Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In meinem Dorf gibt es unterwürfige Frauen und tote Frauen. Nie habe ich ganz das Dorf verlassen, nie bin ich ganz in diese Wohnung eingezogen. Morgens denke ich zuerst darüber nach, wo ich bin und ob man ein stürmisches Pfeifen oder den Lärm im Herzen meiner Mutter hört. Du sagst, ich bin schön, aber auch irgendwie immer traurig, wie Prinzessinendonuts am Todestag. Auch ich wollte ein Blütenblatt sein, aber ich bin Gras, das aus dem Beton herauswächst; ich bin der Fluss Morava, der droht, sich in jedermanns Schuhe zu ergießen. Nichts macht dich stärker als eine Familie, in der Kinder wie Mais aufwachsen, vorausgesetzt, du überlebst es. Vielleicht weiß ich nicht einmal, ob ich mich noch mit etwas anderem verbunden fühle als mit dem Vers. Du schreibst auch. Gedichte für mich, Romane für sie. Aber egal, Poesie ist mir lieber. Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht. Aber ich weiß, warum man in sie zieht.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 52
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Sonar 35
Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI, ein literarisches Netzwerk, dem das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich, das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die Interessengemeinschaft Übersetzerinnen Übersetzer (Literaturhaus Wien) im Auftrag des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport der Republik Österreich, das Goethe-Institut, die S. Fischer Stiftung, die Slowenische Buchagentur, das Ministerium für Kultur und Medien der Republik Kroatien, das Ministerium für Gesellschaft und Kultur von Liechtenstein, die Kulturstiftung Liechtenstein, das Ministerium für Kultur der Republik Albanien, das Ministerium für Kultur und Information der Republik Serbien, das Ministerium für Kultur Rumäniens, das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport von Montenegro, die Leipziger Buchmesse, das Ministerium für Kultur der Republik Nordmazedonien und das Ministerium für Kultur der Republik Bulgarien angehören.
Radmila Petrović
AUS DEM SERBISCHEN VON PHILINE BICKHARDTUND DENIJEN PAULJEVIĆ
Devojka koja ne veruje u mitove
Govorili su mi da je Beograd grad u kome nikog ne smeš da pogledaš u oči
Prase na Vol Stritu
Moja loza ima dar da skrati liniju života
Ekonomija žudnje
Krtičnjak
Pre polaska u školu znala sam šta je oduzimanje
Prokletstvo šume
Iznad tvojih ključnih kostiju
Četiri poljupca da spasemo svet
Zašto sestra plače?
Pesmu ne bih nazvala po ulici Požeškoj
Taj momak je spreman sve da ostavi, samo ne cigarete
Zdravo, tata, hrabra sam, samo, nisi nas vodio na more
Šuma, plug, jagorčevina
Ne umem toplije
Nemam s kim da pljujem u lavabo naizmenično pastu za zube
Trubači
Odjeci šume
Planina u plamenu
Kad me opišeš prijateljima kažu šta će ti to
Moja mama zna šta se dešava u gradovima
Pismo tati
Nigde utehe
Samo proveravam
Tetka kaže to je smrt za pravoslavlje
Igračke ste kupovali za sina
Ako ljubav, onda šta?
Njena haljina
Dva minuta bez poezije
Srpkinja sam, al’ mi Kosovo nije u srcu, nego ti
Brda
Sanjam oca i noževe, noževe, noževe
Do mog srca treba deset minuta kolima
Jezik bilja
Cvetin sin se nije ženio
Je l’ tuga sa sela?
Ako je ljubav, onda je ljubav
Samo želim nekog da rasklopimo traktor mog oca u tišini
Vorwort
Das Mädchen, das nicht an Mythen glaubt
Man sagte mir, Belgrad ist eine Stadt, in der du niemand in die Augen schauen darfst
Das Ferkel auf der Wall Street
Meine Familie hat die Gabe, die Lebenslinie zu verkürzen
Die Ökonomie der Begierde
Maulwurfshügel
Noch vor der Einschulung wusste ich was Subtrahieren ist
Fluch des Waldes
Über deinen Schlüsselbeinen
Vier Küsse, damit wir die Welt retten
Warum weint die Schwester?
