Metta Meditation - Sharon Salzberg - E-Book

Metta Meditation E-Book

Sharon Salzberg

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  • Herausgeber: Arbor
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Wie ein goldenes Band durchzieht Metta - nicht-anhaftende Liebe - jede Seite, jedes Wort dieses Buches. Metta Meditation lehrt uns, alle Aspekte unserer eigenen Natur und alle Aspekte der Welt zu akzeptieren - so überwinden wir unsere eigenen engen Grenzen und erfahren, dass wir Teil eines sinnvollen, großen Ganzen sind. Sharon Salzbergs Herzenswärme und ihre tiefe Nähe zum Leben machen dieses Buch zu einem der wertvollsten zeitgenössischen Bücher zur Metta-Meditation. Präzise Erklärungen und eine Vielzahl von praktischen Übungen lassen es zudem zu einem unentbehrlichen Werkzeug auf dem Weg der eigenen Praxis werden. Eine Neuauflage des ursprünglich unter dem Titel "Geborgen im Sein" erschienenen Buches. Mit einem Vorwort von Jon Kabat-Zinn. Stimmen zum Buch: "Dieses Buch ist wie eine Leuchte in der Dunkelheit, wie das Lichten dichten Nebels, wie der Sonnen- aufgang an einem wunderschönen Morgen. Allen, die Augen haben zu sehen, erhellt es das Herz der liebenden Güte." Jack Kornfield "Sharon Salzberg hat der Welt ein Stück Frieden geschenkt." Alice Walker

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Seitenzahl: 282

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Sharon Salzberg Metta Meditation

Das Leben der meisten Menschen ist geprägt von der Angst vor Nähe: Nähe zu sich selbst und Nähe zu anderen. Um die Überwindung dieses Schmerzes – der gleichzeitig Ausdruck tiefer Sehnsucht nach Verbundenheit ist – geht es in der Metta-Meditation, durch die wir lernen, ein von persönlicher Zuneigung unabhängiges Wohlwollen allen Wesen gegenüber zu entwickeln. Metta ist der Pali-Ausdruck für Güte/ Wohlwollen, und ist eine der buddhistischen Haupttugenden.

Sharon Salzberg beschreibt die Entwicklung und Entfaltung von metta als Schlüssel zum Glück. Alle Übungen der metta- Meditation beginnen mit uns selbst – denn erst wenn wir uns selbst lieben, können wir auch andere Menschen lieben – und führen uns dann ganz sacht zu Menschen, die uns nahestehen, zu neutralen Personen bis hin zu unseren Feinden. Wir lernen deshalb, alle Aspekte unserer eigenen Natur und alle Aspekte der Welt zu akzeptieren – denn nur so gelingt es uns, unsere eigenen engen Grenzen zu überwinden und zu erfahren, daß wir Teil eines sinnvollen, großen Ganzen sind. Durch Übungen, kleine Geschichten und persönliche Erfahrungen läßt uns Sharon Salzberg vor allem unsere eigene Liebenswürdigkeit erkennen, also die Tatsache, daß wir würdig sind, von uns selbst und anderen geliebt zu werden. Erst diese Erkenntnis erschließt unser Potential der „Liebenden Güte“, die dann nicht nur uns selbst, sondern auch anderen zugute kommt.

Sharon Salzberg praktiziert seit fünfundzwanzig Jahren buddhistische Meditation. Sie gründete zusammen mit einigen Freunden die Insight Meditation Society in Barre, Massachusetts, die heute das bekannteste Meditationszentrum der Vipassana-Tradition in Amerika ist. Aus diesem Umkreis stammen einige der führenden westlichen Autoren zum Thema Meditation wie Jack Kornfield, Joseph Goldstein und Jon Kabat-Zinn, der auch das Vorwort geschrieben hat.

Sharon Salzberg

Metta Meditation

Buddhas revolutionärerWeg zum Glück

– Geborgen im Sein –

Aus dem Amerikanischen von Ebba D. Drolshagen

Arbor-Verlag

Freiamt im Schwarzwald

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

„Lovingkindness. The Revolutionary Art of Happiness“

© Sharon Salzberg 1995

Copyright © der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag, Freiamt, 2003

by arrangement with Shambhala Publications, Inc.,

P.O. Box 308, Boston, MA 02117

© für die deutsche Übersetzung:

Wolfgang Krüger Verlag GmbH, Frankfurt a.M. 1996

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der

Wolfgang Krüger Verlag GmbH, Frankfurt a.M.

E-Book 2018

Titelfoto: Klaus Ender

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Alle Rechte vorbehaltenwww.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-255-9

Inhalt

Vorwort

Danksagung

Einleitung

1. Die revolutionäre Kunst, glücklich zu sein

2. Liebenswürdigkeit neu erlangen

Übung:Bedenken Sie das Gute in sich

Übung:Sätze der Liebenden Güte

3. Facetten der Liebenden Güte

Übung:Die günstigen Wirkungen der Liebenden Güte

Übung:Der Wohltäter

4. Hindernisse bei der Entwicklung von Liebender Güte

Übung:Nachdenken über das Glücklichsein

Übung:Die Bedeutung von Freunden

Übung:Der geliebte Freund

Übung:Die neutrale Person

5. Mit Wut und Aversion arbeiten

Übung:Vergeben

Übung:Das Gute sehen

Übung:Die schwierige Person

Übung:Schwierige Seiten in uns

6. Das liebende Herz öffnen

Übung:Liebende Güte für alle Lebewesen

Übung:Liebende Güte für Gruppen von Lebewesen

Übung:Gehmeditation

Übung:Die zehn Himmelsrichtungen

7. Ein mitfühlendes Herz entwickeln

Übung:Meditation über Mitgefühl

Übung:Mitgefühl mit denen, die Schmerz verursachen

8. Den Geist durch Mitfreude befreien

Übung:Meditation über Mitfreude

Übung:Verdienstvolle Handlungen teilen

9. Das Geschenk des Gleichmuts

Übung:Gleichmut

10. Die Macht der Großzügigkeit

Übung:Schenken

11. Unsere Liebe leben

Übung:Die Praxis der moralischen Integrität

Weitere Informationen

Dies soll tun,

wer das Gute tun und

Frieden erlangen möchte:

Er sei aufrichtig und bescheiden,

er spreche klar und liebevoll.

