Milchschaumschläger - Moritz Netenjakob - E-Book
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Moritz Netenjakob

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Beschreibung

Kein Café ist auch keine Lösung Daniel erfüllt sich einen alten Traum und eröffnet ein Café. Jetzt hat er nur noch ein einziges Problem: die Realität. Privat ist Daniel zwar glücklich verheiratet mit Aylin, aber beruflich leidet er zunehmend unter der zynischen Kälte der Werbebranche. Als sein Stammlokal unerwartet schließt, überredet er Aylin, die Chance zu nutzen und gegen jede finanzielle Vernunft ein Café zu betreiben. Schon der Weg zur Eröffnung ist mit guten Ratschlägen und Katastrophen gepflastert. Aber das Schlimmste soll erst noch kommen: Gäste! Eine renitente Pudel-Oma, ein altkluger Hipster, ein Fußballtrainer mit einem Alkoholproblem, ein vermeintliches Wunderkind namens Jonas Hortensius sowie Daniels Alt-68er-Eltern und Aylins türkische Familie. Die Gäste bleiben zu Hause, wenn sie kommen sollen, und wenn sie da sind, bestellen sie, was sie wollen – aber nicht, was auf der Karte steht. Als dann noch ein Wasserrohr bricht, der Koch die Nerven verliert und das Fernsehen kommt, ist das Chaos perfekt. Nach wenigen Wochen droht Daniel nicht nur die Zahlungsfähigkeit zu verlieren, sondern auch den Verstand! Spiegel-Bestsellerautor Moritz Netenjakob verwandelt seine eigenen Erfahrungen als Café-Betreiber in ein Feuerwerk aus Gags, absurden Situationen und wunderbaren Charakteren. Am Ende möchte man in diesem Café einfach nur Stammgast sein.

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Seitenzahl: 405

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Moritz Netenjakob

Milchschaumschläger

Roman

Kurzübersicht

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Titelseite

Über Moritz Netenjakob

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Über Moritz Netenjakob

Moritz Netenjakob, geboren 1970, ist einer der gefragtesten deutschen Comedy-Autoren. Er schreibt Fernsehserien wie »Anke«, »Dr. Psycho«, »Stromberg« und war Chefautor von »Wochenshow« und »Switch« und erhielt 2006 den Grimme-Preis. Seine Romane »Macho Man« und »Der Boss« standen monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste und begeisterten Hunderttausende Leser.

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Über dieses Buch

Als Daniels Stammlokal unerwartet schließt, überredet er seine Frau, die Chance zu nutzen und gegen jede finanzielle Vernunft ein Café zu betreiben. Schon der Weg zur Eröffnung ist mit guten Ratschlägen und Katastrophen gepflastert, aber das Schlimmste kommt erst noch: Gäste! Eine renitente Pudel-Oma, ein altkluger Hipster, ein Fußballtrainer mit einem Alkoholprob-lem, ein vermeintliches Wunderkind namens Jonas Hortensius sowie Daniels Alt-68er-Eltern und die türkische Familie seiner Frau. Die Gäste bleiben zu Hause, wenn sie kommen sollen, und wenn sie da sind, bestellen sie, was sie wollen – aber nicht, was auf der Karte steht. Als dann noch ein Wasserrohr bricht, der Koch die Nerven verliert und das Fernsehen kommt, ist das Chaos perfekt …

Moritz Netenjakob verwandelt seine eigenen Erfahrungen als Cafébetreiber in ein Feuerwerk aus Gags, absurden Situationen und wunderbaren Charakteren. Am Ende möchte man in diesem Café einfach nur Stammgast sein.

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Erster Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Zweiter Teil

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

Dritter Teil

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

Vierter Teil

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

Nachwort und Dank

Für Hülya, die den Mut hatte, mit mir ein Café zu eröffnen.

Und für alle tapferen Gastronomen, die sich jeden Tag abrackern,damit wir undankbaren Schnösel nicht rummäkeln.

Erster Teil

1

Ein Holztisch mit weißer Decke, flackernden Kerzen und zwei gefüllten Champagnergläsern; dazu ein Frühsommerlüftchen sowie der Duft der Rosen, die zusammen mit dem Efeu sämtliche Backsteinwände des Innenhofs bedecken – romantischer könnte ich meinen fünften Hochzeitstag nicht feiern. Außer vielleicht, wenn meine Frau dabei wäre.

Aber Aylin hat das Thema Pünktlichkeit schon immer recht orientalisch interpretiert, und als ich vor einer knappen Stunde die SMS »Bin in ein paar Minuten da« erhielt, wusste ich, dass mir viel Zeit bleiben würde, noch schnell ein paar sinnvolle Dinge zu erledigen. Wie zum Beispiel mich vor den Bienen, Hummeln und Wespen zu fürchten, die die zweihundertsiebenundachtzig Rosenblüten umkreisen. (Ja, ich habe nachgezählt.)

Ich finde Rosen auf Tapeten, Tellern und Servietten romantischer als in der Natur, weil sie kein Ungeziefer anlocken. Romantik und Insekten schließen sich gegenseitig aus, vor allem für Allergiker.

»Hey, wat soll dat – hier is jeschlossene Jesellschaft.«

Gisela, die urkölsche Besitzerin des Kneipenrestaurants Mr. Creosote’s, versucht vergeblich, einen Mann mit italienischer Geige und russischem Akzent vom Betreten des Hinterhofs abzuhalten.

»Wo Geseeellschaft? Siiiitzt da nur eine Mann.«

»Ja, aber der will hier unjestört seinen Hochzeitstag feiern.«

»Ungestört wovooon – von seine Frau? Hahaha …«

»Nein, die Frau kommt gleisch, also zieh Leine!«

»Aber kann ich spiele schönä Lied, ist perfekch für Chokzeitag.«

Der Mann ist schätzungsweise Mitte siebzig. Seine wenigen pechschwarz gefärbten Haare sind mit viel Gel über eine sehr breite Glatze gekämmt; der ebenso pechschwarze Walrossschnäuzer verdeckt die schiefen Zähne nur so lange, bis er lacht. Vermutlich hat sein Gesicht schon einige Hersteller von Karnevalsmasken inspiriert.

»Entschuldijung, aber die Walrossfütterung findet im Zoo statt.«

Gisela packt den Mann am Arm und will ihn hinausziehen, aber mit seinen großen dunklen traurigen Augen schaut er mich an wie ein Hundewelpe, der gerade von seinem Wurf getrennt wird.

»Lass mal, Gisela. Bei Livemusik kriegt Aylin Gänsehaut.«

»Klar. Der Typ sieht nach Horrorfilm aus.«

Gisela hat vergangene Woche ihren 59. Geburtstag gefeiert und ist im ganzen Viertel berühmt für ihre große Klappe. Ihr Umgangston würde besser nach Guantánamo passen als in die Gastronomie. Aber trotzdem hat sie die halbe Kölner Südstadt als Stammkundschaft. Ihre direkte, ein wenig distanzlose Art sowie ihre barocke Körperform brachten ihr den Spitznamen »Die Mutti« ein. Keiner sagt: »Wir gehen im Mr. Creosote’s essen.« Es heißt immer: »Wir treffen uns bei der Mutti.« Ihren Spitznamen hat sie sich redlich verdient. Wer sonst würde an seinem freien Tag öffnen, damit zwei Stammgäste ungestört ihren Hochzeitstag feiern können? Und wer sonst hätte mir zu diesem Anlass augenzwinkernd das Buch Guter Sex trotz Ehe überreicht?

