Mikis Theodorakis - Wassilios Aswestopoulos - E-Book

Mikis Theodorakis E-Book

Wassilios Aswestopoulos

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Beschreibung

Mikis Theodorakis von Wassilis AswestopoulosOhne Brille liest der 92-jährige Mikis Theodorakis auf einem Tablet Nachrichten, kommentiert sie, erzählt Analogien zu gelebter Geschichte. Theodorakis war Partisan, Verbannter, er überlebte brutale Folter und Weggefährten wie Fidel Castro und Mosche Dajan. In seinem Wohnhaus herrscht reger Besucherverkehr. Politiker, Musiker, Freunde und Journalisten holen sich Rat bei Griechenlands lebender Legende. Von ihren einstigen Herrchen ausgesetzte Hunde finden hier ihreHerberge. "Die sind wie ich, alt und gebrechlich", sagt der mit seinem Tod Kokettierende. Dennoch schmiedet er Pläne. Im Sommer steht eine Konzertreise nach Deutschland an. "In Deutschland Geborene haben Glück! Sie wachsen in einem Land auf, in dem es weniger Missgunst gibt", philosophiert er und erzählt von seinem Traum, die ewig zerstrittenen Griechen endlich einig zu erleben. Seine Musik hat vieles und viele vereint. Die Bouzouki, das lange verbotene Instrument der Griechen Kleinasiens kombinierte er mit dem von ihm erfundenen Tanz, dem Sirtaki. Theodorakis Vertonung der Mauthausen-Kantate des KZ-Überlebenden Jakovos Kambanellis ist ein Fanal für die Liebe der Opfer einer der schwärzesten Perioden der Menschheit. Theodorakis provoziert mit Gegensätzen, um zu einen. Und er erzählt darüber mit Worten, Musik und Taten.

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Komponist. Friedensstifter. Volksheld.

 

Mikis Theodorakis

von Wassilis Aswestopoulos

 

 

 

 

 

 

kurz & bündig Verlag | Frankfurt a. M. | Basel

»... weil ich der Gesellschaft mein Bestes vermachen wollte, die Musik!«

Mikis Theodorakis

Vorwort

Das vorliegende Buch will einen Einblick in die Persönlichkeit des griechischen Komponisten und Politikers Mikis Theodorakis geben. Stets nach Harmonie strebend, provoziert Theodorakis sein Leben lang mit Gegensätzen, um zu einen. Und er erzählt davon mit Worten, Musik und Taten.

Bereits als Kind hatte ich das Glück, ihn hautnah zu erleben, als er Aachen während der Militärdiktatur zu einem der griechischen Widerstandszentren machte. Hier trug der Exilant Anfang der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts im griechischen Restaurant Dinosaurus zum ersten Mal öffentlich seine 18Lianotragouda tis Pikris Patridas (Die kleinen Lieder der bitteren Heimat) vor.

Seine Konzerte im Audimax der RWTH Aachen waren politische Ereignisse für die Griechen und ein Erlebnis für die Einheimischen, die die Junta nicht mochten und die Dynamik seiner Musik liebten. Für mich als Kind war das Besondere, dass unzählige Menschen einen großgewachsenen Hünen anhimmelten und ihn gleichzeitig wie einen Freund mit seinem Vornamen, Mikis, anredeten.

Bei einem Konzert versuchte ich, den Moment mit einer kleinen Pocketkamera zu verewigen. Es misslang. Geblieben ist die Sehnsucht, die Vita des Maestros zu protokollieren.

