Wahre Liebe - Sharon Salzberg - E-Book

Wahre Liebe E-Book

Sharon Salzberg

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Beschreibung

Das Standardwerk zum liebevollen Miteinander von der bekanntesten Meditations-Lehrerin. Sharon Salzberg unterrichtet seit über vierzig Jahren buddhistische Meditation und ist die ausgewiesene Expertin für Liebes-Meditation. Sie hat Tausende Menschen in ihrem persönlichen Entwicklungsprozess begleitet und weiß: "Wahre Liebe zu leben ist die eigentliche Sehnsucht von uns Menschen." In "Wahre Liebe" fasst Sharon Salzberg ihre Erfahrung in einem Drei-Schritte-Programm zusammen, mit dem es gelingt, wirkliche Herzenswärme zu entwickeln. Sie verbindet die Weisheit des Buddhismus mit der Lebenswirklichkeit der Menschen und erklärt, wie Selbstakzeptanz und Liebe im Alltag und in der Partnerschaft entwickelt werden können. Sehr präzise und klar führt dieser Ratgeber durch einen Prozess der Selbsterkenntnis, der auch zerstörerische Glaubenssätze aus der Kindheit, Selbstverurteilungen oder andere ungesunde Geisteshaltungen entlarvt. Durch Achtsamkeit und Bewusstheit lassen sich tief sitzende Hindernisse erkennen, Gefühlen wie Einsamkeit und Angst verwandeln und dauerhaft glückliche Beziehungen schaffen. Voraussetzung dafür ist, Körper und Geist zu entspannen, Stress loszulassen und in der Stille tief zur Ruhe zu kommen. Sharon Salzbergs liebevollen Anleitungen und Meditationen helfen, sich selbst anzunehmen und anderen Menschen und allen Wesen liebevoll und friedlich zu begegnen.

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Seitenzahl: 464

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Sharon Salzberg

Wahre Liebe

Der buddhistische Weg, mit sich selbst und anderen glücklich zu leben

Aus dem Amerikanischen von Gerd Bausch

Knaur e-books

Über dieses Buch

Sharon Salzberg unterrichtet seit über vierzig Jahren buddhistische Meditation und ist die ausgewiesene Expertin für Liebes-Meditation. Sie hat Tausende Menschen in ihrem persönlichen Entwicklungsprozess begleitet und weiß: »Wahre Liebe zu leben ist die eigentliche Sehnsucht von uns Menschen.«

In »Wahre Liebe« fasst Sharon Salzberg ihre Erfahrung in einem Drei-Schritte-Programm zusammen, mit dem es gelingt, wirkliche Herzenswärme zu entwickeln. Sie verbindet die Weisheit des Buddhismus mit der Lebenswirklichkeit der Menschen und erklärt, wie Selbstakzeptanz und Liebe im Alltag und in der Partnerschaft entwickelt werden können.

Sehr präzise und klar führt dieser Ratgeber durch einen Prozess der Selbsterkenntnis, der auch zerstörerische Glaubenssätze aus der Kindheit, Selbstverurteilungen oder andere ungesunde Geisteshaltungen entlarvt. Durch Achtsamkeit und Bewusstheit lassen sich tief sitzende Hindernisse erkennen, Gefühlen wie Einsamkeit und Angst verwandeln und dauerhaft glückliche Beziehungen schaffen. Voraussetzung dafür ist, Körper und Geist zu entspannen, Stress loszulassen und in der Stille tief zur Ruhe zu kommen.

Sharon Salzbergs liebevollen Anleitungen und Meditationen helfen, sich selbst anzunehmen und anderen Menschen und allen Wesen liebevoll und friedlich zu begegnen.

Inhaltsübersicht

WidmungHinweis des VerlagsEinleitung: Suche nach LiebeTeil 1Einführung: Jenseits des KlischeesBotschaften aus unserer Familie und unserer LebensgeschichteBotschaften unserer KulturBotschaften der MedienBeginnen Sie, wo Sie sindDer MitgefühlsmuskelLiebende-Güte-MeditationEinführende Übungen1 Die Geschichten, die wir uns erzählenIn verschüttete Geschichten eintauchenUnsere Geschichte neu schreibenUns wirklich selbst lieben2 Die Geschichten, die andere über uns erzählenDas Netz der FamilieDie Urteile von FreundenKinder der GesellschaftKontemplation3 Die eigenen Gefühle willkommen heißenIm Inneren Zuflucht nehmenDie Tür zu den Gefühlen öffnenHeilung ist eine Arbeit im InnerenÜbungen zu Kapitel 34 Treffen mit dem inneren KritikerDie Kritikerin ausfindig machenDie Kraft, neu zu beginnenMit dem inneren Kritiker umgehenKontemplationÜbungen zu Kapitel 45 Jenseits des PerfektionismusDie Freiheit, unvollkommen zu seinDem, was Sie lieben, Aufmerksamkeit schenkenÜbungen zu Kapitel 5Kontemplation6 Sich verkörpernKontemplationÜbungen zu Kapitel 67 Scham überwindenSchamgefühle aufgrund einer KrankheitSchamgefühle aufgrund des eigenen LeidsKontemplation8 Zum Glück stehenÜbungen zu Kapitel 89 Ihrem ethischen Kompass folgenHören Sie auf Ihren KörperAuf Leitlinien vertrauenDie eigenen Geheimnisse wahrnehmenRespektieren Sie sich wirklich selbst?Uns selbst Anerkennung entgegenbringenKontemplationTeil 2Einführung: Lieben ist ein VerbDen kulturellen Ballast abladenWahre Liebe erkennenDas Paradox der BindungEine Erfahrung mit dem ganzen Körper10 Was uns davon abhält, wahre Liebe zu findenDer große BalanceaktUnsere Annahmen auspackenFrieden schließen mit der AngstMit den Blockaden arbeitenÜbungen zu Kapitel 1011 Neugier und Erstaunen entwickelnSehen, was sich direkt vor uns zeigtDie Kraft des StaunensPhantasien loslassenEine Absicht festlegenÜbungen zu Kapitel 1112 Authentische KommunikationSelbstoffenbarung und nichtwertendes ZuhörenMit dem eigenen Lehrer lebenDer Dampfkochtopf FamilieÜbungen zu Kapitel 1213 Fair spielen: ein Vorschlag für eine Win-win-SituationKontemplationGegenseitigkeit ist entscheidendFamiliäre VerpflichtungenDer Tanz der FürsorgeÜbungen zu Kapitel 13Richtig und Falsch loslassen14 Im Raum dazwischen navigierenDie Art, wie wir uns verbindenFlexible GrenzenDer Unterschied ist das, was uns verbindetÜbungen zu Kapitel 1415 LoslassenDie Kunst, etwas anzunehmenSich von dem unrealistischen Traum befreienZu sich selbst Zuflucht nehmenZwischen Eltern und KindernÜbungen zu Kapitel 1516 Heilen, nicht siegenDie Barrikaden abbauenDen Blickwinkel erweiternEin Ort der FreudeÜbungen zu Kapitel 1617 Das Herz ist ein großzügiger MuskelDie Blockaden ausmachenWarum verschließt sich Ihr Herz?Mit Mitfreude experimentierenFreude zu Hause teilenDer Kritiker bekommt UrlaubÜbungen zu Kapitel 1718 Vergebung und AussöhnungVergeben ist ein ProzessVergeben bedeutet nicht vergessenAlle in der FamilieSich im Lauf der Zeit für den Wandel öffnen»Überholt euch nicht selbst!«Übungen zu Kapitel 18Teil 3Einführung: Der umfassende Blick des MitgefühlsDas Bild vergrößernBeim Mitgefühl ankommenWir gegen sieDie Absicht, uns zu öffnen19 Den Prozess in Gang setzenAn jeder Ecke eine GelegenheitWenn es leichtfällt, sich anzustrengenKeine Geste ist zu kleinWahre Liebe heißt Konflikte willkommenÜbungen zu Kapitel 1920 Unsere Annahmen in Frage stellenWir sind wirklich voreingenommenWie wir andere beurteilenUnsere Reaktionen neu einstellenDie Mauern niederreißenDen Ausgang der Geschichte ändernKontemplationÜbungen zu Kapitel 2021 Alle liebenLiebe statt Hass wählenAndere mit einbeziehen – das Gesicht der LiebeÜbungen zu Kapitel 21Überprüfen Sie Ihre Vorbilder22 Eine Gemeinschaft gründenDo-it-yourself-GemeinschaftenEin weites Netz auswerfenDurch die Trennung schauenÜbungen zu Kapitel 2223 Von der Wut zur LiebeLoslassen ist LiebeBeginnen Sie, wo Sie sindDie entwaffnende Kraft der LiebeSich ganz auf die Liebe einlassenÜbungen zu Kapitel 23Die Kunst der Selbst-Klärung24 Zum Leben ja sagenSich für den jeweiligen Moment öffnenNeugier und StaunenAus unserem Nein ein Ja machenUnsere flüchtige Welt ist nichts als eine Feder im WindWesentliche Punkte aus den verschiedenen Teilen des BuchesWesentliche Punkte aus Teil 1Wesentliche Punkte aus Teil 2Wesentliche Punkte aus Teil 3Danksagung
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Für meine Lehrerin Nani Bala Barua (Dipa Ma), die große Verluste hinnehmen musste und schließlich die Kraft der grenzenlosen Liebe entdeckte.

