Miss Mannings sinnliche Erweckung - Amanda McCabe - E-Book

Miss Mannings sinnliche Erweckung E-Book

Amanda McCabe

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Beschreibung

Nie konnte Mary Lord Barretts Kuss vergessen – und niemals die Demütigung, als sie erfuhr, dass es ihm nur um eine Wette ging. Umso entsetzter ist sie, den ruchlosen Lord im fernen Brasilien wiederzutreffen. Denn in tropischen Nächten erwacht ihre Leidenschaft erneut …

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IMPRESSUM

Miss Mannings sinnliche Erweckung erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2015 by Ammanda McCabe Originaltitel: „The Demure Miss Manning“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON, Band 38 Übersetzung: Mira Bongard

Umschlagsmotive: Getty Images / Sviatlana Lazarenka, Olga, ProVectors

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2021

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751512985

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

London 1805

Er soll der schönste Mann sein, der je gesehen wurde!“

Mary Manning bemühte sich, nicht über die überschwänglichen Worte ihrer Freundin Lady Louisa Smythe zu lachen. Stattdessen lächelte sie nachsichtig, spazierte weiter an der Seite der Freundin durch den Park und nickte den Leuten zu, die sie kannte. Um sich vor der Nachmittagssonne zu schützen, hielt sie den Sonnenschirm aus Spitze gegen das grelle Licht. Lady Louisa hatte die Angewohnheit, sich sehr für Klatsch und Tratsch zu interessieren – insbesondere, wenn es sich dabei um attraktive Männer drehte.

Und da es in diesem Fall noch dazu um einen schönen jungen Mann ging, der sich als neuester Held im Kampf gegen Napoleon Ruhm erworben hatte, wunderte sich Mary, dass ihre Freundin noch nicht vor Begeisterung in Ohnmacht gefallen war.

Allerdings musste sogar sie selbst zugeben, dass sie von den heroischen Geschichten, die über Lord Sebastian Barrett, den dritten Sohn des Marquess of Howard und Captain des 3. Husarenregiments, erzählt wurden, fasziniert war. Zumindest ein ganz klein wenig.

Louisa hakte sich bei ihr unter, als sie den schmalen gewundenen Weg betraten, der am See entlangführte. Aufmerksam beobachtete Mary die Menschen, die das Ufer bevölkerten – schlendernde Paare und lachende Vierergruppen, die sich am Wasser unterhielten, dessen Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte.

Mary ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Ihr Vater hatte stets in diplomatischen Diensten gestanden, und sie hatte ihn begleitet und nach besten Kräften unterstützt, nachdem ihre wundervolle portugiesische Mutter viel zu früh gestorben war. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr führte sie für ihn ganz eigenständig den Haushalt, egal, wohin er geschickt wurde.

Anfangs war sie im Grunde zu jung gewesen, um Empfänge und festliche Abendgesellschaften zu geben, bei denen ausländische Gesandte, begleitet von ihren eleganten Gattinnen, Bündnisse mit Vertretern der englischen Krone schmieden sollten. Doch es war niemand sonst da gewesen, um die Rolle der Gastgeberin auszufüllen. Mary hatte schon sehr früh eine Menge über Diplomatie gelernt, indem sie ihrer liebenswürdigen und kultivierten Mutter zugesehen, den Gesprächen ihrer Eltern gelauscht und Fragen dazu gestellt hatte. Sie schätzte es, im Gegensatz zu anderen jungen Damen, eine echte Aufgabe zu haben. Es reizte sie, immer wieder Neues kennenzulernen. Sie war mit ihrem Vater in Italien und Österreich gewesen, hatte lange in Russland gelebt und war erst vor wenigen Monaten nach England zurückgekehrt.

Manchmal wünschte sie sich allerdings, sie könnte auch so unbedarft kichern und flüstern wie die anderen und sich ebenso von wilden Schwärmereien und Vernarrtheiten mitreißen lassen. Wenigstens für einen Moment. Das war auch der Grund, weshalb sie es aufrichtig genoss, mit Lady Louisa befreundet zu sein.

„Der schönste Mann, der je gesehen wurde?“, fragte Mary lächelnd nach. Sie blieb mit Louisa im Schatten einiger Bäume stehen. Von dort aus hatten sie einen guten Blick auf die Spaziergänger, Reiter und die Kinder, die ihre Spielzeugschiffe auf dem Wasser treiben ließen. „Noch attraktiver als dieser italienische Graf? Letzte Woche hast du noch geschworen, du habest dein Herz für immer an ihn verloren.“

Louisa lachte fröhlich. „Ach, er! Er heiratet demnächst eine dickliche kleine Erbin. Zweifellos ist er ein begnadeter Tänzer, aber er ist kein Held wie Lord Sebastian. Ein Mann in Uniform hat schon etwas, meinst du nicht, Mary? Davon geht einfach eine wundervolle männliche Ausstrahlung aus.“

Ein Marineoffizier in blauer Uniform ging gerade an ihnen vorbei und verbeugte sich lächelnd. Louisa kicherte und winkte ihm mit dem Taschentuch zu.

Mary biss sich auf die Unterlippe, um ihre Belustigung zu verbergen. Offenbar war Louisa von jeder Uniform fasziniert.

Sie dachte an eine der vielen Geschichten, die sie über Lord Sebastian gehört hatte – dass er allein gegen zehn Franzosen gekämpft und sie in die Flucht geschlagen habe, obgleich man sein Pferd unter ihm weggeschossen habe. Sie war sich sicher, dass nicht alles wahr sein konnte, fand aber dennoch Gefallen an diesen Erzählungen. Märchen hatten sie schon in ihrer Kindheit fasziniert, als ihre Mutter ihr vor dem Einschlafen portugiesische Sagen von ruhmreichen Schlachten, tapferen Rittern und holden Maiden erzählt hatte.