Bescheiden und nicht eitel,

ohne Habsucht und zufrieden.

Von Pflichten unbelastet und genügsam.

Friedlich und ruhig, und weise und heilsam,

im Wesen nicht stolz und fordernd.

Er tue nicht das geringste,

das dem Weisen mißfiele.

Er wünscht: Möge es allen Wesen wohl ergehen.

Mögen ihre Herzen von Freude erfüllt sein.

Mögen sie alle in Sicherheit und Frieden leben.

Welche Wesen es auch sein mögen,

ob sie schwach sind oder stark, ohne Ausnahme,

ob mittelgroß, lang oder kurz, groß oder klein,

ob sie sichtbar sind oder unsichtbar,

nah oder fern,

geboren und noch nicht geboren -

Möge es allen Wesen wohl ergehen!

Kein Wesen soll ein anderes hintergehen;

kein Wesen verachte ein anderes, wofür auch immer.

Kein Wesen wünsche einem anderen

aus Ärger oder feindlicher Gesinnung

je Kummer oder Leid!

Wie eine Mutter mit ihrem Leben

ihr Kind, ihr einziges Kind schützt,

so sollen auch wir mit grenzenlosem Herzen

alle Lebewesen lieben;

unsere Güte soll

das ganze Universum durchdringen:

sich nach oben zu den Himmeln erstrecken

und nach unten in die Tiefen,

nach außen, unbehindert überall hin, von Haß und Feindseligkeit befreit.

Ob wir stehen oder gehen, sitzen oder liegen,

von Schläfrigkeit frei,

stets sollen wir in dieser Achtsamkeit sein.

Dies nennen wir das erhabene Verweilen.

Wenn er keinen festen Ansichten anhängt,

wird der Tugendhafte, dem Erkenntnis eigen,

von Gier und sinnlichem Verlangen befreit,

nicht mehr in diese Welt geboren.

Worte des Buddha

über Liebende Güte (Metta Sutta)

Vorwort

Über dem Eingangsportal der Insight Meditation Society in Barre, Massachusetts, wo Sharon Salzberg lehrt, steht in großen Lettern METTA, das Pali-Wort für „Liebende Güte“. Man mag sich fragen, warum gerade dieses Wort gewählt wurde und nicht, um nur einige zu nennen, Achtsamkeit, Einsicht, Gleichmut, Weisheit oder Mitgefühl. Für mich sind alle diese Eigenschaften, die wir in langen Meditations-Klausuren an Orten wie der Insight Meditation Society oder in unserem Alltag üben, in dieser schlichten Eigenschaft des Herzens vereint. Die entscheidende Frage ist, ob und wie wir sie in den scheinbar nebensächlichen Alltäglichkeiten leben, und zwar sowohl uns selbst wie anderen gegenüber.

Der Dalai Lama sagt: „Meine Religion ist die Güte.“ Wenn alle so dächten und danach handelten, entstünden sofort innerer und äußerer Frieden, die ja in Wirklichkeit niemals verschwunden sind; sie sind nur verborgen und warten auf Wiederentdeckung. Dies ist das Werk und die Kraft der Liebenden Güte, in der es keine Trennung gibt zwischen dem Ich, den anderen und dem, was geschieht – sie bekräftigt und ehrt das Gute, mit dem wir alle geboren wurden. Die praktizierte Liebende Güte ist in der Tat die Grundlage der Achtsamkeits-Meditation, sie verlangt die gleiche nicht wertende, nicht besitzergreifende, nicht urteilende Orientierung am gegenwärtigen Erfahrungsaugenblick, eine Orientierung, durch die Ruhe, Klarheit des Geistes und des Herzens sowie Verstehen möglich werden und sich entwickeln können.

Sharon zeigt in diesem Buch, wie wir die Liebende Güte in unserem Leben systematisch pflegen können. Angesichts des Schmerzes und der Verwirrung, die wir oft erleben, des tiefgreifenden Irrtums im menschlichen Denken darüber, wer und was wir sind, sowie der Art, wie wir auf Belastungen und Leid in unserem Leben reagieren, ist das Praktizieren Liebender Güte schwierig – ebenso schwierig, wie auf den eigenen Atem zu achten oder den Fluß der eigenen Gedanken zu beobachten. Aber es ist ein überaus wirkungsvoller Weg, ein fundamentaler Weg, um Geist und Herz zu öffnen. Aus dieser Saat erwachsen wahres Glück, inneres Wohlbefinden und Genesung für uns und für alle Lebewesen, menschliche und andere – ein jedes ein Wunder, mit denen wir diesen zerbrechlichen Planeten Erde teilen. Möge Sharons Buch dazu beitragen, diese Entwicklung überall zu fördern.

JON KABAT-ZINN

Juli 1994

Danksagung

Im Laufe meines Lebens haben mir so viele Lehrer, Freunde und Schüler geholfen, etwas über Liebende Güte zu lernen, daß ich sie hier nicht alle einzeln aufzählen kann. Daher nenne ich nur jene namentlich, die mir bei diesem Buch halfen:

Steve Smith und Alan Clements, die mich zu meiner ersten Birma-Reise* anregten. Rand Engel, der vorschlug, ich solle ein Buch über Liebende Güte schreiben. Joseph Goldstein, der jeden Schritt des Weges mit mir gegangen ist und der mir in letzter Zeit beibrachte, was man mit schwierigen Kapiteln macht.

