Men of Alaska - In deinen Armen - Carolina Sturm - E-Book
SONDERANGEBOT

Men of Alaska - In deinen Armen E-Book

Carolina Sturm

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Virginia ist Journalistin und liebt das Leben in New York. Daher ist ihr Entsetzen groß, als ein Auftrag sie in die Wildnis von Alaska führt. Sie soll einen Bericht über die blauen Bären drehen, aber Virginia ist nicht der Typ, der gerne in Wanderstiefeln durch den Matsch stapft. Das wird jedoch schnell zu ihrem kleinsten Problem, denn in der Wildnis trifft sie nicht nur auf gefährliche Tiere, sondern auch auf den verschlossenen und zudem sehr attraktiven Wildhüter Colin, der seine geliebte Natur schützt und keine Fremden duldet. Mit der Zeit erkennt Virginia eine weichere Seite hinter der abweisenden Art. Doch immer größer wird der Verdacht, dass Colin nicht der Mann ist, der er vorgibt zu sein. Und während Virginia versucht, sein Geheimnis zu entschlüsseln, kommt sie Colin gefährlich nahe. Aber kann sie ihm vertrauen?

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 398

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Welcome to Elfin Cove

Der Bärenmann

Mit zu mir

Du kannst mir vertrauen

Räucherlachs und Sauerteig

Nein heißt nein

Sie heißt Blue

Bär!

So verdammt nah

Polarnacht

Von Leidenschaft und Wahrheit

Der Wahrheit zu viel

Du bist bei mir sicher

Schick mich nicht fort

Von Liebe und Verrat

Er ist fort

Zeit der Entscheidung

Verlass mich nicht

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

herzlichen Dank, dass du dich für ein Buch von beHEARTBEAT entschieden hast. Die Bücher in unserem Programm haben wir mit viel Liebe ausgewählt und mit Leidenschaft lektoriert. Denn wir möchten, dass du bei jedem beHEARTBEAT-Buch dieses unbeschreibliche Herzklopfen verspürst.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beHEARTBEAT-Community werden möchtest und deine Liebe fürs Lesen mit uns und anderen Leserinnen und Lesern teilst. Du findest uns unter be-heartbeat.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich für unseren kostenlosen Newsletter an: be-heartbeat.de/newsletter

Viel Freude beim Lesen und Verlieben!

Dein beHEARTBEAT-Team

Melde dich hier für unseren Newsletter an:

Über dieses Buch

Virginia ist Journalistin und liebt das Leben in New York. Daher ist ihr Entsetzen groß, als ein Auftrag sie in die Wildnis von Alaska führt. Sie soll einen Bericht über die blauen Bären drehen, aber Virginia ist nicht der Typ, der gerne in Wanderstiefeln durch den Matsch stapft. Das wird jedoch schnell zu ihrem kleinsten Problem, denn in der Wildnis trifft sie nicht nur auf gefährliche Tiere, sondern auch auf den verschlossenen und zudem sehr attraktiven Wildhüter Colin, der seine geliebte Natur schützt und keine Fremden duldet. Mit der Zeit erkennt Virginia eine weichere Seite hinter der abweisenden Art. Doch immer größer wird der Verdacht, dass Colin nicht der Mann ist, der er vorgibt zu sein. Und während Virginia versucht, sein Geheimnis zu entschlüsseln, kommt sie Colin gefährlich nahe. Aber kann sie ihm vertrauen?

Carolina Sturm

MENofALASKA

In deinen Armen

Roman

 

Wenn du glaubst, alles verloren zu haben,dann wird es die Liebe sein,die dich wiederfindet.

Für alle Herzen, die Trauer tragen.

Welcome to Elfin Cove

Virginia

Die Leuchten zum Anschnallen blinken über unseren Köpfen, und die Stewardess läuft noch einmal prüfenden Blickes den Gang hinunter, ehe auch sie sich zum Landeanflug bereit macht. Will tätschelt mir den Oberschenkel. »Tief durchatmen, gleich sind wir unten.«

Ach, das ist es doch gar nicht, Fliegen macht mir nichts aus. Der tatsächliche Grund, warum ich total verkrampft auf meinem Platz sitze, ist einzig und allein die Tatsache, dass ich mich tatsächlich zu diesem Auftrag habe überreden lassen und wir in wenigen Minuten in Juneau, Alaska, landen werden.

Das Ziehen in meinem Magen, das gar nicht mehr richtig verschwindet, seit feststand, dass ich diese Reise wirklich antreten werde, wird stärker.

Ist es eine Vorahnung? Angst? Ich will nicht landen. Ich will mich all den Zweifeln an meiner Herkunft nicht stellen müssen, die mich hier einholen könnten, und frage mich, ob mich das Flugzeug wohl mit zurück nach New York nimmt, wenn ich einfach nicht aussteige? Da sinkt die Boeing mit einem Ruckeln durch die Wolkendecke, durch die wir seit unserem Zwischenstopp in Seattle geflogen sind, und der Anblick, der sich mir bietet, lässt mich dichter ans Fenster rutschen.

Der Pazifik glitzert im Sonnenlicht, Schiffe in sämtlichen Größen heben sich als graue und weiße Tupfen von der fast schwarzen Wasseroberfläche ab, die zur Küste hin immer heller wird. Sieht gar nicht so anders aus als Vancouver Island. Häuser erstrecken sich entlang des Küstenstreifens, und dahinter erkenne ich, so weit das Auge reicht, nur Wald. Ein dichter dunkelgrüner Dschungel. Schneebedeckte Berge thronen am Horizont und … schon wieder Wolken. Weiß und dicht schlagen sie eine Schneise durch das ewige Grün, wie ein Meer aus Watte.

»Toll, nicht wahr?« Will hat sich neben mich gebeugt und strahlt. »Das ist einer der vielen Fjorde hier. Alaska hat Tausende Inseln, Flüsse und Seen. Sieht fast so aus wie bei den Hobbits, was? Ein Traum.«

»Hobbits?« Verständnislos schaue ich ihn an.

»Hobbits! Mittelerde? Herr der Ringe?«

Ich wedle mit der Hand. Ja, ja, schon gut. Ich weiß, was Hobbits sind. Einige der Mädchen auf dem Internat haben die Bücher nahezu verschlungen. Doch ich blieb lieber mit beiden Füßen auf dem Boden der Tatsachen, als mich in fantastische Welten zu flüchten. Schließlich habe ich sehr früh gelernt, dass mich das nicht weiterbringt.

Wir überfliegen einen Hügel. Felder und die Ausläufer einer Stadt tauchen unter uns auf, werden jedoch schnell erneut von Wasser abgelöst. Das Flugzeug ist nun schon so tief, dass ich für einen Moment den Atem anhalte. Wo ist die Landebahn?

Doch kaum dass ich wieder Wiesen sehe, schweben wir bereits über grauem Asphalt, und der Pilot setzt zur Landung an. Das Dröhnen der Turbinen verändert sich, ein kurzes Wackeln, dann haben wir festen Boden unter den Rädern. »Gelandet!«, ruft William und klatscht in die Hände. »Herzlich willkommen in Alaska!«

»Wir werden abstürzen.«

»Ach, jetzt hör auf.« Will ist genervt. Nach vierundzwanzig Stunden Dauernörgeln habe ich es tatsächlich geschafft. Und ganz ehrlich, ich kann mir selbst nicht mehr zuhören. Mit vor der Brust verschränkten Armen stehe ich am Kai, während mein Freund und Kollege seine Kameraausrüstung aus dem Taxi wuchtet und neben mir auftürmt. Wie viel Gepäck ist in so einem Wasserflugzeug eigentlich zulässig?