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Die in diesem Buch gegebenen Empfehlungen wurden von Verfasser und Verlag mit größter Sorgfalt erarbeitet und geprüft. Sie sind allgemeiner Natur und können eine professionelle medizinische oder psychologische Behandlung nicht ersetzen. Eine Garantie und Haftung kann nicht übernommen werden. Leser mit gesundheitlichen Problemen sollten einen Arzt zu Rate ziehen, um abzuklären, ob die hier dargestellten Meditationen für sie in Frage kommen.

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Einleitung: Suche nach Liebe

Wir brauchen uns nicht auf die Suche nach Liebe zu machen, sondern sollten eher in Ruhe der Liebe erlauben, uns zu entdecken.

– John O’Donohue–

Unser Bild von der Liebe ist aus verschiedenen Stoffen gewebt, aus all den vielen Dingen, die wir von Kindesbeinen an über sie gehört haben. Wir erwarten, dass sie uns viel Aufregendes, Glück, Zuneigung, Feuer, Anmut, Zärtlichkeit, Annehmlichkeiten, Sicherheit und noch vieles mehr schenken wird – und am besten alles zugleich.

Auch die Popkultur hat in vielerlei Hinsicht unsere Vorstellungen verzerrt, da sie die Liebe gleichsetzt mit erotischen Abenteuern oder romantischen Affären, die wie ein Donnerschlag oder sanft wie der Mondschein daherkommen. Aufgrund dieser Idealisierung der Liebe sagen und tun wir Dinge, die wir eigentlich nicht meinen oder wollen. Wir halten verzweifelt an Beziehungen fest, obwohl sie notgedrungen im Wandel begriffen sind, uns in Frage stellen oder uns schlicht entgleiten. In vielen Buchhandlungen findet sich eine Abteilung mit Literatur über Liebe, wo allerdings hauptsächlich Bücher angeboten werden, in denen es um romantische Beziehungen geht. Sie beschreiben, wie man zu einer Beziehung kommt, wie man sie aufrechterhält und wie man sie heilt. Ein Verleger drückte dies mir gegenüber folgendermaßen aus: »Der Markt an Büchern über Liebe ist gesättigt.«

Vielleicht glauben wir, wir bekämen so viel Liebe, wie wir verdienen, und das sei nicht besonders viel. Wir sagen uns möglicherweise: »Ich habe einfach kein Glück in der Liebe«, oder: »Ich bin einfach zu sehr verletzt worden, um liebesfähig zu sein!«. Unter Umständen sind wir auch so zynisch (was manchmal eine Maske ist, hinter der wir unser gebrochenes Herz oder unsere Einsamkeit zu verstecken suchen), dass wir überzeugt sind, Liebe sei eine armselige Täuschung. Einige von uns meinen, innerlich mit dem Thema Liebe abgeschlossen zu haben, da sie ihrer Ansicht nach weit mehr kostet, als sie je geben kann. In solchen Momenten, in denen unser Herz verletzt ist und wir Liebe eigentlich am meisten brauchen, erscheint es uns manchmal als die beste Verteidigung, unser Herz zu verschließen.

Vielen von uns hat man erzählt, dass, liebten wir die anderen nur genügend und opferten uns selbst auf, es nicht weiter ins Gewicht fiele, wenn wir uns selbst keine Liebe entgegenbrächten. Wir könnten durchaus weiterhin darauf verzichten. Oder wenn wir eine Freundin, einen Freund oder ein Kind nur tief genug liebten, die Liebe selbst alle Wunden heile, weswegen wir keine leidvollen Rückfälle und Enttäuschungen mehr erleben würden. Wenn wir leiden, käme es daher, dass wir bei der Liebe etwas falsch machten. Vielleicht hat man uns auch suggeriert, dass es in dieser Welt einfach nur Liebe bräuchte und es nicht nötig sei, Missstände zu bekämpfen oder Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten zu benennen.

Doch abgesehen von all dem möchten wir als Menschen natürlich ein Leben führen, in dem wir dazugehören, mit anderen verbunden sind und uns in dieser Welt zu Hause fühlen. Wir sehnen uns nach Wärme und nach einem erfüllteren Leben, in dem sich uns genügend Gelegenheiten bieten. Liebe scheint uns all dies zu ermöglichen. Intuitiv spüren wir, dass es da so etwas wie eine Qualität der wahren Liebe geben muss, die jenseits der engen Gassen liegt, in denen man uns auftrug, unser Leben zu führen – eine Möglichkeit, die nicht allein ein Ideal oder einfach nur abstrakt ist. Wir spüren, dass wir uns noch weit tiefer mit uns selbst und anderen verbinden können.

Während eines Meditationsretreats in Myanmar (das damals noch Burma hieß) kam es zu einem entscheidenden Wendepunkte in meinem Leben. Ich praktizierte intensive Liebende-Güte-Meditation und schenkte mir selbst und anderen den ganzen Tag über Wünsche des Wohlergehens wie: »Möge ich glücklich sein!«, oder: »Möget ihr alle glücklich sein!«. Im Verlauf der Praxis kam ich zu eben dieser Schwelle: Auf der einen Seite war meine bisherige Vorstellung, dass ich hinsichtlich jeglicher Gefühle der Liebe in meinem Leben gänzlich von anderen abhängig sei. Ich stellte mir Liebe quasi wie ein Paket vor, das in den Händen eines sehr mächtigen Postboten lag; sollte diese Person es sich an meiner Türschwelle anders überlegen und kehrtmachen, wäre ich ihrer beraubt – hoffnungslos unvollständig und ohne die Liebe, nach der ich mich so sehnte. Auf der anderen Seite tat sich ein Bild dessen auf, wer ich eigentlich bin – ein Mensch, der fähig ist zu lieben, ganz unabhängig davon, ob jemand bei mir ist und was gerade vor sich geht, jemand, die selbst Zugang zu der Liebe finden kann, die ein anderer Mensch dann vielleicht noch verstärken oder herausfordern kann. Doch in diesem Bild gab es niemanden, der mir diese Fähigkeit geben oder nehmen konnte. Ich tat den Schritt und ging auf die andere Seite.

Mir wurde klar, dass ich mich als Mensch nicht entwickeln kann, solange ich mich als passive Empfängerin der Liebe verstehe. (Mit dieser Einstellung ist man zum Abwarten verdammt. Alles, was man dann noch tun kann, wenn die Dinge nicht so laufen, wie man es sich gewünscht hat, ist, den Schaden zu begrenzen. Das führt darüber hinaus zu großer innerer Starre). Aber mir war klar, dass ich aufblühen würde, wenn ich mich selbst als Verkörperung der Liebe sehen könnte.

Ich schrieb dieses Buch mit dem Wunsch, Wege aufzuzeigen, mit denen wir wahre Liebe erkunden können – die Fähigkeit, die wir alle in uns tragen, um an jedem Tag aufs Neue Liebe zu leben. Wahre Liebe ist meiner Überzeugung nach die grundlegendste all unserer angeborenen Fähigkeiten. Ganz gleich, was wir bereits durchgestanden haben mögen oder was wir vielleicht noch erleben werden, nichts kann sie zerstören. Möglicherweise ist sie verdeckt, unserem Blick verborgen und schwer zu finden. Vielleicht fällt es uns auch nicht leicht, darauf zu vertrauen, dass sie wirklich in uns liegt. Aber nichtsdestotrotz ist sie da, zaghaft pulsierend, wie der Herzschlag. Sie schwingt in den Worten, mit denen wir jemanden begrüßen; sie ist anwesend, wenn wir abwägen, wie wir am besten die Arbeit von jemandem kritisieren, ohne ihn zu verletzen; sie ist gegenwärtig, wenn wir den Mut aufbringen, zu uns zu stehen, oder wenn uns klar wird, dass wir eine Beziehung aufgeben müssen – wahre Liebe strebt danach, authentisches Leben zu finden, dieses zu entwickeln und zur Blüte zu bringen.

Ich glaube, dass es nur eine Liebe gibt – die wahre Liebe. Sie drängt danach, in uns lebendig zu werden – trotz der begrenzenden Vorstellungen, die wir uns von ihr machen, trotz der Verzerrungen seitens unserer Kultur, trotz unserer angstbesetzten Gewohnheitsmuster, der Selbstverurteilung und der Vereinsamung, in die wir uns im Lauf unseres Lebens manövriert haben. Wir alle sind fähig, wahre Liebe zu erleben. Mit weit offenem Blick können wir selbst in kurzen Momenten, in denen wir mit anderen Menschen in Kontakt treten, Liebe entdecken: in der Begegnung mit einem Angestellten im Supermarkt, mit einem Kind oder einem Haustier, bei einem Spaziergang im Wald, überall und mit jeder und jedem. Und wir können sie in uns selbst finden.