Quellen für dieses Buch sind Gespräche mit Theodorakis, seine Interviews und seine Bücher, eigene Erlebnisse, der Wissensschatz meines Freundes und Theodorakis-Chronisten Asteris Koutoulas und die Arbeiten des befreundeten Journalisten Hansgeorg Hermann. Ich hatte das Vergnügen, beide bei einem Teil ihrer Arbeit begleiten zu dürfen, wofür ich ihnen hiermit noch einmal meinen Dank aussprechen möchte. Ohne diese Hilfe wäre der Versuch, dieses Buch zu verfassen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Theodorakis selbst fragte bei den vorbereitenden Gesprächen zu dieser Biographie: »Wie willst du das Material der ganzen Jahre erfassen?«

Den Alltag und die politischen Entwicklungen kommentiert er gern mit Anekdoten und chronologischen Querverweisen aus seinem Leben. Aus der Diskussion über ein tagespolitisches Ereignis entwickelt sich im Dialog mit Theodorakis stets ein Diskurs über die jüngere griechische Geschichte und das Eigenleben seiner künstlerischen Kinder, der Musik und der Poesie. Den Komponisten Theodorakis vom Politiker oder Poeten Theodorakis zu trennen ist unmöglich.

Dieses Porträt kann aufgrund seiner Kompaktheit keineswegs alle Ereignisse aus dem reichen Erlebnisschatz des Mikis Theodorakis wiedergeben. Sie soll jedoch einen Einblick in die Person Theodorakis vermitteln, wie sie von seiner Umgebung, aber auch von ihm selbst wahrgenommen wird.

Chalkida, 22. März 2018

Bei Mikis zu Hause

Theodorakis stellt sich vor

»Wenn ich heute jung wäre, würde man mich als Terroristen bezeichnen«, sagt Mikis Theodorakis 2013 im Film Recycling Medea über sich selbst. Kaum eine Persönlichkeit hat Griechenland in den vergangenen hundert Jahren so nachhaltig beeinflusst wie der heute zweiundneunzigjährige Komponist, Politiker und Partisan.

Wer denkt nicht an Bouzouki und Sirtaki, wenn es um die Kultur der Griechen geht? Der Sirtaki ist jedoch kein traditioneller Volkstanz, sondern schlicht Theodorakis’ Erfindung für den 1964 gedrehten Film Alexis Sorbas.

Zur damaligen Zeit war es im konservativ geprägten Land ein kultureller Affront, Hand an einen traditionellen kretischen Syrtos zu legen. Dazu kam, dass Theodorakis als Instrument die Bouzouki wählte, ein verrufenes Saiteninstrument, das bevorzugt von der Unterschicht der 1922 nach Griechenland geflüchteten Kleinasiengriechen benutzt wurde. Ein Instrument des Rebetiko, ein verfälschter Tanz und die Romanvorlage des von der Kirche verstoßenen kretischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis machten Griechenlands größten Kinoerfolg möglich. Und Zorba’s Dance (wie er im Original hieß) rettete seinen Schöpfer vor der Exekution, als er, zu Zeiten der Militärdiktatur Griechenlands 1967 bis 1974, als Terrorist eingestuft wurde.

Die beschriebene Szene spielte sich mitten im Zentrum Athens ab, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Archäologischen Museum und der Technischen Universität in der Bouboulinas-Straße Nr. 20 im Stadtteil Exarchia. Dort, in der Zentrale der Staatssicherheit, wurden die Oppositionellen von den Obristen eingesperrt und gefoltert. Zur Abschreckung der Bevölkerung fanden auf dem Flachdach des Gebäudes zahlreiche Folterungen statt. Ein Polizeioffizier hatte Theodorakis auf dieses Dach gezerrt. »Jetzt wirst du sterben«, drohte er und hob die Waffe.

Seelenruhig pfiff Theodorakis dem Mann, der seine entsicherte Waffe auf ihn gerichtet hatte, die Melodie des Sorbas vor. »Ein Leben lang wirst Du sie überall hören und wissen, dass Du ihren Schöpfer erschossen hast«, sprach er und verunsicherte seinen potentiellen Mörder derart, dass dieser von seinem Vorhaben Abstand nahm.