Louisa beugte sich vor, um Mary etwas ins Ohr zu flüstern: „Selbstverständlich kann ich mir nicht vorstellen, dass Lord Sebastian noch attraktiver als sein Bruder Lord Henry ist. Was das betrifft, musst du dir bestimmt keine Sorgen machen.“

Mary sah die Freundin überrascht an. Woher wusste Louisa davon, dass Lord Henry ihr in wenig überzeugender Form den Hof machte? „Lord Henry Barrett?“

Louisa lächelte verschwörerisch. „Aber ja. Ist er etwa nicht dein größter Bewunderer?“

Mary spürte, dass sich ihre Wangen röteten. Sie sah zur Seite und konzentrierte sich auf einen Knaben, der wild einen Reifen schwingend, gefolgt von seinem Kindermädchen, vorbeihüpfte. „Das kann ich nicht bestätigen. Wir sind uns nicht oft begegnet und haben kaum miteinander gesprochen.“

„Wirklich nicht?“ Louisas Aufmerksamkeit schien bereits durch einen Gentleman zu Pferde abgelenkt, der in einiger Entfernung vorbeiritt. „Bist du dir sicher? Ihr würdet ganz gewiss hervorragend zueinanderpassen. Mein Onkel meint, Lord Henrys große Karriere als Diplomat sei vorgezeichnet. Er hält es sogar für möglich, dass er bald nach Russland geschickt wird wie zuvor dein Vater.“

Hervorragend zueinanderpassen … Das würden sie wohl. Lord Henry Barrett war in letzter Zeit zu einer Art Günstling ihres Vaters geworden. Sir William Manning hatte sich nie beschwert nur eine Tochter zu haben. Doch sie wusste, wie sehr er sich immer einen Sohn gewünscht hatte, der in seine Fußstapfen trat und dem er im Pulverfass der Politik, des Krieges und der höfischen Intrigen Anleitung und Rat hätte erteilen können.

In den vergangenen Wochen hatte ihr Vater sie häufig aufgefordert, Lord Henry zum Dinner einzuladen, und meistens hatten die beiden Männer im Anschluss an das Essen noch stundenlang in der Bibliothek miteinander geredet. Die wenigen Worte, die Lord Henry mit ihr gewechselt hatte, fand Mary dagegen nicht weiter erwähnenswert.

Er ist in der Tat ein vielversprechender junger Mann, meine liebe Mary. Das hatte ihr Vater noch an diesem Morgen gesagt, kurz bevor sie mit Louisa zum Spaziergang aufgebrochen war. Er ist zuverlässig und besonnen, genau solche Männer braucht dieses Land in den heutigen Krisenzeiten …

Mary seufzte, als sie sich an die Worte erinnerte. Sie drehte den Sonnenschirm zwischen den Fingern und dachte über Lord Henry Barrett nach. Zweifellos sah er gut aus mit seinem blonden Haar und dem höflichen Lächeln. Er schien der vollkommene Diplomat zu sein – selbstsicher, nichts von sich preisgebend und so zurückhaltend, dass er selbst beim Tanzen kaum ihre Hände berührte.

Wahrscheinlich war ihr Vater ebenso gewesen, bevor er ihrer bezaubernden Mutter in Lissabon begegnet war. Gewiss würde er es schätzen, wenn sie einen solchen Mann heiratete und sich weiter als Gastgeberin betätigte. Sie selbst war inzwischen eine Diplomatin durch und durch, wenngleich ohne den Titel einer Botschafterin.

Mary wusste, dass dieser Weg im Leben für sie der beste wäre – wenn nicht gar der einzige. Jedenfalls konnte sie sich im Augenblick kaum etwas anderes vorstellen.

Ja, Lord Henry Barrett würde einen passenden Ehemann abgeben. Die fantastischen Berichte über seinen verwegenen und heldenhaften Bruder aus der Armee waren eben nichts weiter als aufregende Märchen.

„Lord Henry ist ein ehrenwerter Mann“, erwiderte Mary zögerlich. „Aber ich kenne ihn nicht gut genug, um zu sagen, ob er mich bewundert oder nicht.“

„Wirklich nicht? Ich bin mir sicher, dass er das tut. Ein Diplomat könnte sich keine bessere Gattin wünschen.“ Louisa klopfte anmutig mit dem zusammengefalteten Fächer gegen ihre rosa und weiß gestreiften Röcke und beobachtete die Passanten, als ob sie nach einem neuen attraktiven Gesicht Ausschau hielte. „Außerdem ist er immerhin der zweitgeborene Sohn, wohingegen Lord Sebastian erst an dritter Stelle kommt. Lord Henry könnte sogar eines Tages Marquess werden.“

„Louisa“, sagte Mary lachend. „Bei allen Vorzügen, die Lord Henry haben mag, das dürfte wohl höchst unwahrscheinlich sein. Ich habe gehört, dass die Gattin des ältesten Bruders guter Hoffnung ist.“

„Oh!“ Louisa zog einen Schmollmund. „Wie enttäuschend. Ich wäre sehr gern die Busenfreundin einer Marchioness geworden. Dann nehme ich mal an, dass du dich damit abfinden musst, Lady Henry zu sein. Und vielleicht werde ich dann Lady Sebastian! Dann wären wir Schwägerinnen!“

