Meine Seele gehört dir - Lisa Lamp - E-Book

Meine Seele gehört dir E-Book

Lisa Lamp

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Beschreibung

Modepüppchen ohne Hirn - das hält Alejandro Gonzalez von Isabella Sawyer. Die beiden sind so unterschiedlich, wie man nur sein kann. Allein ihre Leidenschaft für die Kunst und ein Kuss vor langer Zeit verbindet sie. Nachdem ein Konflikt zwischen ihnen eskaliert und das Kunstatelier dabei unbeabsichtigt in Mitleidenschaft gezogen wird, hält ihnen die verrückte Kunstlehrerin eine Predigt, die sich gewaschen hat. Es geht darum, sich in den anderen einzufühlen. Ein lächerlicher Vortrag! Am nächsten Morgen kommt jedoch das böse Erwachen: Isabella steckt in Alejandros Körper und er in ihrem. Ob sie es schaffen, das Leben des anderen zu meistern? Der Spießrutenlauf beginnt.

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Seitenzahl: 290

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog oder Meine Seele gehört dir

Meine Seele gehört dir

Ein Roman von

Lisa Lamp
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Meine Seele gehört dir
Lisa Lamp
Erstausgabe
Juli 2021
© 2021 DerFuchs-Verlag D-74889 [email protected] DerFuchs-Verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk, einschließlich aller Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung liegen beim Verlag. Eine Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ohne Genehmigung des Verlags ist strafbar.
ISBN 978-3-96713-022-5 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-96713-023-2 (ePub)

Für Sonja!

Weil ich dank dir weiß, dass es nie zu spät ist, um nach dem Glück zu streben, das wir alle verdienen. Manchmal ist es das Kämpfen wert, um die Liebe seines Lebens zu finden.

Kapitel 1

Früh aufstehen war mir zuwider. Besonders im Winter, wenn es draußen noch dunkel war und es einem vorkam, als wäre es mitten in der Nacht. Viel lieber wäre ich in meinem überdimensionalen Bett, das für eine Person eindeutig zu groß war, liegen geblieben und hätte mich in meiner kuscheligen Decke eingerollt. Trotzdem riss mich der Wecker erbarmungslos aus dem Schlaf und hörte einfach nicht mehr auf zu klingeln.

Das nervige Piepsen klang viel zu laut in meinen Ohren und ich drückte mir das Kissen auf mein Gesicht, um mich vor dem Lärm zu schützen. Ich wusste, dass die meisten Leute mich für einen Morgenmenschen hielten, weil ich immer perfekt zurechtgemacht war, doch an manchen Tagen wollte auch ich bloß liegen bleiben und so tun, als wäre die Schule abgebrannt.

Aber das war etwas, das ich mir nicht leisten konnte, wenn ich einen guten Schulabschluss wollte. Der war in dieser Gegend unerlässlich, um zur Gesellschaft dazuzugehören. Auf keinen Fall wollte ich mir meine Zukunft verbauen, nur um einmal ausschlafen zu können. Letztendlich konnte ich ja am Wochenende länger schlafen. Deshalb schnaubte ich nach gut zehn Minuten frustriert, weil mich die gedämpften Klänge nicht wieder einschlafen ließen. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über meine kitzelnde Nase, die Gott sei Dank nicht mehr entzündet war. Das ganze Wochenende hatte ich mit einer Erkältung gekämpft, doch pünktlich zum Wochenstart hatte ich sie überwunden. Es wäre auch eine Schande gewesen, mit tropfender Nase im Unterricht zu sitzen und gebrauchte Taschentücher auf meinem Tisch zu horten. Widerlich menschlich nannte meine Mom das, schließlich zeigte es, dass wir keine perfekten Wesen waren, sondern ebenfalls die Grippe bekamen.

Ich bewegte meine müden Knochen aus dem Bett und gähnte ausgiebig, während ich mir den Schlaf aus den Augen rieb. Halb gebeugt schlurfte ich ins angrenzende Badezimmer und sah in den Spiegel, nachdem ich meine Brille, die wie jeden Morgen am Waschbeckenrand lag, aufgesetzt hatte. Schläfrig blickten mir zwei kristallblaue Augen entgegen, als ich mir die Zähne putzte und meine Haut mit Seife säuberte.

Ich fand mich an den meisten Tagen schön mit meiner hellen Haut und den geschwungenen Lippen, trotzdem hatte ich immer etwas zu meckern. Egal, ob es um einen Pickel ging, der genau dann auftauchte, wenn ich es am wenigsten gebrauchen konnte, oder um eine Strähne, die einfach nicht richtig sitzen wollte. Obwohl ich Mädchen kannte, die weitaus schlimmer dran waren als ich, hörte ich täglich die Stimme meiner Tante im Kopf, die mir sagte, ich könnte mich noch so sehr anstrengen, würde aber niemals perfekt sein. Immer wieder zeigten mir die Kleinigkeiten, dass ich nie so aussehen würde, wie meine Cousinen, die perfekte Kopien meiner Tante waren. Sie war bereits zum zweiten Mal zur schönsten Schauspielerin gekürt worden.

»Isabella, bist du schon aufgestanden?«, rief meine Mom aus der Küche und ich war sogar zu müde, um sie zu korrigieren.

Jahrelang hatte ich sie gebeten, mich nicht Isabella, sondern Isa zu nennen, doch sie wehrte sich strikt, meinen schönen Namen zu verschandeln, wie sie selbst sagte. Dass ich ihn nicht mochte, ignorierte sie dabei gekonnt.