Missmutig betrachte ich die kleinen gelb-weiß lackierten Maschinen vor mir, wie sie sanft auf den Wellen schaukeln. Mit blubbernden Motoren nähert sich ein weiteres Flugzeug aus Richtung des Ozeans, da klingelt mein Handy. Es sieht beeindruckend aus, wie der Flieger der dunklen Wasseroberfläche immer näher kommt und die Kufen schließlich von weißer Gischt umgeben Wellen vor sich aufschieben.

Ich krame in meiner Handtasche – wo ist nur das Telefon? Eine Gruppe Touristen neben uns kommt aus dem Staunen und Fotografieren gar nicht mehr heraus. Ich höre ihre Begeisterung über den wunderbar weiten Himmel, die geheimnisvoll wirkenden Nebelschwaden über den Wäldern am anderen Ufer, und wie schön es ist, der Großstadt endlich entflohen zu sein.

Auch meine Augen registrieren das alles, doch in meinem Herzen ist es taub. Meine Nerven liegen blank. Mir ist zum Heulen zumute. Ich bin tatsächlich in Alaska … »Hallo?« Ich habe das Handy gefunden und hebe es eilig ans Ohr, ehe der Anruf weg ist.

»Virginia? Störe ich? Was ist das für ein Brummen im Hintergrund?«

»Ach, nur ein Flugzeug, Sebastian.« Ich schirme das Telefon mit der Hand ab und drehe mich zum Hafen, hinter dem sich die Gebäude von Juneau bis an die Hügel erstrecken. Ziemlich klein für die Hauptstadt eines so riesigen Landes. Kommt mir hier irgendetwas bekannt vor? »Gibt es Neuigkeiten?«, frage ich ins Telefon.

»Allerdings! Wir haben einen Käufer, Virginia! Wenn Sie dem Angebot zustimmen, können wir binnen eines Monats verkaufen.«

Ich, korrigiere ich ihn im Geiste. Kann ICH verkaufen. Nur, weil Sebastian seit gefühlten Jahrzehnten meine Familie und die Firma in Rechtsangelegenheiten vertritt, ist er noch lange kein Teil davon. »Liegt das Angebot denn im erwarteten Bereich?«, frage ich.

»Allerdings!« Ich rolle die Augen. Es ist wahrlich sein Lieblingswort. »Wir sollten zuschlagen, Virginia. Wann können Sie nach Victoria kommen?«

Wenn er wüsste, wie nah ich ihm gerade bin … »Ich bin geschäftlich unterwegs, Sebastian. Sobald ich zurückkehre, melde ich mich, in Ordnung? Schicken Sie mir die Eckdaten gerne schon mal per E-Mail. Bis bald!« Ich lege auf und entlasse die Luft aus meinen aufgeplusterten Wangen.

Im erwarteten Bereich. Seit drei Jahren, seit Grandmas Tod, suche ich nun schon nach einem Käufer. Oder vielmehr Sebastian. Auch wenn unser Verhältnis ein wenig unterkühlt ist, so bin ich doch dankbar, ihn zu haben. Meinen Großeltern über den Tod hinaus loyal gesinnt, kümmert er sich für mich um die Geschicke der Firma. Ich wollte damit partout nichts zu tun haben und versprach ihm dafür einen stattlichen Anteil vom Verkaufspreis.

»Hey.« Will legt mir seinen Arm um die Schultern und zieht mich an sich. »Alles in Ordnung? Wer war dran?«

»Sebastian. Stell dir vor, es gibt einen Interessenten. Wenn das klappt, könnte ich in ein paar Wochen frei sein!«

»Na, wenn das keine guten Nachrichten sind! Aber vergiss mich nicht, wenn du reich bist, ja?« Er knufft mich in die Seite. »Und jetzt schenk mir ein Lächeln. Es ist doch gar nicht so schlimm hier, oder?«

Seufzend lasse ich meinen Kopf gegen seine Brust sinken. »Danke, Will.«

»Wofür, Zuckerschnecke?«

»Dass du mich erträgst.«

Mit einem leisen Lachen knuddelt er mich und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. »Schon in Ordnung. Ich habe kräftige Schultern, an denen du dich jederzeit anlehnen und ausheulen darfst. Schau einfach immer nach vorn. Und jetzt lächeln, ja?«

Dankbar schließe ich meine Arme um ihn. Ich weiß nicht, was ich die letzten Monate ohne Will gemacht hätte. Er ist ein echter Freund. Meinen Koffer hinter mir herziehend, folge ich ihm den Kai hinunter bis zu dem Flugzeug, auf dessen Tür die Dreiundvierzig prangt. Der Pilot, ein mittelgroßer, leicht untersetzter Mann mit grauem Haar und Basecap der Fluggesellschaft, steht auf einer der Kufen und putzt das Fenster.

Geradezu liebevoll rotiert er den Lappen über das Glas und pfeift eine Melodie vor sich hin. »Entschuldigung, Sir«, ruft William. »Elfin Cove?«

Mein Blick schweift über das rot-schwarz karierte Flanellhemd, das der Mann trägt, und bleibt an seinen Beinen hängen, die bis zu den Oberschenkeln in olivgrünen Gummistiefeln stecken. Die dazugehörigen Hosenträger – oder in diesem Fall eher Stiefelträger – hat er sich locker um die Hüften gebunden. Holzfäller-Overknees, schießt es mir durch den Kopf. Mit Strapsen.

»Lachen Sie ruhig, Ma’am. Wenn wir landen, werden Sie sich noch wünschen, solch edle Beinkleider zu besitzen.« Seine blauen Augen blitzen belustigt, als er sich zum Steg hinaufzieht und mir seine große behaarte Pranke entgegenstreckt. »Hi, ich bin Mac, Ihr Chauffeur in die Wildnis.«

»Entschuldigung«, nuschle ich und spüre, wie mir die Schamesröte in die Wangen steigt.

Doch Mac winkt lachend ab. »Nicht schlimm, Mädchen. Ihr wollt also nach Elfin Cove? Dann rein in meine süße Betty! Warte, ich helf dir mit dem Gepäck.«

Betty? Da sehe ich das Airbrush-Bild eines Pin-up-Girls mit roten Locken und Fliegerkappe auf dem Kopf am Heck der Maschine prangen, und meine Bedenken weichen Zuversicht. Kein Wunder, dass der alte Kauz den Putzlappen schwang, als würde er eine Kostbarkeit pflegen. Er scheint seine Betty sehr zu lieben, was mir wiederum die Angst nimmt, über dieser undurchsichtigen grünen Hölle abzustürzen. Wer liebt, der kümmert sich. So stelle ich es mir zumindest vor.

Trotz aller Zuversicht taste ich dennoch nach Williams Hand, als alles an Bord verstaut ist und sich der Propeller ratternd und knisternd in Bewegung setzt.

»Seid ihr bereit?«, erkundigt Mac sich über unsere Kopfhörer.

Will reckt den Daumen in die Höhe, und dann parken wir rückwärts aus. So ein Wasserflugzeug scheint ganz schön wendig zu sein, wenngleich mich das leichte Schaukeln eher an ein Boot erinnert. Will drückt meine Hand, als wir zur Mitte des Fjords schippern. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob er sich damit nicht eher selbst beruhigen möchte – auf Schiffen wird ihm für gewöhnlich schlecht. Da verleiht Mac dem Flieger auch schon mehr Schub.