Mary lachte noch herzlicher. Genau deshalb genoss sie es, mit Louisa befreundet zu sein. Alle Menschen, die das Haus ihres Vaters betraten, benahmen sich so fürchterlich ernst. Louisa hingegen brachte sie zum Lachen. „Du bist Lord Sebastian doch noch nie begegnet, Louisa. Wie kannst du da wissen, ob du ihn magst, geschweige denn, dass du ihn heiraten würdest?“

„Manchmal weiß eine Frau solche Dinge eben!“ Louisa lächelte verträumt. „Er soll attraktiv, tapfer und schneidig sein. Genau das, wonach ich suchen sollte, oder nicht?“

Mary nickte. Waren dies nicht die Eigenschaften, die sich jede junge Frau von einem Mann ersehnte? Jede, außer den vernünftigen und pflichtbewussten Damen wie sie selbst natürlich. Von ihr wurde erwartet, dass sie jemanden suchte, dem sie zur Seite stehen konnte und zu dessen Familie sie gut passte. Dennoch konnte sie nicht anders, als sich hin und wieder einen großen, schlanken und geheimnisvoll anziehenden Offizier vorzustellen, der ein Regiment kommandierte. Der Stoff, aus dem die Heldengedichte gemacht sind …

Mary folgte Louisa, die unablässig über einen hübschen Hut redete, den sie in einem Schaufenster erblickt hatte, durch ein Tor aus dem Park.

„Wir sind ganz in der Nähe von Lady Alnworths Haus“, sagte Louisa plötzlich. „Wir sollten ihr einen Besuch abstatten. Sie hat mir versprochen, dass sie mir ihr Amethystarmband leiht, damit ich es beim morgigen Ball bei den Seetons zu meinem fliederfarbenen Abendkleid tragen kann.“

Lady Alnworth galt als eine der größten Gastgeberinnen Londons – und als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Gesellschaft. „Ich weiß nicht, Louisa. Mein Vater wird bald wieder zu Hause sein und darauf warten, dass ich mit ihm esse.“

„Es wird gar nicht lange dauern. Überdies weißt du doch, dass Lady Alnworth immer auf dem neuesten Stand ist. Möglicherweise ist ihr bekannt, welche Bälle Lord Sebastian besuchen wird.“

Mary lachte. Lady Alnworth war zwar keine unumstrittene Person, doch ein paar Neuigkeiten zu erfahren, war immer willkommen. „Nun gut, aber nur ganz kurz.“

Sie näherten sich Lady Alnworths Haus, einem strahlend weißen Gebäude am Rand des Parks. Wie immer standen die Türen für Besucher weit geöffnet, und heitere Stimmen und Gelächter fluteten aus dem Gesellschaftszimmer in das verschwenderisch geschmückte Vestibül. Mit einem Mal freute sich Mary, dass sie sich von Louisa hatte überreden lassen.

„Ist Lady Alnworth zugegen?“, fragte Louisa den Butler.

„Ja, in der Tat ist sie hier, Lady Louisa, Miss Manning“, antwortete er und verbeugte sich. „Eine größere Gesellschaft ist kurz vor Ihnen hier eingetroffen, darunter Ihre Gnaden, die Duchess of Thwaite.“

Louisa riss die Augen auf, und selbst Mary war beeindruckt. Die Duchess kam nur selten in die Stadt, da sie es bevorzugte, beinahe ununterbrochen ihre eigenen Festgesellschaften in Thwaite Park zu geben. Wann immer sie London doch mit ihrem Besuch beehrte, wurde sie von einer ganzen Schar berühmter Freunde begleitet. Normalerweise kam sie nur nach London, um den eigenen jährlichen Ball auszurichten.

„Die Duchess ist hier?“, fragte Mary ungläubig nach.

„Ja, in Begleitung von einigen Freunden, Miss Manning“, gab der Butler würdevoll, aber mit einem Funkeln in den Augen Auskunft. „Heldenhafte Freunde.“

„Heldenhaft?“, rief Louisa mit sich beinahe überschlagender Stimme. „Oh, Mary! Was, wenn Lord Sebastian darunter ist? Wie überaus aufregend! Ich wusste, dass es eine gute Idee war, Lady Alnworth einen Besuch abzustatten.“

„Louisa, bestimmt ist es nicht …“, versuchte Mary sie zu beruhigen, doch die Freundin ging bereits zügig auf die halb geöffneten Türen des Gesellschaftszimmers zu.

Mary ließ sich nicht von Louisas Hektik anstecken, sondern schritt langsam weiter. Nach den jahrelangen Besuchen an verschiedenen königlichen Höfen war ihr diese würdevolle Haltung in Fleisch und Blut übergegangen. Als sie schließlich das Zimmer erreichte, näherte sich Louisa bereits der Gruppe, die sich rund um die großen geöffneten Fenster mit Blick auf den Park versammelt hatte. Mary blieb einen Moment stehen, um die Leute zu betrachten und die Situation genauer einzuschätzen – fast als ob sie beabsichtigte, die Szenerie in einem Gemälde festzuhalten.

Die Duchess befand sich in der Mitte der Gruppe. Sie war nach der neuesten Mode gekleidet. Lady Alnworth, in einem klassischen roten Kleid, hatte es sich auf einem Sessel neben dem der Duchess bequem gemacht. Sie sah Louisa mit großen Augen an, die mit wehenden blonden Locken auf sie zueilte, um sie zu begrüßen. Ein Teetisch mit einem glänzenden Silberservice stand vor der Gastgeberin und der Duchess, die von scherzenden Gentlemen umgeben waren. Die drei Männer schienen um die Aufmerksamkeit der beiden berühmten Damen zu wetteifern.