Barbara Gates, die mit außerordentlicher Eleganz und Fachkenntnis redigiert und die mich einige Grundbegriffe des Schreibens lehrte. Ann Barker, Sarah Doering, Catherine Ingram, Kate Wheeler, Judith Stanton und Dorothy Austin, die mich unermüdlich unterstützten und denen ich Verbesserungsvorschläge und kreative Ratschläge verdanke. Die Angestellten und Lehrenden der IMS, die sich diesen Lehren widmen.

Eric Kolvig, der das Projekt mit mir begann, dessen außerordentliche Fähigkeiten als Lektor dies alles möglich machten und der einige Kapitel durch seine Anregungen bereicherte. David Berman, der mir sechs der sieben Sachen beibrachte, die ich auf dem Computer kann, der heroisch mitten im Winter zurückflog, um mir zu helfen, und der mir bis zum Schluß unbeirrbar eine Stütze war.

Der Writers’ Club: Tara Bennet-Goleman, Susan Harris, Dan Goleman, Ram Dass, Kedar Harris und Joseph Goldstein, die eine ständige Anregung für mich waren und gelegentlich produktiven kollegialen Druck ausübten. Susan Harris für den Computer, den sie mir ebenso schenkte wie eine revolutionäre Freundschaft. Tara Bennet-Goleman und Kate Wheeler, die großzügig zahllose Stunden in die Titelsuche steckten. Anasuya Weil, die viel transkribierte und sich unablässig nach dem Fortgang des Buches erkundigte.

Kedar Harris, der mir furchtlos seine Meinung sagte und dessen Kommentare über frühere Fassungen des Buches leider genau zutrafen. Jack Kornfield, der mir Mut machte. Shoshana Alexander, die ihre eigene Arbeit liegenließ, um mit ihrem großen editorischen Talent den Fortgang meiner Arbeit auf wunderbare Weise zu erleichtern. Surya Das bugsierte meinen Computer durch LaGuardia und brachte mich mit Menschen zusammen, denen ich ein neues Verständnis von Liebe und Mitgefühl verdanke.

* Birma heißt seit 1989 Myanmar. Der Einfachheit halber wird das Land im Text weiterhin als Birma bezeichnet.

Einleitung

Wir sehnen uns ein Leben lang danach, uns selbst mehr lieben zu können und uns mit anderen tiefer verbunden zu fühlen. Statt dessen ziehen wir uns oft in uns zurück, fürchten Nähe und leiden unter einem bestürzenden Gefühl von Getrenntsein. Wir sehnen uns nach Liebe und sind doch einsam. Die Ursache dieses Schmerzes ist die Täuschung, wir seien voneinander und von allem, das uns umgibt, getrennt. Welcher Weg führt uns hinaus?

Meditieren entzieht dem Mythos des Getrenntseins die Basis, enthüllt das strahlende, fröhliche Herz, das jede und jeder von uns hat, und läßt die Welt an diesem Strahlen teilhaben. Hinter dem schmerzhaften Konzept von Trennung finden wir eine Verbindung zu uns selbst und allen Lebewesen. Wir finden eine Quelle großen Glücks, das jenseits aller Vorstellung und Konventionen ist. Wenn wir uns von der Illusion des Getrenntseins befreien, können wir in einer natürlichen Freiheit leben, statt von vorgefaßten Meinungen über unsere Grenzen und Beschränkungen getrieben zu werden.

Der Buddha sah den Weg zu dieser Freiheit in der vollkommenen Befreiung des Herzens, in der Liebe, und er lehrte, wie man das Herz systematisch aus einer isolierenden Enge zu wahrer, tiefer Verbundenheit führen kann. Dieser Pfad wird noch heute in einer Meditations-Tradition gepflegt, die Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut übt. Diese vier gehören zu den schönsten und kraftvollsten Gefühlen, die wir haben können. In Pali, der Sprache des Buddha, heißen sie die brahma-viharas. Brahma bedeutet „himmlisch“ oder „erhaben“, vihara „Heimstatt“, „Heimat“. Durch diese Meditationsübungen werden Liebe (Pali: metta), Mitgefühl (karuna), Mitfreude (mudita) und Gleichmut (upekkha) zu unserer Heimat.

1971, als ich in Indien den Buddhismus kennenlernte, begegnete ich den brahma-vihara-Übungen das erste Mal. Ich war auf der Suche nach den spirituellen Lehren des Ostens, zu einer Zeit, als so viele Amerikaner und Europäer dorthin fuhren, daß es einer Völkerwanderung gleichkam. Damals war ich sehr jung, doch ich kam, weil ich das Leben und das Leid, das ich bereits erlebt hatte, besser verstehen wollte.