Aufgeregt blicke ich nach allen Seiten, doch als die Maschine den Kontakt zum Wasser verliert und immer höher steigt, stelle ich mit großer Überraschung fest, dass es nicht die Angst ist, die mein Herz rasen lässt – es ist Spannung. Aufregung. Vielleicht sogar ein Anflug von Faszination. Einfach nur überwältigend!

Schnell werden die Boote und Häuser kleiner, und der Pazifik taucht vor uns auf. Unser Flug führt uns entlang der Küste über unzählige dem Festland vorgelagerte Inseln. Sie alle sind grün bewachsen und scheinen komplett unbewohnt.

Als wir eine größere überfliegen, zeigt unser Pilot auf eine Reihe Felsen im Wasser. »Dort unten, schaut! Da ist eine Seelöwen-Kolonie. Die machen einen Lärm, sag ich euch. Wenn Betty nicht so ein kräftiges Stimmchen hätte, würden wir die Viecher sicher noch hier oben hören!« Lachend dreht er sich wieder nach vorn und fliegt uns dichter ans Festland, während ich noch versuche, in der braunen Masse dort unten einzelne Körper auszumachen.

»Was verschlägt euch eigentlich nach Elfin Cove?«, will Mac wissen. »Wie Angler seht ihr nicht gerade aus. Und für Flitterwochen fallen mir auch genügend andere Ziele ein.«

»Wir sind vom Fernsehen.« Will klopft auf das Stativ neben sich. Seine Stimme durch die Kopfhörer, verbunden mit dem Knacken und Rauschen des Funks, erinnert mich an die alten Action-Serien, wie das A-Team oder Airwolf. Theo, der Gärtner und nahezu einzige Mann auf der Mädchenschule, ließ sie immer meilenweit hörbar im Anbau des Gewächshauses laufen. »Unser Boss will Aufnahmen von den Blauen Bären.«

Ich sehe, wie Macs buschige weiße Augenbrauen in die Höhe schnellen – und habe eine Idee. Als Buschpilot – nennt man das auch in Alaska so? – kommt er doch viel rum und trifft die unterschiedlichsten Menschen. »Wissen Sie vielleicht, wie wir die Bären finden können?« Ich lehne mich nach vorn.

Sein Lachen jedoch mildert meine Hoffnung. »Du meine Güte, Mädchen! Was ist das nur, dass ihr Leute aus der Großstadt immer meint, man könne unsere Wildtiere besuchen wie im Zoo? Das hier ist Alaska, ihr Turteltäubchen. Gewiss eines der schönsten und unberührtesten Fleckchen auf dieser Erde, aber für unerfahrene Touris wie euch leider auch lebensgefährlich. In Alaska bist du quasi schon tot, wenn du nur zur Haustür rausgehst. Ohne einen erfahrenen Guide werdet ihr nicht mal ein Eichhörnchen finden … Ganz zu schweigen von den Blauen Bären.«

Mit einem Blick, der mehr als deutlich sagt: »Siehst du? Ich hatte recht!«, drücke ich Will meinen Ellbogen in die Seite.

Doch er lässt sich nicht so leicht beeindrucken. »Gibt es in Elfin Cove denn einen Guide, Mac?«, fragt er.

Ich sehe unser gesamtes Projekt bereits erfolglos gegen die Klippen unter uns rauschen, da nickt unser grauhaariger Freund doch tatsächlich. »Aye«, sagt er mit geheimnisvollem Pathos in der Stimme. »Da soll es tatsächlich jemanden geben.«

Wills Grinsen strahlt heller als in jeder Zahnpastawerbung, als er sich schadenfroh und siegessicher zu mir dreht. »Und können Sie uns auch den Namen nennen?«, fragt er, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich schneide eine Grimasse.

»Puh«, macht da der Pilot. »Mit Namen hab ich es nicht mehr so. Aber fragt Anny. Sie ist das wandelnde Telefonbuch und Lexikon von Elfin Cove. Wenn einer weiß, wo ihr den Bärenmann findet, dann sie.«

Keine fünfundvierzig Minuten nach dem Start nähern wir uns unserem Ziel. Ich habe mich mittlerweile so an das sanfte Schaukeln und Ruckeln der Maschine gewöhnt, dass ich die Aussicht genießen kann und fast schon ein wenig traurig bin, dass die Betty nun langsam tiefer sinkt.

Wieder schweift mein Blick entlang endloser Baumreihen, doch anders als noch heute Morgen erkenne ich plötzlich so viel mehr als nur Grün. Zwischen den Stämmen der Bäume wachsen Büsche und Gräser, und über den felsigen Küstensaum, der steil ins Wasser abfällt, erstrecken sich zum Teil mannshohe Farne.

Alles sieht unberührt und verwunschen aus, als wäre hier noch nie zuvor ein Mensch gewesen, und mir wird klar, warum dieser Meeresarm Elfin Cove – Elfenbucht – genannt wird. Es würde mich nicht wundern, wenn tatsächlich kleine geflügelte Wesen aus der üppigen Flora emporsteigen würden.

»Wunderschön«, flüstere ich, ohne an das Mikrofon vor meinen Lippen zu denken. Da ergreift Will meine Hand. Er drückt sie leicht, und als ich ihn ansehe, schwebt ein glückliches Lächeln um seine Mundwinkel. »Vergiss es, mein Lieber.« Ich ziehe meine Hand aus seiner. »Ich will immer noch nach Hause.«

Das Dörfchen liegt ganz am Ende des Meeresarmes. Segeljachten und Motorboote liegen in dem kleinen Hafen vor Anker, und bunte Holzhäuser schmiegen sich ans Ufer. Über einem großen Kutter kreisen Möwen und stürzen sich gierig auf das, was zwei Männer in brusthohen Wathosen und Wollmützen über die Reling werfen. Fischabfälle – welch vertrautes Bild. Erinnerungen formen sich in meinem Gedächtnis − an die glücklichen Tage meiner Kindheit.

Mac steuert die Betty an einen Liegeplatz genau gegenüber, und als der Motor langsam zur Ruhe kommt und ich den Kopfhörer abnehme, dringt das Schreien der Möwen an meine Ohren. Da fällt mir am linken Ufer ein Gebäudekomplex ins Auge, der alle anderen Häuser überragt. Ich würde den Holzpalast jetzt nicht unbedingt mit dem Hilton vergleichen, dennoch strahlt er neben den rustikalen Hütten am Ende des Steges allein schon durch seine Größe und den geschmackvoll gestalteten Eingangsbereich so etwas wie Modernität und Komfort aus. Das muss unser Hotel sein.

»Da wären wir. Alles aussteigen«, sagt Mac, und als er beginnt, das Flugzeug zu vertäuen, stelle ich erleichtert fest, dass ich nicht durchs Wasser waten muss, um an Land zu kommen. William reicht mir seine Hand, und mit einem großen Schritt erreiche ich den Steg. Puh.

Da sind wir also. Dreitausend Meilen von New York entfernt. Herzlich willkommen in der Einöde. Ich atme den für Häfen so typischen Geruch nach Algen und Salz ein, wobei ich zugeben muss, dass die Luft hier so weit abseits der Zivilisation noch mal frischer zu sein scheint als in Juneau.