Plötzlich wurde Mary ganz schüchtern. Zwar hatte man ihr beigebracht, sich in völlig unterschiedlichen Kreisen zu bewegen und mit egal wem eine höfliche Unterhaltung zu führen, doch diese Gentlemen waren gewandte Gesellschaftslöwen. Mr. Nicholas Warren, Lord Paul Gilesworth und Lord James Sackville zählten nicht nur zu den gefragtesten Junggesellen Londons, sie galten auch als ausgesprochen geistreich und anspruchsvoll. Nur einen der Männer, der halb im Schatten der Fenstervorhänge stand und hinaus auf den Park blickte, kannte sie nicht.

„Miss Manning!“, rief Lady Alnworth ihr zu. „Kommen Sie doch zu uns und helfen Sie uns, eine Frage zu klären. Sie sind in allem so klug und belesen. Lord James hat eben behauptet, dass Platon kein Heide gewesen sein könne, da er für die Unsterblichkeit der Seele eintritt. Mr. Warren indes ist vom Gegenteil überzeugt. Das bringt mich ganz durcheinander.“

„Ich fürchte, meine bisherige Lektüre zu diesem Thema ist nicht umfangreich genug, Lady Alnworth. Ich habe nur gelesen, was Platon seinen Lehrer Sokrates im ‚Symposion‘ sagen lässt“, entgegnete Mary, während sie mit strahlendem Lächeln auf die Gastgeberin zuging. „Leider kenne ich mich nicht gut genug aus …“

Mit einem Mal bemerkte sie, dass der Mann, der am Fenster gestanden hatte, aus dem Schatten getreten war. Er trug eine prächtige rote Uniform, und Mary geriet bei seinem Anblick beinahe ins Straucheln.

Er war unglaublich attraktiv – beinahe wie aus einem Traum, oder als ob er plötzlich einem Roman entsprungen und zum Leben erwacht wäre. Er glich einem edlen Ritter aus früherer Zeit, nur dass er einen roten Uniformrock statt einer glänzenden Rüstung trug. An ihm wirkte die Uniform, die in diesen Tagen kein seltener Anblick war, anders … exotisch und verführerisch.

Er war größer als die meisten Männer, denen sie in London begegnet war, und hatte auffällig breite Schultern. Die hellen Breeches kontrastierten mit den blank polierten schwarzen Stiefeln.

Sein dunkelblondes Haar leuchtete golden, als ob er viel Zeit in der Sonne verbracht hätte. Einige Locken fielen ihm ungezähmt in die Stirn und über den hohen goldverzierten Kragen des Uniformrocks.

Er schien nicht wirklich in das prunkvoll eingerichtete Gesellschaftszimmer zu passen, obgleich seine Uniform makellos war und seine Haltung große Vornehmheit verriet. Mary stellte sich ihn eher an Deck eines Piratenschiffs vor, das durch stürmische See glitt, oder als tollkühnen Reiter, der auf einem temperamentvollen Hengst über ein offenes Feld galoppierte.

Oder sie sah ihn als heißblütigen Verführer vor sich, der eine seufzende und dahinschmelzende Dame in die Arme zog und sie leidenschaftlich küsste, bis sie ohnmächtig wurde.

Mary musste beinahe laut über die eigenen romantischen Fantasien lachen. Das passte eigentlich gar nicht zu ihr. Offensichtlich hatte sie in letzter Zeit zu viele Gedichte gelesen. Wenn dieser Mann in Uniform tatsächlich der berühmte Lord Sebastian Barrett war, schien der Ruf, der ihm vorauseilte, mehr als gerechtfertigt. Seine Schönheit ließ sich nur als vollkommen bezeichnen.

Sie dachte an Lord Henry Barrett, den Mann, von dem alle annahmen, er wäre der perfekte Ehemann für sie. Er war zwar höflich und sah gut aus, doch er verströmte eine Aura von Unnahbarkeit und Berechnung.

„Lady Louisa, Miss Manning“, sagte die Duchess. „Ich freue mich, Sie beide zu sehen. Kommen Sie und setzen Sie sich zu uns, ganz gleich, ob Sie uns helfen können, den Streit zwischen Lord James und Mr. Warren zu schlichten. Im Grunde sind wir doch alle nur darauf aus, Lord Sebastian zu überreden, uns von einem seiner Abenteuer zu berichten. Vielleicht haben Sie mehr Glück dabei.“

„Oh ja, Sie müssen uns unbedingt davon erzählen, Lord Sebastian!“, bat Louisa ihn entzückt. „Es ist heldenhaft von Ihnen, uns alle mit derartigem Einsatz gegen den Feind zu verteidigen.“

„Lady Louisa, Miss Manning. Vermutlich sind Sie dem Helden des Tages noch gar nicht vorgestellt worden“, sagte Lady Alnworth. „Bedauerlicherweise war er so lange nicht in London. Lord Sebastian Barrett, darf ich Sie mit Lady Louisa Smythe und Miss Mary Manning bekannt machen?“

Er nickte Louisa höflich zu und wandte sich dann mit einem Lächeln an Mary.

Sie musste sich ihre gesamte diplomatische Erfahrung in Erinnerung rufen, um in Erwiderung nur zurückhaltend zu lächeln und sittsam zu knicksen. Je näher er kam, desto grüner erschienen ihr seine Augen. Sie hatten dieselbe Farbe wie die Smaragdohrringe, die ihre Mutter so geliebt hatte. Obgleich sie schon viel gereist war, hatte sie niemals einen Mann wie ihn erblickt – so vital und sprühend vor Energie.