Wir erlebten noch mehr Leid, als wir auf die Extreme des indischen Klimas und die dortigen Tropenkrankheiten trafen. Später unterhielt sich eine der Frauen, die mehrere Jahre in Indien gewesen war, mit einem Arzt des Stadtkrankenhauses von Barre, Massachusetts, wo wir die Insight Meditation Society gegründet hatten. Sie beschrieb die furchtbare Hitze in Neu-Delhi, wo die Temperaturen auf weit über 40 Grad ansteigen können. Einmal mußte sie im Sommer ihr Visum verlängern und war gezwungen, in der unvorstellbaren Hitze von einer Regierungsbehörde zur nächsten zu gehen. Sie erzählte dem Arzt, sie habe sich in diesem Sommer besonders schwach gefühlt, da sie kurz zuvor Gelbsucht, Amöbenruhr und Würmer gehabt habe. Ich sehe den Arzt noch vor mir, der sie völlig entsetzt ansah und sagte: »Sie hatten all diese Krankheiten und wollten Ihr Visum erneuern? Was hatten Sie vor? Hofften Sie auf Lepra?« Auf den ersten Blick war unser Indien-Aufenthalt wirklich eine Geschichte von Krankheiten, Unannehmlichkeiten und der heroischen (oder närrischen) Entschlossenheit, weiterzumachen. Doch ich weiß, daß die inneren Erfahrungen, die meine Freundin damals machte, trotz aller körperlicher Leiden, von denen sie sprach, die reine Magie waren. Unsere Zeit in Indien, fern aller üblichen sozialen Konventionen und höflichen Reaktionen, erlaubte jeder und jedem von uns einen völlig neuen Blick auf sich. Durch die Meditation wurden sich viele zum ersten Mal ihrer Fähigkeit bewußt, Gutes zu tun, und wir spürten Jubel, als wir eine völlig neue Verbundenheit mit allen Lebewesen entdeckten. Dieses Wissen würde ich für nichts eintauschen – kein Geld, keine Macht über andere, keine Trophäen und keine Auszeichnungen.

Damals saß ich unter dem Bodhi-Baum, wo der Buddha Erleuchtung erlangte, und wünschte mir, das Geschenk der Liebe zu leben, das der Buddha gelebt und verkörpert hatte. Die brahma-viharas – Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut – sind das Geschenk, und die Möglichkeit, sie auszuüben, ist das Vermächtnis des Buddha. Wenn wir diesem Weg folgen, lernen wir, heilsame Eigenschaften zu fördern und unheilsame loszulassen.

Die Ganzheit, die wir auf diesem spirituellen Weg entwickeln, entsteht, weil wir die heilsamen geistigen Gewohnheiten und Einflüsse, aus denen Liebe und Achtsamkeit entstehen, ebenso erkennen wie die unheilsamen, die unser irriges Gefühl von Trennung verstärken. Der Buddha sagte dazu:

Gebt auf, was unheilsam ist. Ihr könnt das Unheilsame aufgeben. Wäre es nicht möglich, sagte ich nicht, daß ihr es tun sollt. Brächte euch dieses Aufgeben Schaden und Schmerz, sagte ich nicht, daß ihr es aufgeben sollt. Doch da es euch Nutzen und Glück bringt, sage ich, gebt auf, was unheilsam ist. Pflegt das Gute. Ihr könnt das Gute pflegen. Wäre es nicht möglich, sagte ich nicht, daß ihr es tun sollt. Brächte euch diese Pflege Schaden und Schmerz, sagte ich nicht, daß ihr es tun sollt. Doch da euch diese Pflege Nutzen und Glück bringt, sage ich, pflegt das Gute.

Wir geben die unheilsamen Eigenschaften, die Leiden verursachen, nicht auf, weil wir sie fürchteten oder verachteten, und auch nicht, weil wir uns dafür verachteten, daß sie in unserem Denken entstehen konnten. Das Unheilsame läßt sich nicht aufgeben, indem wir das vertraute Gefühl von Getrenntsein einfach ärgerlich beiseite fegen. Es geschieht vielmehr, indem wir lernen, uns und alle Lebewesen wirklich zu lieben. Im Licht dieser Liebe können wir die Bürde klarer erkennen, und wir beobachten, wie sie einfach von uns abfällt.

Statt verbissen an Eigenschaften wie Zorn, Angst oder Anhaftung festzuhalten, die uns und anderen schaden, können wir sie fallenlassen wie eine beschwerliche Last. Unheilsame Reaktionen, die wir gewohnheitsmäßig mit uns umhertragen, sind uns eine Bürde. Sobald wir einsehen, daß wir diese Reaktionen nicht brauchen, können wir sie aufgeben.

Das Gute pflegen bedeutet, die strahlende Macht der Liebe wiederzuerlangen, die in uns allen verborgen liegt. In einem erwachten Leben werden wir die begrenzenden Auffassungen, die wir von unseren Möglichkeiten haben, grundsätzlich revidieren. Wenn wir sagen, daß wir das Gute pflegen, dann heißt das, daß wir uns eine offene Sicht davon zu eigen machen, was für uns möglich ist, und durch die Meditation können wir in den Erfahrungen, die wir in jedem Moment machen, diese visionäre Erkenntnis pflegen.

Diese Erkenntnis ist immer für uns verfügbar; es ist unerheblich, wie lange wir schon in dem Gefühl von Beschränkung gefangen sind. Wenn wir einen dunklen Raum betreten und das Licht anmachen, spielt es keine Rolle, ob der Raum einen Tag, eine Woche oder zehntausend Jahre lang dunkel gewesen ist – wir drehen das Licht an, und es ist hell. Sobald wir mit unserem Potential, zu lieben und glücklich zu sein – mit dem Guten –, Verbindung aufnehmen, wird es hell. Das Üben von brahma-vihara ist der Weg, das Licht anzuzünden und brennen zu lassen. Es ist ein Prozeß tiefer spiritueller Wandlung.

Diese Wandlung vollzieht sich, wenn wir den Weg tatsächlich gehen: dessen Wertvorstellungen und Theorien in die Praxis umsetzen, zum Leben erwecken. Wenn wir danach streben, das Unheilsame aufzugeben und das Gute zu pflegen, tun wir dies in der Überzeugung, daß es uns wirklich gelingen wird. „Wäre es nicht möglich, sagte ich nicht, daß ihr es tun sollt.“ Wenn wir diesen Satz des Buddha im Gedächtnis behalten, folgen wir dem Weg in der sicheren Gewißheit, unser einzigartiges Potential für Liebe und Wahrheit auch leben zu können.