»Ja«, schrie ich, bevor ich meinen Pyjama auszog und zusammengelegt auf der Kommode neben den Handtüchern ablegte.

Es war ein Ritual, das ich mir seit meiner frühesten Kindheit eingeprägt hatte. Niemals würde meine Wäsche zerknüllt auf dem Boden in einer Ecke liegen, wie es bei den meisten Jugendlichen der Fall war.

»Sehr gut. Beeil dich, sonst kommst du zu spät!«, hörte ich noch, bevor ich unter die Dusche sprang und meine Umgebung ausblendete.

Ich liebte meine Mom, aber seit sie nicht mehr arbeitete, überwachte sie jeden meiner Schritte. Das war für ein Mädchen mitten in der Pubertät eine Qual.

Unter dem Duschkopf ließ ich das heiße Wasser über meinen Körper fließen und lehnte mich an die Wand, um zu entspannen und den Halbschlaf abzuschütteln. Ich hatte einen anstrengenden Tag vor mir. Zum einen mussten wir in Kunst unsere Bilder fertigstellen, zum anderen war es dringend nötig, den Stoff in Literaturgeschichte zusammenzufassen, wenn ich dieses Jahr meinen Notendurchschnitt halten wollte. In nicht einmal drei kurzen Wochen würde die Prüfungsphase beginnen und ich fühlte mich absolut unvorbereitet, obwohl ich schon seit Tagen lernte.

Nachdem ich fertig war und meine Haut trocken rubbelte, verschwand die Müdigkeit ein wenig und meine Motivation kehrte zurück. Ich schlüpfte in die weiße Bluse, die ich mir gestern zurechtgelegt hatte, und zog meinen schwarzen, perfekten Faltenrock an, der knapp meine Knie bedeckte. Kürzer wäre nuttig gewesen und länger zu prüde.

Ich band mir die blonden Haare zu einem Zopf, da sie mir sonst ins Gesicht fielen, und legte mir die Silberkette meiner Grandma um, die ich seit ihrem Tod täglich trug. Ich hatte meine Granny geliebt. Sie hatte mich verteidigt, mich mit ihrer unbeschwerten Art aufgeheitert und mir das Gefühl gegeben, ihr eigenes kleines Wunder zu sein. Der Verlust war hart für mich gewesen. Plötzlich war da niemand mehr, der meine Tränen trocknete oder mich zum Lachen brachte. Stattdessen hatte ich einen grauen Grabstein, auf dem ihr Name stand und die Erinnerung an schrottreifes Metall, das mit viel Fantasie entfernt an ein Auto erinnerte, in dem sie stets saß, ehe ein betrunkener Fahrer sie gerammt hatte.

Ein letztes Mal kontrollierte ich mein Aussehen im Spiegel und schluckte die aufkommenden Tränen hinunter, bevor ich die Treppe hinablief, um zu frühstücken.

»Du siehst fantastisch aus, Engelchen«, meinte mein Dad, wofür ich ihm ein Lächeln schenkte.

Dad war vollkommen anders als meine Mom, auch wenn er kaum da war, um das zu beweisen. Er hätte mich ebenfalls schön gefunden, wenn ich mit Jogginghosen und Turnschuhen aus dem Haus gegangen wäre, während Mom mir bereits einen Vortrag hielt, wenn ich Socken zu offenen Schuhen anzog oder mehr als drei Farben trug.

Mein Dad küsste mich auf den Kopf und ich schaufelte mir seelenruhig Pancakes mit Butter, Marmelade und Ahornsirup auf den Teller. Von meiner Mom kassierte ich dafür einen angeekelten Blick, aber den versuchte ich, so gut es ging, zu ignorieren und die Schuldgefühle wegzuschieben. Mir war bewusst, wie viele Kalorien ich gerade in mich hineinstopfen wollte, doch heute war mir einfach danach. Zur Not würde ich das Abendessen ausfallen lassen, um nicht zuzunehmen. Das reichte meiner Mom allerdings nicht. Ihr wäre es am liebsten, ich würde auf Frühstück und Abendessen verzichten, um ja kein Gramm zuzulegen. Dabei hatte ich nie mit Übergewicht zu kämpfen gehabt, ganz im Gegensatz zu Mom. Sie hatte als Jugendliche zu viel auf den Rippen gehabt. Vielleicht hatte sie deshalb solche Panik, wenn es um mein Gewicht ging. Es war sehr mühsam für sie gewesen, so dünn zu werden, wie sie es jetzt war. Meine Mutter hatte mit Gewichtsproblemen gekämpft, bis sie Dad traf und ihr die Meinung anderer wichtiger wurde, als ihre Liebe zu Schokolade und Co.

Ich widmete mich lieber Liliane, meiner kleinen Schwester. Sie war wie ich mit einem flachen Bauch gesegnet. Dennoch passte sie nicht ins Familienbild. Sie hatte das Aspergersyndrom, weshalb sie von meinen Eltern vor der Gesellschaft versteckt und privat unterrichtet wurde. Das war auch der Grund, warum Mom immer zuhause war. Ganz verstehen konnte ich das Verhalten meiner Familie nicht. Ich liebte meine Schwester und auch, wenn sie manchmal eigenartig auf alltägliche Situationen reagierte, hielt ich sie für das süßeste Mädchen, das ich kannte. Mit ihren acht Jahren war sie schon schlauer als viele, die doppelt so alt waren wie sie. Aber was tat man nicht, um die Nachbarn glauben zu lassen, man hätte ein hoch begabtes, statt ein in ihren Augen fehlerhaftes Kind? Richtig: alles.