Ja, dachte sie innerlich seufzend. Kein Wunder, dass sich alle jungen Londoner Damen in ihn verliebt haben. Wenn sie sich nicht vorsah, gehörte sie bald dazu.

Doch falls es etwas gab, das sie ohne Wenn und Aber verinnerlicht hatte, war es, vorsichtig zu sein.

„Ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er, verbeugte sich vor Louisa und ihr und deutete Handküsse an.

Mary spürte die Wärme seines Atems durch den Handschuh und erschauerte.

„Ich glaube, ich habe von Ihrem Vater gehört, Miss Manning. Handelt es sich um Sir William Manning, den erfolgreichen Diplomaten, der kürzlich in Sankt Petersburg gewesen ist?“

„Oh ja, das ist mein Vater“, erwiderte Mary erfreut. „Wir sind noch nicht lange zurück in London. Er wartet auf seine nächste Mission.“

Lord Sebastians attraktives Gesicht wirkte mit einem Mal ganz ernst, als ob eine dunkle Wolke vor die Sonne gezogen wäre. „Mein Freund Mr. Denny erzählte mir, dass er und seine Frau im letzten Jahr niemals ohne Sir Williams Hilfe aus Frankreich hätten fliehen können. Er hat Ihren Vater in den höchsten Tönen gelobt.“

Mary lächelte, als sie das hörte. Nur zu gut erinnerte sie sich an die vielen schlaflosen Nächte, in denen ihr Vater alles in seiner Macht Stehende unternommen hatte, um englischen Bürgern zu helfen, Frankreich zu verlassen. „Es wird ihn sehr freuen zu hören, dass Ihr Freund wohlauf ist. Allerdings wird er gewiss nichts anderes erwidern, als dass er lediglich seine Pflicht gegenüber dem Vaterland erfüllt habe. Sie scheinen es mit der Pflichterfüllung nicht anders zu halten, Lord Sebastian, nach allem, was wir über Ihre Heldentaten hören.“

Verlegen blickte er zur Seite. Dann lachte er, und die Wärme und Herzlichkeit seines Lachens schien seine Attraktivität noch zu steigern. „Ich beteure Ihnen, dass ich auf der Iberischen Halbinsel nur faul in der Sonne herumgelegen habe, Miss Manning. Menschen wie Sie und Ihr Vater sind die wahren Helden dieses Landes. Immerhin haben Sie sich durch das russische Eis und den Schnee gekämpft, um Verbündete für England zu gewinnen.“

Auch Mary lachte und war bezaubert von der Art und Weise, wie er vor dem Ruf als Held, der ihm vorauseilte, davonlief, anstatt sich darin zu sonnen, wie es bei den meisten Männern der Fall gewesen wäre. „Tatsächlich war es … recht interessant in Russland, Lord Sebastian. Dennoch bin ich froh, wieder in London zu sein.“

„Ich würde gern mehr über die Erfahrungen hören, die Sie im Reich des Zaren gemacht haben, Miss Manning.“

„Wirklich?“, erwiderte Mary überrascht. „Es war ermüdender, als Sie sich vorstellen können.“

„Ich freue mich immer, wenn ich etwas über fremde Länder erfahre. Mein Lieblingsbuch als Kind war ‚Tausendundeine Nacht‘. Kennen Sie es?“

„Selbstverständlich! Das war auch mein Lieblingsbuch“, sagte Mary. Lord Sebastian kam ihr trotz seines atemberaubenden Äußeren und seiner enormen Berühmtheit gar nicht mehr furchteinflößend vor. Es fühlte sich an, als ob sie ihn schon seit langer Zeit kennen würde und ihm ihre geheimsten Wünsche anvertrauen könnte … „Mein armes Kindermädchen musste mir aus dem Buch vorlesen, bis ich fast jeden Satz auswendig konnte.“

„Worüber plaudern Sie beide denn so angeregt?“, erkundigte sich Lady Alnworth mit lauter Stimme. „Ich bestehe darauf, dass Sie uns an dem Gespräch teilhaben lassen!“

Mary sah zu ihrer Gastgeberin, und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass Lord Sebastian und sie bereits ein wenig zu lange abseits neben dem halb geöffneten Fenster standen und leise miteinander sprachen. Es passte gar nicht zu ihr, die Umgebung auch nur für einen kurzen Moment aus dem Blick zu verlieren, geschweige denn, sich ungehörig zu benehmen. Sie spürte, wie sich ihre Wangen erhitzten, und lächelte rasch, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

Louisa hatte sich inzwischen neben Lady Alnworth, Mr. Warren und Lord Paul Gilesworth gesetzt. Alle vier starrten sie und Lord Sebastian neugierig an.

„Ich fürchte, ich habe Miss Manning ganz allein für mich in Beschlag genommen“, sagte Lord Sebastian mit einem charmanten Lächeln. „Ich wollte etwas über ihre Zeit in Russland erfahren.“

„Oh, es muss furchtbar gewesen sein mit all dem grässlichen Schnee!“, erwiderte die Duchess und erhielt ein zustimmendes Nicken von Lady Alnworth. „Gewiss ist das Leben hier in London weit amüsanter.“

„Ich würde mich freuen, wenn wir später noch Gelegenheit fänden, uns weiter über Ihre Reisen zu unterhalten, Miss Manning“, flüsterte Lord Sebastian ihr zu, bevor sie sich von ihm entfernen konnte.