Ich lache leicht panisch über Giselas Horrorfilm-Bemerkung, denn auch wenn sich ihre Stammgäste mit einer gewissen Freude von ihr beleidigen lassen, hat es in diesem Fall doch einen rassistischen Beigeschmack. So versuche ich, eine diplomatische Brücke zu schlagen:

»Haha, typisch Mutti. Wenn sie jemanden mag, versucht sie immer erst, ihn zu provozieren.«

»Wie, isch mag den? Der soll zurück in die Jeisterbahn, wo er herjekommen is.«

Ich unterdrücke meinen Impuls, laut loszulachen, und kriege stattdessen einen Hustenanfall. Gisela schickt mir einen mitleidigen Blick, lässt dann mit ihren kräuterschnaps- und zigarettengegerbten Stimmbändern einen tiefen Seufzer hören, zuckt mit den Schultern und verschwindet im Gastraum. Der Musiker schaut mich irritiert an:

»Jeistärbahn? Waaas ist Jeistärbahn?«

»Ach, das, äh … Nicht so wichtig. Sie spielen also Geige?«

Ich beglückwünsche mich innerlich für meinen herausragenden Intellekt. Einen Geigenspieler zu fragen, ob er Geige spielt. Hut ab, Daniel Hagenberger!

»Ich bin Wasily und kann spiel aalles. Muss nur sage Wuunsch, dann ich spiel, wenn kommt dein Frau.«

»Dann wünsche ich mir … Wind of Change.«

Wasily schaut mich irritiert an. Ich schäme mich ein wenig.

»Ja, ich weiß, das ist ’ne Schnulze, aber – lustige Geschichte – das lief in einer Panflötenversion bei meinem ersten Rendezvous mit Aylin. Und deshalb löst es bei mir romantische Gefühle … Egal. Also Wind of Change.«

Wasily starrt ausdruckslos ins Nichts. Ich ergänze:

»Von den Scorpions.«

»Ah. Dein Frau Scooorpions. Mein Frau Waaassermann.«

»Nein, ich … Hier, den Anfang kennen Sie doch.«

Ich pfeife den Anfang von Wind of Change. Wasily hört aufmerksam zu und nickt:

»Oh ja. Ist sehr gute Lied. Sehr gut Melodie. Chörrt sich an sehr schön.«

»Also können Sie das spielen?«

»Nein. Andere Lied.«

»Hm … Time after Time von Cindy Lauper.«

»Aaaaaaaaaaaah.«

»Das kennen Sie?«

»Nein.«

Mir kommt langsam der Verdacht, dass dieser Mann seine Geige höchstens ab und zu als Eierschneider benutzt. Und obwohl ich die Reaktion ahne, singe ich den Refrain von Time after Time. Wasily strahlt:

»Aaaaaaaaaaah.«

»Aber jetzt haben Sie’s erkannt.«

»Nein.«

»Was können Sie denn spielen?«

»Sage einfach, und ich spiele.«

»Das haben wir ja schon versucht.«

Eine peinliche Pause entsteht. Dann nimmt Wasily seine Geige unters Kinn:

»Spiele ich Schostakooowitsch.«

Noch ehe er das »witsch« ausgesprochen hat, beginnt er, extrem virtuos zu geigen. Gefühlvoll, dynamisch, ein absoluter Könner. Ich war nicht mehr so positiv überrascht seit dem spektakulären Fallrückziehertor von Roda Antar im März 2008 beim Spiel 1. FC Köln gegen Wehen Wiesbaden.

In diesem Augenblick erscheint Aylin. Offenbar ist ihre Verspätung dem Versuch geschuldet, jedes Detail ihres Aussehens bezaubernd wirken zu lassen. Ein äußerst gelungener Versuch: Alle Strähnen der langen braunen Haare liegen perfekt, die Haut schimmert in samtigem Bronzeton, die Augen hätten Hollywoods Top-Make-up-Artists nicht besser hinbekommen, und das cremefarbene Minikleid in Kombination mit gleichfarbigen Stiefeletten würden jedes Bond-Girl alt aussehen lassen. Und dann erst das Lächeln … Wasily klappt die Kinnlade so weit nach unten, dass er sich beim Weitergeigen fast den Bogen in den Mund schiebt. Dann lässt er das Instrument sinken und schaut mich mit einem Wie-kommt-dieser-Typ-an-so-eine-Frau-Blick an.

Aylin dreht sich modelmäßig-elegant um die eigene Achse und schaut mich erwartungsvoll an. Okay, jetzt wird es Zeit für ein Kompliment, das genauso schön ist wie Aylin. Eine Wortgirlande voller Eleganz, Anmut und Wohlklang. Lyrisch, aber gleichzeitig von erfrischender Direktheit.

»Du … äh … W…wow.«

2

Nach fünf Jahren Ehe weiß Aylin, dass ich nicht so der spontane Typ bin. Als ich nach zwanzig Sekunden immer noch kein passendes Wort gefunden habe, lächelt sie:

»Du bist sprachlos. Das reicht mir.«

»Nein, Moment. Ich war noch nicht fertig. Was ich sagen wollte war: Du siehst … absolut … total … hinrei…«

Weiter komme ich nicht, denn in diesem Moment hat sich mein russischer Freund entschlossen, Schostakowitschs Violinkonzert mit einem herzhaften Presto fortzusetzen. Nun bin ich kein Experte, was die Interpretation von Schostakowitschs Musik betrifft – aber für mich klingt das weniger nach Hochzeitstag als nach Hexenverbrennung. Dennoch versuche ich, die romantische Stimmung aufrechtzuhalten, und küsse Aylin zärtlich auf den Mund. Ganz Gentleman, rücke ich ihr den Stuhl zurecht. Dann schauen wir einander still in die Augen und bemühen uns vergeblich, Schostakowitsch romantisch zu finden.

Aylin lächelt gequält, und ich bin hin- und hergerissen zwischen meiner Bewunderung für das musikalische Talent des Geigers und meinem Bedauern, dass er keinen Ausknopf hat. Nach einigen quälenden Minuten kommt endlich ein ruhigerer Part, und ich bin erleichtert, dass Schostakowitsch nicht nur Hexenverbrennung draufhat, sondern auch Depression. Quälend ziehen sich einzelne Töne in die Länge. Das Stück sollte ich mir merken, falls das Ende meiner Ehe, der Tod meiner Mutter und der Abstieg des 1. FC Köln auf einen Tag fallen sollten. Als Musikexperte wäre ich jetzt sicher begeistert. Aber tatsächlich klingt es für mich eher so:

Mittellanger schwerer Tooooooon.

Sehr langer schwermütiger Toooooooooooooon.

Extrem düsterer und langer Toooooooooooooooooooon.

Kurzer trauriger Toon.

Tonloser Tooooooooooooooooooooooooooooooooooooooon.