Mom hatte ihren Job gekündigt, die Putzfrau und die Köchin entlassen und traf ihre Freundinnen nur noch außer Haus, wenn Lilly Unterricht bei ihrer Lehrerin hatte. Die war sogar dazu gezwungen gewesen, eine Verschwiegenheitsklausel zu unterschreiben, bevor sie anfangen durfte.

»Hörst du mir überhaupt zu, Isabella?«, unterbrach Mom meinen Gedankengang und klopfte neben mir auf den Tisch.

»Entschuldige, was hast du gesagt?«, fragte ich, aß etwas von den Pancakes und schenkte mir ein Glas Milch ein.

»Ich habe dich gefragt, ob du schon mit Emilia gesprochen hast. Schrecklich, was da passiert ist.«

›Ja, wahnsinnig schrecklich‹, dachte ich sarkastisch.

Emilia war seit Jahren meine beste Freundin oder das, was dem am nächsten kam. Wahrscheinlich, weil wir sehr ähnlich aufwuchsen und unsere Eltern zusammen arbeiteten. Ihr Vater war ein Spitzenanwalt in einer Kanzlei, die meinem Dad gehörte. Wir hatten praktisch keine andere Wahl, als uns anzufreunden, immerhin spielten wir bereits im Sandkasten zusammen. Trotzdem wusste ich, dass unsere Beziehung eher einer Zweckgemeinschaft glich. Ich war in der Schule beliebt und nahm Emilia auf jede Party mit, sodass sie ebenfalls zu den Coolen gehörte. Dafür war Emilia immer an meiner Seite und ich lief nie Gefahr, allein zu sein.

»Sie hat ein C in Geschichte geschrieben und keinen Unfall gehabt, Mom«, antwortete ich genervt und stellte die Milch wieder in die Mitte des Tisches, woraufhin Lilly anfing zu kreischen.

Verdammt! Ich hatte das Päckchen auf einen anderen Platz zurückgestellt und das mochte meine Schwester absolut nicht. Schnell verschob ich die Milch an die richtige Stelle und streichelte Liliane über den Arm, um sie zu beruhigen. Sie war nicht anstrengend, aber sie hatte ihre Eigenheiten und eine davon war, dass jedes Lebensmittel seinen Platz am Tisch hatte, weil sie sonst durcheinander kam.

»Wenn du mich fragst, ist ein C genauso schlimm, Isabella«, konterte Mom und ich musste den Drang unterdrücken, die Augen zu verdrehen.

»Was ist, wenn ich ab jetzt nur noch Cs nach Hause bringe? Oder Ds? Hast du mich dann nicht mehr lieb?«, wollte ich wissen und aß ein weiteres Stück meiner Pancakes, während ich auf das Urteil meiner Eltern wartete, das prompt kam.

»Du bist keine C-Kandidatin, Isabella. Du bist für mehr bestimmt«, wiederholte Dad die Floskel, die ich schon kannte, seit ich allein aufs Töpfchen gehen konnte.

Bei Dad wusste ich, dass er nur Moms Worte wiedergab, aber Mom glaubte den Schwachsinn wirklich, das sah ich an ihrem Gesichtsausdruck. Zwischen ihren gezupften Augenbrauen hatte sich eine Falte gebildet und ihre Lippen waren gespitzt.

Diese Diskussionen waren gefährlich, weil sie zu Konflikten führten, die ich nie gewann und am Ende arbeitete ich nur noch härter. Trotzdem hätte ich das Gespräch gerne weitergeführt, um zu erfahren, ob meine Mom mir knallhart sagen würde, dass ich dann nicht mehr ihre Tochter wäre, doch es hupte vor der Tür, bevor ich zu einer Erwiderung ansetzen konnte. Ich liebe dich, Em! Eilig stopfte ich mir noch zwei Bissen in den Mund und packte meine Sachen zusammen. Ich verabschiedete mich von meiner Familie, wobei ich Lilly, die mit einem ihrer zwei blonden Zöpfe spielte, wie jeden Morgen genau zwei Mal auf den Scheitel küsste. Meine Schwester mochte Routine. Es war eine ihrer Macken, die ich so sehr an ihr liebte, weil ich bei ihr immer Ruhe und Struktur fand, egal, wie chaotisch mein Leben gerade war.

Kapitel 2

Schon beim Verlassen des Hauses grüßte ich Emilia, die mich jeden Montag und Mittwoch zur Schule abholte. Ihre langen braunen Haare streiften das Lenkrad und glitzernde grüne Augen zwinkerten mir zu, als ich zu ihr in das Fahrzeug stieg und sie den ersten Gang einlegte.

»Bereit für einen neuen Tag in der Hölle?«, erkundigte sich Em belustigt und meine Stimmung hob sich.

Emilia war, trotz der vielen Nachhilfestunden, schlecht in Mathematik, weil sie den logischen Zusammenhang nicht nachvollziehen konnte. Deshalb hatte sie angefangen, die Schule, die sie einst geliebt hatte, jeden Tag mehr zu hassen. Der Druck, immer zu den Besten gehören zu müssen, hatte ihren Hass weiter geschürt und das Verhältnis zu ihrer Mom zerstört, die ihr ähnlich wie meine eigene Erzeugerin alles abverlangte.