Eine Windböe treibt mir Strähnen ins Gesicht, und durch die Stimmen der Vögel dringen die der Fischer neben uns. »Warte, ich helfe dir«, rufe ich Will zu, der meinen Koffer und seinen Rucksack gerade gleichzeitig auf den Steg wuchtet. Ich greife nach meinem Gepäck, doch er lässt nicht los. Wie eingefroren steht er auf der breiten Kufe des Flugzeugs und starrt an mir vorbei. »Will?«

»Grüß dich, Bobby! Lang nicht gesehen. Wie geht’s deiner Mom?« Mac winkt in dieselbe Richtung, und dann sehe ich den jungen Mann an Bord des Kutters.

Auch er trägt einen orangenen Fischeranzug. Dunkle Locken kräuseln sich unter dem Basecap hervor, und das strahlende Lachen lässt seine Augen in der Sonne funkeln. »Hi, Mac!«, ruft er und stemmt einen Korb voller Fische auf einen Stapel. »Meiner Mom geht’s gut, danke! Sie freut sich sicher, wenn du mal wieder auf ’nen Kaffee vorbeikommst.«

»Werd ich machen, Junge! Werd ich machen. So, und du lass mich mal durch, oder willst du hier Wurzeln schlagen?« Grinsend tippt er meinem Freund auf die Schulter, der erschrocken zusammenzuckt.

»Wie? Oh. Ähm, ja klar.« Will lässt mein Gepäck los und klettert zu mir auf den Steg. »Was ist?«, fragt er, als er sieht, dass ich mir ein Lachen verkneife.

»Du findest ihn süß, nicht wahr?«, flüstere ich und wackle mit dem Kopf. Denn auch wenn ich nur ein Schnauben als Antwort erhalte, weiß ich, was ich gesehen habe. Ich erkenne sofort, wenn William Herzchen in den Augen hat, und bei diesem Bobby eben war es ein wahres Herzchen-Feuerwerk.

»Kommst du, Virginia?«

Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke hoch, um mich vor der kühlen Brise zu schützen, die der Wind trotz der Sonnenstrahlen vom Meer herträgt, und folge den Männern Richtung Festland. Ich lasse es mir jedoch nicht nehmen, noch einmal zurück zum Kutter zu schauen, wo der junge Mann nach wie vor an der Reling steht und gedankenverloren ein Seil aufrollt. Ich könnte schwören, dass sein Blick nicht mir gilt.

Eilig versuche ich, den Vorsprung meiner Begleiter aufzuholen, und stelle irritiert fest, dass sie nach rechts abgebogen sind. »Will!«, rufe ich. »Das ist die falsche Richtung.«

»Was? Warum?«

»Na«, ich zeige auf die Blockhaus-Anlage hinter uns, »das da sieht doch aus wie ein Hotel.«

»Stimmt«, mischt Mac sich da ein. »Das ist die Elfin Lodge.«

Bestätigt und zufrieden wende ich mich ab. Wenigstens ein Lichtblick. Ich hatte schon Angst, mir mit William ein Etagenbett in einer der Fischerhütten teilen zu müssen. »Aber da wohnt ihr nicht.«

Moment … wie bitte?

»Wo denn dann?«, frage ich und ahne nichts Gutes, als ich das Lachen auf den Gesichtern der beiden sehe.

»Na, im Salty Elk Saloon. Da hinten.« Mein Blick folgt Macs ausgestrecktem Finger in die entgegengesetzte Richtung zum Ende des Hafens, wo ein Gebäude wie aus einem alten Wild-West-Film steht, mit Veranda und einem umlaufenden Balkon im Obergeschoss. Nur die Schwingtüren am Eingang fehlen, die bei den hier herrschenden Klimaverhältnissen auch sicher unangebracht wären. Salty Elk Saloon prangt in großen weißen Lettern an der Front des Hauses. Na prima.

»Schau nicht so verdrießlich, Mädchen.« Mac ist zu mir gekommen und legt seinen Arm um meine Schultern. »Dann kannst du Anny immerhin gleich wegen der Bären fragen. Ihr gehört der Salty Elk nämlich.«

»Hey, Anny! Ich hab Gäste mitgebracht.« Macs tiefer Bass hallt durch den Saloon und übertönt die Ballade aus längst vergangenen Zeiten, die aus der Jukebox am Ende der Bar klingt.

Die Tür schwingt hinter mir zu, sperrt die Sonne aus, und mir ist auf einmal, als hätte ich mit dem Eintreten in diese Kneipe einen Schritt in eine andere Welt getan. Das Zwielicht hier drinnen wirkt zwar nicht gerade magisch, doch ein verheißungsvolles Kribbeln befällt mich. Von meinem Nacken ausgehend läuft es mir ganz langsam den Rücken hinunter. Fühlt sich so eine Vorahnung an?

Wie angewurzelt haften meine Füße an den alten Dielen, auf denen unzählige Besucher vor mir die bevorzugten Laufwege markiert haben. Wie Wegweiser verlaufen die abgetretenen Stellen in drei Richtungen – geradeaus zur Bar, nach rechts, wo es dem blinkenden Schild nach zu den Gästezimmern und den Toiletten geht, und nach links, zu besagter Jukebox und dem Billardtisch, dessen roter Filz ebenfalls schon bessere Zeiten gesehen hat.

War ich hier schon mal? Ich kneife die Augen zusammen und atme den Geruch von alten Möbeln und frittiertem Essen ein, der sich mit der sanften frischen Brise verbindet, die wir vom Hafen mit hereingebracht haben.

»Ginny?« William lächelt mir entgegen.

Ich schüttle die seltsamen Empfindungen ab und trete näher.

»Alles okay?«, fragt er, und obwohl Mac in der Tür hinter dem Tresen verschwunden ist, um wohl die Wirtin zu suchen, beuge ich mich dicht zu meinem Freund, damit mich niemand hören kann.

»Ich weiß nicht …«, flüstere ich und reibe mir über meine Unterarme. Trotz der Jacke habe ich eine Gänsehaut. »Hattest du schon mal ein Déjà-vu?«

Er lacht. »Du meinst so was, wie dass es einem vorkommt, an einem fremden Ort bereits gewesen zu sein?« Ich nicke.

»Hm … nee.« Will legt seine Stirn in Falten. Das Lachen aber bleibt. »Du gerade?«

Da ertönt ein herzliches Kichern aus dem Raum, der die Küche sein muss, und unser Pilot kehrt zurück.

Die Frau mittleren Alters an seiner Seite streckt sich über die Theke, um uns mit Handschlag zu begrüßen. »Hey, ihr zwei, willkommen in Elfin Cove! Ich bin Anouk. Aber alle nennen mich Anny.« Ihre Mandelaugen strahlen fröhlich, doch als sich ihre Handfläche in meine schiebt und sie mich einen Moment länger betrachtet als nötig, ist das Kribbeln zurück.

Kaum merklich neigt sie den Kopf. Ihr Blick intensiviert sich, und plötzlich habe ich das Gefühl, dass sie tief in meine Seele dringt und dort nach etwas sucht. Doch gerade als dieses Gefühl so greifbar wird, dass ich erschrocken meine Hand zurückziehen möchte, zuckt sie leicht und schließt die Augen. »Ts, mir war gerade, als hätte ich dich schon mal irgendwo gesehen.« Anny schüttelt ihre Schultern. »Du warst aber noch nie hier, oder?«

»Nicht in diesem Leben«, scherze ich und reibe meine Finger, die sie eben noch gehalten hat.

