dass er recht hatte. »Und wohin gehst du?«

»Erstmal kann ich bei Johannes wohnen. Meine Möbel und den größten Teil meiner Sachen lasse ich hier. Die hole ich später, wenn ich eine Wohnung gefunden habe.« Er wandte sich zur Tür und hielt kurz inne. »Dann mach es gut, Nele.«

Ich kam erst wieder zu mir, als die Wohnungstür ins Schloss fiel. Es wäre besser gewesen, mehr mit Georg zu sprechen. Der Saldo auf meinem Konto hätte sicher solange Geduld gehabt.

Als ich die Augen aufschlug, wurden mir zwei Dinge bewusst: Zum einen, dass ab diesem Morgen mein Leben ein anderes sein würde, nachdem Georg mich am Vortag verlassen hatte, zum anderen, weil ich nicht aus dem Bett springen und mich abhetzen musste, um wie jeden Tag zu spät zur Arbeit zu kommen. Aber da war noch etwas Anderes. Diese unheimliche Stille, deren Ursache nicht nur darin lag, dass Georg nicht neben mir lag. Ich stieg aus dem Bett und ging zum Fenster hinüber. Es schneite, und das offenbar schon die ganze Nacht. Die Dächer der gegenüberliegenden Häuser trugen eine Schneehaube und die Autos fuhren notgedrungen langsam durch die ungeräumte Straße. Über Nacht hatte sich eine wunderschöne Schneelandschaft gebildet. Erst als die Frühaufsteher unter den Nachbarn begannen, die Gehwege zu räumen, störte das Kratzen die Ruhe. Ich drehte mich um und dachte darüber nach, ob ich Georg als meinen Freund und Lebensgefährten vermisste oder als den Menschen, der morgens ohne zu murren zum Bäcker gegangen war, um mir einen einzigen Croissant zu holen. Ich ging in die Küche und kochte mir eine Tasse Kaffee. An das merkwürdige Gefühl, den ganzen Tag Zeit zu haben, musste ich mich erst gewöhnen. Aber die Aussicht schreckte mich nicht. Im Gegenteil: Ich würde endlich dazu kommen zu lesen. Wenn es etwas gab, womit ich mich den ganzen Tag beschäftigen konnte, dann war das zu lesen. Ich hatte schon unzählige Bücher verschlungen, aber in unserer Wohnung gab es noch viele Stapel ungelesener Bücher, die Georg häufig zu der düsteren Prognose veranlasst hatten, dass man uns beide eines Tages von mannshohen Bücherstapeln erschlagen auffinden würde. Nun, mir konnte das immer noch passieren; Georg hatte sich rechtzeitig aus der Gefahrenzone gebracht.

Eigentlich war absehbar gewesen, dass die Werbeagentur, in der ich seit zehn Jahren arbeitete, schließen würde. Mein Chef, mein ehemaliger Chef wie ich jetzt wohl sagen musste, war extrem fortschrittsfeindlich und mir, einer romantischen Nostalgikerin, gerade deshalb sehr sympathisch. Meine Kollegen hatten allerdings viel eher erkannt, wohin diese Haltung führen musste. Facebook, Twitter und Instagram standen in unserer Agentur auf der schwarzen Liste, und die Folge dieser Einstellung war die zunehmende Zahl an Kündigungen seitens unserer Kunden, ganz abgesehen davon, dass sich kein neuer Kunde zu uns verirrte. Wir verfügten nicht einmal über eine eigene Website. Einer meiner ehemaligen Kollegen hatte stets darüber gewitzelt, dass wir wirklich froh darüber sein konnten, Telefonanschluss zu haben - bevor er sich davonmachte. Aber was nützte das, wenn niemand anrief. Ich war die letzte Dumme, die zu Herrn Weidemann gehalten hatte, und mir war sogar entgangen, dass er sich schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken trug, die Agentur zu schließen. Nachdem ich am Vortag meine letzte Arbeit abgegeben hatte, bot Herr Weidemann mir an, für den Rest des Jahres bezahlten Urlaub zu machen, um dann mit den Worten zu schließen, dass ich im neuen Jahr nicht mehr wiederzukommen brauchte. Mit dieser Nachricht hatte ich Georg erwartet, der darauf seltsam gleichgültig reagierte. Wie ich inzwischen wusste, weil er sich kein bisschen mehr für mich interessierte. An ein- und demselben Tag die Arbeit und den Freund zu verlieren, war wirklich hart. Ich erhob mich, um eine weitere Tasse Kaffee aufzubrühen. Dabei fiel mein Blick auf den chamoisfarbenen Umschlag, der in der Obstschale zwischen einer Orange und einem nicht mehr ganz frischen Apfel klemmte. Anschließend wanderte mein Blick zur Küchenuhr über der Tür, deren Zeiger auf halb elf stand. Um elf Uhr war der Termin bei Notar Klappstuhl. Ich fragte mich, wo die Zeit geblieben war; immerhin war ich um sieben Uhr aufgestanden. Dann flitzte ich wie von der Tarantel gestochen ins Bad.