Das Gedicht würde ich nicht nach der Požeškastraße nennen
Dieser Kerl ist bereit, mit allem aufzuhören, bloß nicht mit dem Rauchen
Hallo Papa, ich bin mutig, nur bist du nie mit uns ans Meer gefahren
Wald, Pflug, Primel
Ich kann es nicht wärmer
Ich habe niemand, mit dem ich abwechselnd die Zahnpasta ins Waschbecken spucken kann
Blasmusiker
Widerhall des Waldes
Der Berg in Flammen
Wenn du mich deinen Freunden beschreibst, sagen sie, was willst du mit der?
Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht
Der Brief an Papa
Nirgends Trost
Ich hinterfrage nur
Meine Tante sagt, das ist der Tod für die Orthodoxie
Das Spielzeug habt ihr für den Sohn gekauft
Wenn Liebe, was dann?
Ihr Kleid
Zwei Minuten ohne Poesie
Ich bin Serbin, aber nicht der Kosovo ist in meinem Herzen, sondern du
Hügel
Ich träume vom Vater und Messern, Messern, Messern
Bis zu meinem Herzen sind es zehn Minuten mit dem Auto
Pflanzensprache
Zvetas Sohn hat nicht geheiratet
Ist die Wehmut vom Lande?
Wenn es Liebe ist, ist es Liebe
Ich wünsche mir nur jemanden, mit dem ich den Traktor meines Vaters in Stille auseinandernehmen kann
von Andrea Petković
Ich komme nicht von der Poesie, ich komme von der Prosa. Sicher, wie vermutlich jede Schreibende habe auch ich mich als Teenagerin zunächst an Gedichte gewagt, um die in mir plötzlich aufkommenden überbordenden Gefühle mit Worten zu zähmen. Ich stellte ziemlich schnell fest, dass es gar nicht so einfach ist, ein Gedicht zu schreiben. Geschweige denn ein gutes Gedicht. Radmila Petrović hat dieses Problem zum Glück nicht. Obwohl wir beide mit dem fast gleichen Nachnamen gesegnet wurden (oder gestraft, wie man’s nimmt), ist das Talent zum Gedichte-Schreiben durchweg einseitig verteilt. Wie Sie sich vielleicht denken können, zu meinen Ungunsten.
Mir tun die Teenager leid, die mit Radmilas Gedichten konfrontiert werden, denn auch sie werden denken, dass es leicht ist. So elegant, so leichtfüßig kommen die Verse über die Seiten getrabt. Sie lassen fast die Schwermut darunter vergessen.
Es ist egal, dass ich von der Prosa komme und von mir behaupte, nichts von Poesie zu verstehen, denn was Poesie vermag, kann ich hier Seite für Seite erleben, erfühlen, ertasten, erschmecken. Wie Radmila Petrovićs Worte Bilder zeichnen, skizzieren und doch punktgenau landen, kein Wort zu viel verwendend. Wie sie Geschmäcker meiner Kindheit heraufbeschwören, von Kirschen und Wassermelonen im Sommer, von Himbeeren und rakija. Wie sie ganze Familiendynamiken aufdecken und wieder verschleiern, etwas ahnen lassen und doch mysteriös bleiben.
Die Form, die die Bilder annehmen, mag sehr Balkan sein. Die Kohlstrünke und die Traktoren, die Hitze im Hochsommer, tanzende Menschen bei Beerdigungen, Blaskapellen und versteckte Messer in Hosentaschen. Aber die darunterliegenden Kämpfe um individuelle Freiheit, ums Erwachsenwerden, ums Emanzipieren von seinen Eltern und dem Dorf, in dem man aufgewachsen ist, sind universell. Die Entfremdung von den Menschen, die man liebt und mit denen man via Blut ein Leben lang verbandelt bleibt, die man aber, je erwachsener man wird, immer weniger versteht, die einen selbst von Tag zu Tag weniger verstehen, je erwachsener man wird, ist auf jeder Seite greifbar.