Miss Emma und der Abenteurer - Bronwyn Scott - E-Book

Miss Emma und der Abenteurer E-Book

Bronwyn Scott

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Beschreibung

Sie ist stark, unterwirft sich keinem Mann: Eine Frau ganz nach dem Geschmack von Renford Dryden! Schon bei ihrem ersten Treffen sprühen die Funken der Leidenschaft … doch Emma verbirgt etwas vor ihm. Er muss ihr Geheimnis lüften – sonst gibt es keine Zukunft für sie ...

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IMPRESSUM

Miss Emma und der Abenteurer erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2015 by Nikki Poppen Originaltitel: „Playing The Rake’s Game“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON, Band 40 (8) 2016 Übersetzung: Eleni Nikolina

Umschlagsmotive: GettyImages_Dmytro Buianskyi

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2021

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751506793

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Bridgetown, Barbados – Anfang Mai 1835

Ren Dryden war zu dem Schluss gekommen, dass man zwei Dinge über die Natur eines Mannes sagen konnte: Ein weiser Mann versuchte nicht, vor seinen Sorgen davonzulaufen, und nur ein närrischer Mann floh vor den Chancen, die das Schicksal ihm schenkte. Ren zählte sich lieber zu der ersten Gruppe, und aus diesem Grund hatte er zwei Wochen auf einem Paketschiff verbracht, hatte dem wilden Atlantik getrotzt und alles zurückgelassen, was ihm vertraut war. Allerdings musste er zugeben, dass er sich in gewisser Weise auf die unbekannte Herausforderung freute, die ihn erwartete, sobald er das Ziel seiner Reise erreicht haben würde. Endlich würde er etwas tun können.

Ren stieg aus dem Beiboot, das ihn an Land gerudert hatte, warf dem Bootsmann eine Münze zu und stand gleich darauf auf dem Dock von Bridgetown. Sofort fühlte er sich wie zu Hause im geschäftigen Gewimmel, das ihn umgab. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals vor freudiger Erregung. Die Karibik! Land des Rums und der Abenteuer.

Begeistert sah er sich um, nahm die bunten Farben der Menschen auf, der Früchte, des Himmels und des Meeres, die Düfte von Zitrusfrüchten und Schweiß, die Hitze auf seiner Haut. Es war ein wahres Fest der Sinne, und Ren genoss es in tiefen Zügen. Sein Leben begann heute, so, wie er es sich ausgesucht hatte, nicht wie es ihm durch die Willkür früherer Generationen von Drydens vorgezeichnet worden war.

Sehr viele Leute in London würden gewiss sagen, dass er vor seinen Problemen davonrannte. Die Liste dieser Leute war sehr lang und bestand vor allem aus Mitgliedern seiner Familie, die glaubte, die „vollkommene Lösung“ für das kleine Problem ihrer Schulden in einer kurzsichtigen, blässlichen Erbin aus York gefunden zu haben. Mit deren Geld man dann die Gläubiger, die ihm durch die grauen Straßen Londons hinterherjagten und sogar so weit gingen, ihm vor seinen exklusiven Klubs aufzulauern, hätte bezahlen können.

Sehr viele seiner Bekannten hätten sich dem Unvermeidlichen gebeugt und die Erbin geheiratet, die Schulden bezahlt und ihr Leben damit zugebracht, neue Schulden anzuhäufen, sodass ihre eigenen Söhne eine Generation später dieselben Opfer bringen müssten. Ren hatte sich allerdings schon vor Jahren geschworen, dass er nicht zum Sklaven seiner Vergangenheit werden würde, sobald er einmal volljährig war.

Besonders beängstigend kam es ihm vor, dass jene Bekannten sich nicht nur gebeugt hätten, sondern es sogar vorgezogen hätten, die Hoffnung aufzugeben, statt sich von allem loszureißen. Immerhin war das Vertraute auf eine gewisse Weise tröstlich, Ren bemitleidete allerdings jeden, der daran um jeden Preis festhielt. Er selbst war nie so ein Mann gewesen.

Oberflächlich betrachtet, mochte er ihnen ja in Aussehen und Benehmen ähneln, sie besuchten dieselben Klubs und gingen denselben Aktivitäten nach, aber innerlich war Ren immer anders gewesen. Stets hatte er sich insgeheim aufgelehnt gegen alles und jeden, der seine Hoffnungen zu zerstören versuchte, und seiner Freiheit durch die strikten Regeln der Gesellschaft Fesseln anlegen wollte.

Doch jetzt hatten seine Hoffnungen sich erfüllt. Er war weit weg von London und frei, wenn es ihn auch viel gekostet hatte. Allerdings erkaufte man sich die Freiheit immer teuer. Sollte er bei diesem Wagnis versagen, würde seine Familie es genauso büßen müssen – seine Mutter, die nach dem Tod seines Vaters noch immer von Gram erfüllt war, seine beiden Schwestern, von denen die eine auf ihre Einführung in die Gesellschaft wartete und die andere darauf, sich zu vermählen, und der dreizehnjährige Teddy, der als nächster Earl nichts als mit Schulden belastete Ländereien erben würde, sollte Ren nicht zurückkehren.

Ren umfasste entschlossen den Griff des Mantelsacks, den er nicht auf dem Boot hatte lassen wollen, so, wie die übrigen seiner Gepäckstücke, die später an Land gebracht werden würden. Seine Zukunft befand sich in diesem Mantelsack – das Empfehlungsschreiben und eine Kopie von Cousin Merrimores Testament, das ihm den Anspruch auf einundfünfzig Prozent einer Zuckerrohrplantage vermachte, die Mehrheit eines einträglichen Geschäfts.