Er wollte sich länger mit ihr unterhalten? Mary nickte sprachlos und fühlte sich einen Moment lang wie erstarrt. Doch innerlich wurde sie von einer Aufregung und Freude erfasst, die vollkommen neu und erschreckend für sie waren. Er begleitete sie zurück zu der Gruppe, und schon bald waren sie in eine lebhafte Unterhaltung über das neueste Theaterstück, das im Covent Garden aufgeführt wurde, verwickelt. Allerdings galt Marys Aufmerksamkeit eher Lord Sebastian, der ihr gegenüber Platz genommen hatte, seinen smaragdgrünen Augen und seinem herzlichen Lachen. Angespannt beobachtete sie, wie die Duchess über seinen rechten Arm strich.

Mary wusste, dass sie auf der Hut sein musste. Ein unvorsichtiger Schritt und sie konnte an einen Abgrund geraten – und direkt in diese starken Arme stürzen.

2. KAPITEL

Diese Lady Louisa Smythe ist eine außergewöhnliche Schönheit“, sagte Paul Gilesworth lachend. Er gab dem Lakaien einen Wink, eine Flasche Portwein zu bringen. Er und seine Freunde ließen sich auf den Sesseln am Kaminfeuer ihres Clubs in St. James’s nieder, nachdem sie Lady Alnworths Teerunde verlassen hatte. „Zudem scheint sie einem Liebesabenteuer nicht ablehnend gegenüberzustehen. Was meint ihr?“

Nikolas Warren lachte. „Ihr Vater bewacht sie wie einen Goldschatz. Da würdest du schon eher Glück mit Lady Alnworth selbst haben, Gilesworth.“

„Glaubst du?“, fragte Gilesworth und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Es kommt immer darauf an, was man haben will – eine Zuchtstute oder ein Rennpferd. Und was ist mit der Duchess of Thwaite? Sie würde eine gewisse Herausforderung darstellen.“

Sebastian beobachtete, wie der Lakai die Pokale aus fein geschliffenem Kristall mit dem blutroten Wein füllte, und hörte mit einem Ohr zu, wie seine Freunde über die Vorzüge verschiedener Damen der Londoner Gesellschaft diskutierten. Seit er nach England zurückgekehrt war, kam es ihm vor, als ob stets eine Distanz bestünde zwischen ihm und dem, was um ihn herum geschah. Alles kam ihm unwirklich vor wie in einem Traum.

Die Interessen der feinen Gesellschaft in London, die er einst geteilt hatte, schienen ebenso wenig Substanz zu besitzen wie die perlenden Bläschen in einem Glas Champagner. Die Schönheit einzelner Debütantinnen, wer wie viel beim Kartenspiel verloren hatte und wer welche berühmte Schauspielerin zu seiner Mätresse gemacht hatte – all das war nicht von Belang, nach dem, was er auf den Schlachtfeldern gesehen, getan und erlebt hatte.

Er trank einen Schluck von dem samtweich schmeckenden Wein und musterte die Gesichter seiner alten Freunde so distanziert, als ob er die Gemälde in einer Galerie betrachtete. Nicholas Warren war ihm noch immer sympathisch. Er war ein gutherziger und harmloser Kerl, der wie sein Bruder Henry eine Karriere im diplomatischen Dienst anstrebte. Aber Gilesworth und Lord James, die er zu Schulzeiten als unterhaltsame Kameraden empfunden hatte, schienen sich jetzt nur noch mit den langen Beinen von Tänzerinnen und derlei Oberflächlichkeiten zu beschäftigten. Das fand er reichlich ermüdend.

Sebastian musste wieder an die Männer denken, die vor seinen Augen gefallen waren. Es waren gute und tapfere Männer gewesen, die das Leben in vollen Zügen genossen hatten und dennoch furchtlos für ihr Vaterland in den Tod gegangen waren. Er hatte gemeinsam mit ihnen getrunken und bis tief in die Nacht scherzend und lachend mit ihnen zusammengesessen. Ab und an hatte er sie begleitet, wenn sie Frauen aufsuchten, um für ein paar Augenblicke Trost in deren Armen zu finden. Gemeinsam mit diesen Männern hatte er den extremsten Situationen des Lebens getrotzt und dem Tod ins Auge geblickt.

Dieses Zusammensein mit den anderen Offizieren hatte sich ganz anders angefühlt als die belanglosen Treffen in den Londoner Clubs. Am Vorabend einer Schlacht erlangte das Leben eine Intensität, wie er sie nie zuvor empfunden hatte.

Nun waren diese Freunde nicht mehr da, und Sebastian kam es vor, als ob er in ein dunkles Loch gestürzt wäre, in das kein Lichtstrahl drang, der ihn wieder hinausführen konnte. Zu seinem großen Entsetzen wurde er in London als Held gefeiert. Überschwänglich hieß man ihn in jedem Gesellschaftszimmer willkommen und bat ihn, seine „Geschichten“ zu erzählen. Selbst sein Vater, der seinen jüngsten Sohn bis dahin immer nur als Nichtsnutz beschimpft hatte, schien plötzlich stolz auf ihn zu sein.

Sebastian kam sich bei alldem wie ein Betrüger vor. Es wunderte ihn, dass niemand sonst es so sah. Er lebte, und all diese guten Männer waren tot, und ihr Blut tränkte die Schlachtfelder.

Es gab wahrhaftig nichts zu bejubeln. Doch hier schien das niemand zu begreifen. Unbekümmert lebten sie ihr Leben weiter, als ob nichts anderes eine Rolle spielte – als ob die Welt, die sich außerhalb ihrer kleinen Insel befand, nicht längst dabei wäre, in tausend Stücke zu zerspringen.