Der harte Kreter und seine Zigarren

Solche Geschichten erscheinen auf den ersten Blick wie aus einem Politthriller gegriffen. Für zahlreiche derartige Filme hat Theodorakis die Musik geschrieben, doch umgekehrt haben Szenen aus seinem Leben auch die Vorlagen für Drehbuch- und Romanautoren geliefert. Der Film Z etwa, zu dem Theodorakis die Musik beisteuerte, arbeitete bereits 1969 die Schrecken der Militärdiktatur auf.

Seine entwaffnende Ruhe, die Theodorakis vor dem drohenden Tod durch den Henker bewahrte, ist typisch für ihn. Der Mann, der vor Emotionen strotzende Lieder und Orchesterwerke komponiert hat, ist auf den ersten Blick ein kühler und berechnender Kopf. Wie ein moderner Aristophanes liebt er es, seine Gesprächspartner mit leicht ironischem Unterton aus der Ruhe zu bringen. Selbst in den emotionalsten Momenten behält er seinen Humor, der sich oft durch einen gegen die eigene Person gerichteten Sarkasmus auszeichnet. Freunde und Feinde beschreiben ihn als harten, disziplinierten Menschen, wobei Härte nicht mit übermäßiger Strenge zu verwechseln ist. Ohne sie hätte er die zahlreichen Prüfungen seines Lebens nicht überstehen können.

Der Musiker ändert seine Tonlage nur, um zu singen. Ansonsten genießt er es, seinen Gesprächspartnern mit seiner sonoren Stimme in einem konstanten, ruhigen Tonfall zu antworten. Von sich selbst sagt Theodorakis, dass er nicht leicht zum Weinen zu bringen sei.

Er ist stolz auf seine Herkunft von der Insel Kreta. Die Kreter, ein traditionsbewusstes Volk, zelebrieren die Männlichkeit noch heute in einer archaischen Form, ohne ins Machohafte zu verfallen. Auch in seinem zehnten Lebensjahrzehnt behält Theodorakis diese Lebensweise bei, und dazu gehört das Festhalten an alten Gewohnheiten, die der Meister aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit zum Teil allerdings modifizieren muss. In jüngeren Jahren war Theodorakis ein fanatischer Raucher. Auftritte in Staaten des Warschauer Pakts oder auf Kuba ließ er sich gern in Naturalien bezahlen und erhielt das Honorar in Form seiner heißgeliebten Zigarren. Heute käme er niemals auf die Idee, sich eine anzuzünden, da der Genuss nur von kurzer Dauer wäre und wegen seiner Atemprobleme dem Selbstmord gleichkäme.

Stattdessen sitzt er entweder in seinem Wohnzimmer oder in seinem Büro im Sessel und knabbert stundenlang an einer Zigarre herum. Er hält sie in der Hand, riecht an ihr und behandelt das kostbare, in Handarbeit produzierte Tabakprodukt wie einen kleinen Schatz. Mit solchen Nuancen offenbart Theodorakis seinen Gesprächspartnern oder seinem Publikum einen Einblick in seine intensive Gefühlswelt. Dazu kommen seine Mimik und Gestik. Wenn er lacht, wirkt er trotz seines Alters keck wie ein Schulbube. Im persönlichen Dialog erscheint er keineswegs als über neunzigjähriger Greis, vielmehr wie ein junger, energiegeladener Mensch mit reichem Erfahrungsschatz. Ein Widerspruch? Nicht für den ewig rebellischen Mikis.