Der kleine Laden lag in einer schmalen Gasse, durch die an diesem Morgen erst drei Menschen gegangen waren, wie man an den Fußspuren im Schnee sehen konnte. Außerdem waren dicht an der Hauswand die Pfotenabdrücke einer Katze zu erkennen. Das Haus war schmal, im Erdgeschoss befand sich der Laden, die Fenster in den beiden Stockwerken darüber waren dunkel. Das Schaufenster des Ladens funkelte hingegen wie eine Schmuckschatulle im Sonnenlicht. Mehrfarbige Lichterketten waren hinter der Scheibe kreuz und quer aufgespannt und beleuchteten die ausgestellten Schmuckstücke, wunderschön gefertigte Gobelinkissen sowie Schalen und andere Gegenstände aus Silber. Erschlagen von der Pracht blieb ich eine Weile sprachlos stehen. Dieser Tag hatte verrückt angefangen und würde sich offenbar auch nicht mehr in eine andere Richtung entwickeln.

Dagobert Klappstuhl, der Notar, war ein großer Mann mit beachtlichem Bauchumfang und ein freundlicher Mensch. Er bedankte sich überschwänglich dafür, dass ich so prompt seiner Einladung gefolgt war, nicht ahnend, dass ich meine sämtlichen Mäntel und Taschen nach Kleingeld durchsuchen musste, um das nötige Busgeld zusammenzukratzen. Ich hatte nicht feststellen können, wer älter war: Seine Sekretärin oder seine Einrichtung, aber seine Sekretärin hatte immerhin einen wunderbaren Kaffee gekocht. Jedenfalls nahm ich das an, denn angerührt hatte ich ihn nicht. Ich war schon hibbelig genug. Als ich dem Notar in einem riesigen Ledersessel gegenübersaß, bemerkte ich erst nach fünf Minuten, dass er mit mir sprach. Ich hatte kein einziges Wort mitbekommen. Das schien ein neues Problem von mir zu sein. Oder war es schon immer mein Problem gewesen? Nun, Herr Klappstuhl war ein sehr geduldiger Mann, der alles für mich wiederholte – und es dann noch einmal erklärte, nachdem ich ihn offenbar mit wenig intelligenter Miene fragend angesehen hatte.

»Aber ich kenne diesen Hermann Habenicht nicht«, sagte ich.

»Das macht nichts«, erwiderte Herr Klappstuhl mit ruhiger Stimme. »Man kann durchaus Menschen beerben, die man nicht kennt.«

»Aber ich habe noch nie von ihm gehört!« bekräftigte ich.

»Auch das ist nicht schlimm.«

Ich setzte mich in meinem Ledersessel zurecht. »Aber verstehen Sie nicht? Es muss sich um einen Irrtum handeln. Herr Habenicht meinte eine andere Nele Hansen.«

»Da kann ich Sie beruhigen. Sie sind die Richtige.«

Ich sank erschöpft in meinem Sessel zusammen. Dieser Mann war zwar sehr nett, aber er verstand mich nicht. Er konnte mir doch nicht das Erbe irgendeines mir unbekannten wehrlosen Mannes aufschwatzen.