London war ihm vollkommen fremd geworden. Er war sich selbst fremd geworden. Lord Sebastian Barrett – wer war das? Als er mit seinen Kameraden zusammen gewesen war, hatte er wenigstens das Gefühl gehabt, sich selbst gefunden zu haben – sein wahres Selbst. Bis dahin war sein Leben ein Gezerre gewesen zwischen dem, was seine Familie von ihm verlangte, und dem, was er selbst für richtig befand. Erst in der Armee konnte er sein, wie er war. In London umgab ihn dagegen eine kalte Benommenheit, als würde er nichts mehr spüren. Um diesem Zustand zu entrinnen, würde er alles tun.

Seit er heimgekehrt war, hatte er nur ein einziges Mal etwas empfunden. Das war bei der Begegnung mit Miss Mary Manning in Lady Alnworths Gesellschaftszimmer gewesen. Sie hatte ihn angelächelt, war aber nicht kokett und nach Bewunderung heischend wie ihre Freundin Lady Louisa, sondern hatte eine ruhige und würdevolle Ausstrahlung. Der ernste und aufmerksame Blick ihrer grauen Augen unterschied sie von allen, denen er in London begegnet war. Die anderen gierten nur nach Amüsements und hielten nie inne, um wirklich hinzusehen.

Mary Manning hingegen schien die Umgebung genau zu betrachten. Gerade durch ihre stille Art stellte sie eine Quelle der Zuflucht dar. Leider war es ihm nur eine kurze Zeit vergönnt gewesen, ungestört mit ihr zu sprechen. Er hätte sich am liebsten allein irgendwo mit ihr hingesetzt und in Ruhe weiter mit ihr geredet. Möglicherweise hätte er ihr sogar davon erzählen können, was ihm widerfahren war.

Allerdings erinnerte er sich nur zu genau daran, dass sein Vater Miss Manning als geeignete Braut für Henry bezeichnet hatte. Sein älterer Bruder war in den Augen des Vaters der vollkommene Sohn. Deshalb war er auch dazu bestimmt worden, die lange Tradition der Barretts fortzuführen und ein großer Diplomat zu werden. Sebastian hatte sich nichts weiter dabei gedacht, als er seinen Vater und Henry über Mary Manning hatte sprechen hören. Schließlich hatte er sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht gekannt, und all seine Gedanken waren um die Schrecken der Schlachtfelder gekreist. Wen sein Bruder zur Frau nahm, hatte ihn nicht sonderlich interessiert.

Dennoch war ihm nicht entgangen, dass Henry sich nicht viel aus Miss Manning machte. Für den Bruder spielte vor allem die Position ihres Vaters, des berühmten und allseits geschätzten Sir William Manning, eine Rolle. Von solchen Überlegungen wurden alle Eheschließungen in der Familie Barrett geleitet.

Doch nun war Sebastian der jungen Frau persönlich begegnet, und sie war ganz anders, als er erwartet hatte.

Mit einem tiefen Schluck leerte er sein Glas und musterte erneut die Gesichter der Freunde. Wer von ihnen könnte für die Zerstreuung sorgen, die ihn für eine Weile ablenkte? Nicholas Warren war gutmütig, aber zu bieder, und Lord James besaß nicht genug Fantasie. Paul Gilesworth hingegen war schon immer ein Unruhestifter gewesen. Es schien, als ob er diese Rolle genösse. Bestimmt wird ihm etwas einfallen, das mich auf andere Gedanken bringt, sodass ich die Sinnlosigkeit meines Daseins für eine Weile vergessen kann, dachte Sebastian.

„Dann wird das also nichts mit Lady Louisa Smythe“, sagte Gilesworth lachend. Offensichtlich hatte Sebastian einen Teil der Unterhaltung verpasst. „Gewiss wäre es ein Leichtes, sie zu verführen, aber der anschließende Ärger mit ihrem Vater ist den Versuch nicht wert. Ich für meinen Teil habe nicht vor, mich vor dem vierzigsten Lebensjahr vor den Altar zerren zu lassen.“

„Aber genau das ist die Schwierigkeit bei allen jungen Damen in London“, erwiderte Lord James seufzend. „Ihre Väter sind überwachsam.“

Gilesworth lachte durchtrieben. „Bestimmt nicht alle.“

„Bei anständigen jungen Damen kann und darf es gar nicht anders sein“, erklärte Nicholas mit ernster Miene. „Nur bei denen, die keinen großen Wert auf ihren Ruf legen …“

„Worin besteht denn da die Herausforderung? Ein so kokettes junges Ding wie Lady Louisa ist eine leichte Beute“, erklärte Gilesworth und kräuselte verächtlich die Lippen.

Eine Herausforderung. Genau danach suchte Sebastian. Mit einem Wink forderte er den Lakaien auf, ihm Wein nachzuschenken, während er sich den interessanten Gedanken durch den Kopf gehen ließ. In der Armee war jeder Tag eine Herausforderung. In London dagegen befand er sich in einem ungewollten Zustand träger Benommenheit.

„Was meinst du damit, Gilesworth?“, fragte Sebastian nach. Die anderen drehten sich verwundert zu ihm um, als ob sie seine Gegenwart ganz vergessen hätten. „Was für eine Herausforderung kann es schon in London geben?“

Gilesworth musterte ihn mit halb zusammengekniffenen Augen. Er schien gerade einen besonders hinterhältigen Plan zu ersinnen, und Sebastian beschlich ein ungutes Gefühl. „Du hast heute sehr leise mit Miss Manning geplaudert, Barrett.“

Sebastian hatte wieder Mary Mannings Erscheinung vor Auge – ihr reizendes Lächeln und die zaghafte Berührung ihrer Finger auf seinem rechten Unterarm. „Ja, sie ist ungewöhnlich intelligent. Was hat das damit zu tun?“

„Was wohl?“, fragte Nicholas mit vorwurfsvoller Miene. Der Freund wirkte jetzt sichtlich beunruhigt, was Sebastian nachdenklich stimmte.