In diesem musikalisch bestimmt höchst anspruchsvollen Moment, als der Bogen wie in Superzeitlupe hauchzart über eine einzelne Saite gleitet, hält Aylin es nicht mehr aus und applaudiert. Ich klatsche begeistert mit:

»Bravo! Sensationell! Ganz große Kunst!«

Woraufhin wir uns einen extrem beleidigten Blick des Russen einfangen. Ich weiß, dass es eine Todsünde ist, bei klassischen Konzerten an der falschen Stelle zu klatschen – war mir aber nicht darüber im Klaren, dass das auch für Straßenmusik gilt. Aylin beißt sich mit gespielter Peinlichkeit auf die Lippe und muss ein Lachen unterdrücken. Der Russe seufzt tief, schließt die Augen und setzt wieder ein. Nach zwei weiteren endlosen Minuten quälender Depression scheint das Finale endlich gekommen zu sein. Aylin und ich sind bereit zum Applaudieren, warten aber sicherheitshalber die Verbeugung des Geigers ab. Doch stattdessen kommt ein erneutes Presto, wobei dem Russen seine sauber über die Glatze gekämmten Strähnen ins Gesicht rutschen. Mit im Rhythmus der Musik zuckenden Kopfbewegungen versucht er, sie zurück über die Stirn zu schleudern – was ihm aber misslingt, weil der Schnäuzer wie ein Klettverschluss wirkt.

Ich wende mich vom Russen ab, denn ich weiß, dass ich in einen hysterischen Lachanfall ausbrechen werde, wenn ich ihn auch nur eine halbe Sekunde länger anschaue. Dass Aylin sich mittlerweile die ersten Lachtränen aus den Augen wischt, macht die Situation nicht leichter. Ich versuche mich auf meine Angst vor den Wespen zu konzentrieren, kriege dann aber im Augenwinkel mit, wie der Geiger beim Einatmen eine seiner Haarsträhnen in die Nase zieht – und anschließend wieder ausniest. Jetzt ist es um mich geschehen – ich pruste los. Im Geiste sehe ich schon die Express-Schlagzeile vor mir: »Russischer Musiker: verspottet und in den Selbstmord getrieben«.

Zum Glück hat der Russe seine Augen geschlossen und ist so in seiner Musik versunken, dass er nichts mitzubekommen scheint. Als die Musik abrupt endet und Wasily sich pathetisch verbeugt, schaffe ich es mit letzter Kraft, die Lach- in Jubel- und Klatschenergie umzuwandeln.

»Bravo! Bravissimo! Wuhuuuuuuuu!«

Der Russe scheint es mir abzukaufen. Ich habe dennoch ein schlechtes Gewissen und drücke ihm einen Zehneuroschein in die Hand.

»Daaaanke. Du säähr grroooßziegig. Daaruum ich auch grroooßziegig: Spiele ich noch eine Liiieeed.«

Während ich noch darüber nachdenke, ob er mit »großziegig« »großzügig« meint, oder ob es in der russischen Mythologie eventuell eine große Ziege gibt, die als Schutzpatronin für Kammermusik oder buschige Schnurrbärte fungiert, schaut Aylin mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und schüttelt energisch den Kopf. Die Botschaft ist klar: Rette mich – noch ein Lied ertrage ich nicht! Und was wäre ich für ein Ehemann, wenn ich in dieser kritischen Situation nicht das Heft des Handelns in die Hand nehmen und mich schützend vor meine Frau stellen würde:

»Noch ein Lied? Natürlich, sehr gern. Das freut uns total.«

Meine Therapeutin sagt immer, ich hätte Probleme mit Konflikten. Da würde ich ihr nicht widersprechen. Allein schon, um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Allerdings verraten mir Aylins Augen, dass ich mit meiner Antwort durchaus nicht jeden Konflikt vermieden habe. Aber man muss auch mal einen Ehestreit in Kauf nehmen, wenn man russische Straßenmusiker glücklich machen kann.

»Spiiieele ich jetzt: Prokooofjew.«

4

»Hast du mir überhaupt zugehört?«

Aylin schaut mich vorwurfsvoll an. Habe ich zugehört? Nun ja, mir ist aufgefallen, dass sie ihre Lippen bewegt hat. Das kann man im weitesten Sinne schon irgendwie als Zuhören bezeichnen. Ich nicke:

»Ja. Natürlich. Klar.«

»Na gut. Was habe ich denn gerade gesagt?«

Das ist jetzt peinlich – besonders zur Feier des Hochzeitstags. Aber mein Gehirn arbeitet seit einigen Minuten fieberhaft an einem Plan, das sensible Thema »Erinnerungsfoto« elegant einzubringen.

»Du hast keine Ahnung, was ich gesagt habe – gib’s zu, Daniel!«

Ein Adrenalinstoß fährt durch meinen Körper. Erinnerungsfetzen an Aylins Worte kommen mir in den Sinn: Ihre Mutter, ihr Bruder, irgendeine Tante und der Begriff »Sommerhaus«. Ich rate:

»Äh, es ging um die … Urlaubsplanung.«

»Glück gehabt.«

Puh. Unter Druck arbeitet mein Verstand einfach am besten. Aylin ist zwar nicht überzeugt, aber ich bin erst mal aus der Sache raus. Denn bevor meine Frau mich mit Detailfragen entlarven kann, werde ich von der Mutti gerettet, die uns Fish & Chips bringt. Definitiv die besten Fish & Chips in Köln – und auch das einzige Gericht, das man bei ihr bestellen sollte. Das Rezept stammt von Giselas verstorbenem Mann Harvey, einem Engländer, dem sie außerdem ihren Nachnamen Gallagher verdankt sowie die seltsame Idee, eine Kneipe nach Mr. Creosote zu benennen, dem Gentleman aus dem Monty-Python-Film Der Sinn des Lebens, der in einem Nobelrestaurant den Inhalt seines gigantischen Magens mit Hochdruck auf Speisekarten und Kellner entleert und schließlich – nachdem er sich quer durch die Speisekarte gefressen hat – beim Verzehr eines winzigen Minzplätzchens zum Nachtisch explodiert.

 

Die Mutti knallt die Teller mit ihrer leicht grobmotorischen Art auf den Tisch und beweist anschließend Sinn für Romantik, indem sie die Plastikflasche mit Mayonnaise nimmt und jedem ein Herz auf die Pommes spritzt. Dass ein Teil der Mayonnaise auf meinem Hemd landet, lasse ich als künstlerische Freiheit durchgehen. Gisela scheint gerührt, denn ihre Augen werden ein wenig feucht:

»Also, ihr Lieben, lasst et euch schmecken – und möge eure Ehe der Teig sein, der dat Fischfilet eures Lebens jeden Tag zusammenschweißt.«

Ich bin ein Fan von Giselas schiefen Metaphern, die sie bei jeder Art von feierlichem Anlass von sich gibt. Allein das wäre Grund genug, Stammgast im Mr. Creosote’s zu sein.