Aber auch in unserer Freundschaft war durch Ems schlechte Leistungen ein Knick entstanden. Je schlechter ihre Noten wurden, desto mehr hatte Emilia das Gefühl, sich mit mir messen zu müssen, auch wenn es nur um Banalitäten ging, wie, wer früher seinen ersten Kuss erlebte oder wer schneller die neue Handtaschenkollektion im Schrank hatte. Em war bei allem die Erste und das schien ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Obwohl es mich manchmal nervte, war es mir das wert, sie an meiner Seite zu haben.

Lachend nickte ich und Em fuhr los, wobei sie immer fünf Meilen oberhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung lag. Sie war eine vorsichtige Fahrerin und hatte noch nie einen Unfall verursacht, doch sie wurde mindesten zweimal in der Woche wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten. Kein Polizist würde der Tochter des Staranwalts deshalb den Führerschein wegnehmen, aber es hagelte saftige Geldstrafen, über die Em sich freute. Sie legte es darauf an, ihren Dad zu verärgern, um wenigstens ein paar Minuten am Tag von ihm beachtet zu werden.

Kurze Zeit später kamen wir, mit Kaffee vom nächsten Supermarkt bewaffnet, bei der einzigen Schule im Ort an. Wie vor jedem klassischen Schulgebäude wuselten auch bei uns die Schüler umher und versuchten, zu ihrem Spind zu gelangen oder noch einmal die Vokabeln, die in der nächsten Stunde geprüft werden würden, zu wiederholen.

Sobald ich aus dem Auto stieg, begann mein ganzer Körper zu zittern. Kälte kroch in meine Knochen und ich musste die Jacke enger um meine Schultern ziehen. Frustriert kniff ich meine Augen zusammen und setzte meine Sonnenbrille auf, während ich mich wieder einmal über das Wetter ärgerte. Wir befanden uns mitten im Winter, aber die Sonne schien brutal auf uns hinab und kündigte den nahenden Frühling an. Schnell rannten wir über den Vorhof und wollten schon ins Gebäude gehen, um uns vor den eisigen Temperaturen in Sicherheit zu bringen, als ein lauter Krawall unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf dem Parkplatz schlugen zwei Jungs, die nicht älter sein konnten als Em und ich, aufeinander ein. In der Nähe stand ein Mädchen mit einem hinterhältigen Grinsen im Gesicht und ergötzte sich sichtlich an der Situation. Ihre Lippen waren belustigt verzogen, sie wickelte eine Strähne um ihren Finger und hob arrogant das Kinn, als wollte sie damit beweisen, dass sie großartig genug war, sodass sich zwei Kerle um sie zankten. Widerlich.

»Diesmal bist du zu weit gegangen, Gonzalez«, rief der Hüne mit braunem Haar und boxte seinem Gegner in die Magengegend.

Alejandro Gonzalez zahlte es seinem Angreifer heim, indem er ihm direkt ins Gesicht schlug und einen Tritt gegen das Schienbein verpasste.

»Komm runter, Alter. Ich habe deine Freundin nicht angefasst«, verteidigte der Schwarzhaarige sich und wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich gelacht.

Alejandro fickte jede, die sich ihm anbot. Er war ein Casanova, der alles vögelte, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Die Frauen lagen ihm zu Füßen, rannten ihm regelrecht hinterher, denn sie fanden ihn atemberaubend. Auch ich musste zugeben, dass der Latino mit den braunen Augen, die an flüssige Schokolade erinnerten, nicht zu verachten war, wenn man seinen miesen Charakter außer acht ließ.

Kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag hatte ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Naiv wie ich damals war, hatte ich ihm sogar meinen ersten Kuss geschenkt. Am Tag danach hatte er kaum ein Wort mit mir gesprochen. Ich war am Boden zerstört gewesen.

Natürlich hatte ich versucht, mit ihm zu reden, aber ab diesem Tag hatte er mich geschnitten und sich für immer verändert. Er fing an, sich zu prügeln, zu rauchen und jeden Tag eine andere Schnalle abzuschleppen. Lange hatte ich dabei zugesehen und mir gewünscht, die Zeit zurückdrehen zu können, weil ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht. Doch irgendwann hatte ich die Hoffnung aufgegeben und mein Leben weitergelebt. Na gut, nicht irgendwann, sondern nachdem Alejandro beschlossen hatte, so gut wie jedes Mädchen auf der Schule zu vögeln und anschließend wegzuwerfen. Seitdem hatte ich nur noch negative Gefühle in Bezug auf Alejandro, die leider manchmal mit mir durchgingen, wenn wir aneinandergerieten.

Wieder prügelte Alejo auf das Gesicht seines Gegners ein, der einfach nicht aufhörte, ihn zu beleidigen. Ein widerwärtiges Geräusch war zu hören, als die Nase des Hünen brach und Blut aus seinen Nasenlöchern spritzte. Die umstehende Masse riss schockiert die Augen auf, außer ein paar Anfeuerungsrufen schritt jedoch niemand ein, um den Kampf zu beenden. Das Blut des Verletzten verteilte sich auf den Kontrahenten und immer wieder knallte einer von ihnen auf den harten Boden.

Allein vom Zusehen hatte ich schon Schmerzen. Wie mussten sich die Kämpfenden erst fühlen?