Sicher gab es auch andere Teilhaber, doch ihm gehörte die Mehrheit, er würde die Führung übernehmen. Er würde es schaffen. So unziemlich es auch war für einen Mann von seiner Geburt, hatte Ren sich mit den Grundlagen des Handels vertraut gemacht. In London hatte er gelegentlich an der Börse in diverse Schiffsfrachten investiert, aufmerksam Diskussionen im Oberhaus gelauscht und lebhaftes Interesse an politischen Zirkeln gezeigt.

Folglich war er nicht nach Barbados gekommen, ohne einiges über dieses Juwel unter den britischen Kolonien zu wissen. Er war entschlossen, seinen Prinzipien treu zu bleiben. Die Gewinne, die er zu erringen hoffte, würden ehrlich erwirtschaftet sein. Auf keinen Fall wollte er seine Familie mit dem grausam erzwungenen Schweiß anderer Menschen unterstützen. Selbst ein verzweifelter Mann wie er vergaß seine Ehre nicht.

„Ahoi, Dryden, bist du es?“ Ein hochgewachsener, sonnengebräunter Mann mit hellem Haar bahnte sich einen Weg durch die Menge und ließ Ren verblüfft aufblicken. Ren hätte den Mann vielleicht nicht wiedererkannt, aber die Stimme seines besten Freundes war unverkennbar. Die gute Gesellschaft Londons wäre entsetzt gewesen, könnte sie den ehemaligen Liebling aller Damen jetzt sehen. Die Karibik hatte sein dunkelblondes Haar ausgebleicht und die blasse Haut gebräunt.

„Kitt Sherard!“ Ren lächelte breit. „Ich war nicht sicher, ob du kommen würdest.“ Er hatte ihm in einem Brief von seiner Ankunft geschrieben, aber es war keine Zeit gewesen, auf eine Antwort zu warten.

„Natürlich. Ich würde dich doch niemals allein am Kai stehen lassen.“ Kitt umarmte ihn kräftig. „Wie lange ist es her, Ren? Fünf Jahre?“

„Fünf lange Jahre. Sieh dich bloß an, Kitt. Barbados scheint dir gutzutun“, rief Ren. Die völlige Veränderung seines Freundes war verblüffend. Kitt hatte schon immer den Hang zur Zügellosigkeit besessen, aber jetzt schien diese Wildheit völlig Besitz von ihm ergriffen zu haben. Nicht nur war sein Haar von der Sonne gebleicht, sondern auch lang. Sein Aufzug glich dem all jener Menschen in ihrer eher lockeren, offenbar sehr bequemen Kleidung, von denen es hier auf dem Dock nur so wimmelte, als der traditionelleren, bestehend aus Ausgehrock und Hose, die Ren trug. Aber Kitts Augen waren unverändert klug und lebhaft und von einem klaren Meeresblau. Oh ja, es war sein guter, alter Freund Kitt, und es war wundervoll, sein freundliches Gesicht zu sehen.

„Das tut es wirklich.“ Kitt lachte, als eine hübsche Obstverkäuferin mit verführerischem Hüftschwung auf sie zukam.

„Frisches Obst, meine Lieben, das beste auf dieser Insel. Ist dieser gut aussehende Bursche Ihr Freund, Mr. Kitt?“ Sie hielt Ren lockend eine feste runde Orange unter die Nase. Ihre Methode war erfolgreich. Nach zwei Wochen ohne etwas, das auch nur im Entferntesten hätte frisch genannt werden können, stellte die Orange eine große Versuchung dar. Die Frau hätte genauso gut Eva mit dem Apfel sein können, und wenn Eva auch nur halb so verführerisch ausgesehen hatte wie diese Inselschönheit, konnte Ren vollkommen verstehen, warum Adam den Apfel genommen hatte.

„Er ist den weiten Weg aus London hierhergereist, Liddie. Sei nett zu ihm.“ Kitt gab ihr zwei Münzen, ergriff die Orange und drückte sie Ren in die Hand.

„Sind all Ihre Freunde so attraktiv?“ Liddie flirtete unverhohlen mit Ren und beugte sich leicht vor, damit er in dem tiefen Ausschnitt ihrer weiten Bluse einen Blick auf feste, runde Früchte einer viel sinnlicheren Natur werfen konnte. Sie lächelte ihn ermutigend an.

Kitt gab vor, beleidigt zu sein, und presste dramatisch die Hand auf die Brust. „Attraktiver als ich, Liddie?“

Sie lachte perlend. „Sie sind einfach zu viel für ein armes Mädchen wie mich, Mr. Kitt. Wollen Sie mich nicht vorstellen?“

„Liddie, das hier ist Ren Dryden, Albert Merrimores Cousin. Er wird die Sugarland-Plantage übernehmen.“

Ren hatte den Eindruck, dass Liddie leicht zurückwich. Ihre nächsten Worte bestätigten, dass er sich nicht geirrt hatte. „Die Plantage bedeutet Unheil.“ Sie bedachte Kitt mit einem warnenden Blick. „Erzählen Sie ihm besser von den Geistern und der Hexe, Mr. Kitt.“ Hastig betastete sie ihren Hals und zog sich eine Kette, an der ein Stück Koralle hing, über den Kopf, um sie Ren zu reichen. „Sie werden Schutz brauchen. Dies wird die bösen Geister fernhalten.“

Verblüfft betrachtete Ren die Kette in seinen Händen. Die Vorstellung, es könnte Ärger auf seiner Plantage geben, war mehr als nur ein wenig beunruhigend. Dass dabei sogar Geister und eine Hexe eine Rolle spielen könnten, machte die Sache nicht besser. Fragend sah er seinen Freund an, der nur die Achseln zuckte.