Wahre Liebe geht mit der kraftvollen Erkenntnis einher, dass wir ganz lebendig und vollständig sind, und dies trotz aller Verletztheit, der Ängste oder der Einsamkeit, die wir in uns tragen. Sie erlaubt es uns, zuzulassen, uns selbst wahrzunehmen und auch von anderen gesehen zu werden. Gleichzeitig schenken wir der Welt um uns unsere klare Wahrnehmung von ihr. Es ist eine Liebe, die heilt.

In diesem Buch stelle ich eine ganze Reihe an Achtsamkeitstechniken und anderen Übungen vor, mit denen wir Liebende Güte und Meditation praktizieren können und die ich bereits seit über vierzig Jahren lehre. Die Praxis der Achtsamkeit erlaubt es uns, einen Abstand zu schaffen zwischen unseren eigentlichen Erfahrungen und den inneren Kommentaren, die wir uns für gewöhnlich darüber erzählen – Kommentare wie: »Das ist genau das, was ich verdiene.« Wenn solche Urteile auf Angst und dem Gefühl, von der Welt um uns, dem gegenwärtigen Augenblick und unseren Emotionen abgeschnitten zu sein, basieren, hilft uns die Praxis der Liebenden Güte, diese Muster der vorprogrammierten Selbsteinschätzungen aufzugeben. So schaffen wir unser eigenes und völlig neues Bild von Liebe.

Ich werde Meditationen, Reflexionen und interaktive Übungen vorstellen, die so konzipiert sind, dass sie allen zugänglich sind. Sie zeigen einen Weg des Erkundens, der spannend, kreativ und sogar verspielt sein kann. Ich greife dabei sowohl auf meine eigenen Erfahrungen als auch auf die meiner Meditationsschülerinnen und -schüler zurück, von denen einige so großzügig waren, mit der Schilderung ihrer eigenen Erfahrungen zum Buch beizutragen. Insbesondere die Meditationen sind dazu gedacht, mehr als nur einmal ausprobiert zu werden, denn mit ihrer Hilfe können wir eine stabile Grundlage für Achtsamkeit und Liebende Güte in unserem Leben entwickeln.

Unsere Entdeckungsreise beginnt mit der Person, bei der wir oft vergessen, dass ihr wahre Liebe fehlt: uns selbst. Allmählich schließen wir andere in diese Erkundung mit ein: unsere Geliebten, Eltern, Partner, Kinder, unsere besten Freunde und Arbeitskollegen; schließlich kommen wir auch zu den Themen Scheidung, Sterben und Vergebung – all den Herausforderungen, mit denen wir in unserem täglichen Leben zu tun haben. Anschließend entdecken wir, dass wir in der tiefen Verbindung mit allen Lebewesen verweilen können, sogar mit jenen, von denen wir uns normalerweise stark abgrenzen oder deren Erfolg wir zu behindern suchen. Auch wenn wir sie vielleicht nicht alle mögen, können wir ihnen dennoch wünschen, frei zu sein (und uns selbst wünschen, nicht mehr unter ihren Handlungen zu leiden). Diese sehr umfassende Erfahrung von gegenseitigem Verbundensein – innen und außen – begleitet uns auf dem Weg dahin, das Leben selbst zu lieben.

Ich habe dieses Buch für all jene geschrieben, die die Sehnsucht in sich tragen, glücklicher zu werden, und die mutig genug sind, sich vorzustellen, dass sie in Hinsicht auf Liebe noch zu weit mehr in der Lage sind, als sie bislang dachten. Und ich schreibe es für diejenigen, die, so wie ich früher, manchmal darunter leiden, sich nicht geliebt zu fühlen und nicht zu wissen, wie sie ihr Schicksal ändern sollen. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesem Buch helfen kann, wahre Liebe zu kultivieren, diesen wunderbaren Raum der Fürsorge, der uns dazu einlädt, mit der Ganzheit des Lebens in Einklang zu kommen.

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Teil 1

Einführung: Jenseits des Klischees

Sie sind es wert, geliebt zu werden – und dafür brauchen Sie nicht einmal etwas Besonderes zu leisten. Sie müssen nicht den Mount Everest erklimmen, keinen Ohrwurm komponieren, der auf YouTube zum Renner wird, und nicht Geschäftsführer eines Start-up-Unternehmens werden, der jede Mahlzeit ausschließlich mit den Zutaten aus dem eigenen biologischen Gemüsegarten kocht. Auch wenn Sie noch nie eine Auszeichnung bekommen haben und Ihre Wände keine Urkunden schmücken, die von Ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten zeugen, verdienen Sie dennoch Liebe in dieser Welt. Sie müssen sich die Liebe nicht verdienen, sondern brauchen einfach nur da zu sein. Wenn wir uns selbst und das Leben besser kennenlernen, erinnern wir uns daran, dass wir uns auf eines verlassen können: Wir verdienen den Segen der Liebe.

Ein Mangel an wahrer Liebe für uns selbst ist eine der einengendsten und schmerzhaftesten Erfahrungen, die wir machen können, denn er trennt uns von unserem tiefsten Potenzial der Verbundenheit und Fürsorge ab; wir sind dann Gefangene dieser machtvollen – und dennoch sehr wohl überwindbaren – Konditionierung, die darin besteht, zu denken, man müsse etwas leisten, um geliebt zu werden.

Selbst wenn wir der Welt die größten Heldentaten vorwiesen, hätten die meisten von uns dennoch weiterhin Zweifel an ihrem eigenen Wert. Wir fürchten, nicht begehrenswert genug, nicht gut genug und nicht erfolgreich genug zu sein. Kurzum: Wir haben Angst, nicht zu genügen. Verstandesmäßig mögen wir durchaus davon überzeugt sein, dass uns selbst zu lieben eine gesunde Basis schaffen würde, von der aus wir unsere Liebe in die Welt tragen könnten. Aber bei den meisten von uns ist dies rein rational und kommt nicht von Herzen. Normalerweise glauben wir nicht einfach so Dinge, die uns nicht wirklich überzeugen, und die meisten von uns haben kein echtes Vertrauen, es wert zu sein sind, geliebt zu werden.

Dieser Widerspruch verwirrte anfangs auch Nora: »Wir hören immer wieder, dass man, will man andere lieben, sich zuerst selbst lieben muss. Aber niemand erklärt uns, wie wir lernen, uns zu lieben. Einerseits scheint Liebe ein Allheilmittel zu sein: Ich muss mich nur selbst lieben, dann finde ich auch einen Liebhaber. Andererseits glaube ich, dass viele Menschen Romanzen als Ausweg suchen, um sich selbst nicht lieben zu müssen. In gewisser Hinsicht ist Selbstliebe das Schwierigste. Und man ist sich ja auch die passendste Person, die man hassen kann.«

Michelle beschreibt ein Erlebnis, das ihr in dieser Hinsicht die Augen öffnete: »Eines Tages – ich war da Ende zwanzig – sagte mir ein naher platonischer Freund: ›Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?‹ Mich überkam sofort eine Welle der Traurigkeit. ›Nein‹, erwiderte ich, ›ich weiß es nicht!‹ ›Ich weiß‹, antwortete er einfühlsam. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich mich selbst nie für liebenswert gehalten hatte und ich daher ebenso wenig in der Lage war, Liebe zu empfangen.«

Warum fällt es uns so schwer, uns selbst zu lieben? Warum ist es so viel schwerer, uns selbst die Fürsorge und Güte entgegenzubringen, die wir unseren Freundinnen und Freunden so bereitwillig schenken?

Einerseits hat die Vorstellung, sich selbst zu lieben, völlig unberechtigterweise einen negativen Beigeschmack, nämlich ungefähr so: Es ist narzisstisch, egoistisch und maßlos; es ist die höchste Verklärung eines entfesselten Egos, das nichts als die »Nummer eins« sein möchte.

In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Wenn der Druck in der Flugkabine absinkt, wird es keiner einem Vater vorwerfen, wenn er sich als Erstes selbst eine Sauerstoffmaske überzieht, bevor er seinem Kind hilft. Allgemeiner ausgedrückt: Wenn man sich selbst wahrhaft liebt, kommt man mit dem Leben selbst in Einklang – und dies schließt alle anderen mit ein. Die Psychotherapeutin Linda Caroll, die auch Meditation praktiziert, erklärt den Unterschied folgendermaßen: »Sich selbst zu lieben bedeutet, die Verantwortung dafür zu übernehmen, sich in seinem Leben so gut und ethisch wie möglich zu verhalten. Narzisstische Liebe hingegen kennt kein solches Verantwortungsgefühl.«[1] Mit anderen Worten: Wenn wir bei allem, was wir erleben, Zärtlichkeit und Mitgefühl kultivieren – bei schwierigen und schmerzhaften Erfahrungen genauso wie bei unseren Erfolgen –, verhalten wir uns anderen gegenüber ganz natürlicherweise freundlicher und verantwortungsvoller. Unsere Herzen werden zarter, und wir sehen, dass wir alle uns auf unsere jeweils eigene Art mit dem menschlichen Dasein herumschlagen, das Zorba der Grieche einmal »die komplette Katastrophe« nannte, reichlich versehen mit Wundern und Leiden.