Ein weiteres Knacken erklang, aber ich konnte nicht erkennen, welcher Knochen in Mitleidenschaft gezogen oder welcher der beiden verletzt wurde. Fäuste flogen durch die Luft, Kinnhaken wurden ausgetauscht und zur Krönung trat Alejo seinem Angreifer in den Schritt. Der Hüne fluchte und verzog schmerzhaft das Gesicht, bevor er sich erneut brüllend auf Alejo stürzte, der unfaire Mittel nutzte, um schnellstmöglich aus dem Kampf herauszukommen. Sicher nicht, um in den Unterricht zu gehen, wahrscheinlicher war eher, dass er sich die nächste halb nackte Schülerin suchen würde, deren Freund ihm morgen eins aufs Maul hauen wollte.

»Hört sofort auf mit dem Schwachsinn oder ich hole die Rektorin«, schrie ich, als der Hüne nun seinerseits anfing die Nase von Alejo zu bearbeiten, der seine Arme erhoben hatte, um sein kantiges Gesicht zu schützen.

Sein Kinn war bereits rot verfärbt. Bestimmt würde die Stelle anschwellen.

Verärgert starrten mich die Schaulustigen an, doch ich hatte nur Augen für die Streitenden, die ihre Zurschaustellung von Muskelkraft unterbrochen hatten.

»Was mischst du dich überhaupt ein, Streberin?«, zischte Alejandro und tastete seine Rippen auf Verletzungen ab.

»Wenn zwei testosterongesteuerte Halbwüchsige ihre primitiven Konfliktlösungsversuche vor der ganzen Schule austragen, kann ich als Schulsprecherin nicht wegsehen. Stellt euch vor, jemand schaut sich euer inkompetentes Verhalten ab und wird auch zum Vollpfosten!«, verteidigte ich mich und setzte ein selbstbewusstes Grinsen auf, obwohl ich mich alles andere als das fühlte.

Alejandros Blick ließ meine Knie weich werden und ich spürte, wie mein Mund trocken wurde. Seine Augen strahlten mich an und seine geröteten Wangen ließen ihn verboten gut aussehen. Obwohl mein Verstand Alejo abgrundtief hasste, schien mein Herz das noch nicht begriffen zu haben. Es pochte in meiner Brust und ich verdankte es der Kälte, dass niemand sich fragte, warum ich plötzlich rot anlief.

»Entschuldigen Sie bitte, Eure Königliche Hoheit, dass wir keinen roten Teppich ausgerollt haben, als Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehrt haben«, konterte er und deutete eine Verbeugung an, die ihn wie einen Butler aus dem achtzehnten Jahrhundert wirken ließ. Fehlten nur noch der Anzug und die weißen Handschuhe.

Sein Gegner war schon längst im Hintergrund verschwunden und wieder mal hieß es Alejandro gegen Isabella. Auch wenn ich peinlichst darauf achtete, mich nicht in Alejos Nähe aufzuhalten, kam es zwischendurch immer wieder zu Auseinandersetzungen der unangenehmen Art. Selbst wenn ein Gespräch normal startete, endete es, wie gerade eben, in einer Katastrophe.

»Eure Hoheit?«, wiederholte ich angesäuert und bahnte mir einen Weg durch die Schüler, die mir bereitwillig Platz machten.

Sie erwarteten eine große Show und leider bekamen sie diese meist geliefert, wenn der Schulcasanova und ich uns gegenüberstanden. Das Lächeln auf meinen Lippen war verrutscht und nun zierte eine ausdruckslose Maske mein Gesicht, während es in meinem Hirn ratterte.

»Tut mir leid, dass nicht jeder wie ein Bauer spricht und Kleidung trägt, die mehr Löcher hat als ein Sieb. Wenigstens weiß ich, dass man seine Probleme auch ohne Mord und Totschlag beseitigen kann. Doch davon verstehst du sicherlich nichts.«

Meine Stimme klang schrill in meinen Ohren und meine Hände waren zu Fäusten geballt. Alejos Verhalten regte mich auf, noch schlimmer war jedoch, dass ich mich schon wieder auf eine Diskussion mit ihm eingelassen hatte. Wann würde ich endlich aus meinen Fehlern lernen? Das endete nie gut!

»Ich würde lieber nackt zur Schule kommen als in den Fetzen, die du Kleidung nennst, aber dann würdest du wahrscheinlich spontan erblinden, ungebumste Ziege«, schrie er und lachte zum Schluss lauthals, als er mein Zusammenzucken bemerkte.

In der Umgebung konnte ich einige Mädchen hinter vorgehaltener Hand kichern hören. Ich spürte einen Stich in meiner Brust und mein Herz setzte einen Schlag lang aus, bevor ich mich wieder gefasst hatte. Ich war achtzehn Jahre alt und noch Jungfrau. In der heutigen Gesellschaft ein Makel, aber es hatte sich einfach nie ergeben. Nichtsdestotrotz war das ein Punkt, der mich verletzen konnte, weil es mir aus Gründen, die ich selbst nicht verstand, unangenehm war. Alejo benutzte diesen Fakt immer wieder gegen mich, obwohl mir nicht klar war, woher er von meiner Jungfräulichkeit wusste. Hatte ich es irgendwem erzählt? Oder hatte ich mich mit meinen Reaktionen auf seine Angriffe selbst verraten?

Kapitel 3

Die Glocke, die den Beginn der ersten Stunde ankündigte, bewahrte mich davor, mein Gesicht zu verlieren und noch etwas sagen zu müssen. Schnell begab ich mich mit Emilia im Schlepptau auf direktem Weg ins Klassenzimmer, wobei ich den Blicken meiner Mitschüler gekonnt auswich. Wir hatten gleich zum Start eine Doppelstunde Englisch, in der wir heute die Arbeiten für unsere Präsentationen begannen, die über sechzig Prozent der Jahresnote ausmachen würden.