„Mein Freund und ich sind gute Anglikaner, Liddie. Wir glauben nicht an böse Geister“, meinte er gelassen.

Gute Anglikaner? Ren hätte fast laut aufgelacht. Er zweifelte sehr an Kitts Religiosität, und gut war er sehr wahrscheinlich nur darin, anderen Leuten Scherereien zu bereiten.

Ren steckte die Kette in seine Hemdtasche, während Kitt wieder mit Liddie schäkerte. „Trotzdem bin ich ein wenig eifersüchtig, Liddie. Was ist mit mir? Bekomme ich keine Kette? Für alle Fälle, meine ich.“

Ein hübsches Lächeln umspielte Liddies Lippen. „Mr. Kitt, ich kann die armen Geister nur bemitleiden, die es wagen würden, sich mit Ihnen anzulegen, ob Sie nun ein guter Anglikaner sind oder nicht.“ Und damit wandte sie sich ab, keck die Hüften schwingend.

„Sie mag dich.“ Kitt versetzte Ren einen spielerischen Stoß in die Seite. „Soll ich etwas für euch arrangieren?“

„Nein. Solche Abenteuer müssen warten, bis ich mich auf der Plantage zurechtgefunden habe.“ Ren lachte. „Du bist immer noch der alte Kitt Sherard. Wo du gehst und stehst, fallen die Frauen dir zu Füßen.“

Kitt wurde plötzlich ernst. „Nun, nicht ganz der Alte, hoffe ich. Ich kam nicht hierher, um zu sein, was ich in London war, ebenso wenig wie du, nehme ich an.“

Ren nickte bestätigend. Für sie beide war Barbados ein Ort, an dem sie ein neues Leben beginnen wollten. Ohne jede Vorwarnung hatte Kitt London vor fünf Jahren verlassen. Eines Abends war er auf Rens Türschwelle erschienen und hatte bei seinem Freund Zuflucht gesucht, ohne ihm allerdings erklären zu können, was vor sich ging. Schon am folgenden Tag hatte er sich heimlich aus der Stadt davongemacht und einfach alles hinter sich gelassen, sogar seinen Namen. Ren war der Letzte, der ihn gesehen hatte. Danach hatte Kitt alle Bande zu seinem früheren Leben gekappt und nur hin und wieder einen Brief an Ren und Benedict DeBreed, den Dritten im Bunde, gesandt.

Ren wusste nicht, was Kitt seit damals getan hatte, lenkte das Gespräch aber trotz seiner Neugier zunächst in eine andere Richtung. Außerdem war es leichter für ihn, nicht über die Konsequenzen seiner eigenen Entscheidung nachzudenken. Noch nicht. Zuerst würde er einen Schritt nach dem anderen machen. Und der nächste Schritt war, zu seiner Plantage zu gelangen. „Hast du einen Wagen besorgen können?“

„Er steht gleich dort drüben. Ich glaube, sie haben gerade dein Gepäck an Land gebracht.“ Kitt wies auf das Beiboot, das zum zweiten Mal den Kai ansteuerte. Rens Fragen würden warten müssen, während sie seine Sachen aufluden, doch seine Unruhe wuchs. Was hatte Cousin Merrimore getan, das man so über seine Plantage sprach? Was stimmte nicht auf Sugarland? Mit einem gewissen Unbehagen hatte er gerechnet. Schließlich waren seit dem Tod seines Cousins bereits vier Monate vergangen, und man hatte ihm nicht das Gefühl gegeben, willkommen zu sein. Aber die übrigen Teilhaber mussten doch über genügend Sachverstand verfügen, um in dieser kurzen Zeit keine gravierenden Fehler gemacht zu haben.

Im Grunde ging er davon aus, dass er selbst kaum etwas würde tun müssen. Die meisten Besitzer einer Plantage waren abwesend und überließen die Führung der Ländereien einem Aufseher, während sie selbst in England lebten. Dennoch hatte sich keiner mit ihm in Verbindung gesetzt. Und so war Ren zu dem Schluss gekommen, dass die anderen Teilhaber doch vor Ort geblieben waren. In jedem Fall musste es aber einen Aufseher geben, der sich um die Arbeit auf der Plantage kümmerte, ob sein Cousin oder einer der anderen Teilhaber nun anwesend waren oder nicht. Ren wurde allmählich immer heißer, und er warf Kitt einen neidischen Blick zu.

„Zieh die verdammte Jacke aus, Ren. Wir sind hier nicht mehr in England.“ Kitt lachte amüsiert. „Sogar die Hitze ist hier anders, aber du wirst dich daran gewöhnen. Wenn du bist wie ich, wird es dir sogar bald gefallen.“

Ren lächelte und schlüpfte erleichtert aus seiner Jacke. „Ich liebe die Hitze, und in London habe ich noch nie einen so blauen Himmel gesehen wie hier. Hier ist es wie im Paradies.“ Kaum aus dem Boot gestiegen, begann er schon den Zauber dieses Orts zu ahnen. Alles war anders – der Himmel, das Klima, die Früchte und die Menschen.