Daher beginnen wir mit uns selbst.

Wir sind geboren, um zu lieben und geliebt zu werden. Dieses Recht haben wir von Geburt an. Unsere Fähigkeit, mit anderen in Beziehung zu treten, ist uns ureigen und in unser Nervensystem verwoben. Wir brauchen diesen Austausch genauso wie unser tägliches Brot. Doch genauso sind wir geboren, um zu lernen. Von unseren ersten Lebenstagen an beginnen wir, unsere Karte der Welt und unseren Platz in ihr zu zeichnen. Wir entwickeln einfache Erwartungen: Wenn ich schreie, wird jemand kommen – oder auch nicht. Schon bald weben wir aus den Fragmenten unserer Erfahrungen Geschichten, mit denen wir uns erklären, warum uns und in der Welt um uns etwas geschieht. In unserer frühesten Kindheit sind diese Geschichten implizit in unserem Körper und unserem Nervensystem gespeichert und bestimmen unsere Handlungen und Reaktionen eher unbewusst. Werden wir dann aber älter, werden diese mehr und mehr explizit, das heißt, wir können über sie reflektieren, und erinnern uns möglicherweise manchmal daran, wann, wo und wie wir zum ersten Mal eine bestimmte Botschaft erhalten haben, die unser Selbstbild hinsichtlich unseres Werts und unserer Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden, mitgeprägt haben.

Botschaften aus unserer Familie und unserer Lebensgeschichte

Wir alle haben unsere persönliche Geschichte, haben in der eigenen Familie oder sonst im Leben verschiedene Erfahrungen gemacht, die wir im Unterbewusstsein abgespeichert haben. Diese Erinnerungen senden wie ein Nachrichtenkanal rund um die Uhr Botschaften aus und bestimmen unser Verhalten mit. Auch wenn manche von ihnen uns zu Bewusstsein kommen, bleiben die meisten jedoch unbemerkt, und es kann Jahre dauern, sich ihrer bewusst zu werden und sie zu artikulieren. Elliot erinnert sich, dass sein Vater versuchte, ihm als kleiner Junge die Gefühle auszureden. Immer wenn er sagte, er sei traurig oder er fürchte sich, pflegte dieser zu sagen: »Du bist nicht traurig!«, oder: »Du siehst gar nicht aus wie ein Huhn, warum bist du dann so ängstlich?«. Ohne sich dessen bewusst zu sein, verinnerlichte Elliot daher, dass es gefährlich sei, seine Gefühle auszudrücken. Erst als seine Ehe zu zerbrechen drohte – was durch eine Kombination aus Psychotherapie und Meditation noch abgewendet werden konnte –, fühlte er sich schließlich frei genug, seine wahren Gefühle mitzuteilen.

Die Lebenserfahrungen mischen bei den meisten von uns einen reichen Cocktail aus Positivem und Negativem. Evolutionsbiologen erklären uns allerdings, dass wir eine Neigung haben, negativen Phänomenen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, um so besonders bei existenziellen Gefahren und Bedrohungen wie etwa der, von einem Tiger aufgefressen zu werden (oder einem anderen Tier, vor dem uns eine instinktive Reaktion warnt), besser gewappnet zu sein. Um unser Überleben zu sichern, fixiert sich unser Gehirn stärker an negative als an positive Ereignisse und erinnert sich entsprechend auch besser daran (umso besser, dass wir nicht vergessen, wo sich der Tiger für gewöhnlich versteckt hält). Während diese ursprüngliche Konditionierung in Gefahrensituationen sicherlich für unser Überleben notwendig ist, kann sie in anderen Situationen allerdings großes Leiden verursachen. Wenn wir uns zum Beispiel verloren oder deprimiert fühlen, macht es uns diese Veranlagung möglicherweise nur noch schwerer, wieder mit Gefühlen der Freude und des Wohlbehagens in Kontakt zu kommen.

Meditation gibt uns allerdings ein Mittel an die Hand, unser Nervensystem so zu trainieren, dass wir unsere Angriff-oder-Flucht-Reaktionen überwinden können. Bei dieser Neuorientierung lernen wir, unsere Gedanken und Gefühle als das zu erkennen, was sie sind, statt uns von ihnen überwältigen und davontragen zu lassen.

Botschaften unserer Kultur

Jene unter meinen Freundinnen und Freunden, die mit der Vorstellung der Erbsünde aufgewachsen sind, berichten häufig, dass sie seit frühester Kindheit Schuldgefühle wie ihr eigener Schatten begleiten. Häufig sind dies Gedanken wie: Ich bin von Geburt an schlecht; ich bin schon geschädigt zur Welt gekommen; mit mir stimmt etwas ganz grundlegend nicht. Selbst wenn solche Vorstellungen nicht bei uns allen aus unserer religiösen Erziehung oder unserem familiären Hintergrund stammen, sind sie doch Teil unserer Kultur und können sich in einem allgemeinen Gefühl der Unzulänglichkeit äußern: Nichts von dem, was ich bin oder tue, ist gut genug und wird es auch nie sein.

Für manche liegt die »Sünde« darin, dem »falschen« Geschlecht oder der »falschen« Ethnie anzugehören oder die »falsche« sexuelle Orientierung zu haben. Vielleicht haben wir daher das Gefühl, nicht dazuzugehören. Diese kulturellen Botschaften verringern nicht nur unsere Fähigkeit zu lieben und für uns zu sorgen, sie können auch unser Potenzial hemmen, da wir unter ihrem Einfluss oft unsere Erwartungen einschränken und unsere Träume bremsen. Gleichzeitig können Projektionen, die uns unser soziales Umfeld überstülpt, unseren Handlungsspielraum einengen. Vielleicht werden wir sogar Zielscheibe offenen Hasses und man bedroht unsere Sicherheit.

Der verstorbene brillante homosexuelle afroamerikanische Schriftsteller James Baldwin beschrieb in seinem Essay They Can’t Turn Back (Sie können es nicht zurücknehmen) seinen Prozess, mit solchen Botschaften ins Reine zu kommen: »Ich brauchte viele Jahre, um all den Dreck, den man mir über mich eingeredet hatte und den ich zur Hälfte glaubte, zu erbrechen, bevor ich mich wie jemand auf der Erde bewegen konnte, der das Recht hat, hier zu sein.«[2]

Möglicherweise werden wir auch von den allgegenwärtigen Botschaften unserer materialistischen Kultur überschwemmt, die – statt Charaktereigenschaften und emotionale Intelligenz zu fördern – größeren Wert auf Konkurrenz, sozialen Status und »Erfolg« legen. Das kann dazu führen, dass auch wir allzu leicht in die Falle tappen, uns ständig mit anderen vergleichen zu wollen. Und dabei verlieren beide. »Je mehr Sie sich in Bezug auf Ihren sozialen Status mit anderen vergleichen«, erklärt die Psychologin Sonja Lyubomirsky in ihrem Buch Glücklich sein, »desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie sich in die Gesellschaft schlechter Freunde begeben, und umso wahrscheinlicher werden Sie entsprechende negative Konsequenzen erleiden müssen … Ganz gleich wie erfolgreich, wohlhabend und vom Glück begünstigt wir sind, es wird immer jemanden geben, der uns noch übertrifft.«[3]

Wenn wir andauernd zu hören bekommen, dass wir geschickter, stets auf dem neuesten Stand, produktiver, reicher und was sonst noch alles sein sollten, bedarf es wirklich großen Mutes, sich die Zeit und die Freiheit zu nehmen, dem Fluss unserer Talente, Wünsche und unseres Herzens zu folgen, der uns möglicherweise in eine ganz andere Richtung führt.

Botschaften der Medien

Ging es Ihnen auch schon einmal so, dass Sie morgens aufwachten, völlig ausgeglichen und zufrieden waren und schließlich, in nur fünfzehn Minuten, in denen Sie Ihr Telefon auf entgangene Nachrichten checkten, mürrisch und eifersüchtig wurden, weil Sie dadurch den Eindruck bekamen, Ihnen fehle irgendetwas?

Viele von uns vertiefen sich inzwischen genauso lange in die Bilder unserer Displays, wie wir an der Welt außerhalb der elektronischen Geräte teilhaben. Subtil oder ganz offen versucht uns die Werbung glauben zu machen, dass wir unseren Körper mehr pflegen müssen, unsere Kleidung nicht gut genug oder unser Wohnzimmer nicht modern genug ist und wir nicht zu den richtigen Partys eingeladen werden – und all das mit dem Ziel, uns immer mehr zu verkaufen. Dadurch werden Dinge, die eigentlich eine Quelle des Genusses sein könnten, zur Ursache von Verunsicherung.