Der Weg beginnt, indem wir unsere Einheit mit anderen Lebewesen durch Großzügigkeit, Nicht-Verletzen, rechte Rede und rechtes Handeln pflegen. Auf der Grundlage dieser Eigenschaften läutern wir unseren Geist durch meditative Sammlung. Dabei erfahren wir die Wahrheit und das Leid, das durch Trennung verursacht wird, ebenso wie das Glück, uns mit allen Wesen verbunden zu wissen. Diese Erkenntnis gipfelt in der „vollkommenen Befreiung des Herzens“, wie der Buddha es ausdrückte. Die Erfüllung des spirituellen Weges ist es, die wahre Natur des Herzens und des Glücks zu verstehen. Brahma-vihara zu praktizieren ist sowohl der Weg dorthin als auch der natürliche Ausdruck eines solchen Verstehens.

Meine eigene intensive Beschäftigung mit den vier brahma-viharas begann 1985 in Birma. Unter Anleitung von Sayadaw U Pandita, einem Theravada-Meditationsmeister, widmete ich mich den ganzen Tag lang der Ausbildung und Pflege von Liebe, Mitgefühl, selbstloser Freude und Gleichmut. Es war eine außergewöhnliche Zeit! In der geschützten Atmosphäre der Klausur klärten und festigten sich die brahma-viharas so sehr, daß sie nach der Klausur nie wieder verblaßten, sondern wirklich zu meiner Heimat wurden. Natürlich verliere ich gelegentlich den Kontakt zu ihnen, jetzt aber führt mich meine Sehnsucht nach Glück immer wieder zu ihnen zurück.

In diesem Buch erläutere ich die Meditationsübungen, die ich in Indien das erste Mal praktizierte und später in Birma systematisch erlernte. Seit meiner ersten Begegnung mit dem Buddhismus zeigten mir alle meine Lehrerinnen und Lehrer auf ihre je eigene Art die Segnungen der Liebenden Güte und vermittelten mir ein Gefühl für deren grenzenlose Möglichkeiten. Dieses Buch entstand aus der tiefen Verehrung für meine Lehrerinnen und Lehrer. Wenn ich hier die Meditationstechniken erläutere, dann in grenzenloser Dankbarkeit dafür, daß ich sie erlernen durfte, sowie in dem Wunsch, daß andere davon profitieren mögen.

1

Die revolutionäre Kunst, glücklich zu sein

Sei nur verbunden.

E. M. Forster

Wir können weit reisen und viele verschiedene Dinge tun, doch unsere intensivsten Glücksgefühle entstehen nicht, indem wir neue Erfahrungen anhäufen. Sie entstehen, wenn wir Unnötiges loslassen und wissen, daß wir immer zu Hause sind. Das wahre Glück ist nicht weit, es braucht nur eine radikale Veränderung des Blickwinkels unserer Suche.

Ein Teilnehmer unserer ersten Klausur erfuhr dies auf sehr eindrucksvolle Weise. Bevor wir das Insight-Meditation-Society-Zentrum hatten, mußten wir für lange Klausuren Räume mieten. So kam es, daß unsere erste Klausur in einem Kloster mit einer schönen Kapelle stattfand. Um sie in eine Meditationshalle zu verwandeln, wo wir auf dem Boden sitzen konnten, entfernten wir alle Sitzbänke und stapelten sie in einem großen Nebenzimmer. Da es nicht genügend Schlafplätze gab, mußte einer der Meditierenden für die Dauer der Klausur in einer Ecke dieses Hinterzimmers schlafen.

Im Verlauf der Klausur hatte er immer stärkere körperliche Beschwerden und Schmerzen, was ihn ärgerte und störte. So verbrachte er viel Zeit damit, im Kloster den perfekten Stuhl zu suchen, auf dem er ohne Schmerzen würde sitzen können. Da er keinen fand, sah er seine einzige Rettung darin, sich nachts in die Klosterwerkstatt zu schleichen, um selbst einen Stuhl zu bauen. Er plante minutiös, wie er das tun könnte, ohne entdeckt zu werden, und nahm erst einmal die verfügbaren Werkzeuge und Materialien in Augenschein. Dann setzte er sich in dem Raum, in dem er übernachtete, auf eine der dort gelagerten Bänke und begann, den perfekten Meditationsstuhl zu entwerfen, der seinem Leiden mit Sicherheit ein Ende bereiten würde.

Während er dort saß und arbeitete, bemerkte er, daß er sich immer wohler fühlte. Zunächst meinte er, das liege daran, daß er den nie dagewesenen, revolutionären, perfekten Entwurf machte. Doch plötzlich wurde ihm klar, daß er so glücklich war, weil er ausgesprochen bequem auf dieser Bank saß. Er blickte sich um und sah, daß in dem Raum, der für die Dauer der Klausur sein Zuhause war, etwa 300 solcher Bänke standen. Was er suchte, hatte er die ganze Zeit unmittelbar vor Augen gehabt. Statt diese umständliche Gedankenreise zu unternehmen, hätte er sich nur hinsetzen müssen.