Das Gerede über Geister und Hexen machte ihm nicht viel aus, abgesehen von der Tatsache, dass es irgendetwas mit seinem Besitz zu tun hatte. Er hatte alles riskiert, um hierherzukommen, und sogar sein Erbe in den Händen seines Verwalters und seiner Anwälte gelassen. Natürlich konnte er ihnen vertrauen, und sollte er sich in diesem Punkt doch irren, war noch sein enger Freund Benedict DeBreed da, um seine Interessen zu wahren. Um seine Familie in London musste er sich also hoffentlich keine Sorgen machen, wenn man hier aber versuchte, ihn zu betrügen – daran wollte er nicht einmal denken. Er würde schon einen Weg finden, um alles in Ordnung zu bringen.

Ren kletterte auf den Wagen und quetschte sich neben Kitt. „Ich muss dir danken, dass du gekommen bist.“

„Es ist mir eine Freude, wenn ich auch sicher bin, dass sich auch von der Plantage jemand gern bereitgefunden hätte.“ Kitt spornte das Pferd mit einem Schnalzen an und blickte Ren fragend an, als der nicht antwortete. „Sie wissen doch, dass du kommst, oder?“ Es war leicht, die ausbleibende Antwort zu interpretieren. „Zum Teufel, sie wissen es also nicht.“

„Nicht ganz“, meinte Ren bedächtig. „Ich weiß ja nicht einmal genau, wer ‚sie‘ sind. Ich nahm an, lediglich Cousin Merrimore wohne auf der Plantage.“ Bis ihm der Gedanke gekommen war, es könnte auch anders sein, war es zu spät gewesen, einen Brief zu schicken.

Kitt seufzte unbehaglich, und Ren schwante Böses. „Heraus damit, Kitt. Sag mir, was auf Sugarland schiefläuft. Gibt es tatsächlich Geister und Hexen dort?“ Unbewusst tastete er nach der Kette mit dem Korallenstück in seiner Hemdtasche. Sie hatten Bridgetown hinter sich gelassen, die einzige Stadt auf dieser Insel, und ein seltsames Gefühl der Verlorenheit erfasste ihn. Zum ersten Mal in seinem Leben würde er ohne all die Annehmlichkeiten zurechtkommen müssen, an die er gewöhnt war. Jetzt würde sich herausstellen, ob seine Kraft und sein Wissen ausreichten, ihn zum Erfolg zu führen.

Kitt schüttelte den Kopf. „Es geht wirklich nicht mit rechten Dingen zu auf der Plantage, wenn ich auch nichts Genaueres weiß. Die meiste Zeit bin ich unterwegs.“

Ren glaubte ihm kein Wort. Kitt gehörte zu den Menschen, die jeden kannten und alles wussten. „Du brauchst die Dinge nicht zu beschönigen“, sagte er entschieden. „Ich will wissen, womit ich es zu tun habe.“ Hatte er sich zu viele oder gar falsche Hoffnungen gemacht? In jedem Fall war ihm keine andere Wahl geblieben. Andernfalls hätte er die Erbin heiraten müssen.

Kitt räusperte sich. „Es ist wegen des Lehrlingsprogramms, das hier in der Gemeinde sehr umstritten ist.“

Ren nickte. „Ich habe davon gehört.“ Vor einigen Jahren war in den britischen Kolonien in der Karibik die Sklaverei abgeschafft worden. Stattdessen sollten die früheren Sklaven bezahlt werden, wenn sie bereit waren, sich bei demselben Arbeitgeber zu verdingen, für den sie früher umsonst gearbeitet hatten, um in einer Art Lehrlingsstatus ihr Geld zu verdienen. In Wirklichkeit unterschied sich die Situation nicht allzu sehr von der Sklaverei.

„Es wird in letzter Zeit immer schwieriger, Arbeiter zu finden“, fuhr Kitt fort. „Die Plantagenbesitzer haben das Gefühl, die Arbeitskräfte kosten zu viel Geld, also lassen sie ihre Arbeiter bis zur völligen Erschöpfung schuften, sogar bis zum Tode. Wie du dir vorstellen kannst, will niemand unter solchen Umständen arbeiten. Der Tod ist keine besonders gute Empfehlung.“

Na, wunderbar. Seine Felder verrotteten also, und es ließen sich keine Arbeiter auftreiben. Doch Kitts nächste Worte ließen ihn erst recht aufhorchen. „Nur auf Sugarland nicht, und das ist es, was die Nachbarn besonders wütend macht.“

Ren überlegte kurz, wurde aber nicht klug aus Kitts Bemerkung. „Das musst du mir erklären, fürchte ich.“

„Die Plantagenbesitzer weigern sich, das Lehrlingsprogramm vernünftig durchzuführen. Sugarland bildet die Ausnahme. Alle wollen dort arbeiten, wo ihnen ein gerechter Lohn und menschenwürdige Bedingungen sicher sind. Also wird nur auf Sugarland Gewinn gemacht.“ Das waren gute Nachrichten. Ren atmete insgeheim auf, aber nur einen Moment. Kitt war noch nicht fertig.

„Vor einigen Monaten, etwa zu der Zeit, als dein Cousin starb, brachte jemand das Gerücht in Umlauf, dass Geister die Arbeiter nach Sugarland lockten und dass die Frau, die die Plantage leitet, etwas mit schwarzer Magie zu tun habe und die Plantage deswegen so erfolgreich sei. Seitdem haben die Gerüchte sogar zugenommen. Sie soll die Ernte der Nachbarplantagen verflucht und ihr eigenes Land mit einem Zauberspruch bedacht haben, der alles in Hülle und Fülle wachsen lässt.“

„Warte einen Moment“, unterbrach Ren ihn fassungslos. Zaubersprüche? Hexenkraft? Eine Frau?