Der soziale Aktivist Jerry Mander glaubt sogar, dass die Medien vorsätzlich ein Bild vermitteln, um in uns Selbstzweifel, ein negatives Körperbild und Niedergeschlagenheit zu säen. Anschließend rührt man die Werbetrommel, um uns Dinge zu verkaufen, die dann angeblich für all dies die Lösung bieten.

Ganz gleich, was die Absicht dieser Botschaften ist, wir können uns ihrer bewusster werden. Wir können uns klarmachen, welche dieser Botschaften wir als unsere Glaubenssätze angenommen haben, und lernen, diese zu lockern und sie nach und nach sogar durch einen untersuchenden Geist, ein offenes Herz und spürbar stärkere Vitalität zu ersetzen. Auch wenn wir diese verinnerlichten Botschaften möglicherweise nicht zum Schweigen bringen werden, können wir sie doch in Frage stellen. Je mehr wir das tun, desto weniger aufdringlich sind sie und desto weniger schränken sie uns ein. Umgekehrt werden wir mit anderen – und unseren tiefsten Wünschen – freier und authentischer in Beziehung treten.

Beginnen Sie, wo Sie sind

Manche behaupten, wir müssten uns erst ganz und gar selbst lieben und annehmen, bevor wir andere lieben können. Ich habe das nie geglaubt. Ich kenne viele Menschen, die hart mit sich selbst sind und dennoch ihre Freundinnen und Freunde sowie ihre Familie zutiefst lieben und umgekehrt von ihnen ebenso geliebt werden – auch wenn es ihnen vielleicht nicht immer leichtfällt, diese Liebe anzunehmen. Wenn wir keinen inneren Reichtum empfinden und uns nicht selbst genügen, ist es allerdings nicht leicht, diese Liebe für andere über längere Zeit lebendig zu halten.

Wenn wir innerliche Armut verspüren, wird unsere Liebe zu anderen auch leicht zu einer Art Hunger – Hunger nach Anerkennung, Applaus und Bestätigung unseres Wertes. Haben wir das Gefühl, unvollständig zu sein, sind wir auf andere angewiesen, die diese Leere ausfüllen sollen. Die Rechnung kann jedoch nicht aufgehen, da wir von anderen niemals bekommen werden, was wir uns selbst nicht zu geben fähig sind. Man muss verstehen, dass Selbstliebe ein sich fortwährend entwickelnder Prozess ist, der mit der Zeit an Stärke gewinnt. Es gibt dabei kein vorab festgelegtes Ziel, das es zu erreichen gilt. Wenn wir uns auf diesen Prozess einlassen, konfrontiert uns dies täglich mit der Herausforderung, uns selbst liebevoll zu behandeln. Mit ganz einfachen Gesten des Respekts – wie Pflege des Körpers, Ruhe für den Geist und Balsam für die Seele in Form von Musik, Kunst oder Zeit in der Natur – können wir uns selbst Liebe schenken. Wirklich all unsere Handlungen – angefangen damit, wie wir reagieren, wenn wir nicht mehr in unsere Lieblingsjeans passen, bis hin zur Wahl dessen, was wir essen – können Selbstliebe oder Selbstsabotage ausdrücken. Und dies gilt auch für unsere Reaktion, wenn ein Fremder uns die Vorfahrt nimmt, wenn ein Freund etwas Verletzendes tut oder wenn wir eine ungünstige medizinische Diagnose bekommen.

Die afroamerikanische Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou schrieb in ihrem Buch Letter to My Daughter (Brief an meine Tochter): »Wir können, was uns widerfährt, vielleicht nicht immer kontrollieren, aber wir können den Beschluss fassen, uns davon nicht beherrschen zu lassen.«[4] Wie viele andere habe ich mit der Meditation aus dem Bedürfnis heraus begonnen, die Tendenz umzukehren, mich vom Leben vergessen zu fühlen.

Dennoch bedarf es besonderen Mutes, die rigiden Konturen unseres gewohnten Lebens in Frage zu stellen. Es ist gar nicht so einfach, unsere Vorstellungen, was die Ursachen des Glücks sind und was uns Freude schenkt, radikal zu hinterfragen. Aber es ist weitgehend möglich. Wir können tatsächlich neu bestimmen, wie wir uns selbst sehen, und die Liebe zu uns wiedergewinnen, zu der wir von Natur aus fähig sind. Das ist auch der Grund, warum ich Schülerinnen und Schüler ermutige, sich mit Abenteuergeist auf diesen Weg zu begeben, statt ihn als Prüfung zu sehen, bei der man durchfallen kann, was nur weitere Ängste schafft.

Während Liebe häufig idealistisch und süß dargestellt wird, ist Selbstliebe schon eine ernstere Angelegenheit. Um sich selbst zu lieben, brauchen Sie nichts auf rührselige Weise verleugnen. Auch erleben Sie wie alle anderen Menschen auf der Welt weiterhin Emotionen wie Wut, Begierde und Scham, aber gleichzeitig lernen Sie, diese Gefühle in einem größeren Rahmen, nämlich im Kontext der Weisheit, zu erfahren.

Wahre Liebe erlaubt Scheitern und Leiden. Wir alle haben Fehler gemacht, und einige davon waren folgenschwer. Dennoch können wir Wege finden, uns mit Güte mit ihnen in Beziehung zu setzen. Wenn Sie sich mit Selbstliebe begegnen, können Sie sich ändern, wachsen, wiedergutmachen und dazulernen, ganz gleich, mit welchen Problemen Sie konfrontiert werden oder welche Schwierigkeiten Sie sich selbst oder anderen bereitet haben. Wahre Liebe bedeutet nicht, sich aus der Verantwortung zu stehlen und Ihre Probleme zu ignorieren oder Ihre Fehler und Unzulänglichkeiten zu leugnen. Sie sehen sie in aller Deutlichkeit und entscheiden sich dennoch für die Liebe.

Der Mitgefühlsmuskel

Wahre Liebe beginnt damit, uns selbst Mitgefühl entgegenzubringen. In gewisser Hinsicht ist Mitgefühl mit uns selbst wie ein Muskel. Je mehr wir ihn trainieren – besonders wenn das Leben gerade nicht genau nach Plan verläuft (was für die meisten von uns häufig der Fall ist) –, umso stärker, anpassungsfähiger und flexibler wird er.

Katherine erklärt: »Der schwierigste Teil der Praxis war für mich, auf den intensiven Schmerz meiner Kindheit und Jugendjahre zu hören, ihn zu spüren und über ihn zu trauern. Ich war dem Schmerz zuvor aus dem Weg gegangen, und das hatte nach und nach mein Leben und meine Achtsamkeit zum Erliegen gebracht. Jetzt hat mein Herz jedoch wieder begonnen, sich für das Leben zu erwärmen, und ich bin nun fähig, auf neue Art für mich selbst, meinen Mann, meine Kinder und Enkel da zu sein.«

Wenn Katherine davon spricht, ihr Herz habe sich erwärmt, ist das mehr als nur eine Metapher. Die Psychologin Kristin Neff schreibt in einem ihrer Blogbeiträge: »Sobald wir die schmerzhaften Gefühle mit dem heilsamen Balsam der Selbstliebe lindern, ändert sich nicht nur unsere geistige und emotionale Erfahrung, sondern auch die Chemie unseres Körpers.« Sie bezieht sich auf Forschungen, die gezeigt haben, dass Selbstkritik zu steigendem Blutdruck und zur Ausschüttung von Adrenalin und des Hormons Cortisol führt – all dies als Folge des Flucht-oder-Angriff-Reflexes. Dahingegen lässt Mitgefühl uns selbst gegenüber den Spiegel von Oxytocin, dem »Bindungshormon«, ansteigen, wodurch wir mehr Vertrauen, größere innere Ruhe und Sicherheit empfinden und uns großzügiger verhalten.[5]

Der Ausgangspunkt für diese radikal neue Vorstellung von Liebe ist Achtsamkeit. Indem Sie ruhig dasitzen und sich auf den steten Fluss des Atems konzentrieren – darauf, wie Sie einatmen und schließlich wieder loslassen –, schaffen Sie Raum, sich mit sich selbst auf mitfühlende Weise zu verbinden. Der Atem gibt Ihnen ein erstes Werkzeug an die Hand, um Abstand von den Geschichten und dem künstlichen Bild, was Liebe sei, zu bekommen. So können Sie in die tiefe Quelle der Liebe, die in Ihnen ist und die Sie umgibt, eintauchen.