Manchmal unternehmen wir beträchtliche Reisen – körperlich, geistig oder emotional – und fänden die Liebe und das Glück, die wir suchen, wenn wir uns nur einfach hinsetzten. Wir verbringen unser Leben mit der Suche nach etwas, das uns glücklich machen wird, etwas, von dem wir meinen, wir hätten es nicht. Aber der Schlüssel zum Glück liegt in einer anderen Vorstellung davon, wo wir suchen müssen. Der große japanische Dichter und Zen-Meister Hakuin sagte: „Die Menschen wissen nicht, wie nah die Wahrheit ist; sie suchen sie an entlegenen Orten. Welch ein Jammer! Sie sind wie Dürstende, die mitten im Wasser vor Durst aufschreien.“

Normales Glück entsteht, wenn wir Angenehmes erleben – die Befriedigung, für kurze Zeit zu bekommen, was wir wollen. Ein solches Glück ist wie die vorübergehende Besänftigung eines unglücklichen, unersättlichen Kindes. Wir greifen nach dem Trost einer momentanen Ablenkung und sind verstört, wenn sie sich verändert. Ich habe einen Freund, der vier Jahre alt ist. Wenn er enttäuscht ist oder nicht bekommt, was er will, gellt der Schrei durch sein Elternhaus: „Keiner liebt mich!“ Als Erwachsene fühlen wir oft das gleiche: Wenn wir nicht bekommen, was wir wollen – oder wenn wir es bekommen, nur um dann zu erleben, daß es sich wandelt –, scheint uns die Liebe des ganzen Universums entzogen. Glück wird zu einer Entweder/Oder-Frage. Genau wie bei dem Vierjährigen verstellen Interpretationen und Urteile auch uns den klaren Blick.

Das Leben ist, wie es ist, ungeachtet unserer Proteste. Wir alle erleben einen ständigen Wechsel schöner und leidvoller Ereignisse. Ich war einmal mit Freunden in Nordkalifornien wandern. Wir hatten beschlossen, einem bestimmten Weg zu folgen – in den ersten drei Tagen hin, in den nächsten drei Tagen denselben Weg zurück. Der dritte Tag dieser anstrengenden Wanderung endete mit einem langen, gleichmäßigen Abstieg. Wir waren bereits einige Stunden unterwegs, als einem meiner Freunde plötzlich klar wurde, was dieser Abstieg für den folgenden Tag bedeutete, wenn wir auf gleichem Weg zurückgehen würden. Er drehte sich zu mir um und sagte düster: »In einem dualistischen Universum kann bergab nur eins bedeuten.«

Dem unerbittlichen Fluß der sich unablässig wandelnden Lebensbedingungen ist nicht zu entkommen, und doch versuchen wir verzweifelt, das Angenehme festzuhalten, und wir versuchen ebenso verzweifelt, Schmerz zu meiden. Unsere Welt ist randvoll mit Bildern, die uns sagen, daß Leiden falsch ist; Werbung, soziale Umgangsformen und kulturelle Wertvorstellungen signalisieren, daß es schuldhaft, beschämend, demütigend sei, zu leiden oder traurig zu sein. In diesen Botschaften spiegelt sich die Erwartung, daß es uns möglich sein sollte, Schmerz oder Verlust irgendwie zu kontrollieren. Wenn wir geistige oder körperliche Schmerzen erfahren, fühlen wir uns oft isoliert, von der Menschheit und dem Leben abgeschnitten. Unsere Scham läßt uns ausgerechnet dann zum Außenseiter werden, wenn wir in unserem Kummer das Gefühl von Verbundenheit am meisten brauchen.

Das übliche, vorübergehende Glück hat nicht nur eine subtile Komponente von Einsamkeit, sondern auch von Angst. Wenn alles nach Wunsch läuft, es uns gut geht und wir bekommen, was wir möchten, spornt uns das an, unser Glück zu verteidigen, weil es so zerbrechlich, so ungewiß wirkt. Als bräuchte unser Glück ständigen Schutz, leugnen wir allein schon die Möglichkeit von Leid. Wir weigern uns, diese Möglichkeit in uns und anderen auch nur zur Kenntnis zu nehmen, weil wir fürchten, schon das könne unser Glück trüben oder zerstören. Damit wir uns also weiter wohl fühlen können, lehnen wir es ab, in dem Obdachlosen auf der Straße den Mitmenschen zu sehen. Wir schließen, das Leid anderer Menschen sei für unser Leben von keinerlei Bedeutung. Wir wenden uns vom Leid der Welt ab, weil wir fürchten, es könnte unser eigenes Glück gefährden. In dieser ständigen Verteidigungsposition ziehen wir uns in eine so furchtbare Einsamkeit zurück, daß wir niemals wahre Freude empfinden können. Wie eigenartig wir doch konditioniert sind: In unserem Schmerz fühlen wir uns so allein wie in unserem Glück verletzlich und isoliert.

Einige Menschen brauchen nur eine einzige eindringliche Erfahrung, um aus dieser Isolation ausbrechen zu können. Asoka, ein mächtiger nordindischer Herrscher, lebte etwa zweihundertfünfzig Jahre nach dem Tod des Buddha. In den Anfangsjahren seiner Regierung war er blutrünstig und wollte sein Reich um jeden Preis vergrößern. Er war ein sehr unglücklicher Mann. Eines Tages schritt er nach einem besonders erbitterten Gefecht, mit dem er neue Gebiete erobern wollte, über das Schlachtfeld. Er war von grauenhaften Bildern toter Männer und Tiere umgeben. Sie lagen dicht an dicht, verwesten in der Sonne und wurden von Aasgeiern zerhackt. Asoka war entsetzt über das Blutbad, das er angerichtet hatte.