»Und isch wünsche eusch, dat ihr bald viele kleine Pommes bekommt, die ihr großziehen könnt. Denn eine Fritte aufwachsen zu sehen, dat is einfach dat Schönste auf der janzen Welt. Juten Appetit.«

Ich brauche einen Moment, das unschöne Bild loszuwerden, wie Aylin eine Schale Pommes entbindet. Dann sehe ich meine Chance gekommen:

»Wow, Gisela, das Essen sieht sensationell aus – heute hast du dich selbst übertroffen. Ich denke, diesen historischen Moment sollten wir festhalten.«

Aylin schaut mich missbilligend an. Mit meinem dem Gestiefelten Kater von Disney entlehnten Bitte-tu-mir-nichts-Blick (der sich vom Ich-bin-ein-Hundewelpe-bitte-adoptiere-mich-Blick durch noch weiter aufgerissene Augen und Zähnezeigen unterscheidet) präsentiere ich Aylin die bemalte Stoffserviette – woraufhin sie gegen ihren Willen kichern muss. Gisela sieht ihr mit Edding verunstaltetes Eigentum und seufzt:

»Dat Tuch setze isch auf die Reschnung. Und jetzt jib mir den Fotoapparat.«

Ich reiche ihr mein Smartphone. Gisela nimmt es mit der Verachtung, die sie für jede Form von technischer Errungenschaft aufbringt:

»Wenn isch meiner Mutter jesagt hätte, man kann mit dem Telefon Fotos machen, dann hätte die jeantwortet: ›Ja klar, und mit der Kloschüssel fliegen wir nach Spanien.‹«

Gisela hält das Smartphone hoch und erschrickt:

»Huch, dat bin isch ja selbst … Also, ehrlisch, Fotos von mir hänge isch nur in die Küche, um Unjeziefer zu vertreiben, hahaha …«

Giselas ausgesprochen dreckige Lache kann man bei günstigem Wind auch drei Häuserblocks entfernt noch hören. Ich stelle schnell vom Selfie- in den Normalmodus. Die Mutti hält das Smartphone mit ausgestreckten Armen gut einen halben Meter von sich weg:

»So, bitte rescht freundlisch … Und wo muss isch jetzt draufdrücken?«

»Der rote Punkt. Unten im Display.«

»Moment, da sind janz viele rote Punkte … Ach nee, dat sind die Rosen.«

Gisela nimmt ihre Lesebrille, die in ihrer rotbraun gefärbten Dauerwelle steckt, und setzt sie auf:

»Ah, da. Alles klar. Also … gleisch kommt dat Vögelchen … wobei … halt, Moment! Früher, dat Kameraobjektiv, dat sah immer so aus wie ein Astloch. Und da hat man halt jesagt: Gleisch kommt dat Vögelchen. Aber bei so ’nem Handy ist dat Loch so klein, da passt doch kein Vogel mehr durch.«

»Dann sag doch einfach: Gleich kommt die Fliege.«

»Hahaha. Der war jut. Gleisch kommt die Fliege. Hahahaha.«

Da erklingt sie wieder, die Lache, die schon zweimal dafür gesorgt hat, dass die Polizei wegen nächtlicher Ruhestörung angerückt kam. Die Mutti schaut irritiert:

»Leck misch am Arsch – jetzt is dat Bild weg.«

»Kein Problem. Drück einfach auf das Kamerasymbol.«

Gisela hämmert wild auf dem Display herum, und ich ahne Böses – zumal Gisela nicht mehr hundert Prozent nüchtern zu sein scheint. Sie hält sich das Smartphone ans Ohr:

»Hä? Die Kamera is am Piepen. Wat soll dat denn?«

Kurz darauf meldet sich eine Stimme:

»Hallo? Wer ist da?«

Ich merke sofort: Es ist meine Oma Berta. 97 Jahre und je nach Tagesform leicht- bis mittelverwirrt. Gisela ist irritiert:

»Isch werd bekloppt – die Kamera redet mit mir!«

Schnell nehme ich das Smartphone wieder an mich.

»Hallo, Berta, Daniel hier. Es tut mir leid, aber ich wollte dich nicht anrufen, wir wollten nur ein Foto machen, und dabei sind wir ins falsche Menü gerutscht.«

»Du willst mit dem Telefon ein Foto machen? Hast du was getrunken?«

»Nein, du weißt doch, dass Telefone heutzutage …«

»Und selbst schuld, wenn dir dein Telefon ins Menü rutscht! Beim Essen telefoniert man nicht.«

»Genau. Aber was ich sagen wollte …«

»Wer war denn die Frau da? Da war doch eine Frauenstimme.«

»Das war die Mutti, aber …«

»Gib sie mir mal. Ich habe mit deiner Mutter noch etwas zu besprechen.«

»Nein. Das ist nicht Erika. Die Mutti heißt eigentlich Gisela. Ich nenne sie nur Mutti, weil …«

»Ach. Und wie nennst du deine Mutter?«

»Erika.«

»Du nennst eine fremde Frau Mutti, aber deine Mutter nennst du Erika … Bist du sicher, dass du nichts getrunken hast?«

Aylin und Gisela werden langsam ungeduldig. Das Essen wird kalt. Und ich hebe entschuldigend die Arme. Oma Berta vollzieht nun einen ebenso abrupten wie interessanten Themenwechsel:

»Weißt du was? Eben war im Fernsehen eine Ansprache vom Führer. Also, der hat so ein dummes Zeug von sich gegeben – ich glaube, mit dem stimmt was nicht.«

»Hat der Führer auch mit einer großen Weltkugel getanzt?«

»Ja. Genau. Also, ich weiß ja, dass ein bisschen Show heute zum Wahlkampf dazugehört, aber …«

»Berta, du hast einen Film mit Charlie Chaplin gesehen.«

»Trotzdem. Bei der nächsten Reichstagswahl wähle ich wieder den Adenauer. Dem kann man wenigstens vertrauen. Also entweder Adenauer oder Howard Carpendale. Den mag ich auch. Aber beim Führer hab ich so ein Gefühl, das nimmt kein gutes Ende. Nur, auf mich hört ja keiner.«

»Du weißt gar nicht, wie recht du hast, Oma Berta. Aber ich lege jetzt auf. Hab dich lieb. Tschüss!«

Ich stelle den Fotomodus wieder ein und reiche das Smartphone der Mutti. Nach fünf verwackelten Bildern, zwei Versionen mit Giselas Daumen im Vordergrund, einem Aus-Versehen-Selfie von Giselas Dekolleté, einem weiteren Anruf bei Oma Berta sowie der Aktivierung der Diktiergerätfunktion und einem kurzen Ausflug auf meine Facebook-Seite hat Gisela endlich ein passables Hochzeitstagsfoto von Aylin und mir gemacht, das abgesehen von unseren leicht angestrengten Gesichtszügen romantisch wirkt.

 

Ein wenig später haben wir den Beweis erlebt, dass Giselas Fish & Chips auch kalt noch passabel schmecken, und die Mutti kommt – inzwischen leicht schwankend – mit zwei Glasschälchen zu unserem Tisch, in denen jeweils eine Erdbeere auf einer undefinierbaren braunen Masse thront. Ich verkneife mir aufgrund des feierlichen Anlasses jegliche Fäkalscherze:

»Mmm … das sieht ja … lecker aus!«

»Dat is eine janz besondere Kreation, zum Abschluss: ein ›Spezialpudding à la Mutti‹. Isch habe einfach jeguckt, wat noch so da is, und dann hab isch improvisiert.«

Aylin und ich tauschen ahnungsvolle Blicke. Wenn Gisela improvisiert, liegt die Gefahr eines kulinarischen Desasters bei weit über neunzig Prozent. Gisela serviert meine Schale, geht dann zu Aylin und zögert. Ich bin überrascht, denn Gisela und Zögern schließen sich normalerweise gegenseitig aus. Nach einigen Sekunden wendet sich Gisela an mich:

»Äh, also, Daniel … kannst du vielleischt von mir ein Foto machen, wie isch Aylin den Pudding serviere?«

Jetzt bin ich endgültig irritiert: Gisela bittet um ein Foto? Normalerweise ist sie schwerer vor die Linse zu kriegen als ein Berggorilla in freier Wildbahn. Ich zücke erneut mein Smartphone.