Kitt erbarmte sich seiner, missverstand aber den Grund für Rens Aufregung. „Ich weiß, der Glaube an schwarze Magie ist etwas, an das man sich erst einmal gewöhnen muss. Die Inseln haben ihren eigenen Namen dafür. Sie nennen ihn Voodoo, Obeah, und er stammt aus Afrika. Ein Aberglaube an Geister und Zauberei.“

Ren dachte an das Stück Koralle an der Kette, die Liddie ihm gegeben hatte. Schwarze Magie war noch das Geringste seiner Probleme. „Nein, das meinte ich nicht. Erzähl mir von dieser Frau. Es ist eine Frau auf der Plantage?“ Cousin Merrimore hatte in seinem Testament niemanden erwähnt, und ganz gewiss keine Frau.

Ernster, als Ren ihn je erlebt hatte, antwortete Kitt: „Sie heißt Emma Ward.“

Ren spürte, wie sich ihm der Magen zusammenzog. Plötzlich wusste er ohne jeden Zweifel, dass es gar keine anderen Teilhaber gab, ob nun abwesend oder vor Ort. Die übrigen neunundvierzig Prozent gehörten einer verrückten Frau, von der man sich sagte, dass sie die Ernten ihrer Nachbarn mit einem Zauber belegte!

Allmählich gelangte Ren zu der Erkenntnis, dass es eine Sache war, eine Überraschung vorzubereiten, wie er beabsichtigt hatte, aber eine ganz andere, selbst der Überraschte zu sein. Die Entwicklung der Dinge gefiel ihm ganz und gar nicht. Ein vorsichtigerer Mann hätte in der Stadt gewartet und die Bewohner der Plantage von seiner Ankunft rechtzeitig in Kenntnis gesetzt. Aber Geduld war nicht seine Stärke, und er hatte auch noch nie eine Herausforderung gescheut. Und damit würde er auch jetzt nicht beginnen, selbst wenn es sich bei dieser Herausforderung um ein berüchtigtes Weibsbild handelte.

Er lehnte sich zurück und hielt das Gesicht in die wärmende Sonne. Die Karibik, Land des Rums, der Gefahr und offensichtlich auch des Irrsinns – es war herrlich aufregend.

2. KAPITEL

Die Warterei trieb sie noch in den Wahnsinn! Emma Ward warf zum zigsten Mal einen Blick auf die Uhr auf ihrem Schreibtisch. Er hätte inzwischen schon längst hier sein müssen, dieser Mr. Einundfünfzig-Prozent. Wenn er denn überhaupt kommen würde. Gedankenverloren schob Emma die Papiere auf dem Schreibtisch von sich. Sie hätten genauso gut auf Arabisch verfasst sein können, so wenig, wie sie sich heute darauf konzentrieren konnte. Sie erhob sich unruhig und fing an, im Raum auf und ab zu gehen, eine sehr viel nützlichere Betätigung, als tatenlos auf irgendwelche Papiere zu starren.

Sie war am Rande eines Zusammenbruchs, und das schon seit Albert Merrimores Tod. Das bedeutete, dass sie diesen Zustand entsetzlicher Unsicherheit bereits vier Monate ertrug. Würde sie heute den Brief bekommen, der die Ankunft dieses Cousins ankündigte? Oder schlimmer noch, war heute der Tag, da er sogar persönlich auftauchen würde? Alles war möglich. Sein Schiff könnte sich verspätet haben, er selbst könnte sich verspätet haben, wenn er überhaupt beschlossen hatte zu kommen. Ebenso gut bestand die Möglichkeit, dass er es nicht für nötig hielt, den halben Erdball zu umrunden, um einen Besitz in Augenschein zu nehmen, dessen Rentabilität gar nicht von seiner Anwesenheit abhing. Die meisten Gentlemen würden sich nicht die Mühe machen, ganz besonders da immer ein gewisses Risiko bestand. Aber wem machte sie etwas vor? Nicht nur ein gewisses Risiko, ein sehr großes, angefangen mit der langen Schiffsreise. Selbst im modernen Zeitalter der Dampfschifffahrt, passierte es nicht selten, dass es zu einem Schiffbruch kam.

Emma tadelte sich für ihren makabren Gedanken. Sie wünschte sich ja nicht, dass er sterben sollte, lediglich gestrandet auf irgendeiner einsamen Insel. Vier Monate lang war ihr Wunsch erfüllt worden. Wie viel länger noch, bevor sie sicher sein konnte, dass sie den Mann – Mr. Einundfünfzig-Prozent – niemals zu Gesicht bekommen würde?

Sie musste aufhören, ihn so zu nennen. Er hatte einen Namen, der im Testament erwähnt wurde – noch dazu einen ziemlich biederen Name. Renford Dryden. Der Name eines alten Mannes. Aber selbstverständlich hatte der liebe alte Merry nichts als alte Verwandte. Merry war ja selbst Ende achtzig gewesen. Ein Cousin konnte nicht sehr viel jünger sein. Selbst wenn sie zwanzig Jahre trennten, würde er doch um die sechzig Jahre alt sein müssen. Und das machte sie nur noch fassungsloser. Warum sollte ein Mann dieses Alters eine so gefährliche Reise auf sich nehmen und damit sein Leben und auch das ihre auf den Kopf stellen? Aber vielleicht würde er ja gar nicht kommen. Vielleicht bliebe sie ja wenigstens in dieser Hinsicht verschont.