Theodorakis schafft es bei Gesprächen, gleichzeitig Optimismus und bedrückenden Realismus zu verbreiten, ohne sich selbst zu widersprechen. »Der Mensch ist ein Fehler der Natur, weil er einen riesengroßen Widerspruch in sich trägt: Er kann nicht allein leben, aber auch nicht mit anderen zusammen. Das lehren uns die menschliche Geschichte und unsere eigenen Erfahrungen«, erschreckte er Koutoulas in einem Gespräch. Lachend konnte er dieser Vision, die er mit dem menschlichen Egoismus begründet, eine positive Seite abgewinnen: »Wenn der Mensch von der Erdoberfläche verschwindet – was eine sehr tröstliche Vorstellung ist –, wird die Natur glücklich sein, die Tiere werden glücklich sein. Die Flüsse werden wieder frei fließen. Die Wälder des Amazonas werden wieder sprießen. Denn die Natur ist eins mit sich … Allein der Mensch ist ein Missklang der Natur, und darum hat er seinen Untergang verdient.«

Die Griechen lieben ihn für seine Harmonien, seinen Optimismus, seinen Humor und seine realistischen Analysen. Gleichzeitig aber hassen sie ihn sehr oft aus den genau gleichen Gründen.

Sein musikalisch und gesellschaftspolitisch gelebtes Konzept, die Menschen über Gegensätze zu einen, lässt ihn in den Augen rechter Kritiker als gefährlichen Linken erscheinen. Die Linken hingegen beschimpfen Theodorakis wegen seinen als rechtsnational empfundenen Positionen.

Die akademische Musikwelt beurteilt Theodorakis als Volks- oder Popmusiker. Für Vertreter dieser Genres ist er dagegen ein klassischer Komponist. Freunde derweil bezeichnen ihn gern als einen »musikalischen Anarchisten«. Die schrägste, aber auch gleichzeitig schönste musikalische Einordnung fand sich zu Theodorakis’ 90. Geburtstag auf der Internetseite des Musikmagazins Status Quo: »Respekt an Theodorakis: einer der letzten True Metaller jenseits der Alpen.«

Das Wohnhaus – Treffpunkt und Museum

Theodorakis’ Wohnhaus ist ein lebendiges Museum seines Wirkens. An den Wänden seines Arbeitszimmers hängen imposante gemalte oder fotografierte Porträts und Poster des Maestros. Sie zeigen Theodorakis, wie man ihn von den Covern seiner CDs kennt: leidenschaftlich ein Orchester dirigierend oder verschmitzt und weise den Betrachter anblickend.

Dazwischen befinden sich an den Wänden und auf den Regalen, die mit Büchern und Partituren vollgestopft sind, kleinere Fotos von anderen Musikern und Freunden. Jedes Foto, jedes Buch hat seine eigene Geschichte. Ein Blick auf die Wände vermittelt dem Betrachter den Querschnitt eines ausgefüllten Lebens. Der Raum wirkt keineswegs steril, nichts scheint zufällig an seinem Platz zu sein.

Das unscheinbare Haus mit seiner kleinen Einliegerwohnung liegt am Fuß des bewaldeten Philopapposhügels, direkt gegenüber vom Areopag, auf dem die Akropolis thront. Hier ist das milde attische Klima, das Athen einst ausmachte, noch spürbar. In unmittelbarer Umgebung befand sich in der Antike das Gefängnis, in dem der Philosoph Sokrates den Schierlingsbecher trank. Knapp 600 Meter von Theodorakis’ Wohnhaus entfernt begründete Perikles im fünften Jahrhundert mit seiner Grabrede auf die im Peloponnesischen Krieg gefallenen Athener die Demokratie. Auf dem genauso weit entfernt liegenden Areopag-Felsen verkündete Apostel Paulus das Christentum und damit die Kultur des Abendlandes. Gäbe es eine definierte Grenze zwischen Orient und Okzident, müsste sie exakt hier liegen.

Angesichts der Vita und des Werks von Mikis Theodorakis könnte kaum ein Ort besser zu ihm passen als das Haus am Philopapposhügel. Es besteht aus relativ kleinen Zimmern und hat eine steile, enge Treppe, die die beiden Wohn­ebenen verbindet. Theodorakis kam durch einen Zufall an die Immobilie in der heute perfekten Lage.