„Miss Manning ist nicht für eine kurze Liebelei geeignet, wie es bei ihrer Freundin Lady Louisa der Fall ist“, erläuterte Gilesworth. „Niemand hat etwas an ihr auszusetzen. Sie ist hübsch, höflich, ruhig und spielt ihre Rolle als Gastgeberin für ihren Vater mit tadelloser Vollkommenheit. Sie erweckt den Eindruck, dass sie nicht für den kleinsten Fehltritt zu haben ist.“

Mittlerweile ahnte Sebastian, worauf Gilesworth hinauswollte, und er starrte ihn finster an. Er trank sein Glas aus, und die betäubende Wirkung des Weins steigerte die dumpfe Empfindungslosigkeit, die ihn seit seiner Rückkehr lähmte. „Dann ist sie mit anderen Worten genau so, wie sie sein soll?“

Lord James schnaubte verächtlich. „Im tiefsten Inneren ist niemand ganz ohne Tadel – selbst eine ruhige und besonnen wirkende Dame wie Miss Manning nicht. Bestimmt gehen ihr ein paar wilde und verbotene Gedanken durch den hübschen Kopf.“

Sebastian starrte auf den rubinrot gefärbten Boden seines geleerten Glases. Er hatte Mary Mannings Gesicht vor Augen, die Art und Weise, wie sie ihn schüchtern und vertrauensvoll angelächelt hatte.

Wilde Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen? Oh, wie gern hätte er Näheres darüber erfahren! Sebastian musste lachen bei der Vorstellung, Mary Manning würde die Kontenance verlieren, hell aufjauchzen und die Röcke um ihre schlanken Fesseln schwingen lassen.

Doch plötzlich blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Die Vorstellung, dass sie sich über alle Etikette hinwegsetzte, ihn an der Hand fasste und mit sich hinaus in den Sonnenschein zog, stimmte ihn traurig und zugleich sonderbar hoffnungsvoll.

„Die Damenwelt spricht in letzter Zeit von nichts anderem als von deinen Heldentaten, Barrett“, sagte Gilesworth. „Selbst Miss Manning schien von dir fasziniert zu sein. Wenn es jemandem gelingt, ihre unnahbare Makellosigkeit zu überwinden, dann dir.“

Sebastian schüttelte den Kopf. „Mein Bruder ist an Miss Manning interessiert.“

Gilesworth und Lord James lachten, während Nicholas sie besorgt anstarrte.

„Dein Bruder Henry ist ganz sicher an niemandem und nichts außer seiner Karriere interessiert. Nein, ich gehe jede Wette ein, dass du der Einzige wärest, der Miss Mannings kühle Selbstbeherrschung überwinden könnte“, verkündete Gilesworth.

„Eine Wette?“, rief Lord James. „Oh, wie fabelhaft! Ich habe schon eine Ewigkeit keinen guten Wettvorschlag mehr gehört.“

Sebastian musterte Gilesworth skeptisch. Er traute dem Lächeln des Freundes nicht, und dennoch spürte er beinahe gegen seinen Willen, wie sehr ihn eine Herausforderung reizte. „Ich mag ja von Geburt an einen schlechten Charakter haben, aber ich gehe keine Wette ein, die dem Ruf einer Dame schadet.“

Gilesworth winkte ab. „Niemand verlangt, dass ihr guter Name in den Schmutz gezogen wird! Es geht nur darum, dass sie und wir ein wenig Spaß haben. Bisher war es eine ausgesprochen langweilige Saison. Verdient denn nicht auch Miss Manning ein wenig Vergnügen, bevor sie sich in ein unbescholtenes Leben als Lady Henry zurückzieht? Falls sie überhaupt Lady Henry wird, was ich bezweifeln möchte.“

„Was für eine Wette schlägst du denn vor?“, fragte Sebastian mit fester Stimme.

Gilesworth beugte sich über den Tisch. „Ganz einfach – ich wette fünfzig Guineen, dass es dir nicht gelingen wird, Miss Manning beim Ball der Duchess of Thwaite einen Kuss zu rauben.“

„Fünfzig Guineen?“ Nicholas holte tief Luft und schüttelte warnend den Kopf.

„Wie ich dir bereits sagte, werde ich nicht den Ruf einer Dame zerstören.“ Nicht einmal, wenn er dadurch die schreckliche Benommenheit überwand, die ihn plagte.

Nicht einmal, wenn ihn der Gedanke reizte, Miss Manning zu küssen. Und er war in der Tat weit mehr in Versuchung, als er zugegeben hätte. Würde ihm die Berührung ihrer süßen unschuldigen Lippen nicht wieder das Gefühl geben, lebendig zu sein?

„Außer uns würde niemand ein Sterbenswort davon erfahren, Barrett“, versprach Gilesworth. „Und außer Miss Manning natürlich. Schenk ihr eine aufregende, prickelnde Erinnerung, falls doch ein wenig Feuer hinter ihrer hübschen, aber eisigen Fassade lodert.“

Sebastian lehnte sich im Sessel zurück und drehte sein leeres Glas in den Händen. Ein seltsames Gemisch von Gefühlen brodelte in seinem Inneren: Langeweile, Verlangen, Verlockung. Es war, als ob davon ein Funken echten Lebens ausginge, nach dem er sich schon so lange sehnte. Dennoch war es zweifellos nicht richtig.