»Kein Problem. Achtung, gleich kommt die Fliege!«

Ich mache eine kurze Pause, in der ich vergeblich auf Giselas dröhnende Lache warte.

»Moment, der Pudding verdeckt jetzt Aylins Gesicht … Ja, besser … Fertig.«

Ich mache ein paar Bilder, dann platziert Gisela Aylins Pudding überraschend sanft auf dem Tisch – und bekommt erneut wässrige Augen:

»Also dann, juten Appetit … Lasst et eusch schmecken … Jetzt kann isch et ja sagen: Ihr zwei habt zu meinen absoluten Lieblingsjästen jehört.«

Aylin schaut entsetzt:

»Warum redest du in der Vergangenheit?«

5

Gisela steht seit einer halben Minute vor uns und sucht nach Worten, was nun wirklich nicht ihre Art ist. Verglichen mit ihr wirkt sogar Reiner Calmund wie ein bedächtiger Lyrikprofessor.

»Also … isch … nä. Also … et is so … Dieser Spezialpudding war dat Letzte, wat isch hier serviert habe. Morgen mache isch discht.«

Urplötzlich fängt Gisela bitterlich an zu weinen. Ich bin erschüttert. Gisela war immer ein Fels in der Brandung. Ich habe sie in den Jahren, seit ich hier Stammgast bin, nur ein einziges Mal weinen sehen: bei der Trauerfeier für ihren Mann Harvey. Aber selbst da hat sie sich nur ein paar vereinzelte Tränen aus den Augen gewischt und anschließend Kölsch aus Harveys Urne ausgeschenkt, in die Jupp, ein befreundeter Schlosser, auf Harveys Wunsch hin einen Zapfhahn geschweißt hatte. Die Asche hatte Gisela in einem Päckchen mit freundlichen Grüßen zum Buckingham Palace geschickt. Sein Leib gehöre schließlich immer noch der Queen, hatte Harvey kurz vor seinem Tod gesagt.

Als später der Pfarrer zur Trauergemeinde trat, um die Beisetzung vorzunehmen, schaute er völlig konsterniert auf den Zapfhahn und die leeren Kölschgläser, fragte aber nicht weiter nach und setzte die Urne schließlich leicht widerwillig ins Grab. »Also wenn et gleisch regnet, dann is dat Harvey, der sisch im Himmel vor Lachen bepisst«, flüsterte Gisela mir damals ins Ohr. Und beendete dann auch beim anschließenden Leichenschmaus im Mr. Creosote’s die sentimentale Grundstimmung mit den Worten »Wenn hier nicht in einer Minute die Post abjeht, dann hüpft der Harvey von seiner Wolke und tritt eusch alle in die Weischteile«. Dann legte sie Harveys Lieblingslied Always look on the bright side of life auf, das passenderweise auch die Zeile »Always look on the bright side of death« enthält, und staunende Passanten konnten mitansehen, wie sich eine Trauerpolonaise aus der Kneipe einmal um den nahe gelegenen Kreisverkehr bewegte.

Doch heute schafft Gisela es nicht, ihre Tränendrüsen zu kontrollieren. Aylin steht auf und nimmt sie tröstend in den Arm. Ich bin schockiert. Das Mr. Creosote’s war seit Jahren mein Zufluchtsort vor dem Wahnsinn unserer Zeit. Moderne Registrierkassen, EC-Cash, Wireless-Lan – nicht bei der Mutti. Bierdeckel und Bares tun’s schließlich auch. Selbst Tauschhandel war bei Gisela nicht ausgeschlossen. Und wenn mal ein neuer Gast den Fehler machte, nach dem WLAN-Passwort zu fragen, erhielt er stets zur Antwort: »Isch bin ein Sackjeseech – ohne Leerzeichen.« Dann hatte sie immer eine diebische Freude, dem Gast erst die kölsche Schreibweise von »Sackgesicht« zu buchstabieren und anschließend den verzweifelten Zugangsversuch in ein fremdes Netzwerk zu beobachten.

Und das soll jetzt vorbei sein? Für immer? Seufzend schiebe ich mir einen Löffel von Muttis Spezialpudding in den Mund. Er schmeckt in der Tat so schlecht, dass der Brechreiz mich kurz von der traurigen Nachricht ablenkt.

Aylin hat die Mutti inzwischen auf einen Stuhl platziert und mit ihrer Stoffserviette versorgt, in die Gisela herzhaft den Inhalt ihrer Nase entleert. Wenn es Guinnessbucheinträge für das lauteste und längste Schnäuzen geben sollte – Gisela hätte gute Chancen. Es klingt, als hörte man einen Waldhornbläser durch eine sehr dünne Rigipswand die Tonleiter üben.

Ich kann das alles immer noch nicht wahrhaben. Ich sollte jetzt eine Rede halten – emotional, aufrüttelnd, Mut machend. Eine Mischung aus Bergpredigt, Martin Luther King und der Trauerrede von Frank Underwood in der ersten Staffel von House of Cards. Eine Rede, nach der Gisela keine Wahl hat, als zu sagen: »Danke, Daniel. Das war das Ergreifendste, das ich in meinem Leben je gehört habe. Du hast mein Herz berührt, und deshalb mache ich weiter.« Da ich mich selbst inzwischen etwas besser kenne, weiß ich, dass ich für einen ergreifenden Monolog eine gute Woche konzentrierter Arbeit am Schreibtisch brauchte – und dann noch mal zwei bis drei Tage zum Auswendiglernen. Also sage ich lieber etwas Kurzes und Prägnantes:

»Aber … du … aber … w…warum?«

Okay, kurz war es. Und prägnant ist ja Definitionssache. Gisela schließt ihre Schnäuzsinfonie mit einem finalen Dreiklang in d-Moll ab, und plötzlich, als hätte sie ihren gesamten Schmerz in die Serviette entsorgt, steht Gisela auf, klatscht in die Hände und ist wieder die Alte:

»Warum? Jetzt tu nit so, als wär jemand jestorben. Die Mutti will einfach mal ihr Leben jenießen – Feierabend.«

Sie steht abrupt auf und klopft Aylin so liebevoll auf die Schulter, dass diese schmerzhaft ihr Gesicht verzieht.