»Jeder Mensch hat irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger«, mischt sich William ein und ergreift Annys Hand. »Hab ich mal im Fernsehen gesehen. Hallo, ich bin William, und das hier ist Virginia.«

Noch einmal, beim Klang meines Namens, sieht mich die Wirtin nachdenklich an, dann dreht sie sich zu dem Kasten, der neben der Küchentür hängt, und reicht jedem von uns einen Schlüssel. Lustige Tieranhänger sind an ihnen befestigt, und mit einem Lächeln drehe ich den Bären in meiner Hand.

»Der Bär für die Dame und der Elch für den Herrn«, flötet Anny. »Die Zimmer sind im ersten Stock. Zwei Einzelzimmer – stimmt doch, oder?« Wir nicken.

»Ginny und ich passen nur beruflich zusammen. Privat würde ich mit dieser Lady wohl wahnsinnig werden.« William geht lachend in Deckung, weil ich empört nach ihm schlage.

»Du mit mir? Wohl eher umgekehrt, Freundchen.«

Anny kichert. »Frühstück gibt’s bis zehn, und warme Küche von zwölf bis zwanzig Uhr. Noch Fragen?«

Mac, der bis jetzt nur beobachtend an der Theke gelehnt hat, stößt sich ab. »Die beiden wollen die Blauen Bären finden. Wie heißt der Kerl noch mal, der draußen in Johns alter Hütte lebt?«

»Du meinst Colin Stewart?«

»Ja, genau. Der weiß doch, wo man sie findet, oder?«

Anny schaut zweifelnd. »Schon. Aber ich kann euch nicht versprechen, dass er euch helfen wird. Colin ist nicht gerade … gesellig.«

Colin Stewart. Johns alte Hütte. Nicht gesellig. In meiner Vorstellung formt sich das Bild eines mürrischen Kerls mit Vollbart und Holzfällerhemd, ähnlich wie Mac, nur in einer unfreundlichen Version. Ich weiß nicht, ob ich die Hilfe dieses Menschen überhaupt haben möchte. Sicher verscheucht er uns mit einer Axt in der Hand von seinem Grundstück.

»Wie finden wir diesen Mann?«, fragt Will, und ich seufze. Dieses diffuse Flirren in meinem Magen …

Mein Blick fliegt über eine Sammlung alter Fotografien und die ausgestopften Fischköpfe an der Wand, und ich kann mir nicht helfen: Irgendwie fühle ich mich gerade wie ein kleines Mädchen, das auf dem Abenteuerspielplatz vergessen wurde.

»Am anderen Ende des Hafens, nicht weit von der Elfin Lodge, gehen die Wanderwege los. Colins Hütte liegt circa zwanzig Minuten Fußweg rechts davon. Der Weg ist allerdings eher ein Trampelpfad.«

»Führt da keine Straße hin?«, frage ich und verziehe erstaunt das Gesicht, als Mac mich lachend darüber aufklärt, dass es auf der ganzen Halbinsel nicht einmal ein Auto gibt.

»Zu Fuß, mit dem Schiff oder mit meiner Betty – anders kommst du hier nicht mehr weg, mein Engelchen.«

Der Bärenmann

Virginia

Nachdem wir unsere Zimmer bezogen und von Annys vorzüglichem Eintopf gekostet hatten, wollten wir uns ein wenig ausruhen. Doch ich komme einfach nicht zur Ruhe. Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen liege ich auf dem Bett und betrachte abwechselnd die Möwen draußen am Himmel und die Einrichtung meines Zimmers.

Bettwäsche und Vorhänge sind in einem warmen Schokoladenbraun gehalten, und an den Wänden hängen Bilder von Bären. Große und kleine, mit struppigem braunem Fell oder glattem schwarzem, allein in Feld und Flur oder mit zwei tapsigen Jungen im Schlepptau. Ist es Zufall, dass ich ausgerechnet im Bären-Zimmer gelandet bin?

Ich richte mich auf. Das Gemälde des Muttertiers hat es mir besonders angetan. Die dunklen Erdtöne, der etwas kitschige Sonnenuntergang in Purpur, Pink und Orange, die Art, wie der Maler die Farbe aufgetragen hat … Das Bild strahlt eine tröstliche Ruhe aus. Die Ruhe, die mir fehlt.

Mit einem Seufzen erhebe ich mich von der Matratze und trete näher heran. Die Bärenmutter ist gut getroffen. Etwas Gütiges liegt in dem Blick, mit dem sie ihre Kleinen betrachtet. Ob meine Mom mich auch so angesehen hat? Traurig nehme ich meine Jacke vom Haken und öffne die Tür. Aus Wills Zimmer nebenan ist nichts zu hören. Sicher ist er eingenickt, und ich beschließe, ein wenig spazieren zu gehen, um die trüben Gedanken zu vertreiben.

Der Himmel hat sich zugezogen, als ich aus dem Saloon auf den Steg trete. Nebel hängt über den Spitzen der Tannen, und im Hafen ist Ruhe eingekehrt. Das sanfte Plätschern der Wellen und die Stimmen der Vögel sind das Einzige, was an meine Ohren dringt. Kein Autolärm, kein Hupen, keine Sirenen. All die Geräusche der Großstadt, die mich in New York vierundzwanzig Stunden am Tag umgeben und die ich dort schon gar nicht mehr wahrnehme, existieren hier nicht.

Ich schlendere den Steg entlang und atme bewusst tief ein und aus, als könne ich so eine Verbindung zu dieser neuen Umgebung aufbauen. Ich schmecke die frische salzige Luft, die in meine Lungen strömt, fühle den kühlen Wind auf meiner Haut und wie er mein Haar zerzaust, und dennoch ist mir nicht wohl.

Eine bedrückende Angst lastet auf mir. Angst, mich auf diesen Ort einzulassen. Auf das seltsame warme Gefühl, das mich umschleicht, seit wir hier angekommen sind. Es ist, als würde Elfin Cove mich mit ausgebreiteten Armen empfangen, und ich ziehe mal wieder eine Mauer um mich hoch, weil ich von vornherein überzeugt davon bin, auch hier fehl am Platz zu sein.

Ich bin verkorkst. Durch und durch. Ich kann nicht einmal eine schöne Aussicht genießen, wenn sie sich mir wie hier auf dem Silbertablett präsentiert. Denn dass dieses Fleckchen Erde atemberaubend schön ist, muss sogar ich zugeben.

Ich möchte mich gerade auf einer Bank niederlassen, da klingen Stimmen über das Wasser. Drei Männer sind aus dem Hotel am anderen Ende des Hafens getreten. Sie lachen, und ihre Schritte knirschen im Kies. Einer von ihnen trägt ein Stativ über der Schulter, und der vordere, ein groß gewachsener Blonder, gestikuliert amüsiert in der Luft herum.

Moment! Den kenne ich doch! Ach du meine Güte. Na, aber ich hätte mir auch denken können, dass unser Boss nicht als Einziger hinter der Story her ist. Das da drüben ist Nathan Nightingale, das Daily-News-Gesicht unseres Konkurrenzsenders. Es besteht kein Zweifel – dieses Lachen würde ich unter Tausenden erkennen, so oft, wie ich seine Sendungen verschlungen habe.

Nathan ist ein Star. Sein Gespür für gute Geschichten und die Art und Weise, wie er im Handumdrehen mit viel Charme und Esprit die gewollten Informationen aus seinen Gesprächspartnern lockt, haben mich schon immer begeistert. Und ich will gar nicht wissen, wie oft ich mich an seine Stelle geträumt habe … Mit Sicherheit will auch er die Blauen Bären finden. Was sonst sollte einen Journalisten seines Kalibers in diese Einöde verschlagen?