Gerade in diesem Augenblick überquerte ein buddhistischer Mönch das Schlachtfeld. Er sagte kein Wort, strahlte aber Frieden und Glück aus. Asoka sah ihn an und dachte: „Warum geht es mir, der ich alles habe, so furchtbar schlecht? Dieser Mönch besitzt nichts außer seinem Gewand und der Schale, die er trägt, und doch wirkt er an diesem furchtbaren Ort heiter und glücklich.“

Asoka traf dort, auf diesem Schlachtfeld, eine Entscheidung. Er ging zu dem Mönch und fragte ihn: „Bist du glücklich? Und wenn du glücklich bist, wie kann das sein?“ Als Antwort machte der Mönch, der nichts hatte, den Herrscher, der alles hatte, mit den Lehren des Buddha bekannt. Nach dieser Zufallsbegegnung praktizierte und studierte Asoka den Buddhismus und veränderte seine Herrschaft von Grund auf. Er führte keine Eroberungskriege mehr und ließ niemanden hungern. Er wandelte sich von einem Tyrannen zu einem der geachtetsten Herrscher der Geschichte, der noch Jahrtausende später als gerecht und gütig gepriesen wird.

Asokas Sohn und Tochter brachten den Buddhismus von Indien nach Sri Lanka. Hier schlug die Lehre Wurzeln und verbreitete sich von Indien und Sri Lanka aus nach Birma, Thailand und schließlich über die ganze Welt. Daß wir heute, so viele Jahrhunderte und kulturelle Veränderungen später, einen direkten Zugang zum Buddhismus haben, ist eine direkte Folge von Asokas Wandlung. Die Ausstrahlung eines einzigen buddhistischen Mönchs wirkt bis auf uns. Die Heiterkeit eines einzigen Menschen veränderte den Gang der Geschichte und brachte uns den buddhistischen Weg zum Glück.

Die Lehre des Buddha basiert auf der Erkenntnis, daß unser Versuch, das Unkontrollierbare zu kontrollieren, uns nicht die Geborgenheit, die Sicherheit und das Glück bringen kann, die wir suchen. Diese illusorische Jagd nach Glück beschert uns nur Leid. In unserer hektischen Suche nach etwas, das unseren Durst löscht, sehen wir das Wasser nicht, in dem wir stehen, und wir treiben uns aus unserem Leben ins Exil.

Wir suchen etwas, das fest, unwandelbar und sicher ist, aber aufmerksame Beobachtung lehrt uns, daß eine solche Suche keinen Erfolg haben kann. Alles im Leben verändert sich. Der Weg zu wahrem Glück muß alle Aspekte unserer Lebenserfahrung umfassen und uneingeschränkt akzeptieren. Diese Ganzheit ist die Botschaft des daoistischen Ying/Yang-Symbols, des Kreises, der zur Hälfte dunkel, zur Hälfte hell ist. In der Mitte des Dunklen ist ein heller, in der Mitte des Hellen ein dunkler Punkt. Selbst in der tiefsten Dunkelheit ist Licht. Selbst im Herzen des Lichts liegt Dunkel, es ist verstanden, angenommen und unlösbar mit dem Hellen verbunden. Wenn wir leiden, wenn es uns nicht gutgeht, sind wir vom Schmerz nicht besiegt, vom Lichten nicht ausgeschlossen. Wenn es uns gutgeht und wir glücklich sind, versuchen wir nicht, defensiv die Möglichkeit des Leidens zu leugnen. Diese Ganzheit entsteht, indem wir das Licht ebenso akzeptieren wie das Dunkel und darum in beiden zugleich sein können.

Der englische Schriftsteller E. M. Forster stellte einem seiner Romane die Worte voran: „Sei nur verbunden.“ Diese drei Worte beschreiben hervorragend, welchen Wandel wir von einer Weltanschauung zu einer anderen vollziehen müssen, um beständiges Glück zu finden. Wir müssen den Versuch aufgeben, die nicht zu kontrollierenden Zyklen von Freude und Schmerz kontrollieren zu wollen, und statt dessen lernen, wie wir Verbindung zum Ganzen aufnehmen, uns öffnen und lieben können, was immer auch geschehen mag.

Unglück oder Glück hängen davon ab, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Suchen wir, obwohl wir mitten im Wasser stehen, woanders nach etwas zu trinken? Der Wandel geschieht, wenn wir tief in uns hinein auf einen Zustand blicken, der vor dem Entstehen von Angst und Isolation existierte, in dem wir so, wie wir sind, ein unverletzbares Ganzes bilden. Wir nehmen Verbindung zu uns, zu unserem wahren Erleben auf, und dort entdecken wir, daß Leben bedeutet, eine Einheit zu sein.

Denken Sie daran, wie unberührt der Himmel von den Wolken bleibt, die über ihn hinwegziehen, leicht und wattig oder dunkel und drohend. Der Berg wird vom Wind, der ihn umweht, nicht verschoben, gleichgültig, ob er sanft bläst oder stürmisch. Der Ozean wird nicht von den Wellen auf seiner Oberfläche beeinträchtigt, seien sie hoch oder niedrig. Und so bleiben einige Aspekte unseres Wesens unbeschadet, unabhängig davon, was immer wir erleben. Das ist das tiefe Glück der Achtsamkeit.

Es gibt ein Wort in der buddhistischen Psychologie, tathata, das etwa mit „So-Sein“ übersetzt werden kann. Es bezeichnet einen Zustand, in dem wir in unserer Gänze präsent sind; unsere Aufmerksamkeit ist nicht zersplittert oder geteilt. Im Zustand des So-Seins ist kein Teil von uns getrennt und wartet darauf, daß etwas geschieht, das besser oder anders ist.

Wir reagieren auf unsere Erlebnisse weder mit Verlangen noch mit Aversion; wir akzeptieren vielmehr, was uns in unserem Leben begegnet, und lassen los, was unser Leben verläßt. Wir sind völlig da und lassen uns von dem Scheinglück, das herkömmliche Vorstellungen verheißen, nicht betören. Wenn wir die Freiheit des So-Seins erleben, entdecken wir, wer wir wirklich sind.