Nina wuchs mit strengen Eltern auf, die der Meinung waren, dass Spielen albern und überflüssig sei. Deshalb gaben sie ihrer Tochter die verschiedensten Aufgaben, um sie zu beschäftigen. Obwohl Nina sehr gerne sang, machten sich ihre Mutter und ihr Vater über sie lustig, da sie nicht richtig intonierte. Als ich sie bei einem Meditationskurs kennenlernte, erzählte sie mir, dass ihr gesamtes Leben eine schwierige Aufgabe sei, in dem es weder Platz für Spiel noch für ihre Leidenschaft zu singen gäbe. Doch in den Monaten nach dem Retreat begann sie mit all den Dingen, die man ihr einst verboten hatte, zu experimentieren. Kürzlich schrieb sie mir: »Ein Abend des Singens, auch wenn ich keine Stimme habe, ein Ingwertrunk, den ich auf kleiner Flamme köcheln lasse und ihn mit Tonnen von Honig süße, hilft, meine Vorstellung zu überwinden, es sei gefährlich, zu spielen. Ich bin dabei, vorsichtig meine Fühler in einen angsterfüllten Bereich zu strecken … Singen ist zu einem Vergnügen geworden, und ich lerne zu spielen.«

Die Ermahnung, nicht zu spielen, hätte bei uns allen dazu geführt, sämtlichen Gefühlen der Liebe mit geballten Fäusten und einem verkrampften Herzen zu begegnen. Sie schafft Ängste, blockiert sowohl unsere Stimme als auch die Lebensenergie und hält uns davon ab, uns der Welt so zu zeigen, wie wir wirklich sind – mit all unseren schrägen Tönen und allem, was dazugehört.

Liebende-Güte-Meditation

Viele von uns haben bereits vor langer Zeit die Hoffnung weitgehend aufgegeben, sich selbst wahre Liebe entgegenbringen zu können. Wenn wir jetzt beginnen, diesbezüglich neue Ansätze zu erforschen, müssen wir bereit sein, zu experimentieren, das Risiko einzugehen, mit unserer Achtsamkeit Neuland zu betreten, und ähnlich wie im Yoga, wo man den Körper dehnt, in diesem Fall den Geist, also den Horizont unserer Offenheit, zu erweitern. Wir suchen einen neuen Zugang zur Liebe, selbst wenn wir uns möglicherweise ihr gegenüber verschlossen haben oder glauben, über sie eigentlich bereits alles zu wissen.

Bei der Praxis der Liebenden Güte geht es darum, die transformierende und dynamische Kraft der Liebe zu kultivieren, die es uns erlaubt, zu erleben, dass sie nichts Statisches, Eingefrorenes oder von uns Getrenntes ist, wie viele von uns (und vielleicht auch wir selbst) irrtümlicherweise glauben. Entsprechend bringt Liebende Güte auch all die Zustände zum Vorschein, die wir für gewöhnlich erleben, wenn wir uns als von anderen getrennt wahrnehmen – Angst, die Empfindung, nicht zu genügen, Entfremdung und Einsamkeit. Die Praxis der Liebenden Güte durchdringt kraftvoll alle diese Gefühle, und wir beginnen nach und nach mit uns selbst Freundschaft zu schließen, statt uns weiterhin als unseren eigenen Feind zu betrachten.

Ganz im Gegensatz zu dem kitschigen Bild, das die Popkultur von Liebe zeichnet, voller Begehren und Besitzansprüchen, ist Liebende Güte offen, frei, nicht an Bedingungen geknüpft und im Überfluss vorhanden. Liebende Güte ist die Praxis, sich selbst und anderen den Wunsch zu schenken, glücklich zu sein, friedvoll, gesund und stark.

Für diese Wünsche wiederholen wir verschiedene Sätze, mit denen wir die Art, wie wir auf uns selbst und andere achten, ändern können. Wir experimentieren hauptsächlich in drei Bereichen mit der Liebende-Güte-Meditation: Auf welche Art sind wir achtsam? Dank der Praxis der Achtsamkeit lernen wir mehr und mehr präsent und ganz da zu sein, statt nur bruchstückhaft und abgelenkt.

Auf was achten wir? Wenn wir auf unsere eigenen Unzulänglichkeiten und die Fehler der anderen fixiert sind, müssen wir es lernen – ohne Erstere dabei zu verleugnen –, die andere Seite zu sehen, das Gute in uns, die Fähigkeit, uns zu ändern, die weiterhin in uns lebendig ist, auch wenn sie sich vielleicht manchmal unserem Bewusstsein entzieht und verdeckt ist.

Auf wen achten wir? Wir lernen jene mit einzubeziehen, die wir bislang geneigt waren auszuschließen, und wir lernen, jene anzusehen, durch die wir bislang lieber hindurchgesehen haben, da wir, ohne uns weiter darüber Gedanken zu machen, glaubten, sie seien für uns unwichtig oder zählten nicht. Wir wünschen ihnen Gutes in dem Bewusstsein, dass uns alle das Streben nach Glück verbindet.

Liebende Güte uns selbst gegenüber zu kultivieren ist die Grundlage für wahre Liebe – sowohl unseren Freunden und unserer Familie als auch neuen Bekanntschaften gegenüber und zu allen, die wir in unserem täglichen Leben treffen, zu allen Lebewesen sowie für das Leben selbst. Traditionellerweise beginnt man die Liebende-Güte-Meditation damit, sich diese zuerst selbst zu schenken, und fährt dann mit anderen Menschen fort, mit denen man in unterschiedlichem Maße verbunden ist oder Schwierigkeiten hat. Nachdem wir eine Weile mit uns selbst geübt haben, gehen wir in Gedanken langsam zu jemandem über, den wir bewundern und respektieren, dann zu einem Freund, schließlich zu einer neutralen Person wie zum Beispiel einem Angestellten in unserer Reinigung oder dem Laden an der Ecke. Erst dann beziehen wir Menschen, die für uns etwas schwierig sind, mit ein, und schließlich schenken wir allen Lebewesen Liebende Güte. Im folgenden Abschnitt konzentrieren wir uns auf Liebende Güte uns selbst gegenüber und vervollständigen den Bogen anschließend in den beiden späteren Übungen.

Wir können unsere Wünsche mit den dafür traditionellerweise benutzten Sätzen ausdrücken: »Möge ich in Sicherheit sein! Möge ich glücklich sein! Möge ich gesund sein! Möge ich sorglos leben.«

Manche bevorzugen stattdessen »Möge ich mich sicher fühlen, glücklich fühlen« oder Ähnliches zu sagen. Der letzte Satz »Möge ich sorglos leben« bezieht sich auf ganz konkrete Angelegenheiten des täglichen Lebens wie den Lebensunterhalt und die zwischenmenschlichen Beziehungen und drückt den Wunsch aus, das Leben möge kein solcher Kampf sein.

Fühlen Sie sich frei, mit diesen Sätzen zu experimentieren oder sie allesamt mit Sätzen zu ersetzen, die Sie mehr ansprechen. Einige häufig verwendete Alternativen sind: »Möge ich friedlich und ruhig sein«, »Möge ich von Liebender Güte erfüllt sein«, oder: »Möge ich ein leichtes Herz haben!«.

Unsere Sätze sollten allgemein und offen genug sein, um den Rahmen zu schaffen, uns selbst und anderen gegenüber auf andere Art Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Unsere Einstellung ist dabei die des Schenkens. Es fühlt sich wie ein Segen an – wir setzen uns keine konkreten Ziele und analysieren nicht, in welchen Bereichen wir noch besser werden können, wünschen uns also zum Beispiel nicht: »Möge ich besser in der Öffentlichkeit reden können.« Wäre es nicht besser, stattdessen unseren Nachbarn oder unserer Großmutter Gutes zu wünschen? Wir praktizieren bei jedem Satz innerlich Großzügigkeit.

Wir werden nicht die gewünschte Kraft der Konzentration entwickeln, wenn wir uns für jeden neuen Empfänger neue Sätze suchen. Natürlich sollten wir uns von unseren Sätzen nicht gefangen nehmen lassen, dennoch ist es ratsam, soweit möglich für verschiedene Empfänger den gleichen Satz zu verwenden. Die Wünsche, die wir wiederholen, sollten tiefgründig und in gewisser Weise nachhaltig sein – und nicht etwas Oberflächliches ausdrücken wie: »Möge ich nachher einen guten Parkplatz finden.«

Einführende Übungen

Einführung in Liebende Güte

Setzen Sie sich als Erstes bequem hin. Je nachdem, was Ihnen lieber ist, können Sie die Augen schließen oder sie geöffnet lassen. Legen Sie, wenn Sie wollen, vorab fest, wie lange Sie sitzen möchten, und stellen Sie dann einen Wecker oder benutzen Sie eine App. Sofern Sie noch nicht so lange meditieren, würde ich Ihnen raten, fünf bis zehn Minuten zu wählen. Suchen Sie dann drei oder vier Sätze aus, die am besten Ihre tiefsten Wünsche für sich ausdrücken, und beginnen Sie sie im Stillen zu wiederholen.