Ich beobachte, wie die drei auf einen Pfad zusteuern, der in die Wälder führt, und beschließe kurzerhand, ihnen zu folgen. Das muss der Wanderweg sein, von dem Anny erzählt hat. Ein Pfosten mit Wegweisern und einem großen Blechschild steht am Waldrand, auf dem ich verschiedene Routen erkenne. Dass auf dem Schild auch vor den Wildtieren gewarnt und das Tragen von geeigneter Kleidung und Schuhwerk empfohlen wird, ignoriere ich in meiner Eile.

Mein investigatives Näschen hat Witterung aufgenommen, und die Hoffnung keimt in mir, schneller als erwartet nach New York zurückkehren zu können. Weg aus diesem Land. Weg von all den Erinnerungen und Fragen, mit deren Konfrontation ich heillos überfordert bin. Vielleicht brauchen wir diesen axtschwingenden Einsiedler aus der Hütte im Wald gar nicht erst aufzusuchen. Gewiss hat Nightingale bereits herausgefunden, wo sich die Bären aufhalten, und ich muss mich nur an seine Fersen heften.

Ich betaste meine Taschen, während ich mich unter einem tief herabhängenden Ast durchschiebe. Ha! Handycam und Smartphone habe ich dabei. William wird Augen machen, wenn ich ihm beim Abendessen Bilder von seinen süßen kleinen Bären zeige. Die Sache hat nur einen Haken …

Ach, Mist! Wo sind die drei hin?

Und … bäh. Igitt. Ich ziehe die Schultern hoch. Der feuchte Nebel sammelt sich in den Tannen über mir. Ringsherum fallen dicke Tropfen zu Boden, und ein besonders fetter hat mich genau auf dem Kopf getroffen. Im Bruchteil einer Sekunde verteilt sich das kühle Nass auf meiner Haut, und ich reibe mit den Fingern darüber, um das kriechende Gefühl zwischen meinen Haarwurzeln zu vertreiben.

Platsch – der nächste Tropfen zerschellt auf meiner Schulter und spritzt bis auf meine Wange. Missmutig stehe ich an der Weggabelung und lausche. Ganz entfernt kann ich die Stimmen der Männer noch ausmachen, doch mein Gehör ist nicht darauf spezialisiert, eine Richtung zu orten. In New York brauche ich es lediglich, um nicht von einem der unzähligen Taxis oder Busse überrollt zu werden, und nicht, um mich im Dickicht eines Waldes zurechtzufinden. Ich muss mich für einen Weg entscheiden, und da immer mehr Tropfen von den Ästen fallen, wähle ich kurzerhand den rechten.

Immer tiefer stapfe ich in die Wildnis, von dem Drang angetrieben, das alles hier so schnell wie möglich hinter mir zu lassen. Der Pfad ist von knorrigen Wurzeln durchzogen, Farne und Büsche stehen immer dichter zusammen. Ich stolpere und betrachte meine Sneakers, an denen Schmutz und Tannennadeln hängen. Die nigelnagelneuen Trekkingschuhe liegen natürlich noch im Koffer, aber selbst die würden aus einer Großstadtneurotikerin wie mir noch lange keinen geübten Waldläufer machen.

An einem umgestürzten Baum mache ich Rast und lausche, doch außer dem sanften Rauschen des Windes und ein paar Vögeln höre ich nichts. Die Stimmen der Männer sind komplett verstummt. Mist, verdammter! Das war der falsche Weg.

Mit zusammengekniffenen Lippen blicke ich den Pfad entlang in die Richtung, aus der ich gekommen bin, und die Gewissheit, dass ich mutterseelenallein im alaskischen Urwald stehe, lässt meinen Enthusiasmus schneller verpuffen, als er mich ergriffen hat.

Scheiße! Was hat mich nur dabei geritten?! Auf einmal scheinen die Pflanzen um mich herum näher zu rücken, ihre Blätter und Äste nach mir auszustrecken. »Stopp!«, rufe ich ihnen entgegen. Bist du eigentlich bescheuert? Ich atme tief durch. Geh einfach den Weg zurück, und alles ist gut.

Plötzlich flattert es über mir. Was ist das? Mit einem erstickten Schrei ziehe ich den Kopf ein, mein Herz rast, da sehe ich den Vogel, der auf einem dicken Ast gelandet ist und mich neugierig zu betrachten scheint. Sein blaugraues Gefieder leuchtet geradezu zwischen all dem Grün der Blätter und Nadeln heraus, und seine wachen Augen glänzen schwarz. Er öffnet den Schnabel, und der grelle Laut wirkt beinahe, als wolle er mir etwas zurufen.

»Du erschreckst gerne Leute, was?«, frage ich und blicke mich suchend um. Es ist schon beinahe ein Segen, dass ich allein bin. Würde jemand sehen, wie ich hier stehe und mich mit Büschen und Vögeln unterhalte, er würde mich für verrückt halten.

Aber der Vogel macht einen seltsam vertrauenswürdigen Eindruck. Er hat in etwa die Größe eines Eichhörnchens und scheint überhaupt nicht scheu zu sein. Können Vögel Tollwut haben?, schießt es mir in den Sinn, denn irgendwo habe ich mal aufgeschnappt, dass tollwütige Tiere zutraulich werden.

Da schüttelt er doch tatsächlich den Kopf und gibt wieder dieses Keckern von sich. »Okay«, sage ich. »Du bist unheimlich. Aber irgendwie auch süß.« Er tapst auf dem Ast hin und her und verbeugt sich. »Magst du einen Keks?« Ich taste in meiner Jackentasche nach dem Cookie, den ich im Flugzeug eingesteckt habe.

Als er das Rascheln des Papiers hört, wird mein neuer gefiederter Freund hektisch, und ich werde das Gefühl nicht los, dass das alles eine Masche ist und er sich auf Touristen als lebende Futterspender spezialisiert hat. Ich breche ein Stückchen ab und möchte es ihm auf den Ast legen, da hat er bereits seine azurblauen Schwingen gespreizt und landet auf meinem Arm.

Instinktiv möchte ich ihn abschütteln, aber etwas schaltet sich zwischen den Reflex und meine Fähigkeit, ihn auszuführen. Eine innere Stimme, die mit mir schimpft und mir sagt, dass ich das jetzt nicht bringen kann. Also halte ich ganz still, stehe wie erstarrt, und als der kleine Kerl sich bis zu meiner Hand hangelt und damit beginnt, an dem Keks zu knabbern und nicht an mir, weicht der Druck aus meiner Brust.

Er ist wirklich niedlich. Seine offensichtliche Freude über die süße Leckerei ist sogar so ansteckend, dass ich zu lächeln beginne. Die andere Hälfte des Cookies präsentiere ich ihm auf der flachen Hand und bin fast ein wenig enttäuscht, als er sie schnappt und damit zum nächsten Baum fliegt.

»Soso«, rufe ich ihm hinterher. »Das ist aber nicht die feine Art, sich nach dem Essen gleich aus dem Staub zu machen.«

Wieder dieses Keckern. Und als ihm ein paar Krümel zu Boden fallen, erkenne ich, dass hier ein weiterer Pfad ins Unterholz führt. Das Plätschern von Wasser dringt an meine Ohren. Ich weiß nicht, was dieser Vogel mit mir gemacht hat, aber das panische Gefühl in mir ist verschwunden, und ich ertappe mich dabei, wie ich einen Schritt auf den Pfad zugehe.