Einer meiner Freunde reiste einmal nach Sikkim in der Hoffnung, dort Seine Heiligkeit den sechzehnten Karmapa, einen hohen tibetischen Lama, treffen zu können. Die Reise nach Sikkim war sehr anstrengend, mein Freund mußte hohe Bergpässe überqueren und Flüsse durchwaten. Nachdem er sich diesen Mühen unterzogen hatte, war er überglücklich, bei Seiner Heiligkeit eine Audienz zu bekommen. Er war äußerst verblüfft, als der Karmapa, ein bedeutender, weltweit bekannter spiritueller Lehrer, ihn behandelte, als zähle sein Besuch zu den wichtigsten Ereignissen seines bisherigen Lebens. Dies äußerte sich nicht in grandiosen Gesten oder Zeremonien, sondern in der schlichten und völligen Gegenwärtigkeit des Karmapa. Mein Freund erzählte, er habe sich in dieser Situation uneingeschränkt geliebt gefühlt. Als ich die Geschichte hörte, dachte ich daran, wie viele Gespräche ich nur halbherzig geführt habe. Ich hatte überlegt, was ich als nächstes tun oder mit wem ich als nächstes sprechen würde. Wie unfair mir diese mangelnde Aufmerksamkeit plötzlich erschien! Der schlichte Akt, unumschränkt für einen anderen Menschen da zu sein, ist ein Akt vollkommener Liebe – dazu braucht es keine Inszenierungen.

Schon die Begegnung mit einem Menschen wie dem Karmapa, der so ganz gegenwärtig ist, ist eine Aufforderung an uns, zu unserem wahren Wesen zu erwachen. Ein solcher Mensch ruht in sich, er braucht nichts von uns und bietet unseren Projektionen keine Fläche, an denen sie sich festmachen könnten. Wo wäre in einer solchen Beziehung Platz für Projektion und Manipulation? Wenn wir in den Spiegel seiner oder ihrer Augen blicken, erkennen wir uns selbst und alles, was für uns möglich ist.

Ich lerne immer wieder außergewöhnliche, liebevolle Lehrende kennen. Wenn ich ihn oder sie zum ersten Mal sehe, weiß ich im gleichen Moment: „Ja, so bin ich in Wirklichkeit!“ Ich spüre ein tiefes Wiedererkennen der angeborenen und unzerstörbaren Kraft der Liebe in mir. Und ich sehe auch, daß viele Vorstellungen von mir, meine Ängste und Sehnsüchte, sich als Schichten über diese Kraft gelegt haben, sie verbergen. Diese Vorstellungen verschwinden in der Gegenwart eines solchen Menschen; ich erwache für einen Augenblick und kann sagen: „Ach ja, so bin ich. Das ist für alle Lebewesen richtig und möglich.“ Diese Begegnungen zeigen mir, daß meine vermeintlichen Grenzen gar nicht existieren, und eine Zeitlang bin ich wie aus einem Gefängnis befreit, das ich mir selbst geschaffen habe.

Vollständigkeit und Einheit sind unsere grundlegende Natur als Lebewesen. Dies ist für uns alle wahr. Wie wunderbar oder schrecklich unser Leben gewesen sein mag, welche Traumata und Wunden wir aus der Vergangenheit mit uns herumtragen mögen, was immer wir erleben mußten oder worunter wir jetzt leiden: Unsere angeborene Ganzheit ist immer da, und wir können sie leben.

Wenn wir sie leben, brechen wir den Bann des konventionellen Denkens. Wenn wir unsere Fixierungen aufgeben und einfach glücklich sind, dann ist das, als entkämen wir einer Haft. Es ist, als stünden wir in einem winzigen, vollgestellten Zimmerchen, dessen Mauern einstürzten. Und erst da erkennen wir, daß wir auf dem Gipfel eines Berges sind! Welch atemberaubende Aussicht!

Dies ist das Öffnen, nach dem wir uns sehnten und das wir an so vielen Orten gesucht haben: in Beziehungen, unserer Arbeit und in der Gesellschaft. Da dieses Öffnen ohne andere Menschen oder eine äußere Situation geschehen kann, liegt darin die ungetrübte Freude von Sicherheit, Geborgenheit und Unzerstörbarkeit. Der Geist strahlt, er leuchtet in dieser Einheit, er ist offen, nichts wird zurückgehalten, nichts hinzugetan, nichts mehr ist zersplittert, nichts getrennt.

Die große Seinsfülle, die wir als Glück erleben, kann auch als Liebe bezeichnet werden. Ungeteilt und unzersplittert zu sein, völlig gegenwärtig zu sein, heißt lieben. Aufmerksam sein heißt lieben.

Der große indische Lehrer Nisagadatta Maharaj hat einmal gesagt: „Die Erkenntnis lehrt mich, daß ich nichts bin. Die Liebe lehrt mich, daß ich alles bin. Dazwischen fließt mein Leben.“ „Ich bin nichts“ bedeutet nicht, daß in uns nur trostlose Öde wäre. Es bedeutet, daß wir uns durch Achtsamkeit zu einem reinen, unverstellten Raum öffnen, ohne Mittelpunkt, ohne Peripherie – nichts ist getrennt. Wenn wir nichts sind, gibt es keine Barrieren, die unseren grenzenlosen Ausdruck von Liebe behindern könnten. Und wenn wir auf diese Weise nichts sind, sind wir zwingend auch alles. „Alles“ bedeutet nicht, sich wichtig zu machen, es bedeutet, die Verbundenheit ohne Wenn und Aber anzuerkennen. Sowohl der reine, offene Raum des „Nichts“, als auch die tiefreichende Verbundenheit des „Alles“ führen uns zu unserer wahren Natur.

Zu dieser Wahrheit gelangen wir durch die Meditation, sie ist die Erfahrung der Einheit jenseits von Leid. Sie ist