»So, isch brauche jetzt meinen Schönheitsschlaf. Aufräumen tu isch morgen … Zieht einfach die Tür zu, wenn ihr jeht.«

Und damit verschwindet sie. Sentimentalität steigt in mir hoch. Zieht einfach die Tür zu, wenn ihr jeht. Die letzten Worte einer großen Ära … Halt, Moment – Gisela kommt noch einmal zurück, mit einer Flasche Kräuterschnaps in der Hand:

»’tschuldijung, isch wollte eusch nit den Hochzeitstag versauen. Also noch mal: auf eusch. Möge Aylins Arsch zur Silberhochzeit noch jenauso knackisch sein wie heute.«

Sie nimmt einen großen Schluck und muss aufstoßen:

»Hoppala … Der Rülpser ist ein Magenwind, der nit den Weg zum Arschloch find.«

Gisela verschwindet. Sentimentalität steigt in mir hoch. Der Rülpser ist ein Magenwind, der nit den Weg zum Arschloch find. Die letzten Worte einer großen Ära … Halt, Moment – Gisela ist wieder da, mit nachdenklicher Miene. Sie seufzt:

»Dat is jetzt blöd, aber isch glaube, isch habe aus Versehen Remoulade in den Pudding jerührt.«

Und wieder weg. Ich stoppe die aufsteigende Sentimentalität, denn ich habe das Gefühl, da kommt noch was. Doch die erdbebengleichen Erschütterungen, die Giselas Schritte auf der Holztreppe zu ihrer Wohnung im ersten Stock auslösen, sowie das Geräusch einer ins Schloss fallenden Tür überzeugen mich vom Gegenteil. Sentimentalität steigt in mir hoch. Isch habe aus Versehen Remoulade in den Pudding jerührt. Die endgültig letzten Worte einer großen Ära.

 

Aylin und ich schweigen ein paar Minuten. Ich rühre lustlos in ›Muttis Spezialpudding‹ herum. Remoulade, Kakaopulver und … ist das eine Kaper? Plötzlich kommt mir eine Idee:

»Warum übernehmen wir nicht das Mr. Creosote’s und machen ein Café daraus? Wir haben doch schon oft gesagt: Irgendwann eröffnen wir mal eins. Warum nicht jetzt?«

Aylin überlegt kurz, dann leuchten ihre Augen:

»Genau. Und die Mutti wird unsere Chefkellnerin.«

Wir lächeln uns an. Ich weiß, dass ich es nicht ernst gemeint habe. Weiß Aylin das auch? Klar, wir haben oft gesagt: Wir machen mal ein Café auf; aber genauso, wie man sagt: Irgendwann ziehen wir nach Kanada und züchten Rentiere. Oder: Morgen melde ich mich im Fitnessstudio an. Absurde Ideen halt, die man schnell wieder verwirft. Aber das Schöne an Luftschlössern ist nun einmal, dass sie vom harten Boden der Tatsachen unberührt bleiben. Also lache ich:

»Vergiss es, war ’ne blöde Idee.«

Irgendetwas in Aylins Augen verrät mir, dass sie die Idee gar nicht sooo blöd findet.

6

Am nächsten Morgen passiere ich mit meinem Fahrrad den Barbarossaplatz und bin mal wieder beeindruckt vom Ausmaß seiner Hässlichkeit. Selbst Müllhalden haben eine gewisse Ästhetik, aber der Barbarossaplatz … Er sieht aus, als hätte eine Selbsthilfegruppe depressiver Architekturstudenten rund um das Autobahnkreuz Chemnitz ihre Selbstmordgedanken in Beton visualisiert.[2]

Ich schalte einen Gang höher, um diesen Tiefpunkt der menschlichen Kulturgeschichte möglichst schnell zu verlassen, und muss kurz kichern, weil die Reh-Apotheke zur Verschönerung Blumenkübel auf den Bürgersteig gestellt hat – was ungefähr den gleichen Effekt hat wie Botox bei einem chinesischen Faltenhund.

Als ich zehn Minuten später im hippen Belgischen Viertel mein Fahrrad an ein Halteverbotsschild kette, kommt ein dunkelhäutiger Teenager mit leidendem Gesichtsausdruck und unverständlichen Jammerlauten auf mich zu und hält mir ein Schild unter die Nase: »Kann nicht sprechen Deutsch. Haben Hunger. Du helfen oder du nicht mögen Ausländer?«

Zufällig erinnere ich mich sehr genau daran, wie er sich drei Tage zuvor in perfektem Deutsch mit dem iranischen Besitzer des Eckkiosks darüber unterhielt, wie uncool Zigarettenpackungen mit den fetten Warnhinweisen aussehen. Woraufhin ich ihn darauf hinwies, wie uncool erst mal seine Lunge mit fetten Teerflecken aussehen würde. Ich gehöre weiß Gott nicht zu den Nichtrauchernazis, die einen demonstrativen Hustenanfall bekommen, wenn sich jemand in einem weitläufigen Biergarten vier Tische entfernt verschämt eine Fluppe anzündet; aber wenn man mitansieht, wie ein Teenager mit nikotingelben Fingern und Raucherhusten eine Stange Roth-Händle kauft, kann man ja mal ein pädagogisch wertvolles Statement abgeben.

Der Junge scheint mich auch wiederzuerkennen und schaltet in einer Sekunde vom Jammer- in den Konversationsmodus:

»Oh, hi, wie geht’s – alles klar?«

»Ja, alles bestens. Und selbst?«

»Super. Seit ich kein Deutsch mehr kann, hat sich mein Umsatz verdreifacht.«

Pünktlich um zehn Uhr betrete ich meinen Arbeitsplatz, die Werbeagentur Creative Brains Unit. Eigentlich machen wir hier das Gleiche wie der Teenager: Wir erzählen Lügen, damit Menschen ihr Geld hergeben.

Wie jeden Montagmorgen treffen wir uns mit minimaler Motivation im Besprechungsraum, damit uns Agenturchef Rüdiger Kleinmüller darüber informieren kann, für welches Objekt der bunten Glitzerwelt wir diesmal unser kreatives Talent missbrauchen dürfen.

Karl saugt schlaftrunken an seiner E-Zigarette, auf die er vor drei Jahren aufgrund des Rauchverbots in der Firma umgestiegen ist; Ulli twittert in seinen Hypochonder-Blog, dass sein Gefühl der Kraftlosigkeit höchstwahrscheinlich von multiresistenten Killerbakterien verursacht wird, die gerade in seinen Nieren eine Jam-Session veranstalten; und Lysa kommentiert die Meldung Ich hasse Montage einer Facebook-»Freundin«: Ich hasse Menschen, die jeden Montag posten, dass sie Montage hassen.

Ich dagegen tue etwas Nützliches: Ich bestelle auf der Homepage des 1. FC Köln den Toaster »Hennes«, der in jede Scheibe Toast die Silhouette des Geißbocks brennt.

Rüdiger Kleinmüller betritt den Raum. Wenn ein Mann Mitte fünfzig in Levi’s-Fetzenjeans und rosafarbenem Diesel-T-Shirt aufläuft, könnte er sich auch gleich einen Sack mit der Aufschrift »Midlife-Crisis« überstülpen. Seine blendende Laune passt so gar nicht zur Lethargie seiner Untergebenen:

»Hey, Leute, ich habe nicht nur eine good news, nein, ich habe zwei good news.«

Karl stößt gelangweilt einige Rauchkringel aus:

»Ich rate einfach mal drauflos: Dieter Bohlen ist tot, und Wichsen wird zum Schulfach.«

Kleinmüller schaut kurz angewidert, ringt sich aber zu einem künstlichen Lachen durch, um nicht uncool rüberzukommen:

»Hahaha, unser Karl wieder! Nein. Erste good News: Die Firma Coloriora ist von unserer Campaign für Coloriora Hair Colour be-gei-stert. Die Idee mit den ›Vier Haareszeiten‹ hat die total geflasht. Obwohl es wohl schon einen Friseur in Bad Bevensen gibt, der so heißt. Aber don’t worry, das klären die Juristen. Also congrats an euch alle und natürlich an Daniel als Chef. Good job, guys – and girl.«