Emma sehnte sich nach nichts mehr als in Frieden und Unabhängigkeit und ohne die Einmischung irgendwelcher Männer Zuckerrohr anzubauen. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, war es wirklich nicht zu viel verlangt. Männer hatten ihr noch nie Glück gebracht, weder ihr Vater noch der Mann, mit dem sie eine katastrophale Ehe eingegangen war. Der einzige Mann, der sich ihr gegenüber anständig benommen hatte, war der alte Merry gewesen, und jetzt musste sie sich mit seinem Angehörigen auseinandersetzen. Sie konnte ihn nicht davon abhalten zu kommen, aber sie brauchte es ihm nicht auch noch leicht zu machen, sollte er sich doch entscheiden aufzukreuzen.

Emma hatte bereits mit der Kampagne angefangen und tunlichst vermieden, Mr. Einundfünfzig-Prozent über ihren Anwalt davon in Kenntnis zu setzen. Sie hatte befürchtet, ein Brief hätte als persönliche Einladung angesehen werden können, als Ermutigung zu kommen, dabei war es das Letzte, was Emma wollte. Während der letzten Monate hatte sie den Wagen kein einziges Mal in die Stadt geschickt, wann immer ein Paketboot ankam.

Wieder machte ihr schlechtes Gewissen ihr zu schaffen. Wenn er mit diesem Paketboot gekommen war, hatte sie einen ältlichen Herrn in der für ihn gewiss quälenden Hitze einfach seinem Schicksal überlassen. Sie hätte jemanden in die Stadt schicken sollen, um Gewissheit zu bekommen. Sie sollte Samuel mit dem Wagen nach dem Rechten schauen lassen. Bedrückt warf sie wieder einen Blick auf die Uhr, und sie begann sich zu entspannen. Es wurde spät. Die Bedrohung war für weitere zwei Wochen vorbei. Wenn er angekommen wäre, hätte er sich bereits eingefunden …

„Miss! Miss!“ Hattie, eins der Stubenmädchen, stürzte ins Arbeitszimmer, zu aufgeregt, um auf schickliches Benehmen zu achten. „Er ist es, es ist unser Mr. Dryden! Ich bin sicher. Er kommt, und dieser Halunke Mr. Kitt ist bei ihm!“

„Kitt Sherard? Bist du dir sicher?“ Was könnte der hiesige Rumschmuggler mit einem armen altersschwachen Mann zu tun haben? Sherard war nun wirklich der Letzte, dem Renford Dryden hätte begegnen dürfen. Sherard war ja kaum besser als ein Pirat. Emma blieb vor dem Spiegel über dem Seitentisch stehen und prüfte ihre Erscheinung. „Ich hoffe, er hat unseren Besucher nicht bereits betrunken gemacht“, murmelte sie vor sich hin und strich einige Haarsträhnen zurück.

Sie wollte auf jeden Fall einen guten Eindruck machen. Dieser erste Eindruck war entscheidend, und Kitt Sherard drohte ihn zu zerstören. Insgeheim hoffte Emma, Mr. Dryden davon zu überzeugen, ihr seine Anteile zu verkaufen oder zumindest, er würde mit der Zuversicht wieder nach England zurückreisen, dass sein Geld in guten Händen war. Und das stimmte ja generell auch, nur im Moment war sie ein wenig knapp an Mitteln. Die Ernte würde das sofort ändern.

Nur allzu gern würde sie einen Teil des Profits für ihre Unabhängigkeit hergeben. Die Eigenständigkeit der vergangenen vier Monate war ein Vorgeschmack darauf gewesen, wie es sein würde, allein verantwortlich zu sein, frei zu sein. Sie war nicht bereit, auch nur ein bisschen von dieser Freiheit und Verantwortung aufzugeben.

„Sehe ich gut aus, Hattie?“ Emma strich den Rock ihres aquamarinblauen Kleids glatt, eins ihrer Lieblingskleider. „Sind sie vorn?“

„Sie fahren gerade eben vor, Miss. Sie sehen sehr gut aus.“ Hattie zwinkerte ihr anzüglich zu. „Nach zwei Wochen auf einem Schiff wird ein feiner Gentleman wie er wohl jede Frau schön finden.“

Emma lachte trocken. „Ich weiß nicht, ob ich das als ein Kompliment deuten soll, Hattie.“ Schließlich zufrieden mit ihrer Erscheinung, machte Emma sich schnellen Schrittes auf, Dryden zu empfangen, als könnte ihre Anwesenheit allen Schaden wiedergutmachen, der vielleicht schon angerichtet war. Je früher sie Dryden von Sherard trennen konnte, desto besser.

In ihrem Eifer und ihrer Aufregung war sie ein wenig außer Atem, als sie die überdachte Veranda erreichte. Nun war der Augenblick gekommen, den sie gleichzeitig fürchtete und begrüßte. Endlich konnte die Zukunft beginnen, jetzt da Dryden hier war. Es war gut, die Dinge endlich zu klären. Wenn es ihr gelang, eine ganze Plantage zu leiten, würde sie doch wohl mit einem schwachen alten Mann fertigwerden.

Der Wagen hielt vor den Stufen, und sofort erkannte Emma den Irrtum in ihrem Gedankengang. Renford Dryden war kein alter Mann, nicht einmal einer mittleren Alters, sondern jung und erstaunlich attraktiv. Der Mann, der vom Wagen sprang, wirkte geschmeidig und stark, nach seinen breiten Schultern und langen Beinen zu urteilen. Also brauchte sie ihn wohl nicht vor den Unbilden des Insellebens zu schützen. Er sah so aus, als wäre er ihnen mehr als gewachsen.