Wasser. Ob das ein Urinstinkt ist, dass wir Menschen uns von Wasser angezogen fühlen? Wer liebt es nicht, an Bächen, Flüssen oder dem Meer entlangzuspazieren und seine Gedanken freizulassen? Selbst ich kann mich dieser Wirkung nicht entziehen, und ehe ich es mich versehe, folge ich dem Rauschen, das immer lauter wird, je tiefer ich in den Wald hineinschleiche.

Der Vogel folgt mir. Er fliegt durch die Äste und überholt mich, dabei erklingen seine Rufe, als wolle er mir Mut machen. Auf einer alten Tanne lässt er sich nieder und nickt mit dem Kopf, da entdecke ich den Bach, der sich durch das dunkle Grün windet. Gurgelnd bahnt sich das klare Wasser seinen Weg über ein Bett aus Steinen, bricht sich an großen und kleinen Felsen und ergießt sich über eine Klippe. Ein Wasserfall? Mitten im Wald?

Ich trete näher, bis dicht an den Abgrund, da reißt das dichte Grau des Himmels plötzlich auf und lässt die wärmenden Strahlen der Sonne gewähren. Mit einem Schlag erhellen sie die Lichtung. Farne und Moos beginnen zu leuchten, als hätte jemand das Licht angeknipst, und das Gefieder des Vogels erstrahlt saphirblau, als er sich in die Luft erhebt und mit einem lauten Keckern gen Wasser stößt. Erst als er knapp über der Oberfläche abdreht und einen Kreis zieht, entdecke ich, dass ich nicht allein bin und ducke mich erschrocken an die raue Rinde eines Baumes.

Dort unten, mitten in dem Kreis aus dunklem Wasser, steht ein Mann. Seine Schultern glänzen feucht in der Sonne, und Tropfen rinnen aus den langen Strähnen, die nass an seinem Rücken kleben. Ich sehe das Spiel seiner Muskeln, als er mit beiden Händen Wasser schöpft, um sich das Gesicht zu waschen, und höre sein volltönendes Lachen, als er den Vogel entdeckt.

»Jay, alter Kumpel«, ruft er, und der Klang seiner Stimme lockt mich aus meinem Versteck. Wer ist das? Der Vogel hat sich auf einem Felsen niedergelassen, und mit Genugtuung stelle ich fest, dass ich nicht die Einzige bin, die sich hier mit Tieren unterhält. Seine Stimme nun gesenkt, verstehe ich zwar nicht mehr jedes Wort, das der Mann sagt, aber sein Tonfall klingt warm und freudig, und ich trete noch einen Schritt vor.

Knacks! Das Geräusch des Astes, der unter meinem Fuß zerbricht, hallt deutlich durch die Senke. Der Vogel schaut in meine Richtung, und dann sehe ich, dass sich auch die Schultern des Mannes bewegen.

Oh Gott! Ich stehe mitten im Wald und beobachte einen fremden Mann beim Baden. Wie peinlich ist das denn?! Eilig möchte ich den Rückzug antreten, taste nach dem gewaltigen Baumstamm, der mir vorhin noch Schutz gewährte, und greife ins Leere. Mit den Armen rudernd, reiße ich meine Füße vom Boden, will einfach nur weg, doch da ist es bereits zu spät.

Der Mann hat mich entdeckt. Sein Blick liegt auf mir. Ich sehe es nicht nur, ich spüre es. Dann geht alles ganz schnell. Ein unbedachter Schritt. Ich rutsche, verfange mich in einer Wurzel und verliere den Halt. Und dann weiß ich nicht mehr, wo oben und unten ist. Der Himmel wechselt sich ab mit dem moosigen Abhang, Blätter kleben nass an meiner Wange, und mir entfährt ein spitzer Schrei.

Ich rolle. Nein, schlimmer. Völlig unbeholfen kullere ich dem Ufer entgegen und sehe mich bereits im Wasser landen, da gelingt es mir gerade noch, mich abzufangen. Mit den Händen schlittere ich über das Laub, grabe meine Finger in feuchte Erde, aber ich rutsche nicht mehr, und die Welt um mich herum hat ebenfalls aufgehört, sich zu drehen. Dafür zittere ich am ganzen Körper.

Mit weit aufgerissenem Mund atme ich gegen den Schreck an und fasele ständig »Oh Gott, oh Gott« vor mich hin. Bis ich registriere, dass sich die Wellen am Ufer vor mir verändern und ich eine Bewegung wahrnehme. Der Mann! Ich verdrehe die Augen. Bitte, liebe Erde, tu dich auf, und erspar mir das. Welch grandioser Auftritt, Virginia!

»Alles okay?«, höre ich da auch schon seine Stimme.

»Blöde Frage!« Ich schnaube und pflücke Blätter und Tannennadeln von meinen Handflächen. »Das tat weh.« Ich bin wütend. Wütend darüber, dass sich die Erde nicht aufgetan hat und ich hier jetzt in aller Peinlichkeit im Dreck hocke. Dass der Mann nichts dafürkann, ist mir auch bewusst, aber außer ihm ist nun mal niemand anderer hier, an dem ich meinen Frust auslassen könnte. Das Wasser schwappt, und als ich aufsehe, bleibt mir erneut die Luft weg. »Stopp!«, rufe ich und strecke ihm eine Hand entgegen. »Keinen Schritt weiter!«

Er ist nackt! Mehr als deutlich habe ich seine Leisten über der Wasserlinie gesehen. Und den Ansatz dunkelblonder Locken, über die eine Welle glitt. Ich kneife die Augen zusammen, werde aber das Bild nicht los, das sich binnen Millisekunden in meine Netzhaut gebrannt hat. Wer ist dieser Kerl, bitte schön? Poseidons nordischer Bruder?! Diese Muskeln. Der Bart. Die langen nassen Haare. Fehlt nur noch der Dreizack.

»Keine Angst, Lady.« Ich kann sein Schmunzeln hören. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass Sie sich nichts gebrochen haben. Aber so, wie Sie sich anhören, ist alles in Ordnung.«

»Was wollen Sie damit sagen?« Ich recke das Kinn. Meine Hand jedoch halte ich immer noch zwischen uns, damit mein Blick nicht auf Körperstellen fällt, wo er nichts zu suchen hat. Dann seufze ich tief. Er kann wirklich nichts für meine Schusseligkeit. »Es tut mir leid, dass ich Sie angeschnauzt habe. Aber …«

Ich will mich aufrichten, doch ein scharfer Schmerz in meinem rechten Knöchel lässt mich auf die Erde zurücksinken. Der Mann zuckt, kommt aber nicht näher. Sorge liegt in seinen hellen Augen, und das Wasser umspielt weiter seine Lenden.

»Ich glaube, ich habe mir den Knöchel verstaucht.« Na prima. Wie soll ich denn so meinen Job erledigen?

»Warten Sie«, sagt Poseidon und wendet sich ab. Na, der ist lustig, wo soll ich denn hin? Missmutig blicke ich ihm nach, wie er auf einen wenig entfernten Felsen zusteuert. Sein kräftiger Körper schiebt eine kleine Welle vor sich her.