»Ich verstehe, dass diese Sache für Sie überraschend ist, Frau Hansen. Aber ich versichere Ihnen, dass alles seine Richtigkeit hat. Es war der letzte Wunsch und Wille von Herrn Habenicht, dass Sie seine gesamte Habe erben, wenn Sie mir dieses kleine Wortspiel erlauben. Und, um zum Punkt zu kommen, die Sache ist einigermaßen eilbedürftig, weil zum Nachlass ein Geschäft gehört, das weitergeführt werden muss.«

Ich bekam große Augen. Sehr große Augen, weil ich mich bereits hinter einer Wursttheke stehen sah, ohne zu wissen, was sich vor mir in der Vitrine befand, oder in einem Blumenladen, in dem ich gerade mal Rosen von Nelken unterscheiden konnte. Ich legte den Kopf schief. Aber vielleicht meinte das Schicksal es gut mit mir, und ich würde einen Buchladen erben. Darin würde ich mich verkriechen und niemals wieder herauskommen.

»Ich nehme an, dass das in Ihrem Interesse ist.«

Ich hatte schon wieder nicht zugehört. Das musste ich mir dringend abgewöhnen. »Entschuldigung, …«

Herr Klappstuhl hob die Hand. »Kein Problem. Sie können sich alles erst einmal ansehen. Allerdings müsste ich bald Bescheid wissen, wie Sie sich entscheiden. Sehr bald. « Mit diesen Worten reichte er mir einen riesengroßen Schlüssel.

Und den hielt ich nun in der Hand und sah vom Schlüssel zum Schloss und vom Schloss zum Schlüssel. Es kam mir immer noch nicht richtig vor, einfach in das Haus des fremden verstorbenen Mannes zu gehen. Aber ich konnte hier auch nicht so lange herumstehen, bis ich vollständig eingeschneit war. Also steckte ich den Schlüssel ins Schloss.