Sie sah Hattie verärgert an. Warum hast du mich nicht gewarnt? Aber auf ihre Art hatte Hattie sie wohl doch vorgewarnt. Emma hätte ahnen müssen, dass etwas nicht stimmte, als Kitt Sherards Name gefallen war. Jetzt wusste sie, was es war. Aus der Nähe stellte sie fest, dass Renford Dryden über einen Meter achtzig groß und muskulös war und dichtes honigblondes Haar, kluge blaue Augen und eine gerade, aristokratische Nase hatte. Er erklomm die Stufen voller Selbstvertrauen und schien mit jedem Schritt, den er tat, größer zu werden. Dennoch war auch er nur ein Mann, und Männer konnten manipuliert werden!

Emma atmete tief ein. Sie musste einen guten Anfang finden, um gleich klarzustellen, dass sie hier das Sagen hatte. Mit herrischen Männern, die sich nicht beeinflussen ließen, hatte sie bisher keine erfreulichen Erfahrungen gesammelt. Mit dieser Sorte wollte sie nie wieder etwas zu tun haben. Sie streckte die Hand aus, um ihn zu begrüßen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass er vor ihr stand. „Willkommen auf Sugarland, Mr. Dryden. Wir freuen uns so sehr, Sie zu sehen.“ Sie hoffte nur, er erkannte die Lüge nicht.

Sein Griff war fest, und unerwartet überlief sie ein Schauer. Sein Blick heftete sich intensiv auf sie, und ihr wurde seine unglaublich männliche Ausstrahlung bewusst. Noch nie war ihr ein schlichter Handschlag so intim erschienen. „Ich freue mich auch so sehr, hier zu sein, Miss Ward. Ich werde meinen Aufenthalt hier sehr genießen.“ Klang da etwa ein Hauch von Ironie in seiner Stimme mit? Argwöhnte er, dass sie nicht ganz ehrlich war?

Sie hatte nicht die Gelegenheit, den Eindruck zu bestätigen, denn im nächsten Moment vergaß sie plötzlich alles. Renford Dryden lächelte auf die charmanteste Weise und wies sogar ein Grübchen auf. Es war ein ausgesprochen verruchtes Lächeln, das einen dazu verführte, an alle möglichen sündhaften Dinge zu denken, ohne es wirklich zu wollen. Er gehörte zu jenen Männern mit einer bemerkenswerten männlichen Ausstrahlung. Und doch war er nicht nur eine angenehme Erscheinung. Seine blauen Augen musterten Emma prüfend. Er war auf der Hut und würde sich gewiss nicht leicht täuschen lassen. Ihr fiel auf, dass sie in diesem Moment genau dasselbe taten – sie schätzten den Gegner ein und entschieden sich für die richtige Strategie.

Es war nicht schwer zu erraten, welche Strategie er wählen würde. Die Strategie aller Männer, die sich einer Frau gegenübersahen, die etwas besaß, das sie haben wollten. Abrupt straffte Emma die Schultern und tadelte sich insgeheim. Unter keinen Umständen würde sie ihre Unabhängigkeit aufgeben. Es war höchste Zeit, Mr. Dryden beizubringen, dass es nicht leicht war, eine Zuckerrohrplantage zu leiten. Er musste begreifen, dass es am besten war, alles ihren fähigen Händen zu überlassen und zu dem Leben zurückzukehren, das er kannte.

Sie ließ den Blick schnell über seinen Körper gleiten, bemerkte den eleganten Schnitt seiner Kleidung, den kostbaren Stoff. Er war ein Mann von vornehmer Herkunft, gewöhnt an Luxus. Vielleicht konnte sie das gegen ihn verwenden. Hier auf Barbados musste man sich Luxusgüter hart erkämpfen, und Männer aus gewissen höheren Kreisen konnten sich im Allgemeinen nicht auf der Insel behaupten. Vor allem dann nicht, wenn sie über so viel Selbstbewusstsein verfügten wie Mr. Dryden. Männer wie er lächelten ganz einfach nur. Aber ein charmantes Lächeln konnte keine Ernte einbringen oder die Rechnungen bezahlen. Nur mit harter Arbeit konnte man gewinnen, was Sugarland zu bieten hatte.

Emma schenkte ihm das Lächeln, das sie für alle ihre Gäste parat hatte. „Ich habe Limonade auf die hintere Veranda bringen lassen. Wir können uns dort setzen und miteinander bekannt machen, Mr. Dryden.“ Und dann würde er schnell feststellen, dass seine Anwesenheit auf der Plantage nicht erforderlich war, weil sie alles im Griff hatte.

„Nennen Sie mich bitte Ren, nicht Mr. Dryden. Das klingt so steif“, forderte er sie auf und trat beiseite, als zwei Diener mit seinem Gepäck die Treppe heraufkamen.

Emma blickte an ihm vorbei zum Wagen und überging seine Bitte geflissentlich. Sie würde der Versuchung widerstehen. Jemanden mit dem Vornamen anzusprechen, war für gewöhnlich der erste Schritt zu einer Verführung. „Mr. Sherard, möchten Sie sich zu uns gesellen?“ Die Höflichkeit verlangte, dass sie ihn fragte, Emma hoffte allerdings, Sherard würde einsehen, dass er höflicherweise ablehnen sollte.

Sherard schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank. Ich reise heute Abend wegen meiner Geschäfte ab, und es gibt noch viel zu tun, bevor ich aufbreche. Jetzt, da das Gepäck abgeladen ist, kehre ich in die Stadt zurück.“ Er bedachte sie mit einem Blick, der Emma an die ungezähmte Wildheit denken ließ, für die Sherard bekannt war. „Ich gehe davon aus, dass Sie sich gut um meinen Freund kümmern werden, Miss Ward.“ Er nickte Dryden zu. „Ren, ich sehe nach dir, wenn ich wieder auf der Insel bin.“ Dann verschwand er.