Vor einigen Monaten las Kleinmüller in einer Marktforschung, Anglizismen in der Werbung seien inzwischen out, weil sie totally old-school-mäßig rüberkommen. Daraufhin versuchte er krampfhaft, sich die englischen Begriffe abzugewöhnen – und scheiterte damit ebenso wie bei Zigaretten, Alkohol und Koks:

»Zweite good news: Ein amerikanischer Großkonzern will in den nächsten Jahren 250 Filialen von Zachary’s Burger Lounges in Germany eröffnen – im Prinzip ’ne Art Mc Donald’s mit ’n bisschen Bio-Image und tiefergelegten Sitzen.«

Jetzt kann ich mir eine Bemerkung nicht verkneifen:

»Wow, das ist mal ’ne gute Nachricht. Endlich geht es den individuellen Bio-Burger-Läden an den Kragen!«

Das hört sich jetzt ein wenig zynisch an – als hätte ich ein gespaltenes Verhältnis zu meinem Beruf; doch in Wirklichkeit … Okay, ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu meinem Beruf. Aber bin ich ein Zyniker geworden? Hm … tja. Also, wenn das so sein sollte, dann wären Crubble’s Crunchies schuld daran – eine fies schmeckende Kombination aus Fett und … Fett. Ach ja, plus diverse Chemikalien. Angeblich sind auch Rückstände von Kartoffeln als Trägermasse enthalten, wobei ich vom Geschmack her eher auf Klopapier tippen würde. Präsentiert wird dieser kulinarische Albtraum von Crubble, einer missratenen Comicfigur, die entweder ein Hamster ist oder ein Hundehaufen mit Augen.

Rüdiger Kleinmüller hatte mir den Auftrag erteilt, für Crubble’s Crunchies ein Wort wie »knusperknabberknackigfrisch« zu erfinden. Dabei sollte die Aussage, das Produkt sei eine knackig-knusprige Knabberei, ohne die Worte knackig, knusprig und Knabberei rüberkommen. Nach vier verzweifelten Stunden und einer Flasche Rotwein mailte ich ihm eine Liste mit zehn Vorschlägen:

1.

crubblecrunchigkracherköstlich

2.

das Crubblekrachercruncharoma

3.

der Crubbleleckercrunchpunch

4.

die Crubblekracherleckerkultkomposition

5.

kräckerschleckerschlabberlecker

6.

crispycrunchigkrachercool

7.

Lalaleckerschmeckerkräcker

8.

kräckerschmeckercrunchkracherkultig

9.

kultcrunchigkräckerkracherklasse

10.

die Kackdiewandankräckerkotzkatastrophe

Zugegeben, bei Punkt 10 war ich mit den Nerven am Ende und kurz davor, meinen Laptop aus dem Fenster zu werfen. Kleinmüller ignorierte die Provokation elegant, und es kam zu folgender absurder Konversation:

»Good job, Daniel. Ich mag die number two. Ich würde nur kracher durch crispy ersetzen.«

»Hm …«

»Also Crubblecrispycruncharoma.«

»Okay.«

Kleinmüller lehnte sich in seinem Designer-Schreibtischsessel zurück, nahm die Hand ans Kinn und wurde nachdenklich. Als würde er über Sokrates sinnieren und nicht über Salzgebäck:

»Ich meine, natürlich ist die Knusprigkeit in crunch impliziert, aber crispy – ich weiß nicht. Crispy, das hat für mich eher so eine zarte, weibliche Knusprigkeit. Und crunch – das klingt mehr so wwwwuschh ratattattattatta bummm.«

»Klar. Crispy und crunch sind bekanntlich das Yin und Yang der Knusprigkeit.«

Damit wollte ich meinen Chef eigentlich verarschen. Doch Ironie gehört nicht zu seinen Kernkompetenzen:

»Exactly. Du hast es verstanden, Daniel.«

Daraufhin klopfte er mir euphorisch auf die Schulter und bot mir die Hand zum High-five an. Und in diesem Moment, als ich Rüdiger Kleinmüller mit der Kraft einer paralysierten Süßwasserqualle abklatschte, ist es passiert: Plötzlich, unaufgefordert und zu meiner eigenen Überraschung stand eine Frage mitten in meinem Kopf: Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?

7

Den Tag vor dem Crubblecrispycruncharoma hatte ich mit Aylin in der Frauenklinik verbracht. In ihrer linken Brust war ein Knubbel festgestellt worden, und wir warteten voller Angst auf das Ergebnis der Biopsie. Das Gewebe hatte sich Gott sei Dank als gutartig erwiesen, und ich hätte vor Freude und Erleichterung die ganze Welt umarmen können.

An dem Abend, vor fast genau vier Jahren, gingen wir zum ersten Mal ins Mr. Creosote’s. Als die Mutti hörte, was wir zu feiern hatten, öffnete sie spontan ihre Bluse und zeigte Aylin eine OP-Narbe auf ihrer linken Brust. Woraufhin Harvey kopfschüttelnd anmerkte, wir sollten dankbar sein – denn wenn wir Stammgäste wären, hätte seine Frau auch primäre Geschlechtsmerkmale präsentiert.

Es wurde einer der schönsten Abende meines Lebens. Gisela und Harvey liefen zu großer Form auf: Geschichten darüber, wie Harvey aus seinen Nierensteinen den Big Ben nachgebaut hatte, wurden abgelöst von Giselas bildhafter Schilderung ihrer letzten Mammografie: »Die haben mir die Titten so platt jedrückt – mit ’ner Zitrone drauf hätt isch die als Scholle verkaufen können.« Es wurde erzählt, gelacht und getrunken bis weit nach Mitternacht. Aylin und ich tranken uns einen ordentlichen Schwips an, und es mündete in einen zehnminütigen gemeinsamen Lachkrampf, bei dem alle Schwere des Lebens von uns abfiel. Es war ein Abend wie im Rausch – und der Grund dafür, dass das Mr. Creosote’s für uns fortan ein besonderer Ort war. Der Ort, an dem wir alle weiteren Hochzeitstage feiern würden.

 

Am nächsten Tag konnte ich meinem Gehirn nicht mehr erklären, warum ich ein Abklatschritual mit einem Menschen veranstalten soll, für den die Worte Liebe und Knusprigkeit emotional die gleiche Bedeutung haben.

Meine Frau war gesund! Wir würden ein langes, glückliches Leben führen können und vielleicht irgendwann Kinder haben. Was zum Henker interessierte mich der Unterschied zwischen crispy und crunchy?

In den Jahren danach grübelte ich endlose Stunden, Tage, Wochen und Monate über die federleichte Fluffigkeit von Flanellphantasien, den beispiellos betörenden Blumenduft von Badreinigern, die schwärmerisch-schillernde Schwermut der schönsten Schlagerschnulzen, die sahnig-sinnliche saure Soße zu Salz- und Süßkartoffeln, die traumhaften Top-Ten-Tarife der tollsten Telefonanbieter, den lockend-lasziven Lack-Look-Lipgloss aus der lässig-luderigen Lady-Life-Luxus-Linie – und was weiß ich noch alles.

Aber seit jenen Tagen – die Angst um Aylin, das bange Warten in der Klinik, dann die Erlösung und schließlich der rauschhafte Abend mit Gisela und Harvey – kommt mir selbst das Ausdrücken der Noppen von Verpackungsfolie sinnvoller vor als mein Beruf.