»Guten Morgen. Ich hoffe, Sie hatten ein angenehmes Wochenende«, startete Mrs. Bigelow die Stunde.

Sie war eine gute Lehrerin, auch wenn sie teilweise seltsam war. Nicht auf die Weise wie die anderen Lehrer. Sie war besonders seltsam. Als wären ihre langen, spitzen Fingernägel und die bunten Outfits noch nicht Grund genug, sie anzustarren, hatte sie dazu eine Tätowierung auf der Wange, die an einen Halbmond erinnerte. Neben Englisch unterrichtete sie noch Kunst und erklärte immer, dass ihr Körper eine Leinwand wäre, weshalb mich ihr schräges Auftreten nicht mehr wundern sollte. Sie schaffte es allerdings täglich, mich zu überraschen. So auch heute. Sie trug gelbe Schuhe, rosa Strümpfe, eine Jeanshose mit grünen Farbflecken und eine rote Bluse mit blauen Knöpfen. Ihr Outfit war ein modisches Desaster und hätte bei einem Epileptiker wahrscheinlich einen Anfall ausgelöst. Doch für sie schienen das Starren und die geflüsterten Beleidigungen vollkommen in Ordnung zu sein. Mit einem strahlenden Lächeln stand sie vor der Klasse und zog ihren Unterricht durch, ohne auf die Kommentare meiner Mitschüler einzugehen.

»Um optimal mit Ihrer Abschlussarbeit beginnen zu können, möchte ich Sie nun ...«, begann Mrs. Bigelow mit ihrer klaren Stimme.

Ein Klopfen unterbrach sie jedoch und Alejandro kam hinter der Tür zum Vorschein. Er trug wieder ein sauberes Shirt und hatte sich das Gesicht gewaschen, weshalb die restlichen Blutspuren verschwunden waren. Trotzdem war seine linke Wange leicht geschwollen und er humpelte ein bisschen, wodurch sich der Kampf vor wenigen Minuten erahnen ließ.

»Gonzalez, Sie sind zu spät«, polterte Bigelow los.

In vielen Unterrichtseinheiten war es in Ordnung, sich zu verspäten, wenn man eine gute Ausrede hatte. Bigelows Stunden waren keine davon. So schräg sie auch war, genauso hart setzte sie ihre Regeln durch. Es waren nicht viele, aber ihre Strafen waren geradezu drakonisch.

»Ich dulde dieses Benehmen nicht in meinem Unterricht. Nachsitzen!«, wütete die Lehrerin und schickte ihn auf seinen Platz.

Lässig ging Alejo in die letzte Reihe und warf sein Bandana auf den Tisch, als würde ihn die Situation nichts angehen. Gekonnt ignorierte er die verschränkten Arme, die bebenden Nasenflügel und die zusammengekniffenen Augen von Mrs. Bigelow. Er zwinkerte dem Mädchen, das den Platz neben ihm besetzte, zu und setzte sich auf seinen Stuhl.

Arroganter Scheißkerl!

»Wie bereits vor der unangebrachten Unterbrechung erwähnt, werde ich Sie nun in Paare einteilen. Sie müssen Ihren Partner nicht mögen, aber Sie müssen mit ihm zusammenarbeiten, um die Prüfung zu bestehen. Sie werden gemeinsam eine Note erhalten und nicht jeder für sich, damit das klar ist. Also gut, ich werde jetzt nach der Reihe je zwei Namen vorlesen und würde Sie bitten, zu zweit nach vorne zu kommen, um sich Ihr Thema bei mir abzuholen«, erklärte Bigelow, bevor sie sich hinter das Lehrerpult stellte und sich über die Namensliste beugte.

Die Schüler murrten unzufrieden, weil sie die Chancen schwinden sahen, in einem Team mit den eigenen Freunden zu landen. Auch ich verabschiedete mich von dem Gedanken, die Präsentation mit Em vorzubereiten, und betete, dass ich eine fleißige Partnerin abbekommen würde. Bigelow war nicht mit Absicht gehässig, aber irgendwie schaffte sie es immer, dass fast alle mit einem Partner ins Team kamen, mit dem sie kaum Zeit verbrachten.

»Olivia Stones und Patrick Pirez«, las Bigelow vor und das Paar erhob sich synchron.

Sie beschwerten sich nicht, also waren die beiden entweder befreundet oder hatten bis jetzt nicht viel miteinander zu tun gehabt. Noch drei weitere Paare wurden gezogen, ohne dass etwas Spannendes passierte, weshalb ich mich in meinem Stuhl zurücklehnte und mit meinem Stift spielte. Die Schüler, die noch keinen Partner hatten, verfolgten das Geschehen aufgeregt und jedes Mal konnte ich Seufzer von den Verbliebenen hören, wenn ein kompetenter Schüler vergeben wurde. Ich konnte sie verstehen. Einen schlechten Partner zu bekommen, konnte im schlimmsten Fall eine schlechte Note im Abschlussjahr bedeuten und das würde sich auf die Collegebewerbungen auswirken.

»Emilia Anderson und ...«, begann Bigelow und spannte uns auf die Folter.

Obwohl ich nicht an Gott glaubte, fing ich zu beten an. Einen Versuch war es wert. Em griff unter dem Tisch nach meiner Hand und zerquetschte sie fast. Mein Herz raste und Adrenalin schoss durch meine Adern. Emilias Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in meine Handfläche, bevor sie erleichtert ausatmete. Zu erleichtert, beinahe erfreut. Kurz wallte Wut in mir auf, doch ich schluckte sie hinunter und versuchte, mich für sie zu freuen.