Machen Sie, während Sie die Sätze wie »Möge ich glücklich sein« wiederholen, dazwischen genügend lange Pausen, tun Sie es mit hinreichend Ruhe, in einem Rhythmus, der Ihnen guttut. Ein Freund von mir dachte anfangs, er bekomme größere Anerkennung, wenn er möglichst viele Sätze sagte. Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Sammeln Sie all Ihre Aufmerksamkeit jeweils bei dem Satz, bei dem Sie gerade sind.

Sie brauchen kein besonderes Gefühl hervorzurufen oder zu fabrizieren. Die Praxis bezieht ihre Stärke daraus, dass wir bei einem Satz vollkommen und aus ganzem Herzen präsent sind, sowie aus dem Wunsch, uns selbst und andere auf aufrichtige, wenn vielleicht auch ungewohnte Weise zu beachten. Falls Sie fürchten, sentimental oder unaufrichtig zu werden, ist es besonders wichtig, sich daran zu erinnern.

All dies unterscheidet sich von den Affirmationen des positiven Denkens, wo wir verschiedene Sätze wiederholen, mit denen wir zu uns sagen, dass es uns immer besser gehen wird und wir, so wie wir sind, perfekt sind. Wenn es sich nicht ehrlich anfühlt, oder falls es Ihnen vorkommt, als bettelten und flehten Sie (»Möge ich doch bitte jetzt schon glücklich sein!«), erinnern Sie sich daran, dass dies eine Praxis der Freigiebigkeit ist – Sie machen sich selbst das Geschenk der liebenden Aufmerksamkeit.

Möglicherweise finden Sie es hilfreich, diese Sätze mit dem Rhythmus des Atems zu verbinden oder Ihr Bewusstsein einfach auf den Sätzen ruhen zu lassen.

Sobald Sie bemerken, dass Ihre Aufmerksamkeit abgewandert ist, versuchen Sie, die Ablenkung behutsam loszulassen und zur Übung der Wiederholung der Sätze zurückzukehren. Machen Sie sich keine Sorgen, falls Sie oft abschweifen.

Wenn Sie dazu bereit sind, können Sie die Augen öffnen.

Liebende Güte empfangen

Alternativ hierzu können Sie auch mit einer anderen Übung experimentieren und sich Menschen vorstellen, die für Sie die Kraft der Liebe repräsentieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Ihnen ganz konkret geholfen haben oder ob sie Sie aus der Distanz inspirieren. Sie können jemanden aus Ihrem Umfeld, historische Persönlichkeiten oder sogar Wesen aus der Mythologie wählen. Ganz gleich, ob Sie einen Erwachsenen, ein Kind oder sogar ein Haustier aussuchen, versuchen Sie, den Betreffenden lebendig werden zu lassen und seine Präsenz zu spüren. Sie können ihn sich vorstellen oder im Stillen seinen Namen nennen.

Wiederholen Sie nun leise den Satz, der ausdrückt, was Sie sich am meisten für sich selbst wünschen. Stellen Sie sich dabei vor, die Sätze »Mögest du sicher sein«, »Mögest du glücklich sein«, »Mögest du gesund sein« oder »Möge dein Herz in Frieden sein« kommen von demjenigen, den Sie dafür ausgewählt haben, und wie Sie Empfänger seiner Energie, Aufmerksamkeit, Fürsorge oder seines Respekts werden.

Dabei können alle möglichen Gefühle auftauchen. Unter Umständen empfinden Sie Dankbarkeit und Staunen, möglicherweise aber auch Schüchternheit und Scham. Welche Emotion auch immer es sein mag – lassen Sie sie einfach durch Sie hindurchfließen. Orientieren Sie sich dabei an Sätzen wie »Mögest du glücklich sein«, »Mögest du zufrieden sein« oder welche Sätze auch immer, die Sie ausgesucht haben. Stellen Sie sich vor, die Energie, die Sie empfangen, strömt durch die Poren Ihrer Haut in Sie hinein. Sie brauchen nichts Besonderes zu tun, um sich diese Anerkennung oder diese Fürsorge zu verdienen, Sie erhalten sie allein schon deswegen, weil es Sie gibt.

Sie können die Sitzung damit beenden, die Liebende Güte und Fürsorge, die Sie erhalten haben, zu allen lebenden Wesen, wo auch immer sie sein mögen, fließen zu lassen. Das, was Sie erhalten haben, kann nun wiederum zu einem Geschenk werden. Die Qualität von Fürsorge und Güte, die es auf der Welt gibt, kann Teil von Ihnen werden und ebenso Teil dessen sein, was Sie im Gegenzug aus Dankbarkeit weiterschenken.

Und wenn für Sie der Augenblick dafür gekommen ist, können Sie die Augen öffnen und sich entspannen.

Liebe sein

Im ersten Monat nach unserer Eröffnung der Insight Meditation Society[6] im Februar 1976 hatten wir dort kein festes Programm, und so beschlossen diejenigen aus unserem Team, die vor Ort waren, sich selbst in ein Retreat zu begeben. Ich entschied, intensiv Liebende Güte zu praktizieren, etwas, was ich mir schon lange gewünscht hatte. Da ich keinen Lehrer hatte, der mich anleitete, stützte ich mich auf meine Kenntnis der Struktur dieser Praxis (die darin besteht, erst einmal sich selbst Liebende Güte zukommen zu lassen usw.) und begann.

Ich verbrachte die gesamte erste Woche damit, mir selbst Liebende Güte zu schenken. Allerdings spürte ich schlichtweg gar nichts. Keine Blitzschläge, keinen Moment des großen Durchbruchs – es war ehrlich gesagt ziemlich eintönig. Dann stieß einem Freund von uns, der in Boston lebte, etwas zu, und einige von uns mussten das Retreat unerwartet verlassen. Ich war gerade oben in einem der Badezimmer und machte mich für den Aufbruch fertig, als ich ein großes Gefäß umstieß. Es fiel mitsamt seinem Inhalt auf den gefliesten Boden. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass der erste Gedanke, der mir kam, »Du bist wirklich ein Tollpatsch, aber ich liebe dich« war. »Schau an«, dachte ich, man hätte wie auch immer versuchen können, mich davon zu überzeugen, dass die erste Woche etwas gebracht habe, und ich hätte es abgestritten. Doch jetzt sah ich, dass sich in dieser Zeit tatsächlich etwas auf einer tieferen Ebene geändert hatte.

Von dieser Art sind übrigens die Anzeichen, die zeigen, ob unsere Praxis Wirkung hat oder nicht. Es ist nicht sonderlich wahrscheinlich, dass wir die Früchte unserer Bemühungen während der formalen täglichen Praxis sehen, sondern eher in unserem alltäglichen Leben, und das ist natürlich, wo es zählt – wenn wir einen Fehler machen, wenn wir uns nicht gesehen fühlen, wenn wir feiern wollen, dass wir als Menschen fähig sind, uns um andere zu kümmern. Ob unsere Praxis Früchte trägt, zeigt sich auch, wenn wir einen Fremden treffen oder wenn wir mit Feindseligkeiten konfrontiert werden. Tut sie das, ist das einerseits unserer engagierten Praxis geschuldet und andererseits der Tatsache, dass man Liebende Güte ganz gleich, in welcher Situation wir uns befinden, leicht kontaktieren kann.

Ob unser Leben von Frustration bestimmt oder ob es von Glück genährt wird, hängt davon ab, ob wir von Selbsthass oder wahrer Liebe für uns selbst durchdrungen sind. Es gibt viele unterschiedliche Faktoren, die unsere Fähigkeiten zu wahrer Liebe für uns selbst entweder begrenzen oder stärken.

Kaia schrieb mir ihre Gedanken dazu: »Aufgrund von Gefühlen der Angst, der Ablehnung und des Schmerzes – Erfahrungen, die für die meisten von uns zu einer ›normalen‹ Kindheit oder zum ›normalen‹ Leben als Erwachsener dazugehören – trennte ich mich von dieser reinen Liebe ab, zumindest für einen Teil der Zeit. Ich kam zu der Überzeugung, dass Liebe für die meisten von uns häufig schmerzhaft ist und uns verletzlich macht. Sie ist wie ein Goldstück, von dem wir wissen, dass es tief in uns ist vergraben liegt, und von dem wir glauben, es um jeden Preis behüten zu müssen. Und oft tun wir das sogar, ohne es zu bemerken.«

1Die Geschichten, die wir uns erzählen

Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben.

– Joan Didion–

Selbst die neuronalen Vernetzungen in unserem Gehirn dienen dazu, unser Erleben und unsere Wahrnehmungen zu kohärenten Geschichten zu ordnen. Diese Geschichten werden zu unserem Anker. Sie erzählen uns, wer wir sind, was am wichtigsten ist, wozu wir fähig sind und worum es uns in unserem Leben geht.