Na, wunderbar. Der berüchtigte Sherard und ihr Gast waren gute Freunde, und nun glaubte er, er könnte deswegen bei ihr aufkreuzen, wann immer es ihm beliebte! Ihr Gewissen meldete sich wieder – eindeutig ein wenig zu oft heute. Wahrscheinlich geschah es ihr nur recht, weil sie Dryden am Dock hatte warten lassen. Sie hatte ihn einfach sich selbst überlassen, und das war jetzt ihre Strafe.

Dass ihr neuer Partner ausgerechnet mit Sherard befreundet war, würde ihr nicht gerade zum Vorteil gereichen, wenn man bedachte, dass sowieso schon diverse Gerüchte über sie im Umlauf waren. Zwar glaubten die meisten Leute diese Gerüchten nicht, aber dennoch wurde auf diese Weise Aufmerksamkeit auf Emma gelenkt, und das war jeder anständigen Frau unangenehm. Sherards Anwesenheit stimmte Emma auch nicht besonders freundlich ihrem neuen Gast gegenüber. Sherard benahm sich ja so, als würde Dryden mit seinen verflixten einundfünfzig Prozent bereits das Sagen hier haben, wobei – das musste sie sich eingestehen – er es tatsächlich auch hatte. Sie war diejenige, die immer hier gewesen war. Sie hatte sich um die Ernte gekümmert. Wenn Dryden nur wenige Tage später gekommen wäre, hätte er die Ernte sogar verpasst. Wie konnte er es also wagen, hier einfach aufzutauchen, noch dazu unangekündigt, und die Früchte ihrer Arbeit für sich zu fordern?

Emma zügelte ihren wachsenden Unmut und führte ihren Gast durch das Haus zur hinteren Veranda. Das Wort Gast passte genau. Genau das war es, was Dryden für sie war, und es klang sehr viel freundlicher als Mr. Eindundfünfzig-Prozent. Was noch besser war, Gäste blieben immer nur für eine begrenzte Zeit. Dafür würde Emma sorgen.

Hier könnte er für immer bleiben! Ren ließ sich die kühle Limonade genüsslich die Kehle herabrinnen. Noch nie hatte er etwas Köstlicheres getrunken, noch nie hatte ein frisches Lüftchen sich angenehmer angefühlt. Die Lage verbesserte sich zusehends. Als Kitt vor Sugarland gehalten hatte, war Ren mehr als nur angenehm überrascht gewesen von dem weißen, mit elegantem Stuck verzierten Herrenhaus. Jeder Gedanke an Hexen und schwarze Magie war vergessen. Ren fühlte sich sofort zu dem Haus hingezogen. Das war ein Ort, an dem er leben und sich wohlfühlen könnte.

Eine derart irrationale Anwandlung war sehr seltsam für einen Mann, der stolz war auf seinen logischen Verstand, und doch konnte Ren nicht leugnen, dass er diese Empfindung hatte. Eine starke Besitzgier hatte ihn ergriffen. Das alles gehört dir, hatte eine innere Stimme ihm zugeflüstert. Und dann war sie auf der obersten Stufe erschienen, und der Wunsch zu besitzen hatte eine vertrautere Form angenommen, eine sehr viel begehrlichere. Es war schwer, sich darüber zu ärgern, dass er die ganzen Monate übergegangen worden war, wenn es Emma Ward gewesen war, die seine Existenz ignoriert hatte. „Sie sieht jedenfalls nicht aus wie eine Hexe“, hatte er Kitt zugeraunt.

„Das tun sie doch nie.“ Kitt war lachend vom Wagen gesprungen. „Hexen hätten lange nicht so eine Macht, wenn das anders wäre.“

Ren betrachtete sie, während sie gemeinsam ihre Limonade tranken. Sie würde ihn noch in große Schwierigkeiten bringen mit ihrer natürlichen Schönheit, mit dem aufregenden Hüftschwung, mit dem sie ihn auf die Veranda geführt hatte, mit ihrem dunklen Haar und den exotischen dunkelbraunen Augen. Sie strahlte eine ganz urwüchsige Sinnlichkeit aus, die einen Mann dazu bringen konnte, sich zu vergessen, wenn er nicht sehr aufpasste.

Diese Frau war keine jungfräuliche englische Rose. Sie war etwas sehr viel Besseres und gleichzeitig etwas sehr viel Bedrohlicheres. Vielleicht war sie ja doch eine Hexe. Er würde mit seinem Urteil noch warten müssen. Ren hob sein Glas, um mit ihr anzustoßen. „Auf die Zukunft, Miss Ward.“

Dafür, dass sie mit ihm hatte sprechen wollen, war sie allerdings sehr still. Vielleicht hatte er sie missverstanden. Er nutzte die Gelegenheit, um ein wenig mehr über sie zu erfahren. „Miss Ward ist doch richtig, oder?“

„Ja, Miss Ward ist genau richtig.“ Sie schenkte ihm ein sehr knappes Lächeln. Ren fiel auf, dass dieses Lächeln nicht ihre Augen erreichte und höchstens höflich genannt werden konnte. Vielleicht war die Kälte, die von ihr ausging, die Reaktion auf sein unangemeldetes Erscheinen. Sie hatte nicht gewusst, dass er kommen würde, und war misstrauisch. Immerhin war gerade ein Fremder auf ihrer Türschwelle aufgetaucht und hatte seine Absicht verkündet, hier zu wohnen.