»Louis Marchand«, erklang die Stimme von Mrs. Bigelow und all meine Hoffnungen wurden mit einem Namen zerstört.

Mein Traum von einem Elitecollege brach zusammen, während meine beste Freundin grinste wie ein Honigkuchenpferd. Erst Freitag hatte sie mir erzählt, wie gut Louis aussah, wie lässig er ging und wie intelligent er war. In ihren Augen war er ein Wunderknabe. Ein Mann zum Heiraten. Die nächsten Wochen mit ihm arbeiten zu dürfen, musste sie auf Wolke Sieben schweben lassen. Ich sollte Em nicht böse sein, weil sie nicht protestierte, sondern freudig nach vorne lief und sich ein Thema abholte. Deshalb grinste ich in ihre Richtung und hoffte, dass ich ebenfalls mit einer guten Partie belohnt werden würde.

Doch lange konnte ich das Lächeln auf meinem Gesicht nicht aufrechterhalten. Die Zahl der Schüler verringerte sich drastisch, bis mit mir nur noch vier übrig waren und die Uhr zwanzig Minuten vor Unterrichtsende anzeigte.

Verzweifelt blinzelte ich die Tränen weg, die meine Sicht verschwimmen ließen. Hinter mir saß noch Elizabeth Jones. Sie war eine Cheerleaderin, die nur Mode im Kopf hatte und mit jedem schlief. Gerüchten nach zu urteilen sogar mit anderen Mädchen aus ihrer Clique. Aber sie ließ sich leicht beeinflussen, weshalb sie als Partnerin nicht allzu schlecht wäre. Zumindest könnte ich das Projekt allein machen und ihr einreden, dass sie eine Bereicherung gewesen war.

Fünf Sitzplätze entfernt saß Jonathan Rue. Ebenfalls ein Spitzensportler an unserer Schule, obwohl er ein Ass in Mathematik und Chemie war. Von allen Übriggebliebenen wäre er noch die beste Wahl, weil er freundlich und zuvorkommend war und mir zur Hand gehen würde. Nicht so gut wie Em es könnte, aber doch genug, um eine gute Gemeinschaftsnote zu bekommen.

Als letztes blieb noch Alejandro, der am anderen Ende des Raumes saß. Seine Lederjacke lag locker über seinem Stuhl, während er gelangweilt mit einer Zigarette spielte. Es wirkte, als wäre ihm egal, was hier passierte, und ich war mir sicher, dass er der schlechteste Helfer dieser Welt sein würde. Ob er überhaupt eine Ahnung von Literatur hatte? Wahrscheinlich nicht. Und von logischem Zusammenfassen oder offenen Präsentationen verstand er wohl ebenfalls nicht viel. Ich würde sowohl Elizabeth als auch Jonathan bemitleiden, wenn sie ihn als Partner bekommen würden.

»Isabella Sawyer«, fing Mrs. Bigelow an und mein Puls beschleunigte sich.

Meine Hände wurden feucht und ich begann zu zittern. Ängstlich versuchte ich, meinen Blutdruck zu beruhigen, und setzte ein gespieltes Lächeln auf, damit niemand sah, wie wichtig mir diese Sache war. Diese Arbeit würde über den Rest meines Lebens entscheiden.

»Alejandro Gonzalez«, hallte Bigelows Stimme durch den Raum und mein Herz stolperte.

›Nein! Alles, nur das nicht. Kann ich diesen Tag bitte nochmal starten und in meinem Bett liegen bleiben? Scheiß auf meine hundertprozentige Anwesenheit.‹

Das durfte nicht passieren. Jede Lehrkraft an dieser Schule wusste, dass Alejo und ich uns nicht ausstehen konnten und eine Zusammenarbeit unmöglich war. Genauso gut hätte man neben einem Pulverfass rauchen können. Glaubte Bigelow wirklich, es wäre klug, den kriminellen Primaten und die Schulsprecherin miteinander in ein Team zu stecken?

Alejo schien ganz meiner Meinung zu sein, denn auch er blieb auf seinem Hintern sitzen und machte keine Anstalten, sich unser Thema abzuholen. Die Schüler hielten erschrocken den Atem an und Emilias Augen waren schreckgeweitet. Mitleidig verzogen sich ihre Lippen, während ich ihr gequält entgegensah. Stille legte sich über den Raum und ich sah abwechselnd zwischen Bigelow und Alejandro hin und her. Niemand rührte sich.

»Ähm, muss das sein?«, feixte Alejo lachend, als hätte er den Ernst der Lage noch nicht begriffen.

»Stimmt etwas nicht, Gonzalez?«, wollte die Lehrerin lauernd wissen und betrachtete den Schüler durch ihre gigantische Brille, die ihre Augen wie eine Lupe vergrößerte.

»Ja. Ich will nicht mit der Prinzessin arbeiten. Sie ist immer so unentspannt«, erläuterte er wenig charmant und ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht, als ich sein angeekeltes Gesicht sah.

Die Art, wie er das Wort unentspannt betonte, ließ mich rasend werden vor Wut. Es hinterließ einen faden Nachgeschmack in meinem Mund und erinnerte mich daran, dass Mord bei manchen Menschen durchaus eine Option darstellen sollte.