Schlagartig befand ich mich in einer anderen Welt. Hinter mir fiel die Glastür, die bei meinem Eintreten ein leises Glöckchen angeschlagen hatte, ins Schloss, und in dem Laden herrschte eine angenehme Stille. Alle störenden Geräusche der Welt waren verstummt, hier drinnen war nur der silberne Klang zu vernehmen, den ich schon auf der Straße wahrgenommen hatte. Innen wirkte der Laden viel größer als von außen. In kleinen Gruppen waren Ohrensessel, mit kariertem Stoff oder Leder bezogen, aufgestellt, kleine Tischchen, Stoffe, Kissen, Statuen, Lampen. Dazwischen lehnten Gemälde in wunderschönen Rahmen an Stuhlbeinen, Glaskuppeln hingen von der Decke und über all dem waren weitere Lichterketten gespannt. Der Holzboden knarrte leise unter meinen Füßen, als ich mich weiter in das Innere des Ladens hineinwagte. Zu meiner Überraschung roch es weder muffig noch war es staubig. Im Gegenteil, alles wirkte frisch poliert und liebevoll arrangiert. Und was ich dann entdeckte, ließ mein Herz höher schlagen: Die gesamte Rückwand war bis unter die Decke mit einem Bücherregal bedeckt und in einer ganz oben angebrachten Schiene war eine verschiebbare Leiter eingeklinkt. In der Mitte des Regals befand sich eine Tür. Ich war beeindruckt von den in Leder gefassten und mit goldenen Buchstaben bedruckten Buchrücken, neben denen es aber auch zahlreiche Klassiker und moderne Taschenbücher gab. Unter anderem einen Roman, den ich kannte. Er hatte mir nicht gefallen und war auf dem Flohmarkt gelandet. Ich schob das Buch, das etwas hervorstand, in die Reihe zurück und setzte mich auf den hohen mit rotem Samt bezogenen Lehnstuhl in der Ecke. Davor stand ein wunderschön gearbeiteter Intarsienschreibtisch, über und über mit Papieren bedeckt. Die ebenfalls mit Samt bezogenen Armpolster waren abgescheuert, und ich stellte mir Hermann Habenicht vor, der seine Tage hier verbrachte. Es war ein wunderbarer Platz. Man fühlte sich hinter all den schönen Dingen wunderbar geborgen und hatte zugleich einen guten Blick auf die kleine Gasse, in der jetzt hin und wieder ein Passant vorüberging. Aber ich fragte mich, ob jemals jemand von ihnen hereinkam und sogar etwas kaufte. Eine Kasse konnte ich jedenfalls nicht entdecken. In meinem Hinterkopf hörte ich Georgs mahnende Worte: Du musst dich über den Nachlass informieren. Als erstes musst du den Wert des Hauses ermitteln, prüfen, wieviel Geld dieser Habenicht auf dem Konto hatte und feststellen, ob er Schulden hinterlässt. Dann und nur dann darfst du die Erbschaft annehmen. Ich hob den Riemen meiner Tasche über den Kopf und nahm meine Mütze ab. Diese vernünftigen und vermutlich richtigen Empfehlungen störten in diesem Augenblick meine Empfindungen. Hier drinnen war es einfach schön, ich fühlte mich geborgen und wohlig, und hatte überhaupt keine Lust, dieses Gefühl mit Geld aufzuwiegen. Ich seufzte, als mir Georgs potentielle Entgegnung in den Sinn kam: Genau deshalb bist du immer in finanziellen Schwierigkeiten, Nele. Weil bei dir das Herz größer ist als das Hirn. Gedankenverloren streckte ich die Hand aus und nahm einige der Papiere vom Schreibtisch. Es waren Buchempfehlungen, Anfragen von Kunden nach besonderen Buchausgaben oder Antiquitäten und Einladungen zu Fachmessen. Mahnungen waren nicht darunter. Irgendwo in dem Stapel lag ein Brief in einer schönen Handschrift. Eine Frau Silberling bat darum, dass Herr Habenicht sie einmal aufsuchte, um ihr Mobiliar zu taxieren. Ich seufzte erneut. Ich hatte keine Ahnung von Antiquitäten. Ich wusste ja nicht einmal, wieviel die Bücher in dem Regal hinter mir wert waren. Ich konnte allenfalls etwas zu dem Inhalt der Bücher sagen, die ich selbst gelesen hatte. Wenn ich die Erbschaft annahm, würde ich vermutlich den ganzen Tag damit zubringen, jedes einzelne Buch hinter mir zu lesen, abends den Laden abschließen und zuhause weiterlesen. Irgendwann würde der Gerichtsvollzieher mein einziger Besucher sein, man würde mir das Dach über dem Kopf wegpfänden und mein künftiger Wohnort läge unter einer Brücke. Mit anderen Worten: Es wäre keine gute Idee, die Erbschaft anzunehmen.

Aus dem Augenwinkel nahm ich rechts vor dem Bücherregal eine Bewegung wahr. Ich wandte meinen Kopf und sah eine Maus über den Holzboden huschen. Beim Anblick der Maus sprang ich nicht kreischend auf den Tisch. Als sie auf meiner Höhe war, hielt sie kurz inne, setzte sich auf, sah mich aus blitzblanken Augen vertrauensselig an und setzte dann ihren Weg fort. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich Mäuse nur aus der Tierhandlung, sicher hinter Glas oder Gittern, so dass jeder von uns seinen eigenen Raum hatte. Hier war das anders. Wir befanden uns beide im Laden, und die Maus saß jetzt irgendwo in dem Gewirr aus Stuhl- und Tischbeinen und Sesselfüßen. Wenn sie unter einer der Kommoden hockte, würde ich sie vermutlich erst bei der Zwangsräumung wiedersehen. Was zum Teufel sollte ich bloß tun? Dummerweise hatte ich ja auch nicht ewig Zeit. Notar Klappstuhl hatte mir schließlich mehrfach nachdrücklich zu verstehen gegeben, dass ich mich schnell, sehr schnell, entscheiden müsste. Allerdings hatte ich immer noch keine Ahnung, weshalb Eile geboten war. Man konnte schließlich nicht behaupten, dass in diesem Geschäft hektische Betriebsamkeit herrschte und dass die Kunden sich die Nase an der Schaufensterscheibe plattdrückten.

In die Stille hinein erklang das Türglöckchen und holte mich in die Realität zurück.