Friert er nicht? Die Sonne hat zwar die grauen Wolken vertrieben, und ihre Strahlen wärmen mich, aber das Wasser muss doch eiskalt sein. Da hat er den Felsen erreicht, auf dem seine Kleidung liegt. Er hebt einen Fuß aus dem Wasser, und als er an Land klettert, möchte ich beschämt den Blick abwenden, allerdings …

Ich blinzle. Nein, diesen Anblick kann man nicht ignorieren. Unmöglich. Tropfen perlen von seiner im Sonnenlicht glänzenden Haut, rinnen das V hinunter, das diese breiten Schultern bis hinunter zu den schlanken Hüften bilden, und sammeln sich in der kleinen Kuhle über seinem … Ich presse die Lippen aufeinander. Oh mein Gott, dieser Hintern …

Die Bewunderung zieht meine linke Augenbraue in die Höhe, und ich neige den Kopf. Er kann sich wahrlich sehen lassen. Der Inbegriff von knackig, würde ich sagen.

Damit ist es jedoch noch nicht getan. Die wohlgeformten Pobacken gehen über in lange Beine, und mein Blick gleitet über seine Oberschenkel und Waden, die durchaus muskulös sind, aber nicht überladen. Dieser Mann ist schön. Wirklich. Schade nur, dass der Bart so viel von seinem Gesicht verdeckt.

Ich sitze auf dem feuchten Waldboden, massiere meinen Knöchel und betrachte ihn, wie er sich vor mir anzieht. Er hat mir den Rücken zugekehrt, dennoch fällt mir die Gelassenheit seiner Bewegungen auf, als er in Shirt und Hosen steigt. Es scheint ihm in keiner Weise unangenehm zu sein, dass ich ihn gesehen habe, wie Gott ihn schuf.

Der Stoff klebt an seiner nassen Haut, sodass er ein wenig hantieren muss, um sich zu bedecken, und als er in seine Stiefel schlüpft, bin ich fast ein wenig traurig, dass die Show vorbei ist.

Als Poseidon nun aber auf mich zukommt, setze ich schnell ein unbeteiligtes Gesicht auf. »Hi«, sagt er, geht in die Hocke und streckt mir die Hand hin. Seine Finger sind kalt, was meine Vermutung über die Wassertemperatur bestätigt. Der Kerl ist echt abgehärtet – ich hätte vermutlich keinen großen Zeh dort reingesteckt, ohne zu erfrieren.

Ich schaue nach unten. Seine Hände gleichen Pranken – meine verschwindet fast vollständig in seiner –, doch als ich den Blick wieder hebe, beeindruckt mich noch etwas ganz anderes. Mit einem hörbaren Laut ziehe ich die Luft ein. Seine Augen. Hellblau strahlen sie aus seinem Gesicht. Gütig und voller Wärme. Der Bart ist dicht, doch sehr gepflegt, und er hat dieselbe Farbe wie seine Augenbrauen, blond, mit vereinzelten braunen Härchen dazwischen, die die geschwungene Linie vorteilhaft unterstreichen. Seine Wimpern hingegen sind dunkel.

Da wird mir bewusst, dass auch er mich anschaut. Und nicht nur anschaut. Sein Blick schweift über mein Gesicht, von meinen Augen zu meinem Mund und wieder zurück, und die Tiefe, dieser Hauch Melancholie, der in seinem Ausdruck liegt, lässt mich blinzeln. Ich möchte irgendetwas Schlaues sagen. Etwas, was mich aus dem Bann befreit, den seine Aura um mich spinnt. In Small Talk bin ich doch geübt. Aber ich bringe keinen Ton heraus.

»Lass mal sehen«, sagt er und legt seine Finger an meinen Knöchel. Behutsam tastet er und drückt, und als ich mich nicht beschwere, hebt er mein Bein leicht an und schiebt den Fuß in verschiedene Richtungen.

»Au!«, entfährt es mir, und er hört sofort auf. »Gebrochen ist nichts«, beruhigt er mich und erhebt sich. »Kannst du aufstehen?«

Ich ergreife seine Hände, die er mir auffordernd hinhält, und lasse mich auf dem linken Fuß balancierend von ihm hochziehen. »Versuch ein paar Schritte, das Gelenk dürfte nur verstaucht sein.« Aufmunternd nickt er mir zu und lässt mich los, da landet der Vogel neben uns auf einem Ast.

»Da bist du ja wieder«, sage ich, und Poseidon schaut zwischen uns hin und her.

»Ihr kennt euch?«

»Na ja«, antworte ich und wage einen kleinen Schritt. Es tut weh, aber der Schmerz ist auszuhalten. »Kennen ist zu viel gesagt. Ich hab ihm einen Keks geschenkt, und im Gegenzug hat er mir diesen schönen Ort gezeigt.« Ich deute auf den Wasserfall und knicke wieder ein.

Sofort ist der Mann bei mir. Seine kräftigen Hände halten meine Hüften, und meine Nase gräbt sich in sein Shirt. »Entschuldige«, stammle ich und richte mich auf, bringe Abstand zwischen uns, während sein Duft in mein Bewusstsein dringt. Er riecht gut. Kein Duschgel. Kein Aftershave. Poseidon riecht nach Moos und frischem Wasser, nach Tannen und … Mann.

Der Vogel keckert. »Hey«, schimpfe ich und wackle mit dem Zeigefinger in seine Richtung. »Ich hab dir meinen Keks geschenkt, hör auf zu lachen.«

Da schmunzelt mein Gegenüber. Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, und wieder frage ich mich, wie er wohl ohne diese ganze Gesichtsbehaarung aussehen würde. »Er lacht dich nicht aus«, sagt er besänftigend. »Siehst du nicht die Sorge in seinen Augen?« Er legt den Kopf schief, ahmt den treuen Blick des Vogels nach, und obwohl ich beleidigt sein möchte, muss ich lachen. »Ihr verarscht mich doch beide, gebt es ruhig zu.«

»Niemals.« Das freche Grinsen bringt seine Augen zum Leuchten. »Es kommt nur nicht alle Tage vor, dass hier Frauen aus den Bäumen fallen.« Da hat er eindeutig recht. »Wer bist du eigentlich?«

»Ich?« Erstaunt schaue ich ihn an.

»Ja, du. Jay kennst du ja bereits. Ich bin … Colin. Und wer bist du, Frau aus den Bäumen?«

Die kleine Pause, die er vor seinen Namen gesetzt hat, irritiert mich. So wie eigentlich die ganze Szene, in die ich hier geschlittert bin. William nötigt mich hin und wieder dazu, mit ihm Zeichentrickfilme zu schauen, und dieser Moment erinnert mich gerade irgendwie an Tarzan. Ich schüttle den Vergleich aus meinem Kopf, ehe ich mich ihm noch als Jane vorstelle. »Entschuldige. Ich bin Virginia.«

Er lächelt. Da wiederhole ich im Geiste noch einmal, was er gesagt hat. »Warte … Colin … Bist du etwa …« Ach herrje, und ich hatte ihn mir als alten, zynischen Baumfäller vorgestellt! »Bist du der Bärenmann?«

Schlagartig verändert sich seine Haltung. Der Glanz in seinen Augen verschwindet, und ein Ausdruck von Unnahbarkeit tritt an seine Stelle. Mit gestrafften Schultern tritt er einen Schritt zurück. »Bärenmann.« Er schnaubt verächtlich. »So ein Blödsinn.«

»Bist du es oder nicht?« Die Journalistin bricht aus mir heraus, und plötzlich bin ich wieder ganz darauf konzentriert, warum ich eigentlich hier bin. Die Bären. Nightingale und sein Team. Der Guide, den Will und ich für unsere Story brauchen. Mit geneigtem Kopf stemme ich die Hände in die Hüften. »Du bist Colin Stewart, stimmt’s?«

Mit zu mir

Cole