»Das tut mir leid, dann sollten Sie sich darauf einstellen, den Kurs nicht zu bestehen«, meinte die Lehrkraft zuckersüß und mir rutschte das Herz in die Hose.

Ich durfte nicht durchfallen. Eine schlechte Note war eine Sache, aber den Kurs nicht bestehen? Meine Mom würde mich nicht nur enterben. Sie würde mich aus der Stadt jagen.

»Mrs. Bigelow, ich bin mir fast sicher, dass mein Dad es nicht gutheißen wird, wenn ich mit einem Kerl aus einer Gang, der offensichtlich Drogen konsumiert, mich vergewaltigen könnte und besser in der Jugendstrafanstalt aufgehoben wäre, zusammenarbeite. Daher bitte ich Sie, uns neu einzuteilen, auch wenn dadurch die Teams neu gemischt werden müssen«, versuchte ich, die Wahnsinnige zu überreden, aber sie schüttelte nur den Kopf, während sie die Augen verdrehte.

Um meine Worte zu bekräftigen, erhob ich mich und ging ein Stück vor, sodass ich vor dem Lehrerpult stand, um nicht durch den Raum schreien zu müssen. Alejo hatte sich ebenfalls zu uns bequemt, nachdem er seine Lederjacke übergezogen hatte. Vielleicht würde sie sich breitschlagen lassen, wenn wir ihr die Situation zivilisiert erklären würden.

»Genau Mujer, zieh die Mein-Daddy-ist-Anwalt-Karte, dann bekommst du sicher wie immer, was du willst. Aber selbst wenn nicht würde ich dich kratzbürstige Nonne nicht einmal anfassen, wenn du mir Geld dafür zahlen würdest. Wer möchte schon ein steifes Brett in seinem Bett?«

Autsch! Das hatte gesessen. Wie war das noch gleich mit dem zivilisiert gewesen?

Erst als ich den Knall hörte, den meine Hand, die auf seiner Wange aufschlug, verursachte, wurde mir klar, dass ich Alejo geohrfeigt hatte. Mitten im Klassenzimmer. Vor allen anderen Schülern und einer Lehrperson. Schockiert starrte er mich an, als ihm bewusst wurde, dass er den Bogen dieses Mal überspannt hatte und zu weit gegangen war. Aber auch ich riss erschrocken meine Augen auf. So ein Verhalten war ich von mir nicht gewohnt. Wut kochte in meinem Blut und meine Handfläche pochte unangenehm. Tränen schossen erneut in meine Augen und diesmal konnte ich einen einzelnen Tropfen nicht zurückhalten.

Alejo legte eine Hand auf seine gerötete Wange und ging entsetzt einen Schritt rückwärts, als hätte er Angst, dass es nicht die einzige Ohrfeige bleiben würde. Einige Schüler lachten verlegen und andere atmeten zischend ein. Die Spannung im Raum war fast greifbar und ich wollte am liebsten weglaufen. Wo war das Loch im Boden, wenn man es brauchte?

Peinlich berührt starrte ich in die Gesichter meiner Mitschüler. Von Belustigung bis zu tiefer Betroffenheit war jedes Gefühl in ihren Mienen vertreten. Sofort schämte ich mich in Grund und Boden. Ich konnte spüren, wie die Trauer in mir aufstieg und ich musste mich zusammenreißen, um nicht doch noch loszuheulen. Das Klingeln, das die Pause einleitete, brachte wieder Bewegung in die Situation und rettete mich zum zweiten Mal an diesem Tag vor einer noch größeren Demütigung.

Alejo rieb sich übers Kinn und bewegte leicht den Kiefer, um zu testen, ob ich einen Schaden angerichtet hatte. Obwohl das völlig absurd war – ich war nicht annähernd kräftig genug, um seine Knochen zu brechen oder ihm einen Zahn auszuschlagen – blickte ich besorgt in seine Richtung. Mrs. Bigelow murmelte in ihren nicht vorhandenen Bart, dass sie die Teams nicht mehr verändern würde, und schickte uns in den nächsten Unterricht. Noch einmal hätte ich mich auch nicht getraut nachzufragen.

So schnell mich meine Beine trugen, rannte ich in den Kunstsaal. Ich war froh, vor den neugierigen Augen der Schüler flüchten zu können, die hinter meinem Rücken aufgeregt tuschelten. In wenigen Minuten würde ich Alejandro nicht mehr geschlagen haben, weil er ein beleidigender Schuft war. Stattdessen würde behauptet werden, dass er mit meinem nicht vorhandenen Freund geschlafen hat, ich gleichzeitig von ihm ein Kind erwarte und jetzt mit seiner neuen Flamme eine Beziehung starte. Und das war nur die Spitze des Eisbergs.

Kapitel 4

Kunst, das einzige Fach, das ich mir selbst ausgesucht hatte, gab mir die Möglichkeit, runterzukommen und allen Stress hinter mir zu lassen. Ich war froh, endlich vor meinem halb fertigen Bild zu sitzen und nahm mir fest vor, es heute noch fertigzustellen, um es anschließend zur Benotung freizugeben. Emilia war nicht mit mir im Kunstkurs. Alejo leider schon. Auch wenn er wieder einmal am anderen Ende des Zimmers saß, spürte ich seine Anwesenheit und seinen Blick, der mich zu durchbohren schien.

»Das hat ziemlich weh getan, Mujer«, säuselte er mir ins Ohr und ich zuckte zusammen, weil ich überhaupt nicht mitbekommen hatte, dass er aufgestanden war.