Nach ersten Plattenverkäufen, damals mit nur zweiprozentiger Umsatzbeteiligung, war er auf der Suche nach einer Wohnung für seine junge Familie. In Griechenland war es damals üblich, Wohnraum eher zu erwerben, als zu mieten. Ein »ungeschriebenes Gesetz« der nationalkonservativen Machthaber »untersagte« es Linken, ein Domizil in einem definierten Radius um den Königspalast zu beziehen. Theodorakis hatte trotzdem ein Haus im inoffiziellen Sperrbezirk gefunden und sogar den Kaufpreis vereinbart. Die Wohnung befand sich in unmittelbarer Nähe zum Wohnhaus der damals beliebtesten Schauspielerin, Aliki Vougiouklaki.

Alles lief perfekt, bis Theodorakis’ Gattin Myrto die Kaufsumme beim Vertragsabschluss überbringen wollte. Erst da realisierte der Verkäufer, dass er an den Komponisten Theodorakis, den Linken, verkaufen wollte. »Das Haus ist unverkäuflich«, wurde Myrto ohne weitere Begründung entgegengeschleudert. Verzweifelt und gedemütigt verließ sie das Treffen. Zufällig stieß das Ehepaar wenig später bei einem Spaziergang auf das Haus am Philopapposhügel. Es stand zum Verkauf – sie hatten das Geld und griffen sofort zu.

Ein Ort der Prüfungen – Mauthausen und Tsipras

Millionen Touristen besuchen jedes Jahr die antiken Denkmäler in der unmittelbaren Nachbarschaft von Theodorakis. Im Salon vor der imposanten Terrasse wurde und wird dagegen ein Teil der jüngeren griechischen Geschichte geschrieben. Fast scheint es, als würde Theodorakis diesen Raum bewusst für Prüfungen einsetzen, in politischen Fragen, aber auch bei der künstlerischen Besetzung eines seiner wichtigsten Werke.

In einem Chor hatte Theodorakis die sechzehnjährige Maria Farantouri entdeckt, die von einem Poliomyelitis-Leiden gezeichnet war und in der Musik ihren Lebenssinn gefunden hatte. Obwohl sie über keinerlei strukturierte klassische Ausbildung verfügte, schrieb Theodorakis ihr die Vertonung der Ballade von Mauthausen »auf die Stimme«. Eines der Lieder aus dem im Dezember 1965 erschienenen Mauthausen-Zyklus des KZ-Überlebenden Jakovos Kambanellis, das Asma Asmaton (Gesang der Gesänge), beschreibt die Liebe in Europas dunkelster Epoche im Konzentrationslager – mit dem Tod vor Augen.

Alle Strophen sind eine Hommage an die Opfer des Holocaust. Die drei Schlussverse von Kambanellis fassen mit wenigen Worten eines seiner zentralen Themen zusammen – den Verlust geliebter Menschen in einer unmenschlichen Tötungsmaschine:

Mädchen von Mauthausen,

Mädchen von Belsen,

habt ihr nicht meine Liebe gesehen?

Wir haben sie auf dem eisigen Platz gesehen

mit einer Ziffer auf ihrem weißen Arm,

mit einem gelben Stern auf dem Herzen.

Wie schön sie ist, meine Liebe,

die von ihrer Mutter

und den Küssen ihres Bruders Verwöhnte.

Niemand hat je gewusst, dass sie so schön ist.

Das gesamte Lied beschreibt aus der Sicht des suchenden, liebenden Mannes das Schicksal einer jungen Jüdin und ihren Weg in den Tod. Kambanellis’ Werk, ein Tabubruch, konnte nur durch die Vermittlung des berühmten Schriftstellers Vassilis Vassilikos einen Verleger finden.

»Bereits beim ersten Lesen hörte ich im Kopf die Melodie«, erklärte Mikis seine Vertonung.