Allerdings versöhnt mich an jedem Ersten der Anblick meines Kontoauszugs. Und, um die Frage aus dem letzten Kapitel zu beantworten: Ja, exakt so wird man zum Zyniker – für Geld tut man etwas, was man eigentlich nicht will, und verpackt die unangenehme Wahrheit in Humor, weil sie dann weniger bitter schmeckt.

So sitze ich also an einem herrlich wohltemperierten Frühsommertag in dieser verfluchten Werbeagentur und lausche mit angemessener zynischer Grundhaltung, wie mein Chef an der Expansion eines amerikanischen Großkonzerns partizipieren will:

»Für die Markteinführung von Zachary’s Burger Lounges werden auf Stufe eins vier Testfilialen eröffnet: Berlin, Hamburg, München und Köln. Jede Testfiliale wird von einer anderen Werbefirma betreut. Wer sich am besten schlägt, erhält den Auftrag für ganz Germany. Ich muss ja nicht erst sagen, was das bedeuten würde!«

Ich denke: »dass gleichzeitig dein Bankkonto, dein Ego und dein Penis auf Rekordgröße anschwellen«, entscheide mich dann aber für einen weniger provokanten Gag:

»Champagner, Koks und Nutten.«

»Haha, ja klar, das bedeutet es für mich. Und für euch heißt das: Ihr habt für die nächsten Jahre einen sicheren Job.«

Ein sicherer Job für die nächsten Jahre … Eigentlich sollte ich jetzt aufspringen und »Hurra!« schreien – tue ich aber nicht. Bezahlt man finanzielle Sicherheit zwangsläufig mit dem Verzicht auf Lebensfreude? Kann man sein Geld nicht auch mit einer Tätigkeit verdienen, für die man brennt? Die man mit Leidenschaft ausübt? Die man liebt?

Früher habe ich mich selbst ständig zum Kichern gebracht. Das Kichern war immer das Zeichen dafür, dass mein kreativer Motor läuft – wie damals, als ich mit meinem besten Freund Mark die Udoisten gründete, eine religiöse Sekte, die Udo Lindenberg als höchstes Wesen des Universums verehrt und deren Mitglieder ausschließlich mit der Stimme ihres Meisters sprechen dürfen. Beim Verfassen der zehn Panikgebote (»Du sollst keinen Likör haben neben dem Eierlikör«, »Du sollst nuscheln«, »Liebe deinen Hut wie dich selbst« et cetera) haben wir ebenso hysterisch gelacht wie bei der Vorstellung, dass ein Udoist, der die Gebote missachtet, in der Hölle auf ewig das Lied »Eiszeit« von Peter Maffay hören muss. Nach dem rituellen Verzehr von zwei Flaschen Eierlikör gründeten wir eine weitere Sekte: Die Daisyaner – eine Glaubensgemeinschaft, die den Yorkshireterrier von Rudolf Mooshammer als Erlöser betrachtet und keine Schrift anerkennt außer Ich, Daisy – Bekenntnisse einer Hundedame.

Mit Ideen wie diesen bin ich in die Werbebranche gegangen – und in den ersten Wochen habe ich an meinem Schreibtisch vor mich hin gekichert. Die Kollegen verpassten mir den Spitznamen »Mr. Giggle«. Aber die Anfangseuphorie verflog schnell – mit wirklich originellen Ideen kam ich praktisch nie durch. Ich bekam Rückmeldungen wie zum Beispiel »Ja, ich habe gelacht – aber da hatte ich noch nicht drüber nachgedacht« oder »Ich find’s großartig – aber vergiss nicht: Die Konsumenten sind dumm«.

Irgendwann kam ich zu dem Schluss: Wenn ich kichern muss, kann ich’s sofort wegschmeißen. So habe ich gelernt, meinem Instinkt zu misstrauen, und aus kreativem Übermut wurde das Crubblecrispycruncharoma.

Was würde ich für das Gefühl geben, morgens mit einem vorfreudigen Kribbeln aufzuwachen und zu denken: »Geil, ich kann jetzt zur Arbeit! Gleich wird wieder um die Wette gekichert.«

 

Aber heute kommt mir bei den Worten »sicherer Job« nur eine einzige Assoziation: »Sicherheitsverwahrung«. Kleinmüller reißt mich aus meinen Gedanken:

»Anyway, Daniel, du hast um drei ein Kick-off-Meeting mit dem Deutschland-Chef von Zachary’s Burger Lounges – der fliegt extra ein, um den Pachtvertrag unter Dach und Fach zu bringen. Ich hab ihn schon kennengelernt, echt netter Buddy-Typ. Hat mir sein halbes Leben erzählt. Der hat Germanistik studiert oder Geschichte oder Kunst oder so was. Und dann war er erst mal jahrelang … äh … nee, hab eigentlich gar nicht zugehört, ist ’n totaler Langweiler. Na ja, Hauptsache, kein Arschloch. Wobei, eigentlich muss er ja ein Arschloch sein, sonst hätte er diesen Job nicht. Egal. Also – make me happy, Daniel.«

Kleinmüller klopft mir auf die Schulter und überreicht mir eine Visitenkarte, auf der ich den Namen Bernd Breller lese sowie den Firmennamen Zachary’s Burger Lounges Germany Inc. und die Bezeichnung Head of department.

»Meeting-Location ist die Köln-Filiale. Adresse steht auf der Rückseite.«

Ich drehe die Karte um und bin verwirrt:

»Aber, Moment – das … das ist doch die Adresse von Mr. Creosote’s.«

»Das war die Adresse von Mr. Creosote’s. Jetzt ist es die Adresse von Zachary’s Burger Lounge.«

8

»Ja, wat soll isch machen, wenn der Amerikaner ankommt und die doppelte Pacht bezahlt? Dat Damenklo zum Stundenhotel umfunktionieren?«

Hilflos sehe ich mit an, wie Gisela das von allen Spielern signierte Doublegewinner-Mannschaftsfoto des 1. FC Köln von 1978 abhängt und es in einen Umzugskarton zur signierten Autogrammkarte von Willy Millowitsch packt – Für dat Leckerchen Gisela, von Willy.

»Aber, Gisela, du hast doch gestern gesagt, du machst zu, um mehr Zeit für dich zu haben.«

»Ja, hab isch dann ja auch.«

»Aber nicht freiwillig.«

»Ja, wat macht man schon freiwillisch? Isch pisse nit mal freiwillisch.«

»Aber … Du bist die Seele des Viertels. Der Verpächter … der kann doch nicht wollen, dass …«

»Herr Jramisch? Der is doch der größte Ähzezäller[3], der in Köln rumläuft. Seit wir 1985 aufjemacht haben, wat meinst du, wie oft der hier ein Kölsch bezahlt hat?«

»Äh, ich gehe davon aus, das war eine rhetorische Frage.«

»Nie. Dat Sackjeseech kam immer nur, wenn et Freibier gab. Beim letzten Mal hab isch jesagt: ›So, mein lieber Herr Jramisch, dat mit dem Freibier, dat gilt für alle im Raum außer für Sie. Jenauso wie isch alle hier duze außer Sie. Also zwei Euro, bitte, Sie Sackjeseech.‹ … Und dann …«