Etwas geschieht in unserer Kindheit – sagen wir einmal, ein Hund beißt uns –, und sofort wird für uns daraus eine Geschichte, mit der wir uns identifizieren. Von nun an ängstigt uns jeder Hund, und noch Jahre später bekommen wir Schweißausbrüche, wenn sich ein solcher Vierbeiner uns auch nur nähert. Wenn wir die Sache aber eines Tages genauer betrachten, stellen wir vielleicht fest, dass wir uns aufgrund der Erfahrung mit einem einzigen Vertreter ein Bild von einer ganzen Spezies gemacht haben und dass dies nicht notgedrungen für alle Hunde gilt.

Die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, sind die zentralen Themen unserer Psyche. Wenn ein Elternteil ein emotional bedürftiger Alkoholiker war, führt dies möglicherweise – unbewusst – dazu, dass wir später glauben, es sei unsere Aufgabe, uns um absolut alle und jeden zu kümmern, selbst wenn das zu unserem eigenen Nachteil ist. Wenn man bei uns als Erwachsene eine schwerwiegende Krankheit diagnostiziert, glauben wir unter Umständen, die Erkrankung hätten wir uns selbst zuzuschreiben. Wir kreieren eine Geschichte um die Sache und reden uns beispielweise ein, die Erkrankung käme daher, dass wir uns nicht gesund genug ernährt oder eine unheilsame Beziehung nicht früh genug beendet hätten. Solange wir solche grundlegenden Annahmen über uns selbst nicht in Frage stellen, sondern sie weiterhin als fest, statt als veränderbar ansehen, neigen wir dazu, solche etablierten Muster zu wiederholen. Wir reinszenieren im heutigen Leben die Geschichten von früher, die unsere Fähigkeit beeinträchtigen, zu leben und uns selbst mit einem offenen Herzen zu lieben.

Glücklicherweise versetzen wir uns bereits in dem Moment, in dem wir uns fragen, ob eine solche Geschichte überhaupt wahr ist, in die Lage, uns neu auszurichten. Wir beginnen zu bemerken, dass annähernd alles, was wir uns über uns selbst erzählen, je nachdem, aus welcher Perspektive wir es betrachten, in verschiedenem Licht erscheinen kann. Manchmal sind wir der Held unserer Geschichten und manchmal ihr Opfer.

Ich muss in diesem Zusammenhang an Jonah denken, der in seiner Familie der Erste war, der das College[7] besuchte. Es war nicht einfach, aufgenommen zu werden. Als er es schließlich geschafft hatte, musste er nebenbei arbeiten, um seine Studien zu finanzieren, was bedeutete, dass er mit langen Schichten bei seinem Job und einem beachtlichen Pensum im Studium zu jonglieren hatte. Es bedurfte einer gewaltigen Anstrengung, um in den Seminaren den Anschluss nicht zu verlieren. All diese Hindernisse, die er schließlich zu überwinden vermochte, waren jedoch, wie er heute stolz erzählt, der Schlüssel zu seinem Erfolg. Jonah schaffte den Abschluss und fand eine gute Arbeit, bei der er seine Partnerin kennenlernte. Jetzt, ein Jahrzehnt nach seinem Studium, sagt er: »Schau, wie weit ich gekommen bin!«

Doch Jonah könnte seine Geschichte auch anders erzählen und dabei sein Leid mehr in den Mittelpunkt rücken. In dieser Version gäbe es mehr Erinnerungen an einsame Nächte, an das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, und an die Sorgen, für einen Hochstapler gehalten zu werden. Es ginge vielleicht mehr darum, dass er damals den Eindruck hatte, die Welt habe sich gegen ihn verschworen, und darum, wie ihn die Leute herabgewürdigt hatten. Seine Geschichte bliebe weiterhin heldenhaft, allerdings wäre sie mehr von Frustration und Bitterkeit gekennzeichnet.

Viel von dem, was wir in Bezug auf Liebe erlebt haben und unser Bild von ihr prägte, gleicht der schmerzhaften Fassung von Jonahs Werdegang. Wir neigen dazu, uns die Verluste und Niederlagen der Vergangenheit selbst zuzuschreiben, anstatt sie mit Mitgefühl zu betrachten. Und in Bezug auf die Gegenwart füllen wir die weißen Flecken auf der Landkarte unserer Erfahrungen meist auf folgende Weise aus: Ein Freund oder eine Freundin ruft nicht zur vereinbarten Zeit an, und wir glauben sofort, dass er oder sie uns vergessen hat, obwohl in Wirklichkeit das kranke Kind zum Arzt musste. Unser Chef will uns sprechen, und wir sind sofort überzeugt, dass wir etwas falsch gemacht haben, obwohl er uns einfach nur ein neues Projekt zuweisen möchte. Da wir uns nicht bewusst sind, dass wir andauernd eine Geschichte spinnen, kann dies zu Ängstlichkeit und Depression führen. Gleichzeitig mindert es die Zuversicht hinsichtlich der Zukunft und raubt uns den Selbstwert.

Einer meiner Schüler schrieb früher seine mühevolle Ehe und Scheidung und andere »gescheiterte« Beziehungen in seinem Leben dem Selbstbild, er sei nicht liebenswert, und seinen vielen Selbstvorwürfen zu. »Ich bin so dünnhäutig, weil ich mich rund um die Uhr fertigmache«, sagt er. »Wäre ich in meinen früheren Beziehungen mitfühlender gewesen, könnte ich besser mit anderen Menschen umgehen.« Mit Hilfe einer Psychotherapie und der Meditation konnte er das negative Selbstbild, das er angenommen hatte, hinterfragen und lernte es, dem ununterbrochenen Geschwätz des inneren Kritikers keine Beachtung mehr zu zollen.

Nachdem ihr Partner sich kürzlich von ihr getrennt hatte, beschuldigte Diane sich sofort selbst, »nicht liebenswert« zu sein, und das, obwohl auch sie ernsthafte Zweifel gehegt hatte, ob die Beziehung überhaupt eine Zukunft habe. Doch anstatt innezuhalten und mit Achtsamkeit und Mitgefühl zu sich selbst zu erkunden, was die Ursache ihres Selbstbildes war, nicht liebenswert zu sein, sprang sofort das entsprechende negative Muster an, sich selbst die Schuld zu geben, das sie bereits in der Kindheit entwickelt hatte.

Wenn uns ein Freund oder eine Freundin sagt: »Ich bin nicht viel wert. Ich bin uninteressant. Ich habe so oft versagt und deswegen liebt mich niemand«, erwidern wir normalerweise sofort Worte wie: »Ich mag dich, und deine anderen Freunde mögen dich auch. Du bist ein guter Mensch.« Den negativen Äußerungen, die tagtäglich unseren Geist erfüllen, widersprechen wir hingegen oft nicht.

Dabei könnten wir uns stattdessen fragen: Wie würde ich die Geschichte erzählen, wenn ich sie mit den Augen der Liebe betrachtete?

In verschüttete Geschichten eintauchen

Häufig sind Sinneseindrücke die Tore zu früheren Geschichten: Wir assoziieren unsere Wahrnehmungen schnell mit Ereignissen, die vor langer Zeit geschahen. Wir riechen den Duft frischer Heidelbeermuffins, und schon erinnert er uns an unsere Kindheit, als die Heidelbeeren wild im Garten des Strandhauses unserer Familie wuchsen. Und dann ist es um uns geschehen: Wir riechen regelrecht die Seeluft, schmecken die Muscheln, die wir auf hohen Stühlen an der Strandpromenade sitzend aßen, und dies versetzt uns in die furchtbare Nacht zurück, als Papa sich betrank. Die glasklare Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse dieser Nacht wird wahrscheinlich vom Gedanken begleitet sein, dass er uns nie wirklich geliebt hat, gefolgt von einem Zeitsprung in die Gegenwart: Vielleicht tauge ich nicht für die Liebe. Vielleicht werde ich nie geliebt werden.

Solche Prozesse laufen weitgehend unbewusst ab. Das Unbewusste ist ein riesiges Lagerhaus an Erfahrungen und Assoziationen, das das Erlebte weit schneller einordnet als unser normales Bewusstsein, das langsamer ist und hart arbeiten muss, um Zusammenhänge herzustellen. Obendrein arbeitet das Unbewusste mit einigen sehr starken Verzerrungen und neigt dazu, den erlittenen Schmerz sogar noch zu betonen.

In einigen Fällen stammen die uns bedrängenden Geschichten, die wir um uns gewoben haben, nicht einmal von uns selbst. Unbewusst leben wir vielleicht erneut die Ängstlichkeit unserer Mutter, die Enttäuschungen unseres Vaters oder die nicht aufgearbeiteten Traumen, die unsere Großeltern erlitten: »So wie wir unsere Augenfarbe und unsere Blutgruppe erben, können wir auch die Überbleibsel von traumatischen Erlebnissen in unserer Familie ererben«, erklärt Mark Wolynn, Autor des Buches Dieser Schmerz ist nicht meiner[8].