Der Liedzyklus der Ballade von Mauthausen wurde später als musikalischer Rahmen für die Verleihung des Friedensnobelpreises 1994 an die israelischen Politiker Jitzchak Rabin und Shimon Peres sowie den Palästinenserführer Yasser Arafat ausgewählt. Im Griechenland der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts wurde das Werk dagegen als Affront gegen Mitglieder der herrschenden Klasse wahrgenommen, da sich viele an den verfolgten Juden bereichert hatten.

Theodorakis, der linke Politiker und Komponist, wagte die Vertonung und testete in seinem damaligen Haus seine Interpretin. Die junge, sensible Maria Farantouri meisterte die Herausforderung, und das Werk ebnete ihr den Weg zur internationalen Karriere – heute ist sie eine der berühmtesten Sängerinnen Griechenlands.

Knapp fünfzig Jahre später scheiterte ein weiterer jugendlich wirkender Mensch an seiner Prüfung. Der frisch gewählte griechische Premierminister Alexis Tsipras eilte am 26. Januar 2015 nach seiner Vereidigung zu Theodorakis, um sich in dessen Wohnzimmer den Segen zu holen. Doch Theodorakis hatte statt guter Wünsche viel Kritik für den seinerzeit vom Wahlvolk noch als aufstrebenden Retter Griechenlands angesehenen Tsipras. Theodorakis warf ihm schon damals falsches Spiel vor, und er gehört bis heute zu den profiliertesten Kritikern des Ministerpräsidenten.

Das Arbeitszimmer eines aktiven Seniors

Theodorakis veröffentlicht regelmäßig Kolumnen über die aktuellen politischen Entwicklungen im Land. Sein Wohnhaus ist aber auch weiterhin eine Pilgerstätte für die Jünger seiner Musik. So flog etwa der fern der Heimat aktive russisch-griechische Dirigent Theodor Currentzis am 18. Februar 2018 eigens für einen Nachmittagskaffee mit Theodorakis nach Athen. Es war mehr als ein reiner Höflichkeitsbesuch, denn der alte Meister ist immer noch im Musikgeschäft tätig.

In seinem Arbeitszimmer plant Theodorakis trotz seiner gesundheitlichen Probleme für Mai 2018 eine Konzertreise nach Deutschland. Von hier aus dirigiert er seinen Mitarbeiterstab, wenn er Archivmaterial für einen seiner Kommentare zur politischen Situation in Griechenland sucht.

Eine Couch und ein Sessel bieten Besuchern Platz. Ein Schreibtisch am Rand des Zimmers fällt erst auf den zweiten Blick ins Auge. Im Zentrum des Raums thront Theodorakis auf einem bequemen Fernsehsessel, der es ihm gestattet, die Füße hochzulegen. Nicht nur im Winter, auch im Sommer wärmt der Musiker seine Beine mit einer Decke. Er leidet unter den Folgen der Folter, die er in jungen Jahren erleiden musste.

Die Sieger des griechischen Bürgerkriegs 1946 bis 1949, eine aus Royalisten, Zentristen und ehemaligen Kollaborateuren der deutschen Besatzer gebildete Koalition, sperrten Linke, Kommunisten und liberalen Gedankenguts Verdächtige in Verbannungslager auf griechischen Felseninseln wie Makronissos. Dort wurden Theodorakis die Knochen gebrochen.

Der großgewachsene Kreter wirkt auch im Alter, das ihn in den Rollstuhl zwang, wie ein Gigant. Seine bevorzugte Position im Raum unterstreicht dies. Von seinem Sessel aus hat Theodorakis sowohl die Zimmertür als auch seine Besucher im Blick. In seiner Hand hält er gern ein Tablet, mit dem er im Internet surfen und sich stets über die neuesten Nachrichten und Entwicklungen im In- und Ausland informieren kann. Inmitten seiner Schaltzentrale hat Theodorakis eine Ecke für Hunde eingerichtet. Still sitzt dort ein teilnahmslos wirkender Vierbeiner.

Ein Herz für verstoßene Hunde

Das Haus in einem der teuersten Wohnbezirke Athens ist eine Herberge für Vierbeiner, die von ihren früheren Besitzern ausgesetzt wurden. Hier finden sie Obdach, etwas zu essen und die Anerkennung, die ihnen von ihren ehemaligen Herrchen und Frauchen verweigert wurde. Alle Hunde haben ihr individuelles Problem. Eine Hündin hinkt, einer fehlt ein Bein, eine andere ist verängstigt. Eine weitere Hündin ist so sehr an das Leben auf der Straße und in absoluter Freiheit gewöhnt, dass sie erst nach Einbruch der Dunkelheit zum Ausruhen ins Haus kommt.

Hundegerecht ist auch das Wohnzimmer, der Salon, im ersten Stock eingerichtet. Von hier können sich die Hunde frei auf den Balkon bewegen. Das Wohnzimmer wirkt erheblich heller als das Arbeitszimmer und eröffnet den schönsten, romantischen Ausblick auf den Parthenon.

Das reizt zur provokativen Frage, warum die Hunde ausgerechnet hier ihren Auslauf genießen. Seine Tierliebe geht offenbar so weit, dass er sich nicht daran stört, die harmonische Einrichtung des Raumes durch einen Plastikzaun für die Hunde zu ergänzen.

»Rena hat sie auf der Straße aufgesammelt und kümmert sich um sie, sie sind wie ich, alt und zerbrechlich«, lautet die Antwort des Komponisten. Seine treue Assistentin Rena, die sich stets im Haus befindet und sich liebevoll und geduldig um ihn kümmert, soll das Lob für den Tierschutz ernten. So selbstbewusst er auch ist, so gern Theodorakis im Rampenlicht steht – er schmückt sich nicht mit fremden Federn.

Das Wohnzimmer ist wie das Arbeitszimmer auf die Bedürfnisse des Komponisten zugeschnitten. Sein bequemer Sessel steht in einer Ecke, die gemütliche Geborgenheit ausstrahlt. Dort hört er Musik und hat den besten Blick auf seinen Fernseher. Hier sah Theodorakis im Sommer 2015 zum ersten Mal eine frühe Version des biographischen Films über sein Leben, Dance, Fight, Love, Die (Lebe, kämpfe, liebe, sterbe).

Musik als erotisches Gemeinschaftserlebnis

Der Film zeigt einen aus mehr als 600 Stunden Material aus über drei Jahrzehnten zusammengestellten Querschnitt von Theodorakis’ Konzertreisen um die Welt. Eine Mammutaufgabe, auf deren Abschluss Theodorakis mit ungeduldigen Kommentaren wie »Erlebe ich den Film noch?« drängte.

Das Roadmovie ist das Werk des Regisseurs Asteris Koutoulas, mit dem Theodorakis ein intensives Wahlverwandtschaftsverhältnis pflegt. Eigens für seinen väterlichen Freund hatte Koutoulas eine erste Version zusammengeschnitten und zwei seiner Freunde zur Probeaufführung in Mikis’ Wohnhaus mitgebracht.

Zusammen mit dem Komponisten und dem Journalisten Hansgeorg Hermann schauten wir uns den Film an. Während der gesamten Aufführung vollzog Theodorakis mit seiner Zigarre das übliche Ritual. Bei einigen Szenen des Films war sein verschmitztes Lächeln erkennbar, andere wiederum schienen ihn zu rühren. Während der Film lief, sprach der Komponist kein Wort.

Zum Abschluss bat Koutoulas um Kritik, was noch zu verbessern wäre. Theodorakis antwortete: »Der Film zeigt mich, wie ich dies und das tue. Er zeigt Szenen meiner Konzerte. Er zeigt aber auch sehr viele Menschen, die dabei waren. Was machen die Menschen da? Diese Erklärung fehlt mir etwas im Film